Die Aussprache des österreichischen Standarddeutsch - Karoline Ehrlich, MIB - E-Book

Die Aussprache des österreichischen Standarddeutsch E-Book

Karoline Ehrlich, MIB

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2009
Beschreibung

Doktorarbeit / Dissertation aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Germanistik - Semiotik, Pragmatik, Semantik, Universität Wien (Institut für Germanistik), Sprache: Deutsch, Abstract: Im Deutschen gibt es keine amtlich geregelte Aussprache der Standardvarietät. Es liegt bislang auch keine präskriptive Standardaussprache für das österreichische Deutsch vor, die etwa von einem Minister sanktioniert wäre und deren Aussprache als Zielnorm gilt. Einzig das jüngst veröffentlichte Nachschlagewerk Österreichisches Aussprachewörterbuch (ÖAWB) hält in deskriptiver Weise die tatsächlich vorkommenden Ausspracheformen des österreichischen Sprachraums fest. Ein sehr häufig gebrauchter Begriff zur Beschreibung der österreichischen Standardaussprache ist laut dieser Untersuchung die „dialektale Färbung“. Dieser Umstand legt den Schluss nahe, dass sehr viele eine deskriptive Haltung gegenüber dem Begriff Standard einnehmen und eine der Sprechwirklichkeit nahe kommende Gebrauchsnorm zu beschreiben versuchen. Interessanterweise wird der Dialekt weitaus häufiger als die Umgangssprache als prägendes Element genannt. Das mag darin begründet liegen, dass der Begriff „Dialekt“ ein landläufig bekannter, unscharf definierter Sammelbegriff für vom Standard abweichende Varietäten gebraucht wird, während „Umgangssprache“ ein Fachterminus ist. In der vorliegenden Arbeit werden daher die Ergebnisse der Sprech- und Sprachstandserhebung deskriptiv dargestellt. Die Arbeit deckt auch Unterschiede in der Aussprache auf zwischen Personen, die die längste Zeit in Wien gelebt haben, und jenen, die in anderen Bundesländern aufgewachsen sind. Für bestimmte Wörter lassen sich in Bezug auf das Bundesland (Wien/andere) signifikante Unterschiede erkennen. So weisen Personen aus Wien häufiger eine offene Diphthongaussprache auf und tendieren zu einer gerundeten Diphthongaussprache. Bei Personen aus Wien ist die Aspiration tendenziell weniger vorhanden und Personen aus anderen Bundesländern weisen vermehrt eine starke oder schwache Aspiration bei den Plosiven auf. Bei der Neben- und Endsilbe -ig- tendieren Personen aus Wien häufiger zu plosiver Aussprache.

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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Vorbemerkungen.
2.1. Terminologie und Begriffsabgrenzung
2.2 Diachronische Entwicklung
3. Die orthoepischen Kodifikationen.
3.1 Die deutschländischen Aussprachekodizes
3.1.1 Der Siebs (1898 ff.)
3.1.2 Das Wörterbuch der deutschen Aussprache (WDA) (1964) und Großes
3.1.3 Das Duden-Aussprachewörterbuch (Aussprache-Duden) (1962ff.)
3.2 Die Aussprachemerkmale des österreichischen Standarddeutsch
3.2.1 Deutsche Lautlehre von Luick (1904f.)
3.2.2 Österreichisches Beiblatt zu Siebs (1957)
3.2.3 Das Österreichische Wörterbuch (ÖWB) (1951ff.)
3.2.4 Das Österreichische Sprachdiplom Deutsch (2000)
3.2.6 Das Variantenwörterbuch des Deutschen (2004)
3.2.7 Österreichisches Aussprachewörterbuch (ÖAWB) und Aussprachedatenbank
(ADABA) (2007)
4. Zielsetzung und Methodik
4.1 Ansatzpunkte der Erhebung.
4.2 Methodische Vorüberlegungen.
4.2.1 Die Stichprobe
4.2.2 Zur Repräsentativität
4.2.3 Eigenschaften der Probanden
4.3 Zur Sprech- und Sprachstandserhebung: orthoepische Merkmale
4.3.1 Quantitativ orientierte Erhebung
4.3.2 Die Befragungssituation
4.3.3 Das Statistik-Dilemma
4.3.4 Die Wortliste
4.3.5 Ablauf der Befragung
4.4 Zur Fragebogenerhebung: Einstellungen und Wahrnehmungen zur österreichischen
4.4.1 Ansatzpunkte der Erhebung
4.4.2 Aufbau des Fragebogens
4.4.3 Forschungsverlauf
4.4.4 Methodische Einschränkungen.
5. Analyse und Auswertung der Ergebnisse
5.1 Erhebung der österreichischen Orthoepie
5.1.1 Stichprobe.
5.1.2 Ergebnisse
5.1.2.1 Vokalismus.
5.1.2.2 Konsonantismus.
5.1.2.3 Betonung.
5.1.2.4 Unterschied: Wien und andere Bundesländer.
5.1.3 Zusammenfassung
5.2 Einstellungen und Wahrnehmungen zur österreichischen Standardaussprache
5.2.1 Stichprobe.
5.2.2 Ergebnisse
5.2.2.1 Was ist die Standardaussprache.
5.2.2.2 Berufsgruppen
5.2.2.3 Aneignen der österreichische Standardvarietät
5.2.2.4 Differenzierung der Standardaussprache
5.2.2.5 Österreichische und deutsche Standardaussprache im Vergleich
5.2.3 Qualitative Ergebnisse der offenen Antworten
5.2.3.1 Frage (2) - Einstellung zur österreichischen Standardaussprache
5.2.3.2 Frage (3) - Besonderheiten der österreichischen Varietät.
5.2.3.3 Frage (10) - Sonstige Bemerkungen der Befragten
5.2.4 Zusammenfassung
6. Zusammenfassung
7. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Anhang 1: Fragebogen.
Anhang 2: Wortliste
Anhang 3: Kodierung.
Anhang 4: Ergebnisse der Sprachstandserhebung
Anhang 5: Ergebnisse der Einstellungsanalyse
Anhang 6: Kreuztabellen und Chi-Quadrat-Test
Anhang 7: Lebenslauf
Anhang 8: Abstract in Deutsch
Anhang 9: Abstract in English

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DISSERTATION

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Danksagung 2

Danksagung

Ich hatte bei der Abfassung dieser Arbeit in jeder Hinsicht Glück, denn sowohl professionelle als auch private Hilfe war zu jeder Zeit im Übermaß vorhanden. Die professionelle Unterstützung verdanke ich Sebastian Schmid, Julian Aichholzer, Andreas W. Rausch, Sylvia Margraf, Silvia Kucera, Martin Samek, Friedrich Grünzweig, Heinz-Dieter Pohl, Max Mangold, Sylvia Moosmüller, Katharina Unger-Vokurka, Walter Unger, Herwig Seeböck, Robert Easton, Elisabeth Schuster sowie im Speziellen meinem Betreuer am Institut für Germanistik Peter Ernst, der den Anstoß zur vorliegenden Arbeit gab, mir eine adäquate Infrastruktur zur Verfügung stellte und mir den Freiraum zur selbständigen Bearbeitung des Themas einräumte. Für die Erfahrung und Bereicherung, die mir diese Forschungsarbeit einbrachte, sei ihm an dieser Stelle mein innigster Dank ausgesprochen.

Allen StudentInnen und Personen, die bei der umfangreichen und zeitaufwändigen Sprech-und Sprachstandserhebung mitgewirkt haben, sei an dieser Stelle für ihre Geduld gedankt. Auch bei allen StudentInnen, die ihr Interesse an der vorliegenden Thematik durch die hohen Anmeldezahlen meiner Vorlesungen, Übungen, Proseminare an der Universität Wien, Universität Salzburg, PHNÖ, PH Eisenstadt, Lauder Business School und der Akademie für Sprechkunst und Schauspiel laufend kundtun, möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken.

Der Übergang von professioneller zu privater Hilfe ist natürlich fließend, weil viele Fachleute natürlich auch Freunde sind. Meiner Familie möchte ich hier dennoch danken, weil sie den Grundstein meiner Entwicklungsmöglichkeiten gelegt hat. Vor allem meinem Mann, der mich mit seiner positiven Einstellung zum Leben auch in schwierigen Phasen wieder „aufgefangen“ hat und mir mit seiner unbändigen Lebensfreude immer wieder Mut zum Weitermachen gegeben hat.

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1. Einleitung 8

1. Einleitung

Wir stehen am Beginn eines großen standardsprachlichen Veränderungsprozesses, der sich nicht nur im Bereich der aktuellen orthographischen Reformen niederschlägt. Das Zeitgebundene und Althergebrachte ist im Begriff, sich in neuere Formen aufzulösen. Die ehemals kodifizierten Aussprachenormen entbehren einen tatsächlichen Realisierungsgrad, sind teilweise obsolet oder spiegeln umgangssprachliche Elemente wider. Man wird auch neue Definitionen dafür finden müssen, was in welcher Form, für welches Land und welche Schicht als Standardaussprache bezeichnet werden kann. Der plurizentrische Ansatz im Bereich der Aussprachenormen wird vor allem in Zukunft durch die vorherrschenden Inkonsequenzen innerhalb der großen Aussprachekodizes wieder mehr Beachtung finden. Die Aussprachekodifikationen der künstlich entwickelten Normen vonSiebs,GWDA und WDA haben längst an Bedeutung verloren und müssen nun aktuellen, empirischen Ausspracheerhebungen weichen.

Erst im Jahr 2007 wurde in wissenschaftlichen Kreisen mit demÖsterreichischen Aussprachewörterbuch(ÖAWB) und derÖsterreichischen Aussprachedatenbank(ADABA) ein orthoepischer Kodex vorgelegt, der in deskriptiver Weise die österreichische Aussprache österreichischer Modellsprecher erfasst. Die österreichische Aussprachevarietät wurde damit erstmals umfassend dokumentiert und in einem Aussprachewörterbuch kodifiziert. Die in dem Kodex dargestellte Varietät wird als ‚Medienpräsentationsnorm’ bezeichnet, da sie die Aussprachegewohnheiten von professionellen Mediensprechern widerspiegelt. Da es sich um eine ‚Medienaussprache’ handelt, die nicht den Anspruch auf vollständige Abbildung der Standardaussprache der gebildeten Elite Österreichs (z. B.: Politiker, Akademiker) erhebt, sondern nur die Aussprache der ORF-Mediensprecher berücksichtigt, darf sie nicht mit einer einheitlichen österreichischen Standardlautung gleichgesetzt werden, da es eine solche nicht gibt und darüber hinaus der Sprechwirklichkeit außerhalb des Medienbetriebes nahe kommen würde. Daher wäre eine erklärende Bemerkung angebracht gewesen, ob die Varianten im ÖAWB der Standardvarietät nun als zugehörend betrachtet werden können oder eben nicht. Zumindest hätte der Unterschied zwischen ‚Standard’- und ‚Medien’-Präsentationsnorm explizit dargelegt werden müssen. Die Kodifikation kann damit als deskriptiv und nicht normativ/präskriptiv gewertet werden, da die Aussprachegewohnheiten außerhalb der Modellaussprachen nicht erfasst wurden. Dadurch ergeben sich ähnlich wie bei derSiebs-Kodifikation vielschichtige Probleme. Das ÖAWB wird darüber hinaus in

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1. Einleitung 9

Wissenschaftskreisen oft als ‚Einzelunternehmen’ des Verfassers, als Kodifikation am grünen Tisch, betrachtet. Es besteht daher ein akutes Interesse, eine Bestätigung oder auch Verwerfung der jüngst veröffentlichten österreichischen Korpusanalyse, die erstmals eine vollständige phonetische Transkription erhält, durchzuführen. Denn jeder Aussprachekodifikation muss eine solide und auch tatsächlich gesprochene Gebrauchsnorm zugrunde liegen, um als formell anerkannte österreichische Standardaussprache zu gelten. Darüber hinaus liefert das ÖAWB keine empirisch fundierten Daten über verschiedene Sprachschichten (nicht nur die Schicht der Modellsprecher) für den österreichischen Sprachraum, was aufgrund der Inkonsequenzen innerhalb des Kodices wünschenswert wäre.

Davor gab es in Österreich keinen eigenen Kodex der Orthoepie, in dem man die österreichische Aussprache hätte nachschlagen können. Zwei ältere Schriften zur österreichischen Orthoepie, die zwar einen hohen zeitdokumentarischen Wert besitzen, aber so antiquiert sind, dass sie, wenn überhaupt, nur noch über das Antiquariat beziehbar sind, wurden in LuicksDeutscher Lautlehre(1904) mit demÖsterreichischen Beiblatt zu Siebs(1957) in einem Nachdruck (1996) gemeinsam veröffentlicht. Hinweise zu österreichischen Aussprachevarianten findet man dann erst wieder in der 19. Auflage desSiebsvon 1969 und imÖsterreichischen Wörterbuch(ÖWB). Das ÖWB bezieht sich ganz zweckgemäß vorwiegend auf lexikalische Varianten, die Behandlung der Aussprache bleibt in diesem Kodex auf die Beziehung zwischen Schreibung und Lautung beschränkt. Immerhin können aus dem Kapitel „Texte der amtlichen Regelungen“ (ÖWB 2008, S. 925-1002) sehr wertvolle Rückschlüsse auf die Aussprache des österreichischen Standarddeutsch gezogen werden. Die Laut-Buchstaben-Zuordnung liefert vor allem im Vokalismus, insbesondere bei der orthographischen Kennzeichnung von Lang- und Kurzvokalen, implizite Hinweise auf die österreichische Aussprachevarietät. Darüber hinaus bedenke man an dieser Stelle, dass das ÖWB das einzige nationale Wörterbuch Österreichs darstellt und als amtliches Regelwerk (weil durch das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur autorisiert) die standardsprachlichen Merkmale des österreichischen Sprachraumes festhält. Insofern1auch in dieser Arbeit werden die aus dem Regelkatalog ableitbaren Aussprachemerkmale mitberücksichtigt.

1Im Hinblick auf die adäquate Terminologie merkt Muhr zu Recht an, dass man den Begriff „Besonderheiten des

österreichischen Deutsch“ vermeiden solle, weil damit immer eine dominierende Varietät als Maßstab impliziert werde.

Besser wäre es daher von „Merkmalen des österreichischen Deutsch“ zu sprechen, weshalb ich mich dieser Terminologie

gerne anschließen möchte (vgl. Muhr 2000, S. 37).

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1. Einleitung 10

Von der Aussprachekodifikation desSiebswissen wir hingegen, dass sie in Wissenschaftskreisen als überholt gilt und die österreichische Varietät nur aus Sicht einer asymmetrischen Plurizentrizität betrachtet. Die anderen nationsübergreifenden Aussprachekodizes (i. e. WDA, GWDA,Aussprache-Duden)stellen die österreichische (als auch die schweizerische) Standardvarietät auf die gleiche Stufe wie süddeutsche Dialekte. Auf der anderen Seite sind Hinweise in diesen drei Kodizes oftmals gegenseitige Anlehnungen an die entsprechenden Hauptwerke (so beiSiebsund WDA bzw. GWDA, als auch beiSiebsund den frühen Auflagen desAussprache-Duden).Die ehemals imRechtschreib-Duden(1991) vorhandenen Aussprachehilfen sind zum einen rudimentär dokumentiert und zum anderen erneut an der nationsübergreifenden deutschländischen Aussprachenorm angelehnt. Darüber hinaus sind sie in den neueren Auflagen (1991ff.) nicht mehr enthalten. Auch in derSonderreihe zum Großen Duden(Band 8) wurde von Jakob Ebner ein kleines, österreichspezifisches Wörterbuch mit dem TitelWie sagt man in Österreich? Wörterbuch der österreichischen Besonderheitenveröffentlicht. In den ersten beiden Auflagen der Jahre 1969 und 1980 wurden wichtige Anmerkungen zur Aussprache des österreichischen Standarddeutsch gegeben (1969, S. 259ff. und 1980, S. 211ff.), die jedoch in der dritten, vollständig überarbeiteten Neuauflage (1998) fehlen, weshalb dieses Werk in der vorliegenden Arbeit nur als Kontrastwerk berücksichtigt werden kann. Dieser Verlust stellt erneut einen eklatanten Nachteil für die Wissenschaft dar, wie wir das bereits von derDeutschen Lautlehreund demÖsterreichischen Beiblatt zu Siebsher kennen.

In einem anderen wichtigen Werk, demVariantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol(2004) wird dafür ein hervorragender Überblick über eine Vielzahl typisch österreichischer Aussprachemerkmale geboten. Die phonetischen Merkmale sind systematisch nach Lautklassen geordnet, die sich damit als theoretische Grundlage zur Etablierung einer allgemeingültigen österreichischen Kodifikation eignen. Die Aussprachehinweise können damit zumindest als valide Vergleichswerte für die empirischen Ergebnisse der hier vorliegenden Arbeit herangezogen werden. Den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit stellt die Untersuchung der vorherrschenden Aussprachegewohnheiten von StudentInnen dar, die aufgrund der gewählten Studienrichtung als RepräsentantInnen einer österreichischen

Standardaussprache gelten. Studierende gehören quasi der gebildeten Schicht einer gegebenen Sprachgemeinschaft an und vor allem als LehramtskandidatInnen haben sie mit

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1. Einleitung 11

ihren Aussprachen Vorbildwirkung auf die Allgemeinheit. Sie fungieren daher im weitesten Sinne als ModellsprecherInnen und ihre Aussprachen werden als Grundlage für die orthoepische Untersuchung herangezogen. Allen Modellsprechern ist gemein, dass sie die überregionale Aussprachenorm einer gegebenen Sprachgemeinschaft repräsentieren, diese gewissermaßen vorgeben und implizit formen und damit letztendlich auch kodifizieren (vgl. ÖAWB 2007, S. 35). Die vorliegende Sprech- und Sprachstandserhebung der österreichtypischen-orthoepischen Merkmale eröffnet neue Perspektiven für eine zukünftige österreichische Aussprachekodifikation. Eine umfangreiche Analyse der uns heute vorliegenden Normen kann weiters dazu beitragen, eine neuerliche Aufmerksamkeit auf den tatsächlichen Sprechstand von ModellsprecherInnen außerhalb des Medienbetriebes zu lenken, was zum einen aufgrund der Inkonsequenzen und Defizite in den derzeit verfügbaren Kodizes von ÖAWB,Siebs,GWDA undAussprache-Duden,zum anderen aufgrund des Fehlens einer allgemein gültigen bzw. im Buchhandel erhältlichen österreichischen Aussprachenorm wünschenswert wäre. Außerdem soll diese Arbeit Anlass dazu geben, im Bereich der BerufsprecherInnenausbildung ein einheitlicheres Ausbildungsniveau herbeizuführen, wodurch die Berufsgruppe der österreichischen SprecherzieherInnen, SchauspielerInnen und SprecherInnen eine solide Aufwertung erfahren würde. Derzeit gibt es in allen Bereichen der Lautlehre große Unsicherheiten, was sich in immer wiederkehrenden Sprechersitzungen niederschlägt, in denen über die hierzulande ‚richtige’ Aussprache diskutiert wird. Da die Quellenlage und die divergierenden Meinungen darüber weitläufig auseinander gehen, kommt es bei den meisten Sitzungen zu keinem befriedigenden Konsens. Denn gerade die praktizierenden SprecherzieherInnen sind es, die am Beginn der sprechsprachlichen Veränderung stehen. Sie sind die expliziten Vermittler einer überregionalen Aussprachenorm und haben als sprachliche Bewahrer die Aufgabe, das Sprachniveau einer gegebenen Sprachgemeinschaft zu heben. Ihrer Vorbildwirkung gemäß müssen vor allem SprecherzieherInnen die Ausspracheregeln beherrschen und didaktisch adäquat vermitteln können. Dazu bedarf es wiederum klarer amtlicher Legitimationen und Abgrenzungen für den österreichischen Sprachraum, die derzeit zwar in den Köpfen der Fachleute existieren, aber in keiner allgemein zugänglichen Kodifikation für jedermann verfügbar ist. So muss derzeit im sprecherzieherischen Unterricht weiterhin zumAussprache-Dudengegriffen werden, weilSiebs,GWDA und ÖAWB keine zufriedenstellende Variante kodifizieren und - was noch wichtiger ist - im Buchhandel überhaupt nicht vertrieben werden.

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1. Einleitung 12

Die Auffassung über das österreichische Deutsch ist darüber hinaus oftmals sehr ambig. Warum das so ist, lässt sich zum einen wohl auch damit erklären, dass die Aussprache in Filmen, Serien etc. nur in seltenen Fällen auch tatsächlich österreichisches Deutsch repräsentiert (vgl. Wächter-Kollpacher 1995, S. 270), mit Ausnahme natürlich der typisch österreichischen Serien wie SOKO-Kitzbühel, teilweise auchMedicopter 117,da diese Serie eine Kooperation von ORF und RTL darstellt. Außerdem spielen in Serien auch in gleichen Anteilen deutsche Schauspieler mit, die natürlich deutsche Schauspielschulen durchlaufen haben und daher keine typisch österreichischen Aussprachegewohnheiten widerspiegeln können. Muhr stellt in diesem Zusammenhang richtigerweise fest, dass

Auf der anderen Seite ist man in der Bevölkerung auch der gängigen Ansicht, dass in Österreich ausschließlich Dialekt gesprochen werde, weil man ja das eigene, minderwertig konnotierte Deutsch tagtäglich mit dem ‚anderen’, höherwertigen deutschländischen Deutsch konfrontiert sieht, entweder durch Teutonismen oder durch das deutsche Fernsehen. Da kommen dem Österreicher schon Zweifel an der eigenen sprachlichen Kompetenz auf. Moser fasst hier zu Recht die Grundeinstellung der österreichischen Sprachteilnehmer zusammen, dass man hierzulande der Auffassung wäre, dass

Ein anderes Ziel dieser Arbeit soll daher sein, einen Beitrag zur Erforschung der Einstellungen und Meinungen zur österreichischen Standardvarietät zu leisten. Auch sollen die Ergebnisse der Untersuchung in nachfolgende Arbeiten einfließen, also als Kontrastwerte herangezogen werden. Eine empirisch fundierte Basis - sowohl was die Einstellungen als auch die orthoepischen Merkmale einer solchen Varietät betrifft - soll einer zukünftigen Aussprachenormierung des österreichischen Deutsch eine Hilfe sein.

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1. Einleitung 13

Darüber hinaus muss in Zukunft eine eigenständige österreichische Varietät der gemäßigten Variante der deutschländischen Standardaussprache gegenüberstehen, eine klare Abgrenzung geschaffen werden und eine österreichische Varietät in den Köpfen der Sprachteilnehmer nicht weiter als Sub-Standard oder Abweichung von der deutschländischen Standardaussprache gelten. Auch stellt die Erforschung der landeseigenen, überregionalen Varietät einen kulturpolitischen Auftrag dar, weil der Österreicher ein eingeschränktes Sprachbewusstsein und Wissen über seine eigene Varietät besitzt (vgl. Muhr 2003, S. 201f.). Das Wissen und Bewusstsein, dass die österreichische Aussprache eine eigene Varietät des Deutschen darstellt, wird vor allem in Kindergärten, Schulen und Universitäten nicht klar kommuniziert, weil die derzeit tätige Lehrergeneration noch nach monozentrischer Sprachauffassung ausgebildet wurde (vgl. Muhr 2003, S. 206). Daher orientiert man sich grundlegend an den Duden-Normen, weil das österreichspezifische ÖWB zwar einen großen Verbreitungsradius besitzt, aber aufgrund der lexikalischen Ausrichtung kaum Hinweise auf die landeseigene Aussprache gegeben werden. Die Merkmale der österreichischen Orthoepie zu erfassen bedeutet aber nicht gleichzeitig, dass diese mittels Eingang in einen österreichischen Aussprachekodex fixiert werden müssen, sondern zuallererst, dass der Kulturnation Österreich die nötige Wertschätzung entgegengebracht wird, um Potenzial für diesen Weg zu schaffen. Außerdem können typisch österreichische Aussprachevarianten, die im ÖAWB nicht berücksichtigt werden, aber in meiner empirischen Untersuchung aufscheinen, ins Bewusstsein der Kodifizierer gelangen. Möge diese Arbeit zumindest ein kleiner Beitrag in diese Richtung sein. Eine österreichische Aussprachekodifikation muss, um nicht weiterhin als Desiderat zu gelten, der rigorosen Sprachförderung dienlich sein, weil sich nur dadurch bestehende Unstimmigkeiten zu den Fachkollegen in Stuttgart und Halle zukünftig besser2Auch soll diese Arbeit dazu beitragen, dass der vor allem in ausgleichen lassen können.

den letzten Jahren pädagogisch stark vernachlässigte Bereich der Aussprachekodifikation des österreichischen Deutsch wieder mehr Beachtung findet.

2Die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart bietet den vierjährigen Diplomstudiengang

Sprecherziehungin einer einzigartigen Monopolstellung an. Für Österreich oder die Schweiz gibt es nichts Vergleichbares.

Die Hochschule verleiht den akademischen Titel „Diplom-Sprecherzieher“. In Halle wird gerade der Nachfolger vonSiebs

und GWDA, mit dem TitelDeutsches Aussprachewörterbuchvorbereitet, das leider zum Zeitpunkt der Abfassung noch nicht

vorlag und daher in dieser Arbeit nicht mitberücksichtigt werden konnte.

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2. Diachronische Darstellung des österreichischen Deutsch 14

2. Vorbemerkungen

2.1. Terminologie und Begriffsabgrenzung

Zuerst soll die in dieser Arbeit verwendete Terminologie dargestellt werden, denn besonders im Hinblick aufStandardherrscht immer wieder Unsicherheit, was damit eigentlich gemeint sein soll. Der BegriffStandarddeutschetwa wird als Oberbegriff für die in Wörterbüchern kodifizierte Standardvarietät der deutschen Sprache verwendet. Er referiert auf alle Bereiche der Sprache gleichermaßen, wenngleich in Teilbereichen, wie etwa der Aussprache, genauere Termini nötig sind. Standarddeutsch ist ein neutraler Begriff und ersetzt in der neueren Forschungsliteratur das problematische Hochdeutsch. Letzteres ist einerseits mehrdeutig, da es im dialektgeographischen Sinne „die Gesamtheit aller Dialekte, die von der Zweiten Lautverschiebung erfasst wurden“ (Bußmann 2002, S. 281) bezeichnet. In diesem Sinne sind alle Varietäten, die südlich der Benrather Linie, also in zirka zwei Dritteln des deutschen Sprachraumes, gesprochen werden, als Hochdeutsch zu bezeichnen, während die im nördlichen Drittel bodenständige Varietät alsNiederdeutschbezeichnet wird. Andererseits istHochdeutschein wertender Begriff im sprachsoziologischen Sinne. Er wird volkstümlich und in der älteren Forschungsliteratur synonym für Standarddeutsch verwendet und referiert auf die kodifizierte, überregional gültige Standardvarietät im Gegensatz zur Umgangssprache (vgl. Bußmann 2002, S. 281). Da diese Arbeit weder um die Disziplin der Dialektgeographie noch um die Soziolinguistik herumkommt, ist es wichtig, sich einer Terminologie zu bedienen, die unmissverständlich und von interdisziplinärer Gültigkeit ist. Da der Begriff Hochdeutsch ungenau ist, wird er im Folgenden nicht mehr verwendet. Dennoch sollen weitere dialektgeographische Begriffe und die diachrone Entwicklung einzelner Varietäten im nächsten Kapitel besprochen werden.

An dieser Stelle soll zunächst geklärt werden, was unter einerVarietätzu verstehen ist. Dieser häufig gebrauchte Begriff ist wertneutral und bezeichnet allgemein jede spezifische Ausprägung einer Sprache, egal von wem oder wo sie gesprochen wird. Obgleich ein solches Vorgehen der neutralen Werthaltung entgegenläuft, wird in der Praxis üblicherweise eine Standardvarietät angenommen, um alle anderen davon abweichenden Varietäten zu beschreiben. In der neueren Forschung wird das Deutsche alsplurizentrische

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2. Diachronische Darstellung des österreichischen Deutsch 15

Spracheaufgefasst, innerhalb welcher mehrere Standardvarietäten bestehen. Varietäten sind aber grundsätzlich als Klassifizierungsbegriff im Kontrast zu Sprachen zu sehen.

Vereinfacht dargestellt besteht die deutsche Sprache aus drei nationalen Varietäten - einer österreichischen, einer deutschen und einer schweizerischen Standardvarietät. Natürlich ist hier Varietät als ein abstrakter Begriff auf sprachsystematischer Ebene zu sehen, der im Diskurs über Sprache nötig ist. Die konkreten Merkmale, die in ihrer Gesamtheit eine Varietät konstituieren, nennt manVarianten.Geht man von einem plurinationalen Zugang aus, sind konkrete sprachliche Merkmale, die für die Sprache einer Nation typisch sind, „nationale Varianten“ (vgl. Ammon 1996, S. 243). Auf lexikalischer Ebene ist es relativ einfach, solche Varianten zu bestimmen. Der in Österreich gebräuchlicheRauchfangkehrersteht dem in Deutschland häufigerenSchornsteinfegergegenüber,Marilletrifft aufAprikose, ParadeiseraufTomateusw. Auch auf grammatikalischer Ebene sind Varianten möglich. Das kann den Gebrauch von Auxiliarverben (bingesessenvs.habe gesessen)ebenso betreffen wie den Tempusgebrauch. Gleichermaßen betroffen sind Orthografie (schweiz.: kein ß) und Aussprache, wobei letztere am schwierigsten zu kodifizieren ist. Dabei ist es aber wichtig zu bemerken, dass nationale Varianten standardsprachlich sind, ebenso wie die nationalen Varietäten, die sich aus ihnen zusammensetzen. Je nach Zugang definieren sich diese Standards aber in unterschiedlicher Weise. Die unterschiedlichen Zugänge zu den einzelnen Varietäten manifestieren sich in der verwendeten Terminologie. Lange Zeit galt einmonozentristischerAnsatz, der das österreichische Deutsch als Nebenvariante zur bundesdeutschen Hauptvariante ansah (vgl. Schrodt 1997, S. 13). Dieser Ansatz hat heute seine Gültigkeit verloren und wurde durch andere Modelle ersetzt. Sie alle erkennen unterschiedliche Varietäten als gleichberechtigt und gleichwertig an, jedoch unterscheiden sie sich in deren Abgrenzung. Eine stark vereinfachende und deshalb unwissenschaftliche Sichtweise ist derplurinationaleZugang. Dieser Terminus suggeriert, dass jede deutschsprachige Nation ihre eigene nationale Varietät besitzt. Die Vorstellung, man spreche innerhalb der Staatsgrenzen des Staates A

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2. Diachronische Darstellung des österreichischen Deutsch 16

Varietät A, des Staates B die Varietät B usw. ist zwar praktisch, aber zu ungenau. Neben dem problematischen Begriff der Nation (vgl. Ammon 1996, S. 243), auf den hier nicht näher eingegangen werden soll, sprechen auch dialektologische Gründe gegen diesen Begriff. Es ist eine Tatsache, dass die Dialektgrenzen nicht mit den Staatsgrenzen übereinstimmen; so gehören etwa Vorarlberg und ein Teil Tirols zum alemannischen Sprachgebiet, während der Rest von Österreich Bairisch spricht. Um dieses begriffliche Problem zu entschärfen, haben sich andere Zugänge entwickelt. Der gängigste Terminus in diesem Zusammenhang ist der 1984 von M. Clyne eingeführte Begriff derplurizentrischen Sprache.

Wichtig ist dabei, dass den Varietäten zwar Zentren zugeschrieben werden, die auf Nationen referieren, aber nicht mit deren Grenzen (in Sinne von Staatsgrenzen) zusammenfallen.

Sehr wohl weist Clyne aber darauf hin, dass die Varietäten plurizentrischer Sprachen nur theoretisch gleichberechtigt sind. In der Praxis sind sie „aufgrund historischer, politischer und wirtschaftlicher Machtverhältnisse sowie demographischer Faktoren asymmetrisch“ (Clyne 1995, S. 8). Dies zeigt sich daran, dass von der Bevölkerung manche Varietäten als hochwertiger angesehen werden als andere, bzw. daran, dass Nationalvarietäten wegen

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2. Diachronische Darstellung des österreichischen Deutsch 17

überschneidender formaler Merkmale mit Dialekten verwechselt werden (vgl. Clyne 1995, S. 9). Zu einemsymmetrischen Plurizentrismus,bei dem Varietäten auch von der breiten Bevölkerung als gleichwertig empfunden werden (etwa British English und American English) kommt somit auch einasymmetrischer Plurizentrismus.In diesem Zusammenhang spricht Clyne von dominanten (D) und anderen (A) Varietäten. Hier tritt unter anderem folgendes Problem auf:

Dieses Problem kann auch auf umgekehrtem Wege gesehen werden, nämlich so, dass die österreichische Bevölkerung keine klare Vorstellung davon hat, ob sie eine österreichische Standardvarietät gebraucht, oder ob gewisse „Austriazismen“ doch eher dem dialektalen Bereich zugehörig sind. Aus dem mangelnden Selbstverständnis der österreichischen Varietät gegenüber resultiert oft eine Anpassung an die bundesdeutsche Varietät, die mitunter als „korrekter“ angesehen wird.

Das Konzept des Deutschen als plurizentrische Sprache ist heute weit verbreitet und wurde von Linguisten wie Ammon und Muhr weiterentwickelt. Die Abgrenzung gegenüber dem plurinationalen Zugang ist allerdings unscharf. Ammon befürwortet die plurinationale Auffassung der deutschen Sprache (vgl. Ammon 1996, S. 244), jedoch grenzt er den Begriff der Nation gegenüber dem nationalen Zentrum ab.

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2. Diachronische Darstellung des österreichischen Deutsch 18

Man erkennt, dass auch der plurizentrische Ansatz noch stark mit dem Konzept der Nation verbunden ist, auch wenn diese nicht mehr im Vordergrund steht. Nun gibt es Tendenzen, die einzelne Varietäten noch stärker von der Nation ablösen wollen und vonArealenanstatt vonZentrensprechen. DerpluriarealeAnsatz wird hauptsächlich von Linguisten vertreten, deren Fachgebiet die Dialektologie ist, wie etwa Scheuringer. Dies ist verständlich, da die Untersuchung der Basisdialekte des deutschen Sprachraumes andere Ergebnisse hervorbringt als die Untersuchung der Standardvarietäten. So erstreckt sich beispielsweise der bairische Sprachraum über Bayern und weite Teile Österreichs, was bedeutet, dass in diesem Areal auf basisdialektaler Ebene mehr Gemeinsamkeiten auftreten als zwischen Vorarlberg und dem Burgenland. Hinsichtlich der Standardsprache kann eingewendet werden, dass sich möglicherweise Bayern zur bundesdeutschen Varietät bekennt, während Österreich seine eigene österreichische Standardsprache beansprucht. Dementsprechend kritisiert auch der pluriareale Ansatz, dass Fragestellungen der Dialektologie mit denen der Standardsprache vermengt werden. Die Zahl der echten Austriazismen sei gering und die

Muhr weist diese Behauptungen zurück und vertritt die Auffassung von Deutsch als plurizentrischer Sprache. Es sei nicht das Ziel, eine Nationalsprache zu schaffen, sondern das staatliche Territorium als Ausgangspunkt der Beschreibung von Sprache zu nehmen (vgl. Muhr 1997, S. 48). Da in dieser Arbeit die österreichische Standardvarietät untersucht werden soll, ist der plurizentrische Ansatz sicherlich der sinnvollste. Nun da hinreichend geklärt ist, dass es eine österreichische Standardsprache gibt soll der Fokus auf den hier zu untersuchenden Teilaspekt der Aussprache gerichtet werden. Zunächst ist festzuhalten, dass dieStandardaussprachenicht mit derStandardsprachegleichgesetzt werden kann, weil jene nur auf die Ebene der Phonetik bzw. Phonologie bezogen ist. Von Phonetik sprechen wir in diesem Zusammenhang, wenn konkrete sprachliche Äußerungen (parole) beschrieben werden, während Phonologie auf das abstrakte Sprachsystem (langue) referiert. Dies ist insofern von Bedeutung, als im empirischen Teil zwischen normbezogenen Phonemen (in Schrägstrichen / /) und

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tatsächlich realisierten Phonen (in eckigen Klammern [ ]) unterschieden wird. Soll nun also dieösterreichische Standardaussprache(im Folgenden ÖS) untersucht werden, ist dieser Terminus gegenüber anderen kritisch abzugrenzen. Analog zu dem Begriffspaar Hochsprache/Standardsprache gibt es neben der neutralen Bezeichnung Standardaussprache den problematischen TerminusHochlautung.Zwar ist dieser nicht zweideutig (im dialektgeographischen Sinne), doch drückt er ebenso wieHochdeutscheine gewisse Wertung aus. Es drängt sich unweigerlich die Assoziation von „hoch“ mit „hochwertig“, „besser“ und „korrekt“ auf, weshalb „Hochlautung“ aus soziolinguistischer Sicht unbrauchbar ist.

Wenngleich die Standardsprache auch nicht höher gestellt ist als andere Varietäten, so ist sie durch umfassende Sprachpflege doch in einem gewissen Sinne höher entwickelt (vgl. Ehrlich 2008, S. 14). Außerdem hat die Umbenennung der Hochlautung in Standardaussprache eine Differenzierung verwischt, die für das Verständnis von Aussprachenormen höchst wichtig ist. Hochlautung war als Synonym fürBühnenaussprachezu verstehen, welche nicht als Standard für einen breiten Kreis, sondern als Referenzgrundlage für Berufssprecher und Schauspieler gedacht war (vgl. Ehrlich 2008, S. 15). Was Siebs als diegemäßigte Hochlautung(im Gegensatz zurreinen Hochlautung)bezeichnete, passt eher auf die heutige Auffassung von Standard. Somit soll heute, wenn von einem für eine breite Schicht gedachten Aussprachestandard als Teil einer Standardvarietät die Rede ist, der Begriff Standardaussprache verwendet werden, während Hochlautung, wenn überhaupt, nur mehr im Sinne derSiebs’schenBühnenaussprache zulässig ist.

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