Die Bacardis - Ursula L. Voss - E-Book

Die Bacardis E-Book

Ursula L. Voss

4,7

Beschreibung

Die Geschichte der Bacardís ist mehr als die Geschichte eines guten Rums. Sie ist ein Spiegel der Geschichte Kubas – vom Kampf um die Unabhängigkeit von Spanien über den Aufstieg Fidel Castros bis in unsere Zeit mischt der Clan kräftig mit.

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Die Bacardis
Der Kuba-Clan zwischen Rum und Revolution
Voss, Ursula L.
Campus Verlag
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
9783593400648
Copyright © 2005. Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Für Ute,

Schutzengel und Animatrice auf allen Reisen

|9|Vorwort

Come on over, have some fun

Dancing in the morning sun,

We can keep this dream alive, if we try.

Bacardí – ohne Frage, der Name klingt. Schließt man die Augen, sieht man Palmen, einen blauen Karibikhimmel und schöne Mädchen, die zu Salsarhythmen die Hüften schwingen. Bacardí, das heißt Lebensfreude, so will es zumindest die Werbung. »Wir sind keine Schnapsverkäufer, wir vermarkten ein Lebensgefühl«, behaupten die Marketingstrategen des Konzerns.

Ob weiß oder braun, mit oder ohne Aromazusatz, ob pur oder als Cocktail mit viel Eis, ob dunkel und schwer oder hell und leicht, Bacardí ist weltweit die beliebteste Rummarke. Und die erfolgreichste: Mit geradezu beängstigender Regelmäßigkeit konnten die Umsätze in den vergangenen Jahrzehnten gesteigert werden, von kleinen Einbrüchen abgesehen. Neue Produkte, darunter Bacardí Breezer in unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen, sorgten seit Beginn des neuen Jahrtausends für höchste Zufriedenheit bei Managern und Aktionären. »2001 war das beste Jahr in der gesamten Geschichte der Firma«, konstatierte im November 2002 der damalige Präsident Rubén Rodriguez, »die Spirituosenbranche erweist sich als ziemlich widerstandsfähig in Zeiten wirtschaftlicher Flaute.« Wohl wahr, wenn man den veröffentlichten Zahlen traut! 2,7 Milliarden US-Dollar wurden im Bilanzjahr 2000/2001 bei Bacardí umgesetzt, ein Jahr später waren es sogar 2,9 Milliarden. |10|Der Nettogewinn betrug damals 444 Millionen US-Dollar. Auf Erfolgskurs befindet sich seit Jahren auch Bacardí Deutschland. Im Geschäftsjahr 2002/2003 stieg der Umsatz um 27,3 Prozent auf 400,7 Millionen Euro. Das Jahr zuvor hatte man mit 314,8 Millionen Euro abgeschlossen. Zum unerwarteten Höhenflug trug hierzulande das neu entwickelte Mixgetränk Rigo bei, ein Gemisch aus Soda, Lime und weißem Rum mit dem Alkoholgehalt von Bier. Und die exzellente Werbung, die allein in der Bundesrepublik jährlich mehr als 25 Millionen Euro verschlingt. Die rund 600 Aktionäre – bis auf wenige Ausnahmen Mitglieder der weltweit verzweigten Familie Bacardí – billigten bisher ohne zu murren die monströsen Summen, die jährlich in die Imagepflege des Unternehmens fließen – im Jahr 2003 waren es 23 Prozent des Gesamtetats. Denn viermal im Jahr werden Dividenden ausgeschüttet. »Ein angenehm warmer Regen«, formulierte jüngst eine Bacardí-Erbin, ohne sich dazu hinreißen zu lassen, dem Gesprächspartner Zahlen zu nennen. Und weil das Unternehmen bisher noch nicht an der Börse notiert ist, bleibt manches im Dunklen, was Gewinn und Verlust anbelangt, Rücklagen, Investitionen und Dividenden.

Aber nicht allein die verlässliche Gewinnausschüttung macht die Shareholder glücklich. Vor allem die älteren Familienmitglieder sind stolz auf ihre kubanischen Wurzeln. 1862 wurde die Firma »Bacardí y Bouteiller« in Santiago de Cuba gegründet. Der von Don Facundo Bacardí y Mazó erfundene milde, weiße Rum war schon vor der Jahrhundertwende weltberühmt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wuchs das Unternehmen sprunghaft, nicht zuletzt dank der Prohibition in den USA. Mit Fidel Castro und der Revolution kam dann das vorläufige Aus auf Kuba. Die Bacardís wurden 1960 enteignet, setzten jedoch die Rumproduktion im vertrauten karibischen Ambiente fort. Der Erfolg blieb ihnen treu: Seit 1992, als Bacardí das italienische Familienunternehmen Martini und Rossi kaufte, gehört der »staatenlose« Konzern zu den Global Players der Branche.

Auch heute, 45 Jahre nach der »Vertreibung«, glauben die meisten |11|Familienmitglieder an eine Rückkehr auf die Insel. »Kuba – das sind wir!« behaupten vor allem die auf Kuba geborenen Bacardís. Mit glühendem Hass begleiteten sie in den vergangenen Jahrzehnten die Politik Fidel Castros und ließen nichts unversucht, das sozialistische Experiment zu torpedieren. Selbst Mordanschläge auf Castro sollen die Familienmitglieder in den sechziger Jahren finanziell unterstützt, ja sogar veranlasst haben. Doch seit den achtziger Jahren ist die blinde Wut einer cooleren Strategie gewichen. Die Bacardís setzen nicht mehr auf Gewalt, sondern versuchen es mit gezielter Lobbyarbeit in Washington. »Rum und Politik sind in den USA eine Ehe eingegangen, und Bacardí zahlt die Rechnung«, konstatiert der kolumbianische Journalist Hernando Calvo Ospina in seinem 2002 erschienenen Buch Im Zeichen der Fledermaus: Der geheime Krieg der Rum-Dynastie Bacardí gegen Kuba.

Doch neu ist die Verquickung von Geschäft und Politik für die Familie Bacardí nicht. Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert kämpfte Urahn Emilio Bacardí y Mazó so couragiert gegen die Kolonialmacht Spanien, dass er zwei Mal in die Verbannung geschickt wurde. Zu guter Letzt lenkte er als erster frei gewählter Bürgermeister die Geschicke der Stadt Santiago de Cuba so erfolgreich, dass man ihn selbst im sozialistischen Kuba als Patrioten feiert.

Die Geschichte der Familie Bacardí ist ein Spiegel der Geschichte Kubas. Daher geht es in diesem Buch nicht nur um die Menschen, die mit innovativen Strategien und Mut zum Risiko ein kleines Familienunternehmen zu einem Global Player machten, oder um die Spannungen, die in einer weltweit verzweigt lebenden Familie immer vorkommen. Es geht auch um das historische und politische Umfeld, in dem die Bacardís groß wurden, und um die Geschichte der Karibikinsel in den vergangenen anderthalb Jahrhunderten.

»Unsere Familiengeschichte hat etwas Märchenhaftes«, sagte vor kurzem ein auf Kuba geborener Aktionär. »Wir haben ein kostbares Erbe zu verteidigen. Ich hoffe, dass das allen Familienmitgliedern klar ist und dass niemand es wagen wird, dieses Erbe ohne Not aufs Spiel zu setzen.«

|12|Es war schwer, die manchmal auseinanderstrebenden Interessen einzelner Gruppierungen in der größer werdenden Familie zu bündeln. Bisher aber siegte letztendlich die Vernunft und die in Krisenzeiten ausgegebene Losung »Denkt an die Wurzeln, denkt an Kuba« brachte zerstrittene Parteien immer wieder an einen Tisch.

Aber es scheint, als sei in Zeiten der Globalisierung kein Platz mehr für derartige Sentimentalitäten: Sie sind ökonomisch irrelevant und mindern den Shareholder Value. Die sechste Generation drängt an die Börse, um sich dort das Geld für immer weitere Zukäufe zu holen. Aber ist die Börse wirklich ein Garant für den bleibenden Erfolg? »Größer heißt nicht besser«, warnen Wirtschaftsanalysten neuerdings. Doch die »Jungen Wilden« der Bacardís sind entschlossen, den Sprung ins Haifischbecken des internationalen Marktes zu wagen: Im Sommer 2004 ist der Börsengang beschlossene Sache.

Wahrscheinlich wird es so kommen, wie es der Ex-Präsident und Architekt des Weltkonzerns Manuel Jorge Cutillas prophezeite: »Wenn wir dieses Unternehmen verlieren, dann verlieren wir unser Erbe und unseren Zusammenhalt als Familie.« Aber vielleicht ist die Geschichte der Bacardí-Dynastie ja doch ein Märchen und alles bleibt gut.

Hamburg, im Februar 2005

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|13|Teil I Die Bacardís auf Kuba

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|15|Spurensicherung : Santiago de Cuba

Das Grunzen eines Schweins riss mich aus wirren Träumen. Alles war schief gegangen bei der Ankunft in Santiago de Cuba. Eine Reisetasche fehlte, der Taxifahrer schien jede Ortskenntnis verloren zu haben und kutschierte mich fast eine Stunde lang durch die brütend heiße Stadt und schließlich war das über Freunde vermittelte Privatquartier – angeblich ein schönes Zimmer mit Zugang zur Dachterrasse – noch nicht frei. Der vorläufige Ersatz erinnerte an eine Mönchszelle: Tisch, Stuhl, ein schmales Bett und ein Marienbild an der Wand. Die Glühbirne an der Decke schamvoll hinter einem selbstgebastelten Schirm aus Packpapier versteckt. Na ja. Viel zu erschöpft, um wütend zu sein, hatte ich mich auf die durchgelegene Matratze geworfen und war umgehend eingeschlafen …

Das Schwein schien ganz in der Nähe untergebracht zu sein und fühlte sich offensichtlich äußerst wohl, denn das Grunzen wollte kein Ende nehmen. Dann begann jemand zu trommeln. Es klang dumpf und unheimlich. Das Schwein quiekte kurz und war fortan nicht mehr zu hören. Eine rituelle Schlachtung? In die dumpfen Klänge der Basstrommel mischten sich nun hellere Töne, schließlich waren es drei Trommeln, die an- und wieder abschwellend in unterschiedlichen Rhythmen bearbeitet wurden. Dann der Gesang einer Stimme, offenbar ein Vorsänger, nach einigen Phrasen antwortete ein Chor. An Schlaf war nun nicht mehr zu denken.

Beim Abendessen erfuhr ich, dass einige Häuser weiter immer freitags Zwiesprache mit Changó und Oggún gehalten würde, mit Odudúa, Elegguá, Osaín und anderen guten und bösen Geistern |16|(den Orishas), die zur Santería gehören, dem Glauben der schwarzen Bevölkerung auf Kuba. Um mit den Orishas sprechen zu können müssten die Gemeindemitglieder zum Rhythmus der heiligen Batá-Trommeln so lange tanzen, bis sie in tranceähnliche Zustände fielen. Erst dann könne der Babalao – der Priester, der die Zeremonie leite – mit den Geistern Kontakt aufnehmen und sie bitten, sich in einem der Gemeindemitglieder zu offenbaren. Auf meine Frage, ob man dabei auch Schweine schlachte, brachen alle in schallendes Gelächter aus. Nein, es würden dabei weder Schweine noch Menschen geschlachtet, aber Rum spiele eine gewisse Rolle. Bei bestimmten Ritualen würde der Babalao seinen Mund mit Rum füllen und ihn dann auf den Altar spritzen. Auch Gemeindemitgliedern sei das erlaubt, um die Götter positiv zu stimmen.

Das Essen zum Klang der Trommeln und Gesänge war überraschend gut, trotz der permanenten Engpässe bei der Fisch- und Fleischversorgung und des notwendigen Bezugsscheins für Grundnahrungsmittel, der so genannten Libreta. Es gab Tufu – das sind pürierte Kochbananen mit gerösteter Schweineschwarte –, außerdem Huhn im Orangensud und als Nachspeise Flan, mein Lieblingsdessert. Gekocht hatte Tío Carlos, der familiäre Glücksfall. Dreimal in der Woche stellte er den Gastgebern sein Talent zur Verfügung. Dann verwandelte sich die Dachterrasse des zweistöckigen Hauses in einen Paladar, ein privates Restaurant mit maximal drei Tischen und zwölf Stühlen, das im Dezember 2000 vom Staat festgesetzte Limit für Privatunternehmer. »Wir sind sehr froh, dass unser Nachbar ein Schwein durchfüttert«, verrät mir Tío Carlos, als er das Tufu serviert, »so haben wir fast immer ein Stück Fleisch in der Tiefkühltruhe.« – »Und er immer ein paar Dollar in der Tasche«, ergänzt Wirtin Ada. Ungläubiges Staunen bei mir. Kubaner zahlen bei Kubanern mit Dollar? »Ja«, sagt Ada, »so ist es nun mal. Du musst schon Dollar in der Tasche haben, um dir Extrawünsche erfüllen zu können. Für Dollar tun die Leute hier alles, fast alles.«

Dieser Satz tat meinen Ohren gut, denn ich war nach Santiago |17|gereist, um Material für ein Radio-Feature über die Familie Bacardí zu sammeln. Ich wollte in der »Perle des Südostens« Menschen finden, die etwas über die Rum-Dynastie wussten, denn hier in Santiago de Cuba war die Firma 1862 gegründet worden und hatte in den kommenden Jahrzehnten einen kometenhaften Aufstieg erlebt. Von hier aus hatte die Familie ihr Rum-Imperium Schritt für Schritt vergrößert bis die Revolutionäre um Fidel Castro auch die Bacardís enteigneten und die Unternehmerfamilie Hals über Kopf die Insel verlassen hatte.

Vielleicht – das war meine Hoffnung – würde ich Menschen finden, die für die Compañía Ron Bacardí gearbeitet hatten, vielleicht auch Freunde der Familie. Sandkastenerinnerungen, Pennälerstreiche, Anekdoten aller Art, so stellte ich mir die Mosaiksteine meiner Rundfunksendung vor. Außerdem hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass es noch den einen oder anderen abtrünnigen Bacardí auf der Insel geben sollte, der die Castro-Revolution weiter unterstützte – vielleicht konnte ich ja einen von ihnen ausfindig machen.

Wo aber sollte ich in Kubas zweitgrößter Stadt mit der Suche beginnen? Im Museum, das Emilio Bacardí y Moreau, der älteste Sohn des Firmengründers, der Stadt geschenkt hatte? In der ehemaligen Fabrik, wo heute die Marke »Caney« produziert wird? Im Palacio de los Pioneros, einer hochherrschaftlichen Villa, in der ein einflussreicher Zweig der Familie gelebt hatte? Im Rum-Museum? Und wer würde bei der Suche behilflich sein?

Meine Gastgeber hatten gleich am ersten Abend abgewinkt, sie wüssten nichts. War das Vorsicht oder echte Unkenntnis? Ich musste also auf den Zufall setzen, denn das kubanische Konsulat in Berlin hatte meine Anfrage nicht beantwortet, ich war ohne Akkreditierung als Journalistin eingereist, sodass mir offizielle Kontakte versperrt blieben. Also streunte ich zunächst ein wenig orientierungslos durch die hügelige Altstadt. Jede Steigung war eine Folter in der schwülwarmen, von Abgasen vernebelten und verpesteten Luft. Dazu dröhnende Motoren von Lastwagen und Bussen, knatternde Motorräder und hupende Autos. Karibisches Feeling? |18|Ungezügelte Sinnlichkeit? Überschäumende Lebensfreude? Fehlanzeige.

Missgelaunt durchstöberte ich Trödelläden – auf der Suche nach Romanen des ersten Firmenpräsidenten Emilio Bacardí y Mazó, denn der soll mehr von Bildender Kunst und Literatur verstanden haben als von Gärungsprozessen und Destilliergängen. Schwitzend besichtigte ich Geburtshäuser von Dichtern und Revolutionären, sah mir die Einschusslöcher in der Moncada-Kaserne an, Symbol für Fidel Castros gescheiterten Putschversuch am 26. Juli 1953, probierte bei Doña Yulla die gepriesene kreolische Küche, trank hin und wieder in der berühmten Cafetería Isabélica einen viel zu süßen Cafécito und bat zweimal vergeblich um Einlass in die ehemalige Rumfabrik der Bacardís. In der Bodega der Fabrik, einem Showroom mit Live-Musik und Che-Guevara-Dekoration, durfte ich den heimischen Rum probieren: den hellen dreijährigen, und den mittelbraunen Añejo. Fragen nach den Vorbesitzern, der Familie Bacardí, waren offenbar Tabu. Niemand hatte etwas zu sagen. Mein Frust nahm von Tag zu Tag zu.

Wohl auch deshalb, weil ich bei meinen ersten Streifzügen durch die Stadt wenig von der afro-kubanisch swingenden Atmosphäre der »Perle des Südostens« entdeckte. Die in Reiseführern gepriesene mitreißende Lebensfreude der überwiegend schwarzen Bevölkerung, ihre selbstlose Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit, das alles blieb mir zunächst verborgen.

Nach zwei Nächten in meiner Mönchszelle war ich nach Vista Alegre umgezogen, dem einst so vornehmen Villenvorort, in dem die Bacardís und andere reiche Familien der Stadt und der Region residiert hatten. Dort ließen nur krähende Hähne darauf schließen, dass hier auch Menschen lebten. Im benachbarten Viertel Sueño saßen abends wenigstens ein paar Domino spielende Männer auf der Straße. Statt karibischer Farbenvielfalt überall salpetergeschwärzte Fassaden und bröckelnder Putz, in der Innenstadt dürftig dekorierte Schaufenster, viele sogar fast leer. Müde, beinahe apathisch warteten die Menschen in langen Schlangen auf den Bus oder |19|eine Mitfahrgelegenheit, oder sie hingen in Trauben vor Geschäften, in denen gerade lang Ersehntes angeboten wurde: Stoffe, Elektroartikel, Kosmetika. Nein, so ganz stimmte das in den Hochglanzprospekten vermittelte Bild von Santiago und seinen charmanten Bewohnern nicht mit dem wirklichen Leben überein, das mir hier täglich begegnete.

Nach knapp einer Woche wandelte sich meine leichte Verstimmung. Allmählich entwickelte ich mein persönliches Wohlfühlritual, und dazu gehörte ein sehr spätes Frühstück im dekorativ renovierten Hotel Casa Granda, in dem die Bacardís vor der Revolution regelmäßig verkehrt hatten. Von der Terrasse im Hochparterre hat man einen schönen Blick auf das Herz Santiagos, den Parque Céspedes, vom Dachgarten einen noch schöneren über Santiago baja, die zum Meer hin abfallende Altstadt und die gesamte Bay. Der Parque Céspedes ist kein richtiger Park, nur ein begrünter Platz mit Bänken unter Palmen, einem Musikpavillon, schmiedeeisernen Laternen und lauschigen Ecken zwischen beschnittenen Büschen. Ein Platz mit Geschichte. Hier kapitulierten am 17. Juli 1898 die Spanier vor den Vereinigten Staaten von Amerika. Vor dem Ayuntamiento, dem Rathaus, wurde die spanische Fahne eingezogen und durch die amerikanische ersetzt. Am Tag zuvor hatten die Truppen um General Toral auf den Hügeln vor der Stadt ihr letztes Gefecht gegen die Amerikaner verloren. Ins Rathaus zog nun Leonhard Wood als Generalgouverneur der Provinz Oriente ein. Er blieb zwei Jahre und wurde dann nach Havanna abberufen. Zu seinen Vertrauten zählte unter anderem Emilio Bacardí y Moreau, der sich zwei Jahrzehnte lang aktiv am Unabhängigkeitskampf der Kubaner beteiligt hatte. Im gleichen Rathaus feierte Fidel Castro am 1. Januar 1959 den Sieg der Revolution. Auf dem hölzernen Balkon des schmucken, weiß und blau getünchten Hauses hatte er bei seiner ersten Rede an das Volk gestanden, stolz und glücklich über das erfolgreiche Ende seines langen Kampfes gegen die Diktatur des korrupten Fulgencio Batista.

Und noch ein Gebäude darf nicht unerwähnt bleiben, wenn von |20|Historie die Rede ist. An der Westseite des Platzes hatte sich der spanische Eroberer Diego Velázquez 1514 ein Haus bauen lassen, in dem er bis zu seinem Tod lebte. Heute ist in der Casa Diego Velázquez, dem ältesten Gebäude aus der Kolonialzeit, ein Museum untergebracht. Nicht ganz so alt ist die Kathedrale an der Südseite des Platzes. Sie wurde erst 1922 vollendet, steht allerdings an historischem Ort, denn schon 1516 hatte Velázquez an gleicher Stelle eine Holzkirche bauen lassen. Das erste repräsentative Gotteshaus der Insel wurde durch einen Brand vernichtet und auch Nachfolgebauten wurden durch Brand oder Erdbeben zerstört. In der heutigen Catedral de Nuestra Señora de la Asunción beeindruckt innen nur das geschnitzte Chorgestühl aus der Gründerzeit. Auch die Fassade der Kathedrale bietet keine bestaunenswerten baulichen Extravaganzen, allein der überlebensgroße, zwischen die Zwillingstürme gesetzte Engel ist ein anrührender Blickfang. Ein schneller Blick nach oben reichte mir oft aus, um kleine Anfälle von Niedergeschlagenheit und Erschöpfung abzuschütteln.

Im Parque Céspedes scheint das Leben nach anderen Gesetzen zu verlaufen. Man hat Zeit für Küsse und kleine Tauschgeschäfte, Banknoten wechseln den Besitzer, es wird Zeitung gelesen und Eis geschleckt. Hübsche Mulattinnen albern juchzend herum, als wollten sie die Aufmerksamkeit der biertrinkenden Männer auf der Terrasse des Hotels auf sich lenken. Musik liegt in der Luft. Ein junger Schwarzer bearbeitet eine Conga. Maracas rasseln. Ein blinder Verkäufer schüttelt die mit Körnern gefüllten kleinen Kürbisse so hingebungsvoll, als handele es sich um einen Soloauftritt im Buena Vista Social Club. Im Pavillon stimmen Mitglieder des »Orquesta Típica Tradicional« ihre Instrumente; mit Son-Rhythmen sorgen sie dreimal in der Woche schon vormittags für gute Laune bei Passanten und den Gästen des Casa Granda.

Einen Steinwurf vom Park entfernt herrscht in der Casa de la Trova um die Mittagszeit bereits Fiesta-Stimmung. Ab halb zwölf werden dort Lieder im »alten Stil« vorgetragen, vor allem sehnsüchtige Boleros. Und wenn der Son in die Beine fährt, dann wird |21|auch getanzt. Das heißt: Eigentlich wird immer getanzt, denn wie man hier sagt, »die kubanische Musik versteht man mit den Füßen, man muss sie erst tanzen und dann hören«. Die Männer mit tief eingegrabenen Falten und großen schwieligen Händen, die sich um die Mittagszeit hier aufhalten, hält es nicht lange auf den Stühlen. Ihre Partnerinnen sind die »amas de casa«, Hausfrauen mit reichlich Speck auf den Hüften, aber ziemlich flinken Füßen, die zwischen Einkauf und Mittagessen rasch das Tanzbein schwingen. Und wie diese alten Paare tanzen, wie sie die Minuten zu zweit auskosten, wie sie mitsingen, sich leichtfüßig drehen, Wange an Wange, und wie sie dann auf die Stühle sinken und sich mit einem Taschentuch Luft zufächeln, dabei glücklich und gelöst lächeln – ein Anblick, auf den ich mich täglich gefreut habe.

Natürlich musste ich mich ab und zu von einem agilen Alten herumwirbeln lassen, aber meine Unfähigkeit, dem Rhythmus zu folgen, machte mir schwer zu schaffen. Meine Partner spendeten Trost und nahmen die Einladung zu einem Rum an der Bar hocherfreut an. Aber auch nach dem zweiten »Trago« blieben die Erinnerungen an die Firma Bacardí verschwommen. Kein Tänzer konnte etwas Brauchbares für meine Materialsammlung beisteuern, nur einer äußerte sich unmissverständlich: »Sie sollen ihre Angestellten gut behandelt haben, diese Bacardís. Aber auch sie haben das Volk ausgebeutet. Hoffentlich kommen sie nie zurück. Und so gut wie unser Rum hier auf Kuba kann der kapitalistische gar nicht schmecken.«

Sehr weit brachten mich meine Gespräche beim mittäglichen Tanz also nicht. Dennoch sah die Bilanz meiner Kontakte nach drei Wochen Santiago gar nicht so schlecht aus. Gefunden hatte ich zwei Historiker, die mir viel über Emilio Bacardí y Moreau erzählen konnten, den ersten Präsidenten der Firma. Außerdem hatte ich mit drei ehemaligen Angestellten der Compañía Ron Bacardí gesprochen und den Direktor des Rum-Museums getroffen, der mit geheimnisvoller Miene die Geschichte der Entführung eines Bacardí-Sprösslings preisgab. Sie alle versicherten glaubwürdig, dass es |22|keinen echten Bacardí in Santiago gebe, auch nicht in Havanna oder sonst wo auf der Insel.

Ich tröstete mich mit einem Besuch der Toten auf dem Friedhof Santa Ifigenia. Am Grabmal von Don Emilio nahm ich Abschied von meinem in Deutschland voreilig geäußerten Satz, diese Familiengeschichte schriebe sich von allein. Den Friedhofsgärtnern, die sich zu viert im Schatten eines riesigen Ceiba-Baumes eine Pause gönnten, bot ich einen Schluck Havana Club aus dem Dollarshop an, den ich für alle Fälle immer im Rucksack hatte. Die Arbeiter musterten mich misstrauisch, steckten mir dann aber Blechtassen und Plastikbecher entgegen. Und dann tranken wir, das Mausoleum des Unabhängigkeitskämpfers und Dichters José Martí vor Augen, auf Kuba, die Freiheit und auf alle für die Unabhängigkeit gefallenen Compañeros.

»Gibt es hier eigentlich Fledermäuse?«

Meine Frage wurde mit Gelächter beantwortet. »Und ob, Señora, Unmengen. Sie können ja bis zum Abend bleiben, und wenn Sie ein paar Flaschen Rum spendieren, kommen wir wieder und feiern eine Fledermaus-Fiesta.«

»Etwa am Grab von Emilio Bacardí?«

»Warum nicht? Der wird nichts dagegen haben. Er ist schließlich reich geworden durch den Rum.«

Recht hatten sie. Aber im Leben von Don Emilio hatte sich nicht alles um den Rum gedreht: Der älteste Sohn des Firmengründers war ein politisch hellwacher Kopf, der zur Zeit der Unabhängigkeitskriege unter Lebensgefahr gegen das Mutterland Spanien gekämpft hatte. Später hatte er als erster frei gewählter Bürgermeister Santiagos Straßen und Schulen bauen lassen, neue Abwassersysteme installiert und der Stadt ein Museum geschenkt. Emilio Bacardí y Moreau – das behaupten kubanische Historiker – war ein Glücksfall für Santiago de Cuba. Über allem und allen aber schwebt bis heute der Name seines Vaters, Facundo Bacardí y Mazó. Er erfand die Formel für den weißen Rum, der die Bacardís reich und weltberühmt machen sollte.

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|23|1. »Auf nach Kuba!«

Ein Spirituosenhändler aus Katalonien

Im Bacardí-Museum in Miami hängt ein Porträt vom »alten Facundo«, Facundo Bacardí y Mazó, dem Gründer der Brennerei Bacardí y Bouteiller. Man begegnet diesem Porträt immer wieder: in den Büros der Familienangehörigen, in Werbetexten und Informationsbroschüren. Es zeigt ein strenges Gesicht mit einem schmerzlichen Zug um den Mund. Die Lippen sind schmal, sehr schmal, die Nase lang und gerade. Eine hohe Stirn über sehr feinen Augenbrauen. Auch eine tiefe Falte über der Nasenwurzel. Die Haare glatt und nach hinten gekämmt. Ein aufrechter Mann, denkt der Betrachter, ein Mensch mit Prinzipien, vielleicht ein Dickkopf. Einer, der es sich nicht leicht gemacht hat im Leben, der immer Haltung bewahrte und sich nie duckte. So wollte man ihn offenbar in der Familie sehen, denn Don Facundo hat für dieses Bild nicht Modell gesessen. Es wurde erst zwei Generationen nach seinem Tod angefertigt, in Auftrag gegeben von José Pepín Bosch, dem Schwiegersohn von Facundos Tochter Amalia und Präsident des Unternehmens von 1951 bis 1976.

In der Familie heißt es, Don Facundo sei ein Mann mit Visionen gewesen. Hartnäckig habe er sich in seine Ideen verbissen, unermüdlich an der Umsetzung gearbeitet. Er galt als zuverlässig und sparsam und soll ein Schweiger gewesen sein – ein Katalane eben. Die Menschen aus der Region um Barcelona, die oft als die Schweizer Spaniens beschrieben werden, gelten gemeinhin nicht als extrovertierte Schwadroneure, die Landbevölkerung schon gar nicht. Und Don Facundo Bacardí y Mazó kam vom Land. 1814 wurde er |24|in Sitges, nur wenige Kilometer von Barcelona entfernt, als drittes Kind eines Krämers geboren. Acht Kinder waren es zuletzt, die ernährt werden mussten. Man kann sich vorstellen, wie groß die Sehnsucht der Heranwachsenden nach einem besseren Leben gewesen sein muss.

Die Älteren zog es bald hinaus in die Welt. Die Kolonien, aus denen manch Ausgewanderter reich zurückgekehrt war, lockten noch immer, obwohl sich das spanische Imperium seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Auflösung befand. Animiert von den Ideen der Französischen Revolution und dem Sturz der Bourbonen im spanischen Mutterland durch Napoleon im Jahr 1808, hatte in Übersee die kreolische Oberschicht begonnen, an der Herrschaft der Spanier zu rütteln. Unter der Führung von Simón Bolívar hatte 1810 im heutigen Kolumbien der Kampf um die Unabhängigkeit begonnen und sich bald auf die späteren Staaten Peru, Bolivien, Venezuela und Ecuador ausgedehnt. Nach dem Sieg von Bolívars Truppen war 1819 die Republik Großkolumbien ausgerufen worden. In Mexiko hatten die Kämpfe 1822 zur Gründung einer von Spanien unabhängigen Monarchie geführt. Auf Kuba dagegen, wohin Facundo Bacardí y Mazó sich wenden sollte, blieb es ruhig, der Ruf nach Unabhängigkeit wurde vorerst nur hinter verschlossenen Türen laut.

»Hacerse América« – Auf nach Kuba!

Als Ferdinand VII. nach dem Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich im Jahr 1814 auf den spanischen Thron zurückkehrte, tat er alles, um das reiche Kuba als Kolonie zu erhalten. Er ermöglichte 1818 den absoluten Freihandel, den Sklavenhandel eingeschlossen, der zu diesem Zeitpunkt bereits international verboten war. Dies war zweifellos ein Geschenk an den kreolischen Geldadel, der dringend Arbeitskräfte für die Zuckerplantagen brauchte. Die »criollos« |25|wussten das Entgegenkommen zu schätzen. Mit erheblichen Geldsummen unterstützten sie fortan die spanischen Rückeroberungsversuche auf dem Kontinent. Der König verlieh der Insel daher das Prädikat »la siempre fiel Isla de Cuba«, und dieses immer treue Kuba wurde zwischen 1825 und 1837 zur festen Kolonialbastion und Kronkolonie des spanischen Restimperiums. Statt sich allmählich abzulösen, geriet Kuba immer mehr in den Sog der spanischen Interessen. Je besser es der Wirtschaft auf der Insel ging, desto höher waren die Steuereinnahmen des Mutterlandes.

Und es ging auf Kuba mächtig voran, dank der wachsenden Nachfrage nach Zucker und dank der chaotischen wirtschaftlichen Verhältnisse auf Haiti. Die Nachbarinsel hatte vor dem Sklavenaufstand 1791 die halbe Welt mit Zucker und Kaffee versorgt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts näherte sich die Produktion der Nullgrenze. Nun war Kuba der bedeutendste Zuckerproduzent der Welt. In ihrer Geschichte Kubas schreiben Michael und Max Zeuske: »Das süße Kolonialprodukt war in seinem Marktwert und wegen der steigenden Massennachfrage noch immer viel wichtiger und wurde von den Konsumenten höher bewertet als die Manufaktur-, Industrie- und Handelsprodukte Europas, obwohl denen die Zukunft gehörte. Die Bevölkerung lebte – im Vergleich zum Lebensstandard der europäischen Industrialisierungsregionen oder den neuen republikanischen Staaten auf dem Kontinent – in relativ guten Verhältnissen. Nicht zu Unrecht verwiesen spanische Funktionäre und auch die Kreolen um 1825 mit Stolz auf den Aufschwung Kubas und verglichen die ›Ruhe und Prosperität‹ des insularen Restimperiums mit dem ›Chaos der Freiheit‹ in den ehemaligen Kolonien Spaniens auf dem amerikanischen Kontinent.«1

Für arme Schlucker in Europa und erst recht für die bettelarme Landbevölkerung Spaniens lag es nahe, nach Kuba auszuwandern. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wagten allerdings erstaunlich wenige den Sprung auf die Insel. Laut Alexander von Humboldt sollen es im Jahr 1819 nur insgesamt 1702 »Individuen« gewesen sein, darunter vor allem Spanier, Franzosen, Iren und Engländer.2 Aber |26|schon ein Jahrzehnt später machten sich die Armen in Scharen auf, um in der »reichsten Kolonie auf dem Globus« Arbeit zu suchen. Vor allem Bauern und Handwerker ließ die spanische Krone gerne ausreisen, sie sollten als demografisches Gegengewicht die gefürchtete »Einschwarzung« der Bevölkerung auf Kuba verhindern und die fast menschenleere Südküste sowie das Landesinnere der Insel besiedeln. »Hacerse América« lautete die Parole: »Machen wir unser Glück in Amerika«.

Ähnlich dachte offenbar auch der spanische Geldadel und das Handwerk. Baskische Metallproduzenten, katalanische Textilimporteure, andalusische und kastilische Handelshäuser belieferten den kubanischen Markt, denn mit wachsendem Wohlstand nahm der Wunsch der Inselbewohner nach europäischen Waren zu. »Kuba blieb für bestimmte spanische Unternehmer ein ›reservierter Markt‹, auf dem Riesengewinne zu machen waren«, konstatieren die Historiker Michael und Max Zeuske in ihrem umfangreichen Werk über die Kolonialgeschichte Kubas. »Der Mehlhandel eines Marquéz de Manzanedo, die andalusischen Weine der Familie Zulueta, die Textilien der Familie Güell und die Transportgewinne des Marquéz de Comillas bildeten Elemente eines gigantischen Kolonialgeschäftes, das im Laufe der Jahre zur Herausbildung einer neuen hispanokubanischen Elite führte.«3

Facundo Bacardí y Mazó ist 16, als er 1830 gemeinsam mit seinen beiden älteren Brüdern Juan und Magín nach Kuba auswandert. Wie alle europäischen Immigranten wollen die jungen Katalanen hart arbeiten, viel Geld verdienen und möglichst schnell wieder in die Heimat zurückkehren. In Santiago de Cuba eröffnen Juan und Magín einen Kurzwarenladen, in dem sie Dinge des täglichen Gebrauchs verkaufen: Pökelfleisch, Seife, Eisenwaren, Papier, Getreidemehl. Der jüngere Bruder Facundo hilft im Laden und im Lager. Doch das Geschäft läuft schlechter als erwartet, und 1840 kehren die beiden älteren Brüder gescheitert und enttäuscht nach Katalonien zurück. Facundo dagegen bleibt auf Kuba und eröffnet auf eigene Faust einen Wein- und Spirituosenhandel. Die Familie behauptet |27|heute, es seien nur »feine Sachen« gewesen, mit denen Facundo gehandelt hätte. Gut möglich, trotzdem bleibt auch für ihn der geschäftliche Erfolg zunächst aus.

Das lag gewiss nicht am Standort. Anders als Havanna gehörte Santiago de Cuba zwar nicht zu den ersten Handelsplätzen der Welt, aber es gab exzellente Verbindungen nach Venezuela, Mexiko und zu den benachbarten Antilleninseln. Santiago zehrte noch immer vom Glanz der frühen Kolonialzeit. Vom spanischen Eroberer Diego Velazquez de Cuellar 1515 gegründet, wurde die Siedlung kurz danach Verwaltungszentrum für den Südosten der Insel und 1522 Bischofssitz. Mit dieser Auszeichnung war der Bau einer prächtigen Kathedrale verknüpft. Gouverneur Velazquez lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1524 in seiner gut befestigten Villa, die noch heute zu den Kulturdenkmälern Kubas gehört. Nach dieser frühen Blüte passierte jedoch lange Zeit sehr wenig. Im 17. und 18. Jahrhundert verdiente die kreolische Oberschicht ihr Geld mit Viehzucht und Schmuggel – und dem, was Piraten von ihren Raubzügen mit nach Hause brachten. Vor den Küsten der englischen und französischen Kolonien ließ sich reichlich Beute machen. Als einmal Piraten aus Santiago de Cuba vor den Bahamas besonders erfolgreich operierten, lobte der spanische König die Stadt als »treu und edel«, ein Prädikat, das die Bürger mit Stolz erfüllte. Für das Selbstbewusstsein der alteingesessenen Santiagueros war es ein Geschenk, dass 1803 ihre Stadt zum Erzbistum erklärt wurde. Als im gleichen Jahr, nach dem Verkauf von Louisiana an die USA, französische Flüchtlinge aus New Orleans in Santiago landeten und nach der verlorenen Schlacht von Waterloo am 18. Juni 1815 weitere Franzosen aus Europa die frankophile Kolonie verstärkten, entwickelte sich in der Hafenstadt mit ihren insgesamt 26 000 weißen Einwohnern ein anregendes multikulturelles Flair. Dazu trugen auch die rund 10 000 farbigen Freien unter den Einwohnern und die 7 500 schwarzen Sklaven mit ihren aus Afrika stammenden Kulten und Ritualen bei.

Vielleicht war es diese Mischung aus spanischer Tradition, |28|schwarzer Magie und französischer Kultur, die Santiago in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Ausgangspunkt und Zentrum revolutionärer Bewegungen machte. Die schönen Künste wurden in jeder Form gepflegt, es gab ein Opernhaus und zwei Theater, literarische und philosophische Zirkel entstanden, und politisch schien alles möglich, selbst die Unabhängigkeit vom Mutterland Spanien.

Aber Facundo Bacardí y Mazó war nicht der Mann, der sich von Politik elektrisieren ließ. Ihm ging es zunächst um das Überleben seines Geschäfts und die Gründung einer Familie. Am 5. August 1843 heiratete Don Facundo die 21-jährige Amalia Lucia Victoria Moreau. Bilder Amalias zeigen ein weiches Gesicht, eher großflächig als fein, ausdrucksstarke wache Augen, eine niedrige Stirn. Das volle schwarze Haar ist in einem Knoten zusammengehalten. Amalia ist französischer Abstammung und kommt aus wohlhabenden Verhältnissen. Ihre Vorfahren gehörten zur Oberschicht auf der Nachbarinsel Santo Domingo. Vielleicht fiel es ihr deshalb so leicht, großzügig zu sein – anders als ihrem Mann, der jeden Peso zweimal umdrehte. Amalia war eine kluge Frau, die das Berufsleben ihres Mannes mit Anteilnahme verfolgte. Der kubanische Bacardí-Chronist Nicolás Torres Hurtado schreibt, Facundo habe es vor allem ihr zu verdanken, dass sein Spirituosenhandel in den Anfangsjahren überlebte. Als nach einem Erdbeben im Dezember 1852 Teile Santiagos zerstört worden waren und das ohnehin schleppende Geschäft völlig zum Erliegen kam, lieh sie ihm 10 000 Pesos, die sie von ihrem Großvater Benjamin Moreau geerbt hatte. Wohlgemerkt, sie lieh ihm das Geld und stellte einen Schuldschein aus, der bis heute erhalten ist.4

Amalia war nicht nur eine begabte Geschäftsfrau, sondern auch eine gute Mutter. Ihre sechs Kinder kamen zur Welt wie die Orgelpfeifen: 1844 Emilio, 1846 Juan, der nur sechs Jahre alt wurde, 1848 Facundo Miguel, 1851 Maria Magdalena, die ebenfalls früh starb, 1854 José und 1861 Amalia Lucía.

Amalias Darlehen stopfte offenbar nur kurzfristig ein Loch. Don |29|Facundo litt auch in den kommenden Jahren weiter unter Finanznöten, die ständig wachsende Familie ernährte sich mehr schlecht als recht. Der Handel mit Wein und Spirituosen warf nicht allzu viel ab, allein die Produzenten konnten mit lohnenden Gewinnspannen rechnen.

»Bacardí y Bouteiller« – Rumproduktion im Zeichen der Fledermaus

Eine unverhoffte Erbschaft wendete das Blatt für die Bacardís. Die Glücksfee hieß Clara Astié, sie war die Taufpatin von Facundos ältestem Sohn Emilio. Ihre Ehe mit dem Katalanen Daniel Arabitq y Parellada blieb kinderlos, und als sie 1859 starb, erbte der junge Emilio 10 000 Pesos. Weitere 10 000 Pesos gingen an Amalia und die übrigen Kinder. Viel Geld war das nicht, doch nun verfügte Don Facundo über Kapital. Und als zu Beginn der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts sein Freund John Nunes mit seiner Brennerei pleite ging, nutzte er die Gelegenheit und kaufte dessen Anlage. Partner wurden José León Bouteiller, selbst Bankrotteur, der aus seinem früheren Betrieb einige Sachwerte und das nötige Know-how beisteuerte, und Bruder José, der 3 000 Pesos (etwa 3 000 Dollar) zur Verfügung stellte. Am 2. Juni 1862 wurde die Gesellschaft Bacardí-Bouteiller in das Handelsregister eingetragen. José Facundo y Mazó wurde als Hauptteilhaber geführt, José Bouteiller war zweiter Teilhaber, Facundo spielte zunächst eine untergeordnete Rolle, aber er war ehrgeizig. Sein erklärtes Ziel war es, die auf der Insel gängige Rumqualität zu verbessern. Er wollte einen besonderen Rum herstellen, ein Getränk für den gehobenen Geschmack. Sein Rum sollte nicht dem billigen Fusel ähneln, den die Seeleute seit über zwei Jahrhunderten tranken. Er wollte ihn milder machen, sanfter im Geschmack. Sein Rum sollte spanischem Brandy und französischem Cognac ähneln, die damals in feinen Kreisen getrunken wurden.

|30|Kubanische Historiker verweisen heute gerne darauf, dass der Grundstein für den Weltkonzern Bacardí unter anderem mit dem Geld einer farbigen Santiaguera gelegt wurde. Es schwingt bei dieser Feststellung keine Häme mit, sondern eher Bewunderung für die liberale Grundhaltung Don Facundos und seiner Frau. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war es nämlich durchaus ungewöhnlich, dass eine Farbige den Sohn eines weißen Immigranten über das Taufbecken halten durfte. Die Klassen Weiß, Farbig und Schwarz lebten im Allgemeinen streng voneinander getrennt, Mischehen wurden von der Kirche nicht gerne gesehen. Die enge Verbindung zwischen Clara Astié und dem Ehepaar Bacardí lässt sich indes mit gemeinsamen Wurzeln erklären. Astiés Vorfahren kamen, ebenso wie Doña Amalias Großeltern, aus Santo Domingo und Daniel Arabitq war, wie Facundo Bacardí, in Sitges zur Schule gegangen. Interessant ist, dass die Taufbescheinigung von Emilio Bacardí y Moreau verschwunden ist, die entscheidende Seite wurde aus dem Kirchenbuch der Gemeinde herausgerissen. Es ist durchaus denkbar, dass die farbige Patin ein Grund für die fehlende Seite im Taufregister ist.

Don Facundo ging auf die Fünfzig zu, als seine Brennerei den Betrieb aufnahm. Während er in der Calle Matadero mit seinen Experimenten zur Verbesserung der Rumqualität begann, war auf der Insel die Revolution der Zuckerproduktion in vollem Gange. Schon seit den zwanziger und dreißiger Jahren waren in den Zuckermühlen viele technische Neuerungen eingeführt worden, unter anderem wurden jetzt Dampfmaschinen zum Antrieb der Mühlen eingesetzt. »Jetzt ging es, im Konkurrenzkampf mit der europäischen Zuckerrübenindustrie, vor allem um eine Verbesserung der Zuckerqualität. Von der Grundlagenforschung des 1848 gegründeten Institutes für chemische Forschungen erhoffte man sich Fortschritte bei der ›Kunst, Zucker zu machen‹ (el arte de hacer azucar) und auch die 1860 in Havanna gegründete Akademie der medizinischen, physischen und Naturwissenschaften hatte die Aufgabe, etwas zur Ertrags- und Qualitätssteigerung der Zuckerproduktion |31|beizutragen«, so beschreiben Zeuske/Zeuske die damalige Umbruchsituation. »Das Industriezeitalter mit seinem Glauben an den Fortschritt durch technische Modernisierung hatte nun auch Kuba erreicht. In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts übernahmen vor allem Kaufleute die Rolle der ›technischen Avantgarde.‹«5

Zu dieser Avantgarde gehörte auch Don Facundo Bacardí y Mazó. Angesichts der Entwicklungen in der Zuckerproduktion stellte er sich die Frage, ob nicht auch beim Zuckernebenprodukt Rum mit neuen Produktionsmethoden eine deutliche Qualitätssteigerung möglich wäre. Kubanisches Zuckerrohr war zwar exzellent, doch der Rum reichte gerade für den Hausgebrauch und spielte aufgrund seiner minderen Qualität auf dem Weltmarkt keine Rolle. International gefragt war Rum aus Jamaika und Guayana.

Seit Beginn des 17. Jahrhunderts wurde auf den Inseln der Karibik Rum getrunken. Holländische Siedler auf Aruba waren zum ersten Mal auf die Idee gekommen, die Melasse aus dem Zuckerrohr mit Wasser und Hefe gären zu lassen. Im Verlauf dieses Gärungsprozesses, der damals mehrere Tage dauerte, verwandelte sich der Zuckersirup in hochprozentigen Alkohol. Das Verfahren setzte sich schnell durch, und in kürzester Zeit hatte jede Insel und jedes Zucker produzierende Land in Mittel- und Südamerika seine eigene Sorte. Es waren englische Seeleute, die dem scharfen Schnaps den Namen »Rum« gaben. Bei der Eroberung Jamaikas im Jahr 1655 hatten sie den »rumbouillon« kennen gelernt und schon bald darauf gehörte der Brand als unerlässlicher Stimmungsaufheller der Mannschaft zur Grundausstattung auf den Schiffen der Royal Navy. Die Seeleute erhielten täglich ein Pint, also gut einen halben Liter. Mit dem hochprozentigen Fusel im Blut, so hatte die Admiralität beobachtet, stieg der Mut der Soldaten bei Einsätzen bis hin zur Tollkühnheit. Außerdem immunisierte der täglich verabreichte Alkohol gegen Infektionen. Als im Jahr 1740 Admiral Edward Vernon aufgrund von Rumknappheit auf die Idee kam, die tägliche Ration zu reduzieren und anordnete, den hochprozentigen Schnaps |32|mit heißem Wasser oder Limettensaft zu verlängern und mit Zucker zu würzen, da hätte es fast einen Aufruhr gegeben. Aber die Mannschaften gewöhnten sich schnell an das süffige Getränk, das sie »Grog« nannten, abgeleitet von »Old Grogram«, dem Spitznamen des Admirals.

Die Vielfalt der Destilliermethoden und Rezepturen war groß. Mal wurden dem Alkohol Blätter oder Baumrinden zugesetzt, mal Gewürze wie Vanille oder Nelken. Die Produzenten hielten ihre Rezepte strengstens geheim, und bei der Familie Bacardí ist das nicht anders: Die Formel, die Don Facundo schließlich für den Bacardí Rum entwickelte, sei bis heute gleich geblieben, heißt es, das Rezept werde von Generation zu Generation nur an wenige ausgewählte Familienmitglieder weitergegeben.

Die Rum-Revolution – Erfolg mit »Carta Blanca Superior«

Don Facundo erkannte bald, dass die erste Voraussetzung für die Qualität des Rums in der Qualität des Rohstoffes lag. Ähnlich wie beim Wein beeinflussen das Herkunftsland, die Lage des Anbaugebietes, die Bodenbeschaffenheit und das Klima den Geschmack des Rums. Fachleute behaupten, schon am Duft der Melasse lasse sich der »Kern« des späteren Rums erkennen. Auch auf das zugesetzte Wasser sowie die für den Gärungsprozess notwendige Hefe legte Facundo von Beginn an größten Wert. Die von ihm gezüchteten Hefekulturen sind angeblich bis heute Bestandteil des geheimen Familienrezeptes. Eine bahnbrechende Neuerung war jedoch das von Don Facundo entwickelte Destillationsverfahren: Mithilfe von Holzkohlebefeuerung wurden in zwei Gängen die unreinen Anteile aus dem vergorenen Sud herausgefiltert. Das Verfahren war zeitraubend, doch das Ergebnis rechtfertigte die Anstrengungen, denn das neue Destillat war klarer und milder.

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