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Rodenbach in den Jahren 1605 bis 1628. Das Dorf leidet unter der großen Pest und den Auswirkungen des 30jährigen Krieges mit Tod und Verwüstung. Außerdem ist es die hohe Zeit des Hexenwahns, von dem auch Rodenbach nicht verschont bleibt. Ein Dorf kämpft ums Überleben. Der spannende Roman spielt in dieser Zeit und basiert auf der wahren Geschichte Rodenbachs, des kleinen Dorfes im Kinzigtal in der Nähe der Festung Hanau. Alle Gegebenheiten entsprechen den Tatsachen, wie sie von Historikern an Hand der Kirchenunterlagen zusammengetragen und veröffentlicht wurden. Der Autor schildert das Leben von Agnes, der Schustertochter, vor diesem Hintergrund. Agnes ist die Heilerin von Rodenbach und kämpft hier gegen die große Pestepidemie, rettet viele Menschen und hat auch große Verluste. Sie selbst ist unglücklich verliebt und widersteht allein allen Schwierigkeiten. Sie erlebt die Flucht der Rodenbacher nach Hanau, den Beginn des 30jährigen Krieges sowie die Intrigen eines grausamen Widersachers. Agnes hat wirklich in Rodenbach gelebt. Die geschilderten Örtlichkeiten wie Hanau, Oberrodenbach, Somborn, Hof Trages entsprechen den Tatsachen. Lassen Sie sich in Rodenbachs echte Vergangenheit entführen. Sie werden gefesselt sein. Das große Sterben, Mord, Vergewaltigung, Vertreibung, Liebe und Verzweiflung werden Sie in ihren Bann ziehen. Agnes, die Heilerin, wird Ihnen ans Herz wachsen und Sie werden mit ihr leben, lieben und leiden. Ein Buch, das Sie nicht mehr aus der Hand legen wollen, bis Sie Agnes’ ganzes Leben erfahren haben. Ein historischer Roman aus der Dunkelheit des beginnenden 17. Jahrhunderts mit Pest, Krieg und Hexenwahn.
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Seitenzahl: 372
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Rodenbach im Kinzigtal im Jahre 1601
Es war Juli und es war ein sehr heißer Tag. Agnes, die Tochter des Schusters Conradt Bast, schlenderte die Hauptstraße entlang zum Obertor, dem oberen Ausgang aus dem Dorf, vorbei am Hirtenhäuschen, wo die Hirten des Dorfes wohnten und heute offenbar zu Hause waren, was Agnes nur unschwer überhören konnte.
Am Ende der Straße hatte der Bauer Rießel seinen Hof. Der Sohn vom Bauern, der junge Hans, der eigentlich Johannes hieß, aber nur Hannes oder Hans gerufen wurde, war Agnes’ Freund. Er war im 17. Lebensjahr und ein großer, schlanker Junge mit langen braunen Haaren und braunen Augen. Agnes half ihm des Öfteren bei der Arbeit auf dem Hof. Hauptsächlich beim Hüten der Gänse. Die Familie des Bauern Rießel verband eine Freundschaft mit der Familie des Schusters Bast. Sie bildeten eine kleine Gemeinschaft, die sich gegenseitig bei der Bewirtschaftung der Höfe unterstützte, etwa bei der Heuernte oder bei der Beschickung des Hanauer Marktes mit den landwirtschaftlichen Erzeugnissen, wie Obst, Gemüse, Samen, Geflügel, Eiern und sonstiges. So hatte Schuster Bast auch nichts dagegen, dass seine Tochter Agnes den Rießels half, wenn sie am eigenen Hof entbehrlich war.
Agnes war ein hübsches Mädchen mit langen, wilden, blonden Locken und hellblauen Augen. Sie war groß für ihr Alter und sehr dünn. Sie war im 15. Lebensjahr und ihre Figur zeigte bereits unübersehbare weibliche Formen. Trotzdem war sie noch sehr kindlich und half Hans gerne beim Gänsehüten. Da die Mädchen ansonsten immer im Haushalt helfen mussten, war dies eine willkommene Abwechslung im arbeitsreichen Alltag.
Bauer Rießel hatte die Gänsemast vom Grafen von Hanau, Graf Philipp Ludwig II. gepachtet. Es war für den armen Bauern eine wichtige Einnahmequelle. Die Pacht war gering, nur wenige Gulden im Jahr. Das Gänsehüten war keine große Arbeit und konnte von Hans, seit er etwa 10 Jahre alt war, alleine neben der Schule ausgeführt werden. Der Bauer hatte keine weiteren Kinder.
Die gemästeten Gänse konnten mit Gewinn verkauft werden, sowohl im Dorf als auch auf dem Markt. Auch das Gänserupfen mit dem Verkauf der Federn brachte etwas ein. Die Gänse wurden zweimal im Jahr gerupft und die Federn reichten für den Bedarf im Ort und es blieben noch genug über, um sie auf dem Markt anzubieten.
An den meisten Tagen weideten die Gänse auf den Wiesen vor dem Dorf, nahe der Lehr, den gräflichen Waldungen in Richtung Buchberg. Dort und am Rodenbach fanden die Tiere Futter und Wasser und verursachten keine weiteren Unterhaltungskosten.
Agnes drückte das schwere Holztor zum Rießel-Hof auf. Drinnen erwartete sie schon ein Riesenlärm der schnatternden Gänse. Hans lief wild gestikulierend durch die Gänseschar und versuchte, sie in den angrenzenden kleinen Garten zu treiben. Einige kleine Gruppen entkamen ihm immer wieder. Kreischend und flügelschlagend liefen sie auf Agnes zu.
„Hallo Hans!“, rief sie, „schaffst du es nicht alleine?“
„Die Viecher sind heute besonders aufsässig. Du kommst gerade richtig. Zu zweit schaffen wir es schneller.“
Agnes breitete die Arme aus und trieb die Gänse mit lauten Rufen vor sich her. Es dauerte eine ganze Weile, bis alle hinter dem Gatter im Garten waren und Hans dieses mit einem Seufzer der Erleichterung schließen konnte.
„Warum treiben wir sie heute nicht auf die Wiese vor der Wehrmauer?“, fragte Agnes.
„Vater sagt, dass Plünderer in der Umgebung ihr Unwesen treiben. Keiner soll das Dorf alleine verlassen. Die Tiere müssen in den Ställen bleiben.“
„Woher weiß dein Vater das?“, fragte Agnes.
„Es waren wohl zwei Durchreisende gestern in der Gemeindeherberge, die berichteten von einer Gruppe von Plünderern, die in Meerholz und Somborn großen Schaden angerichtet haben. Es sollen sogar Bauern ermordet worden sein.“
„Das ist ja schrecklich“, stöhnte Agnes erschrocken.
„Ja“, sagte Hans, „deshalb hat der Kirchenrat festgelegt, dass die großen Tore bis auf Weiteres geschlossen bleiben und die Wehrtürme sind Tag und Nacht mit unseren Schützen besetzt.“
„Ach deshalb sind die Hirten zu Hause und nicht auf den Feldern. Ich habe sie gerade lautstark palavern gehört, als ich am Hirtenhaus vorbeikam.“
„Ja, die haben es gut und müssen heute nicht arbeiten.“
„Wir aber auch nicht, was machen wir denn jetzt?“, fragte Agnes.
„Wir könnten rüber zur kleinen Mühle am Rodenbach gehen und dem Müller zusehen, oder wir hängen die Beine in den Bach und kühlen uns ein wenig ab. Wollen wir?“
„Ja, zu Hause gibt es eh nur neue Arbeit für uns. Aber wie kommen wir durch die Wehrmauer?“
„Das ist kein Problem. Solange sich draußen nichts tut, lassen uns die Torwächter am Obertor sicher durch“, antwortete Hans.
Beide gingen zum Obertor. Hans kannte einen der beiden Schützen und bat um Durchlass.
„Aber passt auf euch auf. Geht nicht zu weit vom Dorf weg. Falls Gesindel auftaucht, kommt ihr sofort zurück“, sagte einer der Wächter und ließ die beiden durch das kleine Tor neben dem großen Obertor.
Die beiden gingen über die Brücke, die über den Wassergraben führte, in Richtung der kleinen Mühle. Übermütig rannten sie über die Wiesen und Weiden, wo sie normalerweise die Gänse hintrieben. Heute war hier niemand zu sehen. Auch die Schweine waren heute nicht nach draußen getrieben worden. Schafe waren auch nicht zu sehen. Die Lehr-Wiesen in Richtung Buchberg waren völlig verwaist.
Hans und Agnes waren an ihrer Lieblingsstelle am Bach angekommen. Hier war der Rodenbach leicht versandet und breit und flach und gut begehbar. Überhitzt und abgetobt vom Rennen blieben die beiden stehen und rangen schwer atmend nach Luft.
„Komm Agnes, wir setzen uns hin und hängen die Füße ins Wasser!“
Beide zogen ihre derben Schuhe aus, setzten sich nebeneinander und streckten ihre Füße ins kalte Wasser. Hans hatte ohnehin kurze Hosen an und Agnes wickelte ihr Kleid hoch und entblößte ihre weißen langen Beine. Hans betrachtete sie ungeniert.
„Du hast schöne Beine.“
„Ich weiß, sehr lang und sehr dünn und viel zu weiß“, neckte Agnes.
„Quatsch, sie sind wirklich schön, sie gefallen mir. Du gefällst mir.“
„Hör auf damit!“, antwortete Agnes und errötete.
„Es ist aber die Wahrheit“, protestierte Hans und zog Agnes an den Schultern an sich heran.
Agnes entwand sich seinem Griff und sprang lachend auf und rannte los in Richtung Wald. Hans rannte lachend hinterher. Agnes war allerdings sehr schnell mit ihren langen Beinen und Hans konnte sie nicht einholen.
Bald hatte Agnes die ersten Bäume erreicht und plötzlich sah sie es! Eine Gruppe von Männern lagerte am Waldrand. Sie sahen verdreckt und wild aus, der Weinkrug wanderte von Hand zu Hand. Gerade hatte Agnes die Situation erfasst, da wurde sie von einem der Männer entdeckt. Dieser stand etwas abseits von der Gruppe und näher an Agnes als die anderen.
Agnes war wie erstarrt.
„Lauf los, komm zurück!“, rief Hans, der inzwischen näher gekommen war und sah, was passierte.
„Lauf endlich los!“, rief er nochmals.
Endlich wachte Agnes aus ihrer Erstarrung auf und lief los. Doch es war schon zu spät! Nach einigen Metern hatte sie der Mann eingeholt und riss sie zu Boden.
„Ha, was haben wir denn da für ein Vögelchen?“
Agnes schlug wild um sich und trat mit den Beinen und kreischte laut.
„Au, hör auf, du Biest, du entkommst mir doch nicht“, stöhnte der Widerling. Tatsächlich konnte sich Agnes nicht losreißen. Der Wilde war groß und hässlich mit einem struppigen Bart, langen wirren Haaren und Zahnlücken. Er roch nach Schweiß und stank aus dem Mund. Ein Albtraum! Agnes wurde es ganz schwindelig und sie versuchte, sich immer wieder loszureißen.
Vergeblich.
Der Bärtige riss sie hoch und zog die widerstrebende Agnes hinter sich her.
„Stell dich nicht so an! Du bist doch schon alt genug. Wir werden viel Spaß mit dir haben. Es wird dir gefallen. Ha, ha, ha!“ Er lachte widerlich.
Hans sah alles mit an und auch er erwachte von seinem Schreck. Er hatte sich inzwischen hinter den ersten Bäumen versteckt. Er schlich sich näher ran. Sein Herz pochte wild und schlug bis zum Hals. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Er musste etwas tun!
Er sah direkt vor sich am Boden einen Ast liegen. Groß und schwer, geeignet als Knüppel! Hans konnte an nichts anderes denken, als dass seine Agnes in Gefahr war. Er hob den Knüppel auf und versuchte, ohne Geräusch an die biden ranzukommen. Agnes und der Große machten gottlob genug Lärm, so dass sich Hans heranschleichen konnte.
Mit einer Mischung aus Angst und Wut holte er mit dem Knüppel aus und hieb dem Mann mit aller Kraft auf den Kopf!
Es gab ein hässliches Geräusch, als ob der Ast auseinanderbrach, oder war es der Schädel, der brach? Der Geschlagene sackte zusammen, ohne noch irgendeinen Ton von sich zu geben.
Agnes war frei.
„Los, lauf, zurück zum Dorf!“, rief Hans Agnes zu und zog sie an der Hand mit. Beide liefen los.
Inzwischen hatten die anderen Männer gemerkt, dass etwas los war und kamen angelaufen. Aber Agnes und Hans liefen, als ob der Teufel hinter ihnen her wäre. Die Männer gaben schnell auf. Die biden liefen immer weiter. Über den Bach, zum Dorf, zum Obertor.
Kurz vor dem Tor hielten sie an und schauten sich um. Es war weit und breit niemand zu sehen. Ausgepumpt warfen sie sich ins Gras. Es dauerte lange, bis sie Worte fanden.
„Ist dir was passiert? Bist du verletzt?“, fragte Hans.
„Nein, alles ist gut.“
„Hab ich ihn totgeschlagen?“, fragte Hans nach einer Weile.
„Nein, das glaube ich nicht. Dieses Gesindel, das sind zähe Kerle. Außerdem wäre es nicht schade um ihn.“
„Du hast recht“, sagte Hans. „Ich möchte mir nicht vorstellen, was diese Bande mit dir gemacht hätte, wenn sie dich in ihre Gewalt bekommen hätte!“
Hans legte seinen Arm um Agnes und diesmal ließ sie es geschehen.
„Danke“, sagte sie leise, „du hast mich gerettet, ich werde dir das nie vergessen.“
Hans schwieg zunächst dann sagte er: „Lass uns ins Dorf gehen, ich fühle mich erst sicher, wenn wir wieder hinter der Wehrmauer sind.“
Sie zwangen sich zum langsamen Gehen. Als sie das Obertor erreichten, wurde das kleine Tor bereits vom Schützen geöffnet.
„Na, ihr Turteltäubchen, war es schön?“, fragte dieser grinsend.
Agnes errötete und beide wussten, was der Schütze über sie gedacht hatte. Aber das war ihnen im Moment egal.
„Am Waldrand zum Buchberg lagern einige finster aussehende Gesellen, deswegen sind wir so schnell wie wir konnten zurück gerannt“, sagte Hans aufgeregt.
„Gut zu wissen“, sagte der Schütze, „wie viele sind es?“
„Ungefähr acht bis zehn Männer“, antwortete Agnes.
„Na, die werden es nicht wagen, ein ganzes Dorf zu überfallen. Wir werden jedenfalls noch wachsamer sein. Unsere Gewehre sind geladen. Sollen sie es ruhig mal versuchen. Wir werden es auch an die Schützen in den anderen Wehrtürmen weitergeben.“
Hans und Agnes gingen schweigend und in Gedanken versunken nach Hause. Sie versprachen sich noch gegenseitig, über die ganze schreckliche Angelegenheit gegenüber jedermann zu schweigen.
Der Schuster Conradt Bast war ärgerlich.
„Wo warst du den ganzen Mittag?“, fragte er Agnes barsch.
„Ich war wie meistens beim alten Pfarrer Acker zum Lernen.“
„Immer bist du beim Pfarrer! Du hättest sicher deiner Mutter bei ihrer Arbeit helfen können“, knurrte der Schuster.
Auch Agnes war jetzt etwas störrisch. Sie war immerhin schon im 19. Lebensjahr und wusste, was sie wollte. Sie antwortete dem Vater trotz allem mit der gebotenen Höflichkeit: „Ich hatte es mit der Mutter abgesprochen. Heute gab es keine besonderen Arbeiten und die Mutter und unsere Magd Maria wollten die Wäsche am Bach waschen, wofür sie keine weitere Hilfe brauchten.“
„Hm, hm“, brummte Conradt vor sich hin. Eigentlich war er nicht wirklich auf Agnes sauer, vielmehr hatte er schlechte Laune, weil es mit der Arbeit nicht voran ging. Es war Sommer, die Kinder und Mädchen und auch die Jungen gingen barfuss, selbst die Frauen und Mägde hatten nur leichtes Schuhwerk an, das nur selten zu Reparaturarbeiten führte. So hatte er nur die derben Schuhe der Bauern zur Reparatur. Dies war eine schwere und schweißtreibende Arbeit. Meist waren nur Näharbeiten notwendig, die viel Kraft erforderten. Ein Faden musste gewachst werden, damit er stabil und langlebig wurde und gut durch die Löcher gleiten konnte. Eingefädelt in eine lange, dicke Nadel musste das derbe Leder mit der Hand durchstochen und der Faden durchgezogen werden. Eine schmerzhafte Prozedur, die Blasen und Schwielen mit sich brachte. Mittlerweile war die Haut des Schusters aber hart wie Leder und das Ganze schon erträglicher. Trotzdem machte diese Arbeit wenig Freude und es konnte dafür auch kein großer Lohn verlangt werden.
Viel lieber waren Conradt natürlich größere Reparaturen, wie das Austauschen der Sohlen oder der Absätze oder auch der Spitzen. Bei einer Besohlung musste zuerst die alte Sohle abgerissen werden und dann das derbe Sohlenleder zugeschnitten werden. Der Schuh wurde dazu auf das große Stück Leder gestellt und die Umrisse mit einem Stift nachgezogen, danach wurde die künftige Sohle mit einem scharfen Schustermesser ausgeschnitten. Das teure Leder kaufte Conradt ein- oder zweimal im Jahr auf dem Markt in Hanau.
Die zugeschnittene Sohle musste dann mit Kleber auf die Brandsohle aufgeklebt werden. Damit die Klebung auch lange hielt, wurden die Schuhe in eine Art Presse gesteckt. Dazu wurde eine passende Leiste aus Holz in die Schuhe gesteckt und das Ganze in ein lederbezogenes Wasserbett gestellt, welches mittels einer Spindel von oben zusammengepresst wurde. So standen die Schuhe dann einen ganzen Tag in der Presse, bis der Kleber getrocknet war. Danach wurden noch diverse Nägel zur Sicherheit eingeschlagen und der überstehende Sohlenrand mit dem scharfen Messer abgeschnitten. Diverse Schnitte und Narben in des Schusters Handballen zeugten von etlichen Ausrutschern mit dem Messer.
Oftmals musste der Schuhrahmen vor der Besohlung noch aufgearbeitet werden. Der Rahmen wurde dann von Hand vernäht. Hierzu mussten Löcher mit der Ahle vorgebohrt werden und wieder ein gewachster Faden durchgezogen werden. Alles in allem eine große Arbeit. Ganz zum Schluss wurde meist noch ein gebogenes Eisen auf die neue Sohle genagelt, damit diese länger hielt. Beim Kirchgang am Sonntag konnte man dann auf dem steinigen Kirchenboden deutlich hören, wessen Schuhe neu besohlt waren. Das Eisen wurde meist nach einiger Zeit verloren.
Die Entlohnung für diese große Arbeit war dem Aufwand angemessen, erfolgte aber jetzt im Sommer nur zögerlich. Die Bauern hatten wenig Geld, bevor die Ernte eingebracht und ein Verkauf einzelner landwirtschaftlicher Produkte auf dem Markt stattfinden konnte. So blieb so mancher Bauer den Betrag bis zum Herbst schuldig oder versuchte, ihn in Naturalien zu bezahlen, was dem Schuster gar nicht so recht war, da er ja ebenfalls eine Landwirtschaft betrieb und er eigentlich keinen Mangel an Eiern, Obst, Gemüse, Kraut und Käse und ähnlichem hatte. Grund genug also für den Schuster Bast, heute etwas grimmig zu sein.
Agnes war inzwischen in die große Stube gegangen und Mutter Elisabeth kam in die Schusterwerkstatt neben dem Stall.
„Was macht sie ständig beim Pfarrer?“, fragte Conradt nach kurzem Schweigen.
„Du weißt doch, dass sie beim alten Pfarrer Acker alles über Krankheiten, Kräuter und Heilkunde lernt. Sie liest alles in seinen alten Büchern und lernt von dem Wissen des Pfarrers, damit sie einmal eine gute Heilerin wird.“
„Was hat sie davon? Was haben wir davon?“
„Sie will doch eine Heilerin werden, wie es sie in Hanau und anderswo gibt. Wir haben in Rodenbach keinen Medicus, nur den Pfarrer, die Amme und die Wehenmutter und sonst niemanden, der sich mit Krankheiten und Verletzungen auskennt. Eine echte Heilerin könnten wir gut gebrauchen und Agnes ist begabt, sie hat dem Pfarrer auch schon oft geholfen, Verletzungen zu behandeln, das weißt du doch!“
„So, so“, murmelte Conradt.
„Ja, und ich habe gehört, sie weiß alles über Kräuter, die bei Krankheiten helfen, und sie erkennt schon viele Krankheiten. Eine gute Heilerin kann damit ihren Lebensunterhalt bestreiten.“
„Das muss sie ja nicht. Sie sollte sich einen guten Bauern suchen und heiraten und ihm den Haushalt führen.“
„Das kann sie ja immer noch“, antwortete Mutter Bast.
„Das Lernen ist ihr heute sehr wichtig und sie erfüllt ihre Pflichten im Hause trotzdem zu meiner Zufriedenheit.“
„Na gut“, brummte Conradt schon ein wenig friedlicher. „Wer weiß“, sprach Elisabeth weiter, „vielleicht brauchen wir bald ihre Hilfe. Ich habe beim Waschen am Bach heute gehört, dass die Pest in Hanau ausgebrochen ist. Wenn die Seuche auch nach Rodenbach kommt, dann Gnade uns Gott, dann könnten wir eine gute Heilerin hier gebrauchen.“
Der Schuster wurde nachdenklich.
„Ich habe am Sonntag in der Gemeindeherberge auch schon das Gerücht über die Pest gehört. Aber die Pest kann man doch nicht heilen. Daran stirbt bisher jeder, der an ihr erkrankt. Da hilft nur noch Beten und Buße tun.“
„Nein, nicht jeder. Es gab Fälle, wo ein Medicus oder auch eine Heilerin einige Kranken gerettet hat.“
„Wie dem auch sei“, sagte Conradt, „wir sollten beten, dass uns die Pest verschont. Wir werden das im Kirchenrat mit dem Pfarrer besprechen. Vielleicht können wir etwas tun. Beten, Buße tun oder etwas ähnliches.“
Ratlos und ernst schauten die beiden sich an.
„Gott sei uns gnädig“, murmelte Elisabeth.
Agnes saß mit ihrer Familie in der großen Stube. Es war Abend und die Familie traf sich wie immer zum gemeinsamen Mahl. Mit dabei waren die Großmutter Margaretha, die Magd Maria und der Knecht Adam.
In der Ecke, im gemauerten Kamin, glühten noch die Holzscheite, die zuvor mit lodernden Flammen den über dem Feuer hängenden Kupfertopf erhitzt hatten. Die darin gekochte Gemüsesuppe war längst mit dem selbst gebackenen Brot verzehrt worden. Die glimmenden Holzscheite verbreiteten jetzt noch wohlige Wärme und spendeten etwas Licht in der direkten Umgebung des Feuers.
Schuster Bast saß mit seinen Söhnen Georg und Paul am großen grob gezimmerten Holztisch. Die Söhne waren fast schon erwachsen. Zusammen mit dem Knecht Adam frönten sie dem abendlichen Kartenspiel. Der Krug mit dem Wein aus der Herberge stand griffbereit, um die schnell leer werdenden Becher wieder zu füllen.
Mutter Elisabeth war mit dem Ausbessern einiger Gewänder beschäftigt. Eine leichtere Arbeit nach dem harten Tagwerk. Löcher stopfen mit Nadel und Faden bei schlechtem Licht.
Maria, die Magd, wollte eigentlich helfen. Maria war schon im 6. Jahrzehnt und die Alltagsarbeit fiel ihr zunehmend schwerer. Maria war inzwischen auf der großen Holzbank eingeschlafen. Ihr Kopf sank an die Schulter von Oma Margaretha, die dies amüsiert hinnahm.
Agnes nutzte die friedliche Stimmung, um ihr Anliegen mit der Mutter zu besprechen.
„Mutter, ich möchte mit dir etwas besprechen“, begann Agnes.
„Ja, was denn?“
„Ich möchte noch mehr über die Kunst des Heilens lernen.“
„Ja, warum nicht“, antwortete Elisabeth.
„Ich müsste dazu zu einem Medicus, nur von einem Medicus kann ich noch etwas Neues lernen. Die alten Bücher vom Pfarrer helfen mir nicht mehr weiter, sie sind auch meistens schon überholt und ich weiß, dass es neuere Heilmethoden gibt. Und ich muss auch praktische Erfahrung sammeln.“
„Wie soll das gehen?“, fragte die Mutter.
„Ich kann beim Medicus von Hanau, dem Medicus Michael Becker lernen. Pfarrer Acker hat schon mit ihm gesprochen.“
„Aha“, murmelte Elisabeth und schaute ihre Tochter ratlos an.
„Ich könnte ihn einige Zeit begleiten und ihm bei seiner Arbeit zusehen.“
„Aber wir haben kein Geld dafür übrig“, wandte die Mutter ein.
„Es wird uns nichts kosten“, sagte Agnes. „Ich könnte beim Medicus Michael wohnen und ihm bei der Arbeit helfen, dafür bekäme ich keinen Lohn, dürfte umsonst dort wohnen und würde verköstigt werden.“
„Ist das etwa alles schon geklärt?“, fragte die Mutter.
„Na ja, eigentlich schon, aber ich konnte bisher nicht zusagen, da ich unbedingt eure Zustimmung dazu haben möchte.“
„So, unsere Zustimmung. Da müssen wir aber erst noch deinen Vater überzeugen“, meinte Elisabeth.
Schuster Bast hatte schon eine kurze Zeit zugehört und schaltete sich wie auf ein Stichwort ein: „Du willst mich also überzeugen, aus dem Haus zu gehen, in Hanau zu wohnen und bei einem uns fremden Medicus zu lernen?“ „Ja, Vater.“
„Und ich bitte dich, es mir zu erlauben.“
Conradt überlegte eine Weile. Er war kein Mann für schnelle Entscheidungen, doch er liebte seine Tochter. Im Geiste wägte er das Für und Wider ab, während in der Stube ein gespanntes Schweigen herrschte.
„Wie lange soll das dauern und wirst du deiner Mutter bei der Hausarbeit nicht fehlen?“
„Es sind nur ein paar Wochen und Mutter müsste natürlich auch noch zustimmen.“
Elisabeth fiel es auch nicht leicht, dem Vorhaben zuzustimmen. Letztendlich hatte sie aber ihre Tochter immer unterstützt, deswegen sagte sie zögerlich: „Ich glaube, wir sollten Agnes ihren Wunsch erfüllen, wenn es ihr so wichtig ist, ich könnte sie schweren Herzens entbehren.“
„Hm, hm“, murmelte Conradt nicht zum ersten Mal.
„Mir wäre es lieber, du bliebest am Ort und suchst dir einen Bauern, mit dem du eine Familie gründen kannst. Der Hans Rießel mag dich doch und stellt dir ein wenig nach. Ich hätte nichts gegen eine Verbindung und Bauer Rießel auch nicht, wir könnten mit deinen Brüdern und mit Hans beide Höfe zusammen bewirtschaften.“
„Lieber Vater, eine Familie gründen habe ich doch gar nicht ausgeschlossen und ich mag den Hans auch, aber im Augenblick ist mir die Heilkunst wichtiger, bitte erlaube mir, nach Hanau zu gehen.“
„Hm, hm“, murmelte der Schuster wieder.
„Und es kostet uns wirklich keinen Gulden?“
„Nein, Vater, ich helfe ihm ja bei seiner Arbeit, der Medicus ist auch schon sehr alt und kann Hilfe gebrauchen. So helfen wir uns gegenseitig.“
Wieder war es still im Raum.
„Na gut“, sagte Conradt, „aber ich möchte den Medicus zuerst persönlich kennen lernen.“
„Ja sicher“, antwortete Agnes. „Der Medicus ist immer am Markttag in Hanau auf dem Markt. Dort können wir ihn am nächsten Markttag treffen.“
„Gut, dann soll es so sein“, sagte der Schuster und stöhnte leicht gequält auf. Offenbar hatte der abendliche Weingenuss ihn etwas milde gestimmt. Gleichzeitig fühlte er sich aber doch etwas überrumpelt, aber er war auch ein wenig stolz auf die Zielstrebigkeit von Agnes. Auch die Mutter war erleichtert, hatte sie doch eine größere Gegenwehr von ihrem Gatten erwartet.
Agnes war aufgeregt. Heute war Markttag in Hanau. Am Vorabend hatte Vater Conradt mit seinen beiden Söhnen Georg und Paul und dem Knecht Adam den großen Wagen beladen. Die Ernte war gut ausgefallen und man konnte leicht die Vorräte für den kommenden Winter auffüllen. Das Weißkraut war abgeerntet, von den Frauen geschnitten und die Fässer gefüllt zur Sauerkrautherstellung. Die Gurken waren in Sud eingekocht, der Kartoffelkeller aufgefüllt, Äpfel und Birnen lagerten im kühlen Keller. Der Überfluss, der nicht im Dorf verkauft oder eingetauscht werden konnte, wurde aufgeladen und mitgenommen, um ihn auf dem Markt zu verkaufen.
Besonderes hatten die Rodenbacher Bauern nicht zu bieten. Der meist sandige Boden war nicht sehr ertragreich und nicht alles konnte erfolgreich angebaut werden. Besser war es da mit den Wiesen, die gut gedüngt wurden und sich hervorragend zur Schweinemast, Ochsenmast, Schafs- und Gänsemast eigneten.
Bauer Bast hatte einige Felder, wo sich der Kartoffelanbau lohnte, und so war heute der große Wagen zum größten Teil mit Kartoffelsäcken beladen. Die Frauen hatten einige Hühner frisch geschlachtet und auch diese kamen mit zum Markt. Ebenso Schafswolle und Gänsefedern von Bauer Rießel, der den Markt dieses Mal nicht selbst beschickte, weil es sich nicht lohnte.
Die Basts hielten im kleinen Stall zwei Ochsen als Zugtiere und nicht zur Mast. Georg und Paul holten die beiden Ochsen aus dem Stall und legten ihnen das Zug-Geschirr an und spannten sie vor den großen Wagen. Conradt, Mutter Elisabeth und Agnes nahmen ganz vorne auf dem Wagen ihren unbequemen Sitzplatz ein und los ging es.
Der Vater nahm die Zügel in die schwieligen Hände und schwang die Peitsche über den Köpfen der Ochsen, dabei schnalzte er mit der Zunge und die trägen Tiere setzten sich gemächlich in Bewegung. Es ging durch die Untere Pforte, die heute schon geöffnet war, in Richtung der Bulauwälder. Der Weg führte kerzengerade durch den Wald. Er war mit Steinen befestigt und gut zu befahren. Trotzdem wurden die Menschen auf den Wagen mächtig durchgeschüttelt. Auch heute waren wieder mehrere Bauern mit ihren Gespannen unterwegs. Man schloss sich gerne zusammen, damit man nicht so leicht von Plünderern überfallen wurde.
Die Fahrt dauerte fast zwei Stunden, weswegen alle Bauern natürlich sehr früh aufgebrochen waren. Es ging unter anderem ja auch um die besten Standplätze auf dem Markt.
Dann standen sie vor der Stadt Hanau. Es war eine Festung. Agnes staunte erneut über die Befestigungsanlage Hanau. Die Wehrmauer war drei bis viermal so hoch wie die Wehrmauer in Rodenbach. Sie war auch doppelt so breit und es gab viele Wehrtürme in kurzem Abstand. Die Türme waren auch heute mit Schützen besetzt. Vor der Mauer war ein breiter Wassergraben und man gelangte nur über die Zugbrücke in die Stadt. Ein imposantes Bollwerk war diese Festung. Eindringlinge, Plünderer und gar ganze Armeen hatten schon vergeblich versucht, diese Festung zu stürmen.
Heute waren alle Tore offen. Vor dem großen Tor mit den zwei gewaltigen Türmen stauten sich die Wagen der Bauern, die zum Marktplatz strebten. Sie wurden von uniformierten Soldaten kontrolliert, ihre Wagen untersucht und dann einzeln eingelassen. Endlich war Conradt mit seinem Wagen an der Reihe. Die Basts passierten die Kontrolle problemlos und fuhren langsam hinter den anderen Wagen zum Marktplatz.
Hier herrschte bereits buntes Treiben. Die Basts bekamen einen Platz zugewiesen, wo sie ihre Waren feilbieten konnten. Der Marktplatz war gepflastert und sauber. Gaukler unterhielten die Leute mit ihrer Schau, Sänger sangen zur Laute. Es war ein friedlicher, lärmender Platz.
Agnes wollte den Medicus von Hanau suchen und gab den Eltern entsprechend Bescheid. Dann ging sie suchend los. Da gab es Stände mit Waren, die man nicht jeden Tag sah. Händler, die aus Franken mit ihren Booten den Main heraufgekommen waren, boten Tonwaren, Krüge und Töpfe aus Kupfer und anderes an. Es gab Stände mit Textilien, herrliche farbige Gewänder, Schürzen, Hüte und mehr. Wieder andere boten geflochtene Weidenkörbe an. Andere lebende Kleintiere, wie Hühner, Gänse und sogar Schafe. Selbst die Köhler aus den Rodenbacher Wäldern waren da und boten ihre Holzkohle an. Man musste ja heizen und kochen und Reserven für den Winter einlagern.
Alles war bunt und laut, ein geschwätziges buntes Treiben überall. Agnes saugte die Geräusche und fremden Düfte in sich auf. Sie suchte den Medicus Michael.
„Wo finde ich den Medicus Michael?“, fragte sie an einem der vielen Stände.
„Das weiße Zelt unten am großen Tor am Main. Du kannst es nicht verfehlen“, erklärte eine alte Frau, die neben ihrem Stand auf einem kleinen Stuhl saß. Agnes bedankte sich und ging frohen Mutes weiter. Die vielen Stände mit den verschiedensten Waren gefielen ihr und es kam ihr der Gedanke, dass sie hier einmal ihre Heilkräuter anbieten könnte, die sie seit langem sammelte, trocknete und aufbewahrte. Während sie dies dachte, sah sie schon von weitem das weiße Zelt des Medicus. Sie sah auch, dass dort etwas passiert sein musste. Eine größere Menschenmenge war vor dem Zelt versammelt und es war auffällig still. Zu still für die vielen Leute. Das bunte Treiben war offenbar erstarrt. In manchen Gesichtern sah man das blanke Entsetzen und groß aufgerissene Augen deuteten auf etwas Furchtbares hin.
Agnes bahnte sich einen Weg zum Eingang des Zeltes und hatte bald einen Blick auf das Geschehen. Ein Mann lag auf einer Liege und stöhnte erbärmlich. Blut schoss aus einer furchtbaren Verletzung an der Hand. Ein älterer Mann im weißen Kittel versuchte schwitzend und fluchend die Blutung zu stoppen. Überall war Blut, auf der Liege, auf der Kleidung des Verletzten, auf dem weißen Kittel des Medicus, wo es besonders grell und schreiend aussah. Selbst der weiße Bart des Arztes war blutig.
„So eine Sauerei!“, fluchte er erneut.
„Kann mir jemand helfen? Das hier muss genäht werden!“
Sobald der Medicus seine Hand von der Wunde wegnahm, schoss Blut stoßweise aus der klaffenden Wunde.
„Jemand muss mir helfen!“, stöhnte der alte Mann.
Agnes drängte sich vor, sah sich kurz suchend um und herrschte einen der umstehenden Männer an:
„Gebt mir euren Hosengürtel!“
Der Mann zögerte.
„Los, macht schon, euren Gürtel!“
Der Mann riss endlich seinen Gürtel aus der Hose und reichte ihn Agnes. Flink wickelte Agnes den Gürtel um das Handgelenk des Verletzten und zog fest zu. Ein lautes Stöhnen war die Antwort. Der Medicus ließ die Hand des Verletzten ganz langsam los und Gott sei dank floss kaum noch Blut aus der großen Wunde.
„Ich muss nähen“, wiederholte sich der Arzt.
„Jemand muss die Wunde zusammendrücken, damit ich nähen kann. Verdammt, alleine schaffe ich das nicht.“
Niemand rührte sich. Eher wichen die Leute etwas zurück. Nur Agnes überlegte nicht lange.
„Gebt mir Nadel und Faden, ich kann nähen, die Wundränder zusammenfügen könnt ihr sicher besser als ich!“
„Mädchen, du willst das hier nähen?“, fragte der Medicus ungläubig. „Das ist doch keine Hose oder Hemd, das man flickt.“
„Fragt nicht lange, ich kann das. Gebt mir das Nähzeug!“
Zögernd und unentschlossen reichte der Medicus Agnes die Nadel und den entsprechenden Faden. Geschickt fädelte Agnes den Faden ein. Der Arzt drückte inzwischen die weit auseinanderstehende Wundezusammen, so dass sie fest geschlossen war. Der Patient stöhnte immer stärker.
„Wir müssen uns beeilen, bevor der Schmerz stärker ins Bewusstsein tritt“, sagte Medicus Michael.
Agnes durchstach ohne zu zögern die Haut und zog schnell den Faden durch. Mit einem Tuch wischte sie zwischendurch die Schnittstelle sauber, so dass sie den Schnitt genau sehen konnte. Sie musste eine Menge Fäden legen. Sie tat dies mit äußerster Ruhe und großem Geschick. Der Arzt und die Umstehenden staunten. Agnes hatte eine Naht gelegt, wie es die Ärzte machen und nicht etwa wie man Hosen flickte.
„Geschafft“, seufzte der alte Herr.
„Mädchen, das hast du toll gemacht. Ich weiß nicht, wie ich das ohne dich gemacht hätte.“
Agnes lächelte verlegen.
„Lasst uns zuerst den Gürtel lösen und sehen, ob die Naht hält.“
Sie löste vorsichtig den Gürtel und wickelte ihn ab. Alle hielten die Luft an und tatsächlich, die Naht hielt und es kam kein Blut durch, zumindest kaum etwas. Während der Verletzte immer mehr stöhnte und nun auch laut klagte, verband der Medicus die Hand und lächelte zum ersten Mal entspannt.
„Uff, ich bin zu alt für solche Operationen. Aber du, junges Mädchen, bist sehr geschickt, wer bist du?“
„Ich bin Agnes Bast, die Tochter des Schusters von Rodenbach.“
„Ach, du bist das! Du wolltest doch ohnehin zu mir kommen. Das hat doch euer Pfarrer mit mir abgesprochen. Jetzt bin ich aber froh, dass ich zugesagt habe. Du bist so geschickt. Ich freue mich, dir etwas beizubringen. Sei mir willkommen!“
Der Medicus war völlig begeistert und reichte Agnes die Hand, wonach sie beide blutige Hände hatten und daher laut lachen mussten. Die Zuschauer lachten mit, nur der Verletzte stöhnte jetzt immer lauter.
Der Medicus kratzte sich am Kinn und sagte: „Der Verletzte muss zu mir nach Hause in mein Krankenzimmer. Es ist noch nicht ausgestanden. Ich muss sehen, ob es innerlich weitere Verletzungen gibt. Ich vermute, es sind Sehnen durchgeschnitten und die Hand kann steif werden.“
Der Medicus sah sich um.
„Gibt es Verwandte, Freunde oder jemanden, der den Verletzten zu mir ins Hospital bringen kann?“
Sofort meldeten sich zwei Männer und eine Frau. Es waren die Brüder und eine Magd des Verletzten, einem Metzger, der sich an seinem Wurststand so böse geschnitten hatte.
„Ladet ihn auf einen Karren und zieht ihn ins Hospital, ich werde ihn dort weiterbehandeln. Vermutlich muss ich einige Sehnen zusammenflicken.“
Die Brüder hoben den jammernden Metzger auf einen eiligst herbeigeholten Karren und fuhren los, nachdem ihnen der Weg erklärt worden war.
„Nun zu dir, Mädchen. Agnes, jetzt kenne ich ja deinen Namen. Ich bin wirklich froh, dass du bei mir lernen möchtest. Aber sag, woher kannst du so gut nähen?“
Agnes lachte: „Wir Bauerntöchter können alle gut nähen, schließlich sorgen wir das ganze Jahr über für die Kleider unserer Familien. Aber im Ernst. Das richtige Nähen von Wunden habe ich durch die Bücher unseres alten Pfarrers gelernt und heimlich an unseren frisch geschlachteten Hühnern geübt, sehr zum Schrecken meiner Mutter.“
Der alte Arzt lachte und sagte: „Und woher wusstest du, wie man den Blutstrom unterbindet?“
„Ich weiß“, antwortete Agnes, „das steht in keinem der alten Bücher. Ich kenne es aber vom Schlachten der Schafe und Schweine. Beim Durchtrennen einer Ader kommt das Blut stoßweise und man kann den Strom abdrücken, indem man die Ader zupresst. Bei einem Arm oder Bein geht das einfach, bei anderen Stellen ist das kaum möglich.“
Der Medicus wurde ganz still.
„Du weißt aber schon viel über den menschlichen Körper.“
Dann schwieg er beeindruckt und sagte dann: „Wie soll es nun weitergehen?“
„Ich muss euch meinem Vater vorstellen. Er lässt mich nur gehen, wenn er weiß, wo und bei wem ich lande.“
„Das kann ich verstehen. Wo ist der gute Mann? Wir wollen keine Zeit verlieren, ich muss noch nach dem verletzten Metzger sehen.“
„Gut, mein Vater ist hier. Wir haben einen Stand nicht weit von hier. Auch Mutter ist dabei.“
„Gehen wir! Mein Gehilfe, Siegfried, wird sich hier um alles kümmern.“
Gemeinsam schritten sie zum Stand der Basts. Vater Conradt schaute schon erwartungsvoll, als die beiden näher kamen. Die Kunde von der Versorgung eines Schwerverletzten mit Hilfe von Agnes hatte sich schnell herumgesprochen und die Basts waren schon gut informiert und auch ein wenig stolz auf ihre Tochter. Agnes stellte den Medicus vor. Die beiden Männer schüttelten sich die Hand. Auch Mutter Elisabeth begrüßte den Medicus voller Ehrfurcht. Dieser begann das Gespräch: „Ihre Tochter scheint mir sehr begabt für unseren Beruf zu sein. Ich freue mich sehr, dass ich sie ausbilden kann.“
„Wie sieht das aus? Wo und wie wird sie wohnen? Wie lange dauert die Ausbildung?“
Conradt brannten die Fragen auf der Seele.
„Nun, ich leite das Hospital zu Hanau und mein Haus ist direkt dabei. Bei mir wohnen noch mein Gehilfe und natürlich meine Frau. Eure Tochter würde bei mir wohnen und hätte eine eigene Kammer und lebte in meiner Familie. Wir haben keine Kinder und würden Agnes wie eine Tochter aufnehmen. Kost und Logie wären umsonst, dafür hilft sie mir bei der Arbeit im Hospital und wird ausgebildet im Beruf einer Heilerin. Wir arbeiten von Montag bis Samstag. Der Sonntag ist frei und Agnes kann euch in Rodenbach besuchen. Dafür kann sie meine Pferdekutsche benutzen.“
Elisabeth schaltete sich ein: „Wie lange wird sie bei euch bleiben?“
„Das hängt davon ab, wie viel sie lernen möchte. Ich schätze, 3 Monate sollten für eine normale Ausbildung reichen. Wenn sie über die Kräuter-Heilkunde noch viel lernen muss, dann eventuell noch ein paar Tage länger. Wir sollten das auf uns zukommen lassen.“
Alle schwiegen, auch Agnes. Alles war geklärt.
„Wann soll es losgehen?“, fragte Conradt.
„Von mir aus sofort.“
Elisabeth erschrak und wandte schnell ein: „Ich schlage vor, dass Agnes beim nächsten Marktbesuch in einer Woche mit uns hierher kommt und dann hier bleiben kann.“
„So machen wir es“, erwiderte der Medicus. „Dann bis nächste Woche.“
Er reichte jedem die Hand. Zuletzt Agnes.
„Vielen Dank, Meister Michael, ich freue mich auf die Lehre, und mit der Kräuterkunde bin ich bestens vertraut. Bis nächste Woche also.“
Hans Rießel saß am Rodenbach in der Nähe der kleinen Lohmühle. Wie früher kam er öfter hierher, setzte sich an den kleinen vor sich hin murmelnden Bach und träumte.
Nach dem verhängnisvollen Vorfall mit den Plünderern und Agnes war er schon wenige Tage danach zu dem Ort des Geschehens geschlichen. Es war ihm bange und die Angst schlich sich in sein Gehirn, vielleicht den Erschlagenen oder dessen Grab zu finden.
Er fand keines von beidem. Trotzdem plagte ihn eine große Unruhe und ein schlechtes Gewissen. Hatte er einen Menschen erschlagen? War er ein Mörder? Er konnte mit niemandem darüber reden. Auch mit Agnes nicht. Er glaubte sogar, dass sie ihm noch Wochen nach diesem Erlebnis aus dem Weg ging. Die alte Vertrautheit wollte sich nicht mehr einstellen. Zwar versuchte Hans, ihr immer wieder näher zu kommen, aber Agnes wies ihn ab. Das schreckliche Erlebnis sollte sie eigentlich mehr zusammen schweißen, doch eher stand es zwischen ihnen!
Die Freundschaft blieb, doch es wurde nicht mehr daraus.
Die Jahre vergingen. Hans musste keine Gänse mehr hüten, sondern übernahm mehr und mehr die Pflichten des Bauern. Agnes sah er kaum noch, so sehr er sich das auch wünschte. Agnes arbeitete zuhause und lernte beim neuen Pfarrer. Zur Zeit war sie sogar zur Ausbildung in Hanau.
Hans hatte seine jugendliche Fröhlichkeit verloren. Nicht nur die Geschichte von damals plagte ihn. Agnes fehlte ihm auch. Wenn er Zeit hatte, lief er zum Bach, zur kleinen Lohmühle und starrte verträumt ins Wasser.
Heute saß er wieder an seiner Lieblingsstelle. Es war Sommer, es war heiß, alle möglichen Insekten schwirrten um ihn herum. Hans sah einem gelben Schmetterling nach, wie er mit wippenden Flügeln auf einer Butterblume landete, um dann wie ein Tänzer davon zu tanzen. Ein Schmetterling tanzt nur einen Sommer lang. Hans tanzte gar nicht mehr. Traurig schaute er dem Tänzer hinterher und blinzelte in die Sonne, bis die Augen tränten.
„So traurig, Hans?“
Hans schreckte aus seinen Träumen auf. Vor ihm stand Maria, die Müllerin, Hans Horufs Witwe. Hans musterte die Müllerin. Maria war eine äußerst schöne Frau, nicht sehr groß, kräftige sportliche Figur, die heute durch die sommerliche Kleidung nicht zu verbergen war. Sie hatte lange schwarze und glatte Haare und dunkle Augen. Sie war eine stille Natur, etwas melancholisch, was angesichts ihrer Geschichte verständlich war. Endlich kehrte Hans in die Gegenwart zurück.
„Traurig? Eher nachdenklich.“
„Und was denkst du so?“
„Och, dies und das, nichts Besonderes.“
„Nichts Besonderes? Ist es nicht vielleicht die Schusters Tochter, die dich beschäftigt?“
„Wie kommst du darauf?“, fragte Hans.
„Na ja, das weiß doch jeder in Rodenbach, dass du sie verehrst.“
„Verehren trifft es nicht. Wir kennen uns seit der Schulzeit und ich mag sie, ja, aber aus uns wird nichts.“
„Wieso?“
„Sie hat anderes im Kopf. Will eine große Heilerin werden. Sie liest in jeder freien Minute, studiert die alten Bücher über die Heilkunst beim Pfarrer. Meine Bemühungen um sie waren jedenfalls vergeblich. Ich habe sie mir aus dem Kopf geschlagen.“
„Hast du wirklich?“
„Ja, hab ich!“
Beide schwiegen eine ganze Weile. Schauten den tanzenden Schmetterlingen nach, den Bienen und anderen Insekten, die sie umschwirrten. Nach einiger Zeit sagte Maria leise: „Ich kann dich gut verstehen. Auch ich denke oft an meinen Mann. Du weißt, er hieß auch Hans, wie du, und er ist tot und er fehlt mir.“
Hans berührte sie sacht am Arm.
„Ich weiß, die Geschichte kennt jeder im Dorf. Der Unfall war sehr tragisch. Es tut mir leid.“
„Es ist zwar schon eine Weile her, aber er fehlt mir immer noch. Wir hatten so schöne Pläne.“
„Was für Pläne?“
„Hans wollte eine Gerberei aufbauen. Wir wollten nicht nur die Lohmühle betreiben, also die Baumrinden malen und die Lohe an die Gerber verkaufen, was ja leider nicht viel einbringt. Wir wollten die Lohe behalten, die Häute und Felle gerben und dann das Leder verkaufen. In Hanau und Umgebung gibt es viele Täschner, Sattler und Schuhmacher und wir hätten viele Abnehmer für unser Leder gehabt. Leider ist der Unfall dazwischen gekommen. Wir wollten einen Schuppen und einen weiteren Lagerraum an die Mühle anbauen. Hans hatte sich im Dorf ein Ochsengespann geliehen, um Steine von der Klosterruine St. Wolfgang im Bulauwald zu holen. Du weißt ja, dass sich die Bauern dort ihre Steine holen, seit das Kloster zerstört wurde. Auf dem Rückweg scheuten die Ochsen vor einem Wildschwein, das ihren Weg kreuzte, und Hans stürzte vom Wagen und wurde von dem schwer beladenen Wagen überrollt.“ Hans fasste sie fester am Arm und sagte: „Es tut mir sehr leid.“
Maria war bewegt und hatte feuchte Augen.
„Ist schon gut. Es ist schon lange her und ich muss nach vorne schauen.“
Lange Zeit war es still. Nur die Grillen zirpten und das Wasser des Baches murmelte besonders laut.
„Was ist aus den Steinen geworden?“
„Die Bauern aus dem Dorf haben das Gespann zur Mühle gebracht und die Steine abgeladen. Sie liegen immer noch hinter der Mühle und sind fast schon zugewachsen.“
„Kann ich sie mir mal ansehen?“
„Ja natürlich, aber warum?“
„Ach, nur so. Komm, zeig sie mir.“
Maria stand auf und ging langsam vor ihm her zur Mühle. Hans ging seitlich hinter ihr her. Ihr Kleid spannte über dem Hintern und ihre großen Brüste bewegten sich auf und ab. Kein Wunder, dass sie im Dorf nur „die schöne Müllerin“ hieß und jeder ungebundene Mann sie gerne gefreit hätte. Sie hatte aber alle Bewerber abblitzen lassen.
Hans verdrängte seine aufkommenden Gedanken und schloss schnell zu ihr auf. Hinter der Mühle zeigte Maria auf den Steinhaufen.
„Da liegen sie nun und verrotten“, sagte sie.
„Hm“, sagte Hans. „Es sind zu wenig.“
„Zu wenig für was?“
„Zu wenig für einen Schuppen und eine Halle“, antwortete Hans.
„Hans wollte natürlich nach und nach noch mehr Steine holen, aber so weit ist es leider nicht gekommen. Wir haben sogar noch Kalk aus der Kalkbrennerei in der Mühle liegen. Alles vergebens.“
„Nichts ist vergebens. Ich habe da eine Idee.“
„Was für eine Idee?“
„Ich muss erst einmal nachdenken, es muss durchdacht sein, bevor ich etwas Voreiliges sage. Vertraust du mir?“ „Ich glaube schon, doch.“
„Gut, ich muss jetzt gehen, ich muss nachdenken. Können wir uns hier wieder treffen? Am Sonntag nach der Mittagsmesse?“
„Ja gerne … Hans.“
Verlegen schaute Hans Maria an. Zögerlich nahm er sie in den Arm und drückte sie an sich. Maria erwiderte die Umarmung und Hans spürte ihre großen festen Brüste an seiner Brust. Ein unbekanntes Begehren überfiel ihn und er ließ sie schnell los.
„Bis Sonntag“, sagte er.
„Bis Sonntag, ich freue mich“, antwortete sie verlegen.
Die Tage vergingen viel zu langsam. Hans erinnerte sich immer wieder an die Umarmung und spürte Maria, als sei es eben erst gewesen. Der Sonntag wollte und wollte nicht kommen. Die Messe am Sonntagmittag wollte nicht enden. Der Weg zum Bach war diesmal auch unendlich weit. Hans hatte fast jede Nacht wach gelegen und gegrübelt. Er wollte Maria helfen, hatte aber noch keinen genauen Plan. Aber warum wollte er ihr überhaupt helfen? Warum konnte er nicht schlafen? Warum schlug sein Herz so schnell, wenn er an sie dachte?
Er hatte Angst vor den Antworten und überlegte sich lieber einen Plan.
Endlich war er am Bach an der kleinen Mühle. Er setzte sich wie immer ins Gras und wartete. Ob Maria wirklich kam? Hatte sie auch an ihn denken müssen?
Dann sah er sie kommen. Maria in einem hellen fröhlichen Sonntagsgewand. Und wieder sah er, wie schön sie war, und sein Herz klopfte und er atmete schwer vor Aufregung.
Agnes war nun schon die zweite Woche beim Medicus Michael in Hanau zur Lehre. Anfangs durfte sie nur einfache Arbeiten verrichten. Neben dem Wohnhaus gab es das Hospital der Stadt Hanau für schwer Erkrankte. Dafür gab es einen Stadtphysikus, der akademisch gebildeter Arzt war. Er verwaltete das Hospital. Der Medicus aber kümmerte sich um die medizinische Versorgung der Kranken. Dabei halfen ihm einige Gehilfen, eine Wehenmutter und einige Nonnen aus dem nahen Kloster in Seligenstadt. Agnes wurde dem Medicus eine wichtige Helferin. Die Kranken wurden im Hospital bestens versorgt und betreut und Agnes staunte immer wieder über das Wissen und Können des Medicus.
Sie wunderte sich über die peinliche Sauberkeit, die der Medicus genauestens überwachte. Sie half, die Kranken täglich zu waschen, sie half beim Essen, sie bereitete mit der „Kräuter-Nonne“ Salbenverbände vor, sie legte Verbände an. Sie säuberte Wunden, sie maß Fieber und prüfte den Blutfluss. Inzwischen durfte sie auch bei Operationen helfen. Das Pensum, das erlernt werden musste, war enorm.
Abends lag Agnes erschöpft auf dem Bett ihrer Kammer. Beim gemeinsamen Abendessen waren ihr fast die Augen zugefallen vor Müdigkeit. Jetzt aber konnte sie nicht schlafen. Sie ließ das Geschehen des Tages an sich vorüberziehen. Dann nahm sie sich eines der vielen medizinischen Bücher aus dem Regal. Die Bücher hatte ihr der Medicus gegeben, mit dem Hinweis, sie sollte diese unbedingt studieren, es sei bester Lehrstoff. Agnes stellte fest, dass die Bücher, die sie zuhause beim alten Pfarrer gelesen hatte, nicht auf dem neuesten Stand waren. Der Medicus hatte neuere Bücher, deren Inhalt Agnes wissbegierig aufsaugte. Vor allem die Kräuterbücher erregten Agnes’ Aufmerksamkeit. Hatte sie doch hauptsächlich die Schriften von Hildegard von Bingen gelesen. „Causae et Curae“ oder „Physica“ waren ihre Wissensgrundlage, aber schon vor 400 Jahren geschrieben worden. Natürlich war vieles noch aktuell, aber aus neueren Büchern konnte Agnes ihr Wissen auf den neuesten Stand bringen. So gab es zum Beispiel „Der Garten der Gesundheit“ von Peter Schoeffer aus Mainz aus dem 15. Jahrhundert. Auch das Folgebuch „Der große Gesundheitsgarten“ (Hortus sanitatis) zeigte neuere Erkenntnisse. Auch Bücher mit getrockneten und eingeklebten Pflanzen gab es erstmals.