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"Das einzige, was mich an jedem von euch interessiert, ist der Teil, der niemals seine Verbindung zum Göttlichen verliert. Das Dumme an uns Menschen ist nur, dass das, was niemals die Verbindung zum Göttlichen verliert, fast immer die Verbindung zu unserer Aufmerksamkeitsfunktion verloren hat. Daran müssen wir arbeiten." Lee LozowickMr. Lee tut und sagt vieles, was die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer empfindlich provoziert. Auf vielfältige Weise macht er deutlich, dass es nur so möglich ist, uns aus unserem Schlaf der Selbstgerechtigkeit und Anpassung zu reißen, an dem unser Bedürfnis nach Sicherheit und Selbstdefinition innerhalb eines chaotischen Universums uns festhalten läßt. Im Zustand des Schocks ebenso wie in schallendem Gelächter – zwei der bevorzugten Hilfsmittel des Meisters – haben wir die Möglichkeit, unsere Rüstung fallen zu lassen, die Gedanken für einen Moment auszuschalten und von innen heraus Raum für die Möglichkeit eines echten Durchbruchs zu schaffen. Wir haben die Gelegenheit, dessen eingedenk zu sein, der schon immer in uns gegenwärtig ist: Gott.Was ist "spirituelle Arbeit"? Was bedeutet es, sich einem Lehrer anzuvertrauen? Wie sind die Spielregeln einer spirituellen Gemeinschaft? Wie gibt man nach und gewinnt trotzdem? Auf welche Weise hält unser Ego uns davon ab, uns der Liebe hinzugeben? Worauf muss man beim aufrichtigen tantrischen Sex achten? Was hat es mit dem "göttlichen Einfluss" auf sich? Sind wir wirklich alle schon erleuchtet? Diese und viele andere Fragen, die jeden spirituell Interessierten bewegen, behandelt Lee Lozowick, ein Lehrer der amerikanischen Baul-Tradition, in DIE ALCHEMIE DER WANDLUNG auf schonungslose offene, humorvolle und kompetente Weise. Zahlreiche Geschichten aus der Bibel, der Sufi-Dichtung, der Bhagavad-Gita und Anekdoten aus dem Leben Rumis, Milarepas, Gurdjieffs, D.T. Suzukis und anderer geben uns Einblick in eine lebendige Lehre mit traditionellen Wurzeln.
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Seitenzahl: 259
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Amerikanische Originalausgabe:
Lee Lozowick: The Alchemy of Transformation.
Deutsche Ausgabe:
Lee Lozowick: Die Alchemie der Wandlung.
Aus dem Amerikanischen von Matthias Schossig
©advaitaMedia – Weisheit aus der Stille
Maria-Louisen-Str. 57, D-22301 Hamburg
www.advaitamedia.com
©2010 advaitaMedia GmbH
Projektleitung, Korrektorat: Lijoy Karikott, Hamburg
Satz: Frank Ziesing, Bielefeld
Cover: Katharina Joanowitsch, Hamburg
Druck und Bindung: C.H. Beck, Nördlingen
Neuauflage 2010
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über:
http://dnb.d-nb.de.
ISBN 978-3-936718-17-1
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige, auch elektronische Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.
Für meinen Meister Yogi Ramsuratkumar: er ist das Licht, das mich sehen lässt, das Herz, das mich fühlen lässt, und die Weisheit jenseits aller Konzepte.
Die traditionelle Unterweisung
überträgt sich im Wesentlichen
mittels einer Beziehung,
der Beziehung zwischen Meister und Schüler.
Das Buch,
als geschriebener Ausdruck dieser Unterweisung, wird dann zu dem, was den Lehrer mit dem Leser – genauer gesagt das Wirkliche mit dem Leser – verbindet.
Die Lektüre
kann somit Gelegenheit zur Übung sein,
der Übung einer bewussten Beziehung.
Yvan Amar (1950–1999)
Inhalt
Über meinen Meister
Die Geheimnissedes Zauberers
Vorwort
Einleitung
I Ein Meister bei der Arbeit
II Worin besteht die Arbeit?
III Spirituelle Praxis,
IV Selbsterforschung und die Dynamik des Geistes
V Lehrzeit in der Arbeit – wasman braucht, umin den Klub einzutreten
VI Von Frauen und Männern – Tantra, Sex, Beziehung und Liebe
VII Sehnsucht und Hingabe
VIII Über die Gemeinschaft
IX Über Hingabe und das Gesetz des Opferns
X Die richtige Frage stellen
Über den Autor
Über meinen Meister
Was kann man über einen Menschen wie Yogi Ramsuratkumar sagen? Ich könnte ihn schildern, wie man gewöhnlich einen solchen Menschen schildern würde: dass er zu jener kleinen Gruppe von Meistern gehört, die zu allen Zeiten auf der Oberfläche unseres Planeten gegenwärtig sind; dass sein segensreiches Tun sich großzügig auf alle erstreckt, denen es vergönnt ist, seinen Pfad zu kreuzen; dass sein Stil alle erreicht, alle Kulturen, alle sozialen Schichten, alle Rassen und Religionen, dass er zu allenMenschen spricht, ohne Unterschied und ohne Kompromisse.
Ich könnte mit jener Art vielsagender Beschreibung anfangen, mit der man normalerweise versuchen würde, einem so beeindruckenden Rätsel gerecht zu werden. Ich könnte sagen, dass er sich selbst als einen »verrückten Bettler« oder »schmutzigen Sünder« bezeichnet, aber seine Lumpenmit größerer Würde trägt, als ein König seine kostbarsten Kleider; dass er Tag und Nacht verfügbar ist, bereit zu dienen und die Bedürfnisse der Suchenden und aufrichtigen Schüler zu erfüllen; dass er seine Ausstrahlung und die außergewöhnliche Atmosphäre, die ihn umgibt, niemals für sich selbst in Anspruch nimmt und statt dessen sagt: »All dies stammt von meinem Vater im Himmel und nur von Ihm«.
Ich könnte noch viel mehr sagen, Yogi Ramsuratkumar preisen, eine lange Liste seiner edlen Taten aufstellen, die von den Menschen, die ihn lieben, festgehalten wurden. Aber es scheint mir, dass all dies noch immer die Wahrheit bei weitem verfehlen würde. Es ist tatsächlich nicht möglich, in Worten zu sagen, wer dieser Mensch ist. Sagen wir einfach, dass dieser verrückte Yogi ein Diener Gottes, eine lebende Verkörperung der Gnade sei und dass er sich jeder Beschreibung entziehe.
Trotzdem sollten wir uns nichts vormachen, uns nicht in falscher Sicherheit wiegen oder von schnellen magischen Fähigkeiten und billiger Ekstase träumen. Seid gewarnt: Man kommt einem Menschen wie Yogi Ramsuratkumar nicht nahe, wenn man nicht vorher gründlich mit derartigen Dingen aufgeräumt hat. Menschen wie er sind eine tödliche Gefahr für das Ego. Sie sind ein alles verzehrendes Feuer, eine wahre Umwälzung für ein Ego, das ebenso geschickt wie schnell ist, sich zu verteidigen. Einer Menschheit, die tief versunken ist in Schlaf und dualistischer Selbstwahrnehmung, sind sie nichts als Plage. Yogi Ramsuratkumar lässt nicht mit sich scherzen.
Er braucht mich wohl kaum, um ihn zu beschützen. Gleichzeitig wäre es jedoch auch vollkommen fehl am Platze, wenn er von Scharen spiritueller Touristen oder Dilettanten heimgesucht würde. Wenn du, werter Leser, also dein kleines, sesshaftes, Gott leugnendes Leben schätzt, sei gewarnt! Dem brauche ich wohl nichts hinzuzufügen.
1976 traf ich den Yogi zum ersten Mal. Er war einer von vielen Weisen, Heiligen und Yogis, die wir mit einer Gruppe von Freunden auf einer langen Pilgerschaft durch Indien, der ersten in einer Reihe von Reisen in dieses Land, besuchten. Bewusst wurde ich erst 1979, während meines zweiten Besuches bei Yogi Ramsuratkumar, zu seinem Schüler. Ich erkannte, dass sein göttlicher Einfluss mich in meinem Leben bereits Jahre vor der ersten Reise nach Indien geleitet hatte.
Ich verbrachte nur relativ kurze Zeit in seiner körperlichen Gegenwart, zumindest im Vergleich zu einigen seiner indischen Schüler. Aber der Grad der Wandlung, die er in mein Leben gebracht hat, die totale Aufmerksamkeit, die er mir schenkte, wenn ich körperlich bei ihm war, ebenso wie die subtile Präsenz, die ständig mein Bewusstsein und mein Leben durchdringt – eine Gegenwärtigkeit, die ich nur auf sein außerordentliches Mitgefühl zurückführen kann – all dies überzeugte mich von der Wahrheit dessen, was ich hier beschreibe.
Er ist ein Juwel, ein großer Meister. Aber seid gewarnt: Niemand kommt unbeschadet davon, wenn er in die Nähe dieses Meisters gerät!
Die Geheimnisse des Zauberers
Jeder Zauberkünstler, der ein wahrer Meister seines Faches ist, wird seine Geheimnisse nur zwei Arten von Menschen enthüllen: Zum einen wird er bei denen, die nichts weiter sind als neugierig, kein Blatt vor den Mund nehmen. Bei jemandem, der einfach nur plaudern will oder aus reiner Angewohnheit neugierige Fragen stellt, weiß der Meister der Magie, dass der Fragende niemals ernsthaft anfangen wird, selbst zu zaubern und die Geheimnisse anzuwenden. Wenn er einer solchen Person etwas erzählt, ist es, als würde er gegen eine Wand reden. Solche Menschen sind völlig harmlos.
Die zweite Art Menschen, denen ein Zauberer seine Geheimnisse nicht vorenthalten wird, sind solche, die es ernst meinen und ernsthaft daran interessiert sind, seine Magie wirklich anzuwenden; Menschen, die darüber hinaus mit diesem seltenen und wichtigen Wissen verantwortlich umgehen und sich ihm verpflichtet fühlen. Eine solche Person wird mehr als glücklich sein, sich allen Anregungen des Meisters zu fügen, eine oft langwierige und anstrengende Lehrzeit auf sich nehmen, möglicherweise ein ganzes Jahr lang nichts weiter tun, als Kleinigkeiten und Requisiten umherzutragen, den Fußboden zu wischen oder Kisten abzustauben, bevor er in die einfachsten Geheimnisse eingeweiht wird. Ein solcher Mensch wird das Wissen des Magiers in seinem wahren Wert schätzen und sicherlich nicht leichtsinnig damit umgehen oder es einfach weitererzählen. Nach seiner Lehrzeit wird der Zauberlehrling schließlich genau darauf achten, die Geheimnisse ebenso zu hüten wie sein Meister, und ein Auge darauf haben, nur die ernsthaftesten und eifrigsten Schüler zu wählen.
Alle Arten von Menschen, die zwischen diesen beiden Polen liegen, können für den Zauberkünstler sehr gefährlich werden. Einige wollen sich nur selbst bereichern und die Geheimnisse an den Meistbietenden weitergeben. Oder sie wollen sie aus Sucht nach Geld oder Ruhm zu Markte tragen. Andere werden Geheimnisse willkürlich in der Gegend herumerzählen und dadurch den wahren Wert der Magie als Kunst und Lebensweise schmälern. Wieder andere werden sich einbilden, sie wüssten bereits mehr als der Meister. Sie werden die erprobten, wahren und uralten Geheimnisse ihrem eigenen persönlichen Stil, ihren individuellen Neigungen und Launen entsprechend »modernisieren« und »verbessern«, wodurch die ursprüngliche Magie und ihre Geheimnisse binnen kürzester Zeit bis zur Unkenntlichkeit entstellt werden. Andere werden die höchst kostbaren und heiligen Geheimnisse als Gesellschaftsspiel missbrauchen, sie durch die niedrigsten Niederungen der Kultur (oder Unkultur) zerren und die wirkliche Kommunikation und das Wissen, das sie verkörpern sollen, vollkommen zerstören.
So spendet der erste Typ dem Meister gedankenlos Beifall, der zweite würdigt ihn und nimmt ihn dankbar an (vielleicht mit unausgesprochenem Dank, der zu kostbar ist, um ihn in Worte zu fassen), während der Rest ihn lächerlich macht, ihn verflucht, diffamiert, ignoriert, Witze über ihn reißt und ihn zum Gegenstand von Spott und Zynismus macht. Der Zauberkünstler jedoch bleibt ein Meister der Magie, unabhängig davon, wie sein Publikum sich verhält. Seine gesamte Existenz ist im Wesentlichen auf die Verwirklichung der Meisterschaft gerichtet. Sich eines Lehrlings (oder, wenn er Glück hat, auch mehrerer) anzunehmen, ist die Verpflichtung, die er gegenüber seinem Handwerk, seiner Kunst und seinem Wissen eingegangen ist.
Es sei dem Leser überlassen, inwieweit er Parallelen zwischen einem spirituellen Meister und einem Zauberkünstler ziehen mag.
Vorwort
Die Worte eines Lehrers wie Lee Lozowick verhallen niemals im leeren Raum. Sie finden ihre Resonanz auf allen Ebenen. Die Welt braucht diese Art von Hilfe heute dringender denn je.
Dina Rees
Vor einigen Jahren besuchte Mr. Lee mit seiner Entourage Dina Rees in ihrem Haus in einem Dorf nahe Freiburg. Sobald sie Mr. Lee erblickte, umarmte sie ihn herzlich wie einen geliebten Sohn und erkundigte sich ohne Umschweife nach seinem Meister Yogi Ramsuratkumar. Sie wollte alle Einzelheiten ihres Zusammentreffens in Indien erfahren und war offensichtlich voller Freude, als sie von der Entwicklung der Beziehung Mr. Lees zu seinem Meister hörte. Eine solche Beziehung, sagte sie, sei ein Segen für das ganze Universum, und die Welt brauche mehr davon. »Lee,« munterte sie ihn auf, »du solltest vielen, vielen Menschen von dieser Begegnung erzählen. Es ist eine ›great story‹«.
Während des Besuches von Mr. Lee bei Dina Rees kam das Gespräch auf eine Äußerung, die er über seinen Meister, Yogi Ramsuratkumar, gemacht hatte. Der habe ihm eigentlich nichts »gegeben«, sondern ihm vielmehr »das Herz so gebrochen, dass nur Gott es wieder heilen kann«. Bei diesen Worten war Dinas Aufmerksamkeit vollständig von Mr. Lee gefesselt. Ihre Augen verrieten, dass sie genau wusste, wovon er sprach. Sie schaute auf ihn, und jeder wusste, dass sie sah, wer er wirklich ist. Ihr Blick war voller Sanftheit, Dankbarkeit, Bescheidenheit und Liebe. Das Angebot einer Übersetzung lehnte Dina, die selbst nur mit einer ihr eigenen Mischung aus deutschen und englischen Wörtern zu ihm sprach, ab mit den Worten: »Wenn du sprichst, verstehe ich alles vollkommen.«
Im Juni 1988 sagte Dina Rees über Mr. Lee: »Wahre Liebe, das ist es, was ihr braucht. Wahre Liebe ist Dienen, besonders zwischen Mann und Frau. Mr. Lee lebt es euch vor und erspart euch damit viele Probleme. Es ist sehr gut, einen Menschen von solcher Klarheit um sich zu haben. Es ist ein sehr schneller Weg.«
Wir können uns in der Tat glücklich preisen, Mr. Lee unter uns zu haben. Die Worte in den folgenden Kapiteln bieten die Möglichkeit, mit der großen Klarheit, der alles verwandelnden Liebe und der unbändigen Energie, die dieser Meister verkörpert, in Berührung zu kommen.
Dina Rees kam nicht mehr dazu, Mr. Lee in Amerika zu besuchen, sie starb am 4. August 1990, aber das Privileg eines ehrerbietenden Grußworts für Mr. Lees Buch Die Alchemie der Wandlung gebührt niemandem so sehr wie ihr.
Einleitung
Die siebenhundertjährige Tradition der Bauls in der indischen Provinz Bengal ist im Westen praktisch unbekannt. Nur in wenigen Büchern, einer knappen Handvoll wissenschaftlicher Artikel und eher unzusammenhängenden Sammlungen von Liedern und Gedichten ist sie dokumentiert. Oberflächlich betrachtet ergibt sich das Bild einer Gruppe versponnener Dichter und Bettler, eines lebensfrohen und leidenschaftlich frommen Volkes – individualistisch, ikonoklastisch, visionär, humorvoll, liebevoll und frei. Ihre religiösen Praktiken, darunter Atemübungen, sexuelle Praktiken und Gesang, haben die Erweckung des Herzens zum Ziel, eine innige Beziehung zum »Herzensmenschen«, ihrer Vorstellung eines Göttlichen Geliebten, der jedem Wesen innewohnt. Der typische Baul ist ein wandernder Barde, der von Dorf zu Dorf zieht, nur mit seinen Instrumenten, um Gesang und Loblied Gottes zu begleiten. Gekleidet in Lumpen, abgelegten Kleidungsstücken von Hindus oder Muslims, verachten die Bauls alle Formen und Regeln der Orthodoxie. Gelegentlich versammeln sie sich auf großen Märkten (Melas), um gemeinsam zu singen und zu feiern. Dann zerstreuen sie sich wieder in alle Winde und ziehen ihres Weges, so rasch, wie sie gekommen waren.
…und die Bauls kamen,
tanzten,
sangen
und verschwanden
im Nebel …
Ein Baul bleibt im Leben »gänzlich seinem Wesen treu. Er lacht und weint, tanzt und bettelt, ganz wie er will… ein tanzender Bettler.« Er ist jedoch kein gewöhnlicher Bettler, sondern einer, der die Welt der Konventionen auf den Kopf stellt, Gewohnheiten des Denkens und Fühlens über Bord wirft und seine Zuhörer wachrüttelt, um ihnen die spontane Essenz des Lebens zu zeigen.
Die folgenden Kapitel sind die Zusammenfassung einer Reihe von Vorträgen, die der amerikanische Baul Mr. Lee im Frühjahr 1988 hielt, als er mit einer Gruppe von Freunden und Schülern kreuz und quer durch Deutschland reiste. Diese Schar zeitgenössischer Bauls hatte äußerlich nichts Ungewöhnliches an sich. Sie reiste in einem kleinen Konvoi von Kleinbussen und Pkw und wies nur wenig Ähnlichkeit mit ihren Vorläufern aus dem fernen Bengal auf. Für diejenigen jedoch, die das Glück hatten, mit dem Meister zu reisen und an seinen Gesprächen teilzunehmen, gab es viele leicht erkennbare Gemeinsamkeiten mit den wandernden Baul-Sängern und ihrer langen Tradition, in Stimmungslage und Zusammensetzung der Gruppe wie in ihren Themen.
Mr. Lee tut und sagt vieles, was die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer empfindlich provoziert. Auf vielfältige Weise macht er deutlich, dass es nur so möglich ist, uns aus unserem Schlaf der Selbstgerechtigkeit und Anpassung zu reißen, an dem unser Bedürfnis nach Sicherheit und Selbstdefinition innerhalb eines chaotischen Universums uns festhalten läßt. Im Zustand des Schocks ebenso wie in schallendem Gelächter – zwei der bevorzugten Hilfsmittel des Meisters – haben wir die Möglichkeit, unsere Rüstung fallenzulassen, die Gedanken für einen Moment auszuschalten und von innen heraus Raum für die Möglichkeit eines echten Durchbruchs zu schaffen. Wir haben die Gelegenheit, dessen eingedenk zu sein, der schon immer in uns gegenwärtig ist: Gott. Es ist ein grundlegendes Prinzip der Lehre Mr. Lees, dass »Gott nicht im fernen Himmel thront«. Das Göttliche ist vielmehr in jedem Atemzug, der unsere Zellen durchdringt, im Blut, das unsere Adern füllt, und in den einfachsten und gewöhnlichsten Dingen des täglichen Lebens.
Ebenso wie die Lieder der Baul sind Mr. Lees Worte voller Poesie, aber auch voller Respektlosigkeit. Sie vereinen die Erzählungen von der mystischen Sehnsucht für das Göttliche mit beißendem Spott und einem Humor, der vor nichts haltmacht. Wie viele Zen- und Sufi-Meister ist ein Baul kein Mensch, der sich so leicht bändigen lässt. Bei jedem Versuch, ihn in eine Schublade zu stecken oder einer Definition unterzuordnen, wird er im nächsten Atemzug mit Macht zurückschlagen und dabei nicht nur dem Gesagten, sondern möglicherweise auch sich selbst widersprechen.
Mr. Lee bezieht sich auf sich selbst mit vielerlei Namen: der »Gaukler Gottes«, der »arrogante Narr«, der »Bettler der Bettler«, der »unfähige Dichter«. Jeder dieser Titel wird sich bestätigen, wenn man die folgenden Gespräche liest. Eine »New-Age«-Spiritualität, die Erleuchtungstechniken und warme Gefühle verspricht, ist jedoch nicht seine Sache. Seine Lehre ist vielmehr eine radikale, traditionelle, elegante und respektlose Darstellung einer Lebensweise, voller Hingabe für den Guru, die zu einer alchemistischen Wandlung des menschlichen Wesens führt. Diese Lebensweise erfordert Disziplin, Entschlossenheit, absichtsvolles Handeln und vor allem viel Praxis sowie alltägliche Meditation. Der Leser sei gewarnt, dass hier keine leichten Antworten zu finden sind. Wer mit einem Meister »spielt«, bewegt sich am Rande des Abgrundes. Man sollte sich jeden Schritt genau überlegen, aber auch darauf gefasst sein, durchaus einmal in den Zustand des »freien Falls« zu geraten, der sich in Form einer völlig ausgelassenen, fröhlichen Stimmung zeigen kann.
Regina Sara Ryan
I
Ein Meister bei der Arbeit
Ich möchte mit einer freundlichen Warnung beginnen. Die Art und Weise, wie ich arbeite, ist sehr persönlich und direkt. Sollten meine Worte dich provozieren, versuche, es nicht persönlich zu nehmen. Wenn ich sage, dass meine Arbeitsweise sehr persönlich ist, heißt das noch lange nicht, dass ich an jedermanns Privatleben und Affären interessiert wäre. Im Gegenteil, ich interessiere mich überhaupt nicht für eure Beziehungen, eure finanziellen oder emotionalen Probleme, und reagiere sehr allergisch auf Menschen, die mir ihr persönliches Leben erzählen wollen. Ich möchte nichts davon wissen.
Das einzige, was mich an jedem von euch interessiert, ist der Teil, der niemals seine Verbindung zum Göttlichen verliert. Das Dumme an uns Menschen ist nur, dass das, was niemals die Verbindung zum Göttlichen verliert, fast immer die Verbindung zu unserer Aufmerksamkeitsfunktion verloren hat. Daran müssen wir arbeiten.
Spirituelle Arbeit ist alles andere als ein leichter Lösungsweg, um unser kaputtes Leben wieder in Ordnung zu bringen. Echte spirituelle Arbeit hat nichts damit zu tun, was wir für uns selbst, sondern immer, was wir aus uns selbst heraus für etwas Höheres tun können. Der Sinn der spirituellen Arbeit liegt darin, Gott zu dienen. Wenn wir durch den Dienst an Gott das Durcheinander, das wir aus unserem Leben gemacht haben, wieder in Ordnung bringen können – um so besser. Wenn es dadurch nicht in Ordnung gebracht werden kann und statt dessen noch schlimmer wird – nun, dann kannst du meinetwegen Gott dafür verantwortlich machen, und trotzdem weiterarbeiten.
Spirituelle Arbeit dreht sich um Disziplin und Beständigkeit, nicht darum, wie schön und lichtvoll die Dinge erscheinen, nachdem du dich ein oder zwei Jahre lang in Meditation geübt hast. Die Meditation wird deine Sicht der Dinge verändern, aber erst nachdem sie alles, was sich im Weg befindet, beseitigt hat. Und dieser Vorgang ist möglicherweise weder besonders attraktiv noch angenehm. Es könnte sogar sein, dass du für verrückt gehalten wirst oder dich selbst fühlst, als seist du verrückt geworden.
Die Arbeit eines Meisters mit seinen Schülern ist wie Wasser. Sie wird keinen Freiraum lassen. Kein Spalt, keine kleine Nische wird unberührt bleiben. Psychologische und therapeutische Arbeit ist oft so, als würde man versuchen, eine Lücke einer Mauer mit Steinen auszufüllen. Wenn du einen großen Stein nimmst und versuchst, ihn in einen Spalt in der Wand zu rammen, kann es passieren, dass die ganze Wand anfängt zu wackeln und einstürzt. Das kann zwar sehr dramatisch sein, aber die vielen kleinen Risse bleiben dennoch unausgefüllt. Viele Aspekte des Lebens bleiben vollkommen unberührt.
Meine Arbeit mit Menschen ist persönlich, weil sie wirklich zur Sache geht. Sie ist Teil eines Weges, der im Vergleich zu den üblichen Methoden zur inneren Wandlung aus dem Rahmen fällt. Dabei ist dieser Weg nicht einzigartig, nur ungewöhnlich, und nicht einmal besonders selten, vorausgesetzt, du weißt, wo du zu suchen hast.
Ich war früher ein Briefmarkensammler. Ich handelte mit seltenen Briefmarken. Die Leute schauten sich meine Liste an und sagten: »Mein Gott, wo hast du so viele Raritäten her?« Für jemanden, der relativ unbedarft war, sah es so aus, als wäre meine Ware etwas extrem Ungewöhnliches. In Wirklichkeit lag es nur daran, dass ich mich damit gut auskannte. Ich wusste, wo ich hinzugehen hatte, um zu finden, was ich brauchte. Ich kannte Händler, die zehnmal so viel hatten wie ich, ganze Keller voller seltener Briefmarken.
Ebenso ist es hier. Die Arbeit, die ich leiste, ist nicht einzigartig. Sie ist nur schwer zu finden. Aber wenn du weißt, wo du hinzugehen hast, ist sie durchaus verfügbar. Sie ist keine geheime Arbeit. Sie ist nur deshalb rar, weil die meisten Menschen sie nicht finden, und viele andere nicht willens oder nicht in der Lage sind, den Preis dafür zu bezahlen. (Und ich rede nicht von Geld.) Rar heißt hier nicht, dass sie nicht erhältlich ist.
Meine Arbeit mit euch erzeugt möglicherweise Hunger nach etwas, was nur schwer zu finden ist. Wenn das der Fall ist, dann habe ich meine Arbeit gut getan. Dabei spielt es keine Rolle, ob du mein Schüler wirst oder nicht. Wer diesen Hunger stillt, ist nicht wichtig, nur dass er gestillt wird.
Kürzlich gaben wir ein Seminar in Hannover. Am Ende fragte ich, ob noch jemand eine Frage oder eine Bemerkung hätte, die er gern loswerden wolle. Ein Mann meldete sich. Er sagte ganz unkompliziert und aufrichtig: »Ich bin ein wenig ärgerlich und durcheinander, weil etwas in mir wieder lebendig geworden ist, was ich immer zu vergessen versucht habe. Seit langem kenne ich einen Hunger nach einer bestimmten ›Nahrung‹, die ich in der Vergangenheit immer gesucht habe. Aber immer, wenn ich der Sache näher kam, merkte ich, dass es nicht leicht war, sie auch wirklich zu bekommen. Es wäre zu viel Arbeit gewesen, und da ich nicht bereit war, sie zu leisten, verdrängte und übertünchte ich meinen Hunger danach. Es ist schon Jahre her, seit ich überhaupt an diesen Hunger gedacht habe. Dein Vortrag hat nun diese alten Gefühle wieder wachgerufen. Ich weiß nicht, ob ich das gut finden soll oder nicht. Es ist nicht gerade sehr angenehm für mich. Aber trotzdem vielen Dank.«
Dieser Mensch war ehrlich. Er gab offen zu, dass es für ihn kein Vergnügen war, seinen alten Hunger wiederzubeleben. Die Feinheiten dessen, was ein Meister vermittelt, sind nicht immer bloß Güte, Licht und Reinheit. Sobald du jedoch die Verbindung zu der Leidenschaft, Stimmung und Lebendigkeit einer authentischen Lehre bekommen hast, wirst du bald merken, dass du von einer Sucht besessen bist, die du so schnell nicht wieder los wirst.
Ich stelle hier zuerst einige grundsätzliche Fragen klar, damit du später nicht allzu überrascht sein wirst. Nach meiner Erfahrung wissen jedoch die meisten Menschen bereits ganz genau, worauf sie sich einlassen, wenn sie mit der spirituellen Arbeit beginnen. Dennoch sind sie immer wieder überrascht – manchmal angenehm, manchmal weniger angenehm. Wenn wir Angst vor Überraschungen haben, dann sollten wir sie beachten, denn sobald wir mit beiden Beinen in der Arbeit stehen, können wir vor Überraschungen nie mehr sicher sein.
Es ist sehr wichtig für einen Lehrer, eine persönliche Beziehung mit dem Schüler zu pflegen, um sicherzustellen, dass alles, was in der Arbeit berührt wird, auf Wunsch auch verfeinert und vervollkommnet werden kann. Es ist wie beim Bearbeiten eines wertvollen Steines. Das Ausgangsmaterial in der Diamantenschleiferei ist der Rohdiamant in seiner Matrix aus Erde und anderem Gestein. Zuerst muss der Stein gereinigt und die Matrix beseitigt werden. Anschließend wird der Stein geprüft, um eventuelle Unreinheiten zu finden. Erst dann weiß ein Diamantenschleifer, der sein Handwerk beherrscht, wo er den Diamanten schneidet und welchen Schliff er ihm verpasst. Erst wenn alles bestimmt ist, kann die Arbeit beginnen. Noch immer muss man nach jedem Schlag mit dem Hammer und nach jedem Schnitt mit der Säge innehalten, um den Prozess noch einmal zu analysieren und festzustellen, ob das ursprüngliche Urteil zutreffend war. Einen Diamanten zu facettieren ist eine sehr hohe Kunst, und nicht jeder, der eine Trommel zum Polieren von Achaten besitzt, beherrscht sie.
Meine Arbeit mit Schülern ist wie das Schleifen von Diamanten. Ich werde niemals ein Stück abschlagen und anschließend sagen: »Das ist aber ein hübscher Diamant«, um ihn dann fallenzulassen. Wenn ich etwas beginne, will ich es auch zu Ende führen. Das geht jedoch nicht ohne ein hohes Maß an gerichteter Aufmerksamkeit.
Einige Lehrer sagen, dass sie nichts anderes zu tun brauchen, als an einen Schüler zu denken, und schon wird die Gnade Gottes einsetzen und alles regeln. Das deckt sich nicht mit meiner Erfahrung. Wenn ein Lehrer so etwas behauptet, meint er damit normalerweise, dass seine Verbindung zu einem Schüler vielerlei Phänomene erzeugt – sogar Visionen und sehr heftige Erfahrungen. Ich bin der Ansicht, dass Visionen und Erlebnisse überhaupt nichts bedeuten, wenn sie nicht in dem entsprechenden Zusammenhang gesehen werden. Selbst wenn ein Schüler fünfzig kosmische Erfahrungen hat, ist das völlig unerheblich, wenn die Erfahrungen nicht in korrekter Weise ausgerichtet werden.
Die Hilfestellung, die der Meister dem Schüler gibt, besteht nicht darin, dass er weise Ansichten verbreitet – alle traditionellen Schriften über Sufismus, Buddhismus, Gurdjieff-Arbeit sind voll davon. Der Wert des Meisters ist nicht, dass er etwas weiß, sondern dass er die Fähigkeit besitzt, dem, was der Schüler aus seiner eigenen Erfahrung lernt, eine Richtung zu geben. Das ist es, worauf ich mich spezialisiert habe: Ich rücke gewisse Dinge zurecht. Wenn ich sarkastisch wäre, könnte ich sagen, ich bin ein kosmischer Chiropraktiker oder, besser noch, ein Statiker, der die Belastungen eines Gebäudes untersucht. Falls die Belastungsprobe Unregelmäßigkeiten gezeigt hat und das Gebäude strukturelle Verstärkungen braucht oder gewisse Dinge zurechtgerückt werden müssen, bin ich derjenige, der weiß, was zu tun ist.
Da wir schon einmal dabei sind, Vergleiche zu ziehen: Ich habe diese Arbeit oft mit dem Schmieden eines feinen Samurai-Schwertes verglichen. Der Stahl muss auf eine ganz bestimmte Art für eine ganz bestimmte Dauer im Ofen erhitzt werden. Dann wird er herausgenommen, ein wenig temperiert, gekühlt und noch einmal für eine Zeit in den Ofen gelegt. Anschließend wird er wieder herausgenommen, temperiert, gekühlt, wieder hinein gelegt und so weiter. Es ist ein sehr langer, geregelter Prozess, den der Meister ausschließlich nach seiner Intuition gestaltet.
Ein Baul ist kein Zen-Meister, der dich anschaut und sagt: »Wach auf! Erkenne die Wirklichkeit!«. Ebenso wenig ist er ein Yogi, der sagt: »Dies ist die Wahrheit! Das Herz ist Gott! …Nun, warum hast du immer noch Probleme? Das Herz ist Gott! Lebe einfach danach! … Na los!« Anfangs habe ich das ebenfalls probiert, aber ich habe herausgefunden, dass die Leute offenbar der Meinung sind, dass sie alles in ihrem Leben bereits verwirklicht haben. Männer kamen zu mir und sagten: »Ich führe das Leben eines Erleuchteten, aber meine Frau, sie versteht es nicht. Sie schafft es einfach nicht, ihr Bewusstsein zu erweitern, und mit so einem Menschen kann ich auf Dauer nicht leben.« Nun, das bestätigte mich in meiner Überzeugung, dass sie weit davon entfernt waren, ihre hehren Ideale im Leben zu verwirklichen.
Das Thema »Erleuchtung« ist außerordentlich brisant. Für mich wurde es allmählich so unübersichtlich, dass es unmöglich wurde zu sagen, ich sei erleuchtet. Ich glaube, ich weiß nicht einmal genau, was Erleuchtung ist. Ich weiß, was Resonanz und was Dissonanz hat. Ich weiß, was ausgerichtet und was fehlgerichtet ist. So kann ich mit Menschen arbeiten und ihnen helfen, sich zu verfeinern und auf der richtigen Spur zu bleiben. Aber Erleuchtung? Die sollten wir lieber Gott überlassen. Vielleicht weiß Gott, was das ist.
Sobald wir ein Stück unserer Forschungsreise gemeinsam zurückgelegt haben, hat es keinen Sinn mehr, das, was hier geschieht, intellektuell begreifen zu wollen. Verlass dich einfach auf deine gesunde Neugier. Außerdem solltest du dich davor hüten, deinen Erfolg daran zu messen, ob du alles, was ich sage, auch begreifst und intellektuell zu einem großen Mosaik zusammenfügen kannst. Achte lieber auf dein Gefühl.
Somit ist oft die Übermittlung der Wirklichkeit einfach die Art und Weise, wie du dich in jemandes Gegenwart fühlst – nicht, was er tut, was er sagt oder was für ein großartiger Künstler er ist. Wirkliches Verständnis dreht sich darum, wer der Mensch ist, nicht, unter welchem Titel er bekannt ist. Und ganz im Gegensatz zu deinen Erwartungen sind manchmal die am wenigsten ernst gemeinten Antworten auf deine »ernsten« Fragen die wertvollsten. Das erinnert mich an folgende Anekdote:
Es gibt eine berühmte Zen-Geschichte, einen Koan, über einen überaus spontanen Lehrer, der zwei seiner Mönche dabei ertappt, wie sie sich um eine Katze streiten. Die Mönche leben in zwei getrennten Zellen des Klosters, und jeder will die Katze für sich allein haben. Der Lehrer, ich glaube, es war Nanzen, beobachtet einen Moment lang den Streit. Er geht zu den beiden Mönchen, die an der armen Katze zerren, ergreift die Katze und sagt zu den beiden: »Schnell, sagt mir, flattert die Fahne, weil der Wind weht, oder weht der Wind, weil die Fahne flattert? Antwortet sofort, oder ich schneide die Katze mittendurch.« Die beiden Mönche sind so schockiert, dass sie vollkommen sprachlos dastehen. Also schneidet Nanzen die Katze mittendurch.
Jeder, der sich ein wenig in der Tradition des Buddhismus auskennt, weiß, dass es sich dabei um die Tradition des Ahimsa, der Gewaltlosigkeit, handelt. Ob nun die beiden schockierten Mönche den Zen-Buddhismus oder eine beliebige andere Spielart des Buddhismus praktizierten, ist unerheblich, das Grundprinzip der Gewaltlosigkeit gilt bei allen. Neben ihrer absoluten Gewaltlosigkeit kann man davon ausgehen, dass sie das »Gelübde des Bodhisattva« abgelegt, das heißt, sich verpflichtet hatten, allen bewussten Wesen zu dienen – nicht nur der Menschheit. In einer solchen Tradition und angesichts eines solchen Versprechens gibt es mit Sicherheit keine Möglichkeit, eine Katze ins Nirvana zu schicken, indem man sie mittendurch schneidet. Die Handlungsweise des Lehrers machte die beiden streitenden Mönche vollkommen sprachlos – sie stoppte für einen Moment ihre Gedanken.
Oft sind die Katalysatoren, die sich in der Arbeit mit Schülern als höchst wirkungsvoll herausstellen, dem rationalen Verstand überhaupt nicht einsehbar. Selbst wenn der Verstand sich keinen Reim auf etwas machen kann, gibt es immer noch vieles, was der Körper erkennt. Information ist nützlich, aber noch nützlicher ist ein instinktives Gefühl für das Wesen der Arbeit, und die Bereitschaft, selbst für sie verantwortlich zu sein – gleich, ob du sie verstehst oder nicht. Werner Erhard hat einmal gesagt: »Nur Dumme wollen alles verstehen«. Ich glaube, er hatte Recht damit.
Wenn du aus unserer gemeinsamen Erkundungsfahrt etwas lernen kannst, wird das Gelernte davon abhängen, mit welcher Intensität du deine Erfahrungen wahrnehmen konntest, nicht etwa von bestimmten neuen Erkenntnissen über Aspekte der spirituellen Praxis. Meine Arbeitsweise besteht nicht darin, geduldig die Antworten auf alle deine Fragen zu erläutern, damit du zu einer verstandesmäßigen Lösung kommst. Meine Arbeitsweise besteht darin, Erfahrungen zu provozieren und anschließend zu versuchen, entweder die Erfahrung zu definieren, damit »derjenige«, der provoziert wurde, eine Definition erhält, oder einfach zu hoffen, dass du sensibel, intelligent und entschlossen genug bist, an dir zu arbeiten, um von selbst darauf zu kommen. Zweifellos ist jeder von euch intelligent. Leider ist Intelligenz jedoch kein Ersatz für gesunden Menschenverstand und die Bereitschaft, verletzlich und aufgeschlossen zu sein, damit ein Meister, gleich welcher Art, mit dir arbeiten kann.
Es gibt die Geschichte über einen indischen Yogi, der sehr oft und sehr lange meditierte. Manchmal versank der Mann tagelang in Samadhi, einer Art seliger Ekstase. Eines Tages, als er gerade wieder über dem Studium seiner Schriften saß, fragte er ganz nebenbei seine Frau, was sie zum Abendessen kochen würde. Sie sagte: »Deine Lieblingsspeise, Samosas«. Er freute sich darauf. Kurz vor dem Essen entschloss er sich jedoch, noch eine Weile zu meditieren, und versank wie so oft in Samadhi. Diesmal blieb er fünfzehn Jahre lang in seinem Glückszustand. Seine Haare wuchsen. Seine Fingernägel wuchsen, und wahrscheinlich urinierte er auch auf sein Meditationskissen. (Ist dir schon einmal aufgefallen, dass derartige Geschichten niemals den elementarsten Teil der menschlichen Bedürfnisse einschließen?)
Nach fünfzehn Jahren kam der Yogi wieder aus dem Samadhi heraus. Sobald er sein normales Bewusstsein wiedererlangt hatte, rief er nach seiner Frau: »Frau, wo bleiben die Samosas?« Geduldig erklärte sie ihm, dass all die Jahre der Übung, der Entbehrungen und der Meditation ihn offenbar immer noch nicht zu einem einsichtigen Menschen gemacht hätten. Es war für den Yogi ein großer Schock, als er erkannte, dass seine Frau recht hatte: Sein Magen war ihm wichtiger geworden als alle spirituellen Erfahrungen, die er in seinem Leben hatte. So wurde er zum Anhänger, zum Schüler seiner Frau.
Die Erfahrung, die ich normalerweise provoziere, ist nicht die Erfahrung einer heiligen Kommunion oder eines Samadhi. Es ist vielmehr die vollkommen klare Beobachtung dessen, was du jetzt bist. Es ist nicht schwer, in einem Raum voller Menschen, die angeblich spirituell arbeiten, ein Glücksgefühl oder ein Gefühl von Leichtigkeit zu erzeugen, selbst Ekstase ist nicht schwer. Andererseits kannst du dasselbe mitHilfe von ein paar guten Bieren, dem richtigen Partner und einem Abend mit der Musik der Rolling Stones ebenfalls erreichen. Ekstatische oder angenehme Erlebnisse an sich verursachen noch keine innere Wandlung. Sie müssen integriert, verdaut und auf die richtige Weise mit Leben erfüllt werden, um nützlich zu sein. Das erfordert Arbeit – sprich: Übung.