Die Abelsberger Chronik - Peter Rosegger - E-Book

Die Abelsberger Chronik E-Book

Peter Rosegger

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Beschreibung

Die kleine Gemeinde Abelsberg oder Schilda? Ein Buch, das durchaus humoristische Zweifel aufkommen lässt, ob die Schildbürger sich nicht auch nach Abelsberg verirrt haben ...

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Die Abelsberger Chronik

Peter Rosegger

Inhalt:

Peter Rosegger – Biografie und Bibliografie

Die Abelsberger Chronik

Vorwort.

Ein Gerichtstag zu Alt-Abelsberg.

Die Abelsberger der Majestät.

Der Turmbau zu Abelsberg.

Der Bürgermeister von Abelsberg.

Der Schulmeister von Abelsberg.

Der Brückenwirt zu Abelsberg.

Zu Abelsberg beim Spielchen.

Ein Abelsberger Kalbskopf.

Abelsberger Touristen.

Ein Abelsberger auf dem Vesuv.

Das reiche Jahr eines Abelsbergers.

Ein junger Abelsberger in der Residenz.

Eine Abelsberger Heiratsgeschichte.

Der Abelsberger Baßgeigenkrieg.

Wie Abelsberg bekehrt worden ist.

Eine Abelsberger Katze.

Zu Abelsberg wieder wer geworden.

Ein Abelsberger Heutrog.

Der Korbflechter von Abelsberg.

Wie der Abelsberger Gesangverein preisgekrönt worden ist.

Eine Abelsberger Hahnenjagd.

Ein Abelsberger Wetterprozeß.

Das Abelsberger Steueramt.

Der Abelsberger Landwächter.

Im Wirtshause zu Ober-Abelsberg.

Der Abelsberger Volksmann.

Der Beinbrucharzt zu Abelsberg.

Die Hungerkur zu Ober-Abelsberg.

Der Vetter von Ober-Abelsberg.

Abelsberger Studentenpulver. (1869.).

Zwei besonders schlaue Abelsberger.

Wie jener Abelsberger zu einer gekommen ist.

Wie eine Abelsbergerin als Ehefrau ausging und als Jungfrau heimkam.

Abelsberger Herren- und Frauenrecht.

Abelsberger Schelme.

Ein Paar Abelsberger Ochsen.

Vom zurückgeläuteten Toten.

Ein Abelsberger, der seinen Tod überlebte.

Wie Abelsberg herabgekommen ist.

Der Hauthosenstreit zu Abelsberg.

Das Unterhosenfest zu Abelsberg.

Das Abelsberger Altweiberdiner.

Ein Abelsberger Schweineverkäufer.

Einer der nach Abelsberg geht.

Die Abelsberger Chronik, P. Rosegger

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849653064

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Peter Rosegger – Biografie und Bibliografie

Namhafter österr. Volksschriftsteller, geb. 31. Juli 1843 in Alpl bei Krieglach in Obersteiermark als Sohn armer Bauersleute, verstorben am 26. Juni 1918 in Krieglach. Erhielt nur den notdürftigsten Unterricht und kam, weil er für einen Alpenbauer zu schwach war, mit 17 Jahren zu einem Wanderschneider in die Lehre, mit dem er mehrere Jahre lang von Gehöft zu Gehöft zog. Dabei kaufte und las er, von Bildungsdrang getrieben, Bücher, namentlich den »Volkskalender« von A. Silberstein, dessen Dorfgeschichten ihn so lebhaft anregten, daß er selbst allerlei Gedichte und Geschichten zu schreiben anfing. Durch Vermittelung des Redakteurs der Grazer »Tagespost«, Svoboda, dem R. einige Proben seines Talents zusandte, ward ihm endlich 1865 der Besuch der Grazer Handelsakademie ermöglicht, an der er bis 1869 seiner Ausbildung oblag; später wurde ihm zu weitern Studien vom steirischen Landesausschuß ein Stipendium auf drei Jahre bewilligt. Er ließ sich dauernd in Graz nieder, wo er seit 1876 die Monatsschrift »Der Heimgarten« herausgibt, und wo der freundschaftliche Verkehr mit Hamerling, der auch seinen Erstling mit einem Vorwort in die Literatur einführte, auf seine Bildung bestimmend einwirkte. Seiner ersten Veröffentlichung: »Zither und Hackbrett«, Gedichte in obersteirischer Mundart (Graz 1869, 5. Aufl. 1907), folgten: »Tannenharz und Fichtennadeln«, Geschichten, Schwänke etc. in steirischer Mundart (das. 1870, 4. Aufl. 1907), dann fast jährlich gesammelte Schilderungen und Erzählungen, die vielfach aufgelegt wurden (meist Wien), nämlich: »Das Buch der Novellen« (1872–86, 3 Bde.); »Die Älpler« (1872); »Waldheimat«, Erinnerungen aus der Jugendzeit (1873, 2 Bde.); »Die Schriften des Waldschulmeisters« (1875); »Das Volksleben in Steiermark« (1875, 2 Bde.); »Sonderlinge aus dem Volk der Alpen« (1875, 3 Bde.); »Heidepeters Gabriel« (1875); »Feierabende« (1880, 2 Bde.); »Am Wanderstabe« (1882); »Sonntagsruhe« (1883); »Dorfsünden« (1883); »Meine Ferien« (1883); »Der Gottsucher« (1883); »Neue Waldgeschichten« (1884); »Das Geschichtenbuch des Wanderers« (1885, 2 Bde.); »Bergpredigten« (1885);»Höhenfeuer« (1887); »Allerhand Leute« (1888); »Jakob der Letzte« (1888); »Martin der Mann« (1889); »Der Schelm aus den Alpen« (1890); »Hoch vom Dachstein« (1892); »Allerlei Menschliches« (1893); »Peter Mayr, der Wirt an der Mahr«, (1893); »Spaziergänge in der Heimat« (1894); »Als ich jung noch war« (Leipz. 1895); »Der Waldvogel«, neue Geschichten aus Berg und Tal (das. 1896); »Das ewige Licht« (das. 1897); »Das ewig Weibliche. Die Königssucher« (Stuttg. 1898); »Mein Weltleben, oder wie es dem Waldbauernbuben bei den Stadtleuten erging« (Leipz. 1898); »Idyllen aus einer untergehenden Welt« (das. 1899); »Spaziergänge in der Heimat« (das. 1899); »Erdsegen. Vertrauliche Sonntagsbriefe eines Bauernknechtes«, Kulturroman (das. 1900); »Mein Himmelreich. Bekenntnisse, Geständnisse und Erfahrungen aus dem religiösen Leben« (das. 1901); »Sonnenschein« (das. 1901); »Weltgift« (das. 1903); »Das Sünderglöckel« (das. 1904); »J. N. R. J. Frohe Botschaft eines armen Sünders« (das. 1904; neu bearbeitete Volksausgabe 1906); »Wildlinge« (das. 1906). Diese Werke erschienen auch mehrmals gesammelt (zuletzt in Leipzig). In steirischer Mundart veröffentlichte R. noch: »Stoansteirisch«, Vorlesungen (Graz 1885, neue Folge 1889; 4. Aufl. 1907); ferner in hochdeutscher Sprache: »Gedichte« (Wien 1891), das Volksschauspiel: »Am Tage des Gerichts« (das. 1892), »Persönliche Erinnerungen an Robert Hamerling« (das. 1891) und »Gute Kameraden, Erinnerungen an Zeitgenossen« (das. 1893). Genaue Kenntnis des Dargestellten, Gemüt und Humor zeichnen die Erzählungen Roseggers aus; seine Stärke liegt in der kleinen Form der Skizze und kurzen Erzählung; in eine Reihe solcher hübschen kleinen Bilder zerfallen auch die besten seiner größern Romane, wie »Jakob der Letzte«, »Der Waldschulmeister«. Vgl. Svoboda, P. K. Rosegger (Bresl. 1886); Ad. Stern, Studien zur Literatur der Gegenwart (Dresd. 1895); O. Frommel, Neuere deutsche Dichter in ihrer religiösen Stellung (Berl. 1902); Hermine und Hugo Möbius, Peter R. (Leipz. 1903); Seillière, R. und die steirische Volksseele (deutsch von Semmig, das. 1903); Kappstein, Peter R., ein Charakterbild (Stuttg. 1904); Latzke, Zur Beurteilung Roseggers (Wien 1904).

Die Abelsberger Chronik

Vorwort.

Die kleine, aber berühmte Landstadt Abelsberg feiert demnächst das Jubiläum ihres fünfhundertjährigen Bestehens. Zu dieser Sache bin ich vom vorbereitenden Komitee – das löbl. Magistrat an der Spitze – angegangen worden, die Festschrift zu verfassen.

Der ehrenden Aufgabe nachkommend, habe ich mich entschlossen, in Rücksicht auf die bekannte Bescheidenheit der Abelsberger, von den bei solchen Anlässen sonst gebräuchlichen Lobeshymnen abzusehen, sondern zur Bearbeitung einen mehr sachlichen Gegenstand zu wählen. Demnach wurde aus der Geschichte und dem Leben der Stadt Abelsberg und deren Umgebung der Stoff zu dieser Festschrift gezogen. In liebevoller Hingabe an diese Arbeit staunte ich selbst über die Fülle der Ereignisse, Großtaten und hervorragenden Eigenschaften des auserlesenen Völkleins, und besonders auch einzelner aus ihm, deren Weltanschauung und Lebensführung und Taten schlicht und anmutig hier erzählt worden sind.

Also ist die »Abelsberger Chronik« entstanden, die ich der Feststadt hiermit devotest gewidmet haben will.

Der Verfasser.

Ein Gerichtstag zu Alt-Abelsberg.

Wir sind für den 28. Oktober Anno 1628 nach Alt-Abelsberg auf den Amtstag vorgeladen. Da werden wir wohl einen Vorfahren schicken müssen, uns entschuldigend, daß wir selber nicht erscheinen könnten, weil wir noch gar nicht auf der Welt wären.

Was es denn geben mag? Die Abelsberger Vogtei hat einen tiefen Turm und draußen auf dem Hügel, wo man weit ins Land sieht, ein hohes Gerüste, an dem eine Leiter lehnt – eine Aussichtswarte der alten Zeit – mit dem Blick ins Jenseits. Man tut verdammt schwer mit dem Vogt von Alt-Abelsberg. Da sitzt er am breiten Tisch und ist mit Aktenstößen vermauert, daß nur der Kahlkopf daraus hervorschaut. Zwischen den Papierwuchten steht ein Kruzifix, der Schrecken aller Bösewichter, vor dem sich mancher im Meineide wohl den lichten Galgen ab-, hingegen die »ewige Höllen« angeschworen hat. Unter dem Tisch aber ist ein Querbrett und auf dem steht ein stattlicher Krug, aus welchem der Vogt bisweilen einen Schluck Weisheit zu sich nimmt, oder einen scharfen Trunk Strenge, oder einen Tropfen Milde, je nach Bedarf. Denn »dieweilen der allmächtige Gott dieses Jahr einen ziemlichen Herbst beschert, zudem der Wein gut, so sind der Vogtei die großen Fässer zu füllen«.

So ist's amtlich bekannt gegeben worden.

Weiter unten sitzt ein Ratsherr von Abelsberg, der nur ausnahmsweise fungiert, daher eines besonders richterlichen Ansehens beflissen ist. Noch weiter unten hockt der Schreiberknecht, der die Gerichtsverhandlungen jenes Tages sorgfältig aufs Papier tut oder vielleicht gar aufs Pergament, auf daß es nach Jahrhunderten »zur Warnung christlicher Personen« gelesen werden kann. Die Gerichtsstube hat schwere Fenstergitter, was der heute vorgerufene Jörg Metze für überflüssig hält. »Wird's wohl sicherlich keinem einfallen, daß er da beim Fenster hereinsteigt!«

Aber hinaus, mein Jörg Metze!

Wir, oder vielmehr die Unsern, sitzen am äußersten Rande der Anklagebank – ganz am Ende – und müssen warten, bis alle anderen fertig sind. Das wird vielleicht gar etwas mit Ausschluß der Öffentlichkeit.

»Die Barbara Obrechtin hie?«

Die Genannte meldet sich, sie wäre hie.

»Sie soll aufstehen und hergehen und dem Gericht ihre Reverenz erweisen. – Die Barbara Obrechtin hat ein böses Maul, ist des greulichen Fluchens verklagt, hat auch die Schüttnerin eine Hundsflug geheißen!«

»Und hat mich,« fährt die Klägerin Schüttnerin auf, »ein Schreibermensch und Pfaffenroß geheißen.«

»Ist's wahr?« frägt der Vogt.

»Beim heiligen Sakrament sag' ich's aus, es ist wahr!« ruft die Klägerin.

»Wenn's wahr ist, mag sie's ja sagen,« entscheidet der Vogt, denn die Obrechtin hat ein fein Gesichtlein.

»Wahr ist's, daß sie mich's geheißen hat,« schreit die Schüttnerin, »aber nit wahr ist's, daß ich's bin.«

»Und ich sag's umgekehrt!« ruft die Obrechtin. Sie hat ein fein Gesicht, doch ist ihr nicht zu helfen, sie hat in dem letzten Wort – in dem Widerruf – die Beschimpfung wiederholt. Der Richter muß sie verdammen. Sie soll in den Turm und drei Tag beten. –

»Der Ulrich Riedling!«

»Hie!«

»Er hat sein Eheweib mit dem Axthelb auf die Brust geschlagen.«

»Mit Vergunst, hoher Herr, sie ist selber dran schuld, sie hat mir nit den Rucken zugehalten.«

»Schlagt Ihr sie oftmalen?« fragt der Richter.

»Mit Vergunst, hoher Herr, nur an Sonn- und Feiertagen.«

»Weshalben?«

»Weil ich zu Werktags im Oberwald arbeite und nit daheim bin.«

»Damit ihr euch einander attachieret, setze ich euch zusammen in den Turm. – Man soll ihnen aber nur einen Suppentopf und einen Löffel geben.«

So der weise Entscheid des Vogtes. –

»Jetzo kommen die zwei!« sagt der Büttel und deutet mit dem Zuchtstock auf ein jüngeres Paar, dem er eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken scheint.

»Der Josef Birstl und die Agatha Grießel!«

»Sein bereit!« sagt der Bursche und steht mit dem Weibsbild von der Bank auf.

Der Richter: »Vor etlich Monaten habt ihr hierorts zugesagt, daß ihr euch ehelich verbinden werdet. Ist bis dato nicht geschehen.«

»Wir finden keinen Geistlichen, der's so gut kann, als wir's brauchen,« entgegnet der Bursche.

»Es kommen,« sagt der Richter, »bei jungen Eheleuten die Siebenmonatskinder in Brauch.«

»Ja, wenn das Weib über die Stiegen fällt,« gibt der Bursche zu bedenken.

»Ist nur die Frage,« wendet jetzt der Ratsherr ein, »warum die Weisheit Gottes das junge Geschöpf neun Monat lang der Welt vorenthält, wenn es, wie man sehen kann, mit sieben schon fertig ist! Darum ist mein Begehr: Früh genug heiraten.«

Das junge Weibsbild hebt zu weinen an; es wäre ihr das Heiraten sonst ja recht, aber Ehemänner schlügen ihre Weiber, während andere mit ihnen größtenteils zärtlich wären.

Wird verordnet, das Paar hätte so lange, bis es »ehekirchlich« getraut, jeden Freitag eine Stunde auf der Schimpfkanzel zu stehen.

Der Rat wendet ein, ob man die zwei nicht lieber auseinanderjagen solle?

»Kann bei denen Leuten nit mehr stattfinden,« ist der Bescheid des Vogtes und der Büttel führt die Abgetanen ihrer Wege. –

Jetzt wird der Säufer Hannes Brenn vorgeführt, man kennt ihn allerwegen. Aber er stellt sich ganz nüchtern und ist vor dem Vogt der Höflichste und Gewandteste von allen. Er ist wie daheim in dieser Gerichtsstube und weiß genauen Bescheid, wie man sich zu verhalten hat. Den Richter besticht das nicht.

»Hannes Brenn,« sagt er, »du bist neulings wieder auf Suff betreten worden.«

Der Hannes zuckt mit Bedauern die Achseln.

»Bist demzufolge eines Meineides gegen den allmächtigen Gott überwiesen, Hannes Brenn!«

»Das ist ein Irrtum, ehrenwerter Herr Vogt,« verteidigt sich der Hannes, »meineidig worden bin ich nit.«

»Dieser Ausspruch ist eine verdammliche Frechheit, Hannes Brenn,« sagt der Vogt, »und will ich dir deine eigene Urfehde in Erinnerung bringen, die du vor Jahresfrist, wie du wegen Suffs das drittmal aus dem Turm bist entlassen worden, gegeben hast.«

Und liest die Schrift:

»Ich Hannes Brenn, seßhaft zu Ober-Abelsberg, Gericht Abelsberg, bekenn: Nachdem ich mich zuwider der Römischen Kayserlichen Majestät meines allergnädigsten Herrn ausgegangenen Mandaten mit Suff und Fluch und Stritt bisher trotz alles Verwarnens oftmals übersehen, dennoch durch Gnad und Barmherzigkeit des Herrn Landvogt milde gebüßt worden bin, schwöre ich anheute einen aufgehobenen Eid leiblich zu Gott und den Heiligen, daß ich von heut dato in der Landvogtei und gnädigen Verwaltung keine offen Herberg oder Wirtshaus besuchen will. Wo ich aber an mir selbst Untreue begehen und diese Urfehde nit halten möcht, soll alsdann mein gnädiger Herr Landvogt volle Gewalt und Macht haben, mich straks gefänglich einzuziehen auf Jahr und Tag. Diese Urkund habe ich getan zu Abelsberg am 13. Juli Tag, Anno 1628. Hannes Brenn.«

So die Urfehde. Der Richter fragt: »Nun, Hannes, wie steht es jetzt? Du bist neuerlich im Wirtshaus bei Suff und Fluchen und Stritt betreten worden.«

»Mag ja sein, Herr Landvogt.«

»Und also meineidig!«

»Meineidig bin ich nit worden, Herr Landvogt.«

»Wiederhole demnach noch einmal,« liest der Richter, »schwöre ich anheute einen aufgehobenen Eid leiblich zu Gott und den Heiligen, daß ich von heut dato in der Landvogtei und gnädigen Verwaltung keine offen Herberg oder Wirtshaus besuchen will.«

»Darum bin ich in die Hirschberger Vogtei hinübergegangen, wann der Durst zu groß worden ist.«

»Soll ich den Kerl peinlich beraten?« fragt der entrüstete Vogt.

Der Ratsherr meint, solchen Rat könne der Hannes leichtlich übel aufnehmen und dafür gelegentlich einen roten Hahn verehren. Er schlage vor, den Eid des Hannes Brenn auch für die Vogteien Hirschberg, Obermoos und Neumünster erweitern zu lassen.

Ist angenommen und verfügt. –

Nun kommt die saubere Gesellschaft der Sakramentsschwänzer. Das sind fünf Bauern aus Ober-Abelsberg, deretwegen der Kirchherr sich bei Gericht beschwert hat, daß sie die österliche Beichte umgangen hätten und am verwichenen Ablaßsonntag auch noch bei keinem Beichtstuhl gesehen worden wären.

Die fünf Männer stehen rostig und eckig von der Bank auf.

Sie sollten vortreten.

Sie heben sich mit vieler Not ein paar Schritte voran.

Ob sie des Teufels wären? fragt sie der Richter.

Sie schauen sich gegenseitig an: daß sie nicht wüßten!

»Michel Schmied, wesweg bist du am verwichenen Sonntag nicht zum Sakrament gegangen?«

»Ist halt so eine Sach',« antwortet der Angerufene und walkt in Verlegenheit seinen Filzhut, was die übrigen vier genau so machen, »bin desselbigen Tages schon morgens früh soviel zornig gewesen, weil's geheißen hat, meine Kühe wären in der Nacht verhext worden, was sich aber alsdann herausgestellt hat, daß es nit wahr ist gewesen. So hab' ich mir drauf gedacht: an einem solchen Tag, wo du in der Gottesfrüh schon so höllisch gescholten hast, gehst nit zum Sakrament.«

»Und der Tubelfranz, warum ist der ausblieben?«

»Wenn ich Birnknödel freß, schier noch ehevor ich die Augen recht aufmach'!« entschuldigt sich der Tubelfranz. »Sind just so gestanden im Bettkastel, vom vorigen Tag her, und mein Weib, das hat sie, wegräumen tut sie gar nix. Ich reck' die Füß' aus und denk': aufstehen sollst! Und reck' die Hand' aus, und auf ja und na kommt mir eine mit dem Birnknödel zurück – und schnurgerade ins Maul. Sagt mein Weib: Birnknödel ißt und willst heut' zum Sakrament? Ich schrei ihr das letzte Wort nach und spring' auf – und aus ist's für den Tag. Muß schon warten, bis ich einmal nüchternerweise aufsteh'.«

»Also, das wäre der Tubelfranz gewesen,« meint der Vogt und klaubt in seinen Papieren; »jetzt möcht' ich aber gerne wissen, was der Anton Wolten für ein Hindernis gehabt!«

Der Anton Wolten starrt seine Genossen an, ob das ihn angehe? ob er's wohl auch wäre, der Anton Wolten? Und als hieran alle Zweifel behoben sind, stottert er, daß an jenem Tage seine Hosen so unziemlich viele Löcher gehabt hätten, daß auch die Joppe, die man wohl noch an ihm sehen könne, derart schäbig wäre, daß es einem christlichen Gewissen wohl schon die Ehrerbietung vor dem Heiligsten verbiete, in solchem Aufzuge das Sakrament zu empfangen.

Der vierte sagt aus, daß er sonstwie nicht genugsamlich vorbereitet gewesen sei, um die heilige Handlung zu begehen. Und der fünfte, der Christian Holluf, ruft, als er zur Rede gestellt wird: »Das übersteigt schon alle Gnad' und Barmherzigkeit!«

»Gnad' und Barmherzigkeit verlangst du, alter Sünder!« sagt der Richter.

»Nit für mich, Herr Vogt, nit für mich, aber für den Kirchherrn. Bedenkt's einmal! Den ganzen Tag im finsteren Winkel sitzen – mitten in der Sündenbrut, und nix hören als Lumpereien und Schurkereien und allerhand stinkende Laster. Da müßt einer kein Herz im Leib haben, wenn unsereins auch noch kommen tät mit der schmutzigen Wäsch'. Wer kann denn das aushalten? Na, na, ich komme an einem andern Tag, wo der Kirchherr ausgerastet ist.«

So sagt nun der Ratsherr: »Das sind ja lauter christliche Leute! Soviel Ehrerbietung haben vor dem Sakrament und seinem Diener, das wird man nicht bald wiederfinden.«

Der Vogt ist anderer Meinung und verurteilt die fünfe zur sofortigen Beicht und Kommunion. –

Jetzt wird's draußen laut, die Tür springt auf und knarrt in ihren schweren Angeln. Sechs Männer schleppen ein gebundenes Weibsbild herein. Das hatte, weil Hände und Füße gefesselt, von ihren weißen Zähnen Gebrauch gemacht, solange sie konnte und nun keine andere Gegenwehr, als die schneidende Zunge.

Der Landvogt fährt die Büttel an, was denn das für eine Art sei, die anberaumte Gerichtssitzung mit einem nicht dahergehörigen Weibsbild zu unterbrechen.

»Wir kriegen jeder drei Schinderlinge,« entgegnet einer der Büttel. »Wir haben die Hexe abgefangen.«

»Von dato 30. Julius Tag an wird für das Hexenabfangen nit mehr als zwei Schinderlinge gezahlt, per Person,« redet jetzt der Schreiberknecht drein und weist auf die Schrift, die solchen Beschluß enthält. »Doch soll hinfüro der Hexe Bett und dazugehörige Federn den Bütteln, als Folterknechten und Scharfrichtern, zu gleichen Teilen zugesprochen werden.«

Damit geben sich die sechs Gesellen zufrieden und es beginnt das Verhör der Hexe. Sie ist ein junges Weib mit rotem Haar und schielenden Augen. Sie ist angeklagt, ein Hagelwetter gemacht zu haben, das alles Obst in der Abelsberger Gegend zunichte schlug. Ursache: Weil man sie bei einem Apfeldiebstahl ertappt und scharf gezüchtigt habe. Beweis: Der Schlürer Jakob habe vor seinem Haus ein hühnereigroßes Hagelkorn aufgehoben und in dem ein rotes Haar gefunden, das nur von der Magdalena Heitin herrühren könne.

Die Magdalena Heitin wird losgebunden und gütlich befragt. Sie leugnet, wie alle Hexen anfangs leugnen. Äpfel habe sie gestohlen, das gesteht sie, und dafür sei sie auch geschlagen und eine Weile bei den Haaren umhergezerrt worden und könne es schon sein, daß dem Schlürer Jakob dabei eins in der Hand geblieben.

Wenn jeder Hexe, so bemerkt jetzt der Ratsherr, auf ihr erstes Aussagen geglaubt worden wäre, so hätte Abelsberg viel Geld erspart, das sonst auf Scheiterhaufen drangegangen. Aber es nütze nichts. Gegen die Heitin sei ausgesagt worden, und in so wichtigen Sachen gebe vor Gott dem Allmächtigen keiner ein falsches Zeugnis.

Nun beginnt die peinliche Frage, und dazu wird ein anderes Lokal gewählt. Wir hören durch die Wand die Magdalena Heitin schelten und wimmern, wir hören sie nach einer Weile herzbrecherisch schreien und alle Heiligen anrufen. Und wie die Qualen so groß werden, daß es nicht mehr möglich ist, dabei zu leben, und noch nicht möglich ist, dabei zu sterben, da hebt sie an, auszusagen. Wie ihr nach der Mißhandlung von wegen den Äpfeln vor Leid und Schand das Herz hätte abspringen wollen, da sei ihr im Riederschachen ein fremder Mann begegnet, der habe ihr zugeredet, daß er ihr helfen wolle, wenn sie Gott und allen Heiligen abschwören und ihm zu Willen sein möchte; sie habe es getan und dann vom Fremden eine Haselgerte bekommen, mit der sie das böse Wetter gezaubert.

»'s ist allemal dieselbe Geschichte,« sagt der Ratsherr.

Freilich wohl, mein ehrenwerter Ratsherr, ist's allemal die alte Geschichte, weil einer unter den Martern der Folter nichts Neues einfällt und sie nur das nachsagt, was sie von anderen gehört hat. – Aber bei der Magdalena Heitin sind sie an eine Unrechte gekommen; das ist eine Rachgierige, die denkt: Wenn sie mich zugrunde richten, so sollen auch andere hin sein. Und reitet die bravsten und angesehensten Weiber von Abelsberg und Ober-Abelsbeig ins Verderben. Sie sagt aus, daß sie nicht allein wäre, und fragt, ob man nicht wisse, daß ein Hexenstück nur dann gelingen könne, wenn alle Zauberer und Hexen der ganzen Gegend damit einverstanden wären? Nun habe sie auf dem Besenritt viel gute Bekannte und ehrenwerte Frauen begegnet, so die Gerbermeisterin von Ober-Abelsberg und die Frau des Küsters daselbst mit ihrer Tochter, dann den Schuhmacher Okensaß zu Abelsberg und sein Weib, und die Schwägerin des Ratsherrn Bühlkamm und deren Schwester, die Schulzensfrau und die Frau des Landvogtes und viele andere. Die Schulzensfrau verlege sich aber nur auf das Umbeten der Krankheiten von einer Person auf eine andere, während sich die Traitmesserin von Abelsberg zumeist mit Verhinderung ehelicher Pflichten befasse.

Jetzt ist's Zeit für den Landvogt, zu beschwichtigen. Es würde ein boshaftes Geschwätz sein, man solle die Magdalena Heitin ein wenig peitschen und dann auf freien Fuß setzen. Dagegen wehren sich aber die übrigen anwesenden Angeklagten und Vorgeladenen. »Wenn gemein Mann und Frau auf bloße Gerüchtaussagen eingeführt werden, so begehren wir das auch bei Herrenleuten. Die Schwägerin des Ratsherrn Bühlkamm und deren Schwester und die Frau des Schulzen und des Landvogtes müssen so gut wie andere in den Hexenstuhl gestellt und peinlich befragt werden!«

So will nun der Vogt die gefährliche Weibsperson ein- für allemal unschädlich machen. Es wird ohnehin morgen eine Gesellschaft verbrannt; er läßt den Bütteln sagen: »Wenn wir mit der Magdalena Heitin fertig werden, so mag sie mitgehen.« –

Schreiten hierauf zur Tagesordnung.

Also erzählt das älteste uns vorliegende Blatt der Chronik von Abelsberg, sinnig bezeichnend die Vorfahren derer, die wir nun zu bewundern haben werden.

Die Abelsberger der Majestät.

»Geschehen muß was!« sprach der Vorstand im hohen Rate zu Abelsberg, »denn warum muß was geschehen? Weil uns oberen Orts ist kundgemacht worden, daß sie in drei Tagen durchfährt. Sie hat's gern, wenn was ist, und von den Abelsbergern wird was erwartet.«

»Aber was! Ich hab' noch keinen blassen Nebel davon,« rief der Hirschenwirt, »ist dir was eingefallen, Vorstand?«

»Bei einem Haar wär' mir was eingefallen,« berichtete dieser, »just ein klein bissel ist mir die Nacht zu kurz worden. Die ganz' Nacht Hab' ich mich zerstudiert, daß mein Weib schon toll ist worden, und g'rad wie mir was will in den Kopf kommen, geht der Morgenstern auf, und aus ist's, gar ist's mit dem Ausdenken.«

»Darf ich reden?« fragte der Färbermeister.

»Soviel du willst,« sagte der Vorstand, »ich weiß eh nichts mehr.«

So sagte der Färber: »Was werden wir denn machen? Ich denk', so ein Volksfest richten wir her; die Oberziller Musikbande, den Zitternschlagermaxl, einen Triumphbogen da oben bei der Maut, ein paar Baumkraxler, ein paar rinnende Weinbrunnen, und wenn sie kommen, daß ein feister Ochs niedergeschlagen wird auf dem Platz!«

Die Idee war groß, er blickte in die Runde des hohen Rates. Aber der Rat Hufschmied stand auf und sagte: »Das ist nichts, das hat sie hundertmal schon gesehen und besser, als wir's zuweg bringen. Das Triumphbogenbauen ist keine Kunst, wo soviel G'reisig zu Handen ist, als wie bei uns, und das Ochsenniederschlagen auch nicht. Wir müssen in die Zeitung hineinkommen! Wir müssen was machen, was die Majestät noch nicht gesehen hat, was Kopf und Fuß hat, und was den Abelsbergern Ehr' macht. – Na ja, versteht sich, daß ich was weiß. Unser Volk im Feiertag, in seinen Lustbarkeiten vorstellen, auf das halt' ich nichts; die Herrschaften, wenn sie nie was anderes sehen, täten 'leicht glauben, hierzuland hätten wir alleweil Sonntag. Bei ihrer Arbeit muß man den Leuten zuschauen; das wird die hohen Herrschaften unterhalten, und sie lernen was dabei. Desweg sag' ich, daß wir da ober Abelsberg an beiden Seiten der Landstraße in Gruppen die Arbeiter, als den Landmann, den Handwerker, den Jäger, den Halter, den Holzhauer und wie sie halt alle sind, mit ihren Verrichtungen aufstellen – und wenn die Wägen kommen, sollen die Leut' flink arbeiten. Das ist mein Rat.«

Der Mann, der die Schrift führte, wollte sofort in die Chronik schreiben, daß am 24. August des Jahres 1828 nach Christi Geburt im Rate zu Abelsberg eine gescheite Rede gehalten worden wäre. Der Vorstand nahm nun das Wort und sagte: »Ich halte nichts darauf, daß unser Volk allemal im Feiertag und Lustbarkeit da ist. Die hohen Herrschaften lernen nichts dabei. Den Leuten muß man bei ihren Arbeiten zuschauen, und so ist meine Meinung, daß da oben an der Landstraße Arbeitsleute aufgestellt werden sollen: der Bauer, der Schlosser, der Rastelbinder und wie sie halt alle nacheinander her sind – und daß sie fleißig arbeiten, wenn die Wägen vorüberfahren. – Sein die Manner mit mir einverstanden?«

»Vorstand!« rief ihm der Rat Schneider zu, »für das wirst du Baron!«

Der Hufschmied machte ein langes Gesicht. Der Vorschlag des Vorstandes wurde angenommen. –

Nun gab's ein paar Tage lang Arbeit über Arbeit. – Den Rastelbinder brauche man eigentlich nicht dabei, bedeutete einer dem Vorstand, denn es wäre keine einheimische Figur, die käme nur so zu gelegener Zeit aus Schlovakien daher. Aber der Handel und Wandel des Landes müsse zum Ausdrucke kommen, daß die Majestät ein vollständiges Bild von dem Leben und Treiben der Bevölkerung gewinne. Es wäre nur zu verhüten, daß nichts dabei vorkäme, was auf den Landesvater einen unangenehmen Eindruck machen könne.

Und am vierten Tage sollte die Durchfahrt des Kaisers Franz stattfinden. Des alten Kaisers Franz, der noch auf keiner Eisenbahn fahren konnte, der im Gerüttel feiner Wagen, im Zeremonientaumel seines Gefolges, im plebejischen Staube der Straßen über Land reisen mußte, wollte er die Zustände seines Reiches prüfen und von seinen treuen Völkern einmal Huldigungen entgegennehmen.

Er hatte Feste und Aufzüge, ihm zur Ehr' gebracht, nicht ungern, denn für gar manches war ihm das Bewußtsein feiner Kaiserwürde eine hohe Genugtuung.

So bewegte sich um 11 Uhr des 28. August die Wagenburg gen Abelsberg heran. Eine halbe Stunde vor dem Städtchen begannen die Wunder. Auf dem Felde ackerten Bauern und säeten Korn; gleich daneben klangen die Sicheln der Schnitter, die Sensen der Mähder, und die Arbeiter hatten ihre bunteste Sonntagstracht an.

Am Berge war ein Stollen, aus welchem flinke Knappen reines Erz schafften, und ein paar Eisenhämmer schmiedeten Sensen, Pflüge und Schwerter. Im Wäldchen jodelte der Holzhauer und hallten stürzende Bäume. Der Hirte trieb eine Herde schöner, bekränzter Rinder über die Au, die Sennin molk unter dem Schatten einer Tanne ihre Kuh und der Jäger schoß gerade im Augenblicke, als der kaiserliche Wagen herankam, einen ausgestopften Auerhahn vom Lärchbaum. Das Wunderbarste aber waren die Obstbauern, die von alten Holzbirnbäumen die feinsten Butteräpfel schüttelten, und die Winzer, welche aus Erlen- und Weidengebüsch Trauben schnitten. Es ging nicht anders, und wenn das ganze Land zusammengerückt sein sollte auf etliche Joch oberländischen Grundes, so mußte das Erz wohl einmal im eitlen Sand und der Wein aus Weidenstäben wachsen. So unerhört fruchtbar war der Boden bei Abelsberg, und der Obersthofmeister hauchte dem Kaiser zu: »Majestät, aber das ist ja prächtig! Was Majestät für ein Land haben!«

Seine Majestät, höchst erfreut von dem fröhlichen Aufzuge, wollte den Ortsvorsteher sprechen. Noch dauerten an beiden Seiten der Straße die Vorstellungen; auch ein Hochzeitszug und ein Taufgang war dabei, und Volkslieder wurden gesungen und zum Schlusse, dort wo der bekränzte Eingang prangte – kauerten etliche Krüppel, ein Kretin und ein paar alte zerhauene und zerschossene Militärs mit Weib und Kind im Straßenstaub und wimmerten mit aufgehobenen Händen um Almosen. Denen war's Ernst.

Der Hof stutzte sehr – gar sehr stutzte er über eine solche durchaus nicht harmlose Pointe der Festlichkeit – und nach dem Ortsvorstande, der mit seinem Rate auf dem Marktplatze tief geknickt stand, wurde nicht mehr verlangt.

Vor dem Tore des Posthauses standen sechs Blumen streuende Bauernmädchen, aber die Wagen rollten vorüber und hielten nicht in Abelsberg.

Der hohe Rat war aus Rand und Band. Das Bettelgesindel verhaftete er sofort; aber der Kretin grinste und die alten Krieger mit ihren elenden Familien meinten, sie hätten gehört, daß das ganze Land bei dem Aufzuge vertreten sein sollte, und da hätten sie gedacht, die viele Armut, die da sei, gehöre sozusagen auch zum Lande, sie hätten des weiteren gerechnet auf etliche Silberbatzen oder einen warmen Löffel Suppe, was freilich eine ganz verfehlte Rechnung gewesen wäre.

Der Bürgermeister wollte diese Leute, die das schöne Fest so jämmerlich verdorben hatten, in den Arrest sperren lassen.

»Tu' das, Vorstand,« sagte der Rat Hufschmied. »Brauchst gar nicht zuzusperren. Wenn die armen Hascherln was zu essen kriegen, bleiben sie auch so.«

Ist später Vorstand geworden, der Hufschmied.

Der Turmbau zu Abelsberg.

Die Neudorfer hatten an ihrer Pfarrkirche zwei Türme, so wollten die Abelsberger an der ihren auch zwei Türme haben.

Der eine, der schon stand, war recht sauber und schlank und hatte oben eine Kuppel, um welche die Schwalben allerlei Narreteien trieben, und hatte ein Paar Glocken, die täglich dreimal zum Essen läuteten, und hatte eine Uhr, »die den Schlaraffen von Abelsberg zulieb' kurzen Tag und lange Nacht machte«, wie Urkunde berichtet. Die Nacht ist den Abelsbergern der eigentliche Tag, da sind sie munter, da sind sie beim Zeug. Ihr »Zeug«, das ist der Schoppen und das Kartenspiel und wieder der Schoppen, und um sechs Uhr abends ist zu solchem Tagwerk der Morgen, und um neun Uhr ist Mittag, und um zwölf Uhr ist Abend und jeder geht gleich am Abend nicht heim, mancher bleibt noch gern ein wenig »in die Nacht hinein«.

So schöne Zeitrechnung macht der Turm mit seinen Glocken und mit seiner Uhr. Darum gibt es Leute zu Abelsberg, die sagen: »Wenn's bei einem Turme schon so schön ist, wie müßt's erst sein, wenn wir zwei Türme hätten!« Andere freilich meinen, das wäre dummes Geschwätz, ein zweiter Turm wäre schon recht, aber von wegen Gottesehr'.

Im Rate saß ein Lästerer, der sagte: »Ich stimme nicht für zwei Türme, jeder Ochs hat zwei Hörner.«

Der mußte auf der Stelle abdanken.

Alle anderen wollten einen zweiten Turm; so stand einer auf und sprach das Wort: »Die Bürger Geld zusammenschießen!«

Der Mann mußte abdanken.

Endlich hielt ein dritter eine Rede und sprach: »Wenn, meine Herren, jeder Ochse zwei Hörner hat, so wird, mein erster Herr Vorredner auch zwei Hörner haben –«

Der Mann wurde mit einem »nichtendenwollenden« Applaus unterbrochen; nach einer längeren Weile erst konnte er fortfahren: »Und wenn, meine Herren, der Turm zur Gottesehr' erbaut werden soll, so kann und darf das doch wohl nicht durch profane Mittel geschehen. Meine Herren! Jeder von uns kann auf die Brust schlagen und sagen: Mein Geld ist sündig! (Bravo!) Ich bediene mich nicht des schärfsten Ausdrucks, wenn ich sage, es wäre Gotteslästerung, aus solchem Stoffe dem Herrn einen Turm zu bauen. (Sehr gut!) Mein Vorschlag ist daher folgender: Die Mittel zum Turmbaue mögen nur durch schlichte, ungebuchte Beiträge frommer Seelen, durch Almosen beschafft werden. Ich stelle den Antrag, daß in der Kirche an jener Seite, wo der zweite Turm sich erheben soll, ein Opferstock aufgestellt werde, in welchen der wohlhabende Mann frommen Sinnes seine Silberlinge, sowie die arme Witwe ihren Pfennig legen mag. Die Verwaltung der Opferkasse darf unbedenklich unserem ehrenwerten Küster Thomas Reckenschlauch übertragen werden.«

Über solche Rede hätten sie den Antragsteller am liebsten alsogleich zum Bürgermeister gemacht. Leider war das dritte Jahr des alten noch nicht um.

Der Opferstock für Spenden zum Bau des zweiten Turmes wurde in der Kirche aufgerichtet; der ehrenwerte Küster Thomas Reckenschlauch wurde zum Kassenwart gemacht – und so war der Same gelegt zum Turme, der sich dereinst neben dem alten erheben sollte, oben mit einer Kuppel, um welche die Schwalben allerlei Narreteien treiben, mit ein paar Glocken, die täglich dreimal zum Essen läuten, mit einer Uhr, die kurzen Tag und lange Nacht macht.

Das Ding keimte. Die arme Witwe kam mit ihrem Pfennig und der reiche Mann kam – auch mit seinem Pfennig. Silberlinge sind zu profan für einen Kirchturm.

Der Küster waltete treu seines Amtes und war – nebstbei gesagt – nicht der Mann, der den Abelsberger in sich verleugnete. Die Kirche hielt er die längste Zeit des kurzen Tages sorgsam geschlossen – stand ja doch der »goldene Hirsch« offen zu jeglicher Stunde. Jener goldene Hirsch, den der wackere Küster einmal in einer sinnigen Rede verherrlicht hatte: »Der Hirsch gemahnt an uns selbst, die wir uns sehnen nach dem Kruge, wie der Hirsch nach der Quelle. Das Goldene an dem Hirschen versinnlicht uns, daß der Wirt zum »goldenen Hirschen« eitel Gold begehrt von seinen Hirschen, denen, während sie im Hirschen sitzen, daheim von den Weibern bisweilen die Geweihe aufgesetzt werden. Darum lebe der Hirsch! Er lebe hoch!«

Der ehrenwerte Küster Thomas Reckenschlauch trug an seinen Geweihen eben nicht schwer – ihm war das Trinken schon lieber, als das Küssen – so trank er und trank wie ein Abelsberger.

Da geschah es eines Abends, oder vielmehr eines Morgens, als es – wie er so schön sagte – »vom Zechen zum Blechen kam«, daß er sein Geldbeutelchen vermißte. Gottswahrhaftig, das lag daheim bei seinem Weibe. Bevor er aber noch den »goldenen Hirschen« um einen Kredit angehen will bis auf morgen – eigentlich nur bis auf heute – bis er nach Hause geht, sich ausschläft und wiederum kommt – entdeckt er in seiner Hosentasche das Opfergeld für den Turmbau, das er tags zuvor erst aus dem Opferstock genommen hatte, wie er es allwöchentlich zu tun pflegt. Das reicht für die Zeche – es bleibt sogar noch etwas übrig.

Was? Übrigbleiben? Nein, das läßt sich ein Abelsberger nicht nachsagen. Was nützt die Turmspitze, wenn der Turm versoffen ist! »He, Wirtshaus! Frisch eingeschenkt, wir bleiben sitzen.«

Und als es Morgen ward und der letzte Knopf vertrunken war – der letzte Knopf vom Turmgeld – da stand der Küster Thomas Reckenschlauch auf. Tat aber nicht gut daran, denn auf der Stelle wollte er wieder umfallen. Indes, es ging und der Weg schräg über den Kirchplatz hin war nicht zu verfehlen. Anfangs allerdings hielt sich der Küster etwas zu sehr rechts, um später ein bißchen zuviel nach links abzuschwenken. Als er mitten auf den Platz kam, blieb er stehen, so gut es ging, und starrte auf den Kirchturm hin und begann zu kichern. – »'s ist richtig,« stammelte er, »das Turmgeld – er steht schon – der zweite. Ach – der Tausend, was das schön ist! Ganz wie in Neudorf! Hi, hi! Zwei Türme auf der Abelsberger Kirchen!«

Und taumelte entzückt nach Hause.

Eine angenehmere und billigere Bauart gibt's nicht. Und nachdem nun der ehrenwerte Küster Reckenschlauch die Entdeckung gemacht hat, wie man in Abelsberg Türme baut, so soll es nicht allzuselten geschehen, daß er sein Geldbeutelchen beim Weibe daheim läßt und zufällig immer nur die Wochenausbeute vom Opferstock im Sack hat – und daß er dann beim Nachhausegehen regelmäßig auf der Kirche den zweiten Turm neben dem ersten stehen sieht.

Und der Küster rät es jedem, der in Abelsberg zwei Türme haben will: »Geh' hin und tu' desgleichen!«

Der Bürgermeister von Abelsberg.

Das Jagdrecht ist eine prächtige Sache; aber ich kenne viele Grundbesitzer und Gemeinden, die es nicht ausüben. Es leite die Jagdlustigen von der Berufsarbeit – ab – sagen sie – es verführe die Jugend zum Müßiggang, und die kostspielige Passion wäre nicht mehr aus dem Kopfe zu bringen; es verlocke zu Diebstählen, und es koste manchem ungeschickten Schützen seine gesunden Glieder oder die eines anderen. Und schließlich ginge bei willkürlicher Selbstbenützung der ganze Wildstand zugrunde. Sie verpachten daher das Revier und zahlen mit dem Pachtschilling ihre Steuern.

Die Abelsberger denken nicht so; sie sind viel zu gescheit. Die Abelsberger haben in ihren Wäldern gejagt, solange noch das Pulver nicht hätte knallen sollen; und sie sollten es jetzt unterlassen, da es krachen darf? Nein. Die Abelsberger üben das Jagdrecht selber aus. Es gibt kein höheres Fest, als wenn sie Jagdtag haben; da setzt's Hallodria, Räusche, Abenteuer, kurz alles mögliche, nur kein Wildbret. Das Wildbret haben die Wildschützen in Sicherheit gebracht.

Ach, die Wildschützen, die sind eine Landplage für die guten Abelsberger. Der Burgermeister also und sein Bursche mögen noch so streng sein – es hilft nichts. Und wollten sie die Wilddiebe alle einsperren, so – – wären in Abelsberg leicht die bravsten Leute die längste Zeit auf Viehhandel aus oder auf Kornkauf oder auf Wallfahrten oder auf sonst was; und so – munkelt man – könnte es sich zutragen, daß eines Tages die Kinder keine Schule hätten und daß zum Sonntag der Gottesdienst ausbliebe, weil – der Herr Pfarrer verreist ist.

's ist eine böse Sach', und der Burgermeister, ein Ehrenmann über und über, bricht in Fluchen aus, wenn eine Gesellschaftsjagd schlecht abschneidet, und der ganze Gemeinderat flucht mit, daß, von den Flüchen mehr erschreckt als von den Schüssen, allenfalls ein allerletztes Häslein noch eilig über die Grenze setzt.

Jagdaufseher war der Gemeindediener, aber der Gemeindediener war nicht mehr sehr gut zu Fuß, denn im rechten Bein hatte er die Gicht, und das linke war ihm vor Jahren in Böhmen angeschossen worden. – So war's voreh'; dann ist's anders geworden.

Es war weise vom Burgermeister, als er eines Tages im Rate folgendermaßen das Wort ergriff: »Daß ich sag', nach meinem Versteh'n: Die Jagd, verpachten tun wir's nit; denn wegen warum? Unsere Buben werden Soldaten, die müssen das Schießen lernen!« Patriotisch war er immer, der Abelsberger Vorstand; und dann fuhr er fort: »Aber das sag' ich, nach meinem Versteh'n, einen schärferen Jagdwachter müssen wir haben. Ich rat', wir lassen einen Militärsmann kommen, einen Ausgedienten; so einer ist respektabel und kann laufen. Die Gemeindedienerei betreibt er uns auch; so einer ist pünktlich und kostet nicht viel. Ich sag', wir machen Ja darüber.«

Sie machten Ja darüber.

Etliche Tage nachher trat der Soldatenschorsch das Amt an. Er war ein Veteran, kernfrisch und baumstark und feinschneidig, schleppte einen langen klirrenden Säbel – Gemeindegut – und trug einen wuchtigen Schnurrbart, der keck aufgespitzt war, wenn sich der Mann in guter Laune befand, der aber schauderlich zerzaust sich über die Backen hinaussträubte, wenn der Mann wild war; und wenn er ins Fluchen geriet, da standen selbst den Abelsbergern die Haare gegen Himmel. Das war nun der neue Gemeindediener und der »Jagdwachter«.

»Daß Er's weiß, Schorsch,« redete ihn der Bürgermeister bald nach der Aufnahme an, »wenn Er seine Sach' in Ordnung hält, so kommen wir gut miteinander aus. Wird sich bei mir nit zu beklagen haben. Einmal hat Er die Kanzlei reinzuhalten; unter dem verwichenen Diener ist meine Stube da fortweg ein Schweinstall gewesen. Weiters hat Er die Gemeindeschriften zu vertragen. Um Mitternacht, wenn Sperrstunde ist, muß Er von Wirtshaus zu Wirtshaus gehen. Ist wo ein Raufhandel, so muß Er dabei sein. Die freie Zeit muß Er im Wald umgehen, und das mag Er sich hinter die Ohren schreiben: wenn ein Stück Wildbret fehlt, so wird Er darum hergenommen. Wenn Er einen Wildschützen sieht, einfangen! Und ist's wer immer, hört Er, Schorsch, ohne Pardon einfangen und in den Arrest treiben. Verstanden?«

Der Schorsch legte seine Hand an das Ohr, dann schritt er kerzengerade und mit rasselndem Säbel davon.

Versah sein Amt gut, der neue Gemeindediener. Er reinigte die Kanzlei, daß sie blank wie eine Wachtstube war; er »vertrug« die Schriften, anfangs freilich einigemal ganz buchstäblich; zur Sperrstunde ging er in die Wirtshäuser, wo ihn sogar mehrmals der Burgermeister einlud, an seinem Tische Platz zu nehmen, und bei jedem »Raufen« war der Schorsch dabei. Bei solcher Pflichttreue verfehlte der leutselige Vorstand nicht, seinem braven Diener mitunter einen freien Tag zu gönnen, an welchem er sich nach Wunsch und Wahl gütlich tun konnte.

An einem solchen Tage im Herbste war es auch, daß der Schorsch, nachdem er sich vom Dienste losgemeldet hatte, mit der Kommißpfeife zwischen den Zähnen, gelassen in den Wald hinaus schlenderte. Er ließ sich gehen, und wenn er aus dem Tiegel schmauchte, so wichen ihm vor den Häusern auch die Bauern nicht aus. Wenn der Mann sonst aber im Soldatenschritt einher marschierte, die Zähne aufeinanderbiß und mit den Augen dreinstach, da hatte er gefährliche Steuerbogen in der Tasche.

Heute hatte er den Schnapsplutzer drin, und damit strich er in den Wald hinaus. – Wenn ich einen Hirsch sehe, dachte er bei sich, so macht mir das Spaß, und sehe ich einen Wilddieb, so bin ich auch heute der Diener meines Herrn.

So stieg er immer weiter durch die Wälder hinan und in die Wildnis hinein. Und als er gegen eine Felswand kam, an der wilder Efeu emporrankte, fand der Schorsch die Wand so romantisch, daß er sich in ihrem Schatten niederließ und seinen Plutzer entkorkte. – Es wäre ein anmutiges Stündchen geworden, da hörte er plötzlich einen Schuß.

Sofort war der Soldat auf den Beinen. Den Säbel hob er empor, daß er nicht klappere im Gestein und Gewurzel, und so schlich er der Richtung zu, in welcher der Schuß gefallen war.

Nach einigem Suchen fand er was. Im Waldesdunkel kauerte ein Mann und weidete einen erschossenen Rehbock aus. – Wie? Ist denn heute Jagdtag? fragte sich der Schorsch. Kreuzbomben und Mordsstern, heute ist nicht Jagdtag. Da ist's jedem verboten, der Herr Burgermeister hat es strenge gesetzt. Halt, Kerlchen, wir zwei werden näher bekannt. – Aber was ist denn das? Das ist ja der Herr Burgermeister! – Tut nichts, mein Herr! Wer wildert, ist ein Wilddieb. Was er sonst noch ist, ist mir alles eins. Das Schießen ist jetzt nicht erlaubt. Und tat er's redlich, so brauchte er das Gewehr nicht zu zerlegen, das dort stückweis im Busche steckt. Ah, mein Herr, desweg hast du heute den Wildwächter beurlaubt! Nun, wollen anfangen. – Wenn's aber der Bürgermeister selber ist! warnte eine innere Stimme. – Halt! flüsterte der Schorsch, und stemmte seinen Zeigefinger mitten auf die Stirne hin. Hat er mir nicht selber eingeschärft, der Ertappte sei wer immer: einfangen! – Des höllischen Satans will ich sein, wenn das nicht eine Falle für mich sein soll. Er hat mich abgespäht und will versuchen, ob ich ein treuer, unbestechlicher Kerl bin. Nicht aufsitzen, Schorschl! Fein angespielt! Nur nicht aufsitzen!

Etliche Sekunden später schlug der Gemeindediener dem eifrig fleischernden Vorsteher keck die flache Hand auf die Achsel: »He da!«

Fast kollerte der Wilderer vor jähem Schreck über und über.

»Aufstehen!« kommandierte der Soldat, »wir gehen mitsammen.«

»Aber Schorsch, aber Schorschl!« lachte der Ertappte, »es ist ja – es war ja –«

»Rehbock über die Achsel! Flink!« rief der Diener mit schneidiger Stimme.

»Na, so tu' Er – hi, hi – – tu' Er doch die Augen auf, Schorschl!«

»Ich mach' keinen Unterschied.«

»Aber – Er sieht's ja, hi, hi –«

»Im Namen des Gesetzes arretiert!«

»Aber so mach' Er keine Dummheiten, Schorsch!«

»Marsch!«

»Hör' Er! Das verbitte ich mir!«

»Ich brauche Gewalt!« knirschte der Wildwächter und griff an den Säbel. Aus seinen Augen funkelte gemachter Zorn, unter seinem zerfetzten Schnurrbart wirbelten die haarsträubendsten Flüche hervor.

Im Kabinett, in der Kanzlei ist der Gescheitere Herr; im Walde ist's der Stärkere. Höhergestellte Personen lassen sich bisweilen erbitten, aber ein so alter Soldatenkerl ist nicht zu bestechen. Die Feder sträubt sich, es zu schreiben, daß der Herr Bürgermeister von Abelsberg als eingefangener Wilddieb mit dem Gemeindediener Schorsch gehen und den Rehbock selbst auf dem Rücken mitschleppen mußte.

Der Vorstand machte mehrmals unterwegs Versuche, sich aus dem Arg zu ziehen. Mit dem Ausreißen und Fliehen war's ein für allemal nichts, denn der schwere Bock war ihm so fest auf den Buckel geschnallt, daß der solcher Strapazen ungewohnte Mann froh sein mußte, wenn ihn das Tier nicht zu Boden ritt. Mit Drohungen richtete er nichts aus; dabei blieb der Schorsch ganz gleichmütig; ist's eine Falle für mich, dachte er, so darf ich nicht eingehen, und ist der Herr Vorstand ein wahrhaftiger Dieb, so muß ich ihn stellen. Da versuchte es der Arretierte mit Versprechungen; hundert Stück feine Zigarren fürs erste; eine goldene Sackuhr fürs zweite; und endlich, da sie dem schönen Abelsberg immer näher kamen, – erzählt die Chronik – seine älteste Tochter fürs dritte. Die Folge davon war, daß der Soldat in Wut ausbrach und mit geballter Faust dem Rehbock einen solch derben Schlag versetzte, daß der Burgermeister darunter taumelte.

Und als sie endlich zur Linde kamen, wo die ersten Häuser von Abelsberg anheben, blieb der Vorstand stehen, klopfte mit steifem Arm dem Gemeindediener auf die Achsel und lächelte: »Brav, Schorschl! Er hat die Prüfung glänzend bestanden, Er ist ein wackerer Mann; Er ist bei uns sein Lebtag lang versorgt.«

»Wohl,« schmunzelte der Soldat, »'s hat aber auch Müh' gekostet, und deswegen möchte ich Zeugenschaft haben, daß die Sach' pflichtgetreu ausgeführt worden ist.«

»Das werde ich Ihm gern bestätigen und die Abelsberger wissen ja vom Jux; aber die Schulkinder dürfen uns so nicht sehen, des Respektes wegen, versteht Er?«

»Mit Verlaub!« sagte der Schorsch gemessen, »die Schulkinder sollen es wissen, daß in Abelsberg auch der Burgermeister eingesperrt wird, wenn er stiehlt. – Marsch!«

Mitten durch den Marktplatz trieb er den Vorstand dem Gemeindehause zu. Bald waren sie umrungen von lachendem Volke. Einige Gemeinderäte eilten herbei; vor diesen salutierte der Schorsch:

»Vermelde gehorsamst, daß ich hier einen Wilddieb eingebracht habe!«

Bei der Sitzung sahen sich die Väter der Gemeinde mit großen Augen an und murmelten: »Ei schau, der Kerl ist gefährlich!« Dann laut: »Der Soldatenschorsch ist ein prächtiger Kerl, den müssen wir wo rekommandieren. Abelsberg ist für ihn nichts.«