Die Augen des ewigen Bruders - Stefan Zweig - E-Book

Die Augen des ewigen Bruders E-Book

Zweig Stefan

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Beschreibung

Stefan Zweigs 'Die Augen des ewigen Bruders' ist ein faszinierender Roman, der Geschichten von Leidenschaft, Schuld und Vergebung miteinander verwebt. Zweig's literarischer Stil ist geprägt von einer tiefen Sensibilität für die menschliche Psyche und den Einfluss von Emotionen auf unser Handeln. Das Buch spielt in einer Zeit des sozialen Umbruchs und bringt die inneren Konflikte der Charaktere auf eindringliche Weise zum Ausdruck. Durch die kunstvolle Darstellung von Charakteren und Handlungslinien gelingt es Zweig, den Leser in eine Welt voller emotionalem Drama und moralischer Komplexität einzuführen. Der Roman zeichnet sich durch seine nuancierte Darstellung psychologischer Prozesse und die raffinierte Verwendung von Symbolen aus. Stefan Zweig, ein renommierter österreichischer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, wurde von persönlichen Erlebnissen und historischen Ereignissen inspiriert, um 'Die Augen des ewigen Bruders' zu schreiben. Als erfahrener Beobachter der menschlichen Natur nutzte Zweig sein literarisches Talent, um die Schattenseiten der menschlichen Existenz aufzudecken und zu erforschen. Seine Werke sind bekannt für ihre tiefgreifende Introspektion und ihre eindringliche Darstellung von Figuren in moralischen Konflikten. Empfohlen für Leser, die sich für psychologisch komplexe Romane und literarische Meisterwerke interessieren, die das emotionale Innenleben der Charaktere erforschen.

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Stefan Zweig

Die Augen des ewigen Bruders

Inspiriert von den heiligen indischen Texten der Bhagavad-Gita erzählt Stefan Zweig von der Erleuchtung Viratas

Books

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2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1682-6

Inhaltsverzeichnis

Cover
Titelblatt
Text

Die Augen des ewigen Bruders

Nicht durch Vermeidung jeder Tat wird wahrhaft man vom Tun befreit,

Nie kann man frei von allem Tun auch einen Augenblick nur sein.

BHAGAVAD-GITA, 3. GESANG

Was ist denn Tat? was ist Nichttun? – Das ist’s, was Weise selbst verwirrt.

Denn achten muß man auf die Tat, achten auf unerlaubtes Tun.

Muß achten auf das Nichttun auch – der Tat Wesen ist abgrundtief.

BHAGAVAD-GITA, 4. GESANG

Dieses ist die Geschichte Viratas,

den sein Volk rühmte mit den vier Namen der Tugend, von dem aber nicht geschrieben ist in den Chroniken der Herrscher noch in den Büchern der Weisen und dessen Andenken die Menschen vergaßen.

In den Jahren, ehe noch der erhabene Buddha auf Erden weilte und die Erleuchtung der Erkenntnis eingoß in seine Diener, lebte im Land der Birwagher bei einem König Rajputas ein Edler, Virata, den sie den Blitz des Schwertes nannten, weil er ein Krieger war, kühn vor allen andern, und ein Jäger, dessen Pfeile nie fehlten, dessen Lanze nie sich vergeblich schwang und dessen Arm niederfiel wie ein Donner über den Schwung seines Schwertes. Seine Stirne war hell, aufrecht standen seine Augen vor der Frage der Menschen: nie ward seine Hand gekrümmt gesehen zum bösen Knollen der Faust, nie seine Stimme gehört im Schreie des Zorns. Er diente als ein Treuer dem Könige, und seine Sklaven dienten ihm in Ehrfurcht, denn keiner war als rechtlicher gekannt an den fünf Strömungen des Flusses: vor seinem Hause beugten sich die Frommen, wenn sie vorübergingen, und die Kinder lächelten in den Stern seines Auges, wo sie ihn erblickten.

Es geschah aber, daß Unheil fiel über den König, dem er diente. Seines Weibes Bruder, den er zum Verwalter gesetzt über die Hälfte seines Reiches, gelüstete es nach der Gänze, und er hatte heimlich die besten Krieger des Königs mit Geschenken verlockt, daß sie ihm dienten. Und er hatte die Priester beredet, daß sie nächstens die heiligen Reiher des Sees ihm brachten, die ein Zeichen der Herrschaft waren seit tausend und tausend Jahren in dem Geschlecht der Birwagher. Elefanten und Reiher rüstete der Feindliche im Felde, sammelte die Unzufriedenen der Berge zu einem Kriegsheer und zog drohend gegen die Stadt.

Der König ließ von morgens bis abends die kupfernen Becken schlagen und aus den weißen Hörnern von Elfenbein blasen; nachts zündeten sie Feuer auf den Türmen und warfen die zerriebenen Schuppen der Fische in die Lohe, daß sie gelb aufglühten unter den Sternen als Zeichen der Not. Aber wenige nur kamen; die Kunde vom Raube der heiligen Reiher war schwer auf die Herzen der Führer gefallen und machte sie zag: der oberste der Krieger und der Hüter der Elefanten, die bewährtesten unter den Feldherren, weilten schon im Lager des Feindes, vergebens blickte der Verlassene nach Freunden (denn er war ein harter Herr gewesen, streng im Gericht und ein grausamer Eintreiber der Fron). Und er sah keinen von den bewährten unter den Hauptleuten und keinen der Anführer des Feldes vor seinem Palaste, nur ratlose Schar von Sklaven und Knechten.

In dieser seiner Not gedachte der König Viratas, der ihm Botschaft der Treue gesandt bei dem ersten Ruf der Hörner. Er ließ die Sänfte von Ebenholz rüsten und sie hintragen vor sein Haus. Virata neigte sich zur Erde nieder, da der König der Trage entstieg, aber der König umfing ihn wie ein Flehender und bat ihn, das Heer zu führen wider den Feind. Virata neigte sich und sprach: »Ich will es tun, Herr, und nicht wiederkehren in dies Haus, ehe die Flamme des Aufruhrs erstickt ist unter dem Fuß deiner Knechte.«

Und er sammelte seine Söhne, seine Sippen und Sklaven, stieß mit ihnen zu dem Haufen der Getreuen und reihte ihn zum Kriegszuge. Den ganzen Tag wanderten sie durch das Dickicht bis zum Flusse, auf dessen anderem Ufer die Feinde in unendlicher Zahl gesammelt waren, prahlend ihrer Menge und Bäume fällend für eine Brücke, daß sie des Morgens kämen und, selbst eine Flut, das Land mit Blut überschwemmten. Aber Virata kannte von der Jagd des Tigers eine Furt oberhalb der Brücke, und als das Dunkel gesunken war, führte er Mann für Mann die Getreuen durch das Wasser, und nachts fielen sie unversehens über den schlafenden Feind. Sie schwangen Pechfackeln, daß die Elefanten und Büffel scheu wurden und die Schlafenden auf ihrer Flucht zerstampften und die Lohe weiß in die Zelte sprang. Virata aber war als erster in das Zelt des Widerkönigs gestürmt, und ehe die Schlafenden aufschreckten, hatte er schon zwei mit dem Schwerte geschlagen und den dritten, als er eben auffuhr und nach dem seinen griff. Den vierten und den fünften aber schlug er Mann wider Mann im Dunkel, dem einen die Stirn, dem andern in die noch nackte Brust. Sobald sie aber lautlos lagen, Schatten zwischen Schatten, stellte er sich quer vor den Eingang des Zeltes, jedem zu wehren, der eindringen wollte, das Zeichen des Gottes, die weißen Reiher, zu retten. Doch es kamen der Feinde nicht mehr, sie jagten hin in sinnlosem Schrecken und hinter ihnen mit Jubelschreien die siegreichen Knechte. Flucht fuhr vorüber und ward ferner und ferner. Da setzte sich Virata gequerten Knies vor das Zelt beruhigt nieder, das blutige Schwert in Händen, und wartete, bis die Gefährten wiederkämen von ihrer brennenden Jagd.

Es dauerte aber nur ein geringes, da ward Gottes Tag wach hinter dem Walde, die Palmen brannten im goldenen Rot der Frühe und funkelten wie Fackeln in den Strom. Blutig brach die Sonne auf, die feurige Wunde im Osten. Da erhob sich Virata, legte das Gewand ab, trat zum Strome, die Hände über dem Haupte erhoben, und neigte sich betend vor Gottes leuchtendem Auge; dann stieg er nieder in den Strom zur heiligen Waschung, und das Blut floß ab von seinen Händen. Nun aber das Licht in weißer Welle sein Haupt anrührte, trat er zurück an das Ufer, hüllte sich in sein Gewand und ging hellen Antlitzes wieder zum Zelte, die Taten der Nacht im Morgen zu beschauen. Schreck in den Zügen starr bewahrend, aufgesperrten Auges und zerrissener Gebärde lagen die Toten: mit gespellter Stirne der Widerkönig und mit aufgestoßener Brust der Ungetreue, der vordem Heerführer gewesen im Lande der Birwagher. Virata schloß ihnen die Augen und schritt weiter, die andern zu sehen, die er im Schlafe geschlagen. Sie lagen, noch halb verhüllt von ihren Matten, zweier Antlitz ließen ihn fremd, es waren Sklaven des Verführers aus dem Südland mit wolligem Haar und von schwarzem Gesicht. Da er aber des letzten Antlitz zu sich wandte, ward es ihm dunkel vor den Blicken, denn sein älterer Bruder Belangur, der Fürst der Gebirge, war dies, den jener zur Hilfe gezogen und den er nächtens unwissend erschlagen mit eigener Hand. Zuckend beugte er sich nieder zu des Hingekrümmten Herzen. Aber es schlug nicht mehr, starr standen die offenen Augen des Erschlagenen, und ihre schwarzen Kugeln bohrten sich ihm bis ins Herz. Da ward Viratas Atem ganz klein, und wie ein Abgestorbener saß er zwischen den Toten, abgewandten Blicks, daß nicht das starre Auge jenes, den seine Mutter vor ihm geboren, ihn anklage um seiner Tat willen.