Die andere Perspektive - Bernhard Dorner - E-Book

Die andere Perspektive E-Book

Bernhard Dorner

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die andere Perspektive ist ein Versuch, das innere Erleben traditioneller indigener Völker Amerikas darzustellen. Der Text lässt erahnen, wie Indianer vor den Kontakten mit der europäischen Bevölkerung ihre Umgebung wahrnahmen bzw. wie sie es in abgeschiedenen Regionen, wie dem Amazonasregenwald, auch noch heute tun. Auf dieser Grundlage lassen sich indigene Phänomene erklären, die uns oft mystisch erscheinen. So kann auch das eigene Verständnis von den Abläufen und Zusammenhängen in der Welt erweitert werden. Der Inhalt basiert auf persönlichen Erfahrungen des Autors. Diese werden unter anderem durch Zitate aus Werken indigener Schriftsteller ergänzt. Das Heft entstand als Ergänzung zu einem Vortrag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 47

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die emotionale Perspektive der Naturvölker

Das indigene Verständnis von Zeit

Traum und Wirklichkeit

Spiritualität und Alltag

Geistwelt und Schamanismus

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

„…die Welt ist Geheimnis der einzelnen Seelen.“(La Farge 1960, S. 43)

Vorwort

Die Welt der Indianer trägt Geheimnisvolles in sich. Man erzählt von Krankenheilungen durch rituelle Gesänge und Tänze, von Menschen, die die Gestalt von Tieren annehmen, von Visionen, die es ermöglichen in die Zukunft zu blicken und davon, dass die Natur zu Indigenen spricht. Es scheint so, als könnten Indianer in Kontakt mit einem Teil der Welt treten, der uns aktuell verborgen bleibt.

Doch wie ist das zu verstehen? Handelt es sich dabei nur um naive Fantasien einer Gesellschaft, die sich bis heute nicht aufklären ließ? Oder übersehen wir als Angehörige einer modernen Gesellschaft irgendetwas, das auch uns einen erweiterten beziehungsweise andersgearteten Zugang zur Welt ermöglichen könnte?

Begegnungen mit Vertretern indigener Völker, der Austausch mit ihnen und Ereignisse, die ich mir mit meinem bisherigen Weltverständnis nicht erklären kann, ließen mich zu der Überzeugung gelangen, dass es sich bei den indigenen Konzepten zum Aufbau und der „Funktionsweise“ der Welt keineswegs um naive Vorstellungen handelt. Sie erscheinen uns fremd, weil sich unsere Erklärungsmuster auf indigene Vorstellungen und Praktiken nicht anwenden lassen. Wenn wir den Erfolg der Heilungszeremonie eines Schamanen beispielsweise auf den Placebo-Effekt reduzieren, werden wir den Ereignissen nicht gerecht. Die mangelnde Vereinbarkeit moderner und indigener Denkansätze ist eine Frage der Perspektive. Indianer betrachten die Welt aus einem Blickwinkel, der uns fremd geworden ist. Aus dieser Perspektive wirkt das zunächst Geheimnisvolle logisch.

Selbstverständlich kann man nicht von einer einzigen indigenen Kultur sprechen. Die indigenen Kulturen sind so zahlreich wie ihre Völker. Von den Amazonasindianern über die Bewohner der weiten Prärien Nordamerikas bis hin zu den Inuit in den nördlichen Polarregionen, haben sich viele unterschiedliche Lebensweisen entfaltet, so verschieden wie das Land, das sie zum Teil noch heute bewohnen. Doch die grundsätzliche Art, die Welt zu betrachten, scheint mir über alle Völker hinweg die gleiche zu sein. Es ist nicht schwer, ein Verständnis dafür zu bekommen. So wie in der Physik die fundamentalen Naturgesetze in ihrer Einfachheit bestechen, so ist es meiner Ansicht auch, wenn man versucht, das indigene Denken zu verstehen. Für uns bedeutet es, einen grundlegenden, aber einfach zu beschreibenden Perspektivenwechsel zu vollziehen, aus dem sich schließlich weitreichende Teile des indigenen Weltbildes erklären lassen.

Was die vorkolumbianische Bevölkerung Amerikas betrifft, wurde viel über deren Geschichte, Lebensweise, Kultur und Spiritualität geschrieben. Die Autoren sind sowohl Euroamerikaner und Europäer wie auch die Indigenen selbst. Es gibt Bücher über Kämpfe und Entbehrungen, das traditionelle Leben und religiöse Riten, indigene Sprachen und Musik. Kaum aber gibt es Literatur über das Empfinden der ersten Amerikaner und die daraus resultierende traditionelle Art, die Welt zu betrachten. Es gibt keine historischen Aufzeichnungen, und für einen Außenstehenden ist es schwer, sich in die innere Welt der indigenen Völker hineinzuversetzen. Umgekehrt ist es auch für die Angehörigen indigener Kulturen nicht leicht, ihre Perspektive für Nichtindigene zu beschreiben. Denn die eigene Sichtweise hat immer etwas Selbstverständliches an sich, das grundsätzlich nicht erklärungsbedürftig ist. Als ich beispielsweise im Sommer 2023 einem Vertreter der nordamerikanischen Hopi-Indianer gegenüber erwähnte, dass ich das „Buch der Hopi“ gelesen, aber nicht wirklich verstanden habe, entgegnete mir der Indianer, er könne es mir leider auch nicht erklären, aber es sei gut, dass ich hier sei, um die Wirklichkeit seines Volkes zu erspüren.

Aufenthalte bei Yanomami-, Tariano-, Tukano- und Hupda- Indianern im brasilianischen Amazonasgebiet, enge Freundschaften mit Vertretern der Pataxó HāHāHāe, die in einem Reservat im brasilianischen Bundesstaat Bahia leben, und Begegnungen mit Vertretern der Hopi, Navajo, Apache und Lakota-Sioux in Nordamerika habe ich es zu verdanken, dass ich glaube, heute ein klein wenig von der Perspektive der Indianer zu verstehen. Und so versuche ich, mich mit dem folgenden Aufsatz einer Lücke im Verständnis indigener Kulturen zu widmen. Vielleicht kann die „andere Perspektive“ auch uns bereichern. Sicherlich gleicht sie dem Blickwinkel unserer fernen Vorfahren, so dass eine Auseinandersetzung damit, uns auch die Geschichte unseres eigenen Empfindens näherbringen kann.

Die emotionale Perspektive der Naturvölker

Der Wald gehört Omama. Deshalb hat der Wald einen sehr langen Lebensatem, den wir urihi a wixia nennen. (…) Im Gegensatz dazu ist der menschliche Lebensatem sehr kurz. (…) Die Pflanzen, die uns ernähren, können wachsen, wegen des Lebensatems des Waldes. Also, wenn wir so krank sind, dass wir uns in einem Geisterzustand befinden, leihen wir uns manchmal den Lebensatem des Waldes, sodass er uns unterstützen und heilen kann. Das ist das, was die Schamanen tun. Der Wald atmet, aber die weißen Leute bemerken das nicht. Sie glauben nicht, dass er lebt. Aber man muss nur seine Bäume mit ihren immer glänzenden Blättern betrachten. (…) Wohin seine feuchte Kühle fließt, ist der Wald schön, die Regenfälle sind reichlich und der Wind kräftig. (…) Weiße Menschen, die den Wald roden, denken wahrscheinlich, dass dessen Schönheit ohne Grund gekommen ist? Das ist nicht wahr! Sie verwüsten ihn nur so sorglos, weil sie ihn nicht mit den Augen der Schamanen sehen können. An den Orten, die sie besetzen, sind nur noch Savannen übrig, und der Boden hat seinen Lebensatem verloren. Aber solange wir hier leben, wird das nicht passieren! (Davi Kopenawa 2013, S. 386; Übersetzung des Autors)