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Mit 258 Zeichnungen Ein geheimnisvoller Unbekannter gibt ein Schiff in Auftrag, das als Ziel den Nordpol haben wird. Wer ist dieser Kapitän Hatteras, der sich unter die nicht minder rätselhafte Mannschaft geschlichen haben soll und seine Befehle durch einen Hund übermitteln lässt? Dieses Buch zeigt den Fabulator Verne auf dem Höhepunkt seiner Erzählkunst. Wie nur er es konnte, verbindet er wieder wissenschaftliche Höchstleistungen mit großen Abenteuern und liebenswerten und skurrilen Charakteren. Null Papier Verlag
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Jules Verne
Die Abenteuer des Kapitän Hatteras
Band 1 und 2
Jules Verne
Die Abenteuer des Kapitän Hatteras
Band 1 und 2
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]: Édouard Riou, Henri de MontautÜbersetzung: Jürgen Schulze, Karl Lanz EV: Hartleben’s Verlag, Wien-Pest-Leipzig, 1875 2. Auflage, ISBN 978-3-962817-75-6
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Jules Verne – Leben und Werk
Band 1 – Die Engländer am Nordpol
Erstes Kapitel – Der Forward
Zweites Kapitel – Ein unerwarteter Brief
Drittes Kapitel – Der Doktor Clawbonny
Viertes Kapitel – Kapitän Hund
Fünftes Kapitel – Auf hoher See
Sechstes Kapitel – Die große Polarströmung
Siebtes Kapitel – Die Davis-Straße
Achtes Kapitel – Gespräche der Mannschaft
Neuntes Kapitel – Eine Neuigkeit
Zehntes Kapitel – Gefährliche Fahrt
Elftes Kapitel – Der Teufelsdaumen
Zwölftes Kapitel – Der Kapitän Hatteras
Dreizehntes Kapitel – Des Kapitän Hatteras Pläne
Vierzehntes Kapitel – Zur Auffindung Franklins
Fünfzehntes Kapitel – Der Forward südwärts zurückgetrieben
Sechzehntes Kapitel – Der magnetische Pol
Siebzehntes Kapitel – Katastrophe des Sir John Franklin
Achtzehntes Kapitel – Nordwärts
Neunzehntes Kapitel – Ein Walfisch in Sicht
Zwanzigstes Kapitel – Die Insel Beechey
Einundzwanzigstes Kapitel – Bellots Tod
Zweiundzwanzigstes Kapitel – Anfang des Aufruhrs
Dreiundzwanzigstes Kapitel – Erstürmung der Eisblöcke
Vierundzwanzigstes Kapitel – Vorbereitungen für Überwinterung
Fünfundzwanzigstes Kapitel – Ein alter Fuchs von James Ross
Sechsundzwanzigstes Kapitel – Das letzte Bröcklein Kohle
Siebenundzwanzigstes Kapitel – Die große Weihnachtskälte
Achtundzwanzigstes Kapitel – Vorbereitungen zur Abreise
Neunundzwanzigstes Kapitel – Über das Eisfeld
Dreißigstes Kapitel – Ein Cairn
Einunddreißigstes Kapitel – Simpsons Tod
Zweiunddreißigstes Kapitel – Rückkehr zum Forward
Band 2 – Die Eiswüste
Erstes Kapitel – Die Inventur des Doktors
Zweites Kapitel – Altamonts erste Worte
Drittes Kapitel – Siebzehn Tage unterwegs
Viertes Kapitel – Der letzte Schuss Pulver
Fünftes Kapitel – Robbe und Bär
Sechstes Kapitel – Der Porpoise
Siebtes Kapitel – Eine kartologische Unterhaltung
Achtes Kapitel – Ein Ausflug nach dem Norden der Victoria-Bai
Neuntes Kapitel – Kälte und Wärme
Zehntes Kapitel – Wintervergnügungen
Elftes Kapitel – Beunruhigende Spuren
Zwölftes Kapitel – Im Eisgefängnis
Dreizehntes Kapitel – Die Mine
Vierzehntes Kapitel – Arktischer Frühling
Fünfzehntes Kapitel – Die nordwestliche Durchfahrt
Sechzehntes Kapitel – Arkadien des Nordens
Siebzehntes Kapitel – Altamonts Vergeltung
Achtzehntes Kapitel – Die letzten Vorbereitungen
Neunzehntes Kapitel – Die Reise nach Norden
Zwanzigstes Kapitel – Abdrücke im Schnee
Einundzwanzigstes Kapitel – Das offene Meer
Zweiundzwanzigstes Kapitel – Annäherung an den Pol
Dreiundzwanzigstes Kapitel – Die englische Flagge
Vierundzwanzigstes Kapitel – Eine Lektion in der polaren Kosmografie
Fünfundzwanzigstes Kapitel – Der Berg Hatteras
Sechsundzwanzigstes Kapitel – Rückkehr nach dem Süden
Siebenundzwanzigstes Kapitel – Schluss
Ein Nachwort
Danke, dass Sie dieses E-Book aus meinem Verlag erworben haben.
Jules Verne gehört zu den Autoren, die jeder schon einmal gelesen hat. Eine Behauptung, die man nicht über viele Schriftsteller aufstellen kann. Die Geschichten von Verne sind unterhaltend, lehrreich und immer sehr atmosphärisch.
In unregelmäßiger Folge wird mein Verlag die Werke von Verne veröffentlichen – die bekannten wie die unbekannten. Immer in der überarbeiteten Erstübersetzung, um den (sprachlichen) Charme der Zeit beizubehalten.
Korrigiert und kommentiert werden Orts- und Personennamen oder offensichtlich falsche Angaben. Sie finden die Erläuterungen in Fußnoten.
Ich habe es mir auch nicht nehmen lassen, die ursprünglichen Namen zu verwenden: Aus dem Johann wird so wieder der ursprüngliche Jean, aus Ludwig wieder Louis und aus Marianne wieder Marie. Ich denke, das tut den Geschichten nur gut.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr Jürgen Schulze null-papier.de/kontakt
Reise um die Erde in 80 Tagen
Michael Strogoff - Der Kurier des Zaren
Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer
Eine Idee des Doktor Ox
Eine Überwinterung im Eis
Schwarz-Indien – Oder: Die Stadt unter der Erde
Fünf Wochen im Ballon
Robur der Eroberer
Der Herr der Welt
Von der Erde zum Mond
und weitere …
Beinahe wäre Klein-Jules als Schiffsjunge nach Indien gefahren, hätte eine Laufbahn als Seemann eingeschlagen und später unterhaltsames Seemannsgarn gesponnen, das vermutlich nie die Druckerpresse erreicht hätte.
Jules Verne
Verliebt in die abenteuerliche Literatur
Glücklicherweise für uns Leser hindert man ihn daran: Der Elfjährige wird von Bord geholt und verlebt weiterhin eine behütete Kindheit vor bürgerlichem Hintergrund. Geboren am 8. Februar 1828 in Nantes, wächst Jules-Gabriel Verne in gut situierten Verhältnissen auf. Als ältester von fünf Sprösslingen soll er die väterliche Anwaltspraxis übernehmen, weshalb er ab 1846 in Paris Jura studiert.
Viel spannender findet er schon zu dieser Zeit allerdings die Literatur. Verne freundet sich sowohl mit Alexandre Dumas als auch mit seinem gleichnamigen Sohn an. Gemeinsam mit Vater Dumas verfasst er Opernlibretti und erste dramatische Werke. Nach dem Abschluss seines Studiums beschließt er, nicht nach Nantes zurückzukehren, sondern sich völlig der Dramatik zu widmen.
Zwar schreibt er nicht ganz erfolglos – drei seiner Erzählungen erscheinen in einer literarischen Zeitschrift. Doch zum Leben reicht es nicht, weshalb der junge Autor 1852 den Posten eines Intendanz-Sekretärs am Théâtre lyrique annimmt. Immerhin wird diese Arbeit zuverlässig vergütet und Verne darf sich als Dramatiker betätigen. In seiner Freizeit verfasst er weiterhin Erzählungen, wobei ihn abenteuerliche Reisen am meisten interessieren.
Als er 1857 eine Witwe heiratet, die zwei Töchter in die Ehe mitbringt, muss sich der Literat nach einer besser bezahlten Einkommensquelle umsehen. Während der nächsten zwei Jahre schlägt er sich als Börsenmakler durch, wobei er genug Zeit findet, längere Schiffsreisen zu unternehmen, bevor 1861 sein Sohn Michel geboren wird.
Verliebt ins literarische Abenteuer
Letztlich ist es einer besonderen Begegnung im Jahr 1862 geschuldet, dass alles, was der Autor bisher »geistig angesammelt« hat, in seinen künftigen Romanen kulminieren darf: Der Jugendbuch-Verleger Pierre-Jules Hetzel veröffentlicht Vernes utopischen Reiseroman »Fünf Wochen im Ballon«. Dieses von ihm ohnehin bevorzugte Sujet wird den Schriftsteller nie wieder loslassen – die abenteuerlichen Reisen, auf welcher Route auch immer sie absolviert werden. Hetzel verlegt Vernes noch heute beliebteste Schriften: 1864 »Reise zum Mittelpunkt der Erde«, im folgenden Jahr »Von der Erde zum Mond«, 1869 »Reise um den Mond« und »Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer«. Mit »Reise um die Erde in 80 Tagen« erscheint 1872 Jules Vernes erfolgreichster Roman überhaupt.
Die Zusammenarbeit mit Hetzel, der gleichzeitig als sein Mentor fungiert, sorgt in den späten 1860er Jahren dafür, dass der höchst produktive Schriftsteller seiner Familie einigen Wohlstand bieten und sich selbst »jugendtraumhafte« Reisewünsche erfüllen kann. Sein Verleger stellt ihn namhaften Wissenschaftlern vor – in Kombination mit den erwähnten Reisen entsteht auf diese Weise ein ungeheurer Fundus der Inspiration: Jules Vernes Zettelkasten enthält angeblich 25.000 Notizen!
Zwar ist er seit »Reise um den Mond« gleichermaßen wohlhabend und geachtet; er engagiert sich seit den späten 1880er Jahren sogar als Stadtrat in Amiens, wohin er 1871 mit seiner Familie übergesiedelt war. Der »Ritterschlag« aber bleibt aus: In der Académie française möchte man den Jugendbuchautor nicht haben, er gilt als nicht seriös genug.
Den Zenit seines Schaffens hat der Literat bereits überschritten, als er 1888 bleibende Verletzungen durch den Schusswaffen-Angriff eines geistesgestörten Verwandten davonträgt. Dennoch arbeitet der Autor ununterbrochen weiter. Als Jules Verne im März 1905 stirbt, hinterlässt er ein gewaltiges Gesamtwerk: 54 zu Lebzeiten erschienene Romane, weitere elf Manuskripte bearbeitet sein Sohn Michel nach dem Tod des Vaters. Ergänzt wird Vernes Œuvre durch Erzählungen, Bühnenstücke und geografische Veröffentlichungen.
Geliebt und missachtet
Jenes zwiespältige Verhältnis, das sich bereits in der Ablehnung der Akademiemitglieder äußert, kennzeichnet die akademische Rezeption bis heute: Jules Verne ist eben »nur ein Jugendbuchautor«. Weniger befangene Rezipienten freilich schreiben ihm eine ganz andere Bedeutung zu, die dem Visionär und leidenschaftlichen Erzähler besser gerecht wird.
Wenngleich der alternde Literat zum Ende seines Schaffens durchaus nicht mehr in gläubiger Technikbegeisterung aufgeht, bleiben uns doch genau jene Werke in liebevoller Erinnerung, in denen technische und menschliche Großtaten die Handlung bestimmen: »Reise um die Erde in 80 Tagen« oder »Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer« beispielsweise. Wer als Kind von Nemo und seiner Nautilus liest, wird unweigerlich gefangen von diesem technischen Wunderwerk und dessen Kapitän. Vernes Romane gehören zu jenen Jugendbüchern, die man als Erwachsener gerne nochmals zur Hand nimmt – und man staunt erneut, erinnert sich, lässt sich wiederum einfangen und fragt sich, warum man eigentlich so selten Verne liest…
So wie der Autor sich selbst durch Reisen und Wissenschaft inspirieren lässt, dienen seine Werke seit jeher der Inspiration seiner Leserschaft. Wie präsent dieser exzellente Unterhalter in den Köpfen seiner Leser bleibt, belegen Benennungen in See- und Raumfahrt: Das erste Atom-U-Boot der Geschichte ist die amerikanische USS Nautilus. Ein Raumtransporter der Europäischen Raumfahrtagentur heißt »Jules Verne«, ein Asteroid und ein Mondkrater tragen ebenfalls den Namen des Schriftstellers. Die »Jules Verne Trophy« wird seit 1990 für die schnellste Weltumsegelung verliehen, was dem begeisterten Jachtbesitzer Verne gewiss gefallen hätte.
Der kommerzielle Literaturbetrieb sowie die Filmwirtschaft betrachten den französischen Vater der Science-Fiction-Literatur ebenfalls mit Wohlwollen: Unzählige Neuauflagen der Romanklassiker, Hörbücher und Verfilmungen der rasanten, stets mitreißenden Handlungen sprechen Bände. Mittlerweile gelten die ältesten Verfilmungen selbst als kulturelle Meilensteine, die keineswegs nur ein junges Publikum erfreuen.
Jules Vernes Bedeutung für die Literatur
Der Einfluss Vernes auf nachfolgende Science-Fiction-Autoren ist gar nicht hoch genug einzuschätzen: Aus heutiger Sicht ist er einer der Vorreiter der utopischen Literatur Europas, der noch vor H. G. Wells (»Krieg der Welten«) und Kurd Laßwitz (»Auf zwei Planeten«) das neue Genre begründet. Seinerzeit gibt es diesen Begriff noch nicht, weshalb Hetzel die Romane seines Erfolgsschriftstellers als »Außergewöhnliche Reisen« vermarktet
Der Franzose sieht, anders als Wells und ähnlich wie Laßwitz, im technischen Fortschritt das künftige Wohl der Menschheit begründet. Trotzdem ist Jules Verne vor allem Erzähler: Er will weder warnen wie Wells noch belehren wie Laßwitz, sondern in erster Linie unterhalten. Im Vergleich zum spröden Realismus eines Wells wirken seine Romane für moderne Leser ausufernd, vielleicht sogar geschwätzig. Dennoch sind sie leichter zugänglich als das stilistisch ähnliche Schaffen des Deutschen Laßwitz, weil sie Utopie und Technikbegeisterung nicht zum Zweck ihres Inhalts machen, sondern lediglich zu dessen Träger: Schließlich ist es einfach aufregend, in einem Ballon eine Weltreise anzutreten oder Kapitän Nemo in sein geheimes Reich zu folgen.
Morgen bei fallender Flut wird die Brigg Forward, Kapitän K. Z., Lieutenant Richard Shandon, von New-Princes-Docks abfahren. Bestimmung unbekannt.«
So las man im »Liverpool-Herald« am 5. April 1860.
Für einen der ersten Handelshäfen Englands ist die Abfahrt einer Brigg ein unbedeutendes Ereignis, das inmitten der Schiffe jeder Größe und jeder Nationalität kaum bemerkt wird.
Dennoch fand sich am 6. April vom frühen Morgen an eine ansehnliche Volksmenge auf den Kais der New-Princes-Docks ein. Die unzählbare Korporation der Seeleute der Stadt schien sich da ein Rendezvous zu geben. Die Arbeiter der benachbarten Werften verließen ihr Tagewerk, die Kaufleute ihre düsteren Comptoir,1 ihre unbesuchten Gewölbe. Die bunten Omnibusse, welche längs der äußeren Mauer der Bassins fahren, brachten jede Minute eine Ladung Neugieriger; die Stadt schien nur einen einzigen Gedanken zu haben: der Abfahrt des Forward beizuwohnen.
Der Forward war eine Brigg von hundertundsiebzig Tonnen Gehalt, ein Schraubendampfer von hundertundzwanzig Pferdekraft. Bot er auch den Augen des Publikums nichts Außerordentliches dar, so nahmen doch Kenner einige Besonderheiten wahr, welche jeder Seemann verstand.
Daher machte sich auch eine Gruppe Matrosen an Bord des in der Nähe ankernden Nautilus über die Bestimmung des Forward allerhand Vermutungen.
»Was soll man«, sagte einer, »von diesen Masten denken? Es ist doch nicht gebräuchlich, dass Dampfschiffe so viel Segel haben.«
»Das Fahrzeug muss«, erwiderte ein Bootsmann mit breitem, rotem Gesicht, »sich mehr auf seine Masten als seine Maschine verlassen wollen, und wenn es so stark in hohen Segeln ist, so geschah es wohl deshalb, weil die niedrigen oft maskiert sein werden. Darum glaub’ ich sicher, dass der Forward für die Nord- oder Süd-Polarmeere bestimmt ist, wo die Eisberge den Wind mehr hemmen, als es einem tüchtigen Schiffe passt.«
»Sie sollen recht haben, Meister Cornhill«, versetzte ein dritter Matrose, »haben Sie auch bemerkt, wie dieser Vordersteven gerade aufs Meer fällt?«
»Und dazu«, sagte Meister Cornhill, »ist er mit einer Schneide von Gußstahl versehen, die scharf wie ein Rasiermesser ist, und einen Zweidecker entzweischneiden kann, wenn der Forward mit aller Kraft von der Seite her auf ihn eindringt.«
»Sicherlich«, erwiderte ein Lotse der Mersey, »denn diese Brigg fährt mit ihrer Schraube hübsch vierzehn Knoten in der Stunde. Es war zum Staunen, wie sie bei der Probefahrt die Strömung durchschnitt. Glauben Sie mir, ’s ist ein feiner Segler.«
»Und ebenso ist sie mit ihren Segeln nicht in Verlegenheit«, fuhr Meister Cornhill fort; »sie fährt stracks in den Wind und ist leicht mit der Hand zu lenken. Und noch etwas Besonderes! Haben Sie das weite Hennegat seines Steuerruders bemerkt?«
»Wahrhaftig, so ist es«, erwiderten die anderen, »aber was ist daraus abzunehmen?«
»Es beweist dies fürs erste, Ihr lieben Burschen«, versetzte der Meister mit Selbstzufriedenheit, »dass Ihr weder zu sehen, noch zu denken versteht; es ist daraus abzunehmen, dass man dem Kopf des Steuers Spielraum geben wollte, um leichter seine Stelle zu ändern. Sie wissen wohl nicht, dass dies Manöver zwischen den Eisblöcken oft vorkommt?«
»Vortrefflich geurteilt«, erwiderten die Matrosen des Nautilus.
»Und zudem«, fuhr der eine von ihnen fort, »wird die Meinung des Meisters Cornhill durch die Ladung der Brigg bestätigt. Ich weiß es von Clifton, der unerschrocken teilnimmt. Der Forward nimmt für fünf bis sechs Jahre Lebensmittel und dementsprechend Kohlen mit. Die ganze Ladung desselben besteht aus Kohlen und Lebensmitteln, nebst einem Pack wollener Kleidung und Robbenfellen.«
»Ah! Dann ist auch nicht mehr daran zu zweifeln«, sagte Meister Cornhill. »Aber kurz, mein Freund, da du Clifton kennst, hat denn der nichts von seiner Bestimmung gesagt?«
»Er konnte mir nichts sagen, weil er’s nicht weiß; darauf ist die Mannschaft geworben. Wohin es geht, soll man erst erfahren, wenn man an Ort und Stelle ist.«
»Und auch«, erwiderte ein Ungläubiger, »wenn sie zum Teufel gehen, wie es mir ganz den Anschein hat.«
»Aber auch was für ein Sold!« fuhr Cliftons Freund lebhaft fort, »welch’ hoher Sold! Fünfmal höher als der gewöhnliche. Ah! Sonst hätte Richard Shandon niemand gefunden, der unter solchen Bedingungen sich hätte werben lassen! Ein Fahrzeug von auffallendem Bau, das wer weiß wohin fährt und nicht aussieht, als wolle es ernstlich wiederkommen! Ich meinesteils hätte nicht große Lust dazu.«
»Lust oder nicht, Freund«, erwiderte Meister Cornhill, »du wärest nie fähig gewesen, der Bemannung des Forward anzugehören.«
»Und weshalb?«
»Weil dir die nötigen Erfordernisse abgehen. Ich habe mir sagen lassen, Verheiratete würden gar nicht angenommen. Da du nun zu dieser Sorte gehörst, so brauchst du nicht so spröde zu tun; für dich freilich wär’ es eine wahre Zwangspartie.«
Der also angezapfte Matrose lachte mit seinen Kameraden und gab damit zu erkennen, dass Meister Cornill recht hatte.
Cornhill fuhr mit Selbstbefriedigung fort: »Bis auf den Namen ist auch alles an dem Schiff erschrecklich kühn! Der Forward – d. h. Vorwärts, bis wohin? Und dazu kennt man den Kapitän der Brigg nicht.«
»O ja! Man kennt ihn«, erwiderte ein junger Matrose mit etwas naivem Angesicht.
»Wie? Man kennt ihn?«
»Allerdings.«
»Kleiner«, sagte Cornhill, »kannst du glauben, dass Shandon Kapitän des Forward sein werde?«
»Aber«, versetzte der junge Matrose.
»So lass dir sagen, dass Shandon Unterbefehlshaber ist, weiter nichts; ’s ist ein wackerer, kühner Seemann, ein Walfischfahrer, der erprobt ist, ein tüchtiger Kamerad, aber schließlich doch nicht der Befehlshaber. Er ist so wenig Kapitän wie du und ich, unbeschadet meinem Respekt! Den, der nach unserm Herrgott an Bord befehlen wird, kennt er selber auch nicht. Wenn der rechte Zeitpunkt kommt, wird der wahre Kapitän zum Vorschein kommen, man weiß nicht wie und wer weiß von welchem Ufer der beiden Welten; denn Richard Shandon hat nicht gesagt und darf auch nicht sagen, wohin auf der Welt er fahren würde.«
»Dennoch, Meister Cornhill«, fuhr der junge Seemann fort, »versichere ich Sie, dass sich einer an Bord vorgestellt hat, einer in dem Schreiben, worin dem Herrn Shandon seine Stelle übertragen ward, angekündigt worden ist!«
»Wie?« entgegnete Cornhill mit Stirnrunzeln, »du willst behaupten, der Forward habe einen Kapitän an Bord?«
»Jawohl, Meister Cornhill.«
»Du sagst mir das, mir?«
»Allerdings, weil ich es von Johnson habe, dem Rüstmeister.«
»Von Meister Johnson?«
»Allerdings, er hat mir es selbst gesagt.«
»Er hat dir’s gesagt?«
»Er hat mir es nicht allein gesagt, sondern den Kapitän gezeigt.«
»Gezeigt hat er dir ihn!« erwiderte Cornhill betroffen.
»Jawohl, gezeigt.«
»Und du hast ihn gesehen?«
»Mit eigenen Augen.«
»Und wer ist’s?«
»Ein Hund.«
»Ein Hund?«
»Ein vierfüßiger?«
»Ja!«
Die Matrosen des Nautilus waren ganz verdutzt; in jedem anderen Falle würden sie hell aufgelacht haben. Ein Hund Kapitän einer Brigg von hundertundsiebzig Tonnen! Aber der Forward war wirklich ein so außerordentliches Fahrzeug, dass man zweimal es ansehen musste, ehe man lachte, ehe man in Abrede stellte. Übrigens lachte selbst Meister Cornhill nicht.
»Und Johnson hat dir diesen so außerordentlichen Kapitän gezeigt, diesen Hund?« fuhr er fort zu dem jungen Matrosen.
»So wie ich Sie sehe, mit Erlaubnis.«
»Nun, was denken Sie davon?« fragten die Matrosen den Meister Cornhill.
»Ich denke nichts«, erwiderte dieser barsch, »ich denke nichts, als dass der Forward ein Schiff des Teufels ist oder Narren gehört, die für das Irrenhaus reif sind!«
Die Matrosen sahen ferner den Forward schweigend an, und nicht einem einzigen von ihnen fiel es ein, zu behaupten, der Johnson habe den jungen Seemann zum Besten gehabt.
Der Forward zog übrigens seit einigen Monaten die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. Dass er etwas auffallend gebaut, mit Geheimnis umhüllt war; das Inkognito seines Kapitäns; die Art, wie Richard Shandon seine Ausrüstung betrieb; die besondere Auswahl seiner Mannschaft; die unbekannte, von manchen kaum vermutete Bestimmung desselben – alles wirkte zusammen, der Brigg ein mehr als sonderbares Gepräge zu geben.
Für einen Denker, Träumer, Philosophen hat übrigens ein Schiff, das abzufahren im Begriff ist, etwas höchst Anregendes; die Fantasie begleitet es gerne bei seinem Ringen mit den Wogen, seinen Kämpfen mit den Winden, bei der abenteuerlichen Fahrt, die nicht immer im Hafen ihr Ziel findet, und sofern nur der geringste ungewöhnliche Zwischenfall eintritt, erhält das Schiff ein fantastisches Aussehen.
So war es auch mit dem Forward. Und wenn die gewöhnlichen Zuschauer nicht so kundige Bemerkungen wie Meister Cornhill machen konnten, so gab es doch seit drei Monaten Stoff genug zu fortwährendem Gerede für die Unterhaltung in Liverpool.
Die Brigg wurde zu Birkenhead, einer wirklichen Vorstadt von Liverpool am linken Ufer der Mersey, gebaut und durch Dampfbarken in unablässigem Verkehr mit dem Hafen gehalten.
Die Erbauer, Scott & Cie., hatten von Richard Shandon einen Aufriss und detaillierten Plan erhalten, welcher den Tonnengehalt, die Größenverhältnisse, das Modell der Brigg höchst genau angab. Man konnte darin den Scharfsinn eines vollendeten Seemanns erkennen. Da Shandon beträchtliche Mittel zur Verfügung hatte, so wurden die Arbeiten in Angriff genommen und nach der Weisung des unbekannten Eigentümers aufs rascheste betrieben.
Die Bauart der Brigg war von erprobter Solidität; sie war offenbar bestimmt, enormem Druck zu widerstehen, denn sein Fugenwerk aus Teak, einem indischen, durch äußerste Dauerhaftigkeit ausgezeichneten Bauholz, war noch dazu mit dem stärksten Eisenbeschlag versehen. Man fragte sich unter den Seeleuten, weshalb der Rumpf eines mit solchen Widerstandsverhältnissen gebauten Schiffes nicht aus Eisenblech gefertigt wurde, wie bei anderen Dampfbooten. Darauf antwortete man, der geheimnisvolle Ingenieur müsse wohl seine Gründe dafür haben.
Die Brigg nahm auf der Werft allmählich ihre Gestalt an, und ihre Stärke wie Feinheit setzten die Kenner in Erstaunen. Wie die Matrosen des Nautilus bemerkt hatten, bildete sein Vordersteven einen rechten Winkel mit dem Kiel; es war nicht mit einem Schnabel versehen, sondern mit einer Schneide von Gußeisen aus den Werkstätten R. Hawthorns zu Newcastle. Dieses metallene, im Sonnenschein blinkende Vorderteil gab der Brigg, obwohl sie gar nichts Militärisches an sich hatte, ein ganz besonderes Aussehen. Doch wurde auf dem Vorderkastell eine Kanone vom Kaliber eines Sechzehnpfünders aufgestellt; auf einem Zapfen sich drehend, konnte sie leicht nach allen Richtungen gestellt werden.
Am 5. Februar 1860 wurde das seltsame Schiff im Angesicht einer ungeheuren Zuschauermenge vom Stapel gelassen, was vollkommen gelang.
Aber welches war denn die Bestimmung des Schiffes? Es sollte den Erebus und Terror, den Sir John Franklin aufsuchen, nichts weiter. Denn im Jahr zuvor war der Kommandant Mac Clintock mit sicheren Beweisen vom Scheitern dieser unglücklichen Unternehmung aus den Nord-Polarmeeren heimgekehrt.
Wollte denn der Forward nochmals die nordwestliche Durchfahrt machen? Wozu nützte dies? Der Kapitän Mac Clur hatte sie im Jahre 1853 aufgefunden, und sein Lieutenant Creswell hatte zuert die Ehre, um das amerikanische Festland herum von der Behrings- bis zur Davis-Straße zu fahren.
Es war jedoch für Sachverständige unzweifelhaft, dass der Forward den Eisregionen Trotz bieten sollte. Wollte er zum Südpol vordringen, noch weiter als der Walfischfänger Wedell, als der Kapitän Ross? Aber zu welchem Zweck und Nutzen?
Am folgenden Tag, nachdem die Brigg vom Stapel gelaufen, kam ihre Maschine aus den Werkstätten von R. Hawthorn zu Newcastle an.
Diese Maschine von hundertundzwanzig Pferdekraft mit oszillierenden Zylindern nahm wenig Raum ein: für ein Schiff von hundertundsiebzig Tonnen eine bedeutende Kraft. Da es zudem reichlich mit Segeln versehen war, so besaß es außerordentliche Schnelligkeit, wie die Probefahrten bewiesen.
Nachdem die Maschine an Bord war, begann das Einbringen der Vorräte; keine geringe Arbeit, denn das Schiff wurde auf sechs Jahre verproviantiert. Die Lebensmittel bestanden aus gesalzenem und getrocknetem Fleisch, geräuchertem Fisch, Zwieback und Mehl; Kaffee und Tee wurden lawinengleich in die unteren Räume gewälzt. Richard Shandon leitete die kostbare Befrachtung als ein Mann, der sich darauf verstand; alles wurde streng ordnungsgemäß paketiert, etikettiert, nummeriert; auch wurde ein großer Vorrat von dem indischen Präparat, Pemmican2 genannt, welches sehr nahrhafte Bestandteile enthält, mitgenommen.
Diese Gattung von Lebensmitteln ließ keinen Zweifel, dass es auf eine langandauernde Expedition abgesehen war; und ein kundiger Beobachter begriff auf den ersten Blick, dass diese in die Polarmeere gehen sollte, wenn er die Tonnen Lime-juice und Kalkpastillen, Packen von Senf, Sauerampferkörnern und Löffelkraut sah, die Menge von solchen Mitteln gegen den Skorbut, welche man bei den Fahrten in die nördlichen und südlichen Zonen so notwendig braucht. Shandon besorgte diesen Teil der Ladung mit ganz besonderer Sorgfalt.
Waffen wurden wenige mitgenommen, aber eine Kammer mit Pulver gefüllt, was beunruhigen konnte; denn die einzige Kanone an Bord konnte solches Bedürfnis nicht haben. Ebenso wurde für riesenhafte Sägen gesorgt und starke Werkzeuge, wie Hobel, bleierne Keulen, Handsägen, enorme Beile usw., dazu eine ansehnliche Menge Sprengzylinder, womit man das ganze Zollgebäude Liverpools in die Luft sprengen konnte, Raketen und Kunstfeuer zu Signalen, Fanale aller Art.
Die zahlreichen Zuschauer auf den Kais von New-Princes-Docks bewunderten ferner ein langes Walfischboot von Mahagoni, eine Pirogue von Blech mit Guttapercha3 bezogen, und eine Anzahl Halkett-boafs, Kautschuküberzüge, welche man durch Aufblasen in Canots verwandeln konnte. Jeder fühlte sich umso mehr beunruhigt, als mit der sinkenden Flut der Forward zu seiner geheimnisvollen Bestimmung abzufahren im Begriff war.
Kontor, Niederlassung eines Handelsunternehmens <<<
Mischung aus zerstoßenem Dörrfleisch und Fett, die die Indianer Nordamerikas als Reiseproviant und Notration nutzten. <<<
gummiartiger, kautschukähnlicher Naturstoff <<<
Das Schreiben, welches Richard Shandon acht Monate zuvor erhalten hatte, lautete wörtlich:
Aberdeen, den 2. August 1859.
»Herrn Richard Shandon, Liverpool.
Mein Herr!
Gegenwärtiges soll Sie in Kenntnis setzen, dass sechzehntausend Pfd. Sterling dem Bankhause Marcuart & Cie. in Liverpool zugestellt worden sind. Hier beifolgend eine Reihe von Anweisungen mit meiner Unterschrift, mit welchen Sie über Summen bis zu dem gedachten Betrag verfügen können.
Sie kennen mich nicht; darauf kommt wenig an. Ich kenne Sie, und das ist die Hauptsache.
Ich biete Ihnen die Stelle des Unterbefehlshabers an Bord der Brigg Forward zu einer Expedition, die lang und gefährlich sein kann.
Lehnen Sie ab, so ist’s nichts. Nehmen Sie an, so sollen Sie fünfhundert Pfund als Gehalt empfangen, und nach Verlauf jedes Jahres, solange die Unternehmung dauert, soll Ihr Gehalt um ein Zehntel erhöht werden.
Die Brigg Forward existiert noch nicht. Sie müssen sie noch bauen lassen, sodass sie spätestens zu Anfang April 1860 in die See stechen kann. Hierbei folgt ein detaillierter Plan mit Aufriss. Sie haben sich pünktlich daran zu halten. Das Schiff soll in den Werften der Herren Scott & Cie. gezimmert werden, mit welchen Sie sich darüber zu benehmen haben.
Ich empfehle Ihnen ganz besonders die Bemannung des Forward; sie wird bestehen aus einem Kapitän, der bin ich, einem Lieutenant, Sie, einem dritten Offizier, einem Rüstmeister, zwei Maschinisten, einem Eismeister, acht Matrosen und zwei Heizern, zusammen achtzehn Mann, inbegriffen den Doktor Clawbonny aus dieser Stadt, welcher zu gehöriger Zeit bei Ihnen erscheinen wird.
Die zur Teilnahme an der Expedition des Forward berufenen Leute müssen Engländer sein, frei, ohne Familie, unverheiratet, nüchtern (denn geistige Getränke und selbst Bier werden an Bord nicht geduldet), bereit alles zu unternehmen und alles zu ertragen. Sie werden dieselben vorzugsweise aus Leuten von sanguinischer Leibesbeschaffenheit wählen, welche eben deshalb das Lebensprinzip tierischer Wärme in höherem Grade in sich enthalten.
Sie bieten ihnen das Fünffache ihres gewöhnlichen Soldes, mit einer jährlichen Zulage von einem Zehntel. Bei Beendigung der Unternehmung werden jedem derselben fünfhundert Pfund zugesichert, und zweitausend Pfund Ihnen. Diese Gelder werden von den obgedachten Herren Marcuart & Cie. bezogen.
Diese Unternehmung wird lange dauern und voll Strapazen, aber ehrenvoll sein. Sie haben sich also nicht zu besinnen, Herr Shandon.
Antwort poste restante1 Göteborg (Schweden) unter K. Z.
P. S. Sie werden künftigen fünfzehnten Februar einen großen dänischen Hund mit herabhängenden Lefzen, schwärzlich fahl mit schwarzen Querstreifen empfangen. Sie wollen ihm an Bord eine Stätte anweisen und ihm Gerstenbrot vermischt mit Brühe von Talgbrot zum Futter geben. Den Empfang des Hundes melden Sie nach Livorno unter gleichen Buchstaben wie oben.
Der Kapitän des Forward wird zu passender Zeit sich einfinden und zu erkennen geben. Im Augenblick der Abfahrt werden Sie neue Instruktionen bekommen.
Der Kapitän des Forward
K. Z.«
postlagernd <<<
Richard Shandon war ein guter Seemann; er hatte lange Zeit Walfischfänger in den Nord-Polarmeeren kommandiert und dabei in ganz Lancaster einen fest begründeten Ruf gewonnen. Ein solcher Brief konnte mit Recht tiefen Eindruck machen; dies geschah denn auch bei ihm, doch blieb er kaltblütig.
Er befand sich zudem in den gewünschten Verhältnissen; weder Frau, noch Kinder, noch Verwandte; ein freier Mann, wie irgend einer. Da er also mit niemand zu beraten hatte, begab er sich stracks zu den Bankiers Marcuart & Cie.
»Wenn das Geld da ist«, sagte er sich, »kommt das übrige von selbst.«
Er wurde in dem Bankhause mit den Rücksichten empfangen, welche man einem Manne zollt, auf den sechzehntausend Pfund ruhig in einer Kasse warten. Als dieser Punkt im reinen war, ließ sich Shandon ein Blatt weißes Papier geben und meldete mit derber Seemannshandschrift seine Annahme unter der angegebenen Adresse.
Noch denselben Tag setzte er sich mit den Schiffbaumeistern zu Birkenhead in Verbindung, und vierundzwanzig Stunden nachher lag bereits der Kiel des Forward der Länge nach auf den Stapelblöcken des Zimmerplatzes.
Richard Shandon war ein Junggeselle von vierzig Jahren, kräftig, energisch und tapfer, drei Vorzüge eines Seemanns, denn sie verleihen Zuversicht, Nachdruck und Kaltblütigkeit. Er war als ein eifersüchtiger und schwer zu befriedigender Charakter bekannt, daher auch nie von seinen Matrosen geliebt, vielmehr gefürchtet. Dieser Ruf ging übrigens nicht soweit, dass er ihm Mühe verursacht hätte, seine Mannschaft zusammenzubringen, denn man wusste, dass er gewandt sich aus der Not herauszuziehen vermochte.
Shandon besorgte, die geheimnisvolle Seite möge geeignet sein, ihn in seinem Vorgehen zu hemmen.
»So ist’s denn auch am besten«, sagte er sich, »nichts laut werden zu lassen; es gibt Seehunde, die möchten auch das Weil und Warum der Sache wissen, und da ich nichts weiß, so wäre ich sehr in Verlegenheit, ihnen zu antworten. Dieser K. Z. ist sicher ein sonderlicher Geselle; aber schließlich kennt er mich und rechnet auf mich: Das genügt. Sein Schiff soll hübsch hergerichtet werden, und ich will nicht Richard Shandon heißen, wenn es nicht die Bestimmung hat, das Eismeer zu befahren. Aber das wollen wir unter uns behalten.«
Darauf ließ sich Shandon angelegen sein, seine Mannschaft aufzubringen, und zwar genau unter den vom Kapitän vorgeschriebenen Bedingungen.
Er kannte einen wackeren, sehr ergebenen Burschen, der ein guter Seemann war, James Wall mit Namen. Derselbe mochte dreißig Jahre alt sein und hatte schon mehrmals die nördlichen Meere besucht. Shandon bot ihm die Stelle eines dritten Offiziers an, und James Wall nahm ohne weiteres an; es war ihm nur um die Fahrt zu tun. Shandon setzte ihm die Sache im Detail auseinander, und ebenso einem gewissen Johnson, den er zu seinem Rüstmeister machte.
»Ein groß’ Glück ist’s nicht«, erwiderte James; »so viel wert als sonst etwas. Handelt sich’s darum, die nordwestliche Durchfahrt zu suchen, so kann man wieder heimkehren.«
»Nicht immer«, erwiderte Meister Johnson; »aber es ist das doch kein Grund, um die Fahrt nicht zu machen.«
»Übrigens, irren wir nicht in unsern Vermutungen«, fuhr Shandon fort, »so muss man zugeben, dass die Fahrt unter günstigen Umständen vor sich geht. Der Forward wird ein vorzügliches Schiff sein, und mit einer guten Maschine versehen kann er weit fahren. Wir brauchen nur achtzehn Mann im ganzen.«
»Achtzehn Mann«, versetzte Meister Johnson; »so viel hatte der Amerikaner Kane an Bord, als er seine berühmte Fahrt nach dem Pol unternahm.«
»Es ist immer höchst auffallend«, fuhr Wall fort, »dass ein Privatmann noch einmal den Versuch macht, durch das Meer von der Davis- zur Behrings-Straße zu dringen. Die zum Auffinden des Admirals Franklin ausgeschickten Expeditionen haben England schon über siebenhundertundsechzigtausend Pfund gekostet, ohne zu irgendeinem praktischen Resultat zu führen! Wer zum Teufel kann nochmals sein Vermögen an eine solche Unternehmung setzen?«
»Vor allem, James«, erwiderte Shandon, »räsonieren wir über eine bloße Vermutung. Ob wir wirklich in die nördlichen oder südlichen Polarmeere fahren werden, weiß ich nicht. Vielleicht handelt sich’s darum, eine neue Entdeckung zu versuchen. Übrigens soll über kurz oder lang ein gewisser Doktor Clawbonny sich einfinden, der wird ohne Zweifel mehr davon wissen und Auftrag haben, uns darüber zu unterweisen. Werden schon sehen.«
»So warten wir also ab«, sagte Meister Johnson. »Ich meinesteils will nun tüchtige Untergebene aufsuchen, Kommandant, und was ihr Prinzip der Lebenswärme, wie der Kapitän sagt, betrifft, so will ich zum voraus dafür einstehen. Sie können sich auf mich verlassen.«
Dieser Johnson war ein sehr schätzbarer Mann; er war mit der Schifffahrt in den hohen Breitengraden vertraut. Er hatte sich als Quartiermeister an Bord des Phönix befunden, welcher zu den im Jahre 1853 zum Aufsuchen Franklins entsendeten Expeditionen gehörte; dieser wackere Seemann war sogar beim Tod des französischen Lieutenants Bellot zugegen, welchen er bei seiner Fahrt durch die Eisberge begleitete. Johnson kannte das Matrosenpersonal zu Liverpool, und machte sich sogleich ans Werk, seine Leute zusammenzubringen.
Shandon, Wall und er hatten solchen Erfolg, dass schon in den ersten Dezembertagen ihre Mannschaft vollständig beisammen war; doch ging es nicht ohne Schwierigkeiten ab; viele, die wohl durch die hohe Löhnung sich anlocken ließen, wurden doch durch die unbestimmte Zukunft der Expedition abgeschreckt, und mancher ließ sich zwar entschlossen anwerben, kam aber nach einiger Zeit wieder, um sein Wort und Draufgeld zurückzugeben. Alle versuchten übrigens durch das Geheimnis zu dringen, und drängten den Kommandanten Richard mit Fragen; derselbe verwies sie an Meister Johnson.
»Was willst du, dass ich dir sagen soll, mein Freund!« erwiderte der letztere unabänderlich. »Ich weiß nicht mehr als du. Jedenfalls wirst du dich in guter Kameradschaft befinden mit unerschrockenen Gesellen, die nicht wanken; das ist schon etwas! Also nicht so viel Bedenken! Es gilt annehmen oder lassen!«
Und die meisten nahmen an.
»Du begreifst wohl«, fügte manchmal der Rüstmeister bei, »dass mir die Wahl wehe tut. Eine so hohe Löhnung, wie man sie noch niemals erlebt hat, mit der Gewissheit, bei seiner Rückkehr ein hübsches Kapital beisammen zu haben, so etwas kann doch wohl anziehen.«
»Allerdings«, erwiderten die Matrosen, »das ist sehr verführerisch! Ein gutes Auskommen bis ans Ende seiner Tage!«
»Ich will indes nicht verhehlen«, fuhr dann Johnson fort, »dass die Unternehmung langwierig, mühevoll und gefährlich ist; das steht ausdrücklich in unseren Instruktionen; also muss man sich wohl merken, wozu man sich verbindlich macht; sehr wahrscheinlich, alles Menschenmögliche zu versuchen und vielleicht noch mehr! Also hast du nicht Mut im Herzen, einen erprobten Charakter, hast du nicht den Teufel im Leibe, magst du dir nicht sagen, dass zwanzig gegen eins du dabeibleiben kannst, kurz, ist es dir darum zu tun, dass du deine Haut lieber an dem Ort lässest, wie an einem anderen – so kehre mir den Rücken und überlass deinen Platz einem kühneren Gesellen!«
»Aber doch, Meister Johnson«, fuhr der Matrose, wenn ihm so zugesetzt wurde, fort, »Sie kennen doch wenigstens den Kapitän?«
»Kapitän ist Freund Richard Shandon, bis dass ein anderer an seine Stelle tritt.«
Das war auch wohl die Meinung des Kommandanten; er gab sich gern der Idee hin, dass er im letzten Moment seine genauen Instruktionen über das Reiseziel erhalten und dann Chef an Bord des Forward bleiben werde. Er verbreitete auch gern diese Meinung, sei’s im Gespräch mit seinen Offizieren, sei’s im Verlauf der Schiffbauarbeiten.
Shandon und Johnson hielten sich strenge an die hinsichtlich der Gesundheit der Mannschaft gegebenen Vorschriften; dieselbe hatte ein befriedigendes Aussehen; ihre elastischen Glieder, ihre klare und blühende Hautfarbe zeigte, dass sie die strengste Kälte auszuhalten fähig waren. Es waren zuversichtliche und entschlossene Männer, energisch und von dauerhafter Leibesbeschaffenheit.
Matrosenunterhaltung über den Forward
Die gesamte Mannschaft gehörte dem protestantischen Religionsbekenntnis an; das gemeinsame Gebet, das Bibellesen trägt oft dazu bei, widerwärtige Gemüter in Eintracht zu halten und zurzeit der Entmutigung aufzurichten. Shandon wusste aus Erfahrung, wie ersprießlich diese Gewohnheiten in ihrem Einfluss auf die Sittlichkeit einer Mannschaft sind.
Hierauf besorgten Shandon und seine beiden Offiziere die Verproviantierung, wobei sie sich streng an die Instruktionen des Kapitäns hielten, welche klar, präzis und ins einzelne gehend waren und die Quantität wie Qualität der geringsten Artikel vorschrieben. Die empfangenen Anweisungen setzten den Kommandanten instand, jeden Artikel bar zu bezahlen, mit einem Diskont von acht Prozent, welchen Richard Shandon pünktlich zugunsten des K. Z. eintrug.
Mannschaft, Proviant, Ladung, alles war im Januar 1860 bereit und fertig. Shandon fand sich tagtäglich zu Birkenhead ein.
Am 23. Januar vormittags befand er sich seiner Gewohnheit nach auf einer der breiten Dampfbarken, welche an beiden Enden mit einem Steuer versehen unablässig die Überfahrt von einem Ufer der Mersey ans andere besorgen; es herrschte damals einer der gewöhnlichen Nebel, welcher die Bootsleute des Flusses nötigte, sich des Kompasses zu bedienen, obwohl die Überfahrt kaum zehn Minuten währt.
Indessen, so dick dieser Nebel war, sah Shandon durch denselben hindurch einen Mann von untersetzter Statur, etwas dick, mit feinen, munteren Gesichtszügen und freundlichem Blick, der auf ihn zuging, seine beiden Hände ergriff und mit einer Wärme und Vertraulichkeit schüttelte, die, wie die Franzosen sich ausdrücken »ganz südlich« war.
Ankunft des Doktor Clawbonny
Aber war dieser Mann auch nicht aus dem Süden, so kam er doch eben von dort; er sprach und gestikulierte flink; sein Gedanke machte sich Luft um jeden Preis; seine Augen, klein wie die eines Mannes von Geist, sein großer, beweglicher Mund gaben der Überfülle des Inneren einen Ausweg; er sprach so viel und so lebhaft, dass Shandon, offen gestanden, nichts davon verstand.
Doch erkannte der Schiffslieutenant sogleich den kleinen Mann, obschon er ihn nie gesehen hatte; und als dieser einmal Atem holte, äußerte Shandon:
»Der Doktor Clawbonny?«
»Er selbst, in eigner Person, Kommandant! Seit einer vollen Viertelstunde suche ich Sie, frage allerwärts nach Ihnen! Sie sind es also, Kommandant Richard Shandon? Sie sind’s leibhaftig? Keine Mythe also? Ihre Hand, Ihre Hand! Dass ich sie nochmals drücke. Wenn es nun einen Kommandanten Richard Shandon gibt, so gibt es auch eine Brigg Forward unter seinem Befehl; und wenn er abfährt, wird er den Doktor Clawbonny mitnehmen.«
»Jawohl, Doktor, ich bin Richard Shandon, es existiert eine Brigg Forward, die wird abfahren!«
»Das ist logisch«, erwiderte der Doktor. »Darum bin ich auch so froh, auf der Höhe meiner Wünsche! Seit langer Zeit wartete ich auf eine solche Gelegenheit voll Sehnsucht, eine solche Reise zu machen. Nun, mit Ihnen, Kommandant …«
»Gestatten Sie …« sagte Shandon.
»Mit Ihnen«, fuhr Clawbonny fort, ohne ihn zu hören, »werden wir gewiss weit fahren, und keinen Fußbreit weichen.«
»Aber …« versetzte Shandon.
»Denn Sie haben schon Proben abgelegt, Kommandant, und ich weiß, was Sie geleistet haben. Ah! Sie sind ein stolzer Seemann!«
»Wollen Sie die Güte haben …«
»Nein, ich will Ihre Kühnheit, Ihre Tapferkeit und Geschicklichkeit nicht einen Augenblick in Zweifel gezogen haben, nicht einmal von Ihnen! Der Kapitän, der Sie zu seinem Stellvertreter gewählt hat, versteht sich darauf, dafür bürg’ ich!«
»Aber darum handelt sich’s nicht«, sagte Shandon ungeduldig.
»Und warum handelt sich’s denn? Sie lassen mich lange schmachten.«
»Sie lassen mich ja nicht reden, zum Henker! Sagen Sie mir nur freundlicherweise, Doktor, wie sind Sie dazu gebracht worden, an der Expedition des Forward teilzunehmen?«
»Nur durch einen Brief, den ich hier Ihnen vorweise; er ist sehr lakonisch, aber hinreichend!«
Mit diesen Worten überreichte er Shandon das Schreiben, welches also lautete:
»Inverneß, den 22. Januar 1860.
An den Doktor Clawbonny, Liverpool.
Wenn der Doktor Clawbonny sich für eine lange dauernde Expedition auf dem Forward einschiffen will, kann er sich dem Kommandanten Richard Shandon vorstellen, welcher dafür instruiert ist.
Der Kapitän des Forward.
K. Z.«
»Der Brief ist diesen Vormittag angekommen, und ich bin schon bereit, an Bord des Forward zu gehen.«
»Aber doch«, fuhr Shandon fort, »wissen Sie, Doktor, worin der Zweck dieser Reise besteht?«
»Durchaus nicht; aber was liegt daran? Gehe ich nur irgendwohin. Man nennt mich einen Gelehrten; der bin ich nicht, Kommandant, ich weiß nichts, und wenn ich einige Bücher schrieb, die Absatz finden, so tat ich nicht wohl daran, das Publikum ist wohl so gütig, sie zu kaufen. Ich weiß nichts, sag’ ich Ihnen; nur das weiß ich, dass ich nichts weiß. Nun bietet man mir an, meine Kenntnisse zu vervollständigen, oder, besser gesagt, mir erst Kenntnisse zu erwerben in Medizin, Chirurgie, Geschichte, Geografie, Botanik, Mineralogie, Konchyliologie,1 Geodäsie,2 Chemie, Physik, Mechanik, Hydrografie. Nun, ich nahm’s an und versichere Sie, dass ich mich nicht bitten lasse!«
»So wissen Sie also nicht«, fuhr Shandon verdrießlich fort, »wohin der Forward gehen soll?«
»O ja, Kommandant, er fährt dahin, wo es etwas zu lernen, zu entdecken, sich zu belehren, zu vergleichen gibt, wo man andere Sitten, andere Länder, andere Völker trifft, um sie bei ihren Verrichtungen zu studieren; er fährt, mit einem Wort, dahin, wo ich noch niemals gewesen bin.«
»Aber spezieller?« rief Shandon.
»Spezieller«, erwiderte der Doktor, »ich hörte sagen, er fahre in die Nordmeere. Gut, ich bin es zufrieden nach Norden!«
»Sie kennen doch«, fragte Shandon, »den Kapitän des Schiffes?«
»Im mindesten nicht! Aber, Sie dürfen mir’s glauben, ’s ist ein wackerer Mann!«
Als der Kommandant und der Doktor zu Birkenhead ausgestiegen waren, machte jener diesen mit der Sachlage bekannt, und dieses Geheimnis entzündete die Fantasie des Doktors. Beim Anblick der Brigg war er über die Maßen erfreut. Seit diesem Tag wich er Shandon nicht von der Seite und besuchte jeden Morgen den Rumpf des Forward.
Auch wurde er besonders beauftragt, die Einrichtung der Pharmazie an Bord zu überwachen.
Denn dieser Clawbonny war Arzt, und sogar ein guter Arzt, aber mit wenig Praxis. Im fünfundzwanzigsten Jahre ein Doktor wie alle anderen, war er im vierzigsten ein echter Gelehrter; sehr gekannt in der ganzen Stadt, wurde er ein einflussreiches Mitglied der literarischen und philosophischen Gesellschaft zu Liverpool. Sein kleines Vermögen gestattete ihm, unentgeltlich Rat zu erteilen, der darum nicht minder Wert hatte; geliebt, wie es einem ausnehmend liebenswürdigen Mann gebührte, fügte er nie jemand ein Leid zu, nicht einmal sich selber; lebhaft und redselig, wenn man will, aber das Herz in der Hand, reichte er diese jedermann.
Als sich in der Stadt das Gerücht von seiner Aufnahme an Bord des Forward verbreitete, boten seine Freunde alles auf, ihn zurückzuhalten; aber das bestärkte ihn nur umso mehr in seinem Vorhaben. Wenn aber der Doktor irgendwo Wurzel gefasst hatte, gehörte viel dazu, um ihn wieder von diesem Boden auszureißen!
Von diesem Tage an nahmen die Vermutungen und Befürchtungen in steigendem Maße zu; aber das hinderte nicht, dass der Forward am 5. Februar 1860 vom Stapel lief. Zwei Monate später war er zum Auslaufen bereit.
Am 15. Februar, wie das Schreiben des Kapitäns angekündigt hatte, wurde auf der Eisenbahn von Edinburgh nach Liverpool ein Hund dänischer Rasse an Richard Shandon überschickt.
Das Tier schien tückisch, scheu, selbst ein wenig schlimm, mit einem eigentümlichen Blick. Auf seinem kupfernen Halsband war die Inschrift Forward. Der Kommandant wies ihm sogleich an Bord seine Stätte an und meldete den Empfang unter den angegebenen Buchstaben an Livorno.
So war also bis auf den Kapitän die Bemannung vollständig. Sie bestand aus:
1. K. Z., Kapitän; 2. Richard Shandon, Kommandant; 3. James Wall, dritter Offizier; 4. Doktor Clawbonny; 5. Johnson, Rüstmeister; 6. Simpson, Harpunier; 7. Bell, Zimmermann; 8. Prunton, erster Maschinist; 9. Plover, zweiter Maschinist; 10. Strong (Neger), Koch; 11. Foker, Eismeister; 12. Wolsten, Waffenschmied; 13. Bolton, Matrose; 14. Garry, Matrose; 15. Clifton, Matrose; 16. Gripper, Matrose; 17. Pen, Matrose; 18. Waren, Heizer.
Wissenschaft der Untersuchung von Weichtierschalen <<<
Wissenschaft von der Vermessung der Erde <<<
Mit dem 5. April war der zur Abfahrt bestimmte Tag erschienen. Die Aufnahme des Doktors an Bord beruhigte ein wenig die Gemüter. Wohin der würdige Gelehrte zu gehen sich entschloss, konnte man getrost auch gehen. Doch waren die meisten Matrosen etwas unruhig, und Shandon, in Besorgnis, es möchten einige ausreißen, wünschte lebhaft auf hoher See zu sein. War einmal die Küste außer Sicht, so würde die Mannschaft sich darein ergeben.
Die Kabine des Doktor Clawbonny lag im Hintergrund des Hüttendecks und nahm die ganze Rückseite des Schiffes ein. Die Kabinen des Kapitäns und des Schiffslieutenants, welche mehr zurückstanden, hatten eine Aussicht aufs Verdeck. Die des Kapitäns blieb, nachdem sie mit verschiedenen Instrumenten, Möbeln, Reisekleidern, Büchern, Kleidern zum Wechseln und Gerätschaften nach detaillierter Angabe ausgestattet worden, hermetisch verschlossen. Nach Weisung des Unbekannten wurde der Schlüssel zu dieser Kabine ihm nach Lübeck adressiert zugeschickt; er hatte also allein Zutritt zu seinem Gemach.
Diese Bestimmungen waren Shandon nicht nach dem Sinn und nahmen ihm viel Aussicht auf sein Oberkommando. Seine eigene Kabine hatte er vollständig nach den Bedürfnissen der projektierten Reise eingerichtet, da ihm die Erfordernisse für eine Polarexpedition gründlich bekannt waren.
Das Zimmer des dritten Offiziers lag innerhalb des falschen Verdecks, welches ein geräumiges Schlafgemach für die Matrosen bildete; die Leute hatten es hier sehr gemächlich, und sie hätten schwerlich an Bord eines anderen Schiffes eine so bequeme Einrichtung getroffen. Man bewies ihnen eine Sorgfalt, wie einer Ladung von Wert; ein geräumiger Ofen nahm die Mitte des gemeinsamen Saales ein.
Der Doktor Clawbonny fand alles nach Wunsch, er hatte seit dem 6. Februar, dem Tage nach dem Stapellassen des Forward, seine Kabine in Besitz genommen und wie ein Kind Vergnügen daran gefunden, sein wissenschaftliches Gepäck in Ordnung zu bringen. Seine Bücher, Herbarien, Messinstrumente, physikalischen Apparate, seine Sammlung von Thermometer, Barometer, Hygrometer, seine Brillen, Kompasse, Sextanten, Karten, Pläne, die Fiolen, Pulver, Fläschchen seiner sehr vollständigen Reiseapotheke, alles dies war dermaßen geordnet, dass es hätte das British Museum beschämen können. Dieser Raum von sechs Quadratfuß enthielt schätzbare Reichtümer.
Er war stolz auf diese Ausstattung und glücklich in seinem schwimmenden Heiligtume, das leider so eng war, dass es seine zum Besuch hinströmenden Freunde nicht aufnehmen konnte.
Zur vollständigen Beschreibung der Einrichtung des Forward habe ich noch beizufügen, dass die Lagerstätte des Hundes dicht unter dem Fenster der geheimnisvollen Kabine angebracht war; aber ihr wilder Bewohner zog vor, in den Gängen oder dem untersten Schiffsraum umherzustreifen, und bei Nacht hörte man ihn jämmerlich heulen, dass es in den leeren Räumen des Fahrzeugs in unheimlicher Weise widerhallte.
Tat er dies aus Sehnsucht nach seinem abwesenden Herrn oder aus innerem Vorgefühl drohender Gefahren? Die Matrosen waren geneigt, das letztere zu glauben.
Der Doktor Clawbonny, dessen Sanftmut und Liebkosungen einen Tiger zähmen konnten, bemühte sich vergebens um die Gunst dieses Hundes; er verlor Zeit und Mühe.
Da dieses Tier übrigens auf keinen der Namen hörte, welche sich im Hundekalender verzeichnet finden, so kamen die Leute an Bord zuletzt darauf, ihn Kapitän zu nennen, denn er schien die Gebräuche an Bord völlig zu kennen. Offenbar hatte er schon Seereisen gemacht.
Unter den gegebenen Umständen war Richard Shandon nicht ohne Unruhe und sprach diese am Abend vor der Abreise, dem 5. April, in seiner Unterhaltung mit dem Doktor, Wall und Johnson aus.
Diese vier befanden sich im Versammlungszimmer des Hüttendecks beim zehnten Gläschen Grog, ihrem letzten ohne Zweifel, da nach den Vorschriften des Schreibens aus Aberdeen die ganze Mannschaft, vom Kapitän bis zum Heizer an Bord, weder Wein, noch Bier oder geistige Getränke bekommen sollten, außer im Krankheitsfall auf Anordnung des Arztes.
Seit einer Stunde sprach man von nichts als der bevorstehenden Abreise. Den Instruktionen des Kapitäns nach musste Shandon morgen ein Schreiben mit den letzten Anordnungen erhalten.
»Wenn dies Schreiben«, sagte der Kommandant, »mir nicht den Namen des Kapitäns angibt, muss es uns wenigstens den Bestimmungsort des Schiffes melden. Wohinaus soll man sonst steuern?«
»Wahrhaftig«, erwiderte der ungeduldige Doktor, »an Ihrer Stelle würde ich selbst ohne den Brief abreisen; er würde uns wohl einzuholen verstehen, denk’ ich.«
»Sie haben keine Vermutung darüber, Doktor! Aber in welcher Richtung würden Sie steuern, wenn es beliebt?«
»Nach dem Nordpol zu, offenbar! Das versteht sich ja ohne allen Zweifel.«
»Ohne allen Zweifel!« entgegnete Wall. »Und warum nicht nach dem Südpol?«
»Nach dem Südpol«, schrie der Doktor, »gewiss nicht!«
»Sollte der Kapitän den Gedanken haben, mit einer Brigg durch den ganzen Atlantischen Ozean zu fahren! Denken Sie doch einmal daran, lieber Wall.«
»Der Doktor hat auf alles eine Antwort«, erwiderte letzterer.
»Gut, also nach Norden«, fuhr Shandon fort. »Aber, sagen Sie mir, Doktor, meinen Sie nach Spitzbergen? Grönland? Labrador? Oder die Hudsonbai? Führen diese verschiedenen Wege auch alle zu demselben Ziel, der undurchdringlichen Eisdecke, so wäre ich doch sehr in Verlegenheit, mich für einen oder den anderen derselben zu entscheiden. Können Sie mir darüber eine entschiedene Antwort geben, Doktor?«
»Nein«, erwiderte dieser in Verlegenheit, »aber schließlich, was wollen Sie tun, wenn Sie kein Schreiben erhalten?«
»Nichts; abwarten.«
»Abfahren nicht?« rief Clawbonny und schwang sein Glas in Verzweiflung.
»Allerdings nicht.«
»Das ist das Gescheiteste«, erwiderte Meister Johnson gelassen, während der Doktor, der an seinem Platz keine Ruhe hatte, um den Tisch herumspazierte. »Ja, das Gescheiteste; doch kann ein zu langes Abwarten missliche Folgen haben: Erstlich, die Witterung ist gut, und wenn es nach Norden zu geht, müssen wir den Eisbruch benutzen, um durch die Davis-Straße zu fahren; überdies wird die Mannschaft immer unruhiger; unsere Leute werden durch ihre Freunde und Kameraden veranlasst, den Forward zu verlassen, und ihr Einfluss könnte uns einen schlimmen Streich spielen.«
»Man muss weiter annehmen«, fuhr James Wall fort, »dass, wenn eine Panik einträte, die Matrosen bis zum letzten Mann ausreißen würden; und ich weiß nicht, Kommandant, ob es Ihnen gelingen würde, Ihre Mannschaft von Neuem aufzubringen.«
Clawbonny in seiner Cabine
»Aber was anfangen?« schrie Shandon.
»Was Sie gesagt haben«, versetzte der Doktor: »Abwarten, aber nur bis morgen, ehe man den Mut sinken lässt. Die Versprechungen des Kapitäns sind bisher mit einer Regelmäßigkeit erfüllt worden, die eine gute Bürgschaft ist; man hat also keinen Grund zu glauben, dass wir nicht zu richtiger Zeit über unsere Bestimmung werden in Kenntnis gesetzt werden; ich zweifle keinen Augenblick, dass wir morgen auf dem Irländischen Meere fahren; dazu, meine Freunde, schlage ich ein letztes Glas vor auf unsere glückliche Reise; sie beginnt zwar auf eine etwas unklare Weise, aber mit Seeleuten wie Ihnen gibt es tausend Wege zum guten Ende.«
Und alle vier stießen zum letzten Mal an.
»Jetzt, Kommandant«, fuhr Meister Johnson fort, »darf ich Ihnen einen Rat geben, so besteht er darin: Sie treffen alle Vorbereitungen zur Abfahrt: die Mannschaft muss Sie ganz sicher wissen. Morgen, mag ein Brief kommen oder nicht, machen Sie segelfertig, zu heizen ist noch nicht nötig; es sieht aus, als wolle der Wind gut halten, und es ist leicht, die hohe See zu gewinnen; der Lotse komme an Bord; zurzeit der Flut verlassen Sie die Docks und ankern draußen vor der Spitze von Birkenhead; dann haben unsere Leute mit dem Lande keine Verbindung mehr, und wenn der verteufelte Brief endlich kommt, wird er uns dort finden, wie anderwärts.«
»Brav gesprochen, wackerer Johnson!« sagte der Doktor und reichte dem alten Seemann die Hand.
»So wollen wir es machen!« erwiderte Shandon.
Jeder begab sich dann in seine Kabine und erwartete in unruhigem Schlaf den Sonnenaufgang.
Am folgenden Morgen fand sich bei den ersten Briefabgaben in der Stadt nicht ein einziger an den Kommandanten Richard Shandon.
Demungeachtet machte dieser seine Vorbereitungen zur Abfahrt; das Gerücht davon verbreitete sich sogleich in Liverpool, und es strömte eine außerordentliche Menge von Zuschauern auf die Kais von New-Princes-Docks.
Es kamen viele derselben an Bord der Brigg, dieser, um von einem Kameraden Abschied zu nehmen, jener um einem Freund abzuraten, ein anderer, um sich das seltsame Schiff zu besehen, wieder ein anderer, um den Zweck der Reise zu erfahren, und man murrte, als man den Kommandanten schweigsamer und rückhaltender sah wie jemals.
Dafür hatte er wohl seine Gründe.
Es schlug zehn Uhr; elf sogar. Gegen ein Uhr nachmittags sollte die Flut fallen. Shandon warf vom Hüttendeck aus einen unruhigen Blick auf die Menge; die Matrosen vollzogen schweigend seine Befehle, stets die Augen auf ihn gerichtet, in Erwartung einer Mitteilung, welche ausblieb.
Meister Johnson machte segelfertig; es war bedeckter Himmel, und vor den Bassins draußen ging die See sehr hohl; es wehte ein ziemlich starker Südost, doch konnte man leicht aus der Mersey herauskommen.
Um zwölf Uhr noch nichts. Der Doktor Clawbonny ging unruhig auf und ab, lorgnettierte,1 gestikulierte. Er fühlte sich aufgeregt, was er auch tun mochte. Shandon biss sich die Lippen blutig.
Jetzt trat Johnson heran und sagte zu ihm:
»Kommandant, wollen wir die Flut benutzen, so dürfen wir keine Zeit verlieren; vor Ablauf einer guten Stunde kommen wir nicht aus den Docks heraus.«
Shandon blickte noch einmal umher und sah auf seine Uhr. Die Zeit der Briefausgabe zu Mittag war vorüber.
»Wohlan denn!« sagte er zu seinem Rüstmeister.
Dieser rief den Zuschauern zu, das Verdeck zu räumen.
Es entstand eine rege Bewegung, indem die einen auf den Kai eilten, die anderen die Taue lösten.
In der Verwirrung, da die Matrosen ohne viel Rücksicht die Neugierigen wegtrieben, hörte man den Hund heulen.
Abfahrt des Forward
Dies Tier sprang auf einmal vom Vorderkastell mitten durch die dichte Menge. Man wich ihm aus; er sprang auf das Hüttendeck, und – tausend Zeugen sahen es – der Kapitän Hund hielt zwischen den Zähnen einen Brief.
»Ein Brief!« rief Shandon. »Aber da ist er ja an Bord?«
»Da gewesen ist er ohne Zweifel, aber nun ist er nicht mehr da«, erwiderte Johnson und zeigte auf das nun völlig geräumte Verdeck.
»Kapitän! Kapitän! Ici!«2 rief der Doktor und versuchte den Brief zu nehmen, aber der Hund wich ihm aus mit lebhaften Sprüngen. Es schien, er wolle seine Botschaft nur Shandon selbst einhändigen.
»Kapitän, ici!« rief dieser.
Der Hund kam herbei; Shandon nahm ihm den Brief ab, und Kapitän bellte dreimal laut beim tiefen Schweigen der Menge.
Shandon zögerte den Brief zu öffnen.
»Ei, so lesen Sie doch! Lesen Sie!« rief der Doktor. Shandon sah ihn an. Die Adresse, ohne Ort und Datum lautete:
»An den Kommandanten Richard Shandon, an Bord der Brigg Forward.«
Shandon öffnete und las:
»Sie fahren nach dem Kap Farewell zu. Am 20. April werden Sie dort eintreffen. Wenn der Kapitän sich da nicht an Bord einfindet, fahren Sie durch die Davis-Straße und das Baffins-3 Meer hinauf bis zur Melville-Bai.
Der Kapitän des Forward.
K. Z.«
Shandon legte den lakonischen Brief sorgfältig zusammen, steckte ihn in seine Tasche und gab Befehl zur Abfahrt. Seine im Pfeifen des Ostwindes hallende Stimme hatte etwas Feierliches.
Bald war der Forward aus den Bassins heraus und fuhr, von einem Lotsen aus Liverpool geleitet, die Strömung des Mersey. Die Menge stürzte auf den äußeren Kai längs der Docks Victoria, um das seltsame Schiff noch einmal zu sehen. Die Mastbäume waren rasch aufgerichtet, die Segel aufgehisst, und mit deren Beistand fuhr der Forward, nachdem er um die Spitze Birkenhead gebogen, äußerst schnell ins Irländische Meer.
durch die Lorgnette betrachten: scharf ansehen, genau beobachten <<<
Hierher <<<
Die Baffin Bay, Baffin-Bucht oder Baffinbai ist ein nördliches Randmeer des Atlantischen Ozeans. <<<
Der Wind war ungleich, doch günstig, mit starken Aprilstößen. Der Forward durchschnitt rasch das Meer, und seine Schraube beseitigte jedes Hindernis. Gegen drei Uhr kreuzte er mit dem Postdampfer zwischen Liverpool und der Insel Man. Der Kapitän rief ihn von seinem Bord aus an, das letzte Lebewohl, welches die Mannschaft des Forward zu hören bekam.
Um fünf Uhr gab der Pilot die Leitung des Schiffes an Richard Shandon zurück, und sein Kutter1 verschwand bald im Südwest.
Gegen Abend fuhr die Brigg um das Südende der Insel Man. Während der Nacht ging das Meer sehr hohl; der Forward hielt sich gut, ließ die Spitze von Ayr nordwestlich und steuerte dem Nord-Kanal zu.
Johnson hatte recht; auf dem Meer gewann bei den Matrosen die Liebe zur See die Oberhand. Beim Anblick der Trefflichkeit des Fahrzeugs vergaßen sie das Besorgliche ihrer Lage. Das Leben an Bord gestaltete sich regelmäßig.
Der Doktor schlürfte mit größtem Behagen die Seeluft; er ging kräftigen Schrittes allen Windstößen entgegen, für einen Gelehrten auf ziemlich seemännischem Fuß.
»Das Meer ist doch etwas Herrliches«, sagte er zu Meister Johnson, als er nach dem Frühstück wieder auf das Verdeck sich begab. »Ich mache mich etwas spät mit demselben vertraut, aber ich werde mich bald darein finden.«
»Sie haben recht, Herr Clawbonny; ich gäbe alle Kontinente der Welt für ein Stückchen Ozean. Man behauptet, die Seeleute würden bald ihr Geschäft müde; nun bin ich schon vierzig Jahre Seefahrer, und dies Leben gefällt mir noch so gut wie am ersten Tag.«
»Es ist doch eine wahre Lust, ein gutes Schiff unter den Füßen zu haben, und irre ich nicht, so hält sich der Forward trefflich.«
»Sie urteilen richtig, Doktor«, erwiderte Shandon, der zu den beiden hinzutrat, »’s ist ein trefflich Fahrzeug, und ich sage offen, noch nie ist ein für die Fahrt ins Eismeer bestimmtes Schiff besser versehen und bemannt gewesen. Das erinnert mich, wie vor dreißig Jahren der Kapitän James Ross,2 als er die nordwestliche Durchfahrt suchte …«
»Er fuhr auf der Victoria«, sagte lebhaft der Doktor, »einer Brigg von etwa gleichem Tonnengehalt wie die unsrige, und ebenfalls mit einer Dampfmaschine.«
»Wie? Das wissen Sie?«
»Urteilen Sie selbst«, fuhr der Doktor fort, »damals waren die Maschinen noch in ihrer Kindheit, und die der Victoria verursachte derselben mehr wie eine nachteilige Verzögerung: Nachdem der Kapitän Ross sie Stück für Stück vergeblich repariert hatte, ließ er sie zuletzt auseinandernehmen und gab sie bei seinem ersten Winteraufenthalt auf.«
»Teufel!« rief Shandon, »Sie wissen es genau, sehe ich!«
»Was meinen Sie?« fuhr der Doktor fort. »Das hat man vom Lesen. Ich habe die Werke von Parry, Ross, Franklin, die Berichte von Mac Clure, Kennedy, Kane, Mac Clintock gelesen, und es ist dabei etwas an mir hängengeblieben. Ich sage weiter, dass dieser nämliche Mac Clintock an Bord des Fox, einer Schraubenbrigg, wie die unsrige, leichter und direkter zum Ziel gelangte, als alle seine Vorgänger.«
»Sie haben vollkommen recht«, erwiderte Shandon, »dieser Mac Clintock ist ein kühner Seemann; ich hab’ ihn bei der Arbeit gesehen. Sie können beifügen, dass wir uns gleich ihm schon im April in der Davis-Straße befinden werden, und wenn es uns gelingt, zwischen den Eisblöcken durchzudringen, so wird das unserer Reise einen bedeutenden Vorschub geben.«
»Sofern nicht«, entgegnete der Doktor, »es uns geht wie dem Fox im Jahre 1857, dass wir gleich im ersten Jahre zwischen den Eisblöcken des nördlichen Baffins-Meeres steckenbleiben und mitten in der Eisdecke überwintern müssen.«
»Wir müssen hoffen, dass wir glücklicher sein werden, Herr Shandon«, erwiderte Johnson, »und wenn man mit einem Fahrzeug wie dem Forward nicht dringen kann, wohin man will, muss man es ganz aufgeben.«
»Übrigens«, fuhr der Doktor fort, »wenn der Kapitän an Bord ist, wird er besser als wir wissen, was zu tun ist, und umso mehr, als es uns vollständig unbekannt ist; denn aus seinem gar zu lakonischen Briefe können wir den Reisezweck nicht erraten.«
»Es ist schon viel wert«, erwiderte Shandon lebhaft, »dass wir wissen, welchen Weg wir zu nehmen haben; und jetzt, seit einem Monat, denk’ ich mir, wir können die übernatürliche Einwirkung dieses Unbekannten und seiner Instruktionen schon entbehren. Übrigens wissen Sie meine Meinung über ihn.«
Der Forward steuert ein.
»Ho! Ho!« rief der Doktor aus. »Ich glaubte wie Sie, dieser Mann werde das Kommando des Schiffes Ihnen lassen und niemals an Bord kommen, aber …«
»Aber?« versetzte Shandon etwas ärgerlich.
»Aber seit Ankunft des zweiten Briefes hab’ ich in dieser Hinsicht meine Ideen ändern müssen.«
»Und weshalb, Doktor?«
»Weil dieser Brief Ihnen zwar die Richtung angibt, welche genommen werden soll, allein über die Bestimmung der Forward keine Auskunft gibt; man muss aber doch wissen, wohin man fährt. Wie kann, frage ich, ein dritter Brief an Sie gelangen, weil wir uns auf hoher See befinden! Auf Grönland muss der Postdienst etwas zu wünschen übrig lassen. Sehen Sie, Shandon, ich denke mir, dieser Schalk wartet auf uns an einem dänischen Platze, zu Holsteinborg oder Uppernawick; dort wird er zu seiner Ladung noch Robbenfelle, Schlitten und Hunde kaufen, kurz alle Gerätschaften, welche für eine Reise in das nördliche Eismeer nötig sind. Es wird mich daher wenig überraschen, wenn wir ihn eines schönen Morgens aus seiner Kabine herauskommen und das Kommando auf eine durchaus nicht übernatürliche Weise führen sehen.«
Sonntagsfeier an Bord
»Möglich«, erwiderte Shandon trocken; »aber inzwischen weht frischer Wind, und es ist nicht klug, zu solcher Zeit seine Masten einer Gefahr auszusetzen.«
Shandon verließ den Doktor und gab Befehl, die hohen Segel aufzugeien.
»Es hält«, sagte der Doktor zum Rüstmeister.
»Ja«, erwiderte letzterer, »und das ist zu bedauern, denn Sie könnten wohl recht haben, Herr Clawbonny.«
Am Samstag gegen Abend fuhr der Forward am Vorgebirge Galloway vorüber, dessen Leuchtturm nordöstlich bemerklich ward; während der Nacht ließ man das Vorgebirge Cantyre im Norden und Kap Fair im Osten der Küste Irlands. Gegen drei Uhr früh lief die Brigg neben der Insel Rathlin vorbei aus dem Nord-Kanal in den Ozean.
Es war Sonntag, der 8. April; die Engländer, besonders die Matrosen, feiern diesen Tag streng; daher widmete man einen Teil des Vormittags dem Vorlesen der Bibel, welches der Doktor gern vornahm.
Der Wind wurde darauf zum Orkan, welcher die Brigg an die irländische Küste zurückzuwerfen drohte; die Wellen wurden stark, und das Schwanken des Schiffes arg. Der Doktor spürte nichts von der Seekrankheit, weil er nicht wollte. Um Mittag verschwand im Süden Kap Malinhead, das letzte Stück von Europa, welches die kühnen Seeleute erblicken sollten.
Man befand sich damals unter 55° 57′ Breite und 70° 40′ Länge.
Gegen neun Uhr abends legte sich der Sturm, und der Forward blieb als guter Segler in nordwestlicher Richtung; er war nach dem Urteil der Kenner zu Liverpool vorzugsweise Segelschiff.
Während der folgenden Tage kam der Forward rasch nordwärts voran; der Wind schlug um in Süd, und das Meer ging gewaltig hohl; die Brigg fuhr damals mit vollen Segeln. Einige Sturmvögel flatterten über dem Hinterverdeck; der Doktor war so glücklich, einen der letzteren zu schießen, und derselbe fiel an Bord. Er verstand es auch denselben schmackhaft zuzubereiten, indem er zuerst alles unter der Haut liegende Fett ablöste, sodass der ranzige Geschmack, welcher den Seevögeln mitunter eigen ist, völlig beseitigt wurde.
Während des letzten Sturmes hatte Richard Shandon Gelegenheit, sich von den Vorzügen seiner Leute besonders zu überzeugen.
James Wall, der Richard höchst ergeben war, fasste gut auf, verstand gut auszuführen, aber es mochte ihm am selbstständigen Auftreten fehlen; in einer Stellung dritten Ranges war sein Platz.
Johnson, ein erfahrener Seemann, ergraut in Fahrten nach dem Eismeer, war an Kaltblütigkeit und Kühnheit unübertrefflich.
Der Harpunier Simpson und der Zimmermann Bell waren zuverlässige Leute, an strenge Disziplin und Pflichterfüllung gewöhnt. Der Eismeister Foker, im Seedienst erfahren, in Johnsons Schule gebildet, versprach die trefflichsten Dienste zu leisten.
Von den übrigen Matrosen schienen Garry und Bolton die besten zu sein: Bolton, ein lustiger Geselle, munter und redselig; Garry, ein Junggeselle von fünfunddreißig Jahren, energischen Gesichtszügen, doch etwas blass und traurig.