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Die beiden berühmten britischen Schriftsteller Christopher Marlowe und Robert Greene interessieren sich für nichts, außer ihr dichterisches Werk, das möglichst viel Ruhm einbringen soll. Marlowe hat für seine Geliebte Fanny nicht viel übrig und Greene verlässt seine Frau Emmy sowie den gemeinsamen Sohn und vergnügt sich mit seiner Geliebten Billy. Doch diese täuscht ihn und flüchtet mit seinem Geld. Greene wird sehr krank. Sein Zustand verschlechtert sich als Marlowe ihm berichtet, wer das Meisterwerk "Romeo und Julia" schrieb. Als Greene stirbt und Marlowe sein Grab besucht, sieht er auch auf einmal einem Dolch gegenüber.-
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Seitenzahl: 162
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Ludwig Tieck
Saga
Dichterleben - Erster Theil
Coverbild/Illustration: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:ThomasLucy.jpg
Copyright © 1825, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788728015995
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
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»Ha! meine lieben täglichen Gäste!« rief der runde Wirt mit seiner tönenden Stimme; »seid mir gegrüßt, werte, geehrte Herren! der Platz ist schon für euch zubereitet.«
Zwei Männer waren in den geräumigen Saal getreten, dessen Kühlung ihnen bei der zunehmenden Hitze der Sommertage angenehm dünkte. Der Tisch stand am großen Fenster, welches um einige Schuhe in die Straße hinaus gebaut war; das Morgenlicht glänzte durch die runden, in Blei gefaßten Scheiben und malte sich auf dem Boden, den man mit frischen grünen Binsen bestreut hatte. Der älteste von den Fremden war ein Mann von mittlerer Größe, mit schönen braunen Augen, einer fein gebogenen Nase und kräftigen, freundlichen Lippen. Der jüngere Mann war höher und schlanker, seine Augen glänzten feuriger, und seine Gebärden sowie sein Gang waren rasch und heftig. »Ist der fremde Mensch, der immer da hinten sitzt, noch nicht wieder erschienen?« fragte dieser mit hochfahrendem Ton.
»Seitdem nicht wieder«, antwortete der Wirt, »als Ihr ihn neulich etwas hart angelassen habt. Er wird sich wohl haben wegschüchtern lassen, denn er scheint eine stille Seele.«
»Das sollte mir leid thun«, sagte der heroische junge Mann, »sowohl um ihn als um Euch. Ich spreche auch manchmal selbst gern mit dergleichen mittelmäßigen Gesellen, denn man lernt auch von diesen furchtsamen Geistern. Und ich muß keine Vogelscheuche für Eure Gäste werden. – Aber wer ist er denn eigentlich?«
»Darauf kann ich Euch nicht dienen«, sprach der Wirt mit unterdrückter Stimme, indem er sich furchtsam umsah, ob auch der Fremde, von dem die Rede war, nicht unbemerkt eintrete; »denn er läßt sich nicht ausfragen. Ich kann nur so viel melden, daß ich ihn schon so ein sechs oder sieben Jahre über die Straßen wandeln gesehn; und wenn ich mich nicht sehr irre, so ist er eine Zeitlang Schreiber und Gehülfe bei einem Sachwalter gewesen, und dieselbe Würde mag er auch wohl noch bekleiden,«
»Wie? neugierig! Freund Christoph,« sagte der ältere Mann, der sich indessen schon behaglich niedergesetzt hatte; »es freut mich, daß doch auch eine weibliche Tugend Eure männliche heroische Kraft etwas mildert und mäßigt.«
»O Robert! trinklustiger Robert!« rief der jüngere, indem er sich zu ihm setzte; »dir währt es zu lange, den Wein im Becher rieseln zu hören. Dein Gemüt ist ganz auf die Flasche gerichtet, und die Nachrichten, die sie dir mitteilen kann, scheinen dir die einzig wichtigen. – Aber ist sonst nichts Neues vorgefallen?« so wandte er sich wieder an den Wirt, der das Zimmer schon verlassen wollte.
»Ein reicher Squire aus Jorkshire ist gestern abend angekommen, mit Pferden und Leuten«, antwortete der Wirt, »und hat meine besten Zimmer da droben gemietet. Übrigens ein vernünftiger Mann, der mit allen Dingen zufrieden ist. Er sagt, er sei schon vor vier Jahren hier in London gewesen, damals, als wir mit der unüberwindlichen spanischen Armada zu thun hatten; er will sogar hier gewohnt haben, aber ich kann mich seiner nicht erinnern. Ein Patriot ist er, wie es nur einen geben kann; denn von unserer Königin Elisabeth spricht er nur mit Verbeugungen und der Hand auf dem Herzen.«
»Das muß ein echter Engländer sein«, sagte Robert, als der Wirt hinausgegangen war. »Aber trinkt doch, Christoph, Ihr scheint mir heut' nicht so heiter als gewöhnlich.«
»Ich bin es auch nicht«, sagte jener, indem er den vollen Becher nachdenkend erhob. »Ist es dir wohl schon vorgekommen, daß du das Ende eines Gedichtes nicht finden konntest, welches du mit Begeisterung angefangen hattest?«
»Nein«, sagte Robert, »denn ich kann gar nicht schreiben, wenn es mir nicht leicht wird, und von allen Dingen ist mir der Schluß am leichtesten, ich fange gewissermaßen mit ihm an, denn er ist fast das Erste, worüber ich mit mir selber einig werden muß, und so strebt denn nachher alles von selbst diesem Ziele zu.«
»So ist es nicht gemeint«, sagte der heftige Mann, »und du hast die Gabe, mich mißzuverstehn. So im wachen Schlummer weiter dichten und das Ding nun endlich auch schließen, je nun, das kann ich wohl ebenfalls, wenn ich diesen schläfrigen Fleiß einmal in Anspruch nehmen will. Aber neu zu sein am Schluß, mit großen Gedanken zu endigen, mit Gefühlen und Erschütterungen, die bis dahin in der Tragödie selbst noch nicht auftraten, und die doch in der Sache liegen, so ein Gemälde hinzustellen, das nun noch endlich, nach allen vorhergegangenen Rührungen die ganze Seele umwühlt und das Herz wie zerschmettert: das Bild dieser erhabenen Angst steht mir so lebhaft vor Augen, daß ich mich selbst verwundern muß, wie ich es nicht schon längst viel mächtiger irgendwo habe abzeichnen können.«
»Ja, ja«, sagte Robert wie gerührt, »dies verwünschte Theaterwesen, das uns unsre Bemühungen doch so wenig dankt und belohnt, es reibt unsere besten Kräfte auf; und dich nun gar mit deiner Teufelstragödie, diesem Faust, den dir selbst ein böser Geist als Arbeit hingeschoben hat. Du bist seit dieser Anstrengung, die dich quält, niemals wieder so übermütig gewesen wie im Frühjahr. Ich erlebe es noch, daß er sich vor seinen eignen Teufeln fürchtet und von den Mißgeburten seiner Phantasie bekehren läßt.«
»Wenn ich Robert Green hieße!« erwiderte jener; »o du zerknirschter Sünder. der du immer nur in dem Eise der Untugend und im Auftauen der Reue und Buße lebst, wie Aprilwetter, Schnee und Sonnenschein im unbefestigten Gemüt, der sich nur im Hin- und Herschwanken seiner selbst bewußt wird, der nur davon weiß, daß er lebt, alle Morgen die besten Vorsätze zu fassen und sie alle Mittage beim ersten Glase Wein in schlaffer Begeisterung zu vergessen. Deine Tugend ist ein Tagesschmetterling, der das Abendrot nicht leuchten sieht. Wenn ich dich noch einmal stark und konsequent sehen sollte, so würde ich ohne Bedenken alle Wunder glauben.«
Robert lachte herzlich, indem er sagte: »Du bist noch niemals zur Reue und Buße reif geworden, deine Verstocktheit hältst du für Kraft, und doch ist sie eben die schlimmste Schwäche. Wenn dein Herz einmal aufginge und sich zerknirschen lernte, so würdest du über die Macht und Fülle erstaunen, die von dort aus dein ganzes Wesen kräftigte. Aber der gebrechliche Mensch hält den Felsenstein für stärker als die Blüte der Pflanzen, und doch sind es die Wurzeln des Baumes, die jenen sprengen, wenn dieser allgemach und unmerklich in die Klippe hinein wächst. Doch laß deinen Hohn, ich schweige und will durch meine Worte den Teufel nicht um sein rechtmäßiges Eigentum bringen.«
»Wenn er sich noch um mich bemüht«, sagte jener laut auflachend, »so hat er dich schon vergessen, und das ist es eben, was dich kränkt, so daß du ihn täglich bettelnd anläufst und ihn mit Thränen anflehst, er möge dich doch nicht ganz verschmähen, du seist ja ein ganz gutes Stück Menschenwesen und ein trefflicher Kopf, wie sie alle sagen, und tragest Inklination zu ihm und Liebe; er möge sich also durch das bißchen Reue und Frömmigkeit, das du der schwachen Gesundheit wegen alle Morgen beim Frühstück zu dir nehmen müssest, nicht irre machen lassen, denn es sei so böse nicht gemeint; kenne er doch selbst dein beständiges Herz, das von seiner alten Liebe nicht lasse. Nicht wahr, du Dreiviertel-Epikuräer und Einachtel-Puritaner, so ist dein Verhältnis zu deinem Lehnsherrn, der höchstens einmal mit dir mault, wenn er an dich denkt?«
Als sie sich umsahen, hatte sich der junge Mann, den sie für einen Schreiber hielten, wieder still mit seinem Wein in den Hintergrund des Zimmers gesetzt. »Glaubt Ihr auch einen Teufel?« rief der Redende zu jenes Tisch hinüber.
Der Unbekannte, nachdem er den Fragenden erst anständig begrüßt hatte, antwortete mit einem stillen Lächeln: »Herr Marlow, wenn man ihn glaubt, muß man sich nur hüten, nicht an ihn zu glauben, und wenn man ihn leugnet, daß er es nicht selber sei, der uns die Worte in den Mund legt,«
»Sieh, lieber Green«, sagte Marlow, »da hat uns der gute junge Mann eine nachdenkliche Rede zur Antwort gegeben.«
»Eines Doktors nicht unwürdig«, antwortete Green, »ob sie gleich deiner Frage nicht genug thut.«
Das Gespräch wurde unterbrochen, indem sich oben im Saal die Glasthür öffnete, die einen Altan verschloß. Der Wirt zeigte sich oben und mit ihm ein fein gekleideter Mann, der auf die Gesellschaft unten mit großer Aufmerksamkeit herniedersah, sie dann höflich begrüßte und sich mit dem Wirt wieder entfernte. Man hörte hierauf im obern Zimmer sprechen. Nicht lange, so erschien unten ein zierlich gekleideter Page, der auf einem silbernen Teller eine Flasche alten Rheinwein, Zucker und eingemachte Früchte trug. Der junge Mensch sah sich verlegen im Saale um, musterte die Sitzenden und ging dann mit bäurischem Wesen auf den jungen unbekannten Mann am Nebentischchen zu, indem er stotternd sagte: »Mein gnädiger Herr, der Squire Wallborn von Eschentown in Yorkshire, empfiehlt sich und bittet in dieser geringen Gabe um die Erlaubnis, mit dem werten Herrn durch Besuch und Gespräch eine Bekanntschaft anzuknüpfen.«
»Mit mir?« sagte der Mann im schwarzen Kleide; »Ihr irrt Euch, junger Freund.«
»Gewiß nicht«, antwortete der Page, »mein Herr hat mir Euch deutlich beschrieben und mir noch obenein gesagt: ich könnte gar nicht fehlen, denn der Herr sei gemeint, der solch edles königliches Wesen habe«
Die beiden Freunde am Fenster, die das Mißverständnis sogleich begriffen, konnten ein lautes Lachen nicht unterdrücken, und der Fremde, der darüber weder verlegen noch beleidigt schien, ergötzte sich ebenfalls an demselben. Nur der Squire, den das Gelächter, welches er nicht erwartet hatte, wieder auf den Altan lockte, teilte die frohe Stimmung nicht, sondern rief mit lauter Stimme von oben herab: »Dummkopf!« und winkte mit heftiger Gebärde, so daß der Page, noch verlegener, stumm und unentschlossen in der Mitte des Saales stand, indem sein Herr fortfuhr: »Dorthin! zum Herrn im roten Mantel sollst du gehn, zu dem großen majestätischen Mann!« Der Page folgte, im ganzen Gesichte blutrot, der ungestümen Anweisung, konnte aber jetzt kein Wort mehr hervorbringen, sondern setzte zitternd das Silbergeschirr mit allem, was darauf stand, auf den Tisch und entfernte sich dann mit einer stummen Verbeugung. Beschämt über die eigne Heftigkeit, hatte indessen auch der Squire den Altan wieder verlassen, er trat jetzt zu den übrigen in den Saal und nahte sich der Gruppe am Fenster, indem er sagte: »Verzeiht, meine geehrtesten Herren, die Ungeschicklichkeit meines jungen, noch unerfahrenen Dieners und haltet es für keine Anmaßung, wenn ein Fremder, der keine Verdienste für sich kann reden lassen, von dem Rufe so ausgezeichneter Geister angezogen, den Wunsch hegt, mit Männern in Bekanntschaft zu treten, die ihrem Vaterlande so große Ehre machen.«
Green verbeugte sich stillschweigend, und Marlow, der wohl gesehen, daß nur ihm eigentlich die Botschaft des Edelmannes gegolten hatte, nahm das Wort und drückte mit Beredsamkeit die große Freude aus, die ein Dichter empfinden müsse, wenn es seinen Versuchen gelänge, ihm auch in der Ferne und unter angesehenen und ausgezeichneten Männern Freunde zu erwerben, unter denen der Beifall Eines Verständigen das unbestimmte Urteil Unzähliger aus der unwissenden Menge aufwiege.
Der Squire, der ein Mann von Erziehung war, hielt es für notwendig, auch jenem Unbekannten eine kleine Entschuldigung zu sagen; doch dieser kam ihm, als er seine Rede eben erst begonnen hatte, mit Freundlichkeit zuvor, indem er sprach: »Bemüht Euch nicht, Sir! Mir thut nur der arme junge Mensch leid, den Ihr beschämtet; laßt Euch nicht stören, ein Gespräch fortzusetzen, das Euch zu wichtig sein muß, um die Zeit mit einem Unbekannten zu verlieren.«
Diese Worte, höflich, aber sorglos hingesprochen, vermochten den Edelmann, auch diesen Unbekannten mit an jenen Tisch zu laden, welchen die Aufwärter von neuem mit Wein und Früchten besetzten. Der gleichgültige Green machte dem Schreiber, wie man ihn nannte, freundlich an seiner Seite Platz; doch Marlow rückte mit einer kleinen Empfindlichkeit weiter zurück und dem Edelmanne näher. Diesem entging diese Unart nicht, und er sagte gutmütig: »Wer sich nicht selber als Dichter zeigen kann, der wird wenigstens dadurch geadelt, wenn er die Werke edler Geister versteht und liebt; und darum dränge ich mich mit halbem Vertrauen in eure Gesellschaft und bitte diesen jungen Mann, sich uns zu nähern, da seine Worte und sein Wesen wohl deutlich verraten, daß er die Dichter seines Landes zu würdigen weiß.«
Der Wein und heitere Gespräche machten bald alle, die sich bis dahin fremd gewesen waren, miteinander bekannt. Der hochfahrende Marlow vergaß es endlich, daß der Edelmann ihn nach seiner Meinung durch das Herbeiziehen des Fremden ebensosehr gedemütigt, als durch seine zuvorkommende Höflichkeit ihm geschmeichelt hatte. »Wie wohl ist es mir«, sagte der Squire, »jetzt wirklich neben dem Manne zu sitzen, der mein ganzes Herz schon lange bewegt hat, der unter den Dichtern, die jetzt leben, oder von denen ich wenigstens Kunde habe, unbedingt den ersten Platz einnimmt!«
»Es gibt Stunden«, antwortete Marlow errötend, »in denen sich mein berauschter Geist auch wohl dergleichen träumen läßt; aber noch habe ich weder die Muße noch die Stimmung gefunden, um etwas von dem ausrichten zu können, was die Begeisterung meiner Jugend sich vorgesetzt hat. Alles, was die Welt von mir kennt, sind nur Spiele und Übungen.«
»Ihr seid zu bescheiden«, erwiderte der Squire; »wo haben wir nur etwas Ähnliches, wie Eure Übersetzungen des Ovid oder des Musäus? Ihr macht unsere Sprache erst mündig, daß sie die Töne der Kraft, Bedeutsamkeit und Tiefe lieblich aussprechen lernt. Eure Lieder sind zart und wohllautend, Eure Tragödien donnernd, und in allem, was Ihr dichtet, regiert ein Ungestüm, ein Sturm der Leidenschaft, der uns auch wider unsern Willen in fremde Regionen hinüberreißt, was mir eben das wahre Kennzeichen eines echten Dichters zu sein scheint.«
»Ich kann auch nur dichten«, fuhr Marlow fort, »wenn eine Stimmung mich aufregt und unwiderstehlich zu Versen und Erfindungen zwingt. Scheint es mir doch manchmal in süßer Täuschung, als führe ein fremder, höherer Geist dann meine Feder. Ich kann wohl selbst, wenn diese edle Raserei mich wieder verlassen hat, über das erstaunen, was ich niedergeschrieben habe. Ich glaube auch nicht, daß man in der Tragödie auf andere Art etwas leisten kann; denn wie soll das Übermenschliche zur Sprache kommen, wenn der Dichter nicht selbst außer sich versetzt wird, und in jenem zitternden Zustand des prophetischen Wahnsinns mit seinem unsterblichen Auge die Dinge wahrnimmt, die seinem irdischen immerdar verschlossen bleiben? Glaubt mir, von allen Trefflichkeiten, die ich an meinem Freunde Green hier bewundere, beneide ich ihm die Gabe am meisten und begreife sie am wenigsten, daß er in allen Stunden und Stimmungen, sowie er sich nur dazu entschließt, schreiben und dichten kann.«
»Wenn das nur irgend Wahrheit enthält«, antwortete Green mit furchtsamer Stimme, »was Ihr kurz vorher geäußert habt, so dürfte dies Talent kein beneidenswertes sein, da es mir durch dieses ja eben aus ewig unmöglich wird, das Höchste oder die wahre Krone der Poesie zu erfassen. Ich bleibe gewiß nicht darin zurück, den Schwung Eures Geistes zu bewundern, und es mag seine vollkommene Richtigkeit haben, daß nur in Stunden der Weihe, wenn der Himmel unsers Innern ganz klar und blau ist, dieser Adler am freudigsten seine Schwingen entfaltet, um in der höchsten Region die Strahlen der Sonne zu trinken: – aber es ist nicht zu leugnen, daß Ordnung, Ausdauer und Festigkeit viel über uns vermögen, die Ihr, mein edler Freund, bei Euern Arbeiten eben allzusehr verschmäht. Diese Ordnung, wenn Ihr sie Euch aneignen möchtet, würde Euch wohl jene Begeisterung selbst zugänglicher machen, so daß Ihr, der freieste und kühnste aller Menschen, nicht fast täglich der Sklave Eurer Laune und Stimmung zu sein brauchtet.«
»Gar recht«, erwiderte Marlow, »wenn es ein anderer sagt; für mich aber unpassend, weil ich eben ein anderer sein müßte, als der ich bin, um solchem guten Rate Folge leisten zu können.«
»Ich im Gegenteil«, fuhr Green fort, »fühle mich fast immer in einer gewissen gerührten, poetischen Stimmung; mein äußeres und inneres Leben, Wirklichkeit und Phantasie sind gar nicht so getrennt wie bei Euch und vielen andern Menschen: darum arbeite ich ganz leicht und ohne andere Unterbrechung, als die ich mir selbst willkürlich mache. Daher kommt es auch, daß ich Lust und Spaß in meinen Dichtungen besser brauchen kann als Ihr: denn so viel Euch die Natur auch mag geschenkt haben, so ist Euch denn doch der Scherz versagt, und so oft Ihr, der Minerva zum Trotz, das Lachen habt erregen wollen, ist es Euch niemals damit geglückt.«
»Nein«, fiel der Edelmann ein, »vielleicht ist es auch unmöglich, das Heroische, Große und Furchtbare so schön ausdrücken zu können und zugleich so leichtes Blut zu haben, daß Witz, Scherz und Lust aus dem schäumenden Becher der Begeisterung sprudeln. Ich glaube fast, ohne irgend einem geehrten Talent zu nahe zu treten, diese Lust sei auf einer niedrigern Stufe zu finden und verlange auch darum nicht so die Anstrengung des ganzen Menschen und aller seiner Kräfte. Ein Riese kann nicht zugleich, wenn er Bäume entwurzelt, ein zierlicher Tänzer sein.«
Der junge Mann im schwarzen Wams lächelte still vor sich hin. »Ihr scheint nicht ganz meiner Meinung«, sagte der Squire zu ihm, indem er ihm von neuem einschenkte. – »Verzeiht«, antwortete dieser, »mir fiel nur ein, ob der Mensch nicht mehr sei als der Riese; wir freuen uns wenigstens in den Gedichten, wenn der Gigant von der edlern Kraft bezwungen wird, und ein Alexander oder Heinrich der Fünfte von England kann nach der gewonnenen Schlacht schwärmen und trinken, ohne sich zu entadeln; und so gibt es auch vielleicht eine Poesie, die alles verbinden mag.«
»Wenn der Blinde von der Farbe spricht«, fuhr Marlow dazwischen und sah den Unbekannten mit einem zornigen Blicke an, »so erfahren wir freilich neue Dinge, die aber von der Sache selbst weit entfernt sind.«
Der Squire, welcher Streit vermeiden und seinen Liebling bei guter Laune erhalten wollte, wendete das Gespräch auf die weichen Verse und üppigen Schilderungen, in welchen Marlow damals den größten Ruhm genoß, deswegen aber auch von Gegnern und moralischen Lesern getadelt wurde, so daß das geistliche Gericht selbst seine Übersetzungen der ovidischen Gedichte verbieten wolltet. »Der Streit«, fuhr der Edelmann fort, »über die Unmoralität der Poesie ist noch nie so lebhaft als in unsern Tagen geführt worden, und wenn die Gegner derselben nur einigermaßen recht haben sollten, so muß man zugestehen, daß ein frommer Wandel, bürgerliche Tugend und Unbescholtenheit sich nicht mit der Dichtkunst vereinigen lassen.«