Die alte Garde - Thomas D. Lee - E-Book

Die alte Garde E-Book

Thomas D. Lee

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Seit Jahrhunderten wachen die unsterblichen Ritter der Tafelrunde über Großbritannien. Sie kämpften bei Agincourt, Waterloo und in beiden Weltkriegen. Sobald ihre Arbeit getan ist, kehren sie in ihre Gräber zurück. Nur wenige Eingeweihte, ebenfalls Unsterbliche, wissen um dieses Geheimnis. Als Sir Kay diesmal erwacht, erkennt er sein Land kaum wieder: Die Meeresspiegel sind gestiegen, die Hälfte des Landes wurde an chinesische Investoren verkauft, die Armee ist privatisiert. Mit dem Drachen, der beim Fracking wiedererweckt wurde, wird Kay fertig. Mit der jahrhundertealten Verschwörung, die das Land an den Rand des Abgrunds getrieben hat, kann er es nicht aufnehmen – jedenfalls nicht alleine …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 807

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Seit Jahrhunderten wachen die unsterblichen Ritter der Tafelrunde über König Artus’ Reich. Immer wenn Britannien Gefahr droht, erwachen sie in ihren Gräbern unter den magischen alten Bäumen, graben sich an die Oberfläche und sind bereit, für ihr Land zu sterben. Schließlich werden sie immer wiedergeboren. Sir Kay kämpfte bei Azincourt, bei Waterloo und in beiden Weltkriegen. Und so langsam hat er genug vom ewigen Kreislauf aus Aufwachen und Schlachtenschlagen. Als er sich wieder einmal durch die Erde nach oben gräbt, muss er feststellen, dass sich das Land drastisch verändert hat: Die Meeresspiegel sind gestiegen, Tausende Menschen sind auf der Flucht. Die Hälfte des Landes wurde an chinesische Investoren verkauft, und die Armee ist privatisiert. Dagegen scheint der Drache, der von einer Ökoterroristin namens Mariam bei ihrem Anschlag auf eine Fracking-Anlage erweckt wurde, das kleinere Übel zu sein – und das einzige, mit dem Sir Kay problemlos fertigwird.

Der Autor

Thomas D. Lee arbeitete als Redakteur und Aushilfslehrer, ehe er 2019 sein Studium in Kreativem Schreiben an der University of Manchester abschloss. Derzeit schreibt er an seiner Doktorarbeit, die sich mit queeren Neuinterpretationen der Artus-Sage beschäftigt. Für seinen Debütroman »Die alte Garde« wurde er mit dem Peters Fraser + Dunlop Prize for Best Fiction ausgezeichnet. Immer wieder spielt er mit dem Gedanken, wie der Zauberer Merlin ein Einsiedler zu werden, der alleine im Wald lebt und nur in Rätseln spricht. Bis es so weit ist, bleibt er in Manchester mit seiner Yuccapalme Carlos.

THOMAS D. LEE

DIE ALTE GARDE

Roman

Aus dem Englischen

von Bernhard Kempen

WILHELMHEYNEVERLAG

MÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

PERILOUSTIMES

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Dataminings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe 02/2024

Redaktion: Thomas Salter

Copyright © 2023 by Thomas D. Lee

Copyright © 2024 dieser Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München, nach einem Entwurf von Will Staehle/Unusual Corporation

ISBN 978-3-641-29394-9V002

www.heyne.de

Für Mrs. Parker, meine Englischlehrerin an der Highschool.

Weil ich sagte, dass ich es tun würde.

ERSTER TEIL

1

KAYKRIECHTAUSSEINEMHÜGELHERVOR, KÄMPFT sich durch die klumpige Erde an die Oberfläche.

Die letzten tausend Jahre war das Land rund um seinen Hügel trocken. Entwässerung, Ackerbau und moderne Wunder hielten das Wasser fern. Daran erinnert er sich. Jetzt ist der Boden wieder vernässt, wie damals, als er zum ersten Mal begraben wurde. Bevor die Moore trockengelegt wurden. Er fängt an zu grübeln, was der Grund sein könnte, doch dann kriecht ihm ein Wurm ins Auge, was genau die Art von Widerwärtigkeit ist, die einen vollständig aus den Gedanken reißt. Er stößt einen leisen angeekelten Laut aus und wischt sich den Wurm aus dem Auge.

Dieser Moment ist jedes Mal unangenehm, dieser brachiale Kampf ans Tageslicht. Er gräbt sich durch Lehm, zerrt an Wurzeln, bis er es endlich durch die Erde geschafft hat und in einen dunstigen gelben Himmel hinaufblickt. Er streckt den Kopf raus, dann zieht er einen Ellbogen nach, bevor er kurz eine Pause einlegt, um Atem zu holen. Die Luft schmeckt nicht besonders gut. Die Sonne brennt auf seinem Gesicht. Es muss Mittsommer sein.

Er macht sich wieder daran, sich zu befreien. Die Erde umklammert fest seine Beine, aber der glitschige Schlamm an seinem Kettenhemd wirkt wie Schmiere, endlich hört er ein mächtiges Schmatzen und spürt, wie die Erde ihn loslässt. Er bekommt die Beine frei. Seine Hüften flutschen durch die Wurzeln. Als er bis zu den Knien draußen ist, rutscht er ein wenig ab, wäre fast in die seltsame Höhle zurückgefallen, durch die er gerade hinaufgeklettert ist, aber er schafft es gerade noch, sich festzuhalten. Er zieht die Unterschenkel aus dem Boden, dann kniet er in der Sonne und keucht in der Hitze. In einem Kettenhemd und einem grünen Wollumhang, die beide mit matschiger Nachgeburt überzogen sind. Seine Dreadlocks sind mit Erde verkrustet.

Tatsächlich, sein kleiner Grabhügel ist von Sumpf umgeben. Der Wasserstand ist gestiegen. So war es auch, als er ursprünglich begraben wurde, bevor der Baum aus seinem Bauch wuchs.

Er atmet gierig ein, um seine Lunge mit Sauerstoff zu versorgen, aber die Luft fühlt sich schwerer an, als sie sollte. Es sieht nicht danach aus, als wäre dieses Mal jemand gekommen, um ihn zu wecken. In den alten Tagen waren Reitertrupps anwesend oder manchmal sogar ein König höchstpersönlich, wenn große Not bestand. Dann wurden daraus Militärlaster oder Zirkel aus Druiden in weißen Gewändern, die etwas überrascht waren, dass ihre Tänze tatsächlich etwas bewirkt hatten. In jüngerer Zeit ein Mann im Regenmantel, der auf seine Armbanduhr schaute und hinter dem eine dröhnende Flugmaschine auf der Wiese wartete. Aber heute: nichts. Es muss sich um einen dieser organischen Fälle handeln, bei denen die Erde selbst beschließt, ihn wachzurütteln. Irgendeine Veränderung im Geist der Gefilde. Oder vielleicht haben die Vögel am Himmel eine Versammlung abgehalten und abgestimmt, dass er ausgegraben werden soll. Er blickt sich um. Von Vögeln ist auch nichts zu sehen.

»Also schlecht«, murmelt er zu sich selbst.

Kay wuchtet sich auf die Beine. Als Erstes muss er sein Schwert und seinen Schild finden. Üblicherweise spuckt sie die Erde irgendwo in der Nähe aus, aber es steckt keine präzise Wissenschaft dahinter. Er ist sich nicht sicher, ob die Erde sich ihrer Verpflichtungen gänzlich bewusst ist. Der Vertrag mit Merlin war recht konkret. Mach diesen Krieger wieder ganz und gib ihn zurück in die Gefilde der Lebenden, wann immer Britannien in Gefahr ist. Gib ihn zurück mit Schwert und Schild und anderen Werkzeugen des Krieges, allesamt makellos. Wenn die Gefahr überwunden ist, lass ihn in deinen Schoß zurückkehren und schlafen, bis eine neue Gefahr ihn herbeiruft.

Klarer könnte es kaum formuliert sein. Aber Schlamm ist Schlamm. Schlamm tut sich mit geschriebenen Anweisungen schwer. Es musste einfach zu Missverständnissen kommen.

Auf der anderen Seite des Moors ist etwas, das vorher nicht da war. Er muss blinzeln, weil die Sonne hell ist und sich auf den Metallteilen spiegelt. Eine hässliche Ansammlung von niedrigen Gebäuden, zwischen denen überall Rohre verlaufen, wie ein Gewimmel aus Schlangen. In der Mitte erhebt sich ein silberner Turm in Form einer Patrone. Eine Festung? Aber viel größer, als es Arthurs Festung in Caer Moelydd jemals war.

»War früher noch nicht da«, sagt er zu sich selbst.

Die seltsame Festung scheint ihm ein guter Ausgangspunkt zu sein, wenn er herausfinden will, warum er zurückgekommen ist.

Er macht sich hügelabwärts auf den Weg, die Erde schmatzt unter seinen Füßen. Vielleicht steckt irgendwo hier im Sumpf sein Schwert, ragt mit dem Griff aus dem feuchten Boden. Er hofft, dass er einfach darüberstolpert. So läuft es üblicherweise ab, die verschiedenen uralten Mächte der Gefilde arbeiten zusammen, um es ihm leichter zu machen. Das war immer einer der Vorteile, Arthurs Kriegertrupp anzugehören. Man stapfte einfach planlos in den Wald, und zufällig stieß man auf einen sprechenden Raben, der einem sagte, wo man finden konnte, wonach man suchte. Wie sonst hätten Idioten wie Bors und Gawain irgendetwas erreicht, wenn sie nicht auf weiße Hirschkühe oder Flussgeister gestoßen wären, die ihnen den Weg zeigten? Nicht dass sie jemals Dankbarkeit gezeigt hätten.

Auf der anderen Seite des Sumpfes glänzt das Durcheinander aus Gebäuden. Seltsam, dass man es so nah an diesem alten Hügel erbaut hat. Aber auch nicht seltsamer als weiße Hirschkühe oder sprechende Raben. Wenn man früher durch die alten Wälder ritt, konnte man nie das Gefühl abschütteln, dass hinter der nächsten Biegung eine rühmliche Aufgabe lauerte, die irgendeine höhere Gewalt dort platziert hatte, ob es nun Christus König oder ein germanischer Gott oder irgendeine noch ältere Göttin der Bäume war. Arthur schien das nie aufzufallen. Er fand es wohl ganz natürlich, dass sich Dinge von Bedeutung immer in seiner Nähe ereigneten. Und sollte es jemandem anderes aufgefallen sein, so wusste derjenige wohl, dass es klüger war, es nicht zu erwähnen. Nur Kay brachte es gelegentlich zur Sprache und handelte sich damit immer einen finsteren Blick von Merlin oder eine Spöttelei von Lancelot ein.

Das ist eine Vorstellung, die ihn wütend macht: Lancelot, wie er auf seinem weißen Ross höhnisch grinst. Und Arthur etwas ins Ohr flüstert. Schaut nur, Sire, ein brauner Nubier, mit braunem Dreck beschmiert, und dadurch kein bisschen brauner. Die Vorstellung ist die perfekte Motivation, um sich damit beim beschwerlichen Weg durch einen Sumpf anzutreiben. Er stellt sich in der Ferne Lancelot vor, wie er ihn provoziert. Er stellt sich vor, wie er Lancelot von seinem Pferd herunterzerrt und ihm einen Schlag gegen das Kinn verpasst. Wie er ihn im Schlamm ertränkt. Auch das ist ein netter Gedanke, um jemanden durch einen Sumpf zu bringen.

Der Matsch ist anfangs gar nicht so schlimm. Kay watet hindurch und verzieht kaum das Gesicht. Es ist nicht schlimmer als in Azincourt oder an der Somme. Zumindest fliegen keine Kugeln oder heißen Granatsplitter durch die Luft, und er wird nicht von französischen Schlachtrössern gejagt. Das einzige Problem ist das schwere Kettenhemd. Und es ist ein verdammt heißer Tag. Früher waren die Sommer nie so heiß, da ist er sich sicher. Es ist ein Tag, um sich im Schatten auszuruhen, nicht um ein Kettenhemd zu tragen oder durch Schlamm zu waten. Wenn der Boden noch weicher wird, wäre Kay schon ganz bald wieder unter der Erde und würde langsam ersticken, während sich seine Lunge mit Matsch füllt. Und was würde dann geschehen? Im Laufe der Jahre ist er auf vierzig verschiedene Arten gestorben, durch sächsische Speerspitzen und byzantinisches Feuer und japanische Ungastlichkeit, aber er ist noch nie zuvor in Schlamm ertrunken. Das wäre ein neuer Tod, den er seiner Liste hinzufügen könnte.

Unweigerlich bemerkt er, dass irgendetwas mit diesem Schlamm nicht stimmt. Er ist seltsam ölig, hat einen purpurnen Schimmer, der das Sonnenlicht mehr spiegelt, als Schlamm es eigentlich tun sollte. Jetzt steckt er bis zu den Knien drin. Immer noch kein Schwert. Er lässt den Blick schweifen, wirft verzweifelt die Hände hoch.

»Nimue?«, fragt er. Einen Versuch ist es wert. »Ein bisschen Hilfe, vielleicht?«

Keine Antwort. Kein blasser Arm, der aus dem öligen Wasser himmelwärts emporschießt und ein glänzendes Schwert hält. Das klappt anscheinend nur mit Arthurs Caliburn. Nicht mit normalen Schwertern wie seinem, die sich hin und wieder mit Blut besudeln.

Es hat ihn sorglos gemacht, immer wieder von den Toten zurückzukehren. In den alten Tagen wäre er niemals so unbekümmert durch ein Moor gestapft. Das ist Selbstmord. Aber inzwischen ist er es gewohnt, verhätschelt zu werden, wenn er über der Erde ist, mit Autos und Hubschraubern und warmen Betten. Er hat die Basics verlernt. Wenn er hier ertrinkt, wäre es ganz allein seine eigene Schuld. Kein Wunder, dass Nimue ihm nicht hilft. Sie hat wahrscheinlich viel wichtigere Dinge in einem anderen See zu erledigen. Viel wichtiger, als einem umherirrenden Ritter zu helfen, sein verdammtes Schwert zu finden.

Er überlegt gerade, ob er zurückwaten sollte, als ein Geräusch über das Moor schallt, ein modernes Geräusch. Es gibt immer noch diesen einen Teil seines Gehirns, der zuerst an altmodische Erklärungen denkt. Ist es eine Bestie, die erschlagen werden muss? Oder vielleicht ein Signalhorn? Aber nein, es ist eine Warnsirene. Es kommt von den Gebäuden. Das erregt sein Interesse. Wenn es nach Gefahr klingt, ist es vermutlich Gefahr. Also weiter. Durch die Hitze.

Nachdem er sich fünf Minuten lang weitergeschleppt hat, erreicht er einen Drahtzaun. Eine Spirale aus grausamen Stacheln am oberen Ende macht die Überwindung noch unangenehmer, und auf der anderen Seite wurden dicht an dicht Dornenbüsche gepflanzt. Sich einfach schnurstracks durchhacken, wird schlecht gehen, ohne sein Schwert. Aber am Zaun hängen einige Schilder, und mit trockenen Lippen liest er laut die Worte vor. Auf dem ersten Schild steht: GESICHERTEFRACKING-ANLAGE. Ist das so etwas wie ein abgeriegeltes Bordell? Als er das letzte Mal auf den Beinen war, gab es dafür noch keine gesicherten Anlagen. Aber die Zeiten ändern sich. Das zweite Schild ist deutlich interessanter. Darauf steht: DIESESGELÄNDEWIRDVONSAXONSBEWACHT. Sachsen? Daneben ist ein Wappen mit einem Nasalhelm, der ganz und gar nicht irgendeinem Helm ähnelt, den er jemals auf dem Kopf eines Sachsen gesehen hat. In einer Ecke der Mitteilung stehen die Worte: SAXONSPMC. SCHUTZ, AUFDENSIESICHVERLASSENKÖNNEN.

Dieses Schild verwirrt ihn. Wie kann es sein, dass Sachsen wieder bestimmte Orte bewachen? Haben sie endlich die Normannen gestürzt? Sind aus Saxonia neue Sachsen gekommen, als Invasoren? Vielleicht ist es das. Britanniens Küsten wurden von Invasoren überrannt, und jetzt ist es seine Aufgabe, sie aufzuhalten. Eine klassische Gefahrenlage. Genau das, worin er so gut war, vor sehr langer Zeit. Die Sachsen aufs Meer zurückdrängen. Wenn er also an diesem Ort auf Sachsen stößt, wird er sie einfach töten. Dann kann er sich vielleicht wieder schlafen legen.

Aber zuerst muss er den Zaun überwinden. Er hat schon die Mauern von Antiochia erklommen und die Strände der Normandie erstürmt, also sollte ein Stacheldraht keine allzu große Schwierigkeit darstellen. Nur dass er vom Schlamm ganz glitschig ist und nirgendwo Fuß fassen kann und das Ganze länger dauert, als es sollte. Mehr als einmal fällt er zurück in den Matsch und wird immer dreckiger. Der Stacheldraht schneidet ihm in die Hände und das Gesicht, und wenn sein Kettenhemd nicht wäre, würde er ihm auch die Haut vom Körper reißen. Auf halbem Weg bleibt er stecken, als sich sein Umhang und das Kettenhemd verhaken; in einem schiefen und schmerzhaften Winkel hängt er da, schon auf der anderen Seite des Zauns, aber außerstande, nach unten zu gelangen, egal, wie sehr er sich anstrengt.

Na großartig. Er stellt sich vor, wie Bors und Gawain am Fuß des Zauns stehen und ihn auslachen. Die Sirene heult weiterhin über den Sumpf. Doch nun hört er auch laute Stimmen aus dem silbernen Turm und den hässlichen Gebäuden Leute brüllen.

Und dann hört er Schüsse. Stotternde Salven wie von den Gewehren, die er während des letzten großen Kriegs zu benutzen gelernt hat. Wahrscheinlich hat man seitdem noch bessere und tödlichere Waffen gebaut. Er vermisst die Tage, als die Sachsen nur Äxte und Rundschilde mit sich führten. Schlimmstenfalls noch einen Langbogen. Aber er will nicht wählerisch sein. Er wird alles töten, was getötet werden muss, wenn es bedeutet, dass er anschließend wieder ungestört schlafen kann.

Sie zielen nicht auf ihn, noch nicht. Also ist wohl noch jemand anders hier, die Schießerei muss einen anderen Grund haben. Dennoch wäre es weise, von diesem Zaun herunterzukommen. Bis zu den Türmen ist es noch ein Stück, der Boden dazwischen feucht. Das erinnert ihn an Flandern, damals im ersten großen schrecklichen Krieg gegen die Deutschen, als er sich über die verwüsteten Felder schlich und sich in die Schützengräben des Feindes stürzte. Um dort im Schutz der Nacht ein Gemetzel der altmodischen Art anzurichten, mit Schwert und Keule und Bajonett. Einmal verhedderte er sich dabei und kam nicht mehr los. Lag bis zur Dämmerung ungeschützt und hilflos im Freien. Bis ihm von einem deutschen Scharfschützen die Kehle zerfetzt wurde. Er ist nicht scharf darauf, so etwas noch einmal geschehen zu lassen.

Er greift mit den blutigen Händen nach hinten und versucht sich zu befreien. Sein eisernes Kettenhemd hat sich an zwei oder drei Stellen im Stacheldraht verhakt, und es ist teuflisch schwer, es herauszulösen. An diesem Punkt hätten Bors oder Gawain sich hoffnungslos verknotet und schreiend um sich geschlagen, bis sie sich noch mehr verheddert hätten. Sie hätten nur noch auf eine vorbeikommende Fee hoffen können, die sich ihrer erbarmt und ihnen herunterhilft, wenn sie im Austausch für ihre Freiheit einen grausamen Pakt mit ihr eingehen. Aber Kay hatte schon immer etwas mehr Geduld als die beiden. Mit vorsichtigen Fingern macht er sich an die Arbeit.

Das letzte Kettenglied des Hemdes kann sein gesamtes Gewicht alleine nicht mehr tragen. Es zerbricht mit einem leisen Klicken, und plötzlich ist er frei. Er stürzt anderthalb, zwei Meter in die Tiefe und landet in den Büschen, wo er mit dem Kinn gegen etwas Hartes aus Holz stößt.

Für einen Moment tanzen Feen vor seinen Augen, in seinen Ohren singen Engel. Als er mit Ächzen fertig ist, dreht er sich herum und hält sich das Gesicht. Dann muss er leise lachen. Er ist auf seinem Schild gelandet. Er hat hier auf ihn gewartet, liegt mit der Außenseite nach unten im Schlamm. Die Erde wusste wohl, wo sie es ihm in den Weg legen sollte. Das kann nur bedeuten, dass er in die richtige Richtung geht.

Er hebt ihn auf und wischt den Matsch ab. Der Schild ist aus solidem Eichenholz mit Eisenbeschlag. Darauf ist das Gesicht von Herne gemalt, dem Gehörnten Gott, eine grobe Zeichnung, die auch ein Baum oder ein Hirschkopf sein könnte, je nachdem, wie man das Ganze betrachtet. Weiß auf grünem Hintergrund. In der Mitte befindet sich ein eiserner Buckel, mit dem man Leuten die Nase brechen kann. Er schnallt sich den Schild um den Unterarm und fühlt sich gleich besser damit. Dann steht er auf und geht los, in Richtung Gefahr.

Auf dieser Seite des Zaunes ist der Boden trockener. Bald kann er gehen, statt zu waten. Dann beginnt er zu laufen. Rund um den silbernen Turm und die hässlichen Gebäude sind lauter Rohre und Tanks und Laufstege, deren Zweck er nicht versteht. Der Turm überragt alles und glänzt in der Sonne. Seine Höhe beeindruckt Kay. So geht es ihm immer mit diesen neuen Dingern, die die Menschen heute bauen. Die Schüsse kommen aus dem Labyrinth aus Rohren, also wagt er sich hinein. Er duckt sich unter Gerüsten hindurch, steigt über Kabel, schlüpft misstrauisch zwischen den aufgereihten Maschinen durch. Alles summt, als würde sich irgendwas darin bewegen, irgendeine Flüssigkeit oder Energie. Die Luft prickelt, als wäre sie mit einem seltsamen Potenzial aufgeladen. Er hat immer noch keine Ahnung, was das hier alles ist. Ein Bergwerk? Ein Kraftwerk? Er weiß nicht, was Leute veranlassen sollte, hierherzukommen und aufeinander zu schießen, aber das ist eine der Fragen, die er später klären kann. Wenn die Sachsen tot sind, vielleicht.

Er ist den Kämpfen jetzt sehr nah. Zwischen der heulenden Sirene und den ratternden Schüssen hört er Rufe, Schritte, das Rascheln von rennenden Männern in Kriegsausrüstung. Aber er kann noch nichts sehen. Er findet eine Metalltreppe in der Farbe von Zitronen, die nach oben und über eine Reihe von Tanks führt. Er will sie gerade besteigen, als drei weitere Schüsse ertönen. Eine Kugel saust über ihm durch die Luft, genau da, wo sich sein Brustkorb befunden hätte, wenn er sich drei Sekunden früher an den Aufstieg gemacht hätte. Die Kugel hinterlässt eine Delle in einem Tank hinter ihm, und eine Frage drängt sich langsam in sein Bewusstsein, wie ein sich windender Wurm. Keine Bors- oder Gawain-Frage, sondern eine Merlin-Frage. Was ist in diesen Tanks? Verträgt es sich mit Kugeln? Irgendwie bezweifelt er es.

Er grübelt immer noch, als plötzlich eine kleine Person die Treppe hinunterspringt und genau vor ihm landet. Sie landet wie eine Person, die sich recht häufig Treppen hinunterstürzt und weiß, wie man es macht, ohne sich den Knöchel zu brechen. Sie rappelt sich auf und starrt ihn an, schnappt nach Luft.

Sie sieht wie eine Frau aus, aber das muss ja nicht heißen, dass sier nicht sächsisch ist. Die Person trägt Schwarz und Khaki, dicke Stiefel und einen schweren Rucksack. Der gesamte Kopf ist in einer Strickmütze in Regenbogenfarben versteckt, mit Löchern für den Mund und die Augen. Die Augen machen nicht den Eindruck, als hätte die Person erwartet, einem Mann im Kettenhemd zu begegnen. Die Person trägt keine Waffe, soweit Kay erkennen kann. Vor allem sieht sie erschöpft aus.

»Also gut«, sagt er. »Bist du in Gefahr?«

»Was?«, fragt die Frau.

Sie spricht Englisch, diese Bastardsprache der Pferdehändler, die seit der Ankunft der Normannen hier gesprochen wird. Für ihn klingt sie immer noch neu und vulgär und fremdartig, aber Merlins Zauber bewirkt, dass sie sich gegenseitig verstehen können. Ein Teil des Vertrags. Die Gabe der fremden Zungen. Gib ihm das Wissen über die Worte, die von den Menschen in den Gefilden gesprochen werden, damit er kein Fremder in seinem eigenen Land sei. Es hätte ja auch wenig Sinn, wenn er herumzieht und Altbritannisch spricht, ohne ein verdammtes Wort zu verstehen, das irgendwer von sich gibt.

»Irgendwie macht es den Eindruck, dass du in Gefahr bist«, sagt er.

Wieder prasseln Schüsse auf sie ein, diesmal näher, von oben, von dort, woher diese Frau gekommen ist. Weitere Kugeln knallen gegen den Tank hinter ihnen.

»Wer zum Henker bist du?«, fragt die Frau.

»Das spielt jetzt keine Rolle«, sagt er. »Lauf weiter, ich werde versuchen, sie abzulenken.«

»Ich …«, sagt die Frau.

»Lauf zum Baum dort auf dem Hügel, wenn du kannst«, sagt Kay.

Sie scheint einen Moment darüber nachzudenken, während sie wieder zu Atem kommt. Dann nickt sie und rennt los, den Gang zwischen den Rohren entlang. Zum Zaun, hofft er.

Womit er allein am Fuß der gelben Treppe zurückbleibt. Er hört von irgendwo weiter oben Stiefel auf Metall. Wenn er sich nicht schnell bewegt, werden sicher gleich ein paar Sachsen vom oberen Ende der Treppe auf ihn schießen. Am besten nicht zu viel darüber nachdenken.

Er hebt seinen Schild, legt ihn an die Schulter, den Kopf gesenkt, den Körper zur Seite gedreht. Dann schleicht er die Treppe hinauf. Eine Stufe nach der anderen.

Mit seinem Schild allein kann er hier nicht allzu viel ausrichten. Aber selbst sein Schwert wäre jetzt nicht besonders hilfreich. Krieger aus alten Zeiten, die sich mit ihren makellosen Waffen aus dem Boden erheben, sind nicht mehr so nützlich wie früher, seit es niederträchtige Männer mit Automatikgewehren gibt. Wenn Merlin alles vorgesehen hat, was sich begeben würde, warum hat er dann keine Vorkehrungen für Schusswaffen getroffen? Es ist erst etwa einhundert Jahre her, dass Kay gelernt hat, wie man sie benutzt, nachdem er sich zuvor fünfhundert Jahre lang geweigert hat, sie auch nur anzurühren. Aber jetzt hat er keine. Seine rechte Hand fühlt sich ohne jede Waffe leer an, er ballt sie an seiner Seite immer wieder zur Faust.

Über den Tanks verlaufen mehrere Laufstege aus Metall, die sich in verschiedene Richtungen verzweigen. Jetzt ist er fast genau unter dem silbernen Turm. Wenn er über den Rand seines Schildes lugt, kann er am anderen Ende des Laufstegs Bewegungen sehen. Männer, die Gewehre und seltsame Kriegsausrüstung tragen, dazu Sonnenbrillen und grelle Tarnwesten, die sich deutlich von der Umgebung abheben. Die falsche Farbe für einem Kampf an einem Ort wie diesem. Er entscheidet, dass das die Sachsen sein müssen. Es sind viele. Fast zu viele. Was ist an diesem Ort so besonders, um so viele Wachen wert zu sein? Noch mehr sinnlose Fragen. Wenn sie es an ihm vorbei schaffen, werden sie die Treppe hinuntersteigen, den Durchgang erreichen und die flüchtende Frau direkt in ihrer Schusslinie haben. Das ist das Einzige, was jetzt zählt.

Die Sachsen müssen ihn gesehen haben. Ein Schild schützt nicht nur. Er zieht auch Aufmerksamkeit auf sich. Das Gesicht von Herne ist in Weiß gemalt, und der eiserne Buckel dürfte in der hellen Sonne glänzen. Er hat einen Plan, kein großartiger Plan, aber immer noch besser, als gar nichts zu tun. Er stellt den Schild auf die oberste Treppenstufe und rammt den Rand zwischen zwei Streben des Metallstegs. Dann geht er dahinter in die Knie, senkt den Kopf, macht sich bereit.

Ein Stück Eichenholz kann keine Kugel aufhalten. Nicht einmal ein Stück Eichenholz mit dem Gehörnten Gott auf der Vorderseite. Ein erheblicher Teil seiner Macht in den alten Tagen bestand darin, dass er Leute damit einschüchtern konnte, dass sie zweimal darüber nachdachten, ob sie wirklich gegen jemanden kämpfen wollten, der unter Hernes Schutz steht. Aber diese modernen Sachsen wissen sicher nicht, was das Symbol bedeutet.

Aber das Symbol hat auch andere Anwendungen. An Arthurs Hof gab es mehrere Krieger, die ganz auf Nummer sicher gehen wollten. Sie wollten nicht alle Eier in den himmlischen Korb von Christus König legen. Merlin billigte das. Er brachte sie bei Nacht in den Wald. Er gab ihnen Pilze zu essen und Pulver, das sie sich unter die Zunge tun sollten. Er führte sie weit von Caer Moelydd fort, zu Orten, die nicht auf seinen Karten verzeichnet waren. Er machte sie mit dem Feenvolk bekannt, mit den kleineren Göttern der Erde, mit Leuten mit ungewöhnlichen Fähigkeiten. Und er machte etwas mit ihren Armen und ihren Rüstungen. Er beschwor Magie aus dem Boden herauf und goss sie in ihre Schilde, verlieh ihnen seltsame Eigenschaften, die von der Erde mit magischer Energie versorgt wurden. Vielleicht ist noch genug Magie im Boden übrig, dass die alten Zauber weiterhin ihre Wirkung entfalten können.

Aber eine Bleikugel, chemisch beschleunigt, lässt sich von einem alten Feenzauber genauso wenig aufhalten wie von einem Schleier aus alten Spinnweben. Sie durchschlägt seinen Schild und trifft ihn in den rechten Oberschenkel, durchbricht dabei einen Kettenring und bohrt sich mit ihm ins Fleisch.

Er wurde schon des Öfteren angeschossen, aber man gewöhnt sich nie an den Schmerz. Er strauchelt, er schreit durch die Zähne, ohne den Mund zu öffnen. Fast wäre er rückwärts die Treppe hinuntergestürzt, aber er kann sich am festgesteckten Schild halten. Gütiger Gott, tut das weh!

Die Frau entfernt sich immer weiter. Und darum geht es jetzt. Er lenkt die Sachsen ab. Er muss nur bleiben, wo er ist.

Vor ein paar Hundert Jahren hat er gelernt, dass es manchmal am nützlichsten ist, wenn er sich einfach töten lässt. Merlins Vertrag mit der Erde hat ihm nicht die Kraft eines Ochsen verliehen, er hat seinen Körper nicht so hart gemacht, dass er Pfeile oder Kugeln abweist. Er erlaubt ihm lediglich, von den Toten zurückzukehren. Also bedeutet der Tod für ihn viel weniger als für andere Menschen. Und irgendwer muss immer als Erster über die Mauer steigen, als Erster in die Bresche springen, als Erster das Landungsboot verlassen und auf den Strand stürmen. Sollte das jemand sein, der nur einmal sterben kann, dessen Familie ihn vermissen würde? Oder sollte es jemand sein, der tausendmal sterben kann, dessen Frau und Familie schon lange nicht mehr leben? Wenn man es so betrachtet, ist die Antwort klar.

Jetzt schlagen überall um ihn herum Kugeln ein. Vielleicht macht sich die Magie bemerkbar, lässt die Kugeln ausweichen und auf seltsamen Flugkurven seitwärts davonfliegen. Oder die Sachsen sind einfach nur sehr schlechte Schützen. Er kann sich nicht sicher sein, weil er sie hinter seinem Schild nicht sehen kann. Bis einer von ihnen auf die Idee kommt, die Treppe zum silbernen Turm hinaufzusteigen und auf einen Balkon zu treten. Kay sieht ihn über dem Rand des Schildes. Der Sachse geht in die Hocke, legt sein Gewehr an die Schulter wie ein guter Armbrustschütze und nimmt ihn vorsichtig über den Lauf ins Visier. Kay hat das Gefühl, dass sie einen Moment der Erkenntnis teilen, bevor der Sachse den Abzug betätigt.

Der Tod fühlt sich an, als würde Gott mit den Fingern schnippen. Es ist jedes Mal dasselbe. Die uralte Magie flattert davon wie ein Rabe, den man von einer Pastete verscheucht, und der Zauber ist gebrochen. Seine Knochen erinnern sich an ihr Alter und verwandeln sich folglich in Staub.

Es gibt immer diesen sehr kurzen Moment, während seine Haut noch zu Pergament zerknittert, in dem er die morbide Verkehrtheit der ganzen Angelegenheit spüren kann. Als würde man eine moderige Gruft öffnen und das verschrumpelte Ding darin sehen und erkennen, dass man gerade unerlaubt eine Grenze überschritten hat. Nur dass er selbst dieses geschrumpfte Ding ist. Er ist ein lebendes Fossil, und dann ist er gar nichts mehr, nur noch Staub im Wind, ein übler Geruch, der sich in den vielen üblen Gerüchen des Krieges verliert.

Dann wird es schlimmer. Das ist für ihn der unangenehmste Teil des gesamten Vorgangs, wenn er sich nicht sicher ist, wo er ist oder was geschieht. Nichts außer Finsternis und dem Gefühl, körperlos zu sein, aber dennoch durch einen Raum zwischen den Welten zu fallen, zwischen Tod und Wiedergeburt. Er macht sich jedes Mal Sorgen, dass er für immer hier feststecken könnte, wenn er nicht aufpasst. Aber er verweilt nie allzu lange in der Finsternis, zum Glück. Nach einem halben Augenblick wird er in die Welt zurückgerissen. Wieder in die Erde, in den Schlamm unter seinem Baum. Ohne zu wissen, wie viel Zeit vergangen ist.

Es folgt eine Phase der Ungewissheit. Ist er wieder Fleisch oder weiterhin fauliger Lehm, trocknender Schlamm? Er öffnet die Augen, bewegt die Finger, spürt, dass sein Bein und die Schulter wieder intakt sind, dass die Knochen und Sehnen wieder miteinander verstrickt wurden. Kein schmerzhaftes Gefühl, aber eigenartig. Dann kriecht er durch den Boden nach oben, klettert diesmal etwas schneller, schiebt sich mit den Ellbogen dem Licht entgegen. Auch sein Kettenhemd ist repariert. Wie kann die Erde ein Kettenhemd wiederherstellen? Wie kann sie ihn wiederherstellen? Fragen, über die er nicht einmal nachdenken möchte.

Er schafft es wieder mit Kopf und Schultern aus dem Boden. Es ist immer noch ein heißer Tag. Ob es sich um denselben heißen Tag handelt, ist eine ganz andere Frage. Es könnten Jahrzehnte vergangen sein.

Aber er kann die Sirenen hören. Er kann weiterhin die Schüsse in der Ferne hören. Und als er es noch ein Stück weiter aus dem Schlamm schafft, sieht er, dass die flüchtende Frau seinen Rat befolgt hat. Sie watet durch den Sumpf auf ihn zu.

»Aha, jetzt hilfst du auf einmal …«, sagt Kay zur Erde. Sein Schild liegt griffbereit am Fuß des Baumes. Sein Schwert steckt in den Wurzeln und wartet nur darauf, dass er es herauszieht. Manchmal hat die Erde durchaus Sinn für Humor.

Sobald er sich ganz aus der Erde befreit hat, schnallt er sich erneut den Schild an den Arm und packt das Heft seines Schwerts. Es gleitet reibungslos aus dem Baum und hinterlässt nur einen schmalen Schlitz. Kay wischt mit seinem Umhang den Saft von der Klinge. Es ist kein edles Königsschwert wie Caliburn, mit eingefassten Granatsteinen im Knauf, und die Klinge ist auch nicht mit dem Wort Gottes geschmückt, die Parierstange ist nicht mit Silber verziert oder wie das Heilige Kreuz geformt. Es ist einfach nur ein gut ausgewogenes Schwert im römischen Stil, perfekt zum Ausweiden geeignet, am Heft etwas schwerer, weil er gern die Option hat, es umzudrehen und einem Gegner mit dem stumpfen Ende das Schlüsselbein zu brechen. Im Laufe der Jahrhunderte hat es ihm gute Dienste geleistet. Es gibt Schwerter, die von Königen geschwungen werden sollen, und es gibt andere Schwerter, die für Könige geschwungen werden sollen, mit denen ihre schmutzige Arbeit erledigt wird. Seins gehört zu letzterer Sorte.

Die Frau ist schon ganz in seiner Nähe, sie watet so schnell sie kann durch den Sumpf. Die Sachsen folgen ihr, winzige Gestalten in der Ferne, die sich langsam und unsicher durch den Schlamm bewegen. Doch ihre Gewehre spucken immer noch Feuer, die Kugeln krachen und pfeifen durch die Luft.

»Weiter!«, ruft er.

Endlich hat sie festen Boden unter den Füßen und eilt den Hügel hinauf, bricht kurz vor der Kuppe zusammen. Unterwegs hat sie einen Stiefel verloren. Sie zieht ihre Mütze ab, um besser atmen zu können. Sie ist jung, wütend, besteht überwiegend aus Haut und Knochen und ist fast so braun wie er. Schwarzes Haar klebt an ihrer Stirn. Sie mustert ihn von oben bis unten mit zusammengekniffenen Augen.

»Ja, ich schon wieder«, sagt er.

»Wie …?«, fragt sie keuchend.

»Ich komme herum«, sagt er. »Brauchst du irgendwie Hilfe?«

Sie schüttelt den Kopf. Zieht ihren Rucksack zur Seite und greift hinein, um etwas herauszuholen. Kay hat keine Ahnung, was es ist. Ein kleines Gerät, etwas Modernes mit Knöpfen. Zu groß für ein Feuerzeug, zu klein für ein Radio. Oder auch nicht? Er weiß nicht, wie Radios heutzutage aussehen. Es hat so etwas wie einen eingebauten Bildschirm, ein kleiner leuchtender Kasten.

»Ich denke, ich komme klar«, sagt sie.

Dann drückt sie an ihrem kleinen Gerät auf einen Knopf, und auf der anderen Seite des Sumpfes detoniert etwas.

Kay hat schon gesehen, wie Burgen einstürzen und Kriegsschiffe auf dem Meer explodieren. Er ist mit Fairfax geritten, als die Kirche von Torrington in die Luft ging und sie beide aus ihren Sätteln geschleudert wurden. Er war an der Somme, als die Lochnagar-Mine explodierte. Doch das alles hat ihn nicht auf diese Explosion vorbereitet, die kurz Gottes gesamte Schöpfung wackeln lässt und einen Feuerball kilometerhoch in den Himmel schießt.

Kay wird von einem heißen Wind gepackt und gegen seinen Baum geschleudert. Er sieht, wie auf der anderen Seite des Sumpfs die hässlichen Rohre aufplatzen. Die Lagertanks explodieren einer nach dem anderen, wie donnernde Dominosteine, grelle orangerote Stichflammen schießen in die Höhe. Und dann kippt der silberne Turm zur Seite und explodiert. Aber es ist eine seltsame Explosion. Ein Feuerball aus Regenbogenfarben, Blau, Grün, Gelb, Blitze schießen durch schwarzen Rauch. Kay hat keine Zeit, zu überlegen, was hier passiert, weil plötzlich der gesamte Sumpf in Flammen aufgeht, ein Flächenbrand, der sich mit furchterregender Schnelligkeit ausbreitet. Kay starrt blinzelnd in das Inferno und kann gerade noch ein paar brennende Sachsen erkennen, wie Ameisen in einer Feuerstelle.

Der Brand erreicht den Fuß ihres Hügels, breitet sich auf dem glatten Wasser aus und kriecht hinter ihnen bis zum Meer. Aber das Feuer klettert nicht den Hügel zu ihnen hinauf. Alte Magie. Tiefe Wurzeln. Kays Baum steht hier schon zu lange, um sich von solchen Sachen beeindrucken zu lassen. Zumindest hofft Kay das. Ein derartiges Feuer musste der Baum noch nie bewältigen.

Die Frau hat ihre Augen weit aufgerissen. Sie flucht leise vor sich hin. »Das war eigentlich nicht der Plan«, sagt sie.

»Und was war der Plan?«, fragt er sie.

Doch entweder hat sie ihn nicht gehört, oder sie will ihm nicht antworten. Sie schlägt die Hände vors Gesicht, dann zieht sie sich ihren Schal über die Nase, um sich vor dem Rauch zu schützen. Kay hüllt sich in seinen Umhang. Er legt seinen Schild neben sie, die Vorderseite nach unten, und hockt sich darauf. Leistet ihr Gesellschaft.

So sitzen sie eine Weile da, husten und beobachten, wie der Sumpf brennt. Bis das Feuer sich gelegt hat, können sie eh nicht viel tun.

»Also noch mal«, sagt sie. »Wer bist du?«

»Mein Name ist Kay«, antwortet er. »Wie ist deiner?«

»Mariam«, sagt sie. »Warum hast du mir geholfen?«

»Ich helfe Menschen, die in Gefahr sind. Du sahst aus, als wärst du in Gefahr.«

Sie betrachtet ihn mit einem seltsamen Blick. »Nichts, womit ich nicht klargekommen wäre.«

Kay deutet mit einem Nicken auf das Inferno. »Offensichtlich«, sagt er.

»Trotzdem danke.«

Von der Stelle, wo zuvor der silberne Turm stand, steigt eine große schwarze Rauchsäule in den Himmel. Hin und wieder blitzt es darin auf. Donner hallt über das Moor. Der Boden zittert immer noch. Kay hat inzwischen den Eindruck, dass der Turm zum Graben oder Bohren gedacht war. Um sich tief in die Eingeweide von Britannien zu wühlen und etwas nach oben zu holen. Seine Eingeweide würden auch beben, wenn ihnen etwas Ähnliches zustoßen würde.

»Gehörst du zur Army of Saint George oder so?«, fragt Mariam.

Kay schüttelt den Kopf. »Ich weiß nicht, was das ist.«

»Ich wollte gerade sagen, dass du gar nicht danach aussiehst. Abgesehen vom Schild und so.«

»Was meinst du damit?«, fragt er.

»Ich habe noch nie einen schwarzen Ritter gesehen.«

»Du wärst überrascht, wie viele Leute das sagen.«

Mariam ist verwirrt. »Und was bist du jetzt? Kommst du aus Manchester? Bist du einer von den Kommunisten? Bei wem bist du?«

Er versteht die Frage nicht. »Ich bin bei dir«, sagt er. »Auf einem Hügel.«

»… okay«, sagt sie.

»Sind heutzutage viele Leute in Gefahr?«, fragt er.

Sie sieht ihn ungläubig an. »Häh, lebst du hinter’m Mond?«

»Unter einem Hügel«, sagt er und klopft auf den Boden.

Mariam starrt ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Daran hat er sich in all den Jahren schon gewöhnt. Er hat schon Schlimmeres erlebt. Er erinnert sich, wie Königin Victoria ihn bei ihrer ersten Begegnung anstarrte, als sie seine Haut sah.

Blitze zucken durch den Rauch. Dann weht ein neues Geräusch über den Sumpf zu ihnen herüber. Wieder klingt es wie eine sich windende Bestie, wie etwas Uraltes und Furchtbares. Aber wahrscheinlich ist es ein modernes Geräusch. Verbogenes Metall oder brennendes Gas. Etwas, das unter der Gewalt des Feuers nachgibt.

»Ja«, sagt Mariam schließlich. »Ja, eine Menge Leute sind in Gefahr.«

»Ich verstehe«, sagt er.

»Und du willst … versuchen, ihnen zu helfen?«, fragt sie.

»Na ja, ich werde sehen, was ich tun kann«, antwortet er und lächelt sie an. Dann runzelt er die Stirn.

Im Inferno bewegt sich etwas. Der Rauch bildet einen Wirbel, nimmt Gestalt an. Ein kriechendes Wesen. Und Kay weiß genau, was es ist. Er steht auf und schnallt sich den Schild wieder an den Unterarm.

Es ist mehr als eintausend Jahre her, seit er zuletzt einen Drachen gesehen hat.

Und es ist ein großer, ein erwachsenes Weibchen, die Art, die immer am schwersten zu töten war, die Art, die über ihre Drachenbullen herrschte wie eine Königin über ihre Narren. Arthurs gesamter Hof wäre nötig, um eine solche Drachin zu töten, all seine vierzig besten Krieger, dazu ein tausend Mann starkes Heer aus einfachen Kämpfern, Speerwerfern und Bogenschützen und alle Kriegsmaschinen und Zauberformeln, die Merlin ersinnen konnte.

Oder man bräuchte Caliburn, Arthurs Schwert, das jedes Material durchschneiden konnte. Caliburn, das seit damals unter der Wasseroberfläche schläft, damit keine Narren Hand an sein Heft legen können. Kay hofft, dass es dort noch etwas länger schlafen kann.

Die Drachin sieht sie auf der anderen Seite des brennenden Sumpfes nicht. Sie windet sich am Boden, in Feuer gehüllt, das ihr nichts anhaben kann. Sie prüft schnuppernd die Luft. Sie erkennt, dass in diesen Gefilden irgendetwas nicht stimmt. Und bevor Kay weiter darüber nachdenken kann, wie er sie töten soll, springt die Drachin hoch und drischt mit ihren Flügeln den Qualm zu Boden. Nach ein paar kräftigen Schlägen ist sie weit oben in der Luft, ihr langer Körper steigt auf der Rauchsäule des brennenden Turms empor. Und dann ist sie fort, weit oben über dem Rauch. Viel zu hoch, als dass Kay erkennen könnte, in welche Richtung sie fliegt.

»Was war das, verdammte Scheiße?«, fragt Mariam mit leiser Stimme.

»Ich glaube, das ist der Grund, warum ich zurück bin«, sagt Kay.

2

LANCELOTWOLLTENEBENGALEHAUTBEGRABENwerden, auf der Heiligen Insel vor der Küste von Brynaich. In den alten Tagen haben sie mehr als einmal darüber gesprochen. Ihnen gefiel die Vorstellung, dass ihre Bäume vielleicht zusammenwachsen würden, sich zu einer großen Eiche verbinden. Für alle Ewigkeit ineinander verschlungen.

Doch am Ende trug es sich nicht so zu. Man hat es nicht immer in der Hand, wo man begraben wird. Schließlich endete er im dichten Herzen von Windsor Forest, als der Wald noch größer und wilder und für Eindringlinge schwerer zugänglich war. Jetzt ist es ein kahler und gepflegter Wildpark. Seine uralte Eiche steht völlig allein da, weit weg von den jüngeren Bäumen, bewacht von den Statuen verstorbener Könige.

Die Lage ist nicht ideal. Aber immerhin hat sie eine gute Verkehrsanbindung ins Zentrum von London.

Er klettert widerstrebend aufwärts. Lethargisch. Seine einzige Motivation ist die vage Aussicht auf eine Zigarette und einen anständigen Scotch. Vielleicht findet er diesmal die Zeit, ein Bad zu besuchen. Für eine tiefe Porenreinigung. Im Boden von London zu schlafen, tut seinem Teint nicht gut.

Er wünscht sich, er könnte für längere Zeitspannen tot bleiben, ohne dass irgendwer ihn behelligt. Einfach nur ein paar Jahrhunderte lang Erde sein und sich um nichts Sorgen machen müssen. Sehr unwahrscheinlich. Irgendwo in der Stadt gibt es einen Aktenschrank mit Dossiers über all die geheimen Orte in den Gefilden, all die begrabenen Drachen und schlafenden Ritter. Sie wissen, wo sie ihn finden, wenn sie was von ihm wollen.

Marlowe ist schon da, er steht auf der Wiese und wartet. Sogar in diesem heißen Wetter trägt er seinen Hut und seinen langen grauen Regenmantel. Er aktualisiert seine Garderobe einmal alle hundert Jahre oder so. Früher waren es Wams und Pluderhose. Dann kamen Frack und gepuderte Perücke. Seit dem Ersten Weltkrieg sind es Halbschuhe, Aktentasche und ein dreiteiliger Anzug. Nun raucht er eine Zigarette und blickt auf seine Armbanduhr. Auf dem Rasen neben ihm wartet irgendeine neumodische Flugmaschine.

Lancelot wischt sich den Schmutz aus dem Gesicht und seufzt aus tiefster Kehle.

»Gütiger Gott«, sagt er. »Was willst du jetzt schon wieder?«

»Wir sind wohl auf der falschen Seite des Baumes aufgewacht, hm?«, fragt Marlowe. »Welche Macht der Tiefe bist du, dass du mich emporsteigen lässt, langsam und widerstrebend …«

»Fang nicht damit an. Was willst du?«

»England ist in Gefahr.«

Lancelot deutet mit einem verdreckten Finger über den Park hinaus. »Es sind doch nicht wieder die Falklands, oder? Ich dachte, das hätte ich beim letzten Mal unmissverständlich klargestellt. Die Falklands sind kein Teil von England und waren es auch nie. Sie liegen weit außerhalb meiner Zuständigkeit.«

Marlowe raucht geduldig. »Es sind nicht die Falklands.«

»Was dann?«

»Alles zu seiner Zeit.«

»Es sollte besser irgendeine verdammt ernste Gefahrenlage sein. Mehr will ich damit nicht sagen.«

Marlowe lächelt schmallippig und geht auf Lancelot zu, bietet ihm eine Zigarette an. »Erst mal stecken wir dich in saubere Kleidung. Dann erkläre ich alles.«

Lancelot murmelt ein Dankeschön. Er nimmt die Zigarette an und steckt sie sich zwischen die Lippen. Marlowe tritt näher heran und zündet sie für ihn an. Er riecht nach Frisiercreme und nach noch etwas. Ein leichter Hauch von Schwefel.

Marlowe genießt eine andere Art Unsterblichkeit als er, die durch andere Mittel erreicht wird. Keine magischen Eicheln, kein Schlummer unter Bäumen. Er hat seine Seele mit einer Unterschrift auf einer gepunkteten Linie verkauft und ist Mitglied eines exklusiven Clubs. Ewiges Leben. Aber nicht ewige Jugend. In den alten Tagen war er hinreißend. Marlowe, der Bühnenschriftsteller, der Lebemann von London, der für die Krone spionierte. Der sich in Kneipenschlägereien stürzte. Der sich in schwarzer Magie versuchte und uralte Krieger aus ihrem Schlaf weckte. Früher hatten sie viel Spaß miteinander.

Doch inzwischen ist Marlowe älter und ausgezehrt, das Gewicht von Geheimakten aus mehreren Jahrhunderten lastet auf seinen Schultern. Ihn umweht die beständige Aura von billigem Tabak und Mittagsbierchen. Aber er hat immer noch etwas auf verhärmte Weise Liebenswertes an sich, wie ein Hund, der zu alt für die Jagd geworden ist. Der ermüdete alte Agent. Der Letzte einer aussterbenden Art.

»Also gut«, sagt Lancelot. »Himmel, ich muss was trinken.«

»Das hatte ich mir gedacht.«

Sie gehen über das gelbe Gras auf den Flugapparat zu. Unweigerlich fällt Lancelot auf, dass der Park irgendwie nicht mehr so grün ist wie früher. Die meisten Bäume sehen tot aus. Kein Anzeichen von Rotwild. Und es ist viel zu warm. Wie in Kenia oder Indien, wo er zur Zeit von Königin Victoria einmal war. Ganz und gar nicht wie England.

Doch wenn England nicht mehr so kalt und trist ist wie früher, ist das nicht unbedingt etwas Schlechtes, denkt Lancelot. Er erinnert sich an die alten Tage, als sie Apfelbäume auf der Heiligen Insel pflanzten und die Äpfel in der Kälte erfroren. Galehaut versuchte dennoch, sie zu essen. Inzwischen könnte es warm genug sein, um Apfelbäume anzubauen. Um einen Apfel nach dem anderen zu essen und aufs Meer hinauszublicken. Mit der warmen Sonne im Gesicht.

Die Flugmaschine hat einiges gemeinsam mit den Hubschraubern, die er in den 1980ern gesehen hat, als er das letzte Mal auf den Beinen war. Nur dass dieses Gefährt kleiner, zerbrechlicher und durchsichtig ist. Er hat den Eindruck, dass es nicht für militärische Zwecke gedacht ist. Nicht mehr als eine Glaskugel mit zwei Sitzen und vier Propellerarmen.

»Was, bitte, ist dieses Ding?«, fragt er.

»Oh«, sagt Marlowe abfällig. »Man nennt sie ›Quadpods‹. Der letzte Schrei aus Dubai. Stell es dir wie ein fliegendes Taxi vor.«

»Kein Vergleich zu meiner alten Spitfire.«

»Die Zeiten ändern sich, alter Knabe.«

Nachdem sie sich hineingesetzt und angeschnallt haben, klappt das Kabinendach zu, und die Rotoren beginnen sich zu drehen. Marlowe wischt mit einem Finger über das Kontrollfeld, bis er das richtige Ziel gefunden hat, dann tippt er zweimal darauf. Der Quadpod springt in die Höhe, bläst mit dem Abwind der Propeller totes Laub fort und lässt sie hoch über Windsor schweben. Dann wendet er und trägt sie ostwärts, in Richtung London.

»Er fliegt von allein?«, fragt Lancelot.

»So ist es.«

»Beunruhigend.«

»Es ist völlig sicher.«

Sie ziehen an ihren Zigaretten und füllen die Kabine mit Rauch. Marlowe in seinem Regenmantel und Lancelot in seinem verdreckten Kettenhemd. Keiner will vor dem anderen zugeben, dass es eine schlechte Idee sein könnte, hier drinnen zu rauchen. Beide müssen sich große Mühe geben, nicht zu husten. Bis am Kabinendach eine Warnmeldung erscheint: Eine weibliche Stimme erklärt ihnen auf Chinesisch und dann auf Englisch, dass Rauchen hier nicht gestattet ist. Marlowe verliert die Mutprobe und drückt seine Zigarette an der Armlehne seines Sitzes aus. Lancelot nimmt noch einen letzten Zug, bevor er seinem Beispiel folgt.

»Grässliche Maschine«, sagt Lancelot.

»Ich weiß.«

Sie folgen dem alten Verlauf des Devil’s Highway über die Themse hinweg. Dann breitet sich die Stadt vor ihnen aus, viel größer als früher. Lancelot rümpft die Nase. Er hat angenehme Erinnerungen an Marlowes London. Strohdächer und Kopfsteinpflaster, Theater und Wirtshäuser. Begegnungen in Seitengassen. Amouröse Abende bei Bootsfahrten auf der Themse. Und dann London während des letzten großen Krieges, als er gemeinsam mit Galehaut gerufen worden war, um gegen die Deutschen zu kämpfen. Pubs und Ballsäle und rote Doppeldeckerbusse. Wie sie in den kalten Monaten zueinander passende Schals trugen. Heimliche Küsse in dunklen Luftschutzbunkern. Der Gedanke daran bringt ihn zum Lächeln. Doch unter all diesen Londons liegt das alte Londinium, das er immer gehasst hat. Schwärend und freudlos. Stämme und Banden und Jüten und Sachsen, die um römische Ruinen kämpfen. Kay und Arthur, die aus seinen Gossen emporgekrochen sind, was umso mehr ein Grund ist, die Stadt zu verachten.

»Es hat sich eine Menge verändert, seit du das letzte Mal hier warst«, sagt Marlowe. »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Du dürftest es als etwas feuchter empfinden, als es damals war.«

Über Belgravia verlieren sie allmählich an Höhe. Der Pod bringt sie ohne irgendeine Erklärung tiefer. Das verschafft ihnen einen besseren Blick auf die Straßen unter ihnen. Lancelot lehnt sich vor und blickt stirnrunzelnd nach unten, versucht sich einen Reim darauf zu machen, was er da sieht.

Es sieht eher nach Venedig als nach London aus. Der Fluss ist weit über seine Ufer getreten und hat Chiswick und Shepherd’s Bush überflutet. Die Hälfte der Stadt ist überschwemmt, das Wasser glänzt in der Sonne. Die Untergrundbahnen und Luftschutzkeller dürften jetzt unterirdische Seen und Flüsse sein. Die dunklen Räume, wo er Galehaut während des letzten Krieges geküsst hat. Er kann sich nicht vorstellen, wodurch das ausgelöst worden sein könnte, außer durch den Zorn irgendeines alten Meeresgottes. Aber es würde ihn nicht im Geringsten überraschen, wenn Britannien einen Meeresgott erzürnt hätte, seit er das letzte Mal auf den Beinen war. Inzwischen kann ihn gar nichts mehr überraschen. Weder Kriege noch Revolutionen oder Seuchen oder Hungersnöte. Er kommt einfach nur an die Oberfläche und tut, was Marlowe ihm sagt, in der Hoffnung, sich möglichst bald wieder schlafen legen zu können. Das wird er wahrscheinlich bis zum Tag des Jüngsten Gerichts tun. Falls der nicht bereits gekommen ist.

Selbst die trockenen Bereiche der Stadt sehen recht erbärmlich aus. Der Hyde Park wurde in eine Art Lager verwandelt, mit endlosen Reihen aus weißen Zelten. Die Straßen rundherum sind mit Barrieren abgesperrt. Stacheldraht und Männer mit Waffen. Vom kleinen Pod aus können sie Menschenmengen erkennen, die zurückgedrängt werden. Rauchwolken treiben in der Brise wie Senfgas an der Somme. Kleinere Flugmaschinen schwirren wie Hornissen herum und feuern irgendetwas auf die Menge. Worauf die Flugmaschinen im Gegenzug mit Dingen beworfen werden. Ihr Quadpod schwebt weit darüber, zu hoch, als dass sie sich um verirrte Steine sorgen müssten.

»Scheint alles ein wenig aus dem Ruder zu laufen, hm?«, fragt Lancelot.

»So könnte man es formulieren«, erwidert Marlowe. »Es ist schwer, Platz für alle zu finden, wenn das Wasser so hoch steht. Wir mussten Parliament und Whitehall aufgeben. Die Regierungsgeschäfte werden vorläufig von der City aus geführt.«

»Also hat sich in dieser Hinsicht nichts geändert.«

»Recht bald werden wir alles offshore verlagern, aber ich möchte dich nicht mit den Details langweilen.«

Ihr Pod entfernt sich wieder von den Auseinandersetzungen am Boden und überquert auf seiner Route Richtung Osten erneut die monströse Themse. Vorbei am Westminster Palace, der überschwemmt ist und im Flutwasser zerfällt.

Lancelot runzelt die Stirn. »Wir fliegen nicht zum Department?«

»O nein«, sagt Marlowe und räuspert sich. »Wie ich bereits erwähnte, hat es ein oder zwei Veränderungen gegeben.«

»Zum Beispiel?«

»Nun, der gesamte Sektor wurde privatisiert. Die muffigen alten Geheimdienste wurden aufgeteilt und an US-amerikanische Kapitalgesellschaften verkauft. Solche Sachen. Die Dienste, die zuvor vom Department erbracht wurden, übernimmt nun ein transatlantischer Konzern namens GX5.«

»Wofür steht das?«

Marlowe schnieft sarkastisch. »Warum sollte das für irgendetwas stehen, Lance?«

Sie nähern sich dem Bankenviertel, das von oben aussieht, als hätte man eine Schublade voller Glasmesser ausgekippt. Wolkenkratzer ragen aus dem Flutwasser auf und stechen in den Himmel, viel höher und viel grässlicher als alles, was er bei seinem letzten Aufenthalt gesehen hat. Gezackte, hässliche Dinger. Dazwischen verlaufen Himmelsbrücken, und Pods wie ihrer flitzen hin und her. Anscheinend ist es in diesem neuen London viel einfacher, wenn man sich nicht auf Meereshöhe herablassen muss.

Eins der höheren Gebäude hat einen Dachgarten, grün und künstlich. Ihr Pod setzt auf dem Gras auf, gleich neben den Tennisplätzen. Sobald die Rotoren stillstehen, öffnet sich die Kabine, und sie steigen auf das Dach hinaus.

»Grässlich«, sagt Lancelot.

»Oh, so schlimm ist es gar nicht«, sagt Marlowe. »Zur Bar geht es hier entlang.«

Sie gehen über den falschen Rasen, an den falschen Büschen vorbei, zu einer Penthousebar, die sich über das Dach erhebt. Fernseher zeigen ein undefinierbares Sportereignis. An den Wänden sind alte Tennisschläger und Ruder angebracht. Niemand ist hier außer dem Barkeeper, der Gläser putzt. Der Dreck an Lancelots Kleidung und sein Kettenhemd scheinen ihn nicht zu irritieren. Wenn hier oben öfters Regierungsangelegenheiten abgewickelt werden, hat er vermutlich schon viel seltsamere Dinge gesehen.

Marlowe stellt seine Aktentasche ab und lässt sich auf einem Barhocker nieder. »Da drüben gibt es einen Umkleideraum«, sagt er. »Lass dir Zeit.«

Jedes Mal, wenn Lancelot an die Oberfläche kommt, reißt er sich bei erster Gelegenheit das Kettenhemd und den Kittel vom Leib. Es wäre erheblich praktischer, wenn der Zauber anders funktionieren würde und die Erde seine Garderobe im Laufe der Jahrhunderte hin und wieder an die Gegenwart anpassen könnte. Aber daran hat Merlin nicht gedacht, nicht wahr? Der Mann hatte keine Ahnung von Mode.

Lancelot schleudert seine alte Kriegermontur in eine Ecke des Duschraums, ein schwerer Haufen aus Eisen und Leinen, den er nicht mehr benötigen wird. Marlowe hat Waschsachen und neue Kleidung für ihn bereitlegen lassen. Weiche weiße Handtücher liegen ordentlich zusammengefaltet auf einer Bank. Als er sich aus der verdreckten Hose und dem Bruoch gepellt hat, steigt er in die Dusche und dreht sie auf. Spült sich die Erde von der Haut. Wäscht sie sich aus dem Haar. Schrubbt sie sich von den Fingernägeln. Eine heiße Dusche ist eine der wenigen Freuden in diesem endlosen Albtraum.

Whisky, Motorräder, gute Bars mit lauter Musik. Italienischer Kaffee. Kaschmir. Hotels mit guter Seife. Das alles macht den Rest ein wenig erträglicher. All die endlosen Kriege, den Tod und den Schrecken. Viel lieber wäre er tot und vergessen, doch die Option zu sterben musste er schon vor langer Zeit aufgeben. Wenn er sich den Kopf wegschießt oder sich ertränkt oder von einem hohen Gebäude springt, landet er nur wieder unter seinem Baum. Er hat es schon einige Male versucht.

Und wenn er schon immer wieder an die Oberfläche muss, wird er sich auch weiterhin an den kleinen Genüssen des Lebens erfreuen, so oft er kann.

Als er sich wieder einigermaßen menschlich fühlt, tritt er aus der Dusche und starrt sich selbst in den Badezimmerspiegeln an, bewundert sich aus verschiedenen Blickwinkeln. Das ist eine weitere kleine Gnade. Wenn er schon bis zum Ende der Zeit ständig zurückkehren muss, dann wenigstens in diesem Körper. Straffer Hintern. Breite Schultern. Scharfe Wangenknochen. Locken aus blondem Haar. Immer noch ansehnlich genug, dass er im letzten großen Krieg Offiziere der Royal Air Force dazu bringen konnte, mit ihm zu schlafen.

Er findet verschiedene Lotionen und reibt sie sich in die Haut, bis er nach Grapefruit und Mandarine riecht. Dann sieht er sich die Kleidung an, die Marlowe für ihn ausgesucht hat. Graue Boxershorts. Weißer Leinenanzug. Pastellgrünes Hemd. Braune Lederslipper. Alles sehr nach seinem Geschmack.

Er ist Marlowe dankbar. Nicht nur für die Hemden und Schuhe. Es gab eine lange Zeit vor Marlowe, als alles düster und furchtbar war. Ein Krieg nach dem anderen, die ganze Zeit zu Pferde herumstürmen. Matsch und Mord und wahnsinnige Könige. Henrys und Edwards und Richards und all die anderen. Es hat sich so sinnlos, endlos, hoffnungslos angefühlt. Ewige Krieger auf ziellosen Questen, die nach Vergessenheit streben. Dann kam Marlowe und brachte etwas Struktur in ihr Nachleben. Statt fruchtloser Streifzüge gab er ihnen nützliche Aufgaben. Geheimmissionen, Spionage. Er gab ihnen allen wieder einen Sinn. Das Gefühl, dass sie tatsächlich helfen konnten. Um aus den Gefilden einen besseren Ort zu machen.

Als Lancelot damit fertig ist, sich selbst zu verhätscheln, kehrt er zu Marlowe in die Bar zurück. Marlowe hat drei doppelte Whisky bestellt und bereits einen hinuntergekippt. Nun hält er den anderen in der Hand, während er sich auf dem großen Fernseher hinter der Theke die Nachrichten ansieht.

»Geht es dir jetzt besser?«, fragt Marlowe.

»Etwas«, sagt Lancelot. »Danke.«

Sie stoßen an, und Lancelot nimmt dankbar seinen ersten Schluck. Doch der Whisky schmeckt billig, schlicht und widerlich süß. Er runzelt die Stirn. »Ist das ein amerikanischer?«

»Ich fürchte ja«, sagt Marlowe. »Wir haben einige Schwierigkeiten, das gute Zeug aus Schottland zu beschaffen, seit das Land seine Unabhängigkeit erklärt hat.«

»Die Lage scheint schlimmer zu sein, als ich dachte.«

»Ich habe immer noch eine Flasche alten Terrantez herumstehen«, sagt Marlowe lächelnd. »Den von 1704. Wir können sie köpfen, sobald du diesen Job erledigt hast.«

Lancelot seufzt. Der Gedanke an guten Madeirawein lässt die Welt für einen halben Moment freundlicher und besser aussehen. Dann hört er den Nachrichten zu.

Die Bemühungen werden fortgesetzt, den Hull zu sanieren und im Golf von Peterborough Land wiederzugewinnen. Man hofft, dass diese Bereiche innerhalb der nächsten fünfzehn Jahre für die Wiederbesiedlung geeignet sein werden, falls der Meeresspiegel nicht weiter steigt.

Der chinesische Handelsbeauftragte fordert zusätzliche Sicherheit für die Internationale Entwicklungszone in Essex. Andernfalls bleibt Beijing keine andere Wahl, als mit Streitkräften anzurücken, um Chinas Vermögenswerte zu schützen.

In Sibirien wurde eine weitere arktische »Superblase« aus Methan entdeckt. Das Gas wird innerhalb von zwei Jahren aus dem Permafrostboden entweichen, wenn die globalen Emissionen nicht signifikant sinken.

Die Explosion einer Fracking-Anlage in Lancashire könnte das Werk der FETA sein, der Feminist Environmentalist Transgressive Alliance, einer gefährlichen Gruppe extremistischer Ökoterroristen. Die Regierung wird ihre Anti-Terror-Verträge im Norden Englands mit Saxons und anderen privaten Militärfirmen ausbauen.

Die Bewohner des Großraums Manchester werden daran erinnert, sich in Gebiete südlich des Mersey zurückzuziehen, um bei den Kämpfen zur Rückeroberung der Stadt von sozialistischen Aufständlern nicht zwischen die Fronten zu geraten.

Inzwischen wurden die Bauarbeiten auf der Avalon-Plattform im Bristol Channel abgeschlossen, einer hochmodernen Offshore-Anlage zur Erdölförderung, Zivilverteidigung und strategischen Koordination. Die Regierung wird im Laufe der Woche dorthin umziehen. Man erwartet, dass sie die Wirtschaft mit mehreren Milliarden Pfund ankurbeln wird.

»Du meine Güte!«, sagt Lancelot und kippt seinen Whisky hinunter.

»Hm«, sagt Marlowe. »Noch einen?«

»Bitte.«

Marlowe nickt dem Barkeeper zu, dann greift er nach seiner Aktentasche und legt sie auf den Tresen. Er lässt sie aufschnappen und nimmt eine mit rotem Klebeband versiegelte braune Mappe heraus.

»Uff«, sagt Lancelot leise. »Kann das nicht warten?«

Es ist die Bitte, mal zur Abwechslung was anderes erleben zu dürfen. Ein anderes Gesprächsthema, einen freien Abend, bevor er sein Schwert in die Hand nehmen muss. Aber Marlowe kennt kein Erbarmen. Er schiebt die Aktenmappe über den Tresen.

»Leider nicht, alter Freund«, sagt Marlowe. »Meine Leute drängen darauf, dass das schnell erledigt wird.«

Lancelot öffnet die Mappe noch nicht. Er starrt sie an und wünscht sich, dass sie verschwindet. Ihm ist nie ganz klar geworden, wer Marlowes »Leute« sind. Es sind nicht nur die Leute in der Regierung, die Leute in den Schaltzentralen der Macht. Marlowe hat noch andere Herren, ältere Meister, die ihr Recht einfordern. Aber letztlich macht das nicht wirklich einen Unterschied, oder? Sie sagen Marlowe, was getan werden muss. Marlowe gibt es an ihn und Kay und die anderen weiter. Sie erledigen es. Sie bekommen so das Gefühl, dass sie etwas Nützliches tun. So läuft das jetzt schon seit etwa dreihundert Jahren. Es wäre ein seltsamer Augenblick, um das alles jetzt infrage zu stellen.

In der Mappe könnte alles Mögliche sein. Marlowe benutzt seine arthurischen Helfer auch für gewöhnliche Nacht-und-Nebel-Aktionen, nicht nur für die schrägen Sachen. Es könnte ein Krieg in Asien sein, der gewonnen werden muss. Jemand in Südamerika, dem die Kehle aufgeschlitzt werden muss. Ein uraltes Monster in Wales oder Irland, das aus seinem Schlaf erwacht ist und ohne viel Aufmerksamkeit bezwungen werden muss. Es könnte eine Woche dauern, bis er wieder unter seinem Baum liegt, oder es könnten drei Jahre vergehen.

Der Bartender stellt ihnen neue Gläser hin. Lancelot nimmt einen vorsichtigen Schluck und verzieht das Gesicht. Die einzige Möglichkeit, die Kontrolle über diese Situation zu gewinnen, wäre, nach draußen zu gehen und sich über die Dachkante zu stürzen. Doch dann würde er nur ein weiteres Mal unter seinem Baum erwachen. Und müsste erneut nach oben kriechen. Und noch einmal duschen. Und Marlowe würde immer noch mit seiner Aktenmappe in der Bar auf ihn warten.

»Hätte ich gewusst, dass es so ablaufen würde«, sagt er schließlich, »hätte ich nie zugestimmt.«

»Tja«, sagt Marlowe. Er räuspert sich und klopft Lancelot sanft auf die Schulter. »Kopf hoch, alter Knabe.«

Lancelot wartet ab, bis er sicher ist, dass keine weiteren Ratschläge folgen. Dann stößt er einen Seufzer aus. Er nimmt die Mappe und zieht das Klebeband ab.

»Was ist es, Drecksarbeit?«, fragt er.

»Es entspricht sogar eher deinem Metier als üblicherweise«, sagt Marlowe. »Die hier wurden gestern in Lancashire aufgenommen.«

Die Mappe enthält zwei Schwarz-Weiß-Fotografien, dazu ein Dossier. Lancelot ist zu faul, es zu lesen. Die Fotos zeigen eine Industrieanlage, die anscheinend explodiert ist. Auf dem ersten Bild ist eine alte Drachenkönigin zu sehen, riesig und mächtig, die sich aus dem Boden emporwindet, von Flammen umzüngelt. Die zweite Aufnahme zeigt einen Mann mit Schild. Lancelot wirft nur einen flüchtigen Blick auf das Foto mit der Drachin, bevor er es wieder beiseitelegt. Er ist viel mehr an der Aufnahme von Kay interessiert.

Kay, Arthurs Bruder. Kay, der ihm keine Zuflucht gewähren wollte, als er sie brauchte. Kay, der nordwärts gegen ihn ritt, mit wildem Zorn in den Augen.

»Ein alter Freund von dir«, sagt Marlowe.

»Wohl kaum«, erwidert Lancelot. »Hast du ihn reaktiviert? Vor mir?«

Marlowe lächelt. »Nein, er scheint von selbst hervorgekommen zu sein. Und nun macht er sich zu einem Ärgernis.«

Lancelot schnaubt verächtlich. »Das überrascht mich nicht im Geringsten.«

»Natürlich machen wir uns wegen der Drachin viel größere Sorgen. Zuletzt wurde die Dame über Burnley gesichtet, auf dem Weg nach Osten. Doch es erweist sich als etwas schwierig, ihre Spur zu verfolgen. Von Radar wird sie nicht erfasst.«

»Nein, selbstverständlich nicht«, sagt Lancelot und schaut sich noch einmal das andere Foto an. Er weiß nur zu gut, dass Drachen keine realen Geschöpfe sind. Sie sind Manifestationen von Magie, Entitäten aus fremden Gefilden. Die in monströser Gestalt aus der Anderwelt ausbrechen. Üblicherweise erscheinen sie nie ohne besonderen Grund. Üblicherweise benötigen sie ein wenig Unterstützung von dieser Seite des Schleiers.

»Drachen tauchen nicht einfach so aus dem Nichts auf«, sagt er. »Es ist eine Menge Magie nötig, um sie in diese Welt zu holen. Blutmagie oder Erdmagie. Was war das für ein Ort, bevor er explodiert ist?«