Die besten Geschichten - F. Scott Fitzgerald - E-Book

Die besten Geschichten E-Book

F.Scott Fitzgerald

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Beschreibung

Sein Vater sei der reichste Mann der Welt, behauptet Percy Washington, er besitze einen Diamanten so groß wie das Hotel Ritz. Was sein Schulfreund John Unger für maßlose Übertreibung hält, erweist sich bei einem Besuch in Montana als wahr. Ein Berg aus Diamant – das darf natür lich niemand erfahren. Und plötzlich merkt Unger, in welcher Gefahr er schwebt. Bei F. Scott Fitzgerald nimmt die exaltierte Welt der Reichen und Schönen bizarre Formen an, das zeigen aufs Unterhaltsamste die hier versammelten neun Geschichten vom berühmten Autor des »Großen Gatsby«.

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Informationen zum Buch

Sein Vater sei der reichste Mann der Welt, behauptet Percy Washington, er besitze einen Diamanten so groß wie das Hotel Ritz. Was sein Schulfreund John Unger für maßlose Übertreibung hält, erweist sich bei einem Besuch in Montana als wahr. Ein Berg aus Diamant – das darf natürlich niemand erfahren. Und plötzlich merkt Unger, in welcher Gefahr er schwebt. Bei F. Scott Fitzgerald nimmt die exaltierte Welt der Reichen und Schönen bizarre Formen an, das zeigen aufs Unterhaltsamste die hier versammelten neun Geschichten vom berühmten Autor des »Großen Gatsby«.

F. Scott Fitzgerald

Die besten Geschichten

Neun Erzählungen

Aus dem Amerikanischen von Elga Abramowitz

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Ein Diamant, so groß wie das Ritz

Die letzte Schöne des Südens

Das Vernünftige

Die Skandaldetektive

Eine Frau mit Vergangenheit

Drei Stunden zwischen zwei Flügen

Ein patriotischer Kurzfilm

Zwei Oldtimer

Familie im Wind

Editorische Notiz

Über F. Scott Fitzgerald

Impressum

Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …

Ein Diamant, so groß wie das Ritz

1

John T. Unger entstammte einer Familie, die seit mehreren Generationen in Hades, einer kleinen Stadt am Mississippi, sehr angesehen war. Johns Vater hatte in vielen erbitterten Kämpfen seinen Titel im Amateurgolf verteidigt; Mrs Unger war »vom Gewächshaus bis zum Mistbeet«, wie die Redensart in der Gegend lautete, wegen ihrer politischen Ansprachen bekannt, und der junge John T. Unger, der gerade sechzehn geworden war, hatte bereits alle neuesten New Yorker Tänze getanzt, bevor er lange Hosen trug. Und nun sollte er für eine gewisse Zeit von zu Hause fort. Jene Hochachtung vor einem Studium in Neuengland, die das Verderben aller Provinzstädte ist und sie Jahr für Jahr ihrer hoffnungsvollsten jungen Männer beraubt, hatte plötzlich auch seine Eltern ergriffen. Einzig die St.-Midas-Schule bei Boston erschien ihnen angemessen – Hades war zu klein, um ihren Liebling, ihren begabten Sohn, festzuhalten.

Nun bedeuten in Hades die Namen der vornehmeren Vorbereitungsschulen und Colleges sehr wenig – wie jeder weiß, der einmal dort war. Die Einwohner leben seit langem so außerhalb der Welt, dass sie, obwohl sie stets betonen, in Bezug auf Kleidung, Manieren und Literatur völlig auf dem Laufenden zu sein, zum großen Teil auf mündliche Mitteilungen angewiesen sind, und ein gesellschaftliches Ereignis, das man in Hades als etwas ganz Besonderes angesehen haben würde, hätte eine Chicagoer Rindfleischprinzessin zweifellos »in der Tat ein wenig ärmlich« genannt.

Es war am Abend vor John T. Ungers Abreise. Mrs Unger füllte in mütterlicher Einfalt seinen Koffer mit Leinenanzügen und Ventilatoren, und Mr Unger schenkte seinem Sohn eine mit Geld vollgestopfte Asbestbrieftasche.

»Denk daran, dass du hier stets willkommen bist«, sagte er. »Du kannst dich drauf verlassen, Junge, dass wir das Herdfeuer nicht ausgehen lassen.«

»Ich weiß«, erwiderte John mit heiserer Stimme.

»Vergiss nicht, wer du bist und woher du kommst«, fuhr sein Vater voller Stolz fort, »dann kannst du nichts tun, was dir schaden könnte. Du bist ein Unger – aus Hades.«

Der alte Mann und der junge schüttelten einander die Hand, und John ging davon, während ihm die Tränen aus den Augen strömten. Zehn Minuten später hatte er die Stadtgrenze hinter sich gelassen, und er blieb stehen, um einen letzten Blick zurückzuwerfen. Der altmodische viktorianische Wahlspruch über dem Tor erschien ihm merkwürdig anziehend. Sein Vater hatte immer wieder versucht, ihn durch etwas Schwung- und Kraftvolleres zu ersetzen, etwas wie »Hades – deine Chance«, oder auch durch ein einfaches Schild »Willkommen« über zwei sich herzhaft drückenden Glühbirnen-Händen. Die alte Inschrift war ein wenig deprimierend, hatte Mr Unger gefunden – aber jetzt …

So blickte John zum letzten Mal zurück und wandte dann das Gesicht entschlossen seinem Ziel entgegen. Als er sich umdrehte, schienen die Lichter von Hades, die am Himmel leuchteten, voll warmer und leidenschaftlicher Schönheit zu sein.

Die St.-Midas-Schule erreicht man in einem Rolls-Pierce-Auto von Boston aus in einer halben Stunde. Die wirkliche Entfernung wird nie bekannt werden, denn außer John T. Unger ist noch niemand dort anders als in einem Rolls-Pierce angekommen, und wahrscheinlich wird das auch in Zukunft nicht anders sein. St. Midas ist die teuerste und exklusivste Vorbereitungsschule für Jungen, die es auf der Welt gibt.

Die ersten beiden Jahre, die John dort verbrachte, vergingen angenehm. Die Väter der Jungen waren alle Krösusse, und in den Sommerferien machte John Besuche in den elegantesten Badeorten. Er mochte die Jungen gern, die er besuchte, aber ihre Väter kamen ihm alle vor wie aus einem Stück, und in seiner jungenhaften Art staunte er oft über diese außerordentliche Ähnlichkeit. Wenn er ihnen erzählte, woher er kam, fragten sie jovial: »Ganz schön heiß da unten, was?«, und John zwang sich zu einem schwachen Lächeln und erwiderte: »Das will ich meinen.« Seine Antwort wäre herzhafter ausgefallen, hätten sie nicht alle diese witzige Frage gestellt – im besten Falle ein wenig variiert: »Ist es dir da unten heiß genug?«, was er genauso hasste.

Als John sein zweites Jahr in St. Midas zur Hälfte hinter sich hatte, war ein Neuer in seine Klasse gekommen, ein stiller, hübscher Junge namens Percy Washington. Der Neue hatte angenehme Manieren und war selbst für St. Midas auffallend gut angezogen, aber aus irgendeinem Grund hielt er sich von den anderen Jungen fern. Der Einzige, mit dem er engeren Kontakt hatte, war John T. Unger, aber selbst John gegenüber blieb er völlig verschlossen, was sein Zuhause oder seine Familie betraf. Dass seine Eltern wohlhabend waren, war selbstverständlich, aber abgesehen davon wusste John wenig von seinem neuen Freund. Es sah jedoch so aus, als würde seine Neugier reichlich befriedigt werden, denn Percy lud ihn ein, den Sommer bei ihm »im Westen« zu verbringen. John nahm die Einladung ohne Zögern an.

Erst als sie im Zug saßen, wurde Percy zum ersten Mal ziemlich mitteilsam. Eines Tages, als sie im Speisewagen zu Mittag aßen und sich über die charakterlichen Mängel einiger Jungen in der Schule unterhielten, änderte Percy plötzlich seinen Ton und machte eine abrupte Bemerkung.

»Mein Vater«, sagte er, »ist bei weitem der reichste Mann der Welt.«

»Oh«, sagte John höflich. Ihm fiel keine Antwort auf diese vertrauliche Mitteilung ein. Er überlegte, ob er sagen sollte: »Das ist fein«, aber es klang nichtssagend, und fast hätte er »wirklich?« gesagt, aber er unterließ es, weil es ausgesehen hätte, als wolle er Percys Behauptung anzweifeln, und dabei konnte man solch eine erstaunliche Behauptung doch kaum in Zweifel ziehen.

»Bei weitem der reichste«, wiederholte Percy.

»Ich habe im ›World Almanac‹ gelesen«, begann John, »dass es in Amerika einen Mann mit einem Jahreseinkommen von über fünf Millionen gibt und vier Männer mit Jahreseinkommen von mehr als drei Millionen, und …«

»Ach, die zählen doch nicht!« Percys Mund war ein Halbmond der Verachtung. »Pfennigfuchser-Kapitalisten, finanzielles Kroppzeug, Krämer und Geldverleiher. Mein Vater könnte sie alle aufkaufen, ohne überhaupt was davon zu merken.«

»Aber wie hat er …«

»Warum sie seine Einkommensteuer nicht angegeben haben? Weil er keine zahlt. Das heißt, etwas zahlt er ja – aber er zahlt keine, die seinem wirklichen Einkommen entspricht.«

»Er muss sehr reich sein«, sagte John schlicht. »Das freut mich. Ich habe sehr reiche Leute gern. Je reicher einer ist, desto besser kann ich ihn leiden.« Sein dunkles Gesicht trug den Ausdruck leidenschaftlicher Offenheit. »Ostern habe ich die Schnlitzer-Murphys besucht. Vivian Schnlitzer-Murphy hatte Rubine so groß wie Hühnereier und Saphire, die waren wie Globen mit Licht drin …«

»Ich liebe Edelsteine«, stimmte Percy begeistert zu. »Natürlich wäre es mir nicht angenehm, wenn irgendwer in der Schule davon wüsste, aber ich habe selber eine ganz nette Kollektion. Ich habe die Steine an Stelle von Briefmarken gesammelt.«

»Und Brillanten«, fuhr John voller Eifer fort. »Die Schnlitzer-Murphys hatten Brillanten so groß wie Walnüsse …«

»Das ist doch gar nichts.« Percy hatte sich vorgebeugt und dämpfte seine Stimme zu einem leisen Flüstern. »Das ist überhaupt nichts. Mein Vater hat einen Brillanten, der ist größer als das Ritz-Carlton-Hotel.«

2

In Montana lag die untergehende Sonne zwischen zwei Bergen wie ein riesiger Bluterguss, von dem aus sich dunkle Arterien über einen vergifteten Himmel hinzogen. In unermesslicher Entfernung duckte sich das Dorf Fish unter dem Himmel, winzig, trostlos und vergessen. Im Dorf Fish gab es zwölf Männer, so hieß es, zwölf finstere, unbegreifliche Seelen, die magere Milch aus dem buchstäblich fast nackten Felsen saugten, auf dem eine geheimnisvolle Lebenskraft sie gezeugt hatte. Sie waren eine Rasse für sich, diese zwölf Männer aus dem Dorf Fish, wie einige Arten, welche die Natur in einer frühen Laune entwickelt und dann nach nochmaliger Überlegung dem Kampf und der Vernichtung überantwortet hatte.

Aus dem schwarzblauen Bluterguss in der Ferne kroch eine lange Reihe von Lichtern über die öde Landschaft, und die zwölf Männer von Fish versammelten sich wie Geister am Bahnhofsschuppen, um den Sieben-Uhr-Zug, den Transcontinental-Express aus Chicago, vorbeifahren zu sehen. Aufgrund einer unbegreiflichen Anweisung hielt der Transcontinental-Express etwa sechs Mal im Jahr beim Dorf Fish, und immer, wenn dies geschah, stiegen eine oder mehrere Gestalten aus, kletterten in einen Kutschwagen, der stets aus der Abenddämmerung auftauchte, und fuhren dem schwarz und blau schimmernden Sonnenuntergang entgegen. Die Männer von Fish hatten mit der Zeit einen Kult daraus gemacht, diese belanglose und absurde Erscheinung zu beobachten. Zu beobachten, das war alles; denn in ihnen war nichts mehr von jener unerlässlichen Illusionskraft lebendig geblieben, die sie hätte staunen oder Vermutungen anstellen lassen – sonst hätte sehr wohl eine Religion um diese geheimnisvollen Besuche erstehen können. Aber die Männer von Fish waren jenseits aller Religion – nicht einmal die primitivsten und wildesten Gebote des Christentums konnten auf jenem unfruchtbaren Felsen Fuß fassen –, und so gab es keinen Altar, keinen Priester, kein Opfer; nur jeden Abend um sieben die schweigende Versammlung am Bahnhofsschuppen, eine Gemeinde, die ein Gebet matten, blassen Staunens zum Himmel sandte.

Der große Bremser, den die Männer von Fish sehr wohl zu ihrem himmlischen Vorkämpfer hätten wählen können, wären sie überhaupt bereit gewesen, irgendwen zum Gott zu erheben, hatte an diesem Juniabend verfügt, dass der Sieben-Uhr-Zug sein menschliches (oder unmenschliches) Frachtgut in Fish entlassen sollte. Zwei Minuten nach sieben stiegen Percy Washington und John T. Unger aus, eilten an den wie verzaubert blickenden, den weit aufgerissenen, den furchtbaren Augen der zwölf Männer von Fish vorbei, stiegen in einen Kutschwagen, der offenbar von nirgendwoher gekommen war, und fuhren davon.

Nach einer halben Stunde, als das Zwielicht zu Dunkelheit geronnen war, rief der schweigsame Neger, der den Wagen kutschierte, einer undeutlichen Gestalt, die irgendwo in der Finsternis ein Stück vor ihnen stand, etwas zu. Als Antwort auf seinen Ruf wurde eine leuchtende Scheibe auf sie gerichtet, die wie ein boshaftes Auge aus der unermesslichen Nacht auf sie blickte. Als sie näher kamen, sah John, dass es das Rücklicht eines riesigen Automobils war, und dieses Automobil war größer und prachtvoller als alle anderen Autos, die er je gesehen hatte. Seine Karosserie bestand aus einem schimmernden Metall, kostbarer als Nickel und heller als Silber, und die Radkappen waren mit irisierenden geometrischen Mustern in Grün und Gelb verziert – John wagte nicht, sich Vermutungen darüber hinzugeben, ob sie aus Glas oder aus Edelstein waren.

Zwei Neger in einer glitzernden Livree, wie man sie auf den Bildern von feierlichen Umzügen der englischen Könige in London sieht, standen in militärischer Haltung neben dem Auto, und als die beiden jungen Männer aus dem Kutschwagen stiegen, wurden sie in einer Sprache begrüßt, die der Gast nicht verstand, die ihm jedoch eine außergewöhnliche Form des Negerdialekts im Süden zu sein schien.

»Steig ein«, sagte Percy zu seinem Freund, als ihre Koffer auf das Ebenholzdach der Limousine geworfen wurden. »Tut mir leid, dass wir dich bis hierher im Kutschwagen bringen mussten, aber natürlich wäre es nicht gut, wenn die Leute im Zug oder die gottverlassenen Kerle in Fish dieses Auto zu sehen bekämen.«

»Mein Gott! Was für ein Wagen!« Dieser Ausruf entfuhr John, als er das Innere des Fahrzeugs sah. Die Polsterung bestand aus tausend winzigen erlesenen Seidentapisserien, die einen Untergrund aus Goldstoff hatten und mit Edelsteinen und Stickereien durchwirkt waren. Die beiden Sesselsitze, in denen es sich die Jungen bequem machten, waren mit einem Material bezogen, das an Duvetine erinnerte, aber in tausend Farben aus den Enden von Pfauenfedern gewebt zu sein schien.

»Was für ein Wagen!«, rief John noch einmal in höchstem Erstaunen.

»Dies Ding hier?« Percy lachte. »Ach, das ist doch nur ein alter Schlitten, den wir als Transportauto benutzen.«

Inzwischen glitten sie bereits durch die Dunkelheit, dem Einschnitt zwischen den beiden Bergen entgegen.

»In anderthalb Stunden sind wir da«, sagte Percy, auf seine Uhr blickend. »Ich möchte dir nur sagen, dass es ganz anders ist als alles, was du bisher gesehen hast.«

Falls das Auto ein Vorgeschmack dessen war, was ihn erwartete, so rechnete John mit noch größeren Überraschungen. Die einfache Frömmigkeit, die in Hades vorherrschte, hatte die ernste Anbetung und Verehrung des Reichtums zum ersten Glaubensartikel erhoben – hätte John angesichts des Reichtums etwas anderes als tiefe Demut empfunden, so hätten sich seine Eltern ob dieser Gotteslästerung entsetzt von ihm abgewandt.

Sie waren nun an dem Einschnitt zwischen den beiden Bergen angelangt und fuhren in ihn hinein. Fast sogleich wurde der Weg viel holpriger.

»Wenn der Mond hier scheinen würde, könntest du sehen, dass wir in einer tiefen Schlucht sind«, sagte Percy und versuchte aus dem Fenster zu spähen. Er rief ein paar Worte in das Sprechrohr, und sofort stellte der Lakai einen Scheinwerfer an und ließ einen riesigen Lichtstrahl über die Bergabhänge gleiten.

»Alles Felsen, siehst du. Ein gewöhnliches Auto würde in einer halben Stunde auseinanderfallen. Man braucht einen Tank, um hier durchzukommen, wenn man den Weg nicht kennt. Du merkst sicher, dass wir jetzt den Berg hochfahren.«

Offenbar fuhren sie aufwärts, und in wenigen Minuten bewältigte der Wagen eine steile Anhöhe, wo sie flüchtig zu einem bleichen Mond hinblickten, der soeben in der Ferne aufgegangen war. Der Wagen hielt plötzlich, und einige Gestalten lösten sich aus der Dunkelheit – auch diese waren Neger. Wieder wurden die beiden jungen Männer in dem gleichen schwer verständlichen Dialekt begrüßt; dann begannen die Neger ihre Arbeit, und vier riesige Taue, die von oben herabhingen, wurden mit Haken an den Naben der großen, edelsteinbesetzten Räder befestigt. »He-jah!«, erschallte ein Ruf, und John merkte, wie sich der Wagen langsam vom Boden hob – immer höher – ungehindert von den höchsten Felsen zu beiden Seiten – dann noch höher, bis er ein sanft gewelltes, vom Mondlicht erhelltes Tal sehen konnte, das sich vor ihm erstreckte, in scharfem Kontrast zu der Felslandschaft, die sie gerade hinter sich hatten. Nur auf einer Seite waren noch Felsen – und dann plötzlich gab es keine Felsen mehr, weder neben ihnen noch irgendwo ringsum.

Sie hatten gerade eine riesige steinerne Messerklinge überquert, die senkrecht in die Luft ragte. Einen Augenblick später ging es wieder abwärts, und schließlich landeten sie mit einem sanften Ruck auf ebener Erde.

»Das Schlimmste haben wir hinter uns«, sagte Percy und blinzelte durch die Scheibe. »Jetzt sind es nur noch fünf Meilen, und das ist unsere eigene Straße – Mosaikziegel – die ganze Strecke. Das gehört uns. Hier sind die Vereinigten Staaten zu Ende, sagt Vater.«

»Sind wir in Kanada?«

»Nein. Mitten im Felsengebirge von Montana. Aber du befindest dich jetzt auf den einzigen fünf Quadratmeilen Land in den ganzen USA, die nie vermessen worden sind.«

»Warum nicht ? Hat man sie vergessen?«

»Nein«, sagte Percy vergnügt lächelnd, »sie haben es dreimal versucht. Das erste Mal hat mein Großvater eine ganze Abteilung des staatlichen Vermessungsdienstes bestochen; das zweite Mal sorgte er dafür, dass in den offiziellen Karten der Vereinigten Staaten ein wenig herumgepfuscht wurde – das hielt die Burschen fünfzehn Jahre von uns fern. Das letzte Mal war es schon schwerer. Mein Vater richtete es so ein, dass sich ihre Kompasse in dem stärksten Magnetfeld befanden, das je künstlich hergestellt wurde. Er ließ einen ganzen Satz Messinstrumente anfertigen, die alle einen kleinen Defekt hatten, sodass dieses Gebiet hier gar nicht angezeigt wurde, und vertauschte sie mit den echten. Dann ließ er einen Fluss ableiten und an dessen Ufer so etwas wie ein Dorf erbauen – das mussten sie sehen und für eine Stadt halten, die zehn Meilen entfernt im Tal liegt. Es gibt nur eine Sache, vor der mein Vater Angst hat«, schloss er, »nur eine Sache auf der Welt, mit der man uns ausfindig machen könnte.«

»Und was ist das?«

Percy dämpfte seine Stimme zu einem Flüstern.

»Flugzeuge«, hauchte er. »Wir haben ein halbes Dutzend Flakgeschütze, und bis jetzt ist alles gutgegangen – aber es gab ein paar Tote und sehr viele Gefangene. Nicht, dass uns das stört, Vater und mich, weißt du, aber es beunruhigt Mutter und die Mädchen, und es besteht immer die Möglichkeit, dass es eines Tages schiefgeht.«

Chinchillastreifen und -fetzen, Schäfchenwolken am Himmel des grünen Mondes, zogen am Mond vorbei wie kostbare orientalische Gewebe vor den prüfenden Augen eines Tatarenkhans. Es kam John vor, als sei es Tag und als sehe er Jungen zu, die über ihm in der Luft dahinglitten und Traktate und Anpreisungen von Wundermedizinen mit ihren Hoffnung erweckenden Botschaften für trostlose, von Felsen umschlossene Weiler auf die Erde regnen ließen. Es war ihm, als könne er sie sehen, wie sie aus den Wolken herunterstarrten – auf das herunterstarrten, was es an dem Ort, zu dem er unterwegs war, anzustarren gab. Und was dann? Wurden sie durch irgendeine tückische Erfindung zur Landung veranlasst, um dort fern von Wundermedizinen und Traktaten bis zum Tag des Jüngsten Gerichts eingesperrt zu werden – oder, falls sie nicht in die Falle gingen, brachte sie dann eine kräftige Rauchwolke und ein scharf berstendes Geschoss zur Erde nieder – und »beunruhigte« Percys Mutter und Schwestern? John schüttelte den Kopf, und der Abglanz eines falschen Lachens trat stumm zwischen seinen geöffneten Lippen hervor. Welch verzweifeltes Unternehmen verbarg sich hier? Welcher hochmoralische Plan eines exzentrischen Krösus? Welch schreckliches goldenes Geheimnis …?

Die Chinchillawolken waren nun vorbeigezogen, und draußen war die Nacht über Montana so strahlend wie der Tag. Sie fuhren um einen still im Mondlicht daliegenden See herum, und die großen Reifen glitten weich über die Mosaikziegel des Weges; dann ging es einen Augenblick lang durch Dunkelheit, einen Fichtenhain, scharf duftend und kühl, dann kamen sie auf eine breite Rasenstraße, und Johns freudiger Ausruf ertönte in dem gleichen Moment, als Percy wortkarg erklärte: »Wir sind daheim.«

Im hellen Sternenlicht erhob sich am Ufer des Sees ein wunderschönes Schloss, stieg in marmorner Helle zur halben Höhe des neben ihm aufragenden Berges empor und verschwand dann in Anmut, in vollkommener Symmetrie, in halb durchsichtiger femininer Zartheit im dichten Dunkel eines Fichtenwaldes. Die vielen Türme, der schlanke Zierrat der schrägen Brüstungen, das feingemeißelte Wunder der tausend gelben Fenster mit ihren Rechtecken und Achtecken und Dreiecken von goldenem Licht, die sich schneidenden Flächen von Sternenlicht und blauem Schatten, all das zitterte in Johns Seele wie ein Musikakkord. Auf der Spitze eines der Türme, des höchsten, dessen Fundament am schwärzesten war, schufen außen angebrachte Lichter eine Art schwebendes Feenland – und als John bezaubert hinaufblickte, wehte der schwache Klang von Violinen zu ihm hinunter in einer Rokokoharmonie, die mit nichts zu vergleichen war, was er je zuvor gehört hatte. Einen Augenblick später hielt das Auto vor einer hohen, breiten Marmortreppe, und zahllose Blumen erfüllten die Nachtluft ringsum mit ihrem Duft. Am Ende der Treppe öffneten sich geräuschlos zwei große Türflügel, und bernsteinfarbenes Licht flutete in die Dunkelheit hinaus, in dem sich wie ein Schattenriss die Gestalt einer wunderschönen Frau mit schwarzem, hochgestecktem Haar abzeichnete, die ihnen die Arme entgegenstreckte.

»Mutter«, sagte Percy, »das ist mein Freund John Unger aus Hades.«

Hinterher erinnerte sich John an diesen ersten Abend als an ein verwirrendes Durcheinander von Farben, von schnell wechselnden Sinneseindrücken, von Musik, die so sanft war wie die Stimme eines Verliebten, und von schönen Dingen, Schönheit in Lichtern und Schatten, Bewegungen und Gesichtern. Da war ein weißhaariger Mann, der einen vielfarbigen stärkenden Trank aus einem kristallenen Fingerhut mit einem goldenen Stiel schlürfte. Da war ein Mädchen mit einem Blumengesicht, gekleidet wie Titania, mit ins Haar geflochtenen Saphiren. Da war ein Zimmer, in dem das feste, sanft schimmernde Gold der Wände unter dem Druck seiner Hand nachgab, und ein Zimmer, das wie die Wirklichkeit gewordene endgültige Stätte aussah. Decke, Fußboden und Wände bedeckte eine fugenlose Schicht aus Diamanten, Diamanten jeder Größe und Form; und erhellt von großen violetten, in den Ecken angebrachten Lampen, blendete es die Augen mit einem weißen Glanz, der nur mit sich selbst verglichen werden konnte, da er jenseits aller menschlichen Wünsche und Träume lag.

Durch ein Labyrinth solcher Räume wanderten die beiden Jungen. Manchmal flammte der Boden unter ihren Füßen, von unten beleuchtet, in strahlenden Mustern auf, Mustern mit barbarischen, nicht miteinander harmonierenden Farben, Mustern in zarten Pastelltönen, in reinem Weiß; oder John erblickte kunstvolle, komplizierte Mosaiken, die sicher aus irgendeiner Moschee am Adriatischen Meer stammten. Manchmal sah er unter Schichten von dickem Kristall blaues oder grünes Wasser wirbeln, in dem es springlebendige Fische und regenbogenfarbiges Blätterwerk gab. Dann wieder schritten sie auf Pelzen jeglicher Art und Farbe dahin oder durch Korridore aus bleichstem Elfenbein, fugenlos, als sei es in einem Stück aus den riesigen Stoßzähnen von Dinosauriern geschnitzt worden, die lange vor dem Zeitalter des Menschen ausgestorben waren.

Dann eine Veränderung der Szene, an die er sich nur undeutlich erinnerte, und sie saßen beim Essen. Jeder Teller bestand aus zwei kaum wahrnehmbaren Schichten von reinem Diamant mit einem kunstvoll eingearbeiteten Filigranmuster aus Smaragden dazwischen, einem dünnen Scheibchen grüner Luft. Musik, rauschend und unaufdringlich, klang aus weit entfernten Korridoren zu ihnen herüber – sein Sessel, weich gefedert und sich verführerisch der Wölbung seines Rückens anpassend, schien ihn wie ein Abgrund zu verschlingen und ihn zu überwältigen, als er sein erstes Glas Portwein trank. Schlaftrunken versuchte er auf eine Frage zu antworten, aber der köstliche Luxus, der seinen Körper umfing, verstärkte die Illusion des Schlafes – Edelsteine, Gewebe, Weine und Metalle verschwammen vor seinen Augen zu einem süßen Nebel …

»Ja«, erwiderte er mit höflicher Anstrengung, »mir ist dort wirklich heiß genug.«

Es gelang ihm, ein geisterhaftes Lachen hinterherzuschicken; dann war ihm, als glitte er regungslos ohne Widerstand davon und lasse ein halbgefrorenes Dessert zurück, das so rosarot wie ein Traum war … Er schlief ein.

Als er erwachte, wusste er, dass mehrere Stunden verstrichen waren. Er befand sich in einem großen, stillen Raum mit Ebenholzwänden und einer trüben Beleuchtung, die zu schwach, zu matt war, als dass man sie hätte Licht nennen können. Sein junger Gastgeber beugte sich über ihn.

»Du bist beim Essen eingeschlafen«, sagte Percy. »Beinahe wäre es mir ebenso gegangen – einfach wunderbar, sich nach diesem Jahr Schule wieder mal wirklich wohlzufühlen. Diener haben dich ausgezogen und gebadet, während du schliefst.«

»Ist das ein Bett oder eine Wolke?«, seufzte John. »Percy, Percy – bevor du gehst, möchte ich mich bei dir entschuldigen.«

»Wofür?«

»Weil ich Zweifel hatte, als du sagtest, ihr hättet einen Diamanten, so groß wie das Ritz-Carlton-Hotel.«

Percy lächelte.

»Ich dachte mir, dass du mir nicht glauben würdest. Es ist dieser Berg, weißt du.«

»Welcher Berg?«

»Der Berg, an den sich das Schloss lehnt. Für einen Berg ist er nicht sehr groß. Aber abgesehen von etwa fünfzehn Metern Torf und Kies obendrauf besteht er aus reinem Diamant. Ein Diamant, eine Kubikmeile ohne einen Fehler. Hörst du mir nicht zu? He …«

Aber John T. Unger war wieder eingeschlafen.

3

Morgen. Als er erwachte, nahm er schläfrig wahr, dass das Zimmer im gleichen Augenblick von Sonnenlicht durchflutet wurde. Die Ebenholzfüllungen der einen Wand waren auf einer Art Schiene zur Seite geglitten, und sein Schlafgemach war nun halb zum Tag hin geöffnet. Ein großer Neger in weißer Livree stand neben seinem Bett.

»Guten Abend«, murmelte John, seine Sinne von den wilden Stätten zurückrufend.

»Guten Morgen, Sir. Wollen Sie jetzt Ihr Bad nehmen, Sir? Oh, stehen Sie nicht auf – ich lege Sie hinein, wenn Sie nur so freundlich sein wollen, Ihren Pyjama aufzuknöpfen – so. Vielen Dank, Sir.«

John lag ruhig da, als sein Pyjama ausgezogen wurde – er war amüsiert und entzückt; er nahm an, dass ihn dieser schwarze Gargantua, der ihn bediente, wie ein Kind hochheben würde, aber es geschah nichts Derartiges; stattdessen fühlte er, wie sich das Bett langsam zur Seite neigte – er rollte, zuerst erschreckt, auf die Wand zu, aber an der Wand glitten die Vorhänge zurück, er rutschte auf einer weichen, wolligen schrägen Fläche knappe zwei Meter weiter hinunter und plumpste sanft ins Wasser, das die gleiche Temperatur wie sein Körper hatte.

Er blickte sich um. Die Laufplanke oder Rollbahn, auf der er hierhergelangt war, war geräuschlos wieder eingezogen worden. Man hatte ihn in einen anderen Raum katapultiert, und er saß nun in einem eingelassenen Badebassin; sein Kopf ragte ein wenig heraus. Ihn umgab ein in die Wände des Raumes, in die Seiten und den Boden des Bassins eingebautes blaues Aquarium, und als er durch die kristallene Fläche nach unten blickte, sah er Fische zwischen bernsteinfarbigen Lichtern schwimmen, und sie huschten sogar ohne Neugier zwischen seinen ausgestreckten Zehen dahin, getrennt von ihm nur durch das dicke Kristall. Von oben fiel Sonnenlicht durch meergrünes Glas.

»Ich vermute, Sir, Sie wünschen heute Morgen heißes Rosenwasser und Seifenwasser, Sir, und vielleicht kaltes Salzwasser zum Abschluss.«

Der Neger stand neben ihm.

»Ja«, stimmte John mit leerem Lächeln zu, »ganz nach Ihrem Belieben.« Jeder Gedanke daran, dieses Bad etwa nach seinem eigenen bescheidenen Lebensstandard auszurichten, wäre vermessen und nicht ein bisschen witzig gewesen.

Der Neger drückte auf einen Knopf, und es begann ein warmer Regen zu fallen, allem Anschein nach von oben; in Wahrheit aber, so entdeckte John einen Augenblick später, kam er aus einem Springbrunnen neben ihm. Das Badewasser färbte sich blassrosa, und in dieses Wasser ergossen sich Ströme flüssiger Seife aus Miniaturwalrosshäuptern, die in den vier Ecken des Bassins installiert waren. Im Nu hatten ein Dutzend kleine, seitlich angebrachte Schaufelräder die Mischung zu einem strahlenden Regenbogen aus rosa Schaum geschlagen, der ihn zart, mit köstlicher Leichtigkeit umhüllte und in funkelnden rosigen Blasen hier und dort um ihn zerplatzte.

»Soll ich die Filmmaschine anstellen, Sir?«, schlug der Neger ehrerbietig vor. »Heute ist eine gute einaktige Komödie in der Maschine, oder ich kann auch sofort etwas Ernstes einlegen, wenn Sie das vorziehen.«

»Nein, danke«, erwiderte John höflich, aber fest. Er genoss sein Bad zu sehr, als dass er den Wunsch nach Ablenkung verspürt hätte. Aber es gab eine Ablenkung. Einen Augenblick später lauschte er hingebungsvoll dem Klang von Flöten, der von draußen hereindrang, Flöten, aus denen eine Melodie tröpfelte, die wie ein Wasserfall war, kühl und grün wie der Baderaum, und die eine unwirkliche Pikkoloflöte mit einem Spiel begleiteten, das zarter war als die Seifenschaumspitze, die ihn umhüllte und entzückte.

Nach einem erfrischenden Überguss mit kaltem Salzwasser und einem darauffolgenden Guss mit kaltem Süßwasser stieg er aus dem Bassin in einen weichen, wolligen Mantel, und auf einem Ruhebett, das mit dem gleichen wolligen Stoff überzogen war, wurde er mit Öl, Alkohol und einer duftenden Essenz eingerieben. Später, während man ihn rasierte und ihm die Haare schnitt, saß er in einem Sessel mit üppig schwellenden Polstern.

»Mr Percy wartet in Ihrem Wohnzimmer«, sagte der Neger, als er fertig war. »Mein Name ist Gygsum, Mr Unger, Sir. Ich werde jeden Morgen nach Mr Unger sehen.«

John ging hinaus in den belebenden Sonnenschein seines Wohnzimmers, wo das Frühstück auf ihn wartete und Percy, der in weißen Glacélederknickerbockern prachtvoll aussah, in einem Lehnstuhl rauchte.

4

Hier folgt in großen Zügen die Geschichte der Familie Washington, wie Percy sie John beim Frühstück erzählte.

Der Vater des jetzigen Mr Washington stammte aus Virginia und war ein direkter Nachkomme von George Washington und Lord Baltimore. Als der Bürgerkrieg zu Ende ging, war er ein fünfundzwanzigjähriger Oberst mit einer heruntergewirtschafteten Plantage und ungefähr tausend Golddollar.

Fitz-Norman Culpepper Washington – so hieß der junge Oberst – beschloss, seinen Landbesitz in Virginia seinem jüngeren Bruder zu schenken und in den Westen zu gehen. Er wählte zwei Dutzend der treuesten Schwarzen aus, die ihn natürlich anbeteten, und kaufte fünfundzwanzig Fahrkarten in den Westen, wo er im Namen seiner Neger Land in Besitz nehmen und eine Schaf- und Rinderzucht beginnen wollte.

Als er noch keinen Monat in Montana war und die Dinge sich wahrhaftig nicht sehr gut anließen, machte er zufällig seine große Entdeckung. Er hatte sich bei einem Ritt in den Bergen verirrt, und nachdem er einen Tag lang nichts gegessen hatte, wurde er hungrig. Da er sein Gewehr nicht bei sich hatte, war er gezwungen, ein Eichhörnchen zu verfolgen, und bei dieser Verfolgungsjagd bemerkte er, dass das Eichhörnchen etwas Glänzendes in der Schnauze trug. Kurz bevor es in seiner Baumhöhle verschwand – denn dieses Eichhörnchen war nicht dazu ausersehen, seinen Hunger zu lindern –, ließ es seine Last fallen. Als Fitz-Norman sich hinsetzte, um seine Lage zu überdenken, wurde sein Blick von einem hellen Schimmer im Gras neben ihm angezogen. Nach zehn Sekunden hatte er seinen Appetit völlig verloren und hunderttausend Dollar gewonnen. Das Eichhörnchen, das sich ihm mit ärgerlicher Hartnäckigkeit verweigert hatte, hatte ihm einen großen fehlerlosen Diamanten zum Geschenk gemacht.

Spät in der Nacht fand er den Weg zum Lager zurück, und zwölf Stunden später waren alle seine männlichen Schwarzen an der Eichhörnchenhöhle versammelt und gruben verbissen am Bergabhang. Er sagte ihnen, er habe ein Bergkristallvorkommen entdeckt, und da nur einer oder zwei je vorher einen kleinen Diamanten gesehen hatten, glaubten sie ihm ohne Weiteres. Als ihm die Größe seiner Entdeckung klar wurde, sah er sich in einer schwierigen Lage. Der Berg war ein einziger Diamant – er war buchstäblich nichts anderes als reiner Diamant. Fitz-Norman füllte vier Satteltaschen mit funkelnden Probestücken und machte sich zu Pferde auf den Weg nach St. Paul. Dort gelang es ihm, ein halbes Dutzend kleiner Steine abzusetzen – als er einen größeren verkaufen wollte, fiel ein Ladenbesitzer in Ohnmacht, und Fitz-Norman wurde als Ruhestörer verhaftet. Er entkam aus dem Gefängnis und erwischte den Zug nach New York, wo er einige mittelgroße Diamanten verkaufte und dafür rund zweihunderttausend Golddollar erhielt. Aber er wagte nicht, irgendwelche außergewöhnlichen Steine vorzuzeigen – und in der Tat verließ er New York gerade noch rechtzeitig. In den Kreisen der Juwelenhändler war die Aufregung ungeheuer, nicht so sehr wegen der Größe seiner Diamanten, sondern weil sie aus geheimnisvollen Quellen in der Stadt auftauchten. Wilde Gerüchte kursierten plötzlich, dass in den Catskillbergen, an der Küste von Jersey, auf Long Island, unter dem Washington Square eine Diamantenmine entdeckt worden sei. Sonderzüge, voll von Männern mit Picken und Schaufeln, fuhren stündlich von New York in verschiedene nahegelegene Eldorados. Aber zu dem Zeitpunkt war der junge Fitz-Norman bereits wieder auf dem Weg zurück nach Montana.

Nach zwei Wochen hatte er ausgerechnet, dass der Diamant in dem Berg mengenmäßig etwa so viel ausmachte wie alle übrigen Diamanten, die es nach menschlichem Wissen auf der Welt gab. Man konnte seinen Wert jedoch nicht nach irgendwelchen gültigen Maßstäben berechnen, weil er ein einziger Diamant war – und wenn man ihn zum Verkauf anbot, würden die Preise nicht nur ins Uferlose fallen, sondern es gäbe auch, wenn der Wert mit der Größe in der gewöhnlichen arithmetischen Progression stieg, nicht genug Gold auf der Welt, um auch nur den zehnten Teil dieses Diamanten zu kaufen. Und was konnte man mit einem Diamanten von solcher Größe anfangen?

Es war höchst merkwürdig. Er war, in einer Hinsicht, der reichste Mann, der je gelebt hatte – und dennoch, galt er überhaupt irgendetwas? Falls sein Geheimnis durchsickerte, wusste man nicht, welche Maßnahmen die Regierung ergreifen würde, um eine Panik zu verhindern, sowohl auf dem Gold- wie auf dem Juwelenmarkt. Vielleicht beschlagnahmte sie das Diamantvorkommen sofort und errichtete ein Monopol.

Es gab keine Alternative – er musste im Geheimen Absatzmöglichkeiten für seinen Berg finden. Er ließ seinen jüngeren Bruder aus dem Süden kommen und betraute ihn mit der Aufsicht über seine farbigen Gefolgsleute – Schwarze, die nie begriffen hatten, dass die Sklaverei abgeschafft worden war. Um in diesem Punkt sicherzugehen, las er ihnen eine Proklamation vor, die er selbst verfasst hatte und in der es hieß, dass General Forrest die geschlagenen Heere des Südens wieder gesammelt und den Norden in einer gewaltigen Entscheidungsschlacht besiegt hätte. Die Neger glaubten ihm unbesehen. Sie erklärten einstimmig, das sei eine gute Sache, und hielten sogleich Dankgottesdienste ab.

Fitz-Norman aber machte sich mit hunderttausend Dollar und zwei mit Rohdiamanten in allen Größen gefüllten Koffern auf den Weg in ferne Länder. Auf einer chinesischen Dschunke segelte er nach Russland, und sechs Monate nach seiner Abreise von Montana war er in St. Petersburg. Er suchte sich ein abgelegenes Quartier, stattete sogleich dem Hofjuwelier einen Besuch ab und verkündete, er habe einen Diamanten für den Zaren. Er blieb zwei Wochen in St. Petersburg, ständig Gefahr laufend, ermordet zu werden, immerfort sein Quartier wechselnd, und wagte in dieser ganzen Zeit nicht, öfter als drei oder vier Mal nach seinen Koffern zu sehen.

Nachdem er feierlich versprochen hatte, in einem Jahr mit noch größeren und noch schöneren Steinen wiederzukommen, wurde ihm gestattet, nach Indien zu reisen. Vorher jedoch hatten die Schatzmeister des Hofes bei amerikanischen Banken schon die Summe von fünfzehn Millionen Dollar für ihn eingezahlt. Die Konten lauteten auf vier verschiedene Decknamen.

Im Jahre 1868 kehrte er nach Amerika zurück, nach mehr als zweijähriger Abwesenheit. Er hatte die Hauptstädte von zweiundzwanzig Ländern besucht und mit fünf Kaisern, elf Königen, drei Fürsten, einem Schah, einem Khan und einem Sultan gesprochen. Nunmehr schätzte Fitz-Norman sein Vermögen auf eine Milliarde Dollar. Ein Umstand verhinderte immer wieder die Aufdeckung seines Geheimnisses: Keiner seiner größten Diamanten stand auch nur eine Woche lang im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit, ohne dass ihm eine Geschichte mit so viel Todesfällen, Liebesaffären, Revolutionen und Kriegen angedichtet wurde, deren Bericht die Tage vom Beginn des Ersten Babylonischen Reiches bis zur Gegenwart ausgefüllt hätte.

Von 1870 bis zu seinem Tod im Jahre 1900 war Fitz-Norman Washingtons Geschichte ein langes Epos in Gold. Natürlich gab es einige belanglose Ereignisse – er umging die Landvermessung, er heiratete eine Dame aus Virginia, mit der er einen einzigen Sohn hatte, und infolge einer Reihe unglückseliger Verwicklungen war er gezwungen, seinen Bruder zu ermorden, dessen verhängnisvolle Gewohnheit, sich sinnlos zu betrinken und dabei zu schwatzen, ihre Sicherheit einige Male gefährdet hatte. Aber nur sehr wenige andere Morde befleckten diese glücklichen Jahre des Fortschritts und Aufschwungs.