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Nun liegt der dritte und letzte Band der Familiensaga vor. Die Geschichte handelt von der Tochter der Hexe und ihrer Familie in Rodenbach bei Hanau. Sie spielt in den Jahren 1650-1700. Spannend ist der Überlebenskampf von Margaretha und ihren Kindern in dieser kriegerischen Zeit erzählt. Auch das Dorf Rodenbach kämpft um ein Überleben. Viele Jahre sind von den Überfällen und Plünderungen gezeichnet. Durchmarschierende Soldatentruppen und Einquartierungen von ganzen Soldatenkompanien bringen das Dorf fast an den Ruin. Margaretha und ihr Sohn, zwei echte ausgebildete Krieger, verteidigen mit ihrer Bürgerwehr Rodenbach und retten es vor dem Untergang. Dafür werden sie reichlich belohnt. Dramatische Geschehnisse innerhalb der Familie erzählen vom harten und kargen Leben in Rodenbach im 17. Jahrhundert. Alle geschichtlichen Ereignisse entsprechen den Tatsachen.
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Seitenzahl: 296
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Testudo und Funny
Celina und Alessa räumen auf
Die Hexe von Rodenbach
Margaretha – Tochter der Hexe von Rodenbach
Untere Pforte Rodenbach
(Historische Darstellung – Hypothese)
Künstlerin: Manuela Hahn
turtles press international
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 1
Man schrieb das Jahr 1652. Es war Winter und das ganze Land lag unter einer weißen Schneedecke. Die Kälte drang durch alle Ritzen der alten Fachwerkhäuser und die Bewohner von Rodenbach im Kinzigtal hüllten sich in ihre wärmsten Kleider. Am Abend saß man zusammen um die große Feuerstelle, über der ein Topf mit kochendem Wasser für die Teezubereitung thronte. Auch Margaretha Rießel saß zusammen mit ihrem Mann Jacob und den Kindern um die Feuerstelle. Ihre Tochter Agnes war gerade fünf Jahre alt und schon sehr aufgeweckt und wissbegierig. Ihr Sohn Peter war erst drei Jahre und für sein Alter auch schon äußerst lebendig.
An einem solchen kalten Winterabend hingen die Erwachsenen ihren Gedanken nach und den Kindern war es meist langweilig. Margaretha ging zu den kleinen Fenstern, um die Holzläden zu schließen, dabei blickte sie verträumt auf den schneebedeckten Hof. Links sah sie den überdachten Pferch, wo ihre Schafe im Winter untergebracht waren. Diese standen dicht gedrängt beieinander, als ob sie sich gegenseitig wärmen wollten, dabei hatten sie doch ein dichtes Winterfell, dass sie eigentlich gar nicht frieren sollten.
Margarethas Blick ging auch nach rechts zum Hof ihres Onkels Paul und dessen Frau Margret. Auch ihre Großmutter Elisabeth lebte dort. Und es gab noch Conradt, den siebenjährigen Sohn von Paul und Margret. Diese hatten sich erst spät gefunden und Conradt war ihr großes spätes Glück.
Schon vor zwei Jahren hatten Margaretha und Paul ihre beiden Höfe zusammengelegt und gemeinsam bewirtschaftet. Sie hatten dadurch den größten Hof im Dorf und großen Erfolg.
Inzwischen war es in der großen Stube etwas wärmer geworden und die Kinder hatten sich von der Feuerstelle entfernt und spielten Verstecken, wobei der kleine Peter mit seinen drei Jahren keine Chance hatte, seine Schwester zu finden. Im Gegenzug fand Agnes ihn meist leicht, weil er sich verriet, indem er auf die Frage: „Wo bist du?“ einen Laut von sich gab, der sein Versteck preisgab. Margaretha lächelte still vor sich hin, während sie dem friedlichen Idyll zusah. Morgen wollte Jacob mit den Kindern einen Schneemann bauen, falls es nicht allzu kalt war. Mit Agnes hatte Margaretha schon im letzten Jahr ausgiebig im Schnee gespielt und auch einen Schneemann gebaut, der mit Knöpfen aus Steinen, Großvaters Hut und einem Besen in der Hand mindestens vier Wochen den Hof zierte. Für Peter musste das alles noch einmal gemacht werden.
In der Stube roch es nach Tee und das Feuer beleuchtete die wenigen Möbel in dem Zimmer. Es gab einen großen Tisch, an dem bis zu zwölf Personen Platz hatten, Stühle und Schränke. Überall hingen Töpfe und Pfannen sowie andere Kochutensilien an der Wand. Im Anschluss an die große Stube gab es eine kleine Kammer mit den Essensvorräten, neben Brot und Mehl auch Gemüse und in Gläser eingemachtes Obst sowie selbst gemachtes Sauerkraut in einem großen Tongefäß.
Bevor Margaretha die schweren Holzschläge schloss, sah sie den Lichtschein im Nebenhaus von Onkel Paul und ihrer Großmutter. Elisabeth war schon hoch betagt und Margaretha liebte ihre Großmutter sehr. Die alte Frau hatte schon vieles in ihrem Leben erleiden müssen. Ihr Mann Conradt war vor vielen Jahren von plündernden Soldaten ermordet worden. Ihr Sohn Georg starb in Hanau an der Pest, doch das Schlimmste war der Tod ihrer Tochter Agnes, der Mutter von Margaretha.
Agnes wurde 1628 in Crotzenburg nach einem Prozess unschuldig als Hexe verurteilt und verbrannt. Der Schmerz darüber hat Elisabeth nie verlassen. Nur die Liebe zu ihrer Enkelin Margaretha ließ sie ihren Kummer zuweilen vergessen.
Nachdem Margaretha ihre Kinder zu Bett gebracht hatte, setzte sie sich zu Jacob an das wärmende Feuer. Gemeinsam sahen sie in die kleiner werdenden Flammen und hingen friedvoll ihren Gedanken nach. Jacob legte seinen Arm um ihre Schultern und sah sie an: „Was denkst du?“
„Ach Jacob, ich mache mir Sorgen. Es gibt immer noch ständig Plünderungen im Dorf. Wir haben Glück, dass unser Hof bisher verschont geblieben ist.“
„Ich weiß“, sagte Jacob, „aber du übertreibst. Vor kleinen Gruppen habe ich keine Angst, die wirst du alleine in die Flucht schlagen, so wie du mit dem Schwert umgehen kannst.“
Jacob lächelte schelmisch. Er dachte an Margarethas Vergangenheit: Margaretha war die uneheliche Tochter des Barons Martin von Dragus. Sie lebte viele Jahre bei ihrem Vater auf dem großen Gut Dragus, wo sie von ihm in der Kampfkunst unterrichtet wurde. Unter seiner Anleitung wurde sie eine große Kämpferin und in allen Waffengattungen geschult. Mit dem Schwert war sie fast unbesiegbar. Sie hatte dies in vielen Kämpfen um das Gut oft unter Beweis gestellt. Allerdings war das Gut vor einigen Jahren von durchziehenden schwedischen Soldaten völlig zerstört worden. Nach einem heroischen Kampf mit vielen Toten mussten Margaretha und ihr Vater sowie dessen Schwester Johanna fliehen. Sie zogen auf eines ihrer Güter, das Gut Hüttelngesäß im Freigericht in der Nähe von Niedersteinbach. Margaretha zog nach Rodenbach und kaufte den Hof neben ihrer Großmutter. Die Höfe wurden bald zusammengelegt zu einem großen Hof. Baron Martin und seine Schwester Johanna blieben auf dem Gut Hüttelngesäß.
Nach einer Weile fuhr Margaretha fort: „Nimm das nicht so leicht Jacob, wenn die Soldaten einmal in größerer Zahl kommen, dann habe auch ich keine Chance mehr. Ich werde jedenfalls weiter mit meinem Schwert üben, damit ich nichts verlerne.“
„Wenn es dich beruhigt, dann mach das, Margaretha.“
„Ja, das werde ich.“
„Lass uns lieber über das kommende Jahr reden, Margaretha. Unsere Bücher zeigen mir, dass uns die Haltung der Ochsen und Schafe Erfolg und Geld gebracht hat. Was können wir also noch tun?“
„Du hast Recht, ich mache mir zu viele Sorgen. Lass uns also über den Hof reden. Was können wir noch tun, Jacob? Ich möchte unseren Hof weiter vergrößern. Ich bin durch Gut Dragus anderes gewohnt.“
„Ja, das bist du, Margaretha. Unsere Felder liefern das Futter für unsere Tiere und vor allem für die Ochsenmast. Wenn wir noch mehr Ochsen und Schafe anschaffen wollen, brauchen wir noch mehr Felder und Wiesen. Auch haben wir auf unserem gemeinsamen Hof keinen Platz mehr für weitere Tiere. Felder und Wiesen könnten wir vielleicht vom Grafen in Hanau pachten, aber wohin mit den Tieren?“
„Du hast Recht, Jacob. Innerhalb der Mauern von Rodenbach haben wir zu wenig Platz, es sei denn …“
„Es sei denn was?“
„Viele Höfe im Dorf stehen leer, weil die Bauern von Soldaten oder Plünderern getötet wurden und ihre Familien einfach aufgegeben haben. Wir könnten also einen weiteren Hof kaufen. Mein Onkel Paul ist ja im Kirchenrat, er könnte uns dabei helfen. Die Gemeinde sucht doch dringend Bauern, die einen Hof übernehmen wollen.“
„Das stimmt, Margaretha, das könnten wir machen.“
Margaretha bekam glänzende Augen und drückte ihren Mann fest an sich: „Weißt du, Jacob, seit Vater unser zerstörtes Gut an den Grafen von Hanau zurückgegeben hat, glaube ich nicht mehr daran, dass wir jemals wieder auf das Gut zurückkehren werden. Ich träume aber manchmal von einem eigenen großen Gut. Der Kauf eines weiteren Hofes ließe mich meinem Traum etwas näher kommen. Ich freue mich, dass du nichts dagegen hast. Ich werde gleich morgen mit Paul, Margret und Elisabeth reden. Ich lasse mich nicht aufhalten!“
„Wenn das klappt, Margaretha, haben wir aber noch mehr Arbeit und wir brauchen dann tatsächlich noch mehr Felder und Wiesen.“
„Ja, wenn wir einen weiteren Hof kaufen, müssen wir mit dem Schultheiß Christian Haupt reden. Der muss uns beim Grafen neue Pachtrechte verschaffen… oder warte… ich habe eine bessere Idee! Mein Vater muss mit dem Grafen Friedrich Casimir von Hanau-Lichtenberg reden. Als Baron kann er dort sicherlich mehr erreichen.“
„Gute Idee, Margaretha. Sprich mit deinem Vater.“
„Ja, das werde ich tun. Ich muss ihn ohnehin wieder einmal auf Gut Hüttelngesäß besuchen. Auch Johanna, meine liebe Tante, vermisse ich sehr. Ich werde gleich morgen reiten. Ich bleibe aber nur einen Tag, wir müssen noch so viel besprechen, wenn wir hier etwas Neues aufbauen wollen. Auch Vater wird das sicher gefallen. Vielleicht kann er uns hier und da einen Rat geben.“
„Das kann er bestimmt, Margaretha, er hat ja lange genug ein großes Gut geleitet, da dürfte ihm das nicht schwer fallen.“
„Irgendwie freue ich mich auf diese Aufgabe, Jacob.“
„Ich auch, ich auch.“
Mit glänzenden Augen sahen sich beide an. Die Vorfreude war in ihren Gesichtern zu sehen. Dann wurde Margaretha wieder ernst und sie sagte: „Wenn wir einen weiteren Hof haben, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass einer überfallen und geplündert wird. Ich mache mir immer noch Sorgen. Wir müssen etwas unternehmen!“
„Ja, aber was?“
„Wir können uns nicht alleine schützen. Ich muss mit Onkel Paul reden. Wir müssen die Wehrtürme wieder mit Schützen besetzen. Wir müssen aber zuerst welche ausbilden. Wir müssen unsere Hofeinfahrten mit stärkeren Toren und Mauern versehen. Und… und wir müssen uns selbst verteidigen können.“
„Das wäre sicher richtig, aber wie?“
„Ich weiß es noch nicht. Ich selbst kann es ja mit einigen Gegnern aufnehmen, aber was ist mit dir und mit Paul?
Ich kann ja nicht überall sein, schon gar nicht auf einem weiteren Hof. Vielleicht kann uns der Kirchenrat helfen. Ich muss auch hierüber mit Onkel Paul reden. Man könnte im Dorf eine Gruppe zusammenstellen aus Schützen und starken Bauern, eine Art… Bürgerwehr, dann wäre Rodenbach nicht ganz ohne Schutz.“
„Kein schlechter Gedanke, Margaretha. Spreche darüber mit Paul.“
„Das werde ich. Es wäre schön, wenn unsere Kinder etwas älter wären. Peter und auch Pauls Sohn Conradt könnten das Kämpfen lernen. Entweder bei mir… oder woanders.“
„Du willst doch aus den Kindern keine Krieger machen, oder?“
„So wie du das sagst nicht, Jacob. Aber stelle dir vor, außer mir könnten irgendwann auch Peter und Conradt kämpfen. Wenn ich dann noch dich und Paul dazuzähle, dann könnten wir uns ganz gut verteidigen.“
„Das mag stimmen. Aber bis es soweit ist, vergeht noch einige Zeit, Margaretha.“
„Ja, aber ich werde diesen Plan im Kopf behalten, schließlich… schließlich… sehe ich die Gefahr auf uns zukommen!“
„Du… du siehst sie?“
„Ja ich sehe sie… und ich spüre sie. Ich werde also wachsam sein.“
„Oh mein Gott, du siehst wieder in die Zukunft? Ich weiß, dass du das kannst, aber trifft das auch immer ein?
Jetzt mache ich mir auch Sorgen.“
„Das hilft im Moment auch nicht, lass uns lieber an unsere Pläne denken.“
„Gut Margaretha, du reitest also morgen zu deinem Vater und du sprichst vorher noch mit deinem Onkel Paul. So weit ich weiß, gibt es drei Höfe, die leer stehen und die mir gefallen würden. Einen in der Kirchstraße, einen in der Bachstraße und sogar einen hier in der Hauptstraße, ganz vorne an der unteren Pforte.“
„Nein, den nicht“, antwortete Margaretha, „der Hof am Eingang zum Dorf wurde bisher zuallererst zerstört. Lieber den in der Bachstraße, der liegt etwas abseits, das scheint mir sicherer zu sein.“
„Du hast wieder einmal Recht. Warten wir ab, was Paul und der Kirchenrat dazu sagen.“
„Gut Jacob, so soll es sein.“
Das Feuer in der Stube war nun fast niedergebrannt. Die beiden zündeten sich eine Kerze an und löschten dann das Feuer. Sie stiegen dann die knarrende Holztreppe zu ihrem Schlafzimmer hinauf. Mit einem glücklichen Gefühl schliefen sie recht schnell ein.
Am nächsten Tag sprach Margaretha mit ihrem Onkel Paul. Sie saßen in der großen Stube von Pauls Haus zusammen. Paul, Margret, Elisabeth und der kleine Conradt. Margaretha begann: „Paul, wir schmieden große Pläne für das kommende Jahr. Jacob und ich wollen etwas Neues unternehmen.“
„Was wollt ihr noch unternehmen? Es ist doch alles gut so wie es ist.“
„Wir möchten uns weiter vergrößern. Ich bin das vom Gut Dragus so gewöhnt.“
„Vergrößern? Wie soll das gehen? Hier im Dorf ist kein Platz mehr hinter den Wehrmauern. Wie sollen wir uns da noch vergrößern?“
„Wir haben gestern Abend schon darüber nachgedacht. Wir könnten einen der verwaisten Höfe im Dorf kaufen.“ „Oh Gott, Margaretha. Noch einen Hof! Denke doch an die viele Arbeit“, warf Margret ein. Aber Großmutter Elisabeth schmunzelte. Das war ihre Enkelin! Paul dagegen war nicht begeistert: „Noch einen Hof? Wie sollen wir das alles schaffen?“
„Das werden wir schon. Wir könnten weitere Knechte einstellen und vielleicht auch einen Verwalter.“
Paul seufzte: „Aber was willst du mit dem Hof anfangen? Und überhaupt, welcher Hof?“
„Wir dachten an den Hof in der Bachstraße, er liegt etwas abseits und wird nicht so schnell von Plünderern entdeckt.“
„Ich kenne den Hof“, antwortete Paul, „er gehörte früher den Ludwigs. Er ist nicht sehr groß und es gehören nur wenige Felder zum Hof. Was willst du denn daraus machen?“
Margaretha zögerte nicht lange: „Jacob und ich haben schon darüber nachgedacht. Wir könnten vom Grafen in Hanau weitere Felder pachten. Mein Vater könnte das sicher in Hanau erreichen. Wir könnten dann dort Futter anbauen für unsere Ochsenmast. Wir würden weitere Ochsen kaufen und auf dem neuen Hof nur die Ochsenmast betreiben. Das ist im Augenblick unser bestes Geschäft. Wir könnten im Jahr darauf alle Ochsen von unseren Höfen in Frankfurt auf den Markt bringen. Ein großer Gewinn wäre uns sicher.“
Paul sagte: „Oh je Margaretha, ihr habt offensichtlich schon an alles gedacht. Für was braucht ihr mich dann eigentlich noch?“
„Wir gehören doch zusammen, Paul. Wir sind eine Familie und wir haben Kinder. Es lohnt sich, auch an deren Zukunft zu denken.“
Paul zögerte, auch Margret schwieg, nur Großmutter Elisabeth schmunzelte immer noch und sie nickte ihrer Enkelin aufmunternd zu.
Paul antwortete nach einer Weile: „Deine Idee ist sicher gut, Margaretha, aber… aber ich möchte da nicht mitmachen. Ich bin alt, ich bin schon im dreiundsechzigsten Lebensjahr und ich möchte nichts Neues mehr beginnen. Du und Jacob, ihr könnt es doch alleine durchziehen. Ich verspreche dir, ich helfe dir so gut ich kann. Ich… ich habe keinen Mut für etwas Neues… so wie du.“
Margaretha war enttäuscht, fing sich aber schnell: „Ich werde es noch einmal mit Jacob besprechen und dann mit meinem Vater, auch er wird mir sicher mit Rat und Tat zur Seite stehen. Trotzdem Paul, denke bitte nochmals über meinen Vorschlag nach und kläre doch bitte für mich im Kirchenrat, ob ich den Hof in der Bachstraße kaufen kann. Das Geld dafür haben wir und das Dorf könnte es nach den Kriegskosten sicher gut gebrauchen.“
„Gut Margaretha, ich werde nochmals darüber nachdenken und ich werde natürlich gerne mit dem Kirchenrat sprechen. Wir würden sicher froh sein, wenn der Hof in der Bachstraße bald wieder bewirtschaftet würde. Am liebsten natürlich von einer einheimischen Familie.“
„Paul wird noch mal darüber nachdenken“, sagte Elisabeth und stand auf und ging zu Margaretha und umarmte sie und sagte dann: „Du bist mutig wie immer und das gefällt mir. Leider werde ich das alles nicht mehr erleben. Ich bin alt und unser Herrgott kann mich täglich zu sich rufen. Aber so lange ich lebe, stehe ich hinter dir. Tue, was du tun musst.“
Elisabeth umarmte auch ihren Sohn und sagte: „Ich verstehe auch dich, Paul. Du machst alles richtig. Handele so, wie es deine Art ist. Es ist gut so.“
Alle schwiegen eine Weile.
Margaretha sagte dann: „Es gibt noch ein Problem, Paul. Da kannst du uns allen und dem gesamten Dorf sehr helfen. Es geht um die Sicherheit im Dorf. Die häufigen Überfälle machen mir Sorgen. Bis jetzt sind unsere Höfe verschont geblieben, aber irgendwann kann es auch uns treffen. Wir müssen uns irgendwie schützen und verteidigen.“
„Da hast du Recht, Margaretha. Aber was können wir tun?“
„Spreche bitte im Kirchenrat darüber. Wir müssen die Wehrtürme wieder mit Schützen besetzen. Aber zuerst müssen wir welche suchen und ausbilden. Die Bauern sollen die Tore und Eingänge ihrer Höfe verstärken, damit sie nicht so leicht erstürmt werden können und wir müssen eine Art Bürgerwehr aufbauen, damit wir uns verteidigen können. Ich bin gerne bereit, die Truppe anzuführen, du weißt, dass ich eine gute Kämpferin bin.“ „Oh ja, das weiß ich“, murmelte Paul und dachte an das, was er über Margarethas Vergangenheit wusste. Seine Nichte war eine Kriegerin, erprobt in vielen schweren Kämpfen. Ihr Vater hatte sie ausgebildet und sie hatte mit ihm jahrelang erfolgreich das Gut Dragus verteidigt. Jeder wusste von ihren Heldentaten. So hatte sie zusammen mit ihrem Vater etliche Überfälle von kleineren Soldatentruppen abgewehrt und dabei mit ihrem Schwert etliche Soldaten getötet. Auch hatte sie ihrem Vater das Leben gerettet, als sie ihn während eines Kampfes beschützte. Baron Martin war schon geschlagen und hatte sein Schwert verloren. Sein Gegner war gerade dabei, ihn zu töten, als Margaretha das schwere Schwert ihres Vaters aufhob und den Soldaten sofort attackierte. Mit einem furchtbaren Hieb schlug sie ihm den Kopf ab, worauf die Plünderer die Flucht ergriffen. Diese Geschichte kannte in Rodenbach jeder, vor allem ihre Familie und die Familie von Jacob. Paul dachte auch an die andere Geschichte, die nur wenige Menschen im Dorf kannten. Vor Jahren wurden in Rodenbach und in Crotzenburg alle Menschen grausam ermordet, die an der Verurteilung und Verbrennung von Margarethas Mutter als Hexe beteiligt waren. Fast alle Bürger in Rodenbach dachten, dass der Teufel selbst sich gerächt hätte, doch viele in der Familie waren sich sicher, dass Margaretha ihre Hände im Spiel hatte. Dieser ungeheuere Verdacht hatte sich aber nie bestätigt. In der Familie wusste aber jeder, zu was Margaretha in ihrem Zorn und ihrer Wut fähig war. Doch das war Vergangenheit und Pauls Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück: „Uff, das war aber eine Menge, Margaretha, aber du hast auch damit Recht. Was nutzen uns die schönsten Höfe, wenn sie alle paar Jahre geplündert oder gar zerstört werden? Ich werde das Thema im Kirchenrat besprechen. Das müsste eigentlich auf Zustimmung bei allen treffen. Wir haben ja alle die gleichen Sorgen. Vor allem das mit der Bürgerwehr könnte ich mir gut vorstellen, gerade wenn du die Führung übernimmst.“
Margret schaltete sich ein: „Siehst du, Paul, so kannst auch du deinen Teil dazu beitragen, dass unsere Höfe sicherer werden und Margaretha und Jacob können sich dann einen weiteren Hof kaufen. Wir werden sie dabei gerne unterstützen.“
„Ja, das werden wir“, sagte Paul nachdenklich.
Anschließend ging Margaretha warm angezogen in den Stall, wo ihre beiden Pferde standen. Ihre Reitstiefel knirschten im Schnee, als sie durch den Hof ging. In der Nacht war weiterer Schnee gefallen und es gab nur ihre Spuren. Es war bitterkalt und die Sonne war gerade aufgegangen und hatte noch keine Kraft. Als sie den Stall betrat, wieherten die Pferde erfreut. Sie waren sehr unruhig, denn es fehlte ihnen im Winter die regelmäßige Bewegung. Ihr schwarzer Hengst schien sich zu freuen, als Margaretha ihn sattelte. Sie führte das Pferd auf den Hof, wo auch schon Jacob auf sie wartete, um sich zu verabschieden.
„Reite bitte vorsichtig, der Schnee macht den Ritt gefährlich, Margaretha.“
„Ich weiß, Jacob, ich werde aufpassen, ich weiß, dass unter dem Schnee Löcher, Rillen, Furchen und Wurzeln verdeckt sind. Wir werden es daher langsam angehen lassen, mein Pferd und ich. Im schlimmsten Fall komme ich erst morgen zurück. Mache dir also keine Sorgen Jacob.“
Sie umarmte ihren Mann und schwang sich in den Sattel und ritt langsam zum Tor hinaus. Sie ritt sehr vorsichtig und sie kamen nur langsam voran. Bis sie nach Oberrodenbach kamen und den verschneiten Ort passiert hatten, verging nach Margarethas Gefühl eine halbe Ewigkeit. Gefährlich war der Ritt dann besonders auf dem schmalen Waldweg durch das Krebsbachtal. Unter dem Schnee verbargen sich die Spurrillen der Wagen, die vor dem Frost den schlammigen Weg befahren und tiefe Spuren hinterlassen hatten. Endlich kamen sie auf der Anhöhe an und Margaretha sah rechts durch die laublosen Bäume die Ruinen von Gut Dragus. Was für ein jammervoller Anblick! Sie gäbe viel dafür, wenn das Gut wieder aufgebaut werden könnte und in den Besitz ihrer Familie käme. Aber dies würde wohl ein Traum bleiben! Ohne anzuhalten ritt sie weiter und verdrängte ihre schweren Gedanken. Sie erreichte bald Michelbach und ritt weiter entlang des kleinen Flüsschens Kahl, bis sie gegen Mittag das Gut Hüttelngesäß erreichte.
Am Tor hielt sie an und freute sich über den schönen Anblick des Gutes, welches schon immer zum Gut Dragus gehört hatte. In der Mitte des Hofes, gleich hinter dem Misthaufen, lag das herrliche schlossähnliche Gebäude mit den Wohnräumen, links daneben in Richtung zum Eingangstor gab es die flacheren Gebäude für das Gesinde. Die vielen Knechte und Mägde des Gutes wohnten die größte Zeit des Jahres hier. Im Winter waren aber die meisten bei ihren Familien in Niedersteinbach und Umgebung. Rechts, ebenfalls in Richtung zum Tor, lagen die flachen Stallungen für die Tiere und die Scheunen.
Alles lag heute friedlich vor Margaretha. Auch hier lag alles unter einer weißen Schneedecke. Die Luft war klar und kalt. Margaretha ritt in den Hof.
Baron Martin von Dragus kam aus dem Haus, kaum dass Margaretha vor dem Haus anhielt. Er hatte wohl den Hufschlag von Margarethas Pferd gehört, obwohl der Schnee den Hufschlag fast gänzlich verschluckte. Margaretha umarmte ihren Vater innig und es schien, als ob dieser den Besuch seiner Tochter erwartet hätte. Tatsächlich war es auch so. Martin war einsam und er vermisste seine Tochter an jedem neuen Tag und er hatte täglich gehofft, dass sie ihn besuchen käme. Nun war sie da und er war für den Moment glücklich.
„Marga!“
„Vater!“
Sie umarmten sich lange und beide genossen die Nähe zum anderen. Margaretha sah ihren Vater eindringlich an. Alt war er geworden! Die Haare grau, die Haut fahl und die Augen ohne Glanz. Und schmal war er geworden! Margarethas Herz verkrampfte sich. Vater, dachte sie, was ist los und kann ich dir helfen? Dann sagte sie laut: „Vater, wie geht es dir? Ich brauche dich, ich suche deinen Rat und deine Hilfe.“
Martin sah seine Tochter an. Sie war eine sehr hübsche Frau. Die blonden Locken umspielten ihr erhitztes Gesicht. Ihre Augen strahlten, ihre Reithosen und ihr Hemd spannten über einem gestählten und unheimlich fraulichen Körper. Sie war groß, größer als er, und er war stolz auf sie, auf sie, die Kämpferin und Kriegerin, was sie gemeinsam mit ihm schon bewiesen hatte. Stolz auf ihr Kämpferherz, ihre zwei Kinder und über ihren Erfolg auf ihrem eigenen Hof.
„Mir geht es gut“, sagte er nach einer Weile und es klang in Margarethas Ohren nicht sehr glaubhaft.
„Vater“, sagte sie wieder, „lass uns reden, ich brauche wirklich deinen Rat.“
„Schön Marga, schön, dass mich jemand braucht.“
„Aber Vater! Ich werde dich immer brauchen, komm jetzt, wir müssen reden.“
„Ja, komm in die Stube, wir sind gerade alleine. Die Vogts sind nicht da. Nur Johanna dürfte in ihrem Zimmer sein.“
Sie gingen in die Stube und Margaretha erzählte ihrem Vater von ihren Plänen. Martin war begeistert. Seine Tochter war offenbar wie er. Sie wollte immer weiter vorwärts, sich nicht ausruhen auf dem Erreichten, den Erfolg suchen. Wie gerne wäre er an ihrer Stelle gewesen! Aber er war zu alt, er fühlte sich zu alt, dabei war er gerade einmal im vierundsechzigsten Lebensjahr.
„Du machst das Richtige“, sagte er, „aber du musst alles genau bedenken, damit du Erfolg hast. Gerne stehe ich dir mit Rat und Tat zur Seite. Ich werde für dich zum Grafen nach Hanau reiten und sehen, dass du weitere Weiden und Felder in Rodenbach pachten kannst. Ich kenne den Grafen Friedrich Casimir von Hanau-Lichtenberg. Ich habe Kontakt zu ihm. Er möchte schon länger, dass ich für ihn arbeite. Er selbst ist exzentrisch und in die Kunst verliebt. Er hat wenig Freude an seinen Amtsgeschäften. Ich soll mich um seine auswärtigen Güter kümmern, um die Verpachtung der Ländereien und sogar um das Hospital in Hanau. Bisher konnte ich mich noch nicht dazu entschließen. Aber langsam komme ich zu der Überzeugung, dass ich es tun sollte. Ich werde nach Hanau ziehen müssen. Ich könnte dir in dieser Stellung auch viel helfen.“
„Eine lange Rede, Vater. Ich sehe, es tut dir gut, darüber zu reden. Ich denke auch, dass du es tun solltest. Die Stellung beim Grafen entspricht genau deinen Ansprüchen und du kannst dort wertvolle Arbeit leisten. Aber bitte nicht nur wegen mir dorthin gehen ja?“
„Nein, ich tue das für mich, ich versauere hier ohne eine Aufgabe. Unsere Verwalterfamilie kommt hier ganz alleine zurecht. Lediglich…“
„Lediglich?“
„Johanna. Sie will mich nicht begleiten.“
„Ach? Aber sie kann doch zu mir kommen. Zu mir und Jacob und den Kindern, in unsere Familie. Ich würde mich riesig freuen und wir könnten sie auch gut gebrauchen.“
„Das ist eine gute Idee. Du kannst sie gleich fragen. Gehe doch hoch zu ihr und rede mit ihr.“
„Ja Vater, das werde ich sofort tun. Das wäre doch für alle schön. Du könntest ohne Sorge nach Hanau ziehen und ich hätte meine geliebte Tante bei mir. Sie war… sie ist mir schon immer das Liebste. Ich gehe gleich zu ihr.“
Margaretha ging aus der Stube und begab sich nach oben zu Johannas Zimmer. Ihre Tante war eine einsame Frau. Da sie keine Männer um sich mochte, blieb sie unverheiratet und allein. Sie liebte Margaretha abgöttisch und würde sicher gerne zu ihr ziehen. Margaretha klopfte an Johannas Tür und hörte ein zaghaftes „Ja?“ Sie öffnete langsam die Tür und schob ihren Kopf durch den Spalt.
„Margaretha!“
Der Ausruf klang wie ein freudiger Schrei. Johanna stand von ihrem Stuhl auf und ging schnell auf ihre Nichte zu. Sie fiel ihr um den Hals. Sie war bei weitem nicht so groß wie Margaretha und musste zu ihr aufsehen. Margaretha küsste sie auf beide Wangen und auf den Mund und hielt sie fest. Johanna schluchzte und klammerte sich an ihre Nichte wie eine Ertrinkende.
„Na, na, Johanna. Hast du mich so vermisst?“, neckte sie Margaretha.
„Ja, das habe ich. Es ist so einsam hier draußen und so langweilig ohne dich, vor allem jetzt im Winter. Auch Martin vergräbt sich alleine mit seinem Kummer.“
„Ich weiß Johanna, ich weiß.“
Die beiden setzten sich gemeinsam auf das schöne Sofa, welches Johanna von Gut Dragus nach Hüttelngesäß hatte bringen lassen. Ebenso wie die anderen kleinen Möbelstücke. Es gab edle Tischchen und kleine Kommoden und schöne Stühle. Gemälde hingen an der Wand. Hinter einem Wandschirm verbarg sich ein großes Bett. In der rechten Ecke stand ein Gestell mit einer Waschschüssel und darunter ein schöner Krug aus Porzellan für das Waschwasser. Alles in allem hatte sich Johanna das große Zimmer gemütlich gestaltet.
Margaretha, die Starke, hielt Johannas Hand. Sie erzählte von ihren Kindern und natürlich von ihren Plänen, einen weiteren Hof im Dorf zu kaufen. Sie sprach dann auch von Martin und Johanna sagte: „Er würde sich gerne verändern und für den Grafen in Hanau arbeiten.“
„Ich weiß und ich habe ihm dazu geraten“, sagte Margaretha.
„Ich auch. Aber er wollte bisher nicht… wegen mir. Er will mich nicht alleine lassen. Aber das kann er doch. Er muss doch auch glücklich werden!“
„Er muss dich nicht alleine lassen, Johanna. Wenn er wirklich nach Hanau geht, dann komme doch zu mir. Zu mir und Jacob und den Kindern. Komme auf meinen Hof, komme in meine kleine Familie. Du weißt, ich liebe dich und ich hätte dich sehr gerne bei mir.“
Johanna sah ihre Nichte mit großen Augen an und begann zu weinen: „Ist das dein Ernst? Würdest du mich wirklich gerne bei euch aufnehmen?“
„Aber sicher! Wir würden uns alle sehr freuen und du wärest mir sicher eine große Hilfe. Ich wäre überglücklich, wenn du zu uns kommen würdest, Johanna.“
„Wirklich?“
„Ja wirklich!“
„Ich… ich wäre auch glücklich, wenn du… wenn ihr mich aufnehmen würdet.“
Johanna weinte jetzt und Margaretha küsste ihr die Tränen weg. Schweigend saßen sie dann lange nebeneinander.
„Komm Johanna, lass uns runter in die Stube gehen und Martin die gute Nachricht bringen. Er wird erleichtert sein, dass wir eine Lösung gefunden haben.“
Später saßen alle in der großen Stube. Margaretha, Martin und Johanna. Auch der Verwalter, Gerhard Vogt und seine Frau Anna waren inzwischen eingetroffen. Auch ihr Sohn Moritz kam zuletzt in die Stube und freute sich sehr über Margarethas Besuch. Margaretha war vor einigen Jahren mit Moritz zusammen, bis sie sich in Jacob verliebte und ihn heiratete. Moritz blieb ihr ein guter Freund.
Margaretha erzählte nochmals von ihren Plänen, einen weiteren Hof zu kaufen und die Ochsenmast auszuweiten, wozu sie auch weitere Felder und Wiesen brauchte. Martin hatte zuvor lange allein mit seiner Schwester gesprochen und verkündete seinen Beschluss, zum Grafen Casimir nach Hanau zu ziehen, um diesem als Verwalter seiner Güter zu dienen. Johanna berichtete, dass sie in diesem Falle dann zu ihrer Nichte nach Rodenbach ziehen würde. Die Vogts waren zunächst erschrocken und auch etwas traurig, dass der Baron und seine Schwester sie verlassen würden, doch am Ende waren sie wohl auch erleichtert, dass sie das Gut des Barons bald wieder alleine führen würden. Dies, obwohl es nie Schwierigkeiten mit dem Baron gegeben hatte, der ja sehr zufrieden mit der Arbeit seines Verwalters war und das Gut ihm gerne alleine überließ.
So waren alle zufrieden und so sollte die Veränderung bald in die Tat umgesetzt werden. Es lag jetzt an Martin, seinen Umzug nach Hanau zu organisieren. Für Margaretha bedeutete es den Start in ein neues Abenteuer. Beschwingt ritt sie später nach Hause, den Kopf voller Pläne.
Auch Martin begann endlich wieder, sein Leben in die Hand zu nehmen und Pläne zu schmieden. Ja, er wollte nach Hanau gehen und endlich wieder eine Aufgabe übernehmen. Eine Aufgabe, die ihn erfüllen und befriedigen würde und er könnte dabei auch noch Gutes tun, auch seiner Tochter gegenüber. Überhaupt, Margaretha, er war hoch erfreut, wie sie sich entwickelt hatte. Von einer mordenden Kriegerin zu einer verantwortungsvollen und liebenswerten Person. Das war sie zwar schon immer, doch hatte sie ein zweites Ich. Wenn der Zorn sie übermannte, konnte sie eine Furie werden. Das hatte sie leider oft bewiesen, als sie den Tod ihrer Mutter gnadenlos rächte. Gottlob blieb das ohne Folgen, weil niemand außer ihm dahinter kam. Lediglich der damalige Schultheiß hatte sie in Verdacht, doch er kam bei einem Brand im Dorf in den Flammen um. Aber sonst war sie ihm die liebevollste Tochter, die es geben konnte. Sicher konnte er ihr von Hanau aus helfen, damit sie ihren Hof vergrößern konnte.
Wie gerne hätte er ihr Gut Dragus überlassen. Doch es war zerstört und an den Grafen von Hanau zurück gefallen. Jetzt würde es einen Neuanfang geben. Margaretha in Rodenbach und er in Hanau. Er würde in das Schloss einziehen. In das wunderschöne herrschaftliche Schloss. Oft war er schon dort und hatte mit Graf Casimir gesprochen. Dabei bewunderte er das Schloss mit dem lang gezogenen Wohngebäude in der Mitte und den vielen Nebengebäuden, dem großen Brunnen davor und erst der große Park an der Rückseite, wo er oft zwischen den Bäumen und den steinernen Figuren wandelte.
Ein herrlicher Ort zum Verweilen.
Unten auf dem Main schwammen träge die Boote vorbei. Die kleinen und auch die großen, die die Güter nach Frankfurt schifften. Auch kamen hier die vielen Boote aus dem Frankenland an, womit die Bauern und Händler ihre Waren für den wöchentlichen Hanauer Markt transportierten. Nahrungsmittel wie Kartoffeln, Rüben und Gemüse ebenso wie andere Artikel, zum Beispiel geflochtene Körbe, Keramikwaren und Bekleidung. Dort auf dem Markt hatte er vor vielen Jahren seine Agnes zum ersten Mal gesehen und sich sofort in sie verliebt. Der tragische Ausgang dieser Liebe belastete ihn noch heute. Leider hatte er weder ihre Verleumdung durch seinen Bruder noch den Hexenprozess und ihre Verbrennung verhindern können. So starb qualvoll die Liebe seines Lebens. Aber jetzt hatte er ja noch Margaretha, seine und Agnes‘ Tochter. An ihr konnte er einiges wieder gutmachen. Auch würde er in Hanau nicht so weit weg von ihr wohnen. Auch Johanna, seine geliebte Schwester, wäre nicht nur in seiner Nähe, sondern auch in der Familie von Margaretha bestens versorgt. So konnte er sich sorglos seiner neuen Aufgabe widmen.
Gleich morgen würde er mit dem Einspänner zum Grafen fahren, vielleicht würde ihn ja Moritz, der Sohn des Verwalters, begleiten, dann wäre die Reise nicht so beschwerlich. In Rodenbach könnte er Zwischenstation machen, zumindest auf dem Rückweg, wo er dann auch Margaretha berichten könnte. Dabei könnte dann auch der Umzug von ihm und Johanna geplant werden. Martin war froh und guten Mutes. Endlich wieder.
Kapitel 2
Margaretha und Jacob konnten ihren Plan umsetzen. Mit Hilfe von Paul und dem Kirchenrat erwarben sie den verlassenen Hof in der Bachstraße. Sie stellten zwei weitere Knechte, Michael und Henrich, sowie eine Magd, Anna, ein. Margaretha kannte die drei, die früher auf dem Gut Dragus gearbeitet hatten, und freute sich sehr auf die Zusammenarbeit. Die drei würden auf dem neuen Hof leben. Nun mussten weitere Ochsen in Frankfurt auf dem Markt gekauft werden. Allerdings mussten sie das nahe Frühjahr abwarten, bis es wieder Jungtiere gab. Als es soweit war, reisten Margaretha und Jacob mit dem Pferdewagen nach Frankfurt.
Es war eine lange und anstrengende Fahrt. Sie machten in Hanau einen Halt und verpflegten sich in einem kleinen Gasthof in der Vorstadt. Sie erzählten dem Wirt von dem Grund ihrer Reise und dieser riet ihnen, von Hanau aus mit dem Schiff nach Frankfurt zu reisen. Der Landweg sei beschwerlich und gefährlich wegen der vielen Wegelagerer. Gegen ein Entgelt war er bereit, ihr Pferd bis zu ihrer Rückkehr zu versorgen und sie auch zum Mainhafen runter zu fahren. Margaretha und Jacob nahmen das Angebot gerne an.
Der Wirt brachte sie später zum Hafen, wo sie zunächst dem munteren Treiben zusahen. Schiffe legten an, andere fuhren lediglich vorbei. Einige wurden beladen und wollten wohl stromabwärts nach Frankfurt. Sie fanden einen Bootsführer, der bereit war, sie mit nach Frankfurt zu nehmen, gegen Bezahlung natürlich. Das Schiff war mit allerlei Gütern beladen und die Händler und Bauern saßen beim Wein an Deck. Margaretha und Jacob fanden ein freies Fleckchen für sich und genossen die Fahrt. Flussabwärts glitt das Schiff dahin ohne Ruderer und ohne Segel lediglich durch die Strömung. Auf der gegenüber liegenden Seite wurden die Schiffe gegen die Strömung durch Pferde gezogen. Dafür gab es extra entlang des Flusses einen Weg für die Pferde, die mit einem Seil mit dem Schiff verbunden waren.
Es dauerte nicht lange, bis das Schiff in Frankfurt anlegte. Mit dem Strom der Händler und Bauern gingen die beiden zum nahe gelegenen Marktplatz, der von schönen hohen Häusern umrahmt wurde.
Was für ein Treiben! Margaretha und Jacob staunten über die Größe des Marktes. So viele Stände auf einem Platz hatten sie noch nie gesehen. Margaretha war schon vor zwei Jahren einmal hier zum Ochsenkauf, doch da war alles noch viel kleiner und beschaulicher. Sie gingen langsam durch die Gassen, die die Händler freigelassen hatten. Sie wichen den Gauklern aus, die ihnen zum Teil auf Stelzen den Weg versperrten. Auch staunten sie über die vielen warmen Speisen, die angeboten wurden. Der Geruch von scharfen Suppen und gegrilltem Fleisch lag über dem ganzen Markt und es war laut, sehr laut. Die Händler priesen lautstark ihre Waren an.