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Die Polizei ist machtlos als eine Motorradbande die Kleinstadt der Sandras erpresst. Tim ist als Techniker und kluger Schachspieler den Mitmenschen immer einen Schritt voraus, und Sandra entdeckt als Medizinerin zufällig ihr Potenzial ihren Körper zu verlassen und als Geist durch Raum und Zeit zu reisen. Als auch sie erpresst werden kann sie ihm diese Fähigkeit beibringen, sie nehmen die Abwehr selbst in die Hand und überlisten die Verbrecher. Dabei freunden sie sich mit einer Ermordeten an, die den Verbrechern in die Quere gekommen ist und nun ihre Schuld für ihr gottloses Leben abarbeiten muss. Sie hören vom "großen PI" wo sie Prüfungen bestehen müssen, um dann die Menschen wieder glücklich zu machen. Sandra entkommt aus höchster Lebensgefahr, indem sie ihren Tod vortäuscht, und zwei weitere Attentate scheitern geradezu filmreif. Doch welcher unbekannte Geist macht die Verbrecher nach und nach unschädlich? Als der extrem gefährliche Anführer alleine dasteht, erpresst er das Gaswerk mit einer millionenschweren Bombendrohung. Können sie der Ermordeten helfen, die Prüfungen bestehen und ein zweites Nagasaki verhindern? Als beim entschärfen die Technik im entscheidenden Moment versagt muss Tim als Industriemechaniker seine gesamte Trickkiste aufbieten - und die Bombe tickt ...
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Seitenzahl: 437
Haftungsausschluß
Astralreisen gibt es tatsächlich. Von der Nachahmung der Handlungen in diesem Buch wird jedoch dringend abgeraten, da die Gefahr ernster psychischer Schäden sehr groß ist. Der Autor übernimmt keinerlei Haftung für Schäden jeglicher Art.
Danksagung
Ich danke den Mitarbeitern von BOD, mit deren Hilfe mein Buch veröffentlicht werden konnte und ganz besonders Ihnen, liebe Leser, für den Kauf meines Buches. Ich wünsche viel Freude, spannende Unterhaltung und eine schöne Lesezeit.
Bitte denken Sie an das Popcorn!
Herzlichst, Ihr
Martin William
Die Astralreisende: Prolog
Erstes Kapitel: Eine Kriminalakte
Zweites Kapitel: Die Verbrecher
Drittes Kapitel: Die Geschichte der Sandras
Viertes Kapitel: Ein besonderes Buch
Fünftes Kapitel: Schwere Jungs und raue Sitten
Sechtes Kapitel: Erste Grundübungen
Siebentes Kapitel: Der Wettkampf und ein Ausflug
Achtes Kapitel: Falschgeld
Neuntes Kapitel: Eine sonderbare Begegnung
Zehntes Kapitel: Drohungen
Elftes Kapitel: Eine Bombe für den Italiener
Zwölftes Kapitel: Chronik
Dreizehntes Kapitel: Heilung
Vierzehntes Kapitel: Aktionen
Fünfzehntes Kapitel: Sandies Dampfhammer
Sechzehntes Kapitel: Die Höhle der Löwen
Siebzehntes Kapitel: Pleiten, Pech & Pannen
Achtzehntes Kapitel: Tigers Albtraum
Neunzehntes Kapitel: Tigers Schlappe
Zwanzigstes Kapitel: Die letzte Prüfung
Einundzwanzigstes Kapitel: Das große PI und zwei Heilungen
Zweiundzwanzigstes Kapitel: Tödlicher Irrtum
Dreiundzwanzigstes Kapitel: Showdown
Vierundzwanzigstes Kapitel: Nicole
Fünfundzwanzigstes Kapitel: Eine be"geist"erte Party
Es war ein trüber und sehr verregneter Tag im Oktober. Sandra Besenstein saß reglos bei der Beerdigung ihrer Großmutter in der Trauerhalle und wurde von unsäglichem Schmerz fast erdrückt. Im Kopf spielten sich nun immer wieder die gleichen Erinnerungen an die schöne Zeit mit Oma ab, dann aber die Hoffnung, dass dies alles nur ein Albtraum sei aus dem sie gleich wieder aufwachen würde. Aber ihr Verstand weigerte sich, dies alles zu begreifen. Oma – der liebste Mensch, den sie hatte. Wie oft war sie mit ihrem Kummer, ihren Ängsten, ihren Wünschen oder Ideen nur zu ihr gekommen und zu sonst niemandem? Wie viele Tipps und Tricks hatte sie von dieser klugen Frau bekommen, die im Krieg bitterste Not erlitten und doch irgendwie überlebt hatte? Wie erfinderisch hatte diese Not sie gemacht? Doch nun war sie fort und hatte einfach nur eine riesige Lücke und einen grauenvollen Schmerz hinterlassen. Im Sommer hatten sie oft bei ihrer selbst gemachten Limonade auf dem Balkon gesessen und den Ausblick über das Tal genossen, der bis zu den hellblauen Bergen am Horizont reichte oder sich abends die Sterne angesehen. Gelegentlich konnte man am Horizont die Scheinwerfer der Flugzeuge sehen, die den internationalen Flughafen ansteuerten. Sandra hatte sich gefragt, wo die Reisenden wohl herkommen mochten, wohin sie wollten oder was so ein Flugzeug außer den Koffern wohl noch so alles in seinem Bauch hatte? Dann dachte sie an die fernen Länder, von denen sie gehört hatte, und mit denen sie sich später mal befassen wollte. Immer wenn sie zur Tür hereinkam, strahlte Oma vor Freude und sagte: „Ja wer kommt denn da? Meine Sandypandy!" Dann zerdrückten die beiden sich vor Freude fast gegenseitig. „Und möge der Frieden und der Segen des Herrn Jesus Christus mit Euch allen sein, Amen." Als der Pfarrer geendet hatte, standen die Leute auf, Sandra schreckte hoch und wurde aus den Erinnerungen zurückgeholt. Als die Trauergemeinde zum Grab ging, wurde der Schmerz unerträglich. Sie rannte laut schreiend über den Friedhof, dem Ausgang zu und sprang über Gräber und Sitzbänke hinweg. Neben dem Parkplatz setzte sie sich auf einen Felsen, weinte und schrie nur noch ihren ganzen Schmerz hinaus, und es war ihr gleich, was die Leute dachten oder wie sie sie anstarrten. Dann spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Es war Onkel Ralf.
Sie schauten einen Moment einander an, dann fragte er: „Nach Hause?" Sie nickte. Sie wollte nur noch schlafen ... Weit weg vom Rest der Welt... Nichts mehr mitbekommen ... Nur schlafen und vergessen. Irgendwie konnte sie im Kopf eine seltsame Stille hinbekommen und den Geist völlig abzuschalten. Sie spürte, wie sie einschlief, doch dann passierte etwas seltsames: Ihr wurde äußerst schwindelig, sie hörte ein äußerst lautes Pfeifen, wie von einem Zahnarztbohrer und spürte etwas am Scheitel, dann ein lautes Kracken - und schwebte plötzlich über ihrem Bett. Sie war zu Tode erschrocken und fragte sich, was passiert war - und nun geschehen würde. Aber es passierte - nichts. Sie schwebte einfach nur über dem Bett, wartete, und versuchte, dies alles zu begreifen. Dann schaute sie genauer hin: Sie fühlte sich absolut schwerelos, hatte keine Schmerzen, brauchte nicht zu atmen und hatte eine volle Rundumsicht, als hätte sie auch hinten Augen. Sie war hellblautransparent und bemerkte nun einen hauchdünnen Faden, dünn wie eine Spinnwebe, der vom Rücken zur Stirn ihres Körpers verlief. Dann entdeckte sie besondere Eigenheiten und probierte Verschiedenes aus. Plötzlich stand Oma an ihrem Bett. Sie schauten einander an und sie fragte: „Bin ich auch tot? Holst Du mich ab? Was passiert hier? Warum bist Du hier?" Oma umarmte sie und als die Seelen sich berührten, durchströmte Sandra ein Gefühl von Liebe und Frieden, wie sie es noch nie erlebt hatte. Oma sagte: „Du erlebst gerade eine außerkörperliche Erfahrung oder auch eine Astralreise. Mach Dir keine Gedanken, es ist alles in Ordnung. Du bist nicht tot, Du schläfst nur und bewegst Dich außerhalb Deines Körpers. Du wirst dann einmal Teil von etwas Besonderem und sehr glücklich werden. Denn hiermit kannst Du nicht nur mich besuchen, sondern auch zu jenen Sternen reisen, die unglaublich weit weg sind. Sehr viel weiter weg, als die Astronomen jemals ins Weltall blicken könnten. Wenn Deine Zeit zur Heimreise gekommen ist, wird es nicht wehtun, und Du wirst sehr alt werden." Sie staunte Bauklötze. Das konnte doch nicht wahr sein? Oder doch? Dann kam ein Senior hinzu und sie sagte: „Sandy, darf ich Dir Ludwig vorstellen? Das ist Dein Großvater. Ludwig, das ist Sandy, unser Enkelkind." Die beiden schauten einander an und lächelten erfreut, bevor sie sich umarmten. Er fragte: „Schön dass Du da bist. Kommst Du nun nach Hause?" „Leider nein, ich bin nur ... wie soll ich sagen ... Mal ausgeflogen."
Nach einer Pause fragte Sandy: „Ich habe nur gehört, dass Du als Soldat im Krieg gefallen sein sollst. Aber ich weiß nicht, was genau passiert ist, offiziell wirst Du aber vermisst."
Er senkte betroffen den Blick. „Ihr alle habt ein Recht darauf es zu erfahren. Bei einem Angriff wurde unser Stützpunkt von einer Fliegerbombe getroffen und ich stand fast genau darunter. Ich spürte es nicht, sondern wunderte mich das ich plötzlich wegschwebte. Da erst realisierte ich, was passiert war. Die ganze Kaserne war mit Mann und Maus ausradiert worden, nichts war übrig geblieben. Kurz zuvor waren viele Kameraden desertiert und einige hatten sich im Wald versteckt. Niemand wusste wer geflohen oder umgekommen war. Kurzerhand wurden alle Fehlenden für tot erklärt. Dann erfuhr ich, dass drei Kasernen angegriffen worden waren. Die Erste war zum Gefecht ausgerückt, als sie bombardiert wurde, in der zweiten gab es viele Tote und Verletzte, und die Dritte wurde völlig ausradiert – keine Überlebenden, alles weg mit Mann und Maus." Entsetzt schlug sie sich die Hand vor den Mund. Als sie den Schreck verdaut hatte, sagte sie betrübt: „O Gott wie schrecklich. Wenigstens hat es nicht wehgetan." Sie verdrängte den Gedanken und wollte lieber mit ihren Großeltern nun eine schöne Zeit verbringen. Sie hatte so viele Fragen an sie. Oma sagte: „Ich sagte Dir ja schon, wie Dein Leben verlaufen wird. Wir haben Deine Zukunft gesehen, Einzelheiten dürfen wir aber nicht verraten." „Oma, sag' mir ..." Dann lösten sich die Großeltern wieder auf. „Warteeet" rief sie, doch sie waren fort. Plötzlich wurde die Haustür laut geschlossen und sie spürte einen starken Zug, der sie zurückholte. Sie wurde von ihrem Körper weder eingesaugt und erwachte. Dann brauchte sie noch eine Weile, um ihre Sinne zu sortieren - und war fassungslos. Was war denn hier passiert? War sie tot gewesen? Sie wusste es nicht. Vielleicht wusste sie nun, wie es sich anfühlte, wenn man tot war? Sie hatte nur einen unglaublichen Frieden und Liebe verspürt, sie war federleicht umhergeschwebt und die Ruhe selbst gewesen. Es schien alles völlig natürlich zu sein. Dafür, dass sie vielleicht tot gewesen war, hatte sie sich sehr lebendig gefühlt, wenn auch „seltsam anders" - und es hatte gar nicht wehgetan. Als sie darüber nachdachte, schien es ihr einfach unglaublich. Hatte sie nur halluziniert? Doch es war absolut real: Sie hatte im Mauerwerk verborgene Dinge gesehen, die sie gar nicht wissen konnte. Es schien, als habe sie einen Röntgenblick, und Teile der Wand seien gar nicht vorhanden. Dies alles konnte sie nur durch den bloßen Willen klar und deutlich sehen. Doch wer sollte einem zehnjährigen Mädchen glauben? Die blöden Erwachsenen würden sie ja doch nur wieder wegschicken, mit ihrer Puppenküche spielen und es als kindliche Fantasie abtun, vielleicht würden Psychologen sie für verrückt erklären?
Nein, dieses Geheimnis durfte niemals ihre Haut verlassen! Ein paar Jahre später war sie unsterblich verliebt. Ein Junge aus der Nachbarschaft hatte es ihr angetan: Er war mit einem goldenen Löffel im Mund geboren, die Eltern hatten zu viel Geld und prassten wie verrückt. Er brauste sehr oft mit Papas Sportwagen umher, behängte sich mit teurem Schmuck und trug nur die neuesten und teuersten Modeklamotten. Selbstverständlich wusste er immer was gerade angesagt und wo was los war. Ihre beste Freundin hatte sie noch davor gewarnt bloß nicht auf diesen billigen Angeber reinzufallen, der nur durch alle Betten hüpfen konnte, sonst aber nichts in der Birne hatte. Doch es war zu spät. Er hatte sie ins Kino eingeladen, ins Schwimmbad, zu Veranstaltungen und zu Shoppingtouren, wo er sie mit neuen Modeklamotten beschenkte. Nach einer Weile lud er sie zum Filmabend ein, doch dabei blieb es nicht. Er hatte sie verführt und dabei sorgfältig auf die Verhütung geachtet. Für sie hing nun der rosarote Himmel voller Geigen, während sie Schmetterlinge im Bauch hatte: Sein ganzer Luxus, sein ausschweifendes Leben, und erst die heiße Liebesnacht – sie war einfach nur hin und weg. Doch sie begriff gar nicht, dass sie für ihn nur ein billiges Betthäschen zum Wegwerfen war. Ein paar Tage später rief sie ihn an, da er sich nicht mehr gemeldet hatte. Doch er hob nicht ab. Sie ging hin, doch er war nicht zu Hause. Also ging sie ins Straßencafé an der Ecke um bei einem Kaffee ein wenig nachzudenken. Sie traute ihren Augen nicht, als er mit einer anderen Frau an ihr vorüberging. Sie sprach ihn an und verlangte eine Erklärung – SOFORT! Die beiden schauten sie verblüfft von oben bis unten an und lachten sie schallend aus. Er sagte ihr, dass sie abgemeldet sei, und ließen sie einfach verdutzt stehen. Ein Klirren schreckte sie auf: Die volle Kaffeetasse war ihr unbemerkt aus der Hand gefallen und zerschellt. Nun war sie am Boden zerstört, das schöne Wochenende war verdorben und sie heulte sich zwei Tage lang vor Liebeskummer die Augen aus dem Kopf. Dieser Schmerz war einfach grauenvoll und absolut unerträglich. Wie konnte dieser gemeine Kerl ihr so etwas antun? Warum nur – warum? Als sie sich in den Schlaf geweint hatte, geschah es wieder: Sie spürte wieder die gleichen Symptome wie bei Omas Beerdigung, dann erneut das Kracken und schwebte über sich. Diesmal war sie etwas gefasster, musste sich aber immer noch orientieren. Sie erinnerte sich und wollte etwas Neues auszuprobieren. Konnte sie Hindernisse durchdringen, und wie sah es umgekehrt aus? Wie gut konnte sie reisen?
Sie testete Verschiedenes und staunte Bauklötze: Sie griff nach der Bettdecke, doch ihre Hand glitt einfach hindurch. Nun wollte sie ihre Faust gegen die Wand drücken, als ihr Arm in der Mauer verschwand und darin nichts zu packen bekam. Konnte sie umherschweben? Sie durchdrang die Wand und schwebte um das Haus herum. Dann schoss sie wie eine Rakete zur nächsten Ortschaft und teleportierte sich nur durch den bloßen Willen zum Bahnhof in die große Halle, als plötzlich ihr Handy klingelte. Nun wurde sie von ihrem Körper eingesaugt und erwachte. Erst nach einer Weile hatte sie alle Sinne wieder beisammen und konnte das Gespräch entgegennehmen. Ihre beste Freundin fragte nach dem werten Befinden. Nachdem sie sich den Liebeskummer von der Seele geredet hatte, bekam sie den guten Rat nicht gleich mit dem erstbesten Kerl in die Kiste zu hüpfen und stattdessen abzuwarten, wie es sich entwickeln würde, wenn die erste Verliebtheit verflogen war. Hatte der große Schwarm denn Werte? War er zuverlässig – besonders wenn es dicke kam? Was würde sie einmal bekommen? Einen intelligenten, reifen und zuverlässigen Mann - oder nur eine aufgeblasene Brötchentüte? Zum Schluss sagte sie ihr: „Du hast etwas Besseres verdient, und dieser oberflächliche und billige Angeber weiß ja nicht was für eine tolle Frau ihm da entgangen ist. Wenn er so dämlich ist und Dir einen Korb gibt, dann verdient er es auch nicht besser." Durch diesen Schaden wurde sie klug und sie suchte sich ihre Freunde nun sehr genau aus.
Der Vorgesetzte kam mit neuer Arbeit.ins Büro der beiden verpennten Polizisten, flötete laut und fröhlich: „Hallo, guten Morgen. Es gibt Arbeit, auf auf – Morgenstund hat Gold im Mund! Hier sind Ihre Aufträge, auf los geht's los!" Dann verschwand er wieder. Der eine Kollege knurrte unwillig, schnaufte, und wollte den Kopf wieder auf die Unterarme legen, um noch ein wenig vor Dienstbeginn zu dösen. Sein Kollege wurde langsam munter: „Der redet dummes Zeug. Morgenstund hat kein Gold im Mund – höchstens Blei im Hintern. Und den werden nun erst mal hochbekommen. Na komm schon, ich hole uns erst mal Kaffee", und klapste ihm auf die Schulter. Er stellte ihnen zwei Becher Automatenkaffee hin, was den fiesen Arbeitsbeginn ein wenig erleichterte. Inzwischen war er halbwegs brauchbar. „Mit Milch und Zucker, ich kenn' Dich doch." Der Kollege deutete auf ihn und antwortete immer noch leicht verpennt: „Stimmt. Und gut gestärkt ist halb gewonnen." „Okay, was gibt's?" „Zwei Fahrraddiebstähle, ein Automatenaufbruch, ein Raubüberfall auf eine Seniorin, eine Brandstiftung in einem Schreibwarenladen und ein Mord." „Okay, bei den meisten Fällen haben wir schon einige Hinweise. Nur noch nicht beim Mord und der Brandstiftung." „Vielleicht gibt es einen Zusammenhang ... zeig' doch mal." Er öffnete die Dateien und scrollte durch die Einträge. Der Ladenbesitzer Peter Kroll war zunächst mit einer Forderung über zehntausend Euro erpresst worden, die er aber nicht ernst genommen hatte. Ein weiteres Erpresserschreiben hatte er einfach ignoriert. Dann hatte ein Motorradfahrer seinen Sohn von der Schule abgeholt und zu Hause abgesetzt, geklingelt, gesagt dass sein Sohn noch bei guter Gesundheit sei und ihn an die Forderung über zehntausend Euro erinnert. Später war der Junge von Passanten verletzt in einem Gebüsch aufgefunden und ins Krankenhaus gebracht worden. Später brannte der Laden. Bisher hatte er aus Angst geschwiegen, doch nun war er in seiner Existenz bedroht und ging zur Polizei. In einem Bekennerschreiben sprachen die Täter von einem lieben Gruß und dem Hinweis, dass es für ihn gesünder sei zu zahlen, ansonsten bräuchte er einen Grabstein und dies sei die letzte Warnung. In der Datei waren der Arztbericht, der Drohbrief und das Bekennerschreiben eingescannt und abgelegt, die Schriftstücke selbst lagerten beim Beweismaterial.
Leider fanden sich keine Fingerabdrücke, das Schriftbild war von einem gängigen und weit verbreiteten Druckermodell, und auch das Papier konnte aus jedem Laden sein. Dann betrachtete er den Mord an Nicole Krausbegg. Sie hatte eine Beschreibung des Motorrades und des Fahrers abgegeben, bevor sie im See des Stadtparks tot aufgefunden worden war. Leider waren all ihre Angaben zu vage, um damit etwas anfangen zu können, und ein Verdächtiger hatte ein Alibi. Gab es brauchbare Spuren, die als Beweismaterial zur Tatwaffe passten? Er las den Obduktionsbericht und betrachtete die Fotos: eine Platzwunde am Hinterkopf mit Holzsplittern. Sie war mit einem starken Ast niedergeschlagen und dann in den See geworfen worden. Das Beweisstück war noch nicht gefunden worden. Vielleicht hatte es der Täter noch oder es war bereits vernichtet. Für den Polizisten war die Sache klar: Die Täter hatten den Jungen verprügelt, die Leute eine Zeit lang beobachtet und sie dann verfolgt. Daher wussten die Täter, wer den Jungen zum Krankenhaus gebracht hatte und wer zur Polizei gelaufen war. Dann brauchten sie nur noch den Personen zu folgen. Und nachdem der Verdächtige erfolglos kontrolliert worden war, hatte Nicole im See ein letztes Bad genommen. Er überlegte, warum die Forderung so günstig war. Er versetzte sich in die Lage des Erpressers: Was würde er an seiner Stelle tun? Dieser Betrag konnte der ersparte Notgroschen des Opfers sein. Eine Million oder eine halbe waren utopisch, so viel hatte niemand. Diese Überlegung führte ihn zu einem bestimmten Täterprofil: Der Erpresser suchte viele Opfer: wenn nicht das eine, dann eben ein anderes. Und hier konnte man wahrscheinlich etwas holen. Er machte es sich leicht oder er war zu feige millionenschwere Leute zu erpressen, die in einer ganz anderen Klasse spielten und sich ganz anders wehrten. Er war kein großer Meister, aber dennoch brandgefährlich und meinte es im wahrsten Sinne des Wortes todernst.
Die Motorradbande im Südwesten terrorisierte fast das gesamte Stadtgebiet und kaum einer traute sich zur Polizei. Da es kaum Beweise und nur wenige Zeugen gab, konnte sie nur selten zupacken, die Opfer schwiegen aus Angst und bezahlten. Denn die Verbrecher kannten haargenau die Grenze und auch die Tricks der Juristen, um gerade noch so mit einer Geldstrafe billig davonzukommen. Bisher rauften sich Polizei und Justiz die Haare und bissen sich die Zähne aus. Durch den Mord aber konnte die Polizei nun endlich zupacken.
Am Klubhaus mit den Bäumen parkten einige Chopper, deren Chrom in der Sonne blitzte. Die Stahlrösser standen ein paar Meter abseits, um Vogeldreck zu vermeiden. Eine dichte Vegetation aus hochgewachsenen Bäumen und dichtem Gestrüpp verbarg jegliche Sicht auf das Gelände, das mit einem hohen Maschendrahtzaun gesichert war. Die asphaltierte Zufahrt lief ein paar Hundert Meter schnurgerade auf das Grundstück mit dem ebenfalls asphaltierten Hof zu, sodass man Besucher schon von Weitem ausmachen konnte. Das Klubhaus war eine alte Bretterbaracke, gleich neben der schmuddeligen Toilette wurde Bier in einem alten Kühlschrank gelagert und im Raum fanden sich neben vergammelten Sofas und einem Tisch ein verkommener Billardtisch. Die Deko bildeten Motorrad- und Bierwerbung, auf dem Holzbretterboden hatten Raucher und Biertrinker ihre Abfälle hinterlassen, über den schmutzigen Fenstern und in den Ecken unter der Decke hingen dicke, verstaubte Spinnweben und die dreckige Luft war zum Schneiden. Etwas entfernt diente eine ehemalige Garage nun als Rumpelkammer, deren Tor zugemauert und mit einer Stahltür versehen worden war. Die Bande bestand aus fünf Männern: Ben, Max, Sid, Zed, und Tiger, dem Anführer. Sie alle hatten wegen unterschiedlicher Vergehen Haftstrafen verbüßt, waren auf Bewährung draußen oder gerade noch so mit einer saftigen Geldstrafe davongekommen. Tiger hatte zunächst wegen einer Ordnungswidrigkeit eine Geldstrafe zu zahlen, doch er trieb den Ärger derart auf die Spitze, dass es bei einer Gerichtsverhandlung zum Äußersten kam: Er machte sich über alle Leute lustig, bedrohte den Zeugen und provozierte die Anwälte. Der Richter wurde bedroht und persönlich angegriffen, worauf er eine Zusatzstrafe verhängt und ihn des Saales verwiesen hatte. Nach diesem starken Stück konnte man ihn einschätzen. Die Bande lachte den Gesetzgeber aus, lebte mit der erträglichen Strafe und hatte einen Großteil der Stadt in ihrer Gewalt. Ihnen konnte keiner was. Meinten sie. Nun besprachen sie die Geschäfte und die Planung bei Bier und Zigaretten. „Was haben wir zurzeit?", knurrte Tiger und schaute grimmig in die Runde. Durch Nicoles Zeugenaussage und den Mord war er leicht verärgert. Warum musste diese dusselige Kuh auch seine Pläne stören? Wenn sie sich nun die Radieschen von unten besah, war sie selbst schuld. „Der Ladenbesitzer Peter Kroll hat uns nicht für voll genommen, da haben wir seinen Teppichrocker vor der Penne abgepflückt und später vertrimmt, und weil er noch nicht geblecht hat haben wir seinen Laden abgefackelt. Dann hat er Post von uns bekommen. Ach ja, und als die Bullen uns gecheckt haben, war alles in Butter, und dann wolltest Du die Zeugin ausknipsen, das dazu. Und im Moment haben wir ein italienisches Restaurant im Schwitzkasten. Ich kann etwas Sprengstoff besorgen. Wenn der Koch nicht mit der Knete rüberrückt bekommt er einen Knallfrosch - danach braucht er einen Müllcontainer, wo er seine Bude reinwerfen kann ... Oder was nach so einem Bums übrig bleibt", sagte Zed gelassen. Tiger fuhr grimmig fort: „Als die Kontrolle fertig war, habe ich die Zeugin kaltgemacht, die macht uns keinen Ärger mehr. Sie schwimmt im See vom Stadtpark - mit dem Gesicht nach unten. Ich habe ihr mit der Keule eins übergebraten und sie zu den Fischen geworfen. Ich habe den Ast noch, es gibt keine Spuren und es waren auch keine Zeugen in der Nähe, nun macht Euch nicht ins Hemd. Wir haben also zwei Eisen im Feuer: einmal der Kroll. Wenn er jetzt nicht zahlt, landet er auch im See, da ist noch viel Platz. Ich übernehme das dann. Ja und dann ist da noch der Itaker mit seinem Luigi. Wie weit ist es?" „Nun, vor zwei Wochen haben wir unsere Forderung gestellt und gestern haben wir ihm deutlich gesagt, dass er ein schönes Restaurant besäße ... noch! Und wenn es so bleiben soll, dann solle er besser zahlen." „Okay", sagte er grimmig, „Der olle Kochlöffel bekommt noch ein paar Tage, dann legen wir eine Schippe nach." Damit spukte er die Kippe auf den Boden und trat sie aus.
Im Norden der Stadt lebten die Sandras von alledem unbehelligt. Sie waren seit Kurzem verheiratet, doch sie hatten - arbeitsbedingt - noch keine Gelegenheit gefunden die Hochzeitsnacht und auch die Flitterwochen gepflegt und in aller Ruhe zu genießen. Tim Sandra mochte seinen Kaffee, Kreuzworträtsel, spielte im Schachverein und half ihr bei der Gartenarbeit, denn auch er erfreute sich immer wieder an ihrem geliebten Garten. Sein eckiges Gesicht wurde von den zwei bis drei Zentimeter kurzen dunkelblonden Haaren umrahmt. Er hatte einen schlanken, muskulösen Körperbau und helle, eisblaue Augen. Er war Industriemechaniker – und richtig gut. Er montierte Bausätze zu kompletten Systemen. Sie wurden von ihm anhand einer Stückliste kommissioniert, die dem Arbeitsauftrag beilag. Teilweise musste er das Material zusägen, drehen, fräsen, bohren und schweißen. Er brachte Eigenschaften mit, die in keinem Lehrbuch standen. Er war bei der Vorbereitung und auch bei der eigentlichen Arbeit extrem gewissenhaft. Wenn er Seltsames bemerkte, veranlasste er sofort eine Reparatur. Alle wichtigen Angaben rund um die Zeichnungen und Lagerorte hatte er im Kopf, außerdem war er ein hervorragender Beobachter, der sofort sagen konnte, wer gerade was genommen hatte, und wo es gerade war. Durch seine vorbildliche Arbeitsweise war der Arbeitsplatz sauber wie ein OP-Besteck und man hatte alles sofort im Blick. Von hektischen Situationen ließ er sich nicht anstecken, sondern blieb mit einer unglaublichen Nervenstärke besonnen. Er arbeitete vorausschauend, gab wichtige Informationen sofort weiter, war intelligent, immer einen Schritt voraus, und immer hatte er einen „Notfallplan B" in der Schublade. Aus Erfahrung musste er auf Zack sein und immer mit der Blödheit anderer rechnen. Er bereitete den Kollegen die Arbeit so vor, dass sie leicht, zügig und effizient operieren konnten, und gab wichtige Informationen an Chefs und Kollegen sofort weiter. Er verfolgte das Ziel problemlos zu arbeiten und es allen leicht zu machen, wenn man schon sein Geld sauer verdienen musste. Außerdem konnte er die Dinge zweckentfremden und kombinieren - und dies alles machte ihn zum besten Techniker der Firma. So hatte er einmal das Elektroschweißgerät dazu benutzt um in einem Topf den Pausenkaffee für die Kollegen aufzuheizen, als die Kaffeemaschine ausgefallen war und so die Frühstückspause gerettet.
Mit seinem Improvisationstalent überraschte er immer wieder und hatte schon so manche Kuh vom Eis bekommen. Er war schon immer ein Techniker, und in der Werkstatt war er zwischen den Maschinen glücklich in seinem Element. Sandy Sandra mochte Brett - und Kartenspiele aller Art, Gartenarbeit, war gerne im Schwimmbad, spielte in einem Volleyballverein, war mit dem Rad unterwegs oder hörte im Radio die Stadtantenne mit ihren Hörspielen - ein lokaler Radiosender, dessen Sendeleistung bis zur Stadtgrenze reichte. Sie arbeitete im örtlichen Krankenhaus im Lager, wo sie medizinische Artikel und Medikamente kommissionierte. Außerdem setzte sie die Rezepturen für die Ärzte an. Dies alles wurde zusammen mit Röntgenbildern, Arztberichten, Gewebeproben und sonstiger Hauspost auf die einzelnen Krankenstationen gebracht, wo sie auch abgehende Hauspost abtransportierte. Manchmal fühlte sie sich wie ein Packesel, da es aber für die Gesundheit der Menschen war, beklagte sie sich nie. Hier konnten Fehler äußerst gefährliche Folgen für den Patienten haben und deswegen passte sie auf wie ein Schießhund, was sie aus der Hand gab, und auch auf der Station wurde die eingehende Lieferung jedes Mal sorgfältig gegenkontrolliert. Aus reiner Neugier befasste sie sich mit Schlafmitteln aller Art: Zusammensetzung, Wirkstoffe, Reaktion des Organismus, Gefahren, Nebenwirkungen, die Stärke und auch wie die unterschiedliche Dosierung der Wirkstoffe die Stärke beeinflussten. Sie konnte mit ihrem Fachwissen eine umfangreiche Klassenarbeit schreiben, aber sie musste es jedoch niemals anwenden. Sie hatte nicht den leisesten Hauch einer Ahnung, dass sie ihren erweiterten Horizont schon sehr bald dringend brauchen würde. Ihre schulterlangen Haare waren eine orange-blonde voluminöse Zottelmähne. Sie hatte einen schlanken Hals, normale Brüste, einen flachen Bauch, schlanke Hüften, etwas längere Beine, einen knackigen Po, smaragdgrüne Augen und durch ihre Muskeln wirkte sie sehr sportlich. Genau wie er bevorzugte auch sie eine legere aber ordentliche Lebensweise mit Kapuzenpulli, Jeans und Turnschuhen: Die Unordnung hielt sich in überschaubaren Grenzen, wichtige Sachen hatten ihren festen Platz und anstehende Aufgaben wurden sofort erledigt, außerdem mochten sie die klassische Rock - und Discomusik aus den Siebzigern. Sie hatte den richtigen Mann gesucht: Die Chemie musste stimmen, er sollte intelligent sein, Verantwortung übernehmen können und gut aussehen – genau wie sie selbst. Dann hatten sie eine Zeit lang zur Miete gewohnt, bevor sie sich mit dem Aktienhandel befassten.
Als sie dann theoretisch alles wussten, begannen sie sehr vorsichtig mit ersten kleinen Gehversuchen. Inzwischen hatten sie mit guten Strategien ein Vermögen erwirtschaftet und sich zur Hochzeit ein Haus gekauft. Er gebrauchte sogleich seinen klugen Verstand, um mit ihr gemeinsam eine hervorragende Renovierung zu planen, worin sie sich spätere Änderungen offenhielten und alles zu Ende durchdachten. Selbst nach der Renovierung blieb Geld übrig und alle Rechnungen waren bezahlt. Im Wohnzimmer herrschte nun eine Diskussion über die Gartenarbeit und die Wagenpflege, verursacht durch einen Anfall akuter Faulenzia, gepaart mit Vergnügungssucht. Die fröhliche und beliebte Argumentation verschärfte sich zunächst, und nun saßen sie in der Essecke des Wohnzimmers einander gegenüber. Ihre Augen blitzten aggressiv und listig, während die Sonne durch das Fenster auf den Tisch fiel. Er reflektierte die Sonne zu seltsamen Lichtspielen an der Wand gegenüber, wo das Bild eines Weißkopfadlers hing, der den Grand Canyon durchflog. Die Schattenspiele verliehen dem Gefieder ein eigenartiges Bild und ließen das Tier vor der Landschaft geheimnisvoll erscheinen - ein stummer Zuschauer in einer Situation worin niemand nachgab. Er hatte die Finger an die Schläfen gelegt, den Kopf auf die Ellenbogen gestützt und zog die Stirn kraus. Sie rieb sich das Kinn und kaute an der Unterlippe. Und so mündete ihre Diskussion in eine alles entscheidente Schachpartie, deren Verlierer den Rasen mähen musste, während der Sieger das Auto waschen und betanken durfte. Ihr urgemütliches Wohnzimmer war nun eine Kampfarena, und die Siegertreppe war zu klein für zwei. Die beiden Sofas und der Sessel waren mit blauem Stoff bezogen, und der niedrige Tisch als auch die Regale und Schränke waren aus hellem Kiefernholz. Ein paar Läufer mit lustigen Mustern lagen auf dem PVC - Boden, für den sie sich entschieden hatten, da man immer etwas verschütten konnte. Schach war der König der Brettspiele und wirkte zunächst sehr schwierig, doch bei genauerer Betrachtung war es einfacher, als es zunächst aussah. Zweiunddreißig Steine auf vierundsechzig Feldern verwirrten einen zunächst, doch waren es nur sechs verschiedene mehrfach vorhanden Figuren. Hatte man erst einmal die Grundregeln begriffen, so kam alles Weitere von selbst. Bei diesem strategischen Brettspiel wurde der Gegner nur durch Geisteskraft bezwungen. Es war der ideale Kopftrainer und ein guter Denksport für die geistige Fitness. Sie gewann und tröstete ihn: „Die nächste Partie gewinnst Du."
Anstatt sich zu ärgern, zeigte er sportliche Größe: „Gratuliere zum Sieg, gut gemacht - aber ich nehme Dich beim Wort: Zieh Dich warm an, ich werde Dich vom Brett fegen.", schaute grimmig und deutete auf sie. Sie schmunzelte, ging hinüber und nahm ihn in den Arm: „Du bist mutig." Er antwortete: „Und Du bist und bleibst eine unwiderstehliche Kampfkatze." Sie fauchte, dann küssten sie sich und lagen eng umschlungen auf dem Sofa und kuschelten gemütlich vor sich hin. Sie schwelgte in Erinnerungen, als die Sonne auf ihr Gesicht fiel, ihre Haare glänzten und ihre Augen in der Sonne leuchteten. Dann erinnerte sie sich daran, wie sie sich kennengelernt hatten: Sie saß bei einer Limonade im Gartenrestaurant des Parks, rauchte und beobachtete das bunte Treiben der Leute ringsum: Es wurde Frisbee geworfen, Fußball gespielt oder Pärchen lagen auf den Decken beim Picknick und teilweise spielten Radios. Sie war oft hier und hoffte einen netten Mann zu finden, der sich hier im Park ebenso wohlfühlte wie sie selbst. Aber die meisten Männer waren einfach nur dekorierte Sportler, hatten ein dickes Auto oder waren notgeil und hirnlos. Als ordentlicher Mensch hatte sie die prähistorischen Beschimpfungen nicht nötig und war einfach weggegangen, anstatt sich zu ärgern. Dann aber war sie seiner höflichen Einladung zu einer Schachpartie gefolgt, obwohl sie nicht besonders gut war. Er hatte es offensichtlich gerade auf sie abgesehen, obwohl genug andere Leute im Restaurant saßen, mit denen er jederzeit hätte spielen können. Dies war sein Partnertest für sie, und so machte er sich Liebeshoffnungen, da er solche Leute für intelligenter hielt. Und weil er es genau wissen wollte, war sie zu seinem Blickfang geworden. Sie konnte sich so genau daran erinnern, als sei es gerade eben passiert. Beim nächsten Date hatte er einen gemeinsamen Eisbecher spendiert. Ihre neue Anstellung im Krankenhaus hatte zu einer Raucherentwöhnung, gesunder und absolut alkoholfreier Ernährung und zur Freude an Sport und Bewegung geführt.
Leider hatte sie in ihren Kindertagen den Alkoholismus der Erwachsenen miterlebt, sodass sie beschloss, eine absolute Antialkoholikerin zu werden.
Sie wusste nicht, wie so was schmeckte oder wie sich ein Rausch anfühlte. Dafür erfreute sie sich allerbester Gesundheit und war stärker als ein ganzes Bierzelt – denn sie konnte NEIN sagen. Stattdessen übernahm sie Verantwortung, rief ein Taxi und nahm dem Betrunkenen den Autoschlüssel ab. Mit Tims Hilfe hatten sie den gemeinsamen Lebenswandel hinbekommen, er war lieb im Tonfall aber äußerst konsequent in der Sache, auch wenn sie litten wie die Hunde.
Bis zur Entwöhnung hatte sie etwa ein halbes Jahr lang täglich zwei Schachteln geraucht. Spaßeshalber berechnete sie einmal das eingeäscherte Zigarettengeld: Hier war ein schöner Garten oder ein gebrauchter Kleinwagen in Rauch aufgegangen. Und für diesen teuren und ungesunden Mist hatte sie auch noch gearbeitet! Vor Ärger raufte sie sich die Haare und hätte fast in die Tischplatte gebissen. Seitdem mochte sie Brett- und Kartenspiele, und trainierte ihr Gedächtnis, indem sie alles Schriftliche auswendig lernte. Dafür war sie wirklich dankbar, genau wie für seine Haltung und oft hatte er richtig intelligente Ideen. Nein, so einen tollen Mann würde sie nie wieder hergeben. Er konnte sie mit den richtigen Dingen beeindrucken, die Chemie stimmte einfach und sie liebten einander für ihre Art. Ein gesetztes Ziel wurde konsequent und hartnäckig verfolgt, und sie bewunderte seine unendliche Geduld, mit der er sie immer wieder in die richtige Richtung lenkte, oder wenn er ihr etwas erklärte. Sie beeindruckte ihn durch die Art, wie sie ihren Verstand gebrauchte. Er dachte bewusst daran, was für eine tolle Frau er da geheiratet hatte. Sie hatten eine Ehe, wie sie sich jeder wünschte, aber kaum einer hatte. Sie gaben einander das, was sie wollten, das was sie brauchten und gingen ebenso liebevoll wie verantwortlich miteinander um, was manchmal auch schmerzhaft wurde, wenn man beispielsweise zum Zahnarzt sollte. Er sagte: „Das war besser als ein Streit." Sie überlegte einen Moment: „Eine sportliche und intelligente Lösung. Du wolltest doch eine Frau mit Grütze unter der Mütze, oder? Das hast Du nun davon. Da bist Du selber Schuld." Sie lachten. „Ich habe eine kluge Frau gesucht und einen Diamanten gefunden - Du benutzt Deinen Kopf zum Denken und nicht nur zum Haareschneiden. Abgemacht ist abgemacht, Du hast gewonnen. Ich mähe dann mal den Rasen und Du betankst und wäschst das Auto." „Ciaowauwi!", lächelte sie fröhlich, löste sich aus der Kuschelei, schnappte sich Schlüssel und Brieftasche und brauste los. Das Grundstück war groß: Im Hof konnten vier Autos parken und in der Garage ein weiteres, der Garten hatte hinter dem Haus eine zweite Terrasse und in der einen Ecke war der Geräteschuppen, so groß wie eine halbe Garage. Dort hatte er sich neben den Gartengeräten eine kleine Hauswerkstatt eingerichtet. Das Haus war in der Mitte des Grundstücks, auf der Westseite war der Hof mit der Garage im nördlichen Ende und der Einfahrt an der Südwestecke, der Garten umfasste den Norden und Osten des Grundstücks.
In der Mitte der Ostseite führten ein paar Stufen zur vorderen Terrasse an der Südseite hinauf, die sich über den Osten und Süden bis zur nordwestlichen Hausecke erstreckte. An der Terrasse bildeten ein paar pflegeleichte halbhohe Büsche einen Sichtschutz, während der Vorgarten mit Zier - und Obststräuchern bepflanzt war. Der restliche Garten bestand aus Rasen, ein paar pflegeleichten Büschen, und neben dem Schuppen war der Komposthaufen. Im Hof führte eine Treppe zur Haustür, dann gab es eine Terrassentür auf der Südseite und im Norden konnte man durch eine Kellertür durch den Waschraum ins Haus. Das Telefon klingelte, es war Marco aus dem Schachverein. Er wollte sich ein Sommermotorrad mieten und suchte noch nach einem Stellplatz, da er einen Diebstahl oder Parkrempler fürchtete. Also fragte er Tim, ob er die Maschine im Hof parken könne, da er hier einen sicheren Parkplatz sah. Tim erlaubte es, aber er bestand auf soliden Felgenschlössern. Dann wurde die Maschine massiv gesichert und Tim bekam noch eine Regenhaube, bevor Marco sich bedankte und zum Stadtbus lief. Er hatte den Rasen gemäht und rechte gerade das Gras zusammen, als sie zurückkehrte. Sie war vom Motorrad überrascht und erfuhr, was es damit auf sich hatte. Dann gab sie ihm ein kleines Trostpflaster: „Du hast tapfer gekämpft und wie ein guter Sportler verloren, das ist Größe. Ich habe etwas für Dich, die Tageszeitung mit der Rätselecke zum Knobeln.", lächelte sie und legte ihm die Zeitung auf den Gartentisch, bevor sie in die Küche ging um für den Nachmittagskaffee zu decken. Als sie ihn rief, sah er zu ihr hinüber und fragte: „Was gibt's denn Gutes?" „Käsekuchen mit Streuseln." „Hört sich gut an", lächelte er, lehnte den Laubrechen an die Hauswand und trabte zu seiner Frau auf die Terrasse. Nun saßen sie auf der Terrasse bei Kaffee und Kuchen und genossen das lauwarme Frühlingswetter. Eine Hummel brummte heran, umschwirrte sie zweimal und flog zum Nachbarn, wo sie sich für die Blumen interessierte. Sie beobachtete sie und fragte sich, was sie wohl alles so erlebte und wo sie wohl herumschwirren mochte? Der Wind rauschte durch die Bäume des Nachbarn und wehte ein paar Blätter über die hellen Kacheln in die Blumenbeete und ins Gras. Am Himmel kreisten ein paar Segelflieger, die in der Thermik rasch an Höhe gewannen und lautlos durch die Lüfte glitten. Er schaute hinauf und wurde etwas neidisch. Doch dann freute er sich mit ihnen und fragte sich, wie die Landschaft aus dieser Höhe wohl aussehen mochte. Sie genossen die Stille in ihrer Kleinstadt.
Da er gerade eben keine Lust auf Kreuzworträtsel hatte und lieber den Segelfliegern zuschauen wollte, las sie die Tageszeitung. Sie überflog aus reiner Neugierde den Anzeigenteil: Rollschuhe günstig abzugeben ... suche Hundepfleger für das Wochenende ... Horoskope und Kartenlegen ... Es war unglaublich was alles angeboten oder gesucht wurde. Doch dann ließ eine Anzeige ihr das Blut in den Adern gefrieren: „Wer hat Nahtoderlebnisse oder außerkörperliche Erfahrungen und kann weiterhelfen? Chiffre Nr..." Sie ließ die Zeitung sinken. Da war es wieder. Ein deja-vu. So etwas hatte sie bereits zweimal erlebt, dann aber verdrängt und wieder vergessen. Nun aber kamen jene Erinnerungen zurück, als sie ihren Körper verlassen hatte und als Geist umhergeschwebt war. Bisher dachte sie mit diesen Erfahrungen allein zu sein. Doch nun ahnte sie, dass es weitere Menschen mit ähnlichen Erfahrungen geben musste. Sie spürte deutlich, wie sich ihre Nackenhaare einzeln aufstellten und sie an den Armen eine Gänsehaut bekam, bevor das Kribbeln einer Gänsehautwelle durch ihren ganzen Körper flutete – dann schüttelte sie sich „Brrr". Sie nahm einen großen Bissen vom Käsekuchen und spülte ihn mit einer halben Tasse Kaffee hinunter, bevor sie erst mal kräftig durchatmete. „Ist alles okay?", fragte er besorgt. „Ich muss erst mal einen Schock verdauen. Ein Erlebnis aus meinen Kindertagen, was ich verdrängt hatte ... Nun kommen die Geister der Vergangenheit zurück, wir sprechen später darüber... ich ... ich... ich werde mich erst mal ablenken und den Garten fertigmachen. Lass' mich einfach nur zur Ruhe kommen, es geht schon", sagte sie schwer atmend, kratzte sich die Gänsehaut von den Unterarmen und raufte sich die Haare. Er runzelte die Stirn und spürte deutlich, dass mit ihr etwas nicht stimmte, hielt es aber für besser sie ganz in Ruhe zu lassen – es würde sich wieder einrenken. Dann nahm er sich das Schachrätsel vor und sah hin und wieder zu ihr hinüber. Sie holte aus dem Geräteschuppen die Wurzelbürste, zog das Kabel ab, legte den Rasenmäher um und begann ihn von unten zu säubern. Er wunderte sich, weil sie plötzlich seine Aufgabe übernahm. Was war in sie gefahren? Sie wickelte das Kabel auf, verstaute den Mäher, die Kabeltrommel und die Bürste wieder im Schuppen, bevor sie die Biotonne in die Mitte des Gartens stellte und das Gras einfüllte. Als sie am Ende die verklumpten Grasreste in die Biotonne warf, atmete sie tief durch und sagte sich immer wieder: „Ich bin ganz ruhig, es ist alles okay." Dann wusch sie sich die Hände, holte saubere Kleidung und ging in die Dusche. Er fragte durch die Tür: „Ist alles okay oder brauchst Du etwas?"
„Brüh mir einen Früchtetee, dann können wir reden." Das war bitternötig, denn irgendetwas stimmte ganz und gar nicht, und mit einer Mischung aus Neugier und Sorge ging er in die Küche.
Als sie sich kennenlernten, hatte es sofort gefunkt. Sie spürten, dass zwischen ihnen die Chemie stimmte. Nachdem die erste Verliebtheit verflogen war, tauchten Meinungsverschiedenheiten und Probleme auf. Doch sie verarbeiteten ihre Beziehungsprobleme wie ein gutes Team, das zusammenhält. Sie sahen darin keine Unart, sondern eine Aufgabe für beide. Und die wurde mit Liebe, Kooperation und Wohlwollen gelöst – und mit endloser Geduld, denn sie wussten genau, was sie aneinander hatten. Schließlich hatten sie sich aneinander abgerieben. Manches hatten sie einander abgewöhnt und mit Eigenarten konnten sie umgehen. Es war eine Liebesbeziehung und eine Ehe geworden, wie sie besser kaum sein konnte. Sie war seine „super Sandy" und er war ihr „toller Tim". Doch was war das Geheimnis ihrer glücklichen Ehe? Vom Start weg hatten sie abgemacht auch über die winzigsten Kleinigkeiten zu sprechen was einen betrübte, bewegte oder erfreute, wo man Hilfe brauchte oder was einen erzürnte. Der Partner war ein Freund und das Problem der gemeinsame Gegner. Regelmäßig hielten sie ihren Eheabend wo alles besprochen wurde, und sicher waren sie glücklich, weil sie ihre Ehe bewusst führten. Zum Glück hatten sie aus ihrem Ehekrach gelernt, was nicht selbstverständlich war. Ihr Teamplay machte sie absolut unschlagbar und genau das half ihnen oft aus der Tinte. Durch das Schachspiel hatten sie sich das strategische Denken angewöhnt, waren anderen Leuten oft einen Schritt voraus und wussten zu überraschen. Er erinnerte sich, wie sie sich einander vorgestellt hatten. Er hatte gesagt: „Ich bin Tim Sandra." Sie hatte ihn verblüfft angesehen und gefragt: „Woher wissen Sie meinen Vornamen?" „Was?" Sie sagte: „Ich heiße Sandra, das können Sie unmöglich wissen." Pause. Da dämmerte es ihm: „Das ist mein Nachname: Sandra, Komma, Tim." „Und ich heiße Sandra Besenstein - o man!" Sie schlug sich vor die Stirn und er lachte. Es steckte an: „Ich habe zwischen Vor- und Zunamen ein Komma mit Anrede vermutet", lachte sie. Es war kurios, nach der Hochzeit behielt er seinen Namen, doch sie hieß fortan Sandra Sandra. Das fanden sie richtig originell und wollten nichts ändern. Um Vor- und Zunamen zu unterscheiden einigten sie sich auf „Sandy Sandra". Sie setzten sich aufs Sofa.
Er war neugierig und lehnte sich zurück, um aufmerksam zuzuhören, während sie wieder tief durchatmen musste, bevor sie eine ganze Tasse hinunterstürzte. Dann spürte sie, wie die fast schon unerträglich heiße Flüssigkeit die Speiseröhre hinunterlief und sich im Magen ausbreitete. Sie schenkte nach und machte eine Pause. Dann zeigte sie ihm die Anzeige und sagte: „Ich habe so etwas schon zweimal erlebt." Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Bisher habe ich dies alles verschwiegen, weil ... Na ja ..." Sie schaute verlegen unter sich und errötete. „Weil es einfach zu unglaublich ist. Ich habe Angst, mich damit lächerlich zu machen. Und auch Dir habe ich es verschwiegen, einfach aus Angst vor Deiner möglichen Reaktion." Er schaute in ihr gerötetes und verlegenes Gesicht. Sie hatten ineinander die große Liebe gefunden, doch wenn sie ihm etwas Derartiges verschwieg, musste es wirklich zu ernst sein, um sich ihm anzuvertrauen. Doch wie würde er reagieren? „Das ist doch Unsinn, rede kein Blech. Oder ... Hast Du halluziniert - Tinte geraucht oder Kamelmist gesoffen, oder irgendsowas? Nein anders herum, ach ich bin schon ganz wuschig.", flachste er, und wollte sie aufziehen. Machte er sich etwa lustig? Nahm er sie nicht ernst? Dann krampfte sich ihr Herz zusammen. Sie begann zu weinen, sprang auf, lief ins Schlafzimmer und warf die Tür zu. Funkstille. Er hörte sie weinen, wusste, dass er zu weit gegangen war und begriff, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. Wenn sie derart empfindlich reagierte, musste er ihren Lebensnerv ins Herz getroffen und ihr richtig übel wehgetan haben. Ein dummer Bauer hätte ebenso gut das Heiligtum des Königs entweihen können. Ach du dickes Ei! Er saß auf dem Sofa und raufte sich die Haare. O Gott, das sollte ein Ulk sein, das hatte er doch nicht gewollt! Dies alles schien ihr sehr viel zu bedeuten - und er hatte es ins Lächerliche gezogen. Fassungslos schüttelte er den Kopf und warf die Arme in die Luft. Er musste sich entschuldigen und nahm sich vor seine über alles geliebte Frau ernst zu nehmen, denn so wie sie reagierte, musste was dran sein - aber richtig viel. Er seufzte und atmete erst mal tief durch. Vorsichtig kam er ins Schlafzimmer, schaute wie ein begossener Pudel und reichte ihr ein Papiertaschentuch. Lange schaute er sie demütig mit seinem treudoofen Hundeblick an, dann sagte er: „Bitte verzeih' mir, es tut mir leid - ehrlich. Es scheint Dir sehr wichtig zu sein und sehr viel zu bedeuten. Ich hatte ja keine Ahnung." Sie putzte sich laut die Nase und rief: „Woher auch? Du dämliches Trampeltier." Nun kehrte erst mal Stille ein und sie beruhigten sich beide. Dann überdachte er sein Auftreten.
„Du hast etwas Unglaubliches erlebt und ich sollte Dich ernstnehmen. Das war richtig unverschämt von mir - man lacht niemanden aus, wenn er etwas Unglaubliches erzählt. Das gebietet der Anstand und der Respekt." Betreten schaute er zu Boden. „Ich habe viele Fragen, aber so was mache ich nicht mehr, versprochen." „Ganz bestimmt?" „Ganz bestimmt, großes Ehrenwort." Er nahm sie in den Arm und nach einer Weile war es wieder gut. Sie kehrten ins Wohnzimmer zurück, wo der gute Früchtetee auf sie wartete. Nach einer Pause berichtete sie: „Ich hatte zweimal außerkörperliche Erfahrungen und weiß, wie es sich anfühlt, wenn man tot ist. Dabei bin ich aber nicht gestorben, auch wenn es zunächst so schien. Ich bin wie ein Geist umhergeschwebt, konnte durch Hindernisse jeglicher Art einfach hindurchschweben, mich an jeden beliebigen Ort und Zeitpunkt teleportieren oder schnell wie eine Rakete umherfliegen. Und dies alles nur durch Willenskraft. Ich brauchte nicht essen, trinken oder atmen und ich war absolut schwerelos. Ich bewegte mich durch die bloße Kraft meiner Gedanken, die mich wie eine Flaumfeder im Wind zum gewünschten Ort trieben." Fassungslos schlug er sich die Hände vor den Mund, schwieg und starrte sie mit großen Augen an. Die angespannte Stille war fast schon unerträglich. Dann schlug er voller Entsetzen die Hände vors Gesicht und atmete schwer. Endlich hatte er die Sprache wiedergefunden: „Um Gottes willen ... Nein ... Das ... das ist ... das ist ja entsetzlich ... Du ... Du warst - tot?" Sie schaute ihn liebevoll an, nahm seine Hand in ihre Hände und sagte ganz sanft: „Tim – es war nicht einmal halb so schlimm wie die meisten Leute meinen. Ich habe es erlebt und weiß nun, dass ich nicht das Geringste fürchten muss." „Aber ..." Begann er und die nackte Angst stand in seinen Augen. „Das muss doch scheußlich sein, zu sterben ... Und was kommt dann?" Er schaute sie fragend und entsetzt an. Was hatte sie erlebt? Irrte sie sich auch nicht? Was war da dran? Soviele Fragen. Sie hielt immer noch seine Hand und sah seine Angst. Obwohl sie sein Entsetzen fühlte, schaute sie ihn immer noch liebevoll und sanft an. Dann sagte sie: „Weißt Du, ich habe die Eindrücke lange auf mich wirken lassen. Es ist eigentlich ein ganz natürlicher Vorgang – wie die Atmung, der Blutkreislauf oder die Verdauung. Wir wurden geboren, wir leben – und wir werden einmal sterben. Das alles gehört zusammen, wie der Fisch zum Wasser oder der Regen zur Wolke. Ich habe mich auch lange damit befasst und habe absolut keine Angst mehr. Es ist für mich persönlich so normal geworden, wie der Kaffee zum Frühstück.
Da ist aber noch etwas anderes, eine andere Frage, die mich bewegt. Nämlich die Frage, was Angst eigentlich ist. Hier ist es die Angst vor dem Unbekannten, nun gut, aber sonst? Wie ist es bei Dir?" Er schwieg und überlegte einen Moment. Da bemerkte er, wie die Unterarme kribbelten, doch die Frage lenkte ihn ab und das Kribbeln verschwand wieder. „Eine interessante Frage - was ist Angst? Bei mir war es in der ersten Fahrstunde. Ein Fahrrad kontrollierst Du mit der Muskelkraft und der Gewichtsverlagerung - aber ein Auto? Ich bin den Anweisungen des Fahrlehrers gefolgt - ja und plötzlich rollt die Karre los. O man ... Ich bin erschrocken, ich konnte mit der neuen Situation nicht umgehen, habe wie verrückt gebremst und den Motor in der ersten Panik abgewürgt. Also übten wir erst mal das Anfahren, Auskuppeln und Bremsen solange, bis ich das Auto angstfrei bewegen konnte. Das größte Hindernis war meine innere Umstellung - ich lernte große Motorkräfte mit kleinem Kraftaufwand zu kontrollieren. Heute denke ich gar nicht mehr drüber nach, welche Massen da bewegt werden und welche Kräfte da wirken - ich fahre einfach. Und meine Ängste habe ich dadurch überwunden, dass ich mich ihnen immer wieder gestellt habe, ja und dann habe ich mich nicht auf die Autobahn getraut. Das war aber Pflichtprogramm und wir sind erst mal relativ langsam gefahren. Dann immer schneller, aber immer nur so schnell, wie ich es mir auch zutraute. Und was soll ich sagen? Ich war am Ende derart selbstsicher, dass die praktische Fahrprüfung nur ein harmloser Spaß war - völlig ohne Angst." „Na siehst Du ... Alles halb so wild, oder? Und je mehr man sich mit den Dingen befasst, desto selbstsicherer wird man, nicht wahr? Angenommen, Du willst mit Propangas kochen, aber Du hast Angst vor einer Gasexplosion. Was tust Du? Du lernst erst mal alles über Propan und wenn Du weißt, wie man damit umgeht, kommt die Praxis. Und am Ende wird jeder die Gasflasche bei Dir in besten Händen wissen." Er schaute zur Decke, kaute an der Unterlippe, rieb sich das Kinn und überlegte. Dann griff er den Faden auf und sponn ihn weiter: „Es ist die Angst vor dem Kontrollverlust und davor, hilflos dazustehen. Aber die Angst schwindet, wenn man sich damit befasst." Sie lächelte „Ja, und hier ist es genau das Gleiche - die Angst etwas Unbekanntes nicht mehr kontrollieren zu können. Und erst später merkst Du, dass alles vollkommen natürlich ist. Okay, zugegeben, das Sterben kann ganz scheußlich grauenvoll wehtun. Aber das geht vorüber und wenn Du wegschwebst ist es ausgestanden." „Puuhh ..." Er musste erst mal tief durchatmen. Jetzt brauchte er doch einen Tee.
Dies alles war echt starker Tobak, und damit hatte er nicht gerechnet, doch nach einer Weile konnte er sich diesem makaberen Thema stellen und hatte viele Fragen. Er nahm die Teetasse, stand auf, ging damit langsam im Wohnzimmer umher und überlegte, während er sich mit der anderen Hand das Kinn rieb: „Okay, Du bist also umhergeschwebt, aber was hast Du sonst noch erlebt? Hast Du Gott getroffen, oder irgend so etwas?" Sie sagte langsam und sehr bewegt: „Dies alles zu berichten würde hier zu weit führen, aber so viel: Ich habe meine Großeltern getroffen und meinen Opa habe ich endlich mal kennengelernt. Sie sagten, sie hätten meine Zukunft gesehen und dürften darüber nicht reden. Sie sagten nur, dass ich einmal sehr glücklich leben und Teil von etwas Besonderem werden würde. Ich würde sehr alt werden und am Ende schmerzlos sterben." Er dachte an die Abendnachrichten mit den vielen Toten, die weniger Glück hatten. „Sandy, Du bist ein echter Glückspilz. So etwas bekommt nicht jeder. Das ist eine Gnade Gottes." Sie schaute unter sich und antwortete demütig: „Ja, das ist nur allzu wahr und dafür bin ich auch wirklich dankbar." „Da uns dieses Thema brennend interessiert, schlage ich vor, dass wir der Anzeige folgen. Wenn Du dort alles berichtest, musst Du es mir jetzt nicht erzählen." Am nächsten Tag riefen sie an und verabredeten sich.
Als sie klingelten, öffnete eine junge Frau und begrüßte sie höflich: „Ja bitte?" Sie hatte ihre rotbraunen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und trug einen schwarzen Bikini. Tim lächelte und begann ein wenig unsicher: „Wir haben wegen Ihrer Anzeige telefoniert, dies alles interessiert uns sehr ... nunja ... Sicher können wir uns austauschen, Frau ... ähh..", und lächelte verlegen. Sie lächelte wohlwollend, gab ihnen die Hand und sagte: „Ronek - Tanja Ronek." „Tim Sandra, und das ist meine Frau Sandy". Sie gab ihr die Hand und tauschte ein Lächeln aus, dann bat Tanja sie mit einer Handgeste ins Wohnzimmer, entschuldigte sich kurz und ging in die Küche. Sie waren als einzige der Anzeige gefolgt und schauten sich im Wohnzimmer um. An den Wänden waren Regale mit allerlei unsortierter Literatur, zwei Sessel und ein Dreisitzersofa mit dunklem Stoffbezug, gegenüber der Fernseher mit einem alten Videorekorder. Auf dem alten, dunklen Holztisch mit seinen hellen Kacheln lagen die Fernbedienungen und die aktuelle Fernsehzeitung. Es lief gerade die Dauerwerbesendung eines Heimtrainers. „Ich habe uns extra Kaffee gekocht, einen Moment bitte", rief sie aus der Küche, kam gleich mit einem Tablett zurück und schaltete den Fernseher aus. Sie schenkte Kaffee ein, stellte das Milchkännchen und die Zuckerdose dazu und lächelte: „Bei einem guten Kaffee plaudert es sich entspannter.", und machte eine Pause. Nachdem sie Milch und Zucker verrührt hatte, nahm sie einen kleinen Schluck, hielt die Tasse vor dem Mund und begann: „Ich habe so etwas auch schon einmal erlebt und nun suche ich Leute, mit denen ich darüber sprechen kann - die mich ernst nehmen und so etwas auch kennen und auch wissen wie es sich anfühlt." Sie schauten sie an, warteten gespannt und hörten aufmerksam zu. Tanja schaute durch das Blumenfenster in den Garten, doch ihr Blick sagte, dass sie in Gedanken unendlich weit weg war - sie schwelgte in Erinnerungen an einen anderen Zustand. Draußen auf der Straße knatterte ein Moped vorüber und holte sie zurück. „Ich war im Krankenhaus zu einer OP und lag unter Vollnarkose auf dem Tisch. Plötzlich hatte ich meinen Körper verlassen und schwebte frei im Raum. Ich konnte den ganzen Raum, sämtliche Handlungen und alle Dialoge deutlich wahrnehmen, obwohl meine Augen zugeklebt waren und ich Stöpsel in den Ohren hatte.