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«‹Die Bakchen (Pussy Riot)› ist ein moderner Text, unter dessen Oberfläche das Raunen alter Zeiten zu vernehmen ist. Es sind immerwährende Themen: Glauben und Wahn, Freiheit und Gewalt, Eros und Macht, Führung und Verführung. Und stets konvergieren das Politische und das Private … Euripides' Tragödie wird metaphorisch in die Gegenwart geholt. Das Chaos brodelt hier nur unter der Oberfläche, es bricht nie komplett aus. Vieles wird nur angedeutet oder stark verfremdet, und gerade diese Abstraktion macht die beklemmende Brutalität des Textes aus.» (Südwest Presse)
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Seitenzahl: 46
Veröffentlichungsjahr: 2016
John von Düffel
Die Bakchen (Pussy Riot)
nach Euripides
Interlinear-Übersetzung und Quellen: Gregor Schreiner
Ihr Verlagsname
«‹Die Bakchen (Pussy Riot)›» ist ein moderner Text, unter dessen Oberfläche das Raunen alter Zeiten zu vernehmen ist. Es sind immerwährende Themen: Glauben und Wahn, Freiheit und Gewalt, Eros und Macht, Führung und Verführung. Und stets konvergieren das Politische und das Private … Euripides’ Tragödie wird metaphorisch in die Gegenwart geholt. Das Chaos brodelt hier nur unter der Oberfläche, es bricht nie komplett aus. Vieles wird nur angedeutet oder stark verfremdet, und gerade diese Abstraktion macht die beklemmende Brutalität des Textes aus.» (Südwest Presse)
John von Düffel, geboren 1966 in Göttingen, arbeitet als Autor und Dramaturg und lehrt zudem an der Universität der Künste, Berlin. Er hat Romane, Essays, Übersetzungen und Bearbeitungen veröffentlicht. Für seinen Debütroman «Vom Wasser» (1998) wurde er u.a. ausgezeichnet mit dem Aspekte-Literaturpreis des ZDF, dem Ernst-Willner-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt sowie dem Mara-Cassens-Preis des Literaturhauses Hamburg. Für seinen Roman «Houwelandt» (2004) erhielt er den Nicolas-Born-Preis des Landes Niedersachsen. Zu seinen Stücken und Bearbeitungen zählen «Buddenbrooks» nach Thomas Mann (2005), «Traumjobs» (2009) und «Alle sechzehn Jahre im Sommer» (2012).
DIONYSOS
PENTHEUS, Herrscher von Theben
KADMOS, Gründervater von Theben
THERESIAS, der blinde Seher
AGAUE, Mutter von Pentheus, Tochter von Kadmos
AUTONOE, ihre Schwester
INO, die jüngste Schwester
Pentheus, Kadmos.
PENTHEUS
Die Herrschaft, Kadmos, die du mir verliehen,
Leg ich ein letztes Mal zurück in deine Hände
Für die Dauer meiner Reise. Beschirme Theben
Und halte Unheil von den sieben Toren fern
Der Mauer, die uns schützt und diese Stadt
Zu einer Burg macht inmitten von Barbaren.
Wachsam sei und unnachgiebig, so wie einst,
Als du den Drachen schlugst und seine Zähne
In die Erde pflanztest, dass dir Krieger wuchsen,
Um mit den «Gesäten» zu gründen und zu sichern
Unser Theben.
KADMOS
Einen Krieger willst du und rufst mich?
PENTHEUS
Niemand vertrau ich mehr als dir:
Vater dieser Stadt, Vater meiner Mutter.
Thebens Aufstieg war dein Werk,
Meins ist es, das Erreichte zu verteidigen
Gegen den Hunger draußen
Sowie die inn’re Schwäche, die Zufriedenheit
Und was ihr folgt: Erschöpfung, Überdruss.
KADMOS
Sind das die Feinde, die du fürchtest?
PENTHEUS
Der schlimmste Feind ist die Gefahr,
Dass wir die Festigkeit verlieren, die uns groß gemacht.
KADMOS
Pentheus, mein Junge,
Wie lang hab ich auf dich gewartet, einen Sohn,
Doch wurden mir vier Töchter nur geboren,
Und ein Menschenleben ging vorbei,
Bis du kamst, Sohn Agaues. Oft staune ich,
Wie gar nicht jung du bist, wie weise,
Als sei die Wartezeit in deine Seele eingekerbt.
PENTHEUS
Ich bin nur klar. Und kämpferisch
Wie die Gesäten einst.
KADMOS
Noch keinem König fiel der Abschied von der Macht
So leicht wie mir.
PENTHEUS
Und doch steht unser Thron nicht sicher.
Aus Lydien, Phrygien, über persisches Gebiet,
Arabien und Asiens Küste,
Wo Griechen- und Barbaren-Volk sich mischt,
Soll auf dem Weg zu uns ein Fremder sein,
Ein Schönling, zart, mit hübschen Locken,
Gefolgt von einer wilden, aufbrausenden Schar,
Die großen Zulauf hat unter den Weibern!
KADMOS
Hast du vor Weibern Angst?
PENTHEUS
Nicht Frauen nur verführt er, ganze Städte!
Überzieht sie mit Gelagen, Orgien,
Versetzt das Volk in Raserei
Und macht es unregierbar.
KADMOS
Nicht bei uns.
PENTHEUS
Doch Theben scheint sein Ziel.
Es heißt, er sei Semeles Sohn.
KADMOS
Semeles Sohn?
PENTHEUS
Sohn deiner Unglückstochter, die,
Obwohl sie nicht mehr ist, uns schadet.
KADMOS
Rühr nicht an diesen Schmerz.
PENTHEUS
So lang schon tot, gibt sie doch keine Ruhe,
Nicht unter ihren Schwestern, nicht
Im Königshaus. Ihr Grab ein Ärgernis,
Wo Kult und Aberglaube sich verschwören,
Und jetzt dieser Scharlatan,
Der sich ein Recht anmaßt auf unsern Thron!
KADMOS
Lass mich aus dieser Sache, bleib du hier.
PENTHEUS
Kadmos! Ich muss nach Delphi
Und den Fremden mit einem Orakelspruch,
Mit Götterwort zum Schweigen bringen,
Eh er seine Lügen überall im Land verbreitet
Und die seiner Mutter – «Mutter»!
Wenn nicht auch das gelogen ist.
KADMOS
Semele trug ein Kind im Leib bei ihrem Tod.
PENTHEUS
Selbst wenn.
KADMOS
Sie trug ein Kind in ihrem Leib,
Einen Sohn, vielleicht.
PENTHEUS
Der Blitz erschlug sie und das Ungeborne
Zur Strafe, weil sie Zeus zum Vorwand nahm,
Um eine Liebschaft zu verbergen,
Die sich nicht länger leugnen ließ.
KADMOS
Und wenn es stimmt, dass ihr der Gott erschien?
Wenn Zeus der Blitz war, der sie traf,
Und dann das Kind – das seine –
Halb Gott, halb Mensch
Einnähte in seinen Schenkel
Und es austrug?
PENTHEUS
Das erzählst du mir, als wäre es zu glauben,
Diese alberne Geschichte, erfunden, ausgedacht,
Von einer gefall’nen Frau und denen,
Die sie decken! Kadmos!
KADMOS
Kein Mensch allein ist im Besitz der Wahrheit.
PENTHEUS
Der Mensch ist, was er glaubt,
Und wir können nicht dulden,
Dass die Geschichte unsres Hauses,
Unsrer Herrschaft, verdreht wird und verfälscht
Von Aberglaube, Unvernunft!
Ich muss nach Delphi,
Licht in diese Sache bringen!
KADMOS
Hast du Theresias befragt?
PENTHEUS
Ich sagte «Licht» und nicht Gemurmel.
KADMOS
Du magst ihn nicht, doch länger als dein Leben
Dient er der Stadt als Seher schon,
Und keine seiner Weissagungen
Erwies sich je als falsch.
PENTHEUS
Weil er nichts sagt und sieht!
Weil er, der Blinde, der mit Vögeln spricht,
Nur Ungefähres von sich gibt,
Doppelsinn, so oder so zu deuten.
KADMOS
Die Götter sprechen stets in Rätseln.
PENTHEUS
Was nützen Prophezeiungen,
Wenn ihre Wahrheit dunkel bleibt.
KADMOS
Du hast ihn schon gefragt.
PENTHEUS
Gefragt nicht, ungefragt beim Trank