Die Abenteuer des Kapitän Hatteras - Jules Verne - E-Book

Die Abenteuer des Kapitän Hatteras E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Mit 258 Zeichnungen Ein geheimnisvoller Unbekannter gibt ein Schiff in Auftrag, das als Ziel den Nordpol haben wird. Wer ist dieser Kapitän Hatteras, der sich unter die nicht minder rätselhafte Mannschaft geschlichen haben soll und seine Befehle durch einen Hund übermitteln lässt? Dieses Buch zeigt den Fabulator Verne auf dem Höhepunkt seiner Erzählkunst. Wie nur er es konnte, verbindet er wieder wissenschaftliche Höchstleistungen mit großen Abenteuern und liebenswerten und skurrilen Charakteren. Null Papier Verlag

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Jules Verne

Die Abenteuer des Kapitän Hatteras

Band 1 und 2

Jules Verne

Die Abenteuer des Kapitän Hatteras

Band 1 und 2

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]: Édouard Riou, Henri de MontautÜbersetzung: Jürgen Schulze, Karl Lanz EV: Hartleben’s Verlag, Wien-Pest-Leipzig, 1875 2. Auflage, ISBN 978-3-962817-75-6

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Band 1 – Die Eng­län­der am Nord­pol

Ers­tes Ka­pi­tel – Der For­ward

Zwei­tes Ka­pi­tel – Ein un­er­war­te­ter Brief

Drit­tes Ka­pi­tel – Der Dok­tor Cla­w­bon­ny

Vier­tes Ka­pi­tel – Ka­pi­tän Hund

Fünf­tes Ka­pi­tel – Auf ho­her See

Sechs­tes Ka­pi­tel – Die große Po­lar­strö­mung

Sieb­tes Ka­pi­tel – Die Da­vis-Stra­ße

Ach­tes Ka­pi­tel – Ge­sprä­che der Mann­schaft

Neun­tes Ka­pi­tel – Eine Neu­ig­keit

Zehn­tes Ka­pi­tel – Ge­fähr­li­che Fahrt

Elf­tes Ka­pi­tel – Der Teu­fels­dau­men

Zwölf­tes Ka­pi­tel – Der Ka­pi­tän Hat­teras

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel – Des Ka­pi­tän Hat­teras Plä­ne

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel – Zur Auf­fin­dung Fran­klins

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel – Der For­ward süd­wärts zu­rück­ge­trie­ben

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel – Der ma­gne­ti­sche Pol

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel – Ka­ta­stro­phe des Sir John Fran­klin

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel – Nord­wärts

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel – Ein Wal­fisch in Sicht

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Die In­sel Bee­chey

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Bel­lots Tod

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – An­fang des Aufruhrs

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Er­stür­mung der Eis­blö­cke

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Vor­be­rei­tun­gen für Über­win­te­rung

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Ein al­ter Fuchs von Ja­mes Ross

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Das letz­te Bröck­lein Koh­le

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Die große Weih­nachts­käl­te

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Vor­be­rei­tun­gen zur Abrei­se

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Über das Eis­feld

Drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Ein Cairn

Ein­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Simp­sons Tod

Zwei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Rück­kehr zum For­ward

Band 2 – Die Eis­wüs­te

Ers­tes Ka­pi­tel – Die In­ven­tur des Dok­tors

Zwei­tes Ka­pi­tel – Al­ta­monts ers­te Wor­te

Drit­tes Ka­pi­tel – Sieb­zehn Tage un­ter­wegs

Vier­tes Ka­pi­tel – Der letz­te Schuss Pul­ver

Fünf­tes Ka­pi­tel – Rob­be und Bär

Sechs­tes Ka­pi­tel – Der Por­poi­se

Sieb­tes Ka­pi­tel – Eine kar­to­lo­gi­sche Un­ter­hal­tung

Ach­tes Ka­pi­tel – Ein Aus­flug nach dem Nor­den der Vic­to­ria-Bai

Neun­tes Ka­pi­tel – Käl­te und Wär­me

Zehn­tes Ka­pi­tel – Win­ter­ver­gnü­gun­gen

Elf­tes Ka­pi­tel – Beun­ru­hi­gen­de Spu­ren

Zwölf­tes Ka­pi­tel – Im Eis­ge­fäng­nis

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel – Die Mine

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel – Ark­ti­scher Früh­ling

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel – Die nord­west­li­che Durch­fahrt

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel – Ar­ka­di­en des Nor­dens

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel – Al­ta­monts Ver­gel­tung

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel – Die letz­ten Vor­be­rei­tun­gen

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel – Die Rei­se nach Nor­den

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Ab­drücke im Schnee

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Das of­fe­ne Meer

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – An­nä­he­rung an den Pol

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Die eng­li­sche Flag­ge

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Eine Lek­ti­on in der po­la­ren Kos­mo­gra­fie

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Der Berg Hat­teras

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Rück­kehr nach dem Sü­den

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Schluss

Ein Nach­wort

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie die­ses E-Book aus mei­nem Ver­lag er­wor­ben ha­ben.

Ju­les Ver­ne ge­hört zu den Au­to­ren, die je­der schon ein­mal ge­le­sen hat. Eine Be­haup­tung, die man nicht über vie­le Schrift­stel­ler auf­stel­len kann. Die Ge­schich­ten von Ver­ne sind un­ter­hal­tend, lehr­reich und im­mer sehr at­mo­sphä­risch.

In un­re­gel­mä­ßi­ger Fol­ge wird mein Ver­lag die Wer­ke von Ver­ne ver­öf­fent­li­chen – die be­kann­ten wie die un­be­kann­ten. Im­mer in der über­ar­bei­te­ten Er­st­über­set­zung, um den (sprach­li­chen) Ch­ar­me der Zeit bei­zu­be­hal­ten.

Kor­ri­giert und kom­men­tiert wer­den Orts- und Per­so­nen­na­men oder of­fen­sicht­lich falsche An­ga­ben. Sie fin­den die Er­läu­te­run­gen in Fuß­no­ten.

Ich habe es mir auch nicht neh­men las­sen, die ur­sprüng­li­chen Na­men zu ver­wen­den: Aus dem Jo­hann wird so wie­der der ur­sprüng­li­che Jean, aus Lud­wig wie­der Louis und aus Ma­ri­an­ne wie­der Ma­rie. Ich den­ke, das tut den Ge­schich­ten nur gut.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze null-pa­pier.de/kon­takt

Ju­les Ver­ne bei Null Pa­pier

Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen

Mi­cha­el Strogoff - Der Ku­ri­er des Za­ren

Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer

Eine Idee des Dok­tor Ox

Eine Über­win­te­rung im Eis

Schwarz-In­di­en – Oder: Die Stadt un­ter der Erde

Fünf Wo­chen im Bal­lon

Ro­bur der Ero­be­rer

Der Herr der Welt

Von der Erde zum Mond

und wei­te­re …

Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Bei­na­he wäre Klein-Ju­les als Schiffs­jun­ge nach In­di­en ge­fah­ren, hät­te eine Lauf­bahn als See­mann ein­ge­schla­gen und spä­ter un­ter­halt­sa­mes See­manns­garn ge­spon­nen, das ver­mut­lich nie die Drucker­pres­se er­reicht hät­te.

Ju­les Ver­ne

Ver­liebt in die aben­teu­er­li­che Li­te­ra­tur

Glück­li­cher­wei­se für uns Le­ser hin­dert man ihn dar­an: Der Elf­jäh­ri­ge wird von Bord ge­holt und ver­lebt wei­ter­hin eine be­hü­te­te Kind­heit vor bür­ger­li­chem Hin­ter­grund. Ge­bo­ren am 8. Fe­bru­ar 1828 in Nan­tes, wächst Ju­les-Ga­bri­el Ver­ne in gut si­tu­ier­ten Ver­hält­nis­sen auf. Als äl­tes­ter von fünf Spröss­lin­gen soll er die vä­ter­li­che An­walt­spra­xis über­neh­men, wes­halb er ab 1846 in Pa­ris Jura stu­diert.

Viel span­nen­der fin­det er schon zu die­ser Zeit al­ler­dings die Li­te­ra­tur. Ver­ne freun­det sich so­wohl mit Alex­and­re Du­mas als auch mit sei­nem gleich­na­mi­gen Sohn an. Ge­mein­sam mit Va­ter Du­mas ver­fasst er Opern­li­bret­ti und ers­te dra­ma­ti­sche Wer­ke. Nach dem Ab­schluss sei­nes Stu­di­ums be­schließt er, nicht nach Nan­tes zu­rück­zu­keh­ren, son­dern sich völ­lig der Dra­ma­tik zu wid­men.

Zwar schreibt er nicht ganz er­folg­los – drei sei­ner Er­zäh­lun­gen er­schei­nen in ei­ner li­te­ra­ri­schen Zeit­schrift. Doch zum Le­ben reicht es nicht, wes­halb der jun­ge Au­tor 1852 den Pos­ten ei­nes In­ten­danz-Se­kre­tärs am Théâtre ly­ri­que an­nimmt. Im­mer­hin wird die­se Ar­beit zu­ver­läs­sig ver­gü­tet und Ver­ne darf sich als Dra­ma­ti­ker be­tä­ti­gen. In sei­ner Frei­zeit ver­fasst er wei­ter­hin Er­zäh­lun­gen, wo­bei ihn aben­teu­er­li­che Rei­sen am meis­ten in­ter­es­sie­ren.

Als er 1857 eine Wit­we hei­ra­tet, die zwei Töch­ter in die Ehe mit­bringt, muss sich der Li­te­rat nach ei­ner bes­ser be­zahl­ten Ein­kom­mens­quel­le um­se­hen. Wäh­rend der nächs­ten zwei Jah­re schlägt er sich als Bör­sen­mak­ler durch, wo­bei er ge­nug Zeit fin­det, län­ge­re Schiffs­rei­sen zu un­ter­neh­men, be­vor 1861 sein Sohn Mi­chel ge­bo­ren wird.

Ver­liebt ins li­te­ra­ri­sche Aben­teu­er

Letzt­lich ist es ei­ner be­son­de­ren Be­geg­nung im Jahr 1862 ge­schul­det, dass al­les, was der Au­tor bis­her »geis­tig an­ge­sam­melt« hat, in sei­nen künf­ti­gen Ro­ma­nen kul­mi­nie­ren darf: Der Ju­gend­buch-Ver­le­ger Pier­re-Ju­les Het­zel ver­öf­fent­licht Ver­nes uto­pi­schen Rei­se­ro­man »Fünf Wo­chen im Bal­lon«. Die­ses von ihm oh­ne­hin be­vor­zug­te Su­jet wird den Schrift­stel­ler nie wie­der los­las­sen – die aben­teu­er­li­chen Rei­sen, auf wel­cher Rou­te auch im­mer sie ab­sol­viert wer­den. Het­zel ver­legt Ver­nes noch heu­te be­lieb­tes­te Schrif­ten: 1864 »Rei­se zum Mit­tel­punkt der Erde«, im fol­gen­den Jahr »Von der Erde zum Mond«, 1869 »Rei­se um den Mond« und »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer«. Mit »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« er­scheint 1872 Ju­les Ver­nes er­folg­reichs­ter Ro­man über­haupt.

Die Zu­sam­men­ar­beit mit Het­zel, der gleich­zei­tig als sein Men­tor fun­giert, sorgt in den spä­ten 1860er Jah­ren da­für, dass der höchst pro­duk­ti­ve Schrift­stel­ler sei­ner Fa­mi­lie ei­ni­gen Wohl­stand bie­ten und sich selbst »ju­gend­traum­haf­te« Rei­se­wün­sche er­fül­len kann. Sein Ver­le­ger stellt ihn nam­haf­ten Wis­sen­schaft­lern vor – in Kom­bi­na­ti­on mit den er­wähn­ten Rei­sen ent­steht auf die­se Wei­se ein un­ge­heu­rer Fun­dus der In­spi­ra­ti­on: Ju­les Ver­nes Zet­tel­kas­ten ent­hält an­geb­lich 25.000 No­ti­zen!

Zwar ist er seit »Rei­se um den Mond« glei­cher­ma­ßen wohl­ha­bend und ge­ach­tet; er en­ga­giert sich seit den spä­ten 1880er Jah­ren so­gar als Stadt­rat in Amiens, wo­hin er 1871 mit sei­ner Fa­mi­lie über­ge­sie­delt war. Der »Rit­ter­schlag« aber bleibt aus: In der Aca­dé­mie françai­se möch­te man den Ju­gend­buch­au­tor nicht ha­ben, er gilt als nicht se­ri­ös ge­nug.

Den Ze­nit sei­nes Schaf­fens hat der Li­te­rat be­reits über­schrit­ten, als er 1888 blei­ben­de Ver­let­zun­gen durch den Schuss­waf­fen-An­griff ei­nes geis­tes­ge­stör­ten Ver­wand­ten da­von­trägt. Den­noch ar­bei­tet der Au­tor un­un­ter­bro­chen wei­ter. Als Ju­les Ver­ne im März 1905 stirbt, hin­ter­lässt er ein ge­wal­ti­ges Ge­samt­werk: 54 zu Leb­zei­ten er­schie­ne­ne Ro­ma­ne, wei­te­re elf Ma­nu­skrip­te be­ar­bei­tet sein Sohn Mi­chel nach dem Tod des Va­ters. Er­gänzt wird Ver­nes Œu­vre durch Er­zäh­lun­gen, Büh­nen­stücke und geo­gra­fi­sche Ver­öf­fent­li­chun­gen.

Ge­liebt und miss­ach­tet

Je­nes zwie­späl­ti­ge Ver­hält­nis, das sich be­reits in der Ab­leh­nung der Aka­de­mie­mit­glie­der äu­ßert, kenn­zeich­net die aka­de­mi­sche Re­zep­ti­on bis heu­te: Ju­les Ver­ne ist eben »nur ein Ju­gend­buch­au­tor«. We­ni­ger be­fan­ge­ne Re­zi­pi­en­ten frei­lich schrei­ben ihm eine ganz an­de­re Be­deu­tung zu, die dem Vi­sio­när und lei­den­schaft­li­chen Er­zäh­ler bes­ser ge­recht wird.

Wenn­gleich der al­tern­de Li­te­rat zum Ende sei­nes Schaf­fens durch­aus nicht mehr in gläu­bi­ger Tech­nik­be­geis­te­rung auf­geht, blei­ben uns doch ge­nau jene Wer­ke in lie­be­vol­ler Erin­ne­rung, in de­nen tech­ni­sche und mensch­li­che Groß­ta­ten die Hand­lung be­stim­men: »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« oder »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer« bei­spiels­wei­se. Wer als Kind von Nemo und sei­ner Nau­ti­lus liest, wird un­wei­ger­lich ge­fan­gen von die­sem tech­ni­schen Wun­der­werk und des­sen Ka­pi­tän. Ver­nes Ro­ma­ne ge­hö­ren zu je­nen Ju­gend­bü­chern, die man als Er­wach­se­ner ger­ne noch­mals zur Hand nimmt – und man staunt er­neut, er­in­nert sich, lässt sich wie­der­um ein­fan­gen und fragt sich, warum man ei­gent­lich so sel­ten Ver­ne liest…

So wie der Au­tor sich selbst durch Rei­sen und Wis­sen­schaft in­spi­rie­ren lässt, die­nen sei­ne Wer­ke seit je­her der In­spi­ra­ti­on sei­ner Le­ser­schaft. Wie prä­sent die­ser ex­zel­len­te Un­ter­hal­ter in den Köp­fen sei­ner Le­ser bleibt, be­le­gen Be­nen­nun­gen in See- und Raum­fahrt: Das ers­te Atom-U-Boot der Ge­schich­te ist die ame­ri­ka­ni­sche USS Nau­ti­lus. Ein Raum­trans­por­ter der Eu­ro­päi­schen Raum­fahr­t­agen­tur heißt »Ju­les Ver­ne«, ein As­te­ro­id und ein Mond­kra­ter tra­gen eben­falls den Na­men des Schrift­stel­lers. Die »Ju­les Ver­ne Tro­phy« wird seit 1990 für die schnells­te Wel­t­um­se­ge­lung ver­lie­hen, was dem be­geis­ter­ten Jacht­be­sit­zer Ver­ne ge­wiss ge­fal­len hät­te.

Der kom­mer­zi­el­le Li­te­ra­tur­be­trieb so­wie die Film­wirt­schaft be­trach­ten den fran­zö­si­schen Va­ter der Science-Fic­ti­on-Li­te­ra­tur eben­falls mit Wohl­wol­len: Un­zäh­li­ge Neu­auf­la­gen der Ro­man­klas­si­ker, Hör­bü­cher und Ver­fil­mun­gen der ra­san­ten, stets mit­rei­ßen­den Hand­lun­gen spre­chen Bän­de. Mitt­ler­wei­le gel­ten die äl­tes­ten Ver­fil­mun­gen selbst als kul­tu­rel­le Mei­len­stei­ne, die kei­nes­wegs nur ein jun­ges Pub­li­kum er­freu­en.

Ju­les Ver­nes Be­deu­tung für die Li­te­ra­tur

Der Ein­fluss Ver­nes auf nach­fol­gen­de Science-Fic­ti­on-Au­to­ren ist gar nicht hoch ge­nug ein­zu­schät­zen: Aus heu­ti­ger Sicht ist er ei­ner der Vor­rei­ter der uto­pi­schen Li­te­ra­tur Eu­ro­pas, der noch vor H. G. Wells (»Krieg der Wel­ten«) und Kurd Laß­witz (»Auf zwei Pla­ne­ten«) das neue Gen­re be­grün­det. Sein­er­zeit gibt es die­sen Be­griff noch nicht, wes­halb Het­zel die Ro­ma­ne sei­nes Er­folgs­schrift­stel­lers als »Au­ßer­ge­wöhn­li­che Rei­sen« ver­mark­tet

Der Fran­zo­se sieht, an­ders als Wells und ähn­lich wie Laß­witz, im tech­ni­schen Fort­schritt das künf­ti­ge Wohl der Mensch­heit be­grün­det. Trotz­dem ist Ju­les Ver­ne vor al­lem Er­zäh­ler: Er will we­der war­nen wie Wells noch be­leh­ren wie Laß­witz, son­dern in ers­ter Li­nie un­ter­hal­ten. Im Ver­gleich zum sprö­den Rea­lis­mus ei­nes Wells wir­ken sei­ne Ro­ma­ne für mo­der­ne Le­ser aus­ufernd, viel­leicht so­gar ge­schwät­zig. Den­noch sind sie leich­ter zu­gäng­lich als das sti­lis­tisch ähn­li­che Schaf­fen des Deut­schen Laß­witz, weil sie Uto­pie und Tech­nik­be­geis­te­rung nicht zum Zweck ih­res In­halts ma­chen, son­dern le­dig­lich zu des­sen Trä­ger: Schließ­lich ist es ein­fach auf­re­gend, in ei­nem Bal­lon eine Welt­rei­se an­zu­tre­ten oder Ka­pi­tän Nemo in sein ge­hei­mes Reich zu fol­gen.

Band 1 – Die Engländer am Nordpol

Erstes Kapitel – Der Forward

Mor­gen bei fal­len­der Flut wird die Brigg For­ward, Ka­pi­tän K. Z., Lieu­ten­ant Richard Shan­don, von New-Prin­ces-Docks ab­fah­ren. Be­stim­mung un­be­kannt.«

So las man im »Li­ver­pool-He­rald« am 5. April 1860.

Für einen der ers­ten Han­dels­hä­fen Eng­lands ist die Ab­fahrt ei­ner Brigg ein un­be­deu­ten­des Er­eig­nis, das in­mit­ten der Schif­fe je­der Grö­ße und je­der Na­tio­na­li­tät kaum be­merkt wird.

Den­noch fand sich am 6. April vom frü­hen Mor­gen an eine an­sehn­li­che Volks­men­ge auf den Kais der New-Prin­ces-Docks ein. Die un­zähl­ba­re Kor­po­ra­ti­on der See­leu­te der Stadt schi­en sich da ein Ren­dez­vous zu ge­ben. Die Ar­bei­ter der be­nach­bar­ten Werf­ten ver­lie­ßen ihr Ta­ge­werk, die Kauf­leu­te ihre düs­te­ren Comp­toir,1 ihre un­be­such­ten Ge­wöl­be. Die bun­ten Om­ni­bus­se, wel­che längs der äu­ße­ren Mau­er der Bass­ins fah­ren, brach­ten jede Mi­nu­te eine La­dung Neu­gie­ri­ger; die Stadt schi­en nur einen ein­zi­gen Ge­dan­ken zu ha­ben: der Ab­fahrt des For­ward bei­zu­woh­nen.

Der For­ward war eine Brigg von hun­dert­und­sieb­zig Ton­nen Ge­halt, ein Schrau­ben­damp­fer von hun­dert­und­zwan­zig Pfer­de­kraft. Bot er auch den Au­gen des Pub­li­kums nichts Au­ßer­or­dent­li­ches dar, so nah­men doch Ken­ner ei­ni­ge Be­son­der­hei­ten wahr, wel­che je­der See­mann ver­stand.

Da­her mach­te sich auch eine Grup­pe Ma­tro­sen an Bord des in der Nähe an­kern­den Nau­ti­lus über die Be­stim­mung des For­ward al­ler­hand Ver­mu­tun­gen.

»Was soll man«, sag­te ei­ner, »von die­sen Mas­ten den­ken? Es ist doch nicht ge­bräuch­lich, dass Dampf­schif­fe so viel Se­gel ha­ben.«

»Das Fahr­zeug muss«, er­wi­der­te ein Boots­mann mit brei­tem, ro­tem Ge­sicht, »sich mehr auf sei­ne Mas­ten als sei­ne Ma­schi­ne ver­las­sen wol­len, und wenn es so stark in ho­hen Se­geln ist, so ge­sch­ah es wohl des­halb, weil die nied­ri­gen oft mas­kiert sein wer­den. Da­rum glaub’ ich si­cher, dass der For­ward für die Nord- oder Süd-Po­lar­mee­re be­stimmt ist, wo die Eis­ber­ge den Wind mehr hem­men, als es ei­nem tüch­ti­gen Schif­fe passt.«

»Sie sol­len recht ha­ben, Meis­ter Corn­hill«, ver­setz­te ein drit­ter Ma­tro­se, »ha­ben Sie auch be­merkt, wie die­ser Vor­ders­te­ven ge­ra­de aufs Meer fällt?«

»Und dazu«, sag­te Meis­ter Corn­hill, »ist er mit ei­ner Schnei­de von Guß­stahl ver­se­hen, die scharf wie ein Ra­sier­mes­ser ist, und einen Zwei­de­cker ent­zwei­schnei­den kann, wenn der For­ward mit al­ler Kraft von der Sei­te her auf ihn ein­dringt.«

»Si­cher­lich«, er­wi­der­te ein Lot­se der Mer­sey, »denn die­se Brigg fährt mit ih­rer Schrau­be hübsch vier­zehn Kno­ten in der Stun­de. Es war zum Stau­nen, wie sie bei der Pro­be­fahrt die Strö­mung durch­schnitt. Glau­ben Sie mir, ’s ist ein fei­ner Seg­ler.«

»Und eben­so ist sie mit ih­ren Se­geln nicht in Ver­le­gen­heit«, fuhr Meis­ter Corn­hill fort; »sie fährt stracks in den Wind und ist leicht mit der Hand zu len­ken. Und noch et­was Be­son­de­res! Ha­ben Sie das wei­te Hen­ne­gat sei­nes Steu­er­ru­ders be­merkt?«

»Wahr­haf­tig, so ist es«, er­wi­der­ten die an­de­ren, »aber was ist dar­aus ab­zu­neh­men?«

»Es be­weist dies fürs ers­te, Ihr lie­ben Bur­schen«, ver­setz­te der Meis­ter mit Selbst­zu­frie­den­heit, »dass Ihr we­der zu se­hen, noch zu den­ken ver­steht; es ist dar­aus ab­zu­neh­men, dass man dem Kopf des Steu­ers Spiel­raum ge­ben woll­te, um leich­ter sei­ne Stel­le zu än­dern. Sie wis­sen wohl nicht, dass dies Ma­nö­ver zwi­schen den Eis­blö­cken oft vor­kommt?«

»Vor­treff­lich ge­ur­teilt«, er­wi­der­ten die Ma­tro­sen des Nau­ti­lus.

»Und zu­dem«, fuhr der eine von ih­nen fort, »wird die Mei­nung des Meis­ters Corn­hill durch die La­dung der Brigg be­stä­tigt. Ich weiß es von Clif­ton, der un­er­schro­cken teil­nimmt. Der For­ward nimmt für fünf bis sechs Jah­re Le­bens­mit­tel und dement­spre­chend Koh­len mit. Die gan­ze La­dung des­sel­ben be­steht aus Koh­len und Le­bens­mit­teln, nebst ei­nem Pack wol­le­ner Klei­dung und Rob­ben­fel­len.«

»Ah! Dann ist auch nicht mehr dar­an zu zwei­feln«, sag­te Meis­ter Corn­hill. »Aber kurz, mein Freund, da du Clif­ton kennst, hat denn der nichts von sei­ner Be­stim­mung ge­sagt?«

»Er konn­te mir nichts sa­gen, weil er’s nicht weiß; dar­auf ist die Mann­schaft ge­wor­ben. Wo­hin es geht, soll man erst er­fah­ren, wenn man an Ort und Stel­le ist.«

»Und auch«, er­wi­der­te ein Ungläu­bi­ger, »wenn sie zum Teu­fel ge­hen, wie es mir ganz den An­schein hat.«

»Aber auch was für ein Sold!« fuhr Clif­tons Freund leb­haft fort, »welch’ ho­her Sold! Fünf­mal hö­her als der ge­wöhn­li­che. Ah! Sonst hät­te Richard Shan­don nie­mand ge­fun­den, der un­ter sol­chen Be­din­gun­gen sich hät­te wer­ben las­sen! Ein Fahr­zeug von auf­fal­len­dem Bau, das wer weiß wo­hin fährt und nicht aus­sieht, als wol­le es ernst­lich wie­der­kom­men! Ich mei­nes­teils hät­te nicht große Lust dazu.«

»Lust oder nicht, Freund«, er­wi­der­te Meis­ter Corn­hill, »du wä­rest nie fä­hig ge­we­sen, der Be­man­nung des For­ward an­zu­ge­hö­ren.«

»Und wes­halb?«

»Weil dir die nö­ti­gen Er­for­der­nis­se ab­ge­hen. Ich habe mir sa­gen las­sen, Ver­hei­ra­te­te wür­den gar nicht an­ge­nom­men. Da du nun zu die­ser Sor­te ge­hörst, so brauchst du nicht so sprö­de zu tun; für dich frei­lich wär’ es eine wah­re Zwangspar­tie.«

Der also an­ge­zapf­te Ma­tro­se lach­te mit sei­nen Ka­me­ra­den und gab da­mit zu er­ken­nen, dass Meis­ter Cor­nill recht hat­te.

Corn­hill fuhr mit Selbst­be­frie­di­gung fort: »Bis auf den Na­men ist auch al­les an dem Schiff er­schreck­lich kühn! Der For­ward – d. h. Vor­wärts, bis wo­hin? Und dazu kennt man den Ka­pi­tän der Brigg nicht.«

»O ja! Man kennt ihn«, er­wi­der­te ein jun­ger Ma­tro­se mit et­was nai­vem An­ge­sicht.

»Wie? Man kennt ihn?«

»Al­ler­dings.«

»Klei­ner«, sag­te Corn­hill, »kannst du glau­ben, dass Shan­don Ka­pi­tän des For­ward sein wer­de?«

»Aber«, ver­setz­te der jun­ge Ma­tro­se.

»So lass dir sa­gen, dass Shan­don Un­ter­be­fehls­ha­ber ist, wei­ter nichts; ’s ist ein wa­cke­rer, küh­ner See­mann, ein Wal­fisch­fah­rer, der er­probt ist, ein tüch­ti­ger Ka­me­rad, aber schließ­lich doch nicht der Be­fehls­ha­ber. Er ist so we­nig Ka­pi­tän wie du und ich, un­be­scha­det mei­nem Re­spekt! Den, der nach un­serm Herr­gott an Bord be­feh­len wird, kennt er sel­ber auch nicht. Wenn der rech­te Zeit­punkt kommt, wird der wah­re Ka­pi­tän zum Vor­schein kom­men, man weiß nicht wie und wer weiß von wel­chem Ufer der bei­den Wel­ten; denn Richard Shan­don hat nicht ge­sagt und darf auch nicht sa­gen, wo­hin auf der Welt er fah­ren wür­de.«

»Den­noch, Meis­ter Corn­hill«, fuhr der jun­ge See­mann fort, »ver­si­che­re ich Sie, dass sich ei­ner an Bord vor­ge­stellt hat, ei­ner in dem Schrei­ben, worin dem Herrn Shan­don sei­ne Stel­le über­tra­gen ward, an­ge­kün­digt wor­den ist!«

»Wie?« ent­geg­ne­te Corn­hill mit Stirn­run­zeln, »du willst be­haup­ten, der For­ward habe einen Ka­pi­tän an Bord?«

»Ja­wohl, Meis­ter Corn­hill.«

»Du sagst mir das, mir?«

»Al­ler­dings, weil ich es von John­son habe, dem Rüst­meis­ter.«

»Von Meis­ter John­son?«

»Al­ler­dings, er hat mir es selbst ge­sagt.«

»Er hat dir’s ge­sagt?«

»Er hat mir es nicht al­lein ge­sagt, son­dern den Ka­pi­tän ge­zeigt.«

»Ge­zeigt hat er dir ihn!« er­wi­der­te Corn­hill be­trof­fen.

»Ja­wohl, ge­zeigt.«

»Und du hast ihn ge­se­hen?«

»Mit ei­ge­nen Au­gen.«

»Und wer ist’s?«

»Ein Hund.«

»Ein Hund?«

»Ein vier­fü­ßi­ger?«

»Ja!«

Die Ma­tro­sen des Nau­ti­lus wa­ren ganz ver­dutzt; in je­dem an­de­ren Fal­le wür­den sie hell auf­ge­lacht ha­ben. Ein Hund Ka­pi­tän ei­ner Brigg von hun­dert­und­sieb­zig Ton­nen! Aber der For­ward war wirk­lich ein so au­ßer­or­dent­li­ches Fahr­zeug, dass man zwei­mal es an­se­hen muss­te, ehe man lach­te, ehe man in Ab­re­de stell­te. Üb­ri­gens lach­te selbst Meis­ter Corn­hill nicht.

»Und John­son hat dir die­sen so au­ßer­or­dent­li­chen Ka­pi­tän ge­zeigt, die­sen Hund?« fuhr er fort zu dem jun­gen Ma­tro­sen.

»So wie ich Sie sehe, mit Er­laub­nis.«

»Nun, was den­ken Sie da­von?« frag­ten die Ma­tro­sen den Meis­ter Corn­hill.

»Ich den­ke nichts«, er­wi­der­te die­ser barsch, »ich den­ke nichts, als dass der For­ward ein Schiff des Teu­fels ist oder Nar­ren ge­hört, die für das Ir­ren­haus reif sind!«

Die Ma­tro­sen sa­hen fer­ner den For­ward schwei­gend an, und nicht ei­nem ein­zi­gen von ih­nen fiel es ein, zu be­haup­ten, der John­son habe den jun­gen See­mann zum Bes­ten ge­habt.

Der For­ward zog üb­ri­gens seit ei­ni­gen Mo­na­ten die öf­fent­li­che Auf­merk­sam­keit auf sich. Dass er et­was auf­fal­lend ge­baut, mit Ge­heim­nis um­hüllt war; das In­ko­gni­to sei­nes Ka­pi­täns; die Art, wie Richard Shan­don sei­ne Aus­rüs­tung be­trieb; die be­son­de­re Aus­wahl sei­ner Mann­schaft; die un­be­kann­te, von man­chen kaum ver­mu­te­te Be­stim­mung des­sel­ben – al­les wirk­te zu­sam­men, der Brigg ein mehr als son­der­ba­res Ge­prä­ge zu ge­ben.

Für einen Den­ker, Träu­mer, Phi­lo­so­phen hat üb­ri­gens ein Schiff, das ab­zu­fah­ren im Be­griff ist, et­was höchst An­re­gen­des; die Fan­ta­sie be­glei­tet es ger­ne bei sei­nem Rin­gen mit den Wo­gen, sei­nen Kämp­fen mit den Win­den, bei der aben­teu­er­li­chen Fahrt, die nicht im­mer im Ha­fen ihr Ziel fin­det, und so­fern nur der ge­rings­te un­ge­wöhn­li­che Zwi­schen­fall ein­tritt, er­hält das Schiff ein fan­tas­ti­sches Aus­se­hen.

So war es auch mit dem For­ward. Und wenn die ge­wöhn­li­chen Zuschau­er nicht so kun­di­ge Be­mer­kun­gen wie Meis­ter Corn­hill ma­chen konn­ten, so gab es doch seit drei Mo­na­ten Stoff ge­nug zu fort­wäh­ren­dem Ge­re­de für die Un­ter­hal­tung in Li­ver­pool.

Die Brigg wur­de zu Bir­ken­head, ei­ner wirk­li­chen Vor­stadt von Li­ver­pool am lin­ken Ufer der Mer­sey, ge­baut und durch Dampf­bar­ken in un­abläs­si­gem Ver­kehr mit dem Ha­fen ge­hal­ten.

Die Er­bau­er, Scott & Cie., hat­ten von Richard Shan­don einen Au­friss und de­tail­lier­ten Plan er­hal­ten, wel­cher den Ton­nen­ge­halt, die Grö­ßen­ver­hält­nis­se, das Mo­dell der Brigg höchst ge­nau an­gab. Man konn­te dar­in den Scharf­sinn ei­nes vollen­de­ten See­manns er­ken­nen. Da Shan­don be­trächt­li­che Mit­tel zur Ver­fü­gung hat­te, so wur­den die Ar­bei­ten in An­griff ge­nom­men und nach der Wei­sung des un­be­kann­ten Ei­gen­tü­mers aufs ra­sche­s­te be­trie­ben.

Die Bau­art der Brigg war von er­prob­ter So­li­di­tät; sie war of­fen­bar be­stimmt, enor­mem Druck zu wi­der­ste­hen, denn sein Fu­gen­werk aus Teak, ei­nem in­di­schen, durch äu­ßers­te Dau­er­haf­tig­keit aus­ge­zeich­ne­ten Bau­holz, war noch dazu mit dem stärks­ten Ei­sen­be­schlag ver­se­hen. Man frag­te sich un­ter den See­leu­ten, wes­halb der Rumpf ei­nes mit sol­chen Wi­der­stands­ver­hält­nis­sen ge­bau­ten Schif­fes nicht aus Ei­sen­blech ge­fer­tigt wur­de, wie bei an­de­ren Dampf­boo­ten. Da­rauf ant­wor­te­te man, der ge­heim­nis­vol­le In­ge­nieur müs­se wohl sei­ne Grün­de da­für ha­ben.

Die Brigg nahm auf der Werft all­mäh­lich ihre Ge­stalt an, und ihre Stär­ke wie Fein­heit setz­ten die Ken­ner in Er­stau­nen. Wie die Ma­tro­sen des Nau­ti­lus be­merkt hat­ten, bil­de­te sein Vor­ders­te­ven einen rech­ten Win­kel mit dem Kiel; es war nicht mit ei­nem Schna­bel ver­se­hen, son­dern mit ei­ner Schnei­de von Guß­ei­sen aus den Werk­stät­ten R. Haw­thorns zu Ne­w­cast­le. Die­ses me­tal­le­ne, im Son­nen­schein blin­ken­de Vor­der­teil gab der Brigg, ob­wohl sie gar nichts Mi­li­tä­ri­sches an sich hat­te, ein ganz be­son­de­res Aus­se­hen. Doch wur­de auf dem Vor­der­kas­tell eine Ka­no­ne vom Ka­li­ber ei­nes Sech­zehn­pfün­ders auf­ge­stellt; auf ei­nem Zap­fen sich dre­hend, konn­te sie leicht nach al­len Rich­tun­gen ge­stellt wer­den.

Am 5. Fe­bru­ar 1860 wur­de das selt­sa­me Schiff im An­ge­sicht ei­ner un­ge­heu­ren Zuschau­er­men­ge vom Sta­pel ge­las­sen, was voll­kom­men ge­lang.

Aber wel­ches war denn die Be­stim­mung des Schif­fes? Es soll­te den Ere­bus und Ter­ror, den Sir John Fran­klin auf­su­chen, nichts wei­ter. Denn im Jahr zu­vor war der Kom­man­dant Mac Clintock mit si­che­ren Be­wei­sen vom Schei­tern die­ser un­glück­li­chen Un­ter­neh­mung aus den Nord-Po­lar­mee­ren heim­ge­kehrt.

Woll­te denn der For­ward noch­mals die nord­west­li­che Durch­fahrt ma­chen? Wozu nütz­te dies? Der Ka­pi­tän Mac Clur hat­te sie im Jah­re 1853 auf­ge­fun­den, und sein Lieu­ten­ant Cres­well hat­te zu­ert die Ehre, um das ame­ri­ka­ni­sche Fest­land her­um von der Beh­rings- bis zur Da­vis-Stra­ße zu fah­ren.

Es war je­doch für Sach­ver­stän­di­ge un­zwei­fel­haft, dass der For­ward den Eis­re­gio­nen Trotz bie­ten soll­te. Woll­te er zum Süd­pol vor­drin­gen, noch wei­ter als der Wal­fisch­fän­ger We­dell, als der Ka­pi­tän Ross? Aber zu wel­chem Zweck und Nut­zen?

Am fol­gen­den Tag, nach­dem die Brigg vom Sta­pel ge­lau­fen, kam ihre Ma­schi­ne aus den Werk­stät­ten von R. Haw­t­horn zu Ne­w­cast­le an.

Die­se Ma­schi­ne von hun­dert­und­zwan­zig Pfer­de­kraft mit os­zil­lie­ren­den Zy­lin­dern nahm we­nig Raum ein: für ein Schiff von hun­dert­und­sieb­zig Ton­nen eine be­deu­ten­de Kraft. Da es zu­dem reich­lich mit Se­geln ver­se­hen war, so be­saß es au­ßer­or­dent­li­che Schnel­lig­keit, wie die Pro­be­fahr­ten be­wie­sen.

Nach­dem die Ma­schi­ne an Bord war, be­gann das Ein­brin­gen der Vor­rä­te; kei­ne ge­rin­ge Ar­beit, denn das Schiff wur­de auf sechs Jah­re ver­pro­vi­an­tiert. Die Le­bens­mit­tel be­stan­den aus ge­sal­ze­nem und ge­trock­ne­tem Fleisch, ge­räu­cher­tem Fisch, Zwie­back und Mehl; Kaf­fee und Tee wur­den la­wi­nen­gleich in die un­te­ren Räu­me ge­wälzt. Richard Shan­don lei­te­te die kost­ba­re Be­frach­tung als ein Mann, der sich dar­auf ver­stand; al­les wur­de streng ord­nungs­ge­mäß pa­ke­tiert, eti­ket­tiert, num­me­riert; auch wur­de ein großer Vor­rat von dem in­di­schen Prä­pa­rat, Pem­mi­can2 ge­nannt, wel­ches sehr nahr­haf­te Be­stand­tei­le ent­hält, mit­ge­nom­men.

Die­se Gat­tung von Le­bens­mit­teln ließ kei­nen Zwei­fel, dass es auf eine lan­gan­dau­ern­de Ex­pe­di­ti­on ab­ge­se­hen war; und ein kun­di­ger Beo­b­ach­ter be­griff auf den ers­ten Blick, dass die­se in die Po­lar­mee­re ge­hen soll­te, wenn er die Ton­nen Lime-jui­ce und Kalk­pa­stil­len, Pa­cken von Senf, Sau­er­amp­fer­kör­nern und Löf­fel­kraut sah, die Men­ge von sol­chen Mit­teln ge­gen den Skor­but, wel­che man bei den Fahr­ten in die nörd­li­chen und süd­li­chen Zo­nen so not­wen­dig braucht. Shan­don be­sorg­te die­sen Teil der La­dung mit ganz be­son­de­rer Sorg­falt.

Waf­fen wur­den we­ni­ge mit­ge­nom­men, aber eine Kam­mer mit Pul­ver ge­füllt, was be­un­ru­hi­gen konn­te; denn die ein­zi­ge Ka­no­ne an Bord konn­te sol­ches Be­dürf­nis nicht ha­ben. Eben­so wur­de für rie­sen­haf­te Sä­gen ge­sorgt und star­ke Werk­zeu­ge, wie Ho­bel, blei­er­ne Keu­len, Hand­sä­gen, enor­me Bei­le usw., dazu eine an­sehn­li­che Men­ge Spreng­zy­lin­der, wo­mit man das gan­ze Zoll­ge­bäu­de Li­ver­pools in die Luft spren­gen konn­te, Ra­ke­ten und Kunst­feu­er zu Si­gna­len, Fana­le al­ler Art.

Die zahl­rei­chen Zuschau­er auf den Kais von New-Prin­ces-Docks be­wun­der­ten fer­ner ein lan­ges Wal­fisch­boot von Ma­ha­go­ni, eine Pi­rogue von Blech mit Gut­ta­per­cha3 be­zo­gen, und eine An­zahl Hal­kett-boafs, Kaut­schu­k­über­zü­ge, wel­che man durch Auf­bla­sen in Ca­nots ver­wan­deln konn­te. Je­der fühl­te sich umso mehr be­un­ru­higt, als mit der sin­ken­den Flut der For­ward zu sei­ner ge­heim­nis­vol­len Be­stim­mung ab­zu­fah­ren im Be­griff war.

Kon­tor, Nie­der­las­sung ei­nes Han­dels­un­ter­neh­mens  <<<

Mi­schung aus zer­sto­ße­nem Dörr­fleisch und Fett, die die In­dia­ner Nord­ame­ri­kas als Rei­se­pro­vi­ant und Notra­ti­on nutz­ten.  <<<

gum­mi­ar­ti­ger, kau­tschu­k­ähn­li­cher Na­tur­stoff  <<<

Zweites Kapitel – Ein unerwarteter Brief

Das Schrei­ben, wel­ches Richard Shan­don acht Mo­na­te zu­vor er­hal­ten hat­te, lau­te­te wört­lich:

Aber­de­en, den 2. Au­gust 1859.

»Herrn Richard Shan­don, Li­ver­pool.

Mein Herr!

Ge­gen­wär­ti­ges soll Sie in Kennt­nis set­zen, dass sech­zehn­tau­send Pfd. Ster­ling dem Bank­hau­se Mar­cuart & Cie. in Li­ver­pool zu­ge­stellt wor­den sind. Hier bei­fol­gend eine Rei­he von An­wei­sun­gen mit mei­ner Un­ter­schrift, mit wel­chen Sie über Sum­men bis zu dem ge­dach­ten Be­trag ver­fü­gen kön­nen.

Sie ken­nen mich nicht; dar­auf kommt we­nig an. Ich ken­ne Sie, und das ist die Haupt­sa­che.

Ich bie­te Ih­nen die Stel­le des Un­ter­be­fehls­ha­bers an Bord der Brigg For­ward zu ei­ner Ex­pe­di­ti­on, die lang und ge­fähr­lich sein kann.

Leh­nen Sie ab, so ist’s nichts. Neh­men Sie an, so sol­len Sie fünf­hun­dert Pfund als Ge­halt emp­fan­gen, und nach Ver­lauf je­des Jah­res, so­lan­ge die Un­ter­neh­mung dau­ert, soll Ihr Ge­halt um ein Zehn­tel er­höht wer­den.

Die Brigg For­ward exis­tiert noch nicht. Sie müs­sen sie noch bau­en las­sen, so­dass sie spä­tes­tens zu An­fang April 1860 in die See ste­chen kann. Hier­bei folgt ein de­tail­lier­ter Plan mit Au­friss. Sie ha­ben sich pünkt­lich dar­an zu hal­ten. Das Schiff soll in den Werf­ten der Her­ren Scott & Cie. ge­zim­mert wer­den, mit wel­chen Sie sich dar­über zu be­neh­men ha­ben.

Ich emp­feh­le Ih­nen ganz be­son­ders die Be­man­nung des For­ward; sie wird be­ste­hen aus ei­nem Ka­pi­tän, der bin ich, ei­nem Lieu­ten­ant, Sie, ei­nem drit­ten Of­fi­zier, ei­nem Rüst­meis­ter, zwei Ma­schi­nis­ten, ei­nem Eis­meis­ter, acht Ma­tro­sen und zwei Hei­zern, zu­sam­men acht­zehn Mann, in­be­grif­fen den Dok­tor Cla­w­bon­ny aus die­ser Stadt, wel­cher zu ge­hö­ri­ger Zeit bei Ih­nen er­schei­nen wird.

Die zur Teil­nah­me an der Ex­pe­di­ti­on des For­ward be­ru­fe­nen Leu­te müs­sen Eng­län­der sein, frei, ohne Fa­mi­lie, un­ver­hei­ra­tet, nüch­tern (denn geis­ti­ge Ge­trän­ke und selbst Bier wer­den an Bord nicht ge­dul­det), be­reit al­les zu un­ter­neh­men und al­les zu er­tra­gen. Sie wer­den die­sel­ben vor­zugs­wei­se aus Leu­ten von san­gui­ni­scher Lei­bes­be­schaf­fen­heit wäh­len, wel­che eben des­halb das Le­ben­s­prin­zip tie­ri­scher Wär­me in hö­he­rem Gra­de in sich ent­hal­ten.

Sie bie­ten ih­nen das Fünf­fa­che ih­res ge­wöhn­li­chen Sol­des, mit ei­ner jähr­li­chen Zu­la­ge von ei­nem Zehn­tel. Bei Been­di­gung der Un­ter­neh­mung wer­den je­dem der­sel­ben fünf­hun­dert Pfund zu­ge­si­chert, und zwei­tau­send Pfund Ih­nen. Die­se Gel­der wer­den von den ob­ge­dach­ten Her­ren Mar­cuart & Cie. be­zo­gen.

Die­se Un­ter­neh­mung wird lan­ge dau­ern und voll Stra­pa­zen, aber eh­ren­voll sein. Sie ha­ben sich also nicht zu be­sin­nen, Herr Shan­don.

Ant­wort pos­te re­stan­te1 Gö­te­borg (Schwe­den) un­ter K. Z.

P. S. Sie wer­den künf­ti­gen fünf­zehn­ten Fe­bru­ar einen großen dä­ni­schen Hund mit her­ab­hän­gen­den Lef­zen, schwärz­lich fahl mit schwar­zen Qu­er­strei­fen emp­fan­gen. Sie wol­len ihm an Bord eine Stät­te an­wei­sen und ihm Gers­ten­brot ver­mischt mit Brü­he von Talg­brot zum Fut­ter ge­ben. Den Empfang des Hun­des mel­den Sie nach Li­vor­no un­ter glei­chen Buch­sta­ben wie oben.

Der Ka­pi­tän des For­ward wird zu pas­sen­der Zeit sich ein­fin­den und zu er­ken­nen ge­ben. Im Au­gen­blick der Ab­fahrt wer­den Sie neue In­struk­tio­nen be­kom­men.

Der Ka­pi­tän des For­ward

K. Z.«

post­la­gernd  <<<

Drittes Kapitel – Der Doktor Clawbonny

Richard Shan­don war ein gu­ter See­mann; er hat­te lan­ge Zeit Wal­fisch­fän­ger in den Nord-Po­lar­mee­ren kom­man­diert und da­bei in ganz Lan­cas­ter einen fest be­grün­de­ten Ruf ge­won­nen. Ein sol­cher Brief konn­te mit Recht tie­fen Ein­druck ma­chen; dies ge­sch­ah denn auch bei ihm, doch blieb er kalt­blü­tig.

Er be­fand sich zu­dem in den ge­wünsch­ten Ver­hält­nis­sen; we­der Frau, noch Kin­der, noch Ver­wand­te; ein frei­er Mann, wie ir­gend ei­ner. Da er also mit nie­mand zu be­ra­ten hat­te, be­gab er sich stracks zu den Ban­kiers Mar­cuart & Cie.

»Wenn das Geld da ist«, sag­te er sich, »kommt das üb­ri­ge von selbst.«

Er wur­de in dem Bank­hau­se mit den Rück­sich­ten emp­fan­gen, wel­che man ei­nem Man­ne zollt, auf den sech­zehn­tau­send Pfund ru­hig in ei­ner Kas­se war­ten. Als die­ser Punkt im rei­nen war, ließ sich Shan­don ein Blatt wei­ßes Pa­pier ge­ben und mel­de­te mit der­ber See­manns­hand­schrift sei­ne An­nah­me un­ter der an­ge­ge­be­nen Adres­se.

Noch den­sel­ben Tag setz­te er sich mit den Schiff­bau­meis­tern zu Bir­ken­head in Ver­bin­dung, und vier­und­zwan­zig Stun­den nach­her lag be­reits der Kiel des For­ward der Län­ge nach auf den Sta­pel­blö­cken des Zim­mer­plat­zes.

Richard Shan­don war ein Jung­ge­sel­le von vier­zig Jah­ren, kräf­tig, ener­gisch und tap­fer, drei Vor­zü­ge ei­nes See­manns, denn sie ver­lei­hen Zu­ver­sicht, Nach­druck und Kalt­blü­tig­keit. Er war als ein ei­fer­süch­ti­ger und schwer zu be­frie­di­gen­der Cha­rak­ter be­kannt, da­her auch nie von sei­nen Ma­tro­sen ge­liebt, viel­mehr ge­fürch­tet. Die­ser Ruf ging üb­ri­gens nicht so­weit, dass er ihm Mühe ver­ur­sacht hät­te, sei­ne Mann­schaft zu­sam­men­zu­brin­gen, denn man wuss­te, dass er ge­wandt sich aus der Not her­aus­zu­zie­hen ver­moch­te.

Shan­don be­sorg­te, die ge­heim­nis­vol­le Sei­te möge ge­eig­net sein, ihn in sei­nem Vor­ge­hen zu hem­men.

»So ist’s denn auch am bes­ten«, sag­te er sich, »nichts laut wer­den zu las­sen; es gibt See­hun­de, die möch­ten auch das Weil und Wa­rum der Sa­che wis­sen, und da ich nichts weiß, so wäre ich sehr in Ver­le­gen­heit, ih­nen zu ant­wor­ten. Die­ser K. Z. ist si­cher ein son­der­li­cher Ge­sel­le; aber schließ­lich kennt er mich und rech­net auf mich: Das ge­nügt. Sein Schiff soll hübsch her­ge­rich­tet wer­den, und ich will nicht Richard Shan­don hei­ßen, wenn es nicht die Be­stim­mung hat, das Eis­meer zu be­fah­ren. Aber das wol­len wir un­ter uns be­hal­ten.«

Da­rauf ließ sich Shan­don an­ge­le­gen sein, sei­ne Mann­schaft auf­zu­brin­gen, und zwar ge­nau un­ter den vom Ka­pi­tän vor­ge­schrie­be­nen Be­din­gun­gen.

Er kann­te einen wa­cke­ren, sehr er­ge­be­nen Bur­schen, der ein gu­ter See­mann war, Ja­mes Wall mit Na­men. Der­sel­be moch­te drei­ßig Jah­re alt sein und hat­te schon mehr­mals die nörd­li­chen Mee­re be­sucht. Shan­don bot ihm die Stel­le ei­nes drit­ten Of­fi­ziers an, und Ja­mes Wall nahm ohne wei­te­res an; es war ihm nur um die Fahrt zu tun. Shan­don setz­te ihm die Sa­che im De­tail aus­ein­an­der, und eben­so ei­nem ge­wis­sen John­son, den er zu sei­nem Rüst­meis­ter mach­te.

»Ein groß’ Glück ist’s nicht«, er­wi­der­te Ja­mes; »so viel wert als sonst et­was. Han­delt sich’s dar­um, die nord­west­li­che Durch­fahrt zu su­chen, so kann man wie­der heim­keh­ren.«

»Nicht im­mer«, er­wi­der­te Meis­ter John­son; »aber es ist das doch kein Grund, um die Fahrt nicht zu ma­chen.«

»Üb­ri­gens, ir­ren wir nicht in un­sern Ver­mu­tun­gen«, fuhr Shan­don fort, »so muss man zu­ge­ben, dass die Fahrt un­ter güns­ti­gen Um­stän­den vor sich geht. Der For­ward wird ein vor­züg­li­ches Schiff sein, und mit ei­ner gu­ten Ma­schi­ne ver­se­hen kann er weit fah­ren. Wir brau­chen nur acht­zehn Mann im gan­zen.«

»Acht­zehn Mann«, ver­setz­te Meis­ter John­son; »so viel hat­te der Ame­ri­ka­ner Kane an Bord, als er sei­ne be­rühm­te Fahrt nach dem Pol un­ter­nahm.«

»Es ist im­mer höchst auf­fal­lend«, fuhr Wall fort, »dass ein Pri­vat­mann noch ein­mal den Ver­such macht, durch das Meer von der Da­vis- zur Beh­rings-Stra­ße zu drin­gen. Die zum Auf­fin­den des Ad­mi­rals Fran­klin aus­ge­schick­ten Ex­pe­di­tio­nen ha­ben Eng­land schon über sie­ben­hun­dert­und­sech­zig­tau­send Pfund ge­kos­tet, ohne zu ir­gend­ei­nem prak­ti­schen Re­sul­tat zu füh­ren! Wer zum Teu­fel kann noch­mals sein Ver­mö­gen an eine sol­che Un­ter­neh­mung set­zen?«

»Vor al­lem, Ja­mes«, er­wi­der­te Shan­don, »rä­so­nie­ren wir über eine blo­ße Ver­mu­tung. Ob wir wirk­lich in die nörd­li­chen oder süd­li­chen Po­lar­mee­re fah­ren wer­den, weiß ich nicht. Vi­el­leicht han­delt sich’s dar­um, eine neue Ent­de­ckung zu ver­su­chen. Üb­ri­gens soll über kurz oder lang ein ge­wis­ser Dok­tor Cla­w­bon­ny sich ein­fin­den, der wird ohne Zwei­fel mehr da­von wis­sen und Auf­trag ha­ben, uns dar­über zu un­ter­wei­sen. Wer­den schon se­hen.«

»So war­ten wir also ab«, sag­te Meis­ter John­son. »Ich mei­nes­teils will nun tüch­ti­ge Un­ter­ge­be­ne auf­su­chen, Kom­man­dant, und was ihr Prin­zip der Le­bens­wär­me, wie der Ka­pi­tän sagt, be­trifft, so will ich zum vor­aus da­für ein­ste­hen. Sie kön­nen sich auf mich ver­las­sen.«

Die­ser John­son war ein sehr schätz­ba­rer Mann; er war mit der Schiff­fahrt in den ho­hen Brei­ten­gra­den ver­traut. Er hat­te sich als Quar­tier­meis­ter an Bord des Phö­nix be­fun­den, wel­cher zu den im Jah­re 1853 zum Auf­su­chen Fran­klins ent­sen­de­ten Ex­pe­di­tio­nen ge­hör­te; die­ser wa­cke­re See­mann war so­gar beim Tod des fran­zö­si­schen Lieu­ten­ants Bel­lot zu­ge­gen, wel­chen er bei sei­ner Fahrt durch die Eis­ber­ge be­glei­te­te. John­son kann­te das Ma­tro­sen­per­so­nal zu Li­ver­pool, und mach­te sich so­gleich ans Werk, sei­ne Leu­te zu­sam­men­zu­brin­gen.

Shan­don, Wall und er hat­ten sol­chen Er­folg, dass schon in den ers­ten De­zem­ber­ta­gen ihre Mann­schaft voll­stän­dig bei­sam­men war; doch ging es nicht ohne Schwie­rig­kei­ten ab; vie­le, die wohl durch die hohe Löh­nung sich an­lo­cken lie­ßen, wur­den doch durch die un­be­stimm­te Zu­kunft der Ex­pe­di­ti­on ab­ge­schreckt, und man­cher ließ sich zwar ent­schlos­sen an­wer­ben, kam aber nach ei­ni­ger Zeit wie­der, um sein Wort und Drauf­geld zu­rück­zu­ge­ben. Alle ver­such­ten üb­ri­gens durch das Ge­heim­nis zu drin­gen, und dräng­ten den Kom­man­dan­ten Richard mit Fra­gen; der­sel­be ver­wies sie an Meis­ter John­son.

»Was willst du, dass ich dir sa­gen soll, mein Freund!« er­wi­der­te der letz­te­re un­ab­än­der­lich. »Ich weiß nicht mehr als du. Je­den­falls wirst du dich in gu­ter Ka­me­rad­schaft be­fin­den mit un­er­schro­cke­nen Ge­sel­len, die nicht wan­ken; das ist schon et­was! Also nicht so viel Be­den­ken! Es gilt an­neh­men oder las­sen!«

Und die meis­ten nah­men an.

»Du be­greifst wohl«, füg­te manch­mal der Rüst­meis­ter bei, »dass mir die Wahl wehe tut. Eine so hohe Löh­nung, wie man sie noch nie­mals er­lebt hat, mit der Ge­wiss­heit, bei sei­ner Rück­kehr ein hüb­sches Ka­pi­tal bei­sam­men zu ha­ben, so et­was kann doch wohl an­zie­hen.«

»Al­ler­dings«, er­wi­der­ten die Ma­tro­sen, »das ist sehr ver­füh­re­risch! Ein gu­tes Aus­kom­men bis ans Ende sei­ner Tage!«

»Ich will in­des nicht ver­heh­len«, fuhr dann John­son fort, »dass die Un­ter­neh­mung lang­wie­rig, mü­he­voll und ge­fähr­lich ist; das steht aus­drück­lich in un­se­ren In­struk­tio­nen; also muss man sich wohl mer­ken, wozu man sich ver­bind­lich macht; sehr wahr­schein­lich, al­les Men­schen­mög­li­che zu ver­su­chen und viel­leicht noch mehr! Also hast du nicht Mut im Her­zen, einen er­prob­ten Cha­rak­ter, hast du nicht den Teu­fel im Lei­be, magst du dir nicht sa­gen, dass zwan­zig ge­gen eins du da­beiblei­ben kannst, kurz, ist es dir dar­um zu tun, dass du dei­ne Haut lie­ber an dem Ort läs­sest, wie an ei­nem an­de­ren – so keh­re mir den Rücken und über­lass dei­nen Platz ei­nem küh­ne­ren Ge­sel­len!«

»Aber doch, Meis­ter John­son«, fuhr der Ma­tro­se, wenn ihm so zu­ge­setzt wur­de, fort, »Sie ken­nen doch we­nigs­tens den Ka­pi­tän?«

»Ka­pi­tän ist Freund Richard Shan­don, bis dass ein an­de­rer an sei­ne Stel­le tritt.«

Das war auch wohl die Mei­nung des Kom­man­dan­ten; er gab sich gern der Idee hin, dass er im letz­ten Mo­ment sei­ne ge­nau­en In­struk­tio­nen über das Rei­se­ziel er­hal­ten und dann Chef an Bord des For­ward blei­ben wer­de. Er ver­brei­te­te auch gern die­se Mei­nung, sei’s im Ge­spräch mit sei­nen Of­fi­zie­ren, sei’s im Ver­lauf der Schiff­bau­ar­bei­ten.

Shan­don und John­son hiel­ten sich stren­ge an die hin­sicht­lich der Ge­sund­heit der Mann­schaft ge­ge­be­nen Vor­schrif­ten; die­sel­be hat­te ein be­frie­di­gen­des Aus­se­hen; ihre elas­ti­schen Glie­der, ihre kla­re und blü­hen­de Haut­far­be zeig­te, dass sie die strengs­te Käl­te aus­zu­hal­ten fä­hig wa­ren. Es wa­ren zu­ver­sicht­li­che und ent­schlos­se­ne Män­ner, ener­gisch und von dau­er­haf­ter Lei­bes­be­schaf­fen­heit.

Matrosenunterhaltung über den Forward

Die ge­sam­te Mann­schaft ge­hör­te dem pro­tes­tan­ti­schen Re­li­gi­ons­be­kennt­nis an; das ge­mein­sa­me Ge­bet, das Bi­bel­le­sen trägt oft dazu bei, wi­der­wär­ti­ge Ge­mü­ter in Ein­tracht zu hal­ten und zur­zeit der Ent­mu­ti­gung auf­zu­rich­ten. Shan­don wuss­te aus Er­fah­rung, wie er­sprieß­lich die­se Ge­wohn­hei­ten in ih­rem Ein­fluss auf die Sitt­lich­keit ei­ner Mann­schaft sind.

Hier­auf be­sorg­ten Shan­don und sei­ne bei­den Of­fi­zie­re die Ver­pro­vi­an­tie­rung, wo­bei sie sich streng an die In­struk­tio­nen des Ka­pi­täns hiel­ten, wel­che klar, prä­zis und ins ein­zel­ne ge­hend wa­ren und die Quan­ti­tät wie Qua­li­tät der ge­rings­ten Ar­ti­kel vor­schrie­ben. Die emp­fan­ge­nen An­wei­sun­gen setz­ten den Kom­man­dan­ten in­stand, je­den Ar­ti­kel bar zu be­zah­len, mit ei­nem Dis­kont von acht Pro­zent, wel­chen Richard Shan­don pünkt­lich zu­guns­ten des K. Z. ein­trug.

Mann­schaft, Pro­vi­ant, La­dung, al­les war im Ja­nu­ar 1860 be­reit und fer­tig. Shan­don fand sich tag­täg­lich zu Bir­ken­head ein.

Am 23. Ja­nu­ar vor­mit­tags be­fand er sich sei­ner Ge­wohn­heit nach auf ei­ner der brei­ten Dampf­bar­ken, wel­che an bei­den En­den mit ei­nem Steu­er ver­se­hen un­abläs­sig die Über­fahrt von ei­nem Ufer der Mer­sey ans an­de­re be­sor­gen; es herrsch­te da­mals ei­ner der ge­wöhn­li­chen Ne­bel, wel­cher die Boots­leu­te des Flus­ses nö­tig­te, sich des Kom­pas­ses zu be­die­nen, ob­wohl die Über­fahrt kaum zehn Mi­nu­ten währt.

In­des­sen, so dick die­ser Ne­bel war, sah Shan­don durch den­sel­ben hin­durch einen Mann von un­ter­setz­ter Sta­tur, et­was dick, mit fei­nen, mun­te­ren Ge­sichts­zü­gen und freund­li­chem Blick, der auf ihn zu­ging, sei­ne bei­den Hän­de er­griff und mit ei­ner Wär­me und Ver­trau­lich­keit schüt­tel­te, die, wie die Fran­zo­sen sich aus­drücken »ganz süd­lich« war.

Ankunft des Doktor Clawbonny

Aber war die­ser Mann auch nicht aus dem Sü­den, so kam er doch eben von dort; er sprach und ges­ti­ku­lier­te flink; sein Ge­dan­ke mach­te sich Luft um je­den Preis; sei­ne Au­gen, klein wie die ei­nes Man­nes von Geist, sein großer, be­weg­li­cher Mund ga­ben der Üb­er­fül­le des In­ne­ren einen Aus­weg; er sprach so viel und so leb­haft, dass Shan­don, of­fen ge­stan­den, nichts da­von ver­stand.

Doch er­kann­te der Schiffs­lieu­ten­ant so­gleich den klei­nen Mann, ob­schon er ihn nie ge­se­hen hat­te; und als die­ser ein­mal Atem hol­te, äu­ßer­te Shan­don:

»Der Dok­tor Cla­w­bon­ny?«

»Er selbst, in eig­ner Per­son, Kom­man­dant! Seit ei­ner vol­len Vier­tel­stun­de su­che ich Sie, fra­ge al­ler­wärts nach Ih­nen! Sie sind es also, Kom­man­dant Richard Shan­don? Sie sin­d’s leib­haf­tig? Kei­ne My­the also? Ihre Hand, Ihre Hand! Dass ich sie noch­mals drücke. Wenn es nun einen Kom­man­dan­ten Richard Shan­don gibt, so gibt es auch eine Brigg For­ward un­ter sei­nem Be­fehl; und wenn er ab­fährt, wird er den Dok­tor Cla­w­bon­ny mit­neh­men.«

»Ja­wohl, Dok­tor, ich bin Richard Shan­don, es exis­tiert eine Brigg For­ward, die wird ab­fah­ren!«

»Das ist lo­gisch«, er­wi­der­te der Dok­tor. »Da­rum bin ich auch so froh, auf der Höhe mei­ner Wün­sche! Seit lan­ger Zeit war­te­te ich auf eine sol­che Ge­le­gen­heit voll Sehn­sucht, eine sol­che Rei­se zu ma­chen. Nun, mit Ih­nen, Kom­man­dant …«

»Ge­stat­ten Sie …« sag­te Shan­don.

»Mit Ih­nen«, fuhr Cla­w­bon­ny fort, ohne ihn zu hö­ren, »wer­den wir ge­wiss weit fah­ren, und kei­nen Fuß­breit wei­chen.«

»Aber …« ver­setz­te Shan­don.

»Denn Sie ha­ben schon Pro­ben ab­ge­legt, Kom­man­dant, und ich weiß, was Sie ge­leis­tet ha­ben. Ah! Sie sind ein stol­zer See­mann!«

»Wol­len Sie die Güte ha­ben …«

»Nein, ich will Ihre Kühn­heit, Ihre Tap­fer­keit und Ge­schick­lich­keit nicht einen Au­gen­blick in Zwei­fel ge­zo­gen ha­ben, nicht ein­mal von Ih­nen! Der Ka­pi­tän, der Sie zu sei­nem Stell­ver­tre­ter ge­wählt hat, ver­steht sich dar­auf, da­für bür­g’ ich!«

»Aber dar­um han­delt sich’s nicht«, sag­te Shan­don un­ge­dul­dig.

»Und warum han­delt sich’s denn? Sie las­sen mich lan­ge schmach­ten.«

»Sie las­sen mich ja nicht re­den, zum Hen­ker! Sa­gen Sie mir nur freund­li­cher­wei­se, Dok­tor, wie sind Sie dazu ge­bracht wor­den, an der Ex­pe­di­ti­on des For­ward teil­zu­neh­men?«

»Nur durch einen Brief, den ich hier Ih­nen vor­wei­se; er ist sehr la­ko­nisch, aber hin­rei­chend!«

Mit die­sen Wor­ten über­reich­te er Shan­don das Schrei­ben, wel­ches also lau­te­te:

»In­ver­neß, den 22. Ja­nu­ar 1860.

An den Dok­tor Cla­w­bon­ny, Li­ver­pool.

Wenn der Dok­tor Cla­w­bon­ny sich für eine lan­ge dau­ern­de Ex­pe­di­ti­on auf dem For­ward ein­schif­fen will, kann er sich dem Kom­man­dan­ten Richard Shan­don vor­stel­len, wel­cher da­für in­stru­iert ist.

Der Ka­pi­tän des For­ward.

K. Z.«

»Der Brief ist die­sen Vor­mit­tag an­ge­kom­men, und ich bin schon be­reit, an Bord des For­ward zu ge­hen.«

»Aber doch«, fuhr Shan­don fort, »wis­sen Sie, Dok­tor, worin der Zweck die­ser Rei­se be­steht?«

»Durchaus nicht; aber was liegt dar­an? Gehe ich nur ir­gend­wo­hin. Man nennt mich einen Ge­lehr­ten; der bin ich nicht, Kom­man­dant, ich weiß nichts, und wenn ich ei­ni­ge Bü­cher schrieb, die Ab­satz fin­den, so tat ich nicht wohl dar­an, das Pub­li­kum ist wohl so gü­tig, sie zu kau­fen. Ich weiß nichts, sag’ ich Ih­nen; nur das weiß ich, dass ich nichts weiß. Nun bie­tet man mir an, mei­ne Kennt­nis­se zu ver­voll­stän­di­gen, oder, bes­ser ge­sagt, mir erst Kennt­nis­se zu er­wer­ben in Me­di­zin, Chir­ur­gie, Ge­schich­te, Geo­gra­fie, Bo­ta­nik, Mi­ne­ra­lo­gie, Kon­chy­lio­lo­gie,1 Geo­dä­sie,2 Che­mie, Phy­sik, Mecha­nik, Hy­dro­gra­fie. Nun, ich nahm’s an und ver­si­che­re Sie, dass ich mich nicht bit­ten las­se!«

»So wis­sen Sie also nicht«, fuhr Shan­don ver­drieß­lich fort, »wo­hin der For­ward ge­hen soll?«

»O ja, Kom­man­dant, er fährt da­hin, wo es et­was zu ler­nen, zu ent­de­cken, sich zu be­leh­ren, zu ver­glei­chen gibt, wo man an­de­re Sit­ten, an­de­re Län­der, an­de­re Völ­ker trifft, um sie bei ih­ren Ver­rich­tun­gen zu stu­die­ren; er fährt, mit ei­nem Wort, da­hin, wo ich noch nie­mals ge­we­sen bin.«

»Aber spe­zi­el­ler?« rief Shan­don.

»Spe­zi­el­ler«, er­wi­der­te der Dok­tor, »ich hör­te sa­gen, er fah­re in die Nord­mee­re. Gut, ich bin es zu­frie­den nach Nor­den!«

»Sie ken­nen doch«, frag­te Shan­don, »den Ka­pi­tän des Schif­fes?«

»Im min­des­ten nicht! Aber, Sie dür­fen mir’s glau­ben, ’s ist ein wa­cke­rer Mann!«

Als der Kom­man­dant und der Dok­tor zu Bir­ken­head aus­ge­stie­gen wa­ren, mach­te je­ner die­sen mit der Sach­la­ge be­kannt, und die­ses Ge­heim­nis ent­zün­de­te die Fan­ta­sie des Dok­tors. Beim An­blick der Brigg war er über die Ma­ßen er­freut. Seit die­sem Tag wich er Shan­don nicht von der Sei­te und be­such­te je­den Mor­gen den Rumpf des For­ward.

Auch wur­de er be­son­ders be­auf­tragt, die Ein­rich­tung der Phar­ma­zie an Bord zu über­wa­chen.

Denn die­ser Cla­w­bon­ny war Arzt, und so­gar ein gu­ter Arzt, aber mit we­nig Pra­xis. Im fünf­und­zwan­zigs­ten Jah­re ein Dok­tor wie alle an­de­ren, war er im vier­zigs­ten ein ech­ter Ge­lehr­ter; sehr ge­kannt in der gan­zen Stadt, wur­de er ein ein­fluss­rei­ches Mit­glied der li­te­ra­ri­schen und phi­lo­so­phi­schen Ge­sell­schaft zu Li­ver­pool. Sein klei­nes Ver­mö­gen ge­stat­te­te ihm, un­ent­gelt­lich Rat zu er­tei­len, der dar­um nicht min­der Wert hat­te; ge­liebt, wie es ei­nem aus­neh­mend lie­bens­wür­di­gen Mann ge­bühr­te, füg­te er nie je­mand ein Leid zu, nicht ein­mal sich sel­ber; leb­haft und red­se­lig, wenn man will, aber das Herz in der Hand, reich­te er die­se je­der­mann.

Als sich in der Stadt das Gerücht von sei­ner Auf­nah­me an Bord des For­ward ver­brei­te­te, bo­ten sei­ne Freun­de al­les auf, ihn zu­rück­zu­hal­ten; aber das be­stärk­te ihn nur umso mehr in sei­nem Vor­ha­ben. Wenn aber der Dok­tor ir­gend­wo Wur­zel ge­fasst hat­te, ge­hör­te viel dazu, um ihn wie­der von die­sem Bo­den aus­zu­rei­ßen!

Von die­sem Tage an nah­men die Ver­mu­tun­gen und Be­fürch­tun­gen in stei­gen­dem Maße zu; aber das hin­der­te nicht, dass der For­ward am 5. Fe­bru­ar 1860 vom Sta­pel lief. Zwei Mo­na­te spä­ter war er zum Aus­lau­fen be­reit.

Am 15. Fe­bru­ar, wie das Schrei­ben des Ka­pi­täns an­ge­kün­digt hat­te, wur­de auf der Ei­sen­bahn von Edin­bur­gh nach Li­ver­pool ein Hund dä­ni­scher Ras­se an Richard Shan­don über­schickt.

Das Tier schi­en tückisch, scheu, selbst ein we­nig schlimm, mit ei­nem ei­gen­tüm­li­chen Blick. Auf sei­nem kup­fer­nen Hals­band war die In­schrift For­ward. Der Kom­man­dant wies ihm so­gleich an Bord sei­ne Stät­te an und mel­de­te den Empfang un­ter den an­ge­ge­be­nen Buch­sta­ben an Li­vor­no.

So war also bis auf den Ka­pi­tän die Be­man­nung voll­stän­dig. Sie be­stand aus:

1. K. Z., Ka­pi­tän; 2. Richard Shan­don, Kom­man­dant; 3. Ja­mes Wall, drit­ter Of­fi­zier; 4. Dok­tor Cla­w­bon­ny; 5. John­son, Rüst­meis­ter; 6. Simp­son, Har­pu­nier; 7. Bell, Zim­mer­mann; 8. Pr­un­ton, ers­ter Ma­schi­nist; 9. Plover, zwei­ter Ma­schi­nist; 10. Strong (Ne­ger), Koch; 11. Fo­ker, Eis­meis­ter; 12. Wol­s­ten, Waf­fen­schmied; 13. Bol­ton, Ma­tro­se; 14. Gar­ry, Ma­tro­se; 15. Clif­ton, Ma­tro­se; 16. Grip­per, Ma­tro­se; 17. Pen, Ma­tro­se; 18. Wa­ren, Hei­zer.

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Viertes Kapitel – Kapitän Hund

Mit dem 5. April war der zur Ab­fahrt be­stimm­te Tag er­schie­nen. Die Auf­nah­me des Dok­tors an Bord be­ru­hig­te ein we­nig die Ge­mü­ter. Wo­hin der wür­di­ge Ge­lehr­te zu ge­hen sich ent­schloss, konn­te man ge­trost auch ge­hen. Doch wa­ren die meis­ten Ma­tro­sen et­was un­ru­hig, und Shan­don, in Be­sorg­nis, es möch­ten ei­ni­ge aus­rei­ßen, wünsch­te leb­haft auf ho­her See zu sein. War ein­mal die Küs­te au­ßer Sicht, so wür­de die Mann­schaft sich dar­ein er­ge­ben.

Die Ka­bi­ne des Dok­tor Cla­w­bon­ny lag im Hin­ter­grund des Hüt­ten­decks und nahm die gan­ze Rück­sei­te des Schif­fes ein. Die Ka­bi­nen des Ka­pi­täns und des Schiffs­lieu­ten­ants, wel­che mehr zu­rück­stan­den, hat­ten eine Aus­sicht aufs Ver­deck. Die des Ka­pi­täns blieb, nach­dem sie mit ver­schie­de­nen In­stru­men­ten, Mö­beln, Rei­se­klei­dern, Bü­chern, Klei­dern zum Wech­seln und Gerät­schaf­ten nach de­tail­lier­ter An­ga­be aus­ge­stat­tet wor­den, her­me­tisch ver­schlos­sen. Nach Wei­sung des Un­be­kann­ten wur­de der Schlüs­sel zu die­ser Ka­bi­ne ihm nach Lü­beck adres­siert zu­ge­schickt; er hat­te also al­lein Zu­tritt zu sei­nem Ge­mach.

Die­se Be­stim­mun­gen wa­ren Shan­don nicht nach dem Sinn und nah­men ihm viel Aus­sicht auf sein Ober­kom­man­do. Sei­ne ei­ge­ne Ka­bi­ne hat­te er voll­stän­dig nach den Be­dürf­nis­sen der pro­jek­tier­ten Rei­se ein­ge­rich­tet, da ihm die Er­for­der­nis­se für eine Po­lar­ex­pe­di­ti­on gründ­lich be­kannt wa­ren.

Das Zim­mer des drit­ten Of­fi­ziers lag in­ner­halb des falschen Ver­decks, wel­ches ein ge­räu­mi­ges Schlaf­ge­mach für die Ma­tro­sen bil­de­te; die Leu­te hat­ten es hier sehr ge­mäch­lich, und sie hät­ten schwer­lich an Bord ei­nes an­de­ren Schif­fes eine so be­que­me Ein­rich­tung ge­trof­fen. Man be­wies ih­nen eine Sorg­falt, wie ei­ner La­dung von Wert; ein ge­räu­mi­ger Ofen nahm die Mit­te des ge­mein­sa­men Saa­l­es ein.

Der Dok­tor Cla­w­bon­ny fand al­les nach Wunsch, er hat­te seit dem 6. Fe­bru­ar, dem Tage nach dem Sta­pel­las­sen des For­ward, sei­ne Ka­bi­ne in Be­sitz ge­nom­men und wie ein Kind Ver­gnü­gen dar­an ge­fun­den, sein wis­sen­schaft­li­ches Ge­päck in Ord­nung zu brin­gen. Sei­ne Bü­cher, Her­ba­ri­en, Mess­in­stru­men­te, phy­si­ka­li­schen Ap­pa­ra­te, sei­ne Samm­lung von Ther­mo­me­ter, Baro­me­ter, Hy­gro­me­ter, sei­ne Bril­len, Kom­pas­se, Sex­tan­ten, Kar­ten, Plä­ne, die Fio­len, Pul­ver, Fläsch­chen sei­ner sehr voll­stän­di­gen Rei­se­apo­the­ke, al­les dies war der­ma­ßen ge­ord­net, dass es hät­te das Bri­tish Mu­se­um be­schä­men kön­nen. Die­ser Raum von sechs Qua­drat­fuß ent­hielt schätz­ba­re Reich­tü­mer.

Er war stolz auf die­se Aus­stat­tung und glück­lich in sei­nem schwim­men­den Hei­lig­tu­me, das lei­der so eng war, dass es sei­ne zum Be­such hin­strö­men­den Freun­de nicht auf­neh­men konn­te.

Zur voll­stän­di­gen Be­schrei­bung der Ein­rich­tung des For­ward habe ich noch bei­zu­fü­gen, dass die La­ger­stät­te des Hun­des dicht un­ter dem Fens­ter der ge­heim­nis­vol­len Ka­bi­ne an­ge­bracht war; aber ihr wil­der Be­woh­ner zog vor, in den Gän­gen oder dem un­ters­ten Schiffs­raum um­her­zu­strei­fen, und bei Nacht hör­te man ihn jäm­mer­lich heu­len, dass es in den lee­ren Räu­men des Fahr­zeugs in un­heim­li­cher Wei­se wi­der­hall­te.

Tat er dies aus Sehn­sucht nach sei­nem ab­we­sen­den Herrn oder aus in­ne­rem Vor­ge­fühl dro­hen­der Ge­fah­ren? Die Ma­tro­sen wa­ren ge­neigt, das letz­te­re zu glau­ben.

Der Dok­tor Cla­w­bon­ny, des­sen Sanft­mut und Lieb­ko­sun­gen einen Ti­ger zäh­men konn­ten, be­müh­te sich ver­ge­bens um die Gunst die­ses Hun­des; er ver­lor Zeit und Mühe.

Da die­ses Tier üb­ri­gens auf kei­nen der Na­men hör­te, wel­che sich im Hun­de­ka­len­der ver­zeich­net fin­den, so ka­men die Leu­te an Bord zu­letzt dar­auf, ihn Ka­pi­tän zu nen­nen, denn er schi­en die Ge­bräu­che an Bord völ­lig zu ken­nen. Of­fen­bar hat­te er schon See­rei­sen ge­macht.

Un­ter den ge­ge­be­nen Um­stän­den war Richard Shan­don nicht ohne Un­ru­he und sprach die­se am Abend vor der Abrei­se, dem 5. April, in sei­ner Un­ter­hal­tung mit dem Dok­tor, Wall und John­son aus.

Die­se vier be­fan­den sich im Ver­samm­lungs­zim­mer des Hüt­ten­decks beim zehn­ten Gläs­chen Grog, ih­rem letz­ten ohne Zwei­fel, da nach den Vor­schrif­ten des Schrei­bens aus Aber­de­en die gan­ze Mann­schaft, vom Ka­pi­tän bis zum Hei­zer an Bord, we­der Wein, noch Bier oder geis­ti­ge Ge­trän­ke be­kom­men soll­ten, au­ßer im Krank­heits­fall auf An­ord­nung des Arz­tes.

Seit ei­ner Stun­de sprach man von nichts als der be­vor­ste­hen­den Abrei­se. Den In­struk­tio­nen des Ka­pi­täns nach muss­te Shan­don mor­gen ein Schrei­ben mit den letz­ten An­ord­nun­gen er­hal­ten.

»Wenn dies Schrei­ben«, sag­te der Kom­man­dant, »mir nicht den Na­men des Ka­pi­täns an­gibt, muss es uns we­nigs­tens den Be­stim­mungs­ort des Schif­fes mel­den. Wo­hin­aus soll man sonst steu­ern?«

»Wahr­haf­tig«, er­wi­der­te der un­ge­dul­di­ge Dok­tor, »an Ih­rer Stel­le wür­de ich selbst ohne den Brief ab­rei­sen; er wür­de uns wohl ein­zu­ho­len ver­ste­hen, denk’ ich.«

»Sie ha­ben kei­ne Ver­mu­tung dar­über, Dok­tor! Aber in wel­cher Rich­tung wür­den Sie steu­ern, wenn es be­liebt?«

»Nach dem Nord­pol zu, of­fen­bar! Das ver­steht sich ja ohne al­len Zwei­fel.«

»Ohne al­len Zwei­fel!« ent­geg­ne­te Wall. »Und warum nicht nach dem Süd­pol?«

»Nach dem Süd­pol«, schrie der Dok­tor, »ge­wiss nicht!«

»Soll­te der Ka­pi­tän den Ge­dan­ken ha­ben, mit ei­ner Brigg durch den gan­zen At­lan­ti­schen Ozean zu fah­ren! Den­ken Sie doch ein­mal dar­an, lie­ber Wall.«

»Der Dok­tor hat auf al­les eine Ant­wort«, er­wi­der­te letz­te­rer.

»Gut, also nach Nor­den«, fuhr Shan­don fort. »Aber, sa­gen Sie mir, Dok­tor, mei­nen Sie nach Spitz­ber­gen? Grön­land? La­b­ra­dor? Oder die Hud­son­bai? Füh­ren die­se ver­schie­de­nen Wege auch alle zu dem­sel­ben Ziel, der un­durch­dring­li­chen Eis­de­cke, so wäre ich doch sehr in Ver­le­gen­heit, mich für einen oder den an­de­ren der­sel­ben zu ent­schei­den. Kön­nen Sie mir dar­über eine ent­schie­de­ne Ant­wort ge­ben, Dok­tor?«

»Nein«, er­wi­der­te die­ser in Ver­le­gen­heit, »aber schließ­lich, was wol­len Sie tun, wenn Sie kein Schrei­ben er­hal­ten?«

»Nichts; ab­war­ten.«

»Ab­fah­ren nicht?« rief Cla­w­bon­ny und schwang sein Glas in Verzweif­lung.

»Al­ler­dings nicht.«

»Das ist das Ge­schei­tes­te«, er­wi­der­te Meis­ter John­son ge­las­sen, wäh­rend der Dok­tor, der an sei­nem Platz kei­ne Ruhe hat­te, um den Tisch her­umspa­zier­te. »Ja, das Ge­schei­tes­te; doch kann ein zu lan­ges Ab­war­ten miss­li­che Fol­gen ha­ben: Erst­lich, die Wit­te­rung ist gut, und wenn es nach Nor­den zu geht, müs­sen wir den Eis­bruch be­nut­zen, um durch die Da­vis-Stra­ße zu fah­ren; über­dies wird die Mann­schaft im­mer un­ru­hi­ger; un­se­re Leu­te wer­den durch ihre Freun­de und Ka­me­ra­den ver­an­lasst, den For­ward zu ver­las­sen, und ihr Ein­fluss könn­te uns einen schlim­men Streich spie­len.«

»Man muss wei­ter an­neh­men«, fuhr Ja­mes Wall fort, »dass, wenn eine Pa­nik ein­trä­te, die Ma­tro­sen bis zum letz­ten Mann aus­rei­ßen wür­den; und ich weiß nicht, Kom­man­dant, ob es Ih­nen ge­lin­gen wür­de, Ihre Mann­schaft von Neu­em auf­zu­brin­gen.«

Clawbonny in seiner Cabine

»Aber was an­fan­gen?« schrie Shan­don.

»Was Sie ge­sagt ha­ben«, ver­setz­te der Dok­tor: »Ab­war­ten, aber nur bis mor­gen, ehe man den Mut sin­ken lässt. Die Ver­spre­chun­gen des Ka­pi­täns sind bis­her mit ei­ner Re­gel­mä­ßig­keit er­füllt wor­den, die eine gute Bürg­schaft ist; man hat also kei­nen Grund zu glau­ben, dass wir nicht zu rich­ti­ger Zeit über un­se­re Be­stim­mung wer­den in Kennt­nis ge­setzt wer­den; ich zweifle kei­nen Au­gen­blick, dass wir mor­gen auf dem Ir­län­di­schen Mee­re fah­ren; dazu, mei­ne Freun­de, schla­ge ich ein letz­tes Glas vor auf un­se­re glück­li­che Rei­se; sie be­ginnt zwar auf eine et­was un­kla­re Wei­se, aber mit See­leu­ten wie Ih­nen gibt es tau­send Wege zum gu­ten Ende.«

Und alle vier stie­ßen zum letz­ten Mal an.

»Jetzt, Kom­man­dant«, fuhr Meis­ter John­son fort, »darf ich Ih­nen einen Rat ge­ben, so be­steht er dar­in: Sie tref­fen alle Vor­be­rei­tun­gen zur Ab­fahrt: die Mann­schaft muss Sie ganz si­cher wis­sen. Mor­gen, mag ein Brief kom­men oder nicht, ma­chen Sie se­gel­fer­tig, zu hei­zen ist noch nicht nö­tig; es sieht aus, als wol­le der Wind gut hal­ten, und es ist leicht, die hohe See zu ge­win­nen; der Lot­se kom­me an Bord; zur­zeit der Flut ver­las­sen Sie die Docks und an­kern drau­ßen vor der Spit­ze von Bir­ken­head; dann ha­ben un­se­re Leu­te mit dem Lan­de kei­ne Ver­bin­dung mehr, und wenn der ver­teu­fel­te Brief end­lich kommt, wird er uns dort fin­den, wie an­der­wärts.«

»Brav ge­spro­chen, wa­cke­rer John­son!« sag­te der Dok­tor und reich­te dem al­ten See­mann die Hand.

»So wol­len wir es ma­chen!« er­wi­der­te Shan­don.

Je­der be­gab sich dann in sei­ne Ka­bi­ne und er­war­te­te in un­ru­hi­gem Schlaf den Son­nen­auf­gang.

Am fol­gen­den Mor­gen fand sich bei den ers­ten Brie­f­ab­ga­ben in der Stadt nicht ein ein­zi­ger an den Kom­man­dan­ten Richard Shan­don.

De­m­un­ge­ach­tet mach­te die­ser sei­ne Vor­be­rei­tun­gen zur Ab­fahrt; das Gerücht da­von ver­brei­te­te sich so­gleich in Li­ver­pool, und es ström­te eine au­ßer­or­dent­li­che Men­ge von Zuschau­ern auf die Kais von New-Prin­ces-Docks.

Es ka­men vie­le der­sel­ben an Bord der Brigg, die­ser, um von ei­nem Ka­me­ra­den Ab­schied zu neh­men, je­ner um ei­nem Freund ab­zu­ra­ten, ein an­de­rer, um sich das selt­sa­me Schiff zu be­se­hen, wie­der ein an­de­rer, um den Zweck der Rei­se zu er­fah­ren, und man murr­te, als man den Kom­man­dan­ten schweig­sa­mer und rück­hal­ten­der sah wie je­mals.

Da­für hat­te er wohl sei­ne Grün­de.

Es schlug zehn Uhr; elf so­gar. Ge­gen ein Uhr nach­mit­tags soll­te die Flut fal­len. Shan­don warf vom Hüt­ten­deck aus einen un­ru­hi­gen Blick auf die Men­ge; die Ma­tro­sen voll­zo­gen schwei­gend sei­ne Be­feh­le, stets die Au­gen auf ihn ge­rich­tet, in Er­war­tung ei­ner Mit­tei­lung, wel­che aus­blieb.

Meis­ter John­son mach­te se­gel­fer­tig; es war be­deck­ter Him­mel, und vor den Bass­ins drau­ßen ging die See sehr hohl; es weh­te ein ziem­lich star­ker Süd­ost, doch konn­te man leicht aus der Mer­sey her­aus­kom­men.

Um zwölf Uhr noch nichts. Der Dok­tor Cla­w­bon­ny ging un­ru­hig auf und ab, lor­gnet­tier­te,1 ges­ti­ku­lier­te. Er fühl­te sich auf­ge­regt, was er auch tun moch­te. Shan­don biss sich die Lip­pen blu­tig.

Jetzt trat John­son her­an und sag­te zu ihm:

»Kom­man­dant, wol­len wir die Flut be­nut­zen, so dür­fen wir kei­ne Zeit ver­lie­ren; vor Ablauf ei­ner gu­ten Stun­de kom­men wir nicht aus den Docks her­aus.«

Shan­don blick­te noch ein­mal um­her und sah auf sei­ne Uhr. Die Zeit der Brief­aus­ga­be zu Mit­tag war vor­über.

»Wohl­an denn!« sag­te er zu sei­nem Rüst­meis­ter.

Die­ser rief den Zuschau­ern zu, das Ver­deck zu räu­men.

Es ent­stand eine rege Be­we­gung, in­dem die einen auf den Kai eil­ten, die an­de­ren die Taue lös­ten.

In der Ver­wir­rung, da die Ma­tro­sen ohne viel Rück­sicht die Neu­gie­ri­gen weg­trie­ben, hör­te man den Hund heu­len.

Abfahrt des Forward

Dies Tier sprang auf ein­mal vom Vor­der­kas­tell mit­ten durch die dich­te Men­ge. Man wich ihm aus; er sprang auf das Hüt­ten­deck, und – tau­send Zeu­gen sa­hen es – der Ka­pi­tän Hund hielt zwi­schen den Zäh­nen einen Brief.

»Ein Brief!« rief Shan­don. »Aber da ist er ja an Bord?«

»Da ge­we­sen ist er ohne Zwei­fel, aber nun ist er nicht mehr da«, er­wi­der­te John­son und zeig­te auf das nun völ­lig ge­räum­te Ver­deck.

»Ka­pi­tän! Ka­pi­tän! Ici!«2 rief der Dok­tor und ver­such­te den Brief zu neh­men, aber der Hund wich ihm aus mit leb­haf­ten Sprün­gen. Es schi­en, er wol­le sei­ne Bot­schaft nur Shan­don selbst ein­hän­di­gen.

»Ka­pi­tän, ici!« rief die­ser.

Der Hund kam her­bei; Shan­don nahm ihm den Brief ab, und Ka­pi­tän bell­te drei­mal laut beim tie­fen Schwei­gen der Men­ge.

Shan­don zö­ger­te den Brief zu öff­nen.

»Ei, so le­sen Sie doch! Le­sen Sie!« rief der Dok­tor. Shan­don sah ihn an. Die Adres­se, ohne Ort und Da­tum lau­te­te:

»An den Kom­man­dan­ten Richard Shan­don, an Bord der Brigg For­ward.«

Shan­don öff­ne­te und las:

»Sie fah­ren nach dem Kap Fa­re­well zu. Am 20. April wer­den Sie dort ein­tref­fen. Wenn der Ka­pi­tän sich da nicht an Bord ein­fin­det, fah­ren Sie durch die Da­vis-Stra­ße und das Baf­fins-3 Meer hin­auf bis zur Mel­ville-Bai.

Der Ka­pi­tän des For­ward.

K. Z.«

Shan­don leg­te den la­ko­ni­schen Brief sorg­fäl­tig zu­sam­men, steck­te ihn in sei­ne Ta­sche und gab Be­fehl zur Ab­fahrt. Sei­ne im Pfei­fen des Ost­win­des hal­len­de Stim­me hat­te et­was Fei­er­li­ches.

Bald war der For­ward aus den Bass­ins her­aus und fuhr, von ei­nem Lot­sen aus Li­ver­pool ge­lei­tet, die Strö­mung des Mer­sey. Die Men­ge stürz­te auf den äu­ße­ren Kai längs der Docks Vic­to­ria, um das selt­sa­me Schiff noch ein­mal zu se­hen. Die Mast­bäu­me wa­ren rasch auf­ge­rich­tet, die Se­gel auf­ge­hisst, und mit de­ren Bei­stand fuhr der For­ward, nach­dem er um die Spit­ze Bir­ken­head ge­bo­gen, äu­ßerst schnell ins Ir­län­di­sche Meer.

durch die Lor­gnet­te be­trach­ten: scharf an­se­hen, ge­nau be­ob­ach­ten  <<<

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Die Baf­fin Bay, Baf­fin-Bucht oder Baf­fin­bai ist ein nörd­li­ches Rand­meer des At­lan­ti­schen Ozeans.  <<<

Fünftes Kapitel – Auf hoher See

Der Wind war un­gleich, doch güns­tig, mit star­ken April­stö­ßen. Der For­ward durch­schnitt rasch das Meer, und sei­ne Schrau­be be­sei­tig­te je­des Hin­der­nis. Ge­gen drei Uhr kreuz­te er mit dem Post­damp­fer zwi­schen Li­ver­pool und der In­sel Man. Der Ka­pi­tän rief ihn von sei­nem Bord aus an, das letz­te Le­be­wohl, wel­ches die Mann­schaft des For­ward zu hö­ren be­kam.

Um fünf Uhr gab der Pi­lot die Lei­tung des Schif­fes an Richard Shan­don zu­rück, und sein Kut­ter1 ver­schwand bald im Süd­west.

Ge­gen Abend fuhr die Brigg um das Sü­den­de der In­sel Man. Wäh­rend der Nacht ging das Meer sehr hohl; der For­ward hielt sich gut, ließ die Spit­ze von Ayr nord­west­lich und steu­er­te dem Nord-Kanal zu.

John­son hat­te recht; auf dem Meer ge­wann bei den Ma­tro­sen die Lie­be zur See die Ober­hand. Beim An­blick der Treff­lich­keit des Fahr­zeugs ver­ga­ßen sie das Be­sorg­li­che ih­rer Lage. Das Le­ben an Bord ge­stal­te­te sich re­gel­mä­ßig.

Der Dok­tor schlürf­te mit größ­tem Be­ha­gen die See­luft; er ging kräf­ti­gen Schrit­tes al­len Wind­stö­ßen ent­ge­gen, für einen Ge­lehr­ten auf ziem­lich see­män­ni­schem Fuß.

»Das Meer ist doch et­was Herr­li­ches«, sag­te er zu Meis­ter John­son, als er nach dem Früh­stück wie­der auf das Ver­deck sich be­gab. »Ich ma­che mich et­was spät mit dem­sel­ben ver­traut, aber ich wer­de mich bald dar­ein fin­den.«

»Sie ha­ben recht, Herr Cla­w­bon­ny; ich gäbe alle Kon­ti­nen­te der Welt für ein Stück­chen Ozean. Man be­haup­tet, die See­leu­te wür­den bald ihr Ge­schäft müde; nun bin ich schon vier­zig Jah­re See­fah­rer, und dies Le­ben ge­fällt mir noch so gut wie am ers­ten Tag.«

»Es ist doch eine wah­re Lust, ein gu­tes Schiff un­ter den Fü­ßen zu ha­ben, und irre ich nicht, so hält sich der For­ward treff­lich.«

»Sie ur­tei­len rich­tig, Dok­tor«, er­wi­der­te Shan­don, der zu den bei­den hin­zu­trat, »’s ist ein treff­lich Fahr­zeug, und ich sage of­fen, noch nie ist ein für die Fahrt ins Eis­meer be­stimm­tes Schiff bes­ser ver­se­hen und be­mannt ge­we­sen. Das er­in­nert mich, wie vor drei­ßig Jah­ren der Ka­pi­tän Ja­mes Ross,2 als er die nord­west­li­che Durch­fahrt such­te …«

»Er fuhr auf der Vic­to­ria«, sag­te leb­haft der Dok­tor, »ei­ner Brigg von etwa glei­chem Ton­nen­ge­halt wie die uns­ri­ge, und eben­falls mit ei­ner Dampf­ma­schi­ne.«

»Wie? Das wis­sen Sie?«

»Ur­tei­len Sie selbst«, fuhr der Dok­tor fort, »da­mals wa­ren die Ma­schi­nen noch in ih­rer Kind­heit, und die der Vic­to­ria ver­ur­sach­te der­sel­ben mehr wie eine nach­tei­li­ge Ver­zö­ge­rung: Nach­dem der Ka­pi­tän Ross sie Stück für Stück ver­geb­lich re­pa­riert hat­te, ließ er sie zu­letzt aus­ein­an­der­neh­men und gab sie bei sei­nem ers­ten Win­ter­auf­ent­halt auf.«

»Teu­fel!« rief Shan­don, »Sie wis­sen es ge­nau, sehe ich!«

»Was mei­nen Sie?« fuhr der Dok­tor fort. »Das hat man vom Le­sen. Ich habe die Wer­ke von Par­ry, Ross, Fran­klin, die Be­rich­te von Mac Clu­re, Ken­ne­dy, Kane, Mac Clintock ge­le­sen, und es ist da­bei et­was an mir hän­gen­ge­blie­ben. Ich sage wei­ter, dass die­ser näm­li­che Mac Clintock an Bord des Fox, ei­ner Schrau­ben­brigg, wie die uns­ri­ge, leich­ter und di­rek­ter zum Ziel ge­lang­te, als alle sei­ne Vor­gän­ger.«

»Sie ha­ben voll­kom­men recht«, er­wi­der­te Shan­don, »die­ser Mac Clintock ist ein küh­ner See­mann; ich hab’ ihn bei der Ar­beit ge­se­hen. Sie kön­nen bei­fü­gen, dass wir uns gleich ihm schon im April in der Da­vis-Stra­ße be­fin­den wer­den, und wenn es uns ge­lingt, zwi­schen den Eis­blö­cken durch­zu­drin­gen, so wird das un­se­rer Rei­se einen be­deu­ten­den Vor­schub ge­ben.«

»So­fern nicht«, ent­geg­ne­te der Dok­tor, »es uns geht wie dem Fox im Jah­re 1857, dass wir gleich im ers­ten Jah­re zwi­schen den Eis­blö­cken des nörd­li­chen Baf­fins-Mee­res ste­cken­blei­ben und mit­ten in der Eis­de­cke über­win­tern müs­sen.«

»Wir müs­sen hof­fen, dass wir glück­li­cher sein wer­den, Herr Shan­don«, er­wi­der­te John­son, »und wenn man mit ei­nem Fahr­zeug wie dem For­ward nicht drin­gen kann, wo­hin man will, muss man es ganz auf­ge­ben.«

»Üb­ri­gens«, fuhr der Dok­tor fort, »wenn der Ka­pi­tän an Bord ist, wird er bes­ser als wir wis­sen, was zu tun ist, und umso mehr, als es uns voll­stän­dig un­be­kannt ist; denn aus sei­nem gar zu la­ko­ni­schen Brie­fe kön­nen wir den Rei­se­zweck nicht er­ra­ten.«

»Es ist schon viel wert«, er­wi­der­te Shan­don leb­haft, »dass wir wis­sen, wel­chen Weg wir zu neh­men ha­ben; und jetzt, seit ei­nem Mo­nat, denk’ ich mir, wir kön­nen die über­na­tür­li­che Ein­wir­kung die­ses Un­be­kann­ten und sei­ner In­struk­tio­nen schon ent­beh­ren. Üb­ri­gens wis­sen Sie mei­ne Mei­nung über ihn.«

Der Forward steuert ein.

»Ho! Ho!« rief der Dok­tor aus. »Ich glaub­te wie Sie, die­ser Mann wer­de das Kom­man­do des Schif­fes Ih­nen las­sen und nie­mals an Bord kom­men, aber …«

»Aber?« ver­setz­te Shan­don et­was är­ger­lich.

»Aber seit An­kunft des zwei­ten Brie­fes hab’ ich in die­ser Hin­sicht mei­ne Ide­en än­dern müs­sen.«

»Und wes­halb, Dok­tor?«

»Weil die­ser Brief Ih­nen zwar die Rich­tung an­gibt, wel­che ge­nom­men wer­den soll, al­lein über die Be­stim­mung der For­ward kei­ne Aus­kunft gibt; man muss aber doch wis­sen, wo­hin man fährt. Wie kann, fra­ge ich, ein drit­ter Brief an Sie ge­lan­gen, weil wir uns auf ho­her See be­fin­den! Auf Grön­land muss der Post­dienst et­was zu wün­schen üb­rig las­sen. Se­hen Sie, Shan­don, ich den­ke mir, die­ser Schalk war­tet auf uns an ei­nem dä­ni­schen Plat­ze, zu Hol­stein­borg oder Up­per­na­wick; dort wird er zu sei­ner La­dung noch Rob­ben­fel­le, Schlit­ten und Hun­de kau­fen, kurz alle Gerät­schaf­ten, wel­che für eine Rei­se in das nörd­li­che Eis­meer nö­tig sind. Es wird mich da­her we­nig über­ra­schen, wenn wir ihn ei­nes schö­nen Mor­gens aus sei­ner Ka­bi­ne her­aus­kom­men und das Kom­man­do auf eine durch­aus nicht über­na­tür­li­che Wei­se füh­ren se­hen.«

Sonntagsfeier an Bord

»Mög­lich«, er­wi­der­te Shan­don tro­cken; »aber in­zwi­schen weht fri­scher Wind, und es ist nicht klug, zu sol­cher Zeit sei­ne Mas­ten ei­ner Ge­fahr aus­zu­set­zen.«

Shan­don ver­ließ den Dok­tor und gab Be­fehl, die ho­hen Se­gel auf­zu­gei­en.

»Es hält«, sag­te der Dok­tor zum Rüst­meis­ter.

»Ja«, er­wi­der­te letz­te­rer, »und das ist zu be­dau­ern, denn Sie könn­ten wohl recht ha­ben, Herr Cla­w­bon­ny.«

Am Sams­tag ge­gen Abend fuhr der For­ward am Vor­ge­bir­ge Gal­lo­way vor­über, des­sen Leucht­turm nord­öst­lich be­merk­lich ward; wäh­rend der Nacht ließ man das Vor­ge­bir­ge Can­ty­re im Nor­den und Kap Fair im Os­ten der Küs­te Ir­lands. Ge­gen drei Uhr früh lief die Brigg ne­ben der In­sel Rath­lin vor­bei aus dem Nord-Kanal in den Ozean.

Es war Sonn­tag, der 8. April; die Eng­län­der, be­son­ders die Ma­tro­sen, fei­ern die­sen Tag streng; da­her wid­me­te man einen Teil des Vor­mit­tags dem Vor­le­sen der Bi­bel, wel­ches der Dok­tor gern vor­nahm.

Der Wind wur­de dar­auf zum Or­kan, wel­cher die Brigg an die ir­län­di­sche Küs­te zu­rück­zu­wer­fen droh­te; die Wel­len wur­den stark, und das Schwan­ken des Schif­fes arg. Der Dok­tor spür­te nichts von der See­krank­heit, weil er nicht woll­te. Um Mit­tag ver­schwand im Sü­den Kap Mal­in­head, das letz­te Stück von Eu­ro­pa, wel­ches die küh­nen See­leu­te er­bli­cken soll­ten.

Man be­fand sich da­mals un­ter 55° 57′ Brei­te und 70° 40′ Län­ge.

Ge­gen neun Uhr abends leg­te sich der Sturm, und der For­ward blieb als gu­ter Seg­ler in nord­west­li­cher Rich­tung; er war nach dem Ur­teil der Ken­ner zu Li­ver­pool vor­zugs­wei­se Se­gel­schiff.

Wäh­rend der fol­gen­den Tage kam der For­ward rasch nord­wärts vor­an; der Wind schlug um in Süd, und das Meer ging ge­wal­tig hohl; die Brigg fuhr da­mals mit vol­len Se­geln. Ei­ni­ge Sturm­vö­gel flat­ter­ten über dem Hin­ter­ver­deck; der Dok­tor war so glück­lich, einen der letz­te­ren zu schie­ßen, und der­sel­be fiel an Bord. Er ver­stand es auch den­sel­ben schmack­haft zu­zu­be­rei­ten, in­dem er zu­erst al­les un­ter der Haut lie­gen­de Fett ab­lös­te, so­dass der ran­zi­ge Ge­schmack, wel­cher den See­vö­geln mit­un­ter ei­gen ist, völ­lig be­sei­tigt wur­de.

Wäh­rend des letz­ten Stur­mes hat­te Richard Shan­don Ge­le­gen­heit, sich von den Vor­zü­gen sei­ner Leu­te be­son­ders zu über­zeu­gen.

Ja­mes Wall, der Richard höchst er­ge­ben war, fass­te gut auf, ver­stand gut aus­zu­füh­ren, aber es moch­te ihm am selbst­stän­di­gen Auf­tre­ten feh­len; in ei­ner Stel­lung drit­ten Ran­ges war sein Platz.

John­son, ein er­fah­re­ner See­mann, er­graut in Fahr­ten nach dem Eis­meer, war an Kalt­blü­tig­keit und Kühn­heit un­über­treff­lich.

Der Har­pu­nier Simp­son und der Zim­mer­mann Bell wa­ren zu­ver­läs­si­ge Leu­te, an stren­ge Dis­zi­plin und Pf­licht­er­fül­lung ge­wöhnt. Der Eis­meis­ter Fo­ker, im See­dienst er­fah­ren, in John­sons Schu­le ge­bil­det, ver­sprach die treff­lichs­ten Diens­te zu leis­ten.

Von den üb­ri­gen Ma­tro­sen schie­nen Gar­ry und Bol­ton die bes­ten zu sein: Bol­ton, ein lus­ti­ger Ge­sel­le, mun­ter und red­se­lig; Gar­ry, ein Jung­ge­sel­le von fünf­und­drei­ßig Jah­ren, ener­gi­schen Ge­sichts­zü­gen, doch et­was blass und trau­rig.