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Die bekanntesten Romane von Achim von Arnim bieten dem Leser einen faszinierenden Einblick in die Welt der romantischen Literatur des 19. Jahrhunderts. Von Arnims Werke zeichnen sich durch ihre starken Natur- und Volkselemente aus, die in seinen Geschichten von Liebe, Leidenschaft und Sehnsucht kunstvoll verwoben sind. Der Autor schafft es, die Romantik in all ihren Facetten einzufangen und den Leser mit auf eine Reise durch emotionale Höhen und Tiefen zu nehmen. Sein literarischer Stil ist geprägt von leidenschaftlicher Intensität und einer tiefsinnigen Auseinandersetzung mit den menschlichen Gefühlen.
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Seitenzahl: 1473
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Books
Ein Freund bat mich auf seinem Sterbebette um die Erfüllung einer Bitte. Ich versprach, ohne einen Augenblick mich zu besinnen, da das Flockenlesen und andere Zeichen den nahenden Tod verrieten. Mit der Anstrengung aller übrigen Kraft zog er ein kleines Bündel Schriften aus dem Überzuge des Kopfkissens hervor und gab es mir mit dem Auftrage, zur Verheimlichung des Verfassers das Buch unter meinen Namen drucken zu lassen; dann drückte er mir die Hand und starb ruhig. –
Ich bin nicht abergläubig, aber die Bitte eines Freundes ist mir heilig. Ich habe sie erfüllt: und ich wünsche dem Leser alle Freude, die mir das Buch mit der Erinnerung an den Freund geschaffen.
L. A. von Arnim
Unser Zeitalter ist gleich arm an Liebe wie in der Liebe – die Jugend eilt und bald folgen ihr die süßen Erinnerungen. Mit den Gesängen seiner Liebe benährt der Jüngling die Blumen eines empfundenen Frühlings, aber das Lied verhallt und die Zeugen seines Glücks verwelken. Schmerz und Freude, Sehnsucht und Hoffnung bezwingt, wie ein gewaltiger Tanz, die schöne Wirklichkeit des Lebens. Wo ist der Glanz deiner Augen, Marie, – die süße Beredsamkeit deiner Lippen und der Frieden deiner Nähe? Darum sollten alle Gebüsche, die mit uns groß wurden, ihr vertrauter Schatten und das befreundete Girren der Tauben dem verständigen Manne nicht deswegen allein heilig sein, weil sie Erinnerungen der unbemerkt verschwebenden Jugend sind. Der holde Traum muß ihm gegenwärtig bleiben und die Glut des Frühlings sich im glänzenden Sommer wieder erkennen. Dann erwacht zu einer neuen wundervollen Blüte im schönen Herbste der Fruchtbaum, breitet sich aus, und schattet freundlich. Bald welkt auch diese Blüte im Winterfroste, und es fliehen die wechselnden Farben – aber blütenreicher wird der helle blinkende Reif sich einspinnen. So verdrängen Blüten die Blüten und der Tod ist die schönste farbigste Blüte.
M. den 10. Dezember.
Wir waren doch recht froh mit einander, und ich erkenne das erst, seit ich nichts fühle, als den bangen, beklommenen Abschied von Dir, – ob wir je so froh uns wiedersehen? – Mein Vater freut sich, daß Du mich beredet, jetzt schon die Schule zu verlassen, er ist viel schwächer geworden und bedarf bald meiner Beihülfe, aber wie mag der alte Rektor, der es immer so gut mit uns meinte, mit dem Kopfe geschüttelt haben, als er auf unsre Sitze zusammenrücken lassen. – Bald rücken andre auch in sein Gedächtnis, es kömmt ein andrer, der uns nicht kannte, und vertreibt sogar unsre mühsam eingeschnittenen Namen von den Bänken, oder ziert sie mit schändlichen Kronen, nur aus Menschenliebe. Es ist wahrhaftig kein Stolz, daß es mich quält, wo wir so manchen Tag verlebt, bald vielleicht bis auf den Namen vergessen zu sein. Warum muß ich gerade, da sie mir so schmerzlich ist, die Erinnerung aller Menschen, die ich je verließ, bei mir tragen; bei jedem neuen Verluste sie unwillkürlich, wie in einem Zauberspiegel, vor mir vorübergehen lassen, warum müssen sie selbst in Träumen mich umlagern, in Ahndungen und eingebildeten Erscheinungen mich bange machen. Wenn mir es nicht alle bestritten und behaupteten, es wäre unmöglich der Zeit wegen, ich glaubte selbst meine Amme noch zu sehen, wie sie mir beim Abschiede in meinem ersten Jahre die Brust reichte, mich an sich drückte und eine Träne auf mich fallen ließ. Aber sicher ist es, ich sehe noch aus meinem zweiten Jahre, wie ein alter treuer Hund, das einzige Wesen mit dem ich mich ganz verstand, sich in die helle Morgensonne legte, die Füße ausstreckte und still ward. Ich kannte den Tod noch nicht, und glaubte, wie alles umher, ewig zu dauern; ich herzte ihn liebevoll und sorgfältig, bis mein Vater ihn mir mit Strenge nahm. Ich habe ihn lange nicht vergessen, ich träumte ihn immer neben mir, wie er mir riet und Beistand leistete. Das alles kann ich mir jetzt ruhig denken, aber aus den spätern Jahren vermag ich nichts Dir niederzuschreiben, es schien mir, ich wolle mit meiner Empfindung mir ein Fest bereiten. Doch vergesse ich sie nie, alle Eindrücke, die oft mit unerklärlicher Stärke mich ganz bestimmten, wie ich mich hingezogen fühlte zu Dir, bei Deinem ersten Anblicke, wie wohl mir ward mit Dir, wie ich allmählich aus Deinem frohen Mutwillen Mut zum Leben einsog; wie ich es mit Dir auszugleichen suchte, indem ich Ernst in Deine leichten Eingebungen des Augenblicks mischte. – Ich bin Dir viel schuldig geblieben. – Du denkst und fühlst das Vergangene anders, Du lässest die Erinnerung nicht da stehen, wie sie Dich verlassen, sondern bildest die Freunde weiter fort, und stattest sie aus mit Ruhe und Zufriedenheit, während Dich Sehnsucht und unerfüllte Wünsche umher treiben. Lieber, guter Freund, warum verschwendest Du an die Erinnerung, woran Du im Leben darbst? – Wenn ich Glück und Hoffnung genug für mich hätte, keinen andern möchte ich damit zufrieden machen, als Dich. – Ich bin so traurig geworden, daß ich Dir erst im nächsten Briefe von der Universität schreiben kann. Gutes werde ich Dir nicht davon sagen können, aber warum sollte sie andern, warum Deinem N. nachstehen, komm hierher, wenigstens findest und beruhigst Du Deinen Freund.
Odoardo
N. den 15. Dezember.
Odoardo, lieber Odoardo! Du bist krank, – oder es ist dort nicht wie hier. Armer Freund, daß Dein Vater Dich hindern mußte, hierher zu kommen! – Alle Träume sind glänzender mir erfüllt, als die kühnste Hoffnung sie bildete, alles rauscht umher im regsamen Strome des lebenvollsten Lebens. Himmel! welch ein Gefühl, als ich die ersten Spitzen der Türme, und immer mehr, endlich die ganze herrliche Freistadt der Jugend aus der Ebene hervortreten sah! Noch ist er nicht verhallt in mir der innere Ruf nach Freiheit, der mich damals bei dem Aufgange ihrer Morgenröte zu den kühnen Spielen als Kind schon auftrieb, die mir so hart geahndet wurden. Ringt nicht jedes Wesen nach seinem Gesetze, alles, vom Sonnenstäubchen an, nach Licht und Freiheit: die Keime durchbrechen die kalte Erdenrinde, und blühen und tragen Früchte nur in der freien Himmelsluft; die Vögelbrut im warmen Neste versucht noch flatternd aufzusteigen, und jubiliert hellklingend in den blauen Luft-Revieren, alles hebt sich, tanzt und springt empor im Frohgefühle des Lebens; die stummen Fische selbst im Sonnenschein verlassen ihr Element und schlagen sich empor, und rauschen über seine Fläche hin. Und wir, frei aufgerichtet zur Mittagssonne, die einzig ausgezeichnet vor aller Kreatur, den Himmel vor uns und unter uns die träge Weltkugel schauen, und sie in Luft, Wasser und Erde umkreisen, unmöglich sollen wir den hohen, belebenden Trieb, die Fülle der schwellenden Kraft und Freude eindämmen, von der höchsten Sprosse der Stufenleiter aller Wesen, auf welche die bildende Natur in der Anspannung aller Organisation uns hob, aus dem Sammelpunkte alles Lebens uns herabstürzen, allen kühnen, dehnenden, ausbreitenden Geist im trägen Kleinmut des Bürgerlebens ersticken! – Alle Wärme, alles Gefühl der Jahre, die bedächtig langsam mir auf den Schulbänken entflohen, drängte sich auf diese Minuten zusammen, eine neue Sonne schien mir aufgegangen, klar vor mir ausgebreitet war alles Künftige, Wissenschaft und wechselnd Leben buhlten um mich, da traten Philosophie und Poesie herbei, und Wissenschaft und Leben war verschwunden, mit Blüten bekränzt war ernsthaft der Scherz und der Ernst Scherz geworden. – Ich erwachte aus meinen Sinnen und sehnte mich nach dem Ziele meiner Wünsche, der Wagen schien mir unerträglich langsam fortzuschleichen, ich hob mich tausend Mal vom Sitze und fluchte des schlechten Weges. Bald kam eine Schar in wunderbar herrlicher Kleidung, wie Ritter mit Helm und Schwert, ohne einen von uns zu kennen, mit allen freundlich, und voll Zutrauen und Scherz. Es waren Studenten und Landsleute, sie gesellten sich als künftige Brüder zu uns, wir frühstückten zusammen in einem freundlichen Dorfe, das rings um den schönen Park eines Gutsbesitzers liegt. Der Wirt und seine Kinder empfingen uns mit dem trauligen Du und drückten uns die Hand, alle Grenzscheidung, alle Verkrüppelung, alle Schäden der Staaten und ihrer Verfassungen waren geheilt, gleiche Redefreiheit, Trunk und Speise war den Landleuten, unserm Fuhrmann im beteerten Schafpelze und uns gemeinschaftlich. Selbst die Weiber ließen sich freundlich von den Unbekannten küssen – verbrüdert uns nicht alle menschliche Gestalt, ist nicht die Liebe frei und ist es nicht die eigentlichste Sympathie, das innerste Band der Menschen, alles liebevoll zu umfassen und in sich aufzunehmen?
Hollin
N. den 25. Dezemb.
Ich bin in einer heimlich-öffentlichen Verbindung unsrer Landsleute aufgenommen. Es ist ein schöner Kreis, der sich mir eröffnet, auf mein Vaterland schon in den Frühjahren nützlich zu wirken, wo man gewöhnlich nur für sich emportreibt ohne andern Schatten zu geben. Unverkennbar ist es schwerer, den freien Jüngling zu leiten als den Mann, es ist leichter, den Enthusiasmus zu erregen als zu lenken, leichter zu revolutionieren als zu regieren, ich verkenne es auch nicht, daß die Eitelkeit vielen meines Alters als Führer vorzugehen, mich befeuert, aber wahrlich darum ist es nicht allein. Es regt sich in mir ein bestimmtes Gefühl, daß ich früh anfangen soll, die Schuld gegen das Vaterland abzutragen, weil es mir späterhin vielleicht nicht mehr vergönnt sein möchte; es ist mit dem Gefühle genau vergesellschaftet, das mich oft ernsthaft machte mitten in der Begeisterung des Weins, als würde ich immer weniger, so wie ich mehr Fremdes auffaßte, als nähme die Fülle meiner Kraft und Gefühle mit dem längeren Ausziehen des Lebens ab. Wenn doch einmal ein ungerechter Angriff unser Land zur Verteidigung zwingen sollte, warum ist es nicht jetzt? – Wir sind noch in dem Zustande des natürlichen Kriegs aller gegen alle, dieser Antagonismus hebt die Trägen und stärkt die Schwachen. Zu den Wagenübungen kommen wir auf einem großen Saale mit eingeschlagenen Fenstern zusammen. Meine Schulübungen im Fechten, worüber Du oft so ärgerlich wurdest, setzen mich in den Stand, es mit den meisten aufnehmen zu können. Hier werden auch die Angelegenheiten unserer Landsmannschaft besprochen, die jetzt in einem Kampfe gegen alle übrigen begriffen. Darin verwickelt ist ein gemeinschaftlicher Krieg gegen die Orden. Zur Entschädigung für diese Abhaltungen müssen sie nachher alle meine Lieblingsdichter und Philosophen sich vorlesen lassen; die meisten finden schon Geschmack daran, die übrigen wollen wenigstens davon mit reden können. Wird es finster, so gehen wir gemeinschaftlich auf Abenteuer aus, man stellt uns nach, ohne uns zu erraten. Der Weihnachtsmarkt ist jetzt unser Tummelplatz. Er hat seinen alten Reiz auf mich nicht verloren. In den bunten Lichtschein zwischen den Gassen der kleinen Spielstadt, plötzlich außerhalb im Dunkeln, fast geblendet, ziehen wir fröhlich mit Kindern und Kindertrommeln, und mit kleinen Trommeten durch die Gassen der wirklichen Stadt, die uns zum Spiele dient; wir vermummen uns und spielen der Jugend und lachen des Alters, wo wir das Alter beweinen werden.
Hollin
M. den 7. Januar.
Sieh einmal ruhig umher und weiter, jedes Leben hat seine Schauseite und die wird gewöhnlich vorgelegt.
Alles ist hier unerträglich einförmig, bis auf die untergeschobenen, auswendig gelernten Einfälle. Ein paar lächerliche Namen, ein Dutzend Scherze über Dinge des täglichen Gebrauchs, dieselbe tägliche Manier arme Leute, die sie nicht fürchten, zu beleidigen, viel Erzählung ehemaliger Tapferkeit, Ernst ohne Würde, Spaß ohne Salz, scheinen das Charakteristische auszumachen. Wie Besessene laufen Hunderte in die Hörsäle um dort zu schlafen, oder glauben das Ihre getan zu haben, zu begreifen, wenn sie nur hören und schreiben, stehen früh auf um keine Arbeit mit Lust durchzuführen, und gehen endlich in Gesellschaft, oder Sonntags im Festschmuck zu den Lehrern, um ihren Geist auszuschmücken und auszubilden. Und doch ist jede allgemeine Ausbildung verbannt, keine Philosophie, kein Enthusiasmus: damit ja keiner zurückbleibe, dürfen die raschen Läufer hinken, wer nicht platt ist, wird aberwitzig genannt, wer Poesie liebt, ein Kraftgenie; wer gar einen andern als den hergebrachten Spaß treibt, von dem heißt es, er wolle etwas vorstellen. Die Liebe, wie jedes andre Gefühl ist ihnen absurd, statt dessen langeweilen sie die Frauen in den Gesellschaften durch ein stummes Hofmachen, oder man erzählt in der einen Zusammenkunft, daß bald wieder eine der Art sein werde, und sagt es sei voll oder leer, heiß oder kalt, das alles mit der nötigen ernsthaften Wichtigkeit. Haben sie dann bei Tische einigen Wein genossen, so werden sie unter einander grob, nach ihrer Art genialisch, sagen den Frauen Unanständigkeiten, diese stellen sich verwundert, fliegen auf, versichern nie wieder mit denen zu sprechen, und werden von ihren Beleidigern nach Hause geführt. Und so kömmt es abermals und abermals wieder, und sie bleiben bei aller Bewegung auf einem Fleck, wie der Stier im Tretrade.
Du bist jetzt wieder gar kriegerisch, da fändest Du hier gerade Deine Rechnung, alle Tage schlägt man sich, die besten Freunde so gar, wenn sie einander auch gar nicht böse sind, und wenn es wirklich hier Freundschaft gibt, wo die Gewohnheit mit einander zu essen, oder auszureiten, sie bildet, bindet und wieder auflöst. Das einzige Gute bei allen den Zweikämpfen scheint mir zu sein, daß alles ohne sonderlichen Schaden abgeht.
Odoardo
R. d. 30. Januar.
Mitternacht. Alles stürmt auf mich ein! – Ist dies das Leben, verwandelt sich nicht alles in meiner Hand in Tod! – Ich habe lange geharrt, ehe ich Kraft und Ruhe mir zutraute, Dir den unseligen Vorgang zu erzählen, der mich hier am fremden Orte, angstvoll wachend an das Bette eines Sterbenden, eines Ermordeten bannt, mich erdrückt, ewig unglücklich macht, doch vergebens. Alles schreckt mich auf, der nagende Wurm, dies aufreißende Holz, ein jedes Geräusch, als wenn es zu meiner Angst einen Bund gemacht hätte. Auch Du ewige gütige Natur schreckst mich in deiner Trauer; das Feuer scheint und wärmt nicht, außen wirbelt der Wind den Schnee auf und pfeift in den dürren Zweigen, Tiere heulen im Froste. Ihr Sterne alle bergt matt durchschimmernd euch hinter dem dichten Wolkenschleier, über den tausend Schreckgestalten in raschen Zügen hinschweben. Darf ich nirgends hinblicken, Schreckbilder erstehen, wohin mein Auge reicht, Blut auf dem Estrich, auf dem Bett, vor dem Feuer hingestreckt der sorgenvoll schlummernde alte Diener, – ach ich mordete seine Hoffnungen. Ich muß dem herrlichen Leben, der Freude des goldenen Lichts entsagen, W ihm meine Augen schließen, darf nicht mitteilend dem Freunde, meine Angst mindern – wenn es ewig so sein müßte!
*
R. den 3. Februar.
Es gibt noch Glück, noch Freude für mich, ich weiß es Du freust Dich gleich lebhaft mit mir. Rerwy, der Chirurg gibt Hoffnung, viel Hoffnung, fast Sicherheit zur Herstellung. Jetzt zur Erzählung. Ich schrieb Dir von dem Streite unsrer Landsleute, er gedieh so weit, daß wir Mann gegen Mann uns schlagen sollten, ich wußte es indessen dahin zu bringen, daß einer von jeder Seite als Ausfechter auftreten sollte. Man war in gespannter Erwartung, es wurde soviel davon geflüstert, daß ich selbst endlich die Angelegenheit ernsthaft angriff, und mich zum Verfechter unsrer guten Sache aufwarf. Vergebens war es, daß mein guter Dämon am Morgen der Entscheidung mich warnte, daß ich mich bei dem ununterbrochenen feinen Gestöber in dem tiefen blendenden Schnee verirrte, und als ich es merkte, und meinen beeisten Polaken feldeinwärts laufen ließ, plötzlich auf zwei ernste Männer stieß, die sich bei einem Sarge, das sie getragen, ermattet niedergesetzt hatten, vergebens, daß sie mich warnten, bei den Weiden des Dorfs in keinen Graben zu stürzen, daß sie mir sagten, sie wollten eben dahin. Ich eilte verblendet fort, um nicht zu spät anzulangen, und kam zur rechten, aber zur bösen Stunde an. Keiner kannte seinen Gegner, wir erwärmten uns allesamt in der engen Wirtsstube, ich trank mit meinem lustigen Lenardo, den einzigen Menschen, den ich Dir beschreiben kann. Fast seit der Geburt unter Studenten, hat ihn ihr Umgang vielleicht eher gehoben, als verdorben. Sein Vater in M. wollte ihn einschränken, darum suchte er, und fand hier den vollen Genuß der Freiheit. Er ist offen ohne Zweck, die Lustigkeit ist ihm Bedürfnis, darum liebt er Wein, Spiel und Mädchen. Fleißig zum Scherz, mutig ohne es zu wissen, nie Beleidiger fast immer Versöhner beim Weine, ist er mit allen gut freund, keines Freund, er hat so viel Bekanntschaften gemacht, so viel Trennungen gesehen, daß ihm alle sehr leicht werden. Er ist der einzige hier ohne Stammbuch, der in allen Stammbüchern sich findet, der keinen vergißt, mit dem alle Memorabilien erlebt haben, und der selbst keine aus seinem Leben weiß, dem überhaupt die vergangene Zeit völlig vergangen, dem die Zukunft erst kömmt. Witz hört er gern von andern, er selbst hat ihn nur betrunken, er führt gern an im doppelten Sinne, bildet es aber noch lieber andern ein, rasch im Wetten, aber selten glücklich, glücklich im Spiele gewinnt er doch selten, weil er nur im Unglücke wagt. Doch kein Wort weiter, ich merke, daß meine Beschreibungen so lang werden, wie die Definitionen mancher Philosophen. Er hatte mir eben von dem Orden der Verschwiegenheit und seinen merkwürdigen Statuten erzählt, ich ihm als Gegenstück vom Orden de l'attrape; er stieß mit dem Glase an, versicherte, wir wären einander zu klug, wir müßten alles gemeinschaftlich treiben, da brach alles auf, um in den weißen Saal zu gehen, den der kleine glühende Eisenofen wenig erwärmt hatte. Ich stellte mich, Lenardo mir entgegen. Diese Überraschung war mir unangenehm, er erinnerte lachend an den Orden, wir umarmten uns, er legte sich aus und – den Erfolg weißt Du aus dem Anfange meines Schreibens. Noch stand ich in tiefer Betäubung, es schien mir alles umher zu drehen, da erwachte ich schreckhaft bei dem Anblicke des blutigen Bodens. Lenardo war an der Brust verwundet, und fast mit Tücherverbänden erstickt, er klagte, daß er an dem Ofen halb erfriere, halb verbrenne, die andern, daß kein Chirurg gegenwärtig, der Wirt sprach verwirrt bald vom Holze, das er in den Ofen gelegt, von Verschwiegenheit, daß dies das letzte Mal sein sollte, ein andrer warf die Hieber wütend in die Ecke, alle meinten er müsse sterben, ich wagte keinen anzusehn, in jedem Blicke fürchtete ich Vorwurf. Ich eilte sogleich auf meinem Polaken nach der Stadt, kein Weg meines Lebens ist mir länger geworden. Ich suchte den Wundarzt, aber wo ich hinkam, war er eben weggegangen, schon in Verzweiflung darüber traf ich ihn endlich durch Zufall. Er weigerte sich wegen des Verbots, ich setzte ihn fast mit Gewalt auf mein Pferd, und laufe ihm nach. Der Kranke war indessen in einem geheizten Zimmer in ein Bette gelegt, ich gehe voran und finde ihn ohnmächtig, alle umher sehen ihn gerührt an, Rerwy schüttelte mit dem Kopfe und machte den Tücherverband ab, drückte das Blut aus den Wunden und untersuchte sie mit kalter Besonnenheit. Mein Atem führt mit der Sonde auf und nieder, mein Leben hängt sich daran, wie an einen losen Stein über einem Abgrunde. Es scheint im Innern nichts verwundet, sagt er endlich gezwungen freundlich zu mir, doch ist die Wunde nicht ohne Gefahr. Und die Hoffnung hebt mich mächtig, ich sehe keinen Abgrund mehr, ich drücke dem Rerwy die Hand und muß hinaus um meiner Freude Luft zu machen. Außen erst fällt mir ein, daß er noch von Gefahr sprach, ich kehre traurig um. Die Gefahr ist verschwunden, aber ich fühle mein Innerstes während des Schreibens bewegt.
Hollin
R. den 12. Februar.
Das Bedürfnis der Unterhaltung hat Lenardo und mich näher einander verbunden, als es je in der bunten Freude des Lebens geschehen konnte. Wir passen zu einander, wie Kern und Schale und müssen es uns wie die Herzkirschen gefallen lassen, daß der eine Vogel diese, der andre jene lieber mag. Ich verlange nach lebendiger Umgebung nach Scherz ohne mühsame Anstalt, er weiß nicht wohin er seine Laune wenden soll, denn eigentlich sehn ihm die Leute einerlei aus. – Der Verheimlichung wegen durften nur wenige zu uns kommen, die übrigen schickten Bücher zu unsrer Unterhaltung. Du hast recht, mehr als Handschrift und Stirnmesser zeichnen uns die Bücher, die wir lieben, nach unsrer innern heimlichen Seite. Was habe ich für wunderliche Schattenrisse gesehen! Denk Dir, ein Jüngling ganz wie Carl der zwölfte gekleidet mit übergezogner wollenen Scherpe, schickt uns die neue Heloise. Du weißt was ich über dieses Buch denke. In der Wissenschaft kann ich es wohl noch ertragen, wenn man mehr Worte als Gedanken findet, aber durchaus widersteht es mir im Leben, wenn mehr gute Vorsätze als gute Handlungen dargelegt werden. Diese Lächerlichkeit der meisten Spieler in diesem Roman, dabei die Gedehntheit, die keine Spannung ist, dazu die verschrobenen Ideen aller über Liebe und Ehe, um welche die ganze Handlung sich dreht, rauben der wirklich poetischen Anlage des Ganzen, ungeachtet des schönen Gegensatzes der Charaktere und des ausgezeichneten Talents Rousseau's Situationen zu erfinden, alles Interesse. Lenardo meinte boshaft, es hätte doch das allen dicken Büchern eigentümliche Interesse, was man selbst schlechten Gegenden abgewinnt, wenn man sich lange darin hat aufhalten müssen. Er sei übrigens mit der Julie ganz einverstanden, daß die Ehe ohne Liebe sein müsse, weil sonst gegenseitiger Zwang in der Austeilung während der Ehe notwendig erfolgte. – Bei einem so mutwilligen Spiele mit dem Allerheiligsten kann ich nicht ruhig bleiben, ich versicherte ihm, daß mir keine andre wahre Ehe als der Bund der Liebe denkbar sei, daß die Liebe freudig alles bewilligen müsse, was sie mehr als die Freundschaft geben kann, daß aber ein Hingeben ohne Liebe, wie Klare und Julie ihren Männern die meisten Ehen <schildern>, die einzige, wahre unerlöschliche Schändung sei, daß die ganze Verbildung und Unnatur unsrer Zeit, ihre ganze geregelte Jämmerlichkeit dazu gehöre, mit dem Feuer der Haushaltung die Liebesfackel anzünden zu wollen. Woher sonst alles langweilige Elend der Weiber, alle sinnlosen Ausschweifungen der Männer und die feile Liebe?
Lenardo versicherte mich mit verrissenem Lachen, ich hätte sehr recht, aber wie die Würfel jetzt lägen, müsse man entweder fortspielen, oder seinen Einsatz verlieren. Mit der Weibertreue sei es ein wunderbares Ding, an einem Abende habe ihm ein Mädchen ewige Treue versichert, von der er eine Woche später durch seine Kunst sich zu verstellen unter andern Namen dasselbe Versprechen erhalten. Nun dachte ich doch sicher, fuhr er fort, ich hätte sie sicher; der Mensch denkt, Gott lenkt, ich dachte ihren ersten Liebhaber anzuführen, und wurde von ihm angeführt. Zum Glück war es nicht meine erste Liebe. Haben die Weiber auch keinen Treusinn, so haben sie doch Leichtsinn, und der ist allemal so viel wert als jener. Der Himmel hat ihnen viel sonderbare Lasten aufgebürdet, wir wollen sie mit keinen unnützen vermehren.
Nachher versicherte er mir, seine Schwester Maria komme bald her, die müsse ich kennen lernen, ich würde sicher mit ihr harmonieren, wegen ihrer Sonderbarkeiten. –
Hollin
N. den 10. April.
Meine fliegende Hitze, wie Du es nennst, hat mir einen bösen Streich gespielt. Seit acht Tagen schwebt mir ein Gedanke, ein Bild bei allen Arbeiten vor, es drängt sich zwischen Feder und Papier, ich muß sie weglegen, es hüpft über die Bücher hin, als hätte ich in die Sonne gesehen und grüne und rote Flecken jagten sich über die schwarzen Lettern, selbst der Schlaf ist nicht sicher, ich fahre auf, weil ich glaube zu fallen, für meine Gesellschaften bin ich längst verdorben.
Ich war recht arbeitsam und häuslich, während der letzten Monate, ich wollte die Flur erst in der vollen Frühlingsschöne wiedersehen. Vorgestern ging ich vors Tor, mir ward so leicht, der Atem so frei, die Zeit schien mir die alte, mit tausend freundlichen Erinnerungen kamst Du mir wieder, ich glaubte Dich zu erwarten hier in der Fülle der Natur Deinem Herzen alle Sorge entnommen. Einige sonnige Tage hatten das Laub schnell aufgetrieben; das helle, funkelnde Grün des Eichenlaubs, der rankende Epheu von einem Stamme zum andern, die dichten Gebüsche mit ihren Blüten, durch die der Fußsteig sich mühsam windet, die erwachenden zahllosen Stimmen der Nachtigallen, das Rauschen des aufgehaltenen Stromes, alles fesselte mich auf einer Insel in der Mitte des Flusses zur Feier des Frühlings. Ich hatte lange in dem frohen Gefühle geschwelgt, als der Gedanke der Einsamkeit mitten in dem allgemeinen geselligen Genusse mich aufschreckte. Ich lief umher und suchte noch mehr Freude an mich zu reißen. Von einer alten Frau in der Mühle kaufte ich Herbstfrüchte, sie führte mich nach einer blühenden Bohnenlaube mit Tisch und Bank, ein Knabe mit einer Violine fand sich ein, er mußte sich zu mir setzen. Der kleine Musiker spielte allerlei lustige Weisen, viele Schleifer und schottische Tänze, ich knackte Nüsse dazu, die ganze üppige Natur umher, rankend und treibend in mannichfacher Gestalt, schien aufzuhorchen, die Nachtigallen schlugen wetteifernd dazwischen. Mir wurde ganz froh und beklommen ums Herz, es schien mir alles ein Leichenzug mit einem Hochzeit-Carmen und lustigem Gesang. Da kömmt Lenardo aus dem Gebüsche gesprungen und ruft mir zu, seine Schwester und Nichte hätten ihn gebeten, sie zu der Musik zu führen, er wolle auch sein Versprechen erfüllen, mich mit ihnen bekannt zu machen, sie wären längst neugierig auf mich. Ohne meine Antwort abzuwarten, lief er wieder fort. Nein wahrhaftig, rief es in mir, so soll der herrliche Frühling der Natur mir nicht in der Unnatur moderner Weiblichkeit untergehen. – Ich legte ihnen die Nußschalen auf den Tisch, als Symbol ihrer Liebe und ihres Lebens, der Knabe mußte das Lied anheben: »Brüder, lagert euch im Kreise« u. s. w., und sodann lief ich nach der Mühle, wie schnell ich vermochte. In der Eile schlage ich den falschen Fußsteig ein, ich muß durch das dichte Gebüsch mich zurückdrängen. Als ich nicht mehr fern von der Mühle bin, muß zum Unglück Lenardo mit den beiden Mädchen von meiner Laube schon zurückkommen. Jetzt dachte ich erst daran, wie ich sie beleidigt, meine natürliche Verehrung und Demut gegen das weibliche Geschlecht kam ebenauf, voll Scham und Besorgnis drücke ich mich in dem dichten Gebüsche nieder, ich wage kaum durchzusehen, um nicht wieder gesehen zu werden. Im Vorbeigehen, denk Dir, müssen sie gerade noch von dem Vorfalle reden. Lenardo lachte über die leere Stelle und die leeren Nüsse, die Nichte war böse und machte ihm Vorwürfe, die Schwester, sie war es, wie ich nachher von Lenardo hörte, meinte, es wäre wenigstens ein Zeichen meiner Anhänglichkeit an alte Bekannte, wenn ich den neuen immer so entliefe, ihr sei es außerdem recht lieb, weil sie zu heiter zu Bewillkommnungsreden gewesen. Bei dieser süßen Stimme mußte ich durchblicken, sie mit den Augen begleiten. Ich habe sie bis zum Augenblick ihres Eintritts in die Mühle gesehen, aber will ich sie mir jetzt denken, sie kömmt mir jeden Augenblick anders vor. Ich frage mich wohl tausend Mal, ob sie groß oder klein, blond oder braun gewesen; ich bin neugierig sie zu sehen, aber Lenardo mag ich es nicht sagen, er hält mich für einen Weiberhasser; vorbeigehen mag ich auch nicht, sie könnten ihren Beleidiger dann auch sehen; ich schäme mich vor mir, vor andern, daß ich Abends unwillkürlich mich vor ihrem Hause vorbeitreiben lasse und nach dem Lichte in ihren Fenstern sehe und nicht fort kann, wenn ein Schatten in dem hellen Fenster sich zeigt. In wenigen Tagen reisen sie fort, Lenardo begleitet sie. –
Ich will auch fort, durch Zerstreuung und Ermattung den lächerlichen Eindruck bekämpfen, übermorgen gehe ich allein nach dem Harz.
Hollin
M. den 14. April.
Ich suche meinen Vater in seinen Geschäften zu unterstützen, und bin dadurch zwei Monate an das Bette eines gefährlichen Kranken auf dem Lande gefesselt worden. Du, Guter, hast indessen vielmehr herzlichen Kummer gehabt. Die Herstellung Lenardo's hat Dich beruhigt. Aber sage, wie kann Dich ein Erfolg beruhigen, der nicht Dein Werk ist? Wenn Du ohne eignen Vorwurf einen Zweikampf eingehen kannst, wenn Du glaubst, er sei notwendig, wegen des Mangels unsrer Verfassungen, die gewisse Rechte nicht mit dem nötigen Nachdrucke schützen, so war Deine Verzweiflung über den Ausgang mehr als lächerlich, fühltest Du aber heimlich die Torheit jener angemaßten Rechte auf Ehre bei andern, so mußte der Vorwurf dauern, einerlei, ob Lenardo starb oder gesundete. Du willst Jünglinge leiten und verwickelst Dich selbst in solche Widersprüche, Du glaubst Klugheit genug für andre zu haben, und hast keine für Dich. Laß alles Leiten, Erziehen; das Beispiel erzieht besser als die Vorschrift, es hat doch keinen Wert und keine Dauer, wozu man andre hin betrügt. Welche widrige Rolle spielt der ewig geleitete und gefoppte Emil beim Rousseau, zu dem selbst Sophie in der Liebe kein Zutrauen faßt, sondern sich lieber an den Herrn Hofmeister wendet. Die moralische Erziehung baut Kartenhäuser auf, die beim ersten Anstoße der Originalität zusammenstürzen. Du bildest Dir etwas ein auf Menschenkenntnis, weil Du verschiedene Menschen Dir vorbilden kannst. So verschieden sind sie selten, vielleicht nie, daher fehlen Dir stets die scharfen Ecken, woran Du sie befestigen willst. Wärest Du je arm gewesen, Du würdest Dich vielleicht im Gedränge der Menschen überzeugt haben, daß alle, wenn man das Leben in allen seinen Äußerungen, in seiner ganzen Dauer betrachtet, daß alle gleichviel Raum einnehmen, nur macht sich der eine in der Jugend, der andre im Alter breiter, der eine steht an der Ecke und wird mehr gesehen, aber alle stützen und treiben einander gleichviel – wenn nur nicht eine so traurige öde Straße wäre, über die sie hintreiben! – Mein längerer Aufenthalt beweist mir wieder, daß mein Mißvergnügen mehr in mir als außerhalb seinen Quell hat. Ich werde mit den stilleren, zurückgezogenern Bewohnern bekannt, und finde wieder, daß die sich gewöhnlich am liebsten zeigen, welche die wenigste Ursache dazu haben, so wie sich häßliche Gesichter immer am liebsten im Spiegel sehen. Ich werde Dich am besten mit unsrer Gesellschaft durch die beiden, fast immer mit einander streitenden Pole, Santorin und Roland bekannt machen. Santorin, der mich einführte, ist ein Kosmopolit der besten Art, mit hundert großen Plänen beschäftigt ohne mehr dafür als jeder andre zu tun, doch wird ihm dadurch jede seiner Handlungen wichtig, jedes was auf ihn einwirkte bedeutend, was er mit Eifer ergriffen glaubt er sich allein eigen, was er in wissenschaftlicher Hinsicht sich eigen gemacht neu und eigentümlich, was man ihm sagt glaubt er entweder falsch, oder er hat es schon selbst gedacht; jedem Menschen möchte er nützen, wenigen ihretwegen, den meisten wegen des allgemeinen Besten; seine Freunde ausgenommen sieht er alle tief unter sich, zuweilen ist ihm, als ob er an sich selbst verzweifeln möchte, aber er wird es nie. Zu unsern wissenschaftlichen Unterredungen gibt er die meiste Veranlassung, bringt uns aber selten weiter, weil er sich die gänzliche Beendigung der Untersuchung nach ihren sämtlichen Verhältnissen zur gelegenen Zeit aufbewahrt. Er hat mehr Talent zur Poesie, mehr Liebe zur Philosophie, dieses und ein innerer Streit macht ihn oft traurig.
Wohltätiger ist Roland durch seine Melancholie meinem Herzen geworden, er lebt noch unbefangen in der Welt nach vielen verschlungenen Schicksalen, die er alle durch seine eigentümliche Ansicht der Dinge sich geschaffen hat. Die wirkliche Welt lebt ihm nur in der Beschreibung, er ist ein geborner Schriftsteller, ein doppelter Idealist, alles übrige läßt ihn völlig unempfindlich ungeachtet seiner Reizbarkeit. Selbst die Liebe ist ihm nur auf diesem Wege der Anschauung das Höchste, die Geliebte im Arme läßt ihn kalt: Er sagte mir, in dem ersten vollen Genusse der Liebe eines Mädchens habe er in sich ausgerufen: Ist das alles! Da streiten wir oft bis spät in die Nacht und bleiben am Schlusse jeder bei seiner Meinung, jeder glaubt von dem andern, er müsse sich eines bessern überzeugen können, wenn er nur wolle, Roland, der hierbei sein eigentliches Leben fühlt, glaubt sich wohl gar von Santorin durch irgend einen Machtspruch beleidigt, man scheidet unzufrieden von einander. Dann kommt mir oft alle Arbeit, alle Anstrengung leer und nutzlos vor; habe ich dann einen Tag gefeiert, so schäme ich mich wieder meiner Trägheit. Welch ein sonderbarer Widerspruch ist es im Leben, die Tätigkeit wegen der Ruhe, die Ruhe wegen der Tätigkeit zu suchen! – Vor meinem Fenster spiegelten sich noch gestern die Pappeln, in dem gelbwelligen Strome, Kähne mit fröhlichen Menschen fuhre[n] auf und nieder. Heute ist er abgelaufen, sein Bett ist voll zerbrochener ägyptischer Fleischtöpfe und anderm Wegwurf; halbnackt wadet seit dem Morgen ein kleiner Junge darin umher und sucht Lumpen. Kaum sind die durch den Lumpenschneider auf die Drahtform gegangen, kaum ist das Papier trocken, so näßt es ein Verliebter mit seinen Tränen und gesteht darauf, der Hochgefeierten seine innersten Gefühle. Sie geht den Abend auf den Ball zum Eroberungskriege, es fehlt an Papier, der Brief wird in Haarwickeln zerschnitten und geht den folgenden Tag mit anderm Kehricht in den Fluß zurück. Und es wäre noch kein Abderitismus in der Natur?
Es ist ein wundervoller Traum in mir eingeschlossen, der oft gewaltsam sich loszureißen strebt um in die Wirklichkeit vorzudringen. Ich nenne es die Welt der Bewegung als Gegenstück jenes allgemeinen Eindrucks äußerer Ruhe, den jeder Anblick der Natur in allen ihren verschiedenen Erscheinungen zurückläßt. Du wunderst Dich über diese Ruhe der Natur, der Du immer rege Tätigkeit in ihr ahndetest, aber prüfe Dich ob Dir nicht diese Tätigkeit in Deinem Empfinden und Hingeben liegt. Sollte ich Dir jetzt von meinem Garten schreiben, von dem Wechsel der Farben im Winde, von dem Klange der emporschwebenden Lerchen, alles würde sich regen und in mir leben, aber als ich ganz atmete, fühlte die Unendliche – konnte ich nicht so, konnte ich nie von ihr schreiben, Worte konnte ich nicht finden, das Einzelne nicht aussondern, ihr ganz gegeben, aufgelöst von ihr fühlte ich nur traurig jene Welt der Bewegung, der kreisenden Regsamkeit und des Bildens in mir, die es zum Werke nicht kommen läßt. Denk es Dir, Freund, wenn der Baum nur ein Spiel triebe mit seinen Blüten, warum mußten sie untergehen, die aus den Früchten doch wieder erstehen? Steht nicht alles in jedem kommenden Jahre auf der Stufe wie im vergangenen, ist nicht der fruchtende Gewitterregen ein Scherz der Sonne, nachdem sie lange alles verdörrt und ausgetrocknet? Auch die Gerüche erscheinen nur im Verschwinden und kommen doch wieder in den Veilchen. Ein Vogel raubt dem andern das Nest und keiner von beiden geht unter; manch Tiergeschlecht mag untergegangen sein, aber unter tausend neuen Gestalten, die täglich entdeckt werden, auch schon längst wiedererstanden. Aber nun denke Dir die schöne Freude eines Menschenlebens in diesem Sinne, wo jeder Ort bald Einöde, bald Marktplatz ist, alles der Bewegung wegen. Da ist es gar nicht mehr lächerlich, daß die Wege der Menschen in ihrer Krümmung sich selbst verdoppeln, daß der Sohn einreißt was der Vater bauete, die Steine hätten sonst lange Weile; fährt man doch die Wagen dann Sonntags spazieren, läßt den Schuhen die Füße vertreten und rühmt es in allen patriotischen Blättern, wer zur Übung der Geißel sie erduldet. Aber die Tugend des Federballs, der ewig fliegt und nie ruht, übertrifft ihn weit, und die Feuerräder, die sich wie angestochene Insekten um die Nadel bis zu ihrer Vernichtung drehen. Die Philosophen kommen dazu und beweisen, daß alle Bewegung der Bewegung wegen sei, daß keine anfange, keine aufhöre; beweisen, daß insbesondre die Güte und also das Dasein Gottes aus der Schnelligkeit der Bewegung der Weltkugel folge, die keine Kegelkugel durch die stärkste Menschenhand erreichen könne. Frägt sie aber einer, warum sie die Ruhe nicht gleichschätzten der Bewegung, die ihm doch viel mehr wäre, so versichert der eine, es fehle ihm an Liebe, der andere bezweifelt den Enthusiasmus, die übrigen nennen ihn einen Atheisten. Amen.
Odoardo
Goslar, zwischen dem 18. u. 19. April.
Mit seiner Altertümlichkeit hat mich Goslar tief gerührt. Es war schon Abend, der Mond schien hell, ich war fröhlich in dem Anblick des dampfenden Tals hinabgestiegen, aus welchem die verlaufenden Gebirgsrücken, wie einzelne Streifen hervorragen. Wie mußte es jenen im Herzen sich regen, die aus dem Kreuzzuge in die erste vaterländische Stadt einkehrten. Die engen Gassen mit dem durchfließenden Strome, der Marktplatz mit den alten Gebäuden und Schnitzwerk, die Ruhe umher, alle Erinnerungen erwachten, mit ihnen meine alte heiße Sehnsucht nach jener schöneren Zeit. Es erklingen Turniere und Wettgesänge, heilige Freiheit, die hochherzige Liebe winken, – ich muß wachen, denn ich glühe; ich schreibe an Dich, mich zu überzeugen, daß ich wachend träumte. –
Rastlos bin ich durch die Wälder gestrichen, über Berg und Strom habe ich Ruhe gesucht, allfreundlich sprachen die dunkeln Schatten der ernsten Tanne, neue Blumengeschlechter schwankten um mich her, das weiche Moos war mein Lager, das Geplätscher der kalten Bäche, in der Nacht das herrliche Funkensprühen der Eisenhütten unter mir, der einförmige Schlag der Hammer, um mir und unter mir Ungewitter, Blitze, die umher die höchsten Bäume spalten, der überraschende Widerhall des Donners in den Bergen, alles was die Natur Wunderbares in ihren Höhen und Tiefen birgt, drängte sich an den Umherirrenden, – nur kein Wunder, nur keine Ruhe. Du hast diese göttliche Ruhe, komm hierher, um ganz froh zu sein, lüfte Dich auf den Bergen, denn Dein letzter Brief umgab mich mit schwüler Stadtluft. Glaub mir nur dies, die meisten Menschen sind Selbstmörder und Du gehörst zu den vielen, die es verachten, ihr Leben durch einen mächtigen Giftbecher zu enden, aber das Gift gierig in tausend kleinen Dosen verschlucken. Ich verdamme, ich verachte jene nicht, eben so wenig diese, es waltet ein mächtiges Schicksal über uns, in der Natur geht kein Leben unter, alles ersteht in erhöhter Organisation, aber keiner der noch Freundschaft, der Kraft zum Leben, Freude in der Natur fühlt, kann sich von allem gleichgültig trennen. Und ist nicht dieser Schmerz im Tode, dieses letzte unwillkürliche Ringen nach Leben, der Todeskrampf, das letzte kräftige Aufatmen, der Todesseufzer der eigentliche Abscheu der Natur, das Verdammungsurteil des Selbstmörders gegen seine Tat. Uns leitet das Zeitalter zum Selbstmorde, die meisten folgen und fallen darin und werden doch ehrlich begraben, wenn sie nur nicht Pistole oder Schwert brauchten; laß uns mutig und kräftig dem Strome der Zeit entgegenschwimmen, wer auch in dem Kampfe erliegt, stirbt für die Freiheit und lebt in ihr!
Verdammt! Da muß mich eben ein zarter Seufzer im Nebenzimmer an die menschliche Schwachheit erinnern; es ist nur eine dünne Brettwand, die uns trennt, die Seufzerquelle und mich. Vielleicht habe ich sie mit dem Kratzen meiner Feder geweckt, oder ist sie mondsüchtig, liebt sie unglücklich? Lieber Himmel, wer kann allen Weibern helfen! Aber, wenn es Maria Lenardo wäre? fragst Du. Für die Frage will ich die Schöne mit dem Erlkönig zur Guitarre in den Schlaf singen.
Es klingelt im Nebenzimmer, – noch einmal. Die Schöne steht früh auf, aber sie muß lange warten. Die Bedienung der Nachtwächter ist hier schlecht in der Nacht, ich werde mich für den Kellner ausgeben, so braucht er nicht aufzustehn und sie ist bedient. Die Menschenliebe ist viel wert!
Da bin ich gut angelaufen! Ich mache kaum halb die Türe auf, und halte noch die andre Hand vor dem Lichte, damit es nicht ausgeweht wird, so ruft mir eine unwillige, alte Weiberstimme entgegen. Bitt er doch den Herrn im Nebenzimmer um der Wunden Christi willen, seine Nachtmusik bis morgen zu versparen, wenn es keinen im Schlafe stört. Ich wagte nicht aufzublicken, unmöglich konnten aber solche Worte und Stimme und jener Seufzer aus ein und demselben Lippengespann gehen. – Ich mache eben die Türe zu, als mir der echte Kellner im saubersten Nachtkleide begegnet, die Öllampe in der Hand. Er fragt mich halbschlafend. Ob die Frau dort geklingelt? Die Verlegenheit war groß, ich konnte ihn nicht wieder hineingehen lassen, und den Ruf meiner unmusikalischen Nachbarin wollte ich doch nicht in Gefahr bringen; ich versicherte ihm dreist: Der Durst habe mich aus meinem Zimmer getrieben und ich irrte jetzt aus einem Zimmer zum andern, ohne das meine zu finden. Ihn schien das doch nicht ganz zu befriedigen, denn er verbiß sich ein unverschämtes Lachen, als er mir meine Tür zeigte, vor der wir standen. Gute Nacht.
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Den 19. April.
Alles Unglück verfolgt mich, die Welt ist wahrhaftig zu ernsthaft, um damit zu spaßen. Ich habe mit Marien unter einem Dache geschlafen, durch ein dünnes Brett von ihr geschieden. Sinnlos habe ich mein ganzes Glück zerstört, sie doppelt beleidigt, ihre Mutter, alles glauben sie sicher ist Plan gegen sie, absichtliche Kränkung gewesen, was mögen sie nicht sonst, was mag der Kellner von der Unschuldigen boshaft argwöhnen. Von ihm erfuhr ich beim Erwachen, wer neben mir gewohnt, mir war, als hätte ich im Schlafe mein Haus angezündet, in dem Wahne eines Lustfeuerwerks und fände mich beim Erwachen in den Flammen. Kaum war er hinaus, so sprang ich auf, ich wußte sie waren eben fortgegangen, in dem vollen Schmerze der Scham, der getäuschten Hoffnung des verlornen Glücks. Ich wage mich in ihr Zimmer, stürze mich verzweiflungsvoll in ihr Bett. Aller Schmerz ist gestillt. Es war noch erwärmt, der herrliche Duft der Gesundheit erfüllte mich ganz. Ich dränge mich tiefer in das Federbett, es schlägt über mich zusammen, ich bin aufgelößt in Wohlsein. – Ich muß mich ihr zu Füßen werfen, rief es da in mir, ihr meine Unschuld, meine Sehnsucht beteuern! Nicht ohne innern Kampf raffte ich mich auf, eine Rose lag auf dem Tische, ich riß sie begierig an meine Lippen. Bruder, wenn Du lebst und ich sterbe, sie soll mit mir begraben werden!
Jetzt ihnen nach; bete für mich.
Hollin
*
Auf dem Brocken in der Nacht vom 19. zum 20. April.
Ich eilte im Doppelschritte ihnen nach, mein Führer klagte; nach einer Stunde sahen wir sie vor uns in einem Tale. Jetzt erst fiel mir ein, ob ich nicht besser täte, mein Versehen in der Nacht zu verschweigen, wahrscheinlich hatten sie mich nicht gesehen. Zum ersten Mal dachte ich recht eigentlich auf eine Lüge um allen Verdacht abzulehnen, ich dachte noch ängstlicher auf eine Anrede, suchte in der Vorratskammer nach Interessantem, konnte aber noch über keinen Punkt mit mir einig werden, als ich schon den Rat Lenardo, seine Frau neben ihm, Marien mir zur Seite sah. Ich grüßte und fragte bestürzt, ob ich das Vergnügen haben würde mit ihnen einen Weg zu gehen? Der Rat antwortete, es werde ihnen angenehm sein in meiner Gesellschaft zu gehen, sie wollten heute nach dem Brocken, zugleich fragte er mich, ob ich nicht der Herr gewesen, der diese Nacht im Nebenzimmer gewohnt habe? Das war ganz gegen meinen berechneten Witterungskalender, die Verlegenheit ließ mich kaum zur Antwort kommen. Sind sie nicht Herr Hollin, fiel die Mutter ein, der meinen Sohn nach dem Duell so freundschaftlich gepflegt hat? Das Ungewitter zog sich über mich zusammen. Ich habe sie auf der Insel bei N. sehen sollen, sagte Marie schalkhaft, aber wir fanden sie nicht mehr. Hier schlug es nach allen Wetterseiten ein, meine Entschuldigungen drängten einander wie die Regentropfen, durch tausend kleine Dienstleistungen, durch Erzählungen und allerlei angenehme Scherze und Einfälle suchte ich meine vielfachen Versehen gut zu machen. Marie zog mich deswegen auf, aber ihre beredten Augen hatten mir längst alles vergeben. Welche wunderbare Sprache, ohne Doppelsinn, ohne Deutung der einzige vollkommne Ausdruck. Ich fühle sie jetzt ganz lebhaft wieder, die alte Verachtung aller Rede in meiner Jugend, wozu nützt sie in ihrer Armut, da ihr gerade für alles das, was man eigentlich nur mitteilen möchte aller Ausdruck gebricht. Durch ihren Blick sah ich tausend Schönheiten umher aufgeschlossen, die mir ohne sie ewig verborgen geblieben wären. Ich hörte kaum, daß der Rat mit großem Fleiße ihre Beschreibung ausführte. Du hast recht Freund, es gehört die höchste Fühllosigkeit dazu, in einer schönen Gegend sie in Worten zu beschreiben, in dem regen Spiele der Eindrücke einen zu fesseln. Der Mutter schien in einer grausamen Erziehung zur Häuslichkeit der Sinn für die Natur erstorben, sie hatte Gutmütigkeit genug über unsre Freude, über die muntre Rede ihres Mannes froh zu werden; sie sorgte für uns geschäftig ohne Dank zu fordern, freute sich über den Beifall, den wir ihrer kalten Küche zollten und hatte eine völlige Hauswirtschaft in freiem Felde zu regieren. Ich lief zwischen den beiden Frauen in ungleichen Schritten einher, um ihnen nicht vorzueilen, mit jedem Augenblicke wurde mir wohler, alle Begrenzungen des Mißtrauens, die mich oft in Jahren gegen andre verschließen, sanken vor ihrer Milde nieder, meine heimlichsten Gefühle und Wünsche eröffneten sich, alle alte Aussichten und tausend neue für mein künftiges Leben unterwarfen sich ihr, die wunderbaren Sprünge ihrer Phantasie führten ihr meine ganze Welt in kurzen Bildern vorbei, alles schien durch ihre Mühe sich zu veredeln. Diese frohesten herzlichsten Stunden meines Lebens, hätten leicht schreckenvoll geendet! Marie gleitete an einem schroffen Abhange, ich faßte ihre rechte Hand, die sie mit einem Ausruf ausstreckte, und hob sie herauf. Ein Händedruck, ein Blick gab mir Hoffnung und Glück, sie hatte Ruhe genug bewahrt, selbst ihre erschrockene Mutter zu ermuntern, beide Eltern ängsteten mich mit ihren wiederholten Danksagungen. In einem Jägerhause erfrischten wir uns, Marie machte den Tee. Ich muß mich empfindsam, sentimental schimpfen, aber nimm mich, wie ich bin. Sie entwickelte bei dieser einfachen Handlung des täglichen Lebens unzählbare reizende Bewegungen und Stellungen, die ich nie gesehen, nie geahndet hatte; die versorgenden, fragenden, die freundlichen Blicke alle dazu, ihr belebendes Gespräch während der geschäftigen Wendung des Körpers nach dem Kohlenbecken, der Aberglauben eine besondre Kunst dabei sich zuzuschreiben, um andern alle Bemühung verweisen zu können, es ist unwiderstehlich. Nach dem Sitzen fühlten sich die Frauen noch mehr ermüdet; ungeachtet meiner Beihülfe kamen wir erst spät bei sternklaren Himmel auf die Höhe des Brockens. Das neue Brockenhaus, welches durch seinen weißen Anputz bei Tage an den mächtigen grauen Bergrücken, wie eine moderne Sakristei an eine edle Gotische Kathedralkirche angebauet scheint, gewinnt Abends durch den Turm, durch die Beleuchtung der Fenster und durch die Höhe ein feenhaftes Ansehen. Marie unterhielt uns und vergaß ihre Ermattung durch eine Menge von Feengeschichten, die ihr in der Jugend erzählt waren und die sich ihr jetzt unwillkürlich nach vielen Jahren des Vergessens wieder aufdrängen. – Im Hause kam uns Lenardo mit vollem Glase entgegen, trank erst die Gesundheit der Eltern, begrüßte dann mich und Marien und erinnerte uns an die leeren Nußschalen auf der Insel. Ich wurde wieder rot, auch Marie wurde es, das freute ihn und er gab uns das so oft unter veränderter Gestalt wieder zu hören, bis ich dagegen völlig abgehärtet war.
Lenardo war nie ausgelassener, als vor seinen beiden Eltern, nie gesetzter, als wenn er mit einem von beiden allein war. Waren sie beide gegenwärtig, so stimmte der Vater gewöhnlich etwas mit ein, um vor seiner jüngeren Frau mit dem geretteten Jugendgeiste zu glänzen, sie meinte dann, beide verstellten sich nur so zum Scherz, lachte mit und hielt ihren Sohn für eben so sittsam wie ihren Mann. Er ist der Liebling beider, mehr als die Tochter, deren ganzen Wert und Hoheit keiner von beiden zu ahnden weiß. Lenardo scheint Sie zu ehren, oder wagt sich wenigstens nicht an sie, weil sie ihm überlegen, da hingegen er dem Vater und der Mutter allerlei Dinge und lächerliche Moden aufschwatzt, womit er sie nachher selbst aufzieht. Du wunderst dich über meinen Beobachtungsgeist, das alles an einem Abende zu bemerken, aber ich habe es auch schon früher aus Lenardo's Erzählungen geschlossen. Der Tisch, den er seinen Eltern bestellt, war mit Weinflaschen dicht besetzt. Die Mutter meinte, das sei Überfluß; er zeigte ihr indessen, daß die Hälfte schon vor ihrer Ankunft geleert sei. Mich nötigte die Mutter mit ihnen fürlieb zu nehmen, der Sohn brachte, ohne anzufragen, acht gute Freunde zu uns, großen Teils Studenten aus N., die unbeschadet ihrer übrigen Kenntnisse doch wenig von der Welt wissen mochten, und durch ihre betretene, mit abgebrochenen Worten begleitete, Gestikulation gegen die furchtbaren Stiefeln und Frießkleider einen angenehmen Kontrast bildeten. Lenardo klagte bald über Mangel an Lustigkeit, versicherte, es käme von der Ermattung der Frauen, die ich durchaus zu ihrer Herstellung magnetisieren müsse. Sie hatten davon viel gehört, ohne einen zu finden, der es konnte, Mutter und Tochter waren neugierig, es zu versuchen. Ich magnetisierte erst die Mutter, dann die Tochter. Du kannst es nicht begreifen, Odoardo, wenn Du es nie empfunden, das wundervolle Treiben des Bluts in der Nähe der Geliebten. Dies fühle ganz in allen seinen regellosen Pulsschlägen, und nun denke Dir dazu, wenn Du mit der ganzen Anspannung des geheimnisvollen Schwungs der magnetischen Bewegung über alle Schönheit zwischen Berührung und Nichtberührung mit dem Getast dahin schwebst. Du kennst den eigentümlichen schauerlichen Eindruck des Zwielichts, in dem alle bestimmte Gestaltung schwindet, die gedämpften Töne, deren Einzelne unverkennbar zusammenfließen, die übergehenden Töne, beim Aufziehen einer schwingenden Saite, den Übergang eines Lichtpunkts zu einem Lichtkreise im schnellen Umschwunge eines Feuerbrands, das sanfte fortwachsende Zusammenziehen, wenn zwei Magnete mit beiden Händen einander genähert werden, das innige Durchdringen des elektrischen Funkens von einem Arm zum andern, das alles denke Dir zu einer Erscheinung, in einem gemeinschaftlichen Punkte verbunden, und Du hast wenigstens etwas zur Annäherung, einen Gipsabdruck der lebenden Empfindung, die mit heiliger Wollust von außen nach innen und mit erneuerter Kraft von innen nach außen bis zu den stumpfesten Wurzelfasern alles Leben, Kindheit, Jugend, Alter, in den Genuß weniger Minuten zusammendrängt.
Marie wollte alle Einwirkung ableugnen, aber sie sprach wie eine Verklärte Anschauungen aus, die sie nimmer sonst gefaßt haben konnte. Wenn etwas daran wäre, meinte sie, so schiene es wohl darin zu liegen, daß unser Wesen nur in gewissem Sinne auf die Grenzen des Körpers eingeschränkt sei, daß es durch die ganze unendliche Kette seiner Bedingungen mit einem Körper verbunden in allen verteilt, besonders in der Luft, als der eigentlichen Werkstatt des Lebens, im schnellen Vorübergehen des befreundeten Lebens, das Verbinden des Getrennten, das Bild der Vereinigung alles Lebens erkennt.
Ich hörte nicht, welche gelehrte Erklärung der Rat indessen den Studenten gegeben, sie waren alle völlig befriedigt, der Sohn ausgenommen. Der nahm sehr ernsthaft ein volles Weinglas, setzte es einem an die Lippen, indem jener trinken wollte, zog er es hinweg. Das ist der eigentliche Magnetismus, dieses aber ist das Zentral-Phänomen, rief er, nahm alle volle Flaschen unter den Arm, versicherte, seiner Mutter wäre Ruhe nach der Anstrengung des Tages notwendig und verließ das Zimmer. Die Freunde zogen nach mehreren Verbeugungen ihm nach. Die Schicklichkeit forderte ihnen zu folgen, ich küßte erst der Mutter, dann Marien die Hand, sie drückte sanft mit den beiden letzten Fingern die meinen, wir sahen uns noch einmal an, und mein Auge schwebte in ihrem, bis die Türe zuschlug.
Meine Freunde setzten sich zum Trinken; ich mußte ins Freie. Marie hatte sich im Nachtkleide gegen die Scheiben ihres Fensters gelehnt und blickte freudig auf zu den Sternen. Alles Licht schien von ihr zu kommen, sie selbst mit einer Heiligen-Glorie umgeben, die auch mich bestrahlte, voll Ehrfurcht näherte ich mich ihr und drückte sacht einen Kuß auf die Scheibe, da wo ihre Lippen durchschienen, sie nahm es nicht wahr. –
Als ich zurückkam zu den Brüdern, standen sie oben auf der Platte des Turms, auf der höchsten Spitze Norddeutschlands, alle voll des deutschen Weins. Ich rief der deutschen Freiheit ein herzlich Lebehoch! Sie alle riefen und tranken mit.
Es war mir als wenn ich hier zuerst die Ahndung einer andern Freiheit fühlte, noch ist mir alles dunkel, aber ich sehe den leuchtenden Punkt, wohin ich eilen muß.
Hollin
Aus der Schreibtasche abgeschrieben
Der Morgen des 20. Aprils auf dem Brocken.
Meines Lebens Himmel, du öffnest dich im hellsten Morgenrot, Lichtstreifen durchglänzen dich, alles aufersteht umher zum Leben, aber ein unendliches Wolkenmeer mit ragenden und schwindenden Wellen deckt die Zukunft meinen Augen, wie die Sonne, die Städte, Ströme und Berge vor mir. Einst glaubte ich wohl die Ahndung bilde schöner als die Gewißheit, es gebe der Ideale viele, die unerreichbar im Leben nur dem begeisterten Sinne erschienen, was ich als Traum kaum konnte fassen, hast du in ihr, erhabener Weltgeist, mir geschaffen, mach daß die Ahndung zur Gewißheit werde, und ich umfass' das Herrlichste der Erde.
Brocken, den 20. April.
Ich bin nie mitteilender gewesen als in diesen Tagen, kaum habe ich einige Minuten durch das Ankleiden der Frauen für mich, schon beschäftige ich mich den süßen Traum meines Lebens Dir zu wiederholen. So hoch in den Lüften läßt sich nicht ruhen, lange vor dem Aufgange der Sonne ging ich schon umher auf dem Berge. Wie viel Grundsteine alter Gebäude fand ich rings um den Gipfel; ein glückliches Völkchen bewohnte ihn, den jetzt nur Neugierige auf einzelne Tage beleben. Diesen Stammvätern waren alle diese Bergwege, die wir mit Ermüdung als Arbeit besteigen, die Straße, die sie unzählige Mal, wie wir den Weg nach dem Acker, hinabstiegen, um erst zur Arbeit zu gelangen. Ist es denn wohl noch unglaublich, daß es ein Geschlecht gegeben habe, das alle diese Bergmassen zu seiner Sicherheit und Belustigung, wie wir die Sandhügel in englischen Gärten aufgetürmt haben. Ich verlor mich in dem Gedanken eines Menschengeschlechts das alle jene Naturwirkungen, Erdbeben, Ungewitter, die jetzt über uns unabänderlich herrschen, sich unterworfen hätte, ich dachte: ob wohl je alle unsere Künste des Lebens dahin führen könnten! Da verkündete ein sanftes Wehen am Himmel die Nähe der Sonne, ich ging nach dem Hause, Maria trat in einem weißen Gewande hinaus, einen Brockenstrauß in der Hand. Ich glaube sie so gerade so und alles umher in einem andern Leben, oder im Traume schon gesehen zu haben, alles schien mir aus jener Erinnerung heiliger, wirkte mächtiger auf mich, vergebens widerstrebte ich einen Augenblick, in stiller Andacht sank ich vor Marien nieder. Ich vermochte nicht Worte zu denken, zu reden, sie blickte mich liebevoll an, berührte meine Stirn mit ihrer Hand, ein sanftes Feuer verbreitete sich über mich, des neuen schönern Lebens Atem füllte meine Brust, mein Herz klopfte freudig, meine Adern schwollen, ich erhob mich begeistert, da erhob sich vor unserm trunkenen Blicke der äußerste Schein der Himmelsröte, bald eilten alle herbei. Einige sangen im Scherz ein Morgenlied, Maria stimmte ernsthaft ein, bald horchten ihr alle zu. Alle baten, daß sie den Gesang wiederholen möchte, sie sang aus Haydn's Schöpfung.
Es wurde heller umher, der Fels schien sich aufzubewegen durch die Kraft des heiligen Gesanges, das Wolkenmeer regte sich mit allen seinen Wogen, die Wälder umher blinkten in hellerem Grün, der milde Tau senkte sich herab, alle Töne feierten im Anhorchen des süßen Tons andächtiger Liebe. Sie verhallten, das geräuschvolle Leben umher kehrte wieder. Der Rat bedauerte schon, daß wir keinen klaren Sonnenaufgang gesehen hätten, wenn die Wolken nicht wären, sähe man Magdeburg, wie einen kleinen weißen Flecken und die Elbe dabei, wie einen blauen Faden. Auf Befehl der Mutter mußte Marie wegen der Morgenluft sich mit einem Mantel umhüllen, sie nötigte wiederholt zum Kaffee. Saul las dabei zum großen Wohlgefallen eines jungen Theologen Lopez, Marien ein Gedicht in Hexametern vor, welches dieser während des Sonnenaufgangs auf den Sonnenaufgang in seine Schreibtafel gedichtet hatte. Marie hatte die Nachsicht ihm etwas Artiges über die Gewandheit im Silbenmaße zu sagen, der Rat lobte die Mäßigung und die Enthaltsamkeit im Poetischen, fragte aber in Gewißheit der Antwort: ob nicht das elegische Silbenmaß besser dazu geeignet wäre, da dieses nach dem Beispiele des ihm sicher bekannten Herrn geheimen Rats von Göthe gar nichts Trauriges involvierte? Herrn von Göthe, erwiderte der durch diese Kritik geschmeichelte Dichter, schätze ich gewissermaßen längst, ungeachtet seiner so zu sagen genialischen Fehler, ja ich habe es schon gedacht und noch vor einiger Zeit einer Gesellschaft von Freunden mitgeteilt, man solle eine Auswahl seiner bessern Stücke zusammendrucken und die schlechten, wie den Faust und andre mehr, die gegen alle Regeln verstoßen, aussondern. Von jungen Leuten, sagte der Rat, solle man ihn lieber ganz entfernen, die verderbt er aufrichtig gesagt völlig, er macht daß sie glaubten vieles besser und alles nach eignem Sinne tun zu können, aber was meinen sie zu meinem Vorschlage des Silbenmaßes? Herr Rat, fiel ihn Lopez in die Rede, noch vor dem nächsten Morgenaufgange soll er ausgeführt sein. Aber was meinen sie zu dem Herrn Tiek, der gegen alle Regel Trauerspiele von sechs Akten macht, worin eine Hirschkuh spricht und in seinem Tannenhäuser vielen schädlichen Aberglauben verteidigt? – Ich fragte Marien leise: haben sie seine Magelone gelesen? Mit einem unbeschreiblich freudigen Blicke zog sie das Buch hervor. Zu meiner Erinnerung, sagte sie und steckte es mir heimlich zu. – Der Rat fuhr fort: der gute Mann sieht auch gar sonderbare Gesellschaft, Altfranken die ihm die Treppe, Musen die ihm das Dach einreißen; schlechte Gesellschaft verdirbt gute Sitten. Er lachte, die Frau lachte, ein junger Mann lachte, der gewöhnlich Peter Strohkopf genannt wurde, Lopez lachte; alle lachten, weil Lenardo die stark gefüllte Schreibtasche des Lopez aus Unvorsichtigkeit offen gegen den starken Morgenwind gelegt hatte, der wie im Frühlinge mit den trockenen Buchblättern, mit den Gedichten davon rauschte. Lopez eilte voll Verzweifelung ihnen nach, er schlug und griff danach wie auf einer Schmetterlingsjagd, kaum erhaschte er einen, so ließ er zwei andere fliegen, dann fiel er auf dem unebnen Wege, er weinte in seiner Not, alles neuer Stoff zum Gelächter für Saul und Lenardo. Auf einen Wink von Marien half ich ihm, nach einer halben Stunde war alles bis auf das hexametrische Sonnengedicht gerettet. Lopez schwor, er hätte willig ein Dutzend der geretteten Phantasien für dieses einzige Gedicht gegeben, das Stück für Stück eine genaue Abschilderung dieses herrlichen Naturphänomens gewesen sei. – Lenardo ruft zum Abmarsche. Lebe wohl Brocken, ob ich dich wohl wiedersehe? Beim Himmel mit eben dem Sinne, an Mariens Seite, durch sie ganz glücklich. oder nimmer! – Lebe wohl Freund.
Hollin
Blankenburg den 1. April.