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Flitterwochen auf der Insel der Liebesgöttin Aphrodite? "Auf jeden Fall!", denkt die Reisejournalistin Lena. Deshalb reist sie frisch vermählt mit ihrem Sokrates auf die Insel Kýthera. Eigentlich schon genug prickelnde Emotionen, doch gerade jetzt will eine Forschungsgruppe wie einst Schliemann den Legenden rund um einen sagenhaften Inselschatz auf den Grund gehen. Bald ist die ganze Insel im Schatzfieber und Lena und Sokrates mittendrin. Als dann auch noch ein seltsam verdächtiges Trio auftaucht und eine veritable Diebstahlserie die friedliche Insel überzieht, ist Lenas und Sokrates' kriminalistische Neugier geweckt. Ob die beiden mit den Begleitern der Aphrodite für Aufklärung sorgen können?
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Seitenzahl: 260
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Verdächtige Gestalten
Flitterwochen
Porphyrousa
Das beste Bett Kýtheras
Brücke der Liebe
Aphrodites Strand
Kultur muss sein
Abendstimmung mit Krokodil
Wind und Wolken
Frühstück mit Zeitung
Im Archäologischen Museum
Schatzfieber
Segeltörn
Die uralte Ikone
Strandtag mit Überraschung
Fisch am Südseestrand
Auge der griechischen Meere
Ein Schiff
Chýtra
Lepra-Kolonie
Inmitten der Nacht
Selbstverständlich aus Mitáta
Ruinen
Markttag in Potamós
Verpatzt
Irgendetwas ist da faul
Im Hafen
Das Haus am Strand
Die Begleiter der Aphrodite
Ein großartiger Coup
Zukunft
Adío heißt auf Wiedersehn
Anhang
Anmerkung zu griechischen Namen und Ausdrücken
Glossar verwendeter griechischer Begriffe und Redewendungen
Lebensweisheiten von Lenas Giagiá & Pappoú
Intertextualität: Verweise und Bezüge
Kýthera lässt grüßen: Lenas liebste lukullische Köstlichkeiten
Die Hitze flirrte auf dem Fähranleger, auf dem verlassen einige Autos schwitzten. Der schmale Sandstrand, der zu beiden Seiten des Anlegers auslief, war menschenleer und müde Wellen liefen lautlos an Land aus. Möwen tauchten geräuschlos durch die Lüfte. Auf der Hauptstraße, die parallel zum Ufer verlief, rollten träge einzelne Fahrzeuge. Die dahinter liegenden Häuser des Ortes schwiegen und blickten stumm auf den Pier.
Eine zähe, doch gespannte Schläfrigkeit hatte den gesamten Ort erfasst. Wie ein Tier, zum Sprung bereit, lauerte Neápoli unter der Mittagssonne. Ob einheimisch oder fremd, man wartete. Gut geschützt saß man unter riesigen Sonnenschirmen in den Cafés und Restaurants, die sich auf der weiß getünchten Promenade, die das Ufer einfasste und Land von Meer schied, aneinanderreihten. Man trank Fréddo oder aß Chtapódi, Oktopus, um sich die Zeit zu vertreiben, bis – endlich – das Schiff käme.
Genüsslich schob sich Lena ein weiteres Stück Oktopus in den Mund, als plötzlich das Kreischen eines gequälten Motors die Stille zerriss. „Ti Malákas! Was für ein Idiot!“, stieß sie hervor und versuchte vergeblich die Gabel aufzufangen, die ihr vor Schreck aus der Hand gerutscht war und nun laut klappernd auf dem Boden unter dem Tisch landete. „Gamóto! Verdammt!“, fluchte sie, „Mein schöner Chtapódi!“
Erneut heulte ein Motor auf, dann hörte man das aufgeregte Tuckern schwerer Motorräder, die sich in rasantem Tempo durch die Gassen des Ortes der Uferpromenade näherten. Schon rauschten zwei schwarze Feuerstühle auf den Anleger. Die Bremsen quietschten, dann erstarben abrupt die Maschinen und ein dichter Geruch von Benzin und Gummi hüllte alles ringsum ein. Lässig glitten die ganz in Schwarz gekleideten Fahrer von ihren Böcken und nahmen die Helme ab. Darunter kamen ein Mann und eine Frau zum Vorschein. Unruhig von einem Bein auf das andere tretend verharrten sie neben ihren sich in der Sonne spiegelnden Krafträdern. Im nächsten Moment rollte ein weiteres Motorrad ungesund knatternd auf den Anleger. An das altersschwache, feuerrote Vehikel war ein recht großer, klobiger, mit vielen bunten Aufklebern verzierter Anhänger gekoppelt. Der kugelrunde Fahrer hatte sichtlich Mühe, sich in Balance zu halten und rechtzeitig vor den beiden schwarz Gekleideten anzuhalten. Schon fuchtelte der Mann aufgeregt mit beiden Armen durch die Luft, als könne er so das herannahende Unglück aufhalten, da brachte der Kugelrunde sein Gefährt endlich zum Stehen.
„Agápi mou“, schmeichelte eine samtige Stimme neben ihr und ein zärtlicher Kuss traf ihr Ohr.
Nur widerstrebend löste Lena ihren Blick von diesem Spektakel, wandte den Kopf und fiel sogleich in die Augen ihres Gegenübers. Ihre Blicke sanken ineinander, verschlangen sich, tauchten bis zum Meeresgrund. Nie, nie, nie würde es genug sein. Immer, immer, immer wieder. Aiónios. Ewig.
Ein Handy klingelte. Hektisch angelte Sokrates in seiner Tasche danach, zuckte entschuldigend mit den Schultern, stand auf und entfernte sich einige Schritte.
„Natürlich!“, dachte Lena, „Mutter! Und Muttersöhnchen!“ Leichter Groll rollte ihr durchs Herz, doch den schob sie schnell zur Seite. „Viel zu schön! Und außerdem …“ Schnell ließ sie den Blick schweifen. Wo waren diese drei Motorradfuzzis? Ein zufriedenes Grinsen stahl sich in ihre Mundwinkel, als sie die drei erblickte, die sich gerade im angrenzenden Café niederließen.
Der eine, der zusammen mit der Frau gekommen war, war groß, schlank und hatte ein extrem großes und schmales Riechorgan, das gebogen wie ein Vogelschnabel aus seinem Gesicht ragte. Seine Haare waren rabenschwarz und fielen fusselig bis auf die Schultern. Der kleine Kugelrunde mit dem exorbitanten Gefährt trug eine Kartoffelnase im Gesicht. Seine spärlichen Haare standen verschwitzt vom Kopf ab. Die Frau schließlich war mittelgroß, muskulös und drahtig. Das Auffallendste an ihr waren aber die grellrot gefärbten Haare, die ihr wild um den Kopf standen.
„Rote Zora“, sann Lena, doch so richtig wollte dieser Vergleich nicht passen.
Gerade rückte Vogelnase der Rothaarigen den besten Stuhl am Tisch zurecht, während der Kugelrunde unnütz um sie herumwieselte und dabei fast den Sonnenschirm umriss. Seine hastig gestammelten Entschuldigungen bewahrten ihn nicht vor ihrem eisigen Blick.
Kaum hatten sich alle drei gesetzt, da pfiff die Rote auf den Fingern nach dem Kellner und rief: „Phíle, sollen wir ewig warten?“ Das Sagen hatte also eindeutig sie. Das verriet auch ihr herrisch verbissener Mund, der nun nach dem herbeigeeilten Kellner schnappte: „Wurde auch Zeit! Drei Fréddo! Flott!“
„Fehlt nur noch die Peitsche“, dachte Lena und ein leises Frösteln lief ihr über den Rücken. Sie war froh, dass Sokrates in diesem Moment auf seinen Stuhl neben ihr plumpste. Hastig griff sie nach seiner Hand und verschränkte die Finger mit seinen.
„Óla endáxi?“, fragte er sie, „Du bist ein bisschen blass um die Nase.“ Besorgt sah er sie an.
„Óla kalá“, flüsterte Lena, „aber die Gestalten da“, dabei nickte sie mit dem Kopf in deren Richtung, „sind ein bisschen seltsam.“
„Wieso flüsterst du?“, flüsterte Sokrates.
„Weiß auch nicht“, kicherte Lena leise.
„Meinst du“, raunte Sokrates verschwörerisch, „das sind die nächsten Ganoven, die du zur Strecke bringen wirst?“ Seine Augen neckten sie.
„Maláka“, sagte Lena entrüstet und knuffte ihn in die Seite.
„Erwischt“, gluckste Sokrates und tippte ihr auf die Nasenspitze, „du legst es also wieder darauf an, der Polizei ins Handwerk zu pfuschen und die Gangster zu schnappen!“
„Ganz genau“, schmunzelte Lena, „schließlich bin ich die Gattin des Kommissars!“
Versonnen betrachtete Lena ihren Ehering, der frisch an ihrem Finger glänzte. „Verheiratet“, durchfuhr es sie wieder einmal und ihr Herzschlag beschleunigte sich, „Sokrates und ich sind verheiratet! Wirklich und wahrhaftig. Ich kann es immer noch nicht glauben!“ Eine warme Welle des Glücks durchrollte sie.
Was war sie aufgeregt gewesen! Nicht so sehr vor ihrem sogenannten großen Tag, mit dem alle Welt sie verrückt gemacht hatte, sondern in Vorfreude auf ihre Flitterwochen! Vier unendlich lange Wochen, nur sie zwei – die frischgebackenen Eheleute Lena und Sokrates! Dabei freute Lena sich nach all dem Trubel nicht nur auf ungestörte Zweisamkeit. Für sie markierten ihre Flitterwochen den Beginn ihres gemeinsamen Lebens, da sie sich bisher in ihrer Fernbeziehung zwischen Deutschland und Korfu aufgerieben hatten. Die Zeiten, in denen sie sich nicht hatten sehen können, da Sokrates als Kommissar auf Korfu unabkömmlich oder Lena als Reisejournalistin in ihrem Verlag in Deutschland gebraucht worden war, die Wiedersehen auf griechischem oder deutschem Boden, die gleichzeitig wunderschön innig und überzuckert von vorweggenommenem Abschiedsschmerz gewesen waren, die vielen, schier herzzerreißenden Lebewohls auf unpersönlichen Flughäfen, das Zerrissen-Sein des Lebens in eines ohne und eines mit dem Anderen, die Unsicherheiten, dass die Liebe verlöschen könnte – das alles war nun vorbei. Endlich blickten sie in eine gemeinsame Zukunft und daran konnte selbst Meropi, Sokratesʼ Mutter, nichts mehr ändern. Schließlich waren sie vor Gott und der Welt rechtmäßig verbundene Eheleute.
Meropi hatte alles nur Erdenkliche unternommen, um die Beziehung zwischen Sokrates und Lena zu torpedieren, denn sie hatte ihren Sohn unbedingt mit Sophia verheiraten wollen. Nach alter, hinterwäldlerischer Tradition hatten Meropi und Sophias Mutter ihre Kinder einander an der Wiege versprochen. Doch Sokrates hatte sich zu Lenas Erstaunen dieses Mal nicht dem Willen seiner Mutter gebeugt.
Ihre beste Freundin Niki hatte es ihr direkt nach der Taufe ihrer Tochter Anna vor gut zwei Jahren prophezeit. „Wenn Sokrates etwas will – und dich will er, daran besteht kein Zweifel –, dann wird er nicht zaudern! Er wird alle Hebel in Bewegung setzen und dich im Handumdrehen heiraten!“
Lena hatte damals ihre Freundin ausgelacht. „Wieso sollte Sokrates plötzlich eine solche Bestimmtheit an den Tag legen?“, hatte sie gedacht und sich gründlich geirrt. Sokrates hatte, unterstützt von seinem Vater Lakis, seine Liebe zu ihr gegen seine Mutter verteidigt.
War das noch der Sokrates, der sie auf Nikis Hochzeit so schmählich hatte sitzen lassen, als Meropi dies von ihm gefordert hatte? Es musste der Sokrates sein, der ihr im Garten des Achilleion das Leben gerettet hatte. Mit dem sie während ihres ersten gemeinsamen Urlaubs auf Thássos auf der Spur des Marmors in manch schrecklichen Abgrund geblickt hatte. Der ihr einen so romantischen Antrag gemacht hatte. Der sie schlicht und ergreifend offenbar liebte.
Sokrates hatte alsdann die Hochzeitsvorbereitungen mit einer so großen Verve vorangetrieben, dass Lena manchmal schwindelig geworden war, aber gezweifelt hatte sie nie.
Was war das für ein fieberhafter Trubel gewesen. Nicht nur Sokrates, sondern auch Niki war völlig aus dem Häuschen gewesen. „Wie Niki eben so ist“, schmunzelte Lena, die ihre Freundin nur allzu gut kannte. Immerhin waren sie seit Kindesbeinen miteinander vertraut. Lenas Großeltern waren jeden Sommer aus Deutschland, wohin sie als Gastarbeiter gegangen waren, in ihr Dorf auf der Peloponnes zurückgekehrt und ihre Enkelin hatten sie natürlich mitgenommen. Nikis Familie hatte damals im Haus nebenan gewohnt und so hatten Lena und Niki zusammengefunden. Von Anfang an hatten sie eine ganz besondere, innige Verbindung zueinander gehabt.
„Kaum verwunderlich, dass wir jetzt sogar miteinander verwandt sind“, lächelte Lena.
„Ohne mich gäbe es gar keine Hochzeit!“, war Niki nicht müde geworden zu betonen, worauf Lena stets geantwortet hatte, „Stimmt. Ohne dich hätte ich Sokrates niemals kennengelernt. Allerdings hätte er mir dann auch nicht auf deiner Hochzeit mit deinem Vassilis, seinem Cousin, das Herz brechen können!“ Darauf hatten sie herzlich gelacht und sich in den Arm genommen. Es war ja alles gut geworden.
Davon, dass Lenas Hochzeit etwas ganz Besonderes werden müsse, ließ sich Niki jedoch nicht abbringen. Sie war um Lena herumgeschwärmt, als gälte es, eine königliche Vermählung zu organisieren. Unentwegt hatte sie telefoniert und alle auch nur im entferntesten mit der Eheschließung Betrauten völlig verrückt gemacht. Nichts war ihr gut genug erschienen, sodass zum Beispiel Lenas Patenkind, Nikis Tochter Anna, nicht nur ein angemessenes, sondern gleich mehrere niedliche Kleidchen besaß, die sie wahrscheinlich niemals würde auftragen können, so schnell, wie sie wuchs.
Bei der Hochzeitstorte hatte Niki sodann völlig übertrieben. An einem Sonntagnachmittag hatte sie den engsten Familienkreis zum Testen beordert. Das, was sie zum Probieren vorgefunden hatten, waren allerdings nicht zwei oder drei Torten, sondern veritable Tortenberge. Ihnen war im Anschluss so furchtbar übel gewesen, dass sie alle am folgenden Tag nicht hatten arbeiten können. Da hatte auch kein Ouzo mehr geholfen.
Wenn Lena eingewandt hatte, dass Niki nicht so übertreiben solle, hatte Niki sie stets mit großen, unschuldigen Augen angesehen und gesagt: „Aber es ist doch deine Hochzeit, Nífi! Und die lasse ich dir nicht vermiesen! Schließlich gehörst du jetzt einwandfrei und ohne Zweifel ganz und gar zur Familie! Lena: Familie!“
Auch Nikis Schwiegereltern hatten sich liebevoll um Lena gekümmert, fast als sei sie wirklich Nikis Schwester, der sie in dem ganzen Tumult hatten beistehen müssen.
Ebenso rührend war Sokratesʼ Vater Lakis gewesen. „Ach, Laki“, dachte Lena liebevoll, „wenn du mich nicht manches Mal vor Niki und vor allem vor deiner Frau gerettet hättest in dieser verrückten Hoch-Zeit der Vorbereitung meiner Hochzeit …“ Von Zeit zu Zeit hatte Lakis nämlich angerufen und mit ihr über alles Mögliche geplaudert außer über die Hochzeit, wofür Lena ihm dankbar war. Nur Meropi hatte sich strikt aus allem herausgehalten. Wenn es sich nicht hatte vermeiden lassen, dabei zu sein, so wie beispielsweise bei der mittlerweile legendären Tortenschlacht, dann hatte sie versucht, mit ihrem sauertöpfischen Gesicht den Anderen die Laune zu verderben. Das war ihr allerdings nie gelungen, denn Lakis hatte stets darüber gewacht, Meropi mit irgendeiner Aufgabe weitab zu beschäftigen. Auch dafür war Lena ihm sehr dankbar.
„Lakis ist schon ein Phänomen!“, dachte Lena amüsiert bei dem Gedanken an ihren Schwiegervater, „Obwohl er nur wenige Brocken Deutsch kann, hat er sich ausgezeichnet mit den Gästen aus Deutschland verstanden! Allerdings könnte der hauseigene Kumquat-Likör oder der Ouzo nicht unwesentlich zur Völkerverständigung beigetragen haben. Wie sagte mein Pappoús immer: To oúzo voitháei pánta. Ouzo hilft immer. Recht hat er!“
Ihre Verlagskolleginnen und -kollegen sowie ihre Freundinnen und Freunde aus Deutschland waren fast ebenso aufgeregt wie Niki gewesen. „Wie sieht eine griechische Hochzeit aus?“ „Wie läuft sie ab?“ „Was müssen wir anziehen?“ Mit diesen und ähnlichen Fragen hatten sie Lena schier gelöchert.
„Mittlerweile könnte ich einen Ratgeber schreiben: die griechische Hochzeit – Anleitung für deutsche Gäste.“ Lena kicherte.
Eigentlich hatte es ihr sehr viel Spaß gemacht, immer wieder von ihrer Hochzeit zu erzählen. Gerne hatte sie erklärt, dass sich die Festgesellschaft anders als in Deutschland zunächst auf dem Kirchplatz versammeln werde, um auf Braut und Bräutigam zu warten. Dann werde zuerst der Bräutigam Sokrates mit seinen Eltern kommen und auf sie, die Braut, vor dem Kirchportal warten. Darauf werde Lena mit ihrem Familienersatz, ihrer besten Freundin Niki, deren Mann Vassilis und ihrer Tochter Anna erscheinen. Nachdem die Festgäste auch die Braut begrüßt hätten, dürften sie bereits in die Kirche gehen. Der Priester werde dann das Brautpaar und die Trauzeugen am Portal abholen. Gemeinsam werde es dann in die Kirche hineingehen, allerdings ohne Orgelmusik. „Ohne Musik?“, hatten ihre Kolleginnen und Kollegen entsetzt gefragt. „In der orthodoxen Kirche gibt es keine Instrumente, nur Gesang“, hatte Lena richtiggestellt.
Die Zeremonie werde ebenfalls etwas anders als in Deutschland aussehen. Die Brautleute würden mit den Trauzeugen, in ihrem Fall Niki und Vassilis, und dem Priester am Altar vor der Ikonostase stehen und allerlei heilige Handlungen vollziehen, so zum Beispiel die Krönung mit den Stéphana, den Hochzeitskränzen, Zeichen der königlichen Würde dieses Sakramentes, oder das dreimalige Umschreiten des Altars und das gemeinsame Trinken des Weines als Symbol dafür, dass sie nun als Eheleute in Freud und Leid gemeinsam ihren Weg gehen würden.
Nach der Trauung in der Kirche werde das Brautpaar von den Gästen auf dem Kirchplatz mit einer Reisdusche empfangen, um den Kindersegen zu garantieren. „Reisdusche?“, hatten die Freundinnen und Freunde entgeistert gefragt, „Wie verschwenderisch! Zum Glück hat man das in Deutschland abgeschafft!“ Die Kouféta, kleine, aufwendig hübsch verpackte Süßigkeiten für die Gäste, hingegen waren auf große Zustimmung gestoßen.
Das größte Erstaunen hatte allerdings bei den deutschen Gästen die schiere Anzahl der Eingeladenen hervorgerufen. „Über dreihundert? Ihr werdet mit mehr als dreihundert Personen feiern? Wie geht das? Das ist völlig verrückt.“ Darauf hatte Lena nur mit den Achseln gezuckt. Wie hätte sie das verhindern können? Ihre Schwiegereltern waren nun einmal als Bio-Kumquat-Erzeuger bekannt auf Korfu und mussten vielfältige Kontakte pflegen, sodass zwangsläufig viele Menschen hatten eingeladen werden müssen.
Dann war der große Tag plötzlich da gewesen. Lena erinnerte sich sehr gut daran, wie angespannt und voller Zweifel sie gewesen war bis zu diesem einen Moment vor dem Kirchportal, als sie auf Sokrates, ihren Gambrós, zugeschritten war und sich ihre Blicke getroffen hatten. In diesem Moment hatten sie beide gespürt, dass sie zusammengehörten. Eine Gänsehaut überzog Lenas Körper, so intensiv wirkte dieser Augenblick bis heute in ihr nach.
Danach war alles wie ein Glücksrausch gewesen. Seite an Seite waren sie in die Kirche geschritten und hatten am Altar gestanden und waren durch die Zeichen und Riten miteinander im Mysterion, im Sakrament der Ehe verbunden worden.
„Der Priester war allerdings sehr speziell“, dachte Lena belustigt. Genauer gesagt hatte er so stark genuschelt, dass sie fast geglaubt hatte, er spräche eine fremde Sprache. „Dennoch“, schmunzelte sie, „auch ohne Nikis ziemlich laut geflüsterte Aufforderung ‚Los! Jetzt!‘ hätte ich die Bibelstelle sicher nicht verpasst!“ Traditionellerweise traten nämlich die Bräute ihren Bräutigamen auf den Fuß, wenn der Vers über die Unterordnung der Frau unter ihren Mann aus dem Paulusbrief vorgelesen wurde. Sokrates beschwerte sich immer noch, dass sein blauer Fleck wohl nie verschwinden würde.
„Am schönsten“, überlegte Lena, „war allerdings, als wir als frisch Vermählte aus der Kirche traten und in all die freudigen Gesichter blickten! Niki und Vassilis mit Anna, unsere neuen Freunde Marina und Marios von Thássos, mein Chef Hans, die Kolleginnen und Kollegen, Freunde und Freundinnen. Nikis Schwiegereltern und Lakis. Selbst die Menschen, die ich kaum kannte, die wir aber unbedingt einladen mussten, weil es sich so gehört. Nur Meropi störte ein wenig, aber über ihre sauertöpfische Miene wird sie sich selbst ärgern müssen, wenn sie die Fotos sieht!“ Geärgert hatte sich Lena an diesem Tag nicht über ihre frisch gebackene Schwiegermutter.
„Das Fest auf Lakisʼ Kumquat-Plantage war ebenfalls wundervoll! Bei der Deko hat Niki sich übertroffen! Alles wirkte wie verzaubert. Romantisch, aber nicht kitschig. Weiße Tischdecken, rustikal einfache Stühle, bunte Lampions, die wie lustige Glühwürmchen in den Olivenbäumen tanzten. Prachtvolle weiße und rosa Rosen üppig auf den Tischen arrangiert. Kerzenlicht, das in den Gläsern schimmerte. Und was für eine bombastische Stimmung!“ Lena grinste breit.
Lakis und Meropi sowie Nikis Schwiegereltern hatten die nach und nach eintrudelnden Gäste in Empfang genommen und ihnen reichlich vom hauseigenen Kumquat-Likör als Aperitif angeboten. Entsprechend ausgelassen war die Stimmung gewesen, als Lena und Sokrates nach ihrem Fotoshooting endlich mit ihrem Brautwagen vorgefahren waren. Alle Gäste hatten sich erhoben und fröhlich getuschelt: „Da kommen sie! Das Brautpaar!“ Die Musik hatte die tanzende Freude aufgenommen und mit den rhythmischen Klängen der griechischen Weise angeheizt, sodass ihre Ankunft wie eine Art Triumphmarsch gewesen war. Vorbei an Meropi und der verhassten Sophia, die wie das sprichwörtlich heulende Elend am Rande gestanden hatten, und hinein in die muntere Menge ihrer Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen. Ausgelassen hatten sie gefeiert, bis selbst der Morgenstern langsam verblasste.
„Und jetzt Kýthera“, murmelte Lena. Eine Welle der Wehmut flutete ihr Herz. Einmal nach Kýthera zu reisen, davon hatten ihre geliebte Giagiá und ihr geliebter Pappoús immer geträumt. Diese Insel war für sie so etwas wie ein mythischer Sehnsuchtsort gewesen – vielleicht, weil man sich in ihrem Dorf auf der Peloponnes so viel Phantastisches über dieses Eiland erzählt hatte. Sie hatten diese Reise jedoch nie angetreten. Zuerst, als sie jung waren, waren sie zu arm gewesen, um sich ein solches Vergnügen leisten zu können. Später, als sie als Gastarbeiter genug Geld verdient hatten, hatten sie bei ihren Besuchen in Griechenland nichts Anderes gewollt, als in ihr Dorf zu fahren. Und dann, als sie schon Rentner gewesen waren und flexibel gewesen wären, hatten sie nach dem plötzlichen Tod ihrer Tochter ein Kind zu versorgen gehabt, ihre Enkeltochter Lena.
Lena seufzte schwer. Sie vermisste ihre Großeltern jeden Tag.
„Korítsi mou, mein Mädchen“, hörte sie ihre Giagiá und ihren Pappoú leise tadelnd raunen.
Folgsam blinzelte Lena eine Träne weg und dachte im nächsten Moment an eine Geschichte, über die sich ihre Großeltern herzlich amüsiert hatten. Damals, als sie mit Niki auf Entdeckungstour durch Griechenland gegangen war, hatten sie eigentlich auch nach Kýthera gewollt. Allerdings war ihnen das Schiff in Gýtheio, dem anderen Fährhafen neben Neápoli, von dem aus die Insel zu erreichen war, vor der Nase davongefahren. Ihre Großeltern hatten daraufhin sogar das Lied „Ta Kýthera poté de tha ta vroúme“, „Kýthera werden wir niemals finden“ von Giorgos Katsaros und Charis Lymberopoulos auf sie umgedichtet und sie damit, lauthals gesungen, gefoppt: „Kýthera werdet ihr niemals finden, ihr habt das Schiff verpasst.“
„Zum Glück haben wir das Schiff verpasst“, schmunzelte Lena, „denn sonst hätte Niki niemals ihren Vassilis kennengelernt und ich hätte niemals Sokrates getroffen! Sokrates wäre niemals Annas Nounós geworden und ich niemals Annas Nouná und so hätte Sokrates nie eine zweite Chance bekommen. Vielleicht hat Kýthera sogar darauf gewartet, dass ich sie mit meinem Herzensmenschen besuche. Immerhin ist sie die Insel der Aphrodite, der Göttin der Liebe.“
Dass ihre Großeltern sie jetzt so glücklich sehen konnten, hoffte Lena. Das Schiff würden sie dieses Mal jedenfalls ganz bestimmt nicht verpassen.
Mit der Schläfrigkeit war es schlagartig vorbei, als am Horizont die Porphyrousa auftauchte. Der weiße Schiffskörper durchpflügte gemächlich, aber bestimmt das blaue Meer in Richtung Neápoli. Am Land brach eifrige Geschäftigkeit aus: plötzlich fluteten drängelnd und hupend Autos die Hauptstraße, zukünftige Passagiere, die gerade noch friedlich in einem der Cafés gesessen hatten, riefen hektisch nach der Rechnung, sammelten ihre sieben Sachen und eilten zu ihren Wagen, Kellner kreisten, um rasch abzukassieren. Über dem Gewusel schwebten die scharfen Pfiffe von Trillerpfeifen, denn auch die örtliche Polizei nahm teil: Die Hauptstraße wurde in beiden Richtungen großräumig von vier Beamten abgesperrt, sodass sich der Verkehr alsbald zu stauen begann. Auf dem Anleger hatten sich zwei weitere Polizisten postiert und begannen, die Fahrzeuge, die zum Schiff wollten, natürlich mittels ihrer Trillerpfeifen einzuweisen, allerdings so, dass sie sich fast ineinander verkeilten. Das Chaos war perfekt.
„Nichts gegen deine Kollegen“, grinste Lena, „aber das ist das beste Chaos-Ballett mit Pfeifkonzert, das ich je gesehen und gehört habe.“
„Sollten wir nicht langsam auch zu unserem Auto gehen“, drängelte Sokrates ein wenig knurrig, da er, wenn es um die Polizei-Ehre ging, wenig Spaß verstand.
Begütigend strich Lena ihm über die Wange: „Sokrati. Sigá! Langsam! Das Schiff ist doch noch weit weg!“ Sie saß entspannt auf dem bequemen Sessel, hatte die Beine weit von sich gestreckt und schlürfte vergnügt ihren Fréddo. Sokrates lehnte sich ebenfalls zurück, konnte aber seine Rastlosigkeit nur schwer unterdrücken und rutschte unruhig hin und her.
„Unglaublich“, rief Lena aufgeregt und beugte sich gefährlich weit über die Reling, um einen besseren Blick auf das Deck unter ihnen zu haben. Sokrates schmunzelte und legte ihr liebevoll den Arm um die Schultern. So war sie. Außer Rand und Band, wenn sie etwas gepackt hatte. Er drückte einen Kuss auf ihre Schläfe. Unwillig schüttelte Lena leicht den Kopf. „Nun schau doch mal!“, forderte sie ihn leicht tadelnd auf.
Das Geschehen auf dem Deck unter ihnen war wahrlich sehenswert. Über eine steile Rampe schoben sich die Autos mühsam hoch, rollten aufs Deck und wurden sogleich in Empfang genommen. Ein breitschultriger, sonnenbrauner Mann in olivgrüner Kleidung und einem großen Schlapphut auf dem Kopf dirigierte sie mal lockend, mal nachdrücklich vor und zurück, ein bisschen weiter rechts, etwas mehr links, weiter nach hinten, noch weiter, noch weiter, noch weiter und Stopp. Dem Fahrer lief der Schweiß über die Stirn bei diesem engen Einparkmanöver.
„Wie Tetris“, stieß Lena begeistert hervor und stupste Sokrates in die Seite. Tatsächlich wurden die Autos wie die verschiedenen Bausteine in dem Spiel hin und her rangiert, bis sie die richtige Position hatten, was so viel hieß, dass sie fast lückenlos hinter- und nebeneinander standen.
„Der Typ ist ein Phänomen“, bemerkte Sokrates anerkennend.
„Ich wette, unten im Schiffsbauch ist es wegen der Hitze, des Abgasgestanks und des Lärms nicht halb so entspannt, nur etwas großzügiger als hier zum Parken.“
Sokrates zuckte die Achseln. Dann löste er sich von der Reling und fragte: „Magst du auch einen Fréddo?“
Lena nickte abwesend, drehte dann aber den Kopf und strahlte ihn an. „Agapoúla, ich bleibe noch ein bisschen und schaue?“
Sokrates zwinkerte ihr zu und entfernte sich.
Auf dem Deck unter ihr, an der Absperrung zwischen Passagier- und Autobereich wurde es plötzlich hektisch. Ein älterer Herr, der sich schon geraume Zeit wie ein Ertrinkender an das abgrenzende Gitter geklammert hatte, rief laut: „Hey!“ Er warf drohend die Faust in die Luft. Seine Brille war verrutscht und saß bedenklich schief auf seiner Nase. „Gamóto! So geht das doch nicht“, jammerte er schrill und wandte sich an den neben ihm stehenden Mann.
„Sostó“, bestätigte dieser und schüttelte seinen puterroten Kopf energisch, „rechtlich äußerst fragwürdig, was die Reederei hier macht!“
„Die Autos stehen viel zu eng!“, mischte sich nun eine pummelige Frau ein.
„Wenn das Schiff schlingert, dann TAK“, rief der Grauhaarige laut und demonstrierte das Aneinanderprallen der Autos, indem er die Handflächen aneinanderschlug. Seine Brille kam noch mehr in Schieflage.
Der Puterrote nickte eifrig. „Genau. TAK!“, imitierte er den Grauhaarigen und der Rotton seines Gesichts vertiefte sich um eine weitere Nuance, und die Rundliche sekundierte: „TAK!“
Wild gestikulierend redeten sie aufeinander ein, Wortfetzen wie „Verklagen!“ und „Unmögliche Schiffseigner!“, „Halsabschneider!“ und „Profiteure!“ schallten über das Schiff, sie kamen sich bald hier und da mit ihren wild fuchtelnden Armen in die Quere. Kurze Zeit später sah Lena, wie sie die Absperrung eilig umrundeten und auf den Autostapler zuliefen, der sie aber nur wie lästige Fliegen verscheuchte. Dann verlor sie sie aus dem Blick.
Beschwingt drückte Sokrates die schwere Tür zum Inneren des Schiffes auf. Sofort schlug ihm ein widerliches olfaktorisches Konglomerat und Eiseskälte entgegen.
„Wie ich das auf den Schiffen liebe“, murmelte er und verzog angewidert das Gesicht.
Der Geruch von Abgasen, die aus dem Schiffsbauch die Treppe heraufzogen, mischte sich mit dem beißenden Uringestank, der von der auf dem Treppenabsatz liegenden Toilette herüberwehte. Diese Mixtur wurde alsdann von der auf Hochtouren brummenden Klimaanlage verwirbelt und ihm direkt ins Gesicht geblasen.
„Gamóto, diese Klimaanlagen!“, grummelte er. Fröstelnd zog er die Schultern nach oben. „Und als ob es unbedingt diese Eisschranktemperatur sein müsste!“
Ungeduldig zog er an der nächsten Tür, die in den Salon des Schiffs führte. Hier saßen in akkuraten Reihen diejenigen, die sich nicht auf dem Deck tummeln wollten.
Sokrates runzelte die Stirn, so wie er es immer tat, wenn ihm etwas seltsam vorkam. „Irgendetwas ist hier anders“, überlegte er.
Mit scharfem Blick musterte er die Passagiere, entdeckte aber zunächst nichts Ungewöhnliches. Leise dudelte griechischer Pop aus den verstaubten Lautsprechern. Wie üblich saß man mit einem Fréddo und dem neusten Kinitó, um die Überfahrt zu überstehen. Doch die Langeweile, die sonst auf jedem griechischen Schiff zäh wie Sirup über allem hing, gab es hier nicht. Stattdessen lag etwas wie Sehnsucht in der Luft. Immer wieder schweifte der Blick der großen und kleinen Passagiere durch die Panoramafenster nach draußen, um sich zu versichern, dass man noch nichts verpasst hatte. Fiebrige Erwartung erhitzte die Gesichter. Man sprach miteinander und vereinzelt sichtete Sokrates sogar einen Reiseführer, aus dem eifrig vorgelesen wurde.
„Kalá“, schüttelte er verwundert den Kopf, „diese Insel scheint doch etwas Besonderes zu sein, wenn man hier die üblichen Attitüden aufgibt.“
Weiterhin die Mitreisenden beäugend stellte er sich in die Schlange vor der Bar.
„Unerhört“, schallte es zeternd von deren Spitze, „ich habe drei Fréddos bestellt! Drei!“ Der Kugelrunde mit der Kartoffelnase blies sich vor der Bedienung, einem verängstigt schauenden jungen Mädchen, auf. Dieses hantierte hektisch mit einem weiteren Becher, während der Kugelrunde ungeduldig mit seinen Wurstfingern auf die Theke trommelte. Mit zitternden Händen stellte es schließlich einen weiteren Fréddo vor ihm ab.
„Das macht dann zwölf Euro“, piepste es ängstlich.
„Nichts“, zischte der Kugelrunde, „sollte ich dir geben.“ Damit knallte er das Geld auf den Tresen und schob sich schubsend durch die Menge.
„So ein unhöflicher Grobian“, raunte Sokrates und sah kopfschüttelnd dem Mann hinterher, bis der in einer der vorderen Sitzreihen verschwand.
Als die Fähre ablegte, standen Lena und Sokrates einträchtig am Heck, jeder einen Fréddo in der Hand. Das Zittern der großen Motoren durchlief das Schiff und die Fahrgäste, deren Sehnsüchte nun vollends geweckt wurden. Aufgeregt schnatternd flanierte man übers Deck, beäugte und kommentierte das Lichten des Ankers und das entschwindende Festland.
„Ich komme mir vor wie in einem Gemälde von Watteau“, sagte Lena unvermittelt.
„Bitte was?“, fragte Sokrates verwundert.
„Erinnerst du dich an die Bilder, die ich dir gezeigt habe?“
Sokrates krauste nachdenklich die Stirn. „Von diesem Franzosen?“, meinte er dann, „Aus dem 18. Jahrhundert? ‚Einschiffung nach Kýthera‘ war der Titel und das Gemälde gibt es in drei Ausführungen. Richtig?“
„Akrivós. Genau. Kýthera galt damals als Insel der Liebe und der Harmonie, der Glückseligkeit. Ein Paradies, von Aphrodite-Venus beschützt.“ Verstohlen wies sie mit dem Kopf auf sich und die Passagiere. „Wir sind wie die Menschen auf Watteaus Gemälden: eingeschifft nach Kýthera, voller Sehnsucht nach diesem paradiesischen Ort, wo Harmonie und Liebe regieren.“
„Das stimmt“, sagte Sokrates zärtlich und zog sie sanft an sich.
Die Fähre nahm Fahrt auf und je mehr sie sich vom Anleger entfernten, desto mehr enthüllte sich Neápoli. Lena musste unwillkürlich grinsen. Immer, wenn sie ihren Freunden in Deutschland von der Überfahrt von Neápoli erzählt hatte, war Verwirrung entstanden. „Ich dachte, ihr macht Flitterwochen in Griechenland und nicht in Neapel?“, hatten sie mit großen, runden Augen hilflos gefragt, was Lena ein ums andere Mal dazu beflügelt hatte zu erklären, dass Neápoli eine kleine griechische Stadt auf dem südöstlichsten Finger der Peloponnes sei und eben nicht die in Italien, gleichwohl Neapel seinen Namen daher habe, dass sie eine griechische Siedlung gewesen sei. Übereifrig hatte sie noch weitere Dinge über Neapels Stadtgeschichte angeführt, doch meistens war sie unterbrochen worden – so auch jetzt.
Sokrates stieß sie in die Seite. „Was für ein Panorama!“, sagte er schwärmerisch und zeigte auf Neápoli.
Die Cafés und Restaurants der kleinen Provinzstadt, die sich an der Promenade drängten, schmiegten sich in die dahinter auftauchenden Häuserreihen. Majestätisch erhob sich die sandsteinfarbene Kirche aus dem Häusermeer. Die spärlich grünen Hügel, die sich im Hintergrund erhoben, schlossen die Stadt am Meer wie ein Gehäuse ein.
„Neápoli hat übrigens rund 2000 Einwohner und ist ein wichtiges Zentrum hier am südöstlichen Finger der Peloponnes“, begann Lena zu fachsimpeln, „rund um die Stadt wird viel Obst und Gemüse angebaut und auf dem Markt verkauft. Besonders berühmt sind die Zwiebeln, vatikiótiko kremmýdi – eine lokale Spezialität. Ihnen wird bei Halsbeschwerden heilende Wirkung nachgesagt und es gibt ganz ungewöhnliche Rezepte, wie Zwiebel-Cocktail mit Honig, gefüllte Zwiebeln, und natürlich auch die üblichen Speisen, wie Zwiebel-Pita oder -Suppe! Wie schade“, rief sie, „dass wir die nicht kosten konnten! Und den Wochenmarkt mit all den bunten Gemüsen und Genüssen haben wir auch nicht besucht!“ Etwas ruhiger fügte sie an: „Wenigstens haben wir den berühmten Chtapódi bei den Meistern des Oktopusses verzehrt.“ Sie räusperte das Bedauern aus ihrer Stimme und fuhr dann fort: „Neben dieser Bedeutung im Agrarbereich ist Neápoli aber auch ein wichtiger Fährhafen. Die Insel Elafónissos mit ihren Traumstränden ist nur etwa 20 Minuten entfernt und Kýthera erreicht man in ungefähr 90 Minuten.“
„Niki hatte mich gewarnt“, ächzte Sokrates Lena unterbrechend und erntete einen irritierten Blick von ihr. „Sie meinte, dein Reiseleiter-Gen werde immer wieder durchbrechen. Unheilbar.“ Schmerzhaft verzog er das Gesicht, als hätte er in eine scharfe Zwiebel gebissen.
„Du Schuft!“, fauchte Lena und boxte ihn auf den Arm, sodass ihm fast der Fréddo aus der Hand rutschte.
„Kátze kalá“, rief er beschwichtigend und hob die freie Hand, wie um sich zu ergeben, und sagte mit sanfter Stimme, „Ich liebe es, dir zuzuhören.“ Dann zog er sie an sich und verschloss ihren Mund mit einem innigen Kuss.
Der Fahrtwind fuhr angenehm kühl über ihre Haut, als sie wenig später eng aneinandergeschmiegt auf einer Bank saßen. Das blaue Wasser gischtete an der Schiffsseite auf und die Bugwellen liefen in die Weite aus. Aus dem Dunst schälte sich in noch weiter Ferne schüchtern die Insel, auf die die Porphyrousa beharrlich zusteuerte.
Lena genoss Sokrates’ Nähe. Sein Duft, der sich mit dem Salz des Meeres verband, umhüllte sie wie ein sicherer Kokon.
Sokrates genoss Lenas Nähe. Ihr Duft, der sich mit dem Salz des Meeres verband, umhüllte ihn wie ein sicherer Kokon.
Nach und nach wurde aus den Schemen eine fest geformte Insel. Deutlich ragte die Nordspitze des Eilands vor ihnen auf und auf einer Anhöhe erhob sich die schlanke Gestalt eines Leuchtturms.