Die Bettlerin vom Pont des Arts - Wilhelm Hauff - E-Book

Die Bettlerin vom Pont des Arts E-Book

Wilhelm Hauff

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Beschreibung

In 'Die Bettlerin vom Pont des Arts' entführt uns Wilhelm Hauff in das Paris des 19. Jahrhunderts, wo die junge Bettlerin Therese ihr Leben als Straßenmusikerin fristet. Hauff bringt uns mit seinem detailreichen Schreibstil und seiner lebendigen Beschreibung der Pariser Gesellschaft dieser Zeit näher. Das Buch zeichnet sich durch seine realistische Darstellung der sozialen Ungleichheit und des Kampfes ums Überleben aus, während es gleichzeitig eine romantisches Liebesgeschichte erzählt. Hauff verwebt geschickt historische Fakten mit fiktiven Elementen und schafft so ein fesselndes Leseerlebnis. Wilhelm Hauff, ein deutscher Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, war bekannt für seine Märchen und romantischen Erzählungen. Als vielseitiger Autor mit einem Gespür für soziale Themen war es Hauff ein Anliegen, die damaligen gesellschaftlichen Missstände in seinen Werken zu reflektieren. 'Die Bettlerin vom Pont des Arts' zeigt sein Engagement für die Unterdrückten und seine Fähigkeit, komplexe Charaktere lebendig werden zu lassen. Hauff's Werk hat bis heute Einfluss auf die deutsche Literaturgeschichte. Dieses Buch ist ein Muss für Liebhaber historischer Romane und für Leser, die sich für soziale Themen und das Leben im 19. Jahrhundert interessieren. Wilhelm Hauff's 'Die Bettlerin vom Pont des Arts' ist nicht nur eine bereichernde Lektüre, sondern auch ein tiefer Einblick in eine vergangene Epoche, die noch immer Themen von Relevanz für die heutige Gesellschaft aufwirft.

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Wilhelm Hauff

Die Bettlerin vom Pont des Arts

Die Geschichte einer wiedergefundenen Liebe
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Inhaltsverzeichnis

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Inhaltsverzeichnis

Wer im Jahr 1824 abends hie und da in den Gasthof »Zum König von England« in Stuttgart kam, oder nachmittags zwischen 2 und 3 Uhr in den Anlagen auf dem breiten Weg promenierte, muß sich, wenn anders sein Gedächtnis nicht zu kurz ist, noch einiger Gestalten erinnern, die damals jedes Auge auf sich zogen. Es waren nämlich zwei Männer, die ganz und gar nicht unter die gewöhnlichen Stuttgarter Trinkgäste oder Anlagenspaziergänger paßten, sondern eher auf den Prado zu Madrid oder in ein Café zu Lissabon oder Sevilla zu gehören schienen. Denket euch einen ältlichen, großen, hageren Mann mit schwärzlich grauen Haaren, tiefen, brennenden Augen, von dunkelbrauner Farbe, mit einer kühngebogenen Nase und feinem, eingepreßtem Mund. Er geht langsam, stolz und aufrecht. Zu seinen schwarzseidenen Unterkleidern und Strümpfen, zu den großen Rosen auf den Schuhen und den breiten Schnallen am Kniegürtel, zu dem langen, dünnen Degen an der Seite, zu dem hohen, etwas zugespitzten Hut mit breitem Rande, schief an die Stirne gedrückt, wünschet ihr, wenn euch nur einigermaßen Phantasie innewohnt, ein kurzes geschlitztes Wams und einen spanischen Mantel, statt des schwarzen Frackes, den der Alte umgelegt hat.

Und der Diener, der ihm ebenso stolzen Schrittes folgt, erinnert er nicht durch das spitzbübische, dummdreiste Gesicht, durch die fremdartige, grelle Kleidung, durch das ungenierte Wesen, womit er um sich schaut, alles angafft und doch nichts bewundert, an jene Diener im spanischen Lustspiel, die ihrem Herrn, wie ein Schatten treu, an Bildung tief unter ihm, an Stolz neben ihm, an List und Schlauheit über ihm stehen? Unter dem Arm trägt er seines Gebieters Sonnenschirm und Regenmantel, in der Hand eine silberne Büchse mit Zigarren und eine Lunte.

Wer blieb nicht stehen, wenn diese beiden langsam durch die Promenade wandelten, um ihnen nachzusehen? Es war aber bekanntlich niemand anders als Don Pedro di San Montanjo Ligez, der Haushofmeister des Prinzen von P., der sich zu jener Zeit in Stuttgart aufhielt, und Diego sein Diener.

Wie es oft zu gehen pflegt, daß nur ein kleines, geringes Ereignis dazu gehört, einen Menschen berühmt und auffallend zu machen, so geschah dies auch mit dem jungen Proben, der schon seit einem halben Jahr (so lange mochte er sich wohl in Stuttgart aufhalten) alle Tage Schlag zwei Uhr durch das Schloßportal in die Anlagen trat, dreimal um den See und fünfmal den breiten Weg auf und nieder ging, an allen den glänzenden Equipagen, schönen Fräulein, an einer Masse von Direktoren, Räten und Lieutenants vorüberkam und von niemand beachtet wurde, denn er sah ja aus wie ein ganz gewöhnlicher Mensch von etwa 28–30 Jahren. Seitdem er aber eines Nachmittags im breiten Weg auf Don Pedro gestoßen, solcher ihn gar freundlich gegrüßt, seinen Arm traulich in den seinigen geschoben hatte und mit ihm einigemal, eifrig sprechend, auf und ab spaziert war, seitdem betrachtet man ihn neugierig, sogar mit einer gewissen Achtung; denn der stolze Spanier, der sonst mit niemand sprach, hatte ihn mit auffallender Ästimation behandelt.

Die schönsten Fräulein fanden jetzt, daß er gar kein übles Gesicht habe, ja es liege sogar etwas Interessantes, überaus Anziehendes darin, was man in den Anlagen eben nicht häufig sehe; die Direktoren und allerlei Räte fragten: wer der junge Mann wohl sein könnte? und nur einige Lieutenants konnten Auskunft geben, daß er hie und da im Museum beef theak speise, seit einem halben Jahre in der Schloßstraße wohne, und einen schönen Mecklenburger reite, so ihm eigen angehörig. Sie setzten noch vieles über die Vortrefflichkeit dieses Pferdes hinzu, wie es gebaut, von welcher Farbe, wie alt es sei, was es wohl kosten könnte, und kamen so auf Pferde überhaupt zu sprechen, was sehr lehrreich zu hören gewesen sein soll.

Den jungen Proben aber sah man seit dieser Zeit öfter in Gesellschaft Don Pedros, und gewöhnlich fand er sich abends im »König von England« ein, wo er, etwas entfernt von anderen Gästen, bei dem Señor saß und mit ihm sprach. Diego aber stand hinter dem Stuhl seines Herrn und bediente beide fleißig mit Xeres und Zigarren. Niemand konnte eigentlich begreifen, wie die beiden Herren zusammengekommen oder welches Interesse sie aneinander fanden? Man riet hin und her, machte kühne Konjekturen, und am Ende hätte doch der junge Mann selbst den besten Aufschluß darüber geben können, wenn ihn nur einer gefragt hätte.

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Inhaltsverzeichnis

Und war es denn nicht die schöne Galerie der Brüder Boisserée und Bertram, wo sie sich zuerst fanden und erkannten? Diese gastfreien Männer hatten dem jungen Manne erlaubt, ihre Bilder so oft zu besuchen, als er immer wollte; und er tat dies, wenn er nur immer in der Mittagsstunde, wo die Galerie geöffnet wurde, kommen konnte. Es mochte regnen oder schneien, das Wetter mochte zu den herrlichsten Ausflügen in die Gegend locken, er kam; er sah oft recht krank aus und kam dennoch. Man würde aber unbilligerweise den Kunstsinn des Herrn von Proben zu hoch anschlagen, wenn man etwa glaubte, er habe die herrlichen Bilder der alten Niederländer studiert oder nachgezeichnet. Nein, er kam leise in die Türe, grüßte schweigend und ging in ein entferntes Zimmer, vor ein Bild, das er lange betrachtete und ebenso stille verließ er wieder die Galerie. Die Eigentümer dachten zu zart, als daß sie ihn über seine wunderliche Vorliebe für das Bild befragt hätten; aber auch ihnen mußte es natürlich aufgefallen sein, denn oft wenn er herausging, konnte er nur schlecht die Tränen verbergen, die ihm im Auge quollen.

Großen historischen oder bedeutenden Kunstwert hatte das Bildchen nicht. Es stellte eine Dame in halb spanischer, halb altdeutscher Tracht vor. Ein freundliches blühendes Gesicht mit klaren, liebevollen, Augen, mit feinem, zierlichem Mund und zartem, rundem Kinn trat sehr lebendig aus dem Hintergrund hervor. Die schöne Stirne umzog reiches Haar und ein kleiner Hut, mit weißen buschigten Federn geschmückt, der etwas schalkhaft zur Seite saß. Das Gewand, das nur den schönen zierlichen Hals frei ließ, war mit schweren goldenen Ketten umhängt und zeugte ebensosehr von der Sittsamkeit als dem hohen Stand der Dame.

Am Ende ist er wohl in das Bild verliebt, dachte man, wie Kalaf in das der Prinzessin Turandot, obschon mit ungleich geringerer Hoffnung, denn das Bild ist wohl dreihundert Jahre alt und das Original nicht mehr unter den Lebenden.

Nach einiger Zeit schien aber Proben nicht mehr der einzige Anbeter des Bildes zu sein. Der Prinz von P. hatte eines Tages mit seinem Gefolge die Galerie besucht. Don Pedro, der Haushofmeister, hatte die umherschreitende Schar der Zuschauer verlassen und besah sich die Gemälde, einsam von Zimmer zu Zimmer wandelnd; doch wie vom Blitz gerührt, mit einem Ausruf des Erstaunens war er vor dem Bild jener Dame stehen geblieben. Als der Prinz die Galerie verließ, suchte man den Haushofmeister lange vergebens. Endlich fand man ihn, mit überschlagenen Armen, die feurigen Augen halb zugedrückt, den Mund eingepreßt, in tiefer Betrachtung vor dem Bilde.

Man erinnerte ihn, daß der Prinz bereits die Treppe hinabsteige, doch der alte Mann schien in diesem Augenblicke nur für eines Sinn zu haben. Er fragte: wie dies Bild hiehergekommen sei? Man sagte ihm, daß es von einem berühmten Meister vor mehreren hundert Jahren gefertiget und durch Zufall in die Hände der jetzigen Eigentümer gekommen sei.

»O Gott, nein!« antwortete er, »das Bild ist neu, nicht hundert Jahre alt; woher, sagen Sie, woher? o ich beschwöre Sie, wo kann ich sie finden?«

Der Mann war alt und sah zu ehrwürdig aus, als daß man diesen Ausbruch des Gefühls hätte lächerlich finden können; doch als er dieselbe Behauptung wieder hörte, daß das Bild alt und wahrscheinlich von Lucas Cranach selbst gemalt sei, da schüttelte er bedenklich den Kopf.

»Meine Herren«, sprach er, und legte beteurend die Hand aufs Herz: »meine Herren, Don Pedro di San Montanjo Ligez hält Sie für ehrenwerte Leute. Sie sind nicht Gemäldeverkäufer und wollen mir dies Bild nicht als alt verkaufen, ich darf durch Ihre Güte diese Bilder sehen, und Sie genießen die Achtung dieser Provinz. Aber es müßte mich alles täuschen oder – ich kenne die Dame, die jenes Bild vorstellt.« Mit diesen Worten schritt er, ehrerbietig grüßend, aus dem Zimmer.

»Wahrhaftig!« sagte einer der Eigentümer der Galerie, »wenn wir nicht so genau wüßten, von wem dieses Bild gemalt ist, und wann und wie es in unsern Besitz kam und welche lange Reihe von Jahren es vorher in C. hing, man wäre versucht, an dieser Dame irre zu werden. Scheint nicht selbst den jungen Proben irgendeine Erinnerung beinahe täglich vor dieses Bild zu treiben, und dieser alte Don, blitzte nicht ein jugendliches Feuer aus seinen Augen, als er gestand, daß er die Donna kenne, die hier gemalt ist? Sonderbar, wie oft die Einbildung ganz vernünftigen Menschen mitspielt; und mich müßte alles täuschen, wenn der Portugiese zum letztenmal hier gewesen wäre.«

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Und es traf ein; kaum war die Galerie am folgenden Vormittag geöffnet worden, trat auch schon Don Pedro di San Montanjo Ligez festen, erhabenen Schrittes ein, strich an der langen Bilderreihe vorüber nach jenem Zimmer hin, wo die Dame mit dem Federhute aufgestellt war. Es verdroß ihn, daß der Platz vor dem Bilde schon besetzt war, daß er es nicht allein und einsam, Zug für Zug mustern konnte, wie er so gerne getan hätte. Ein junger Mann stand davor, blickte es lange an, trat an ein Fenster, sah hinaus nach dem Flug der Wolken und trat dann wieder zu dem Bilde. Es verdroß den alten Herrn etwas; doch – er mußte sich gedulden.

Er machte sich an andern Bildern zu schaffen, aber erfüllt von dem Gedanken an die Dame drehte er alle Augenblicke den Kopf um, zu sehen, ob der junge Herr noch immer nicht gewichen sei, aber er stand wie eine Mauer, er schien in Betrachtung versunken. Der Spanier hustete, um ihn aus den langen Träumen zu wecken; jener träumte fort, er scharrte etwas weniges mit dem Fuß auf dem Boden, der junge Mann sah sich um, aber sein schönes Auge streifte flüchtig an dem alten Herrn vorüber und haftete dann von neuem auf dem Gemälde.

»San Pedro! San Jago di Capostella!« murmelte der Alte, »welch langweiliger, alberner Dilettante!« Unmutig verließ er das Zimmer und die Galerie, denn er fühlte, heute sei ihm schon aller Genuß benommen durch Verdruß und Ärger. Hätte er doch lieber gewartet! den Tag nachher war die Galerie geschlossen und so mußte er sich achtundvierzig lange Stunden gedulden, bis er wieder zu dem Gemälde gehen konnte, das ihn in so hohem Grade interessierte. Noch ehe die Glocken der Stiftskirche völlig zwölf Uhr geschlagen, stieg er mit anständiger Eile die Treppe hinan, hinein in die Galerie, dem wohlbekannten Zimmer zu und, getroffen! er war der erste, war allein, konnte einsam betrachten.

Er schaute die Dame lange mit unverwandten Blicken an, sein Auge füllte nach und nach eine Träne, er fuhr mit der Hand über die grauen Wimpern; »o Laura!« flüsterte er leise. Da tönte ganz vernehmlich ein Seufzer an seine Ohren, er wandte sich erschrocken um, der junge Mann von vorgestern stand wieder hier und blickte auf das Bild. Verdrüßlich, sich unterbrochen zu sehen, nickte er mit dem Haupt ein flüchtiges Kompliment, der junge Mann dankte etwas freundlicher, aber nicht minder stolz als der Spanier. Auch diesmal wollte der letztere den überflüssigen Nachbar abwarten; aber vergeblich, er sah zu seinem Schrecken, wie jener sogar einen Stuhl nahm, sich einige Schritte vom Gemälde niedersetzte, um es mit gehöriger Muße und Bequemlichkeit zu betrachten.

»Der Geck«, murmelte Don Pedro, »ich glaube gar, er will mein graues Haar verhöhnen.« Er verließ, noch unmutiger als ehegestern, das Gemach.

Im Vorsaal stieß er auf einen der Eigentümer der Galerie; er sagte ihm herzlichen Dank für den Genuß, den ihm die Sammlung bereitete, konnte sich aber nicht enthalten, über den jungen Ruhestörer sich etwas zu beklagen. »Herr B.«, sagte er, »Sie haben vielleicht bemerkt, daß vorzüglich eines Ihrer Bilder mich anzog; es interessiert mich unendlich, es hat eine Bedeutung für mich die – die ich Ihnen nicht ausdrücken kann. Ich kam, sooft Sie es vergönnten, um das Bild zu sehen, freute mich recht, es ungestört zu sehen, weil doch gewöhnlich die Menge nicht lange dort verweilt, und – denken Sie sich, da hat es mir ein junger böser Mensch abgelauscht, und kömmt sooft ich komme und bleibt, mir zum Trotze bleibt er stundenlang vor diesem Bilde, das ihn doch gar nichts angeht!«

Herr B. lächelte; denn recht wohl konnte er sich denken, wer den alten Herrn gestört haben mochte. »Das letztere möchte ich denn doch nicht behaupten«, antwortete er; »das Bild scheint den jungen Mann ebenfalls nahe anzugehen, denn es ist nicht das erstemal, daß er es so lange betrachtet.«

»Wieso? wer ist der Mensch?«

»Es ist ein Herr von Fröben«, fuhr jener fort, »der sich seit fünf, sechs Monaten hier aufhält, und seit er das erstemal jenes Bild gesehen, eben jene Dame mit dem Federhut, das auch Sie besuchen, kömmt er alle Tage regelmäßig zu dieser Stunde, um das Bild zu betrachten. Sie sehen also zum wenigsten, daß er Interesse an dem Bilde nehmen muß, da er es schon so lange besucht.«

»Herr! sechs Monate?« rief der Alte. »Nein, dem habe ich bitter Unrecht getan in meinem Herzen, Gott mag es mir verzeihen; ich glaube gar, ich habe ihn unhöflich behandelt im Unmut. Und ist ein Kavalier, sagen Sie? Nein, man soll von Pedro de Ligez nicht sagen können, daß er einen fremden Mann unhöflich behandelte. Ich bitte, sagen Sie ihm – doch, lassen Sie das, ich werde ihn wieder treffen und mit ihm sprechen.«

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Als er den andern Tag sich wieder einfand und Fröben schon vor dem Gemälde traf, trat er auch hinzu mit recht freundlichem Gesicht; als aber der junge Mann ehrerbietig auf die Seite wich um dem alten Herrn den bessern Platz einzuräumen, verbeugt’ sich dieser höflich grüßend und sprach: »Wenn ich nicht irre, Señor, so hab ich Sie schon mehrere Male vor diesem Gemälde verweilen sehen. – Da geht es Ihnen wohl gleich mir; auch mir ist dieses Bild sehr interessant und ich kann es nie genug betrachten.«

Fröben war überrascht durch diese Anrede; auch ihm waren die Besuche des Alten vor dem Bilde aufgefallen, er hatte erfahren, wer jener sei, und nach der steifen, kalten Begrüßung von gestern war er dieser freundlichen Anrede nicht gewärtig. »Ich gestehe, mein Herr!« erwiderte er nach einigem Zögern, »dieses Bild zieht mich vor allen andern an; denn – weil – es liegt etwas in diesem Gemälde, das für mich von Bedeutung ist.« – Der Alte sah ihn fragend an, als genüge ihm diese Antwort nicht völlig, und Fröben fuhr gefaßter fort: »Es ist wunderbar mit Kunstwerken, besonders mit Gemälden. Es gehen an einem Bilde oft Tausende vorüber, finden die Zeichnung richtig, geben dem Kolorit ihren Beifall, aber es spricht sie nicht tiefer an, während einem einzelnen aus solch einem Bilde eine tiefere Bedeutung aufgeht; er bleibt gefesselt stehen, kann sich kaum losreißen von dem Anblick, er kehrt wieder und immer wieder, von neuem zu betrachten.«

»Sie können recht haben«, sagte der Alte nachdenkend, indem er auf das Gemälde schaute, »aber – ich denke, es ließe sich dies nur von größeren Kompositionen sagen, von Gemälden, in welche der Maler eine tiefere Idee legte. Es gehen viele vorüber, bis die Bedeutung endlich einem aufgeht, der dann den tiefen Sinn des Künstlers bewundert. Aber – sollte man dies von solchen Köpfen behaupten können?« –

Der junge Mann errötete. »Und warum nicht?« fragte er lächelnd, »die schönen Formen dieses Gesichtes, die edle Stirne, dieses sinnende Auge, dieser holde Mund, hat sie der Künstler nicht mit tiefem Geiste geschaffen, liegt nicht etwas so Anziehendes in diesen Zügen, daß –«

»O bitte, bitte«, unterbrach ihn der Alte gütig abwehrend; »es war allerdings eine recht hübsche Person, die dem Künstler gesessen, die Familie hat schöne Frauen.«

»Wie? welche Familie?« rief der Jüngling erstaunt, er zweifelte an dem gesunden Verstand des Alten und doch schienen ihn seine Worte aufs höchste zu spannen. »Dies Bild ist wohl reine Phantasie, mein Herr! ist zum wenigsten mehrere hundert Jahre alt!«

»Also glauben Sie das Märchen auch?« flüsterte der Alte; »unter uns gesagt, diesmal hat die Eigentümer ihr scharfer Blick doch irregeleitet; ich kenne ja die Dame.«

»Um Gottes willen, Sie kennen sie? wo ist sie jetzt? wie heißt sie«, sprach Fröben heftig bewegt, indem er die Hand des Portugiesen faßte.

»Sage ich lieber ich habe sie gekannt«, antwortete dieser mit zitternder Stimme, indem er das feuchte Auge zu der Dame aufschlug. »Ja, ich habe sie gekannt in Valencia vor zwanzig Jahren; eine lange Zeit! Es ist ja aber niemand anders als Donna Laura Tortosi.«

»Zwanzig Jahre!« wiederholte der junge Mann traurig und niedergeschlagen. »Zwanzig Jahre, nein, sie ist es nicht!«

»Sie ist es nicht?« fuhr Don Pedro hitzig auf; »nicht, sagen Sie? So können Sie glauben, ein Maler habe diese Züge aus seinem Hirn zusammengepinselt? Doch, ich will nicht ungerecht sein, es war wohl ein tüchtiger Mann, der sie malte, denn seine Farben sind wahr und treu, treu und frisch wie das blühende Leben. Aber glauben Sie, daß ein solcher Künstler aus seiner Phantasie nicht ein ganz anderes Bild erschafft? Finden Sie nicht, ohne die Familie Tortosi zu kennen, daß diese Dame offenbar Familienähnlichkeit haben müsse, Familienzüge, bestimmt und klar von der Natur ausgesprochen; Züge, wie man sie nie in Gemälden der Phantasie, sondern nur bei guten Portraits findet? Es ist ein Portrait, sag ich ihnen, Señor! und bei Gott kein anderes, als das der Donna Laura, wie ich sie vor zwanzig Jahren gesehen in dem lieblichen Valencia.«

»Mein verehrter Herr!« erwiderte ihm Fröben. »Es gibt Ähnlichkeiten, täuschende Ähnlichkeiten. Man glaubt oft einen Freund sprechend getroffen zu sehen, nur in sonderbarem, veraltetem Kostüm, und wenn man fragt, ist es sein Urahn aus dem Dreißigjährigen Kriege, oder überdies gar noch ein Fremder. Ich gebe auch zu, daß dieses Bild sogenannte Familienzüge trage, daß es der liebenswürdigen Donna Laura gleiche, aber dieses Bild, dieses ist alt und soviel weiß man wenigstens aus Registern und Kirchenbüchern, daß es in der Magdalenenkirche zu C. schon seit 150 Jahren hing, durch zufällige Stiftung, nicht auf Bestellung, in die Kirche kam, und nach allen Anzeichen von dem deutschen Maler Lucas Cranach gefertigt wurde.«

»So hole der lebendige Satan meine Augen!« rief Don Pedro ärgerlich, indem er aufsprang und seinen Hut nahm. »Ein Blendwerk der Hölle ist’s, sie will mich in meinen alten Tagen noch einmal durch dies Gemälde in Wehmut und Gram versenken.« Tränen standen dem alten Mann in den Augen, als er mit hastigen, dröhnenden Schritten die Galerie verließ.

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Inhaltsverzeichnis

Aber dennoch war er auch jetzt nicht zum letztenmal dagewesen. Fröben und er sahen sich noch oft vor dem Bilde und der Alte gewann den jungen Mann durch sein bescheidenes aber bestimmtes Urteil, durch seine liebenswürdige Offenheit, durch sein ganzes Wesen, das feine Erziehung, treffliche Kenntnisse, und einen, für diese Jahre seltenen Takt verriet, immer lieber. Der Alte war fremd in dieser Stadt, er fühlte sich einsam, dennoch war er der Welt nicht so sehr abgestorben, daß er nicht hin und wieder einen Menschen hätte sprechen mögen. So kam es, daß er sich unvermerkt näher an den jungen Fröben anschloß; zog ihn ja dieser auch dadurch so unbeschreiblich an, daß er ein teures Gefühl mit ihm teilte, nämlich die Liebe zu jenem Bilde.

So kam es, daß er den jungen Mann auf dem Spaziergang gerne begleitete, daß er ihn oft einlud, ihm abends Gesellschaft zu leisten. Eines Abends, als der Speisesaal im »König von England« ungewöhnlich gefüllt war und rings um die beiden fremde Gäste saßen, so daß sie sich im traulichen Gespräche gehindert fühlten, sprach Don Pedro zu seinem jungen Freund: »Señor, wenn Ihr anders diesen Abend nicht einer Dame versprochen habt, vor ihrem Gitter mit der Laute zu erscheinen, oder wenn Euch nicht sonst ein Versprechen hindert, so möchte ich Euch einladen, eine Flasche echten Pietro Ximenes mit mir auszustechen auf meinem Gemach.«

»Sie ehren mich unendlich«, antwortete Fröben, »mich bindet kein Versprechen, denn ich kenne hier keine Dame, auch ist es hiesigen Orts nicht Sitte, abends die Laute zu schlagen auf der Straße, oder sich mit der Geliebten am Fenster zu unterhalten. Mit Vergnügen werde ich Sie begleiten.«

»Gut; so geduldet Euch hier noch eine Minute, bis ich mit Diego die Zurichtung gemacht; ich werde Euch rufen lassen.«

Der Alte hatte diese Einladung mit einer Art von Feierlichkeit gesprochen, die Fröben sonderbar auffiel. Jetzt erst entsann er sich auch, daß er noch nie auf Don Pedros Zimmer gewesen, denn immer hatten sie sich in dem allgemeinen Speisesaal des Gasthofs getroffen. Doch aus allem zusammen glaubte er schließen zu müssen, daß es eine besondere Höflichkeit sei, die ihm der Portugiese durch diese Einführung bei sich erzeigen wolle. Nach einer Viertelstunde erschien Diego mit zwei silbernen Armleuchtern, neigte sich ehrerbietig vor dem jungen Mann und forderte ihn auf, ihm zu folgen. Fröben folgte ihm und bemerkte, als er durch den Saal ging, daß alle Trinkgäste neugierig ihm nachschauten, und die Köpfe zusammensteckten. Im ersten Stock machte Diego eine Flügeltüre auf und winkte dem Gast einzutreten. Überrascht blieb dieser auf der Schwelle stehen. Sein alter Freund hatte den Frack abgelegt, ein schwarzes geschlitztes Wams mit roten Buffen angezogen, einen langen Degen mit goldenem Griff umgeschnallt und ein dunkelroter Mantillo fiel ihm über die Schultern. Feierlich schritt er seinem Gast entgegen, und streckte seine dürre Hand aus den reichen Manschetten hervor, ihn zu begrüßen: »Seid mir herzlich willkommen Don Fröbenio«, sprach er, »stoßet Euch nicht an diesem prunklosen Gemach; auf Reisen, wie Ihr wißt, fügt sich nicht alles wie zu Hause. Weicher allerdings geht es sich in meinem Saale zu Lissabon und meine Diwans sind echt maurische Arbeit; doch setzet Euch immer zu mir auf dies schmale Ding, Sofa genannt; ist doch der Wein des Herrn Schwaderer echt und gut; setzt Euch.«