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Eine Familientragödie in einer noblen Villengegend vor den Toren Stockholms: Der Wissenschaftler Dr. Artur Hesselman wirkt schon seit Monaten reizbar und nervös. Keiner darf sein Arbeitszimmer betreten - nicht einmal seine Tochter Pauline. Dafür gehen regelmäßig Unbekannte bei ihm ein und aus. Als Pauline eine rätselhafte blaue Zickzacklinie an der Gartentür findet, macht sie sich große Sorgen. Zu Recht, denn noch in derselben Nacht fallen drei Schüsse, und Dr. Hesselman wird tot in seinem Zimmer aufgefunden. Der Detektivreporter Maurice Wallion verspricht Pauline, den Mord an ihrem Vater aufzuklären. Schon bald wird er mit kniffligen Fragen konfrontiert: Was hat es mit dem Postpaket aus Hamburg auf sich, das der Ermordete einige Wochen zuvor erhalten hat? Was verschweigt der alte Diener John Andersson? Wer ist die Frau mit Akzent, die Wallion am Telefon rät, den Fall nicht weiter zu verfolgen? Was bedeutet die blaue Spur - und wohin führt sie? In Schweden galt Maurice Wallion in den 1910er und 1920er Jahren als einheimische Antwort auf Sherlock Holmes: Allerdings ist er robuster als sein Londoner Vorbild - und weniger exzentrisch. Heute könnte man ihn genauso gut als eine Art "Urvater" von Stieg Larssons Protagonisten Mikael Blomkvist bezeichnen: Wallion ist nämlich kein herkömmlicher Privatdetektiv, er ist Journalist. Sein Ruf eilt ihm voraus: Der "Detektivreporter" und "Problemjäger" vom Dagens Kurir. In Zukunft werden bei krimischaetze.de regelmäßig weitere Titel erscheinen - überarbeitet, in neuer Rechtschreibung und mit erklärenden Fußnoten versehen. krimischaetze.de 1. Auflage (Vollständig, überarbeitet, kommentiert) Umfang: 233 Buchseiten bzw. 212 Normseiten Null Papier Verlag
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Julius Regis
Die blaue Spur
Maurice Wallion ermittelt.Ein Schwedenkrimi aus den 1920er Jahren
Julius Regis
Die blaue Spur
Maurice Wallion ermittelt.Ein Schwedenkrimi aus den 1920er Jahren
Original: Leipzig, Buchverl. Axia [Zenith-Verl.], E. Stolpe, 1928
Übersetzung: E. von Kraatz
Überarbeitung, Umschlaggestaltung: Null Papier Verlag
1. Auflage, ISBN 978-3-95418-530-6
Umfang: 212 Normseiten bzw. 233 Buchseiten
www.krimischaetze.de
Kriminalromane sind heutzutage erfolgreich wie nie. Krimi-Klassiker? Da denken die meisten sofort an Agatha Christie (1890-1976) oder Edgar Wallace (1875-1932). Tatsächlich gehörten die britischen Autoren zu den ersten, die in den »wilden« 1920er Jahren ins Deutsche übersetzt wurden. Krimi-Fans kennen oft auch den Schweizer Friedrich Glauser (1896-1938), den Namensgeber des Glauser-Preises – eine der wichtigsten Auszeichnungen für deutschsprachige Krimi-Autoren. Wie vielfältig die Krimi-Szene in der Weimarer Republik war, ist in der breiten Öffentlichkeit jedoch vollkommen in Vergessenheit geraten. Für krimischaetze.de haben sich Jürgen Schulze, Verleger des Null Papier-Verlages, und Sebastian Brück, Autor und Journalist, zusammengetan, um alte Krimi-Bestseller neu zu entdecken und als E-Book verfügbar zu machen – überarbeitet, in neuer Rechtschreibung und mit erklärenden Fußnoten versehen.
Das krimischaetze.de-Programm startet zunächst mit sechs Titeln – sowohl Übersetzungen aus dem Englischen (S.S. Van Dine) und Schwedischen (Julius Regis), als auch deutschsprachige Originale: In je zwei Fällen ermitteln Philo Vance, der »amerikanische Sherlock Holmes«, und Maurice Wallion, der »Detektivreporter« und »Urvater« von Stieg Larssons »Millenium«-Protagonist Mikael Blomqvist. Ebenfalls vertreten sind die vergessenen Werke zweier jüdischer Autoren: Die in Budapest, Paris und San Sebastián spielende Krimikomödie »Fräulein Bandit« des Österreichers Joseph Delmont sowie der humorvolle Kriminalroman »Das verschwundene Haus – oder: Der Maharadscha von Breckendorf« des Frankfurters Karl Ettlinger.
In Zukunft werden bei www.krimischaetze.de regelmäßig weitere Titel erscheinen.
Julius Regis Pettersson schuf die erste schwedische Krimiserie, in der ein Journalist die Hauptrolle übernimmt. Seine Maurice-Wallion-Romane waren ein großer Erfolg – sowohl in seiner Heimat, als auch darüber hinaus (Übersetzungen unter anderem ins Englische und Deutsche).
Regis wurde 1889 in Stockholm als Sohn einer Kaufmannsfamilie geboren und machte 1909 im Stadtteil Södermalm seinen Schulabschluss. Danach studierte er an der Stockholms Högskola Literaturgeschichte und arbeitete als Schlussredakteur in einem Verlag. Nebenbei begann er zu schreiben: Meist kurze Abenteuergeschichten – stark beeinflusst von dem in Schweden sehr populärem Jules Verne –, die in verschiedenen Literaturzeitschriften erschienen. Von den ersten Erfolgen angespornt, kündigte er seine Stelle und startete eine erfolgreiche Doppelkarriere als Filmkritiker und von Arthur Conan Doyle und Gaston Leroux inspirierter Kriminalschriftsteller. Außerdem war er als Übersetzer tätig und verantwortete unter anderen einige schwedische Ausgaben der Werke von Robert Louis Stevenson. Regis war nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Er starb 1925, mit nur 35 Jahren und auf dem Höhepunkt seiner Karriere, an einer chronischen Herzmuskelentzündung.
In Schweden galt Maurice Wallion in den 1910er und 1920er Jahren als einheimische Antwort auf Sherlock Holmes: Allerdings ist er robuster als sein Londoner Vorbild – und weniger exzentrisch. Heute könnte man ihn genauso gut als eine Art »Urvater« von Stieg Larssons Protagonisten Mikael Blomkvist bezeichnen: Wallion ist nämlich kein herkömmlicher Privatdetektiv, er ist Journalist. Sein Ruf eilt ihm voraus: Der »Detektivreporter« und »Problemjäger« vom Dagens Kurir.
Maurice Wallion wohnt am Valhallavägen im noblen Stockholmer Bezirk Östermalm Mit seiner breiten Stirn und dem vorspringenden Kinn ist er zwar nicht besonders gutaussehend, wohl aber eine energische und charismatische Persönlichkeit, die Menschen für sich einnimmt. Er hat eine tiefe Stimme, graue Augen und ein scharfgeschnittenes, stets glattrasiertes Gesicht. Wallion ist elegant gekleidet, raucht viel und glaubt nicht an Zufälle: Er sieht in jedem Ereignis das Glied einer Kette, »und wenn man diese Kette verfolgt, findet man allemal die Erklärung.« Wallion kann sehr charmant sein – wenn er jedoch in gefährliche Situationen gerät, in denen ihm seinen intellektuellen Fähigkeiten nicht mehr weiter helfen, zögert er keine Sekunde, seine Fäuste einzusetzen.
Eine Familientragödie in einer noblen Villengegend vor den Toren Stockholms: Der Wissenschaftler Dr. Artur Hesselman wirkt schon seit Monaten reizbar und nervös. Keiner darf sein Arbeitszimmer betreten – nicht einmal seine Tochter Pauline. Dafür gehen regelmäßig Unbekannte bei ihm ein und aus. Als Pauline eine rätselhafte blaue Zickzacklinie an der Gartentür findet, macht sie sich große Sorgen. Zu Recht, denn noch in derselben Nacht fallen drei Schüsse, und Dr. Hesselman wird tot in seinem Zimmer aufgefunden. Der Detektivreporter Maurice Wallion verspricht Pauline, den Mord an ihrem Vater aufzuklären. Schon bald wird er mit kniffligen Fragen konfrontiert: Was hat es mit dem Postpaket aus Hamburg auf sich, das der Ermordete einige Wochen zuvor erhalten hat? Was verschweigt der alte Diener John Andersson? Wer ist die Frau mit Akzent, die Wallion am Telefon rät, den Fall nicht weiter zu verfolgen? Was bedeutet die blaue Spur – und wohin führt sie?
Maurice Wallion: Journalist mit detektivischen Fähigkeiten
Dr. Artur Hesselman: Gelehrter mit merkwürdigen Gewohnheiten
Pauline Hesselman: Seine Tochter
Steno Beyler: Ihr Cousin. Journalist beim Dagens Kurir und Freund von Maurice Wallion
John Andersson: Der alte Hausdiener der Familie Hesselman
Agnes Brandt: Zimmermädchen der Hesselmans
Anna Nielsson: Köchin der Hesselmans
Bredin: Arzt und Nachbar der Hesselmans
Hedenborg: Polizeikommissar, Leiter der Ermittlungen
Ferlin: Oberkonstabler bei der Kriminalpolizei
Storm-Nissen: Bekannter norwegischer Berufseinbrecher
Thander: Geborener Schweizer, Konsul von Costazuela
Max Gallenberg: Privatdetektiv, spezialisiert auf Erbstreitigkeiten und Ehescheidungen
Malte Beckman: Redakteur beim Dagens Kurir
Nikelson: Australisch-schwedischer Aussteiger, lebt auf einer einsamen Insel in den Schären.
Was sich am Abend des 25. Mai ereignete.
Eine blaue Zickzacklinie an der Gartentür?«
»Ja, auf der weißen Farbe.«
Steno Beyler blickte das junge Mädchen verwundert an. Sie lachte nicht und ihr Antlitz leuchtete weiß unter dem Kirschbaum.
»Eine blaue Zickzacklinie?«, wiederholte er.
Dabei beugte er sich vor und sah, dass Paulines Augen voller Angst und Unruhe waren. Ihm war, als ob diese Unruhe auf seltsame Weise mit der regenschweren, grauen Dämmerung übereinstimmte, die sich langsam auf Garten und Villa herabsenkte.
»Was meinst du, Pauline?«, fragte er hastig.
Eine der weißen Blüten fiel auf ihr blondes Haar. Sie erschauerte und zog ihr Spitzentuch fester um sich.
»Ich meine, dass ich aus Papa nicht mehr klug werde«, sagte sie leise. »Warum war er heute Morgen so erregt? Schau mal, von hier aus kannst du die Tür sehen, die von Papas Arbeitszimmer in den Garten führt. Als ich heute Morgen herauskam, entdeckte ich eine dicke, zickzackförmige Linie daran, die wie von einem spielenden Kind mit Blaustift gezeichnet war. Ich rief nach Papa, und da geriet er ganz außer sich. Niemand weiß, wer diese Nacht im Garten gewesen ist, aber wer immer es gewesen sein mag, er hat weiter nichts getan, als diese Linie zu zeichnen und dann seines Weges zu gehen.«
»Ein Dummer-Jungen-Streich!«, warf Steno Beyler ein.
»Und doch …«, sagte das junge Mädchen und blickte ihm in die Augen … »und doch war Papa so aufgeregt, dass er ohne ein Wort zu sagen in sein Zimmer zurückgekehrt ist!«
Cousin und Cousine betrachteten einander wortlos.
»Liebe Pauline«, begann Steno nach einer Weile, »ich muss gestehen, dass die Nervosität deines Vaters mir nicht nur heute aufgefallen ist. Manchmal kommt er mir geradezu verwandelt vor. Seit wann ist er eigentlich so … so nervös?«
Paulines Lippen zitterten. »Papa ist so merkwürdig geworden«, flüsterte sie. »Reizbar und menschenscheu – du weißt ja, dass er mir seit Monaten nicht mehr erlaubt, seinen Flügel des Hauses zu betreten. Und auch niemand anderem. Er sagt, es störe ihn bei der Arbeit…«
Sie hielt plötzlich mitten im Satz inne, und beide drehten sich um. Doktor Hesselmans große, breitschultrige Gestalt kam ihnen langsam auf dem Kiesweg entgegen. Er ging etwas gebeugt, mit den Händen auf dem Rücken, und die Augen hinter der Brille blickten abwesend und müde.
Steno, der von klein auf respektvoll zu dem schweigsamen Wissenschaftler aufgeschaut hatte, fasste ihn scharf ins Auge, und dabei bemerkte er plötzlich, wie alt und krank sein Onkel trotz seiner noch nicht fünfzig Jahre aussah.
»Papa!«, sagte Pauline in scheuem Ton.
Der Doktor blieb stehen und blickte auf. »Ach so, ihr seid da!«, brummte er gutmütig. »Macht, dass Ihr rein kommt.«
Pauline schmiegte sich an ihn. »Musst du heute Abend arbeiten?«, fragte sie leise.
Ihr Vater strich nervös mit der Hand über seinen Bart. »Arbeiten? Arbeiten?«, murmelte er mit einem zerstreuten Blick durch die Brille. »Ja, ich werde arbeiten … natürlich …«
»Du solltest dir ein wenig Ruhe gönnen, Onkel!«, warf Steno Beyler in übertrieben munterem Ton ein.
Doktor Hesselman antwortete nicht. Er blieb einen Augenblick schweigend stehen und setzte dann seinen Weg fort, als ob er sie schon völlig vergessen hätte. Die beiden jungen Leute blickten ihm stumm nach, bis er durch die Gartentür in seinem Arbeitszimmer verschwand.
Dann ergriff Steno die Hand seiner Cousine und zog sie durch seinen Arm.
»Die Frühlingsluft ist kalt«, sagte er. »Komm herein.«
Sie kehrten durch die großen Glastüren zwischen den vorspringenden Flügeln der Villa in den Speisesaal zurück.
»Weißt du, mit welcher Art von Arbeit dein Vater sich augenblicklich beschäftigt?«, fragte Steno nachdenklich.
Pauline schüttelte den Kopf. »Er spricht nicht darüber, und ich wage ihn nicht zu fragen. Und der alte John weiß es auch nicht.«
»John Andersson sagt nicht mehr, als er will«, bemerkte Steno nach einer Weile.
»Ja, er ist sehr verschwiegen«, räumte Pauline ein. »Er ist übrigens der einzige, der bei Papa aus- und eingehen darf. Ach, ich wünschte mir, er würde seine Arbeit bald abschließen! Manchmal ist im Laboratorium die ganze Nacht hindurch Licht. Stell dir vor, Steno, ich habe selbst gesehen, dass fremde Menschen abends durch den Garten bei ihm eingelassen wurden, und ich darf nicht hinein!«
Ihre blauen Augen füllten sich mit Tränen.
»Beruhige dich, Pauline, seine Nerven sind überreizt, weil er zu angestrengt arbeitet.«
Sie trocknete sich die Augen und fuhr fort: »Hast du nicht auch das Gefühl, als ob etwas Unbekanntes, Unheimliches im Hause wäre, etwas Schreckliches, das uns umgibt, ohne dass wir es sehen können? Aber niemand, niemand sagt mir etwas! Papa schließt sich die ganzen Tage über ein, und ich bin immer allein.«
Sie stand auf und trat ans Fenster. »Im Arbeitszimmer ist Licht«, sagte sie. »Da wird er wieder die Nacht hindurch arbeiten.«
Steno erhob sich und zündete eine Zigarette an.
»Bei Nachtarbeit fällt mir ein, dass ich heute Abend nicht mehr in die Redaktion muss«, bemerkte er. »Ich kann also über Nacht hierbleiben, wenn es zu deiner Beruhigung beitragen würde.«
»Oh, tu das, Steno!«, bat sie. »Du kannst ja wie immer oben im Salon auf dem Sofa schlafen.«
Der Journalist sah auf die Uhr. »Es ist gleich acht«, sagte er. »Ich werde meine Hauswirtin anrufen und ihr sagen, dass ich hier übernachte.«
»Ich danke dir«, sagte sie leise und ging nach oben, um die erforderlichen Anordnungen zu treffen. Steno blickte ihr gedankenvoll nach und begab sich dann in die Halle, um zu telefonieren.
Gerade als er wieder aufhängte, öffnete sich die Bibliothekstür, und Doktor Hesselman kam heraus. In der Halle war es bereits so gut wie ganz dunkel.
»Ist John hier?«, fragte der Doktor erregt.
»Nein, ich bin’s«, erwiderte Steno. »Ich bleibe die Nacht hier, wenn du nichts dagegen hast, Onkel.«
Der Doktor blieb eine Weile stehen, ohne zu antworten. »Diese Nacht?«, brummte er. »Nun, für Pauline ist es vielleicht das Beste.«
Steno fuhr zusammen. Am besten für Pauline? Warum das? Im selben Augenblick kam der alte Diener die Treppe herunter.
»Soll ich abschließen?«, fragte er.
»Ja«, befahl der Doktor, »schließ’ zu und überprüfe noch einmal alle Fenster und Türen. Und dann komm zu mir.«
Die Bibliothekstür schloss sich wieder. Steno Beyler stand schweigend dabei und sah zu, wie der Diener erst die großen Haustüren nach vorn hinaus und dann die Glastüren im Speisesaal sehr sorgfältig verschloss. Dann verschwand der Diener im Bibliothekszimmer, und Steno hörte, wie er auch diese Tür hinter sich zuschloss.
Das junge Mädchen war kaum eingeschlafen, als es auch schon zu träumen begann.
Mit halb offenem Mund und auf der Brust gefalteten Händen lag sie regungslos im Bett. Ihr Kopf war unnatürlich stark zurückgebogen, und die blauen Äderchen an den Schläfen schwollen an.
Einmal sagte sie ohne zu erwachen mit lauter, klarer Stimme: »Papa!«
Als die Uhr in der Halle unten mit grellen und hartnäckigen Tönen elf schlug, öffnete sie plötzlich die Augen, ohne ihre Lage zu ändern, sank aber bald wieder ins Land der Träume zurück …
Dann weckten sie zwei dumpfe, harte Laute komplett auf. Sie fuhr in die Höhe und lauschte. Was war das, was sie gehört hatte? Etwas, was sie nicht geträumt hatte? Zitternd hielt sie den Atem an.
Beim dritten dumpfen Widerhall sprang sie aus dem Bett und machte Licht. Sie rannte zum Fenster, zog den Vorhang auf und blickte zum Arbeitszimmer ihres Vaters hinüber. Jetzt war es da unten dunkel, aber eine Fensterscheibe stand offen, und die Gardine bewegte sich leise. Im ganzen Haus herrschte tiefe Stille.
Außer sich, klopfte sie an die Wand und schrie: »Steno! Steno!«
Keine Antwort. Jetzt sah sie, dass die Gartenpforte angelehnt stand, und im Nu wurde ihr klar, was für ein Laut es gewesen war, der sie geweckt hatte.
Es waren drei Revolverschüsse gewesen.
Im nächsten Augenblick war sie angekleidet und draußen auf dem Flur. Mit geballten Händen schlug sie gegen die Salontür.
»Steno, wach’ auf!«, schrie sie atemlos. »Wach’ auf, ich hab’ Angst, dass etwas Fürchterliches geschehen ist.«
Drinnen fiel ein Stuhl um, und ihr Cousin kam und öffnete. Er war in Hemdsärmeln. »Was ist denn?«, murmelte er verschlafen.
»Oh, Steno, schluchzte das junge Mädchen, ich glaube, jemand hat Papa erschossen!«
»Gott im Himmel!«, rief Steno Beyler und blickte sie plötzlich hellwach an.
Er lief an ihr vorüber und stürzte die Treppe hinunter, um dort ohne Zögern heftig an die Bibliothekstür zu hämmern.
»Onkel!«, rief er laut. »Onkel, bist du wach?«
Er bekam keine Antwort. Als er sich umsah, stand Pauline dicht hinter ihm.
»Geh’ weg!«, sagte er. »Es geht nicht mit rechten Dingen zu. Ich will die Tür aufbrechen …« Er stemmte den linken Fuß gegen einen Türflügel und packte den Türgriff mit beiden Händen. Im nächsten Augenblick war es geschehen. Ein langer Splitter brach aus dem Holzwerk heraus, und die Tür gab krachend nach. Sie stürzten ins Zimmer hinein, und der Journalist machte Licht. Ein starker Pulvergeruch schlug ihnen entgegen. Das Zimmer war leer, aber aus dem Laboratorium kam jemand mit lauten, schweren Schritten die Wendeltreppe herab. Es war der alte Diener, und sein Gesicht war grau vor Erregung.
Ohne auf die beiden jungen Leute zu achten, ging er zaudernd auf die Tür zum Arbeitszimmer zu, legte den Kopf dagegen und sagte leise: »Hier ist John!« Er lauschte, da aber keine Antwort kam, sprang er wie ein Wolf gegen die Tür, schüttelte sie mit aller Gewalt und schrie: »Lasst mich ’rein, zur Hölle! Lasst mich ’rein!«
»Wir müssen die Tür aufbrechen«, rief Steno.
»Ja, Herr Beyler«, erwiderte der Diener. »Ich habe nur Angst, dass es schon zu spät ist.«
Steno antwortete nicht. Er warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür, die krachte, aber standhielt.
»Beide zugleich!«, keuchte der Journalist.
Minutenlang bearbeiteten sie die Tür wie die Berserker – aber vergeblich.
»Durchs Fenster!«, rief der Diener plötzlich mit flammenden Augen. »Durchs Fenster!«
Steno wollte mit, aber der Diener hielt ihn zurück. »Sie dürfen sie nicht allein lassen«, sagte er leiser und deutete auf die schreckensbleich, aber regungslos dastehende Pauline. »Sie brauch Sie.«
Er stürmte hinaus, und Steno kehrte zu der verschlossenen Tür zurück und legte das Ohr ans Schlüsselloch, um zu horchen. War jemand drinnen? Er hätte darauf schwören können, dass er hinter der Tür Schritte hörte, aber nur für einen Augenblick – gleich darauf war alles still.
»Wenn jemand da ist, so öffnen Sie!«, rief er aus und klopfte von neuem.
Doch drinnen blieb es totenstill. Jetzt hörte er ein kratzendes Geräusch: Das musste der Diener sein, der durchs Fenster kletterte. Ein gedämpfter Laut der Überraschung folgte, und dann war wieder nichts zu hören.
»Öffnen sie, John!«, schrie der Journalist und hämmerte gegen die Tür. »Öffnen sie! Was ist geschehen?«
Eine Hand tastete am Schloss herum. Der Schlüssel rasselte. Nach einer Minute atemloser Spannung ging die Tür auf, und sie sahen die verzweifelte Geste, mit der John ihnen die Hände entgegenstreckte.
Die Deckenleuchte warf helles Licht übers Zimmer. Vor dem Schreibtisch lag Artur Hesselman mit ausgestreckten Armen tot am Boden. Neben ihm ein Revolver.
Die Gardinen bewegten sich immer noch sachte im Luftzug, auf dem Fußboden lagen zwei oder drei Papiere. Es war ganz still und schweigsam im Zimmer, aber nichts konnte schweigsamer, unheimlich stiller und regungsloser sein als die lang ausgestreckte tote Gestalt, die auf der braunen Korkmatte lag.
Steno Beyler richtete sich auf.
»Pauline«, sagte er leise, indem er das junge Mädchen emporhob, »sei ein tapferes Mädchen! Dein Vater hat nicht gelitten. Er ist tot umgefallen, sobald die Kugel ihn traf.«
Sie lag still und starr in seinen Armen, und er blickte über ihr Haupt hinweg zu dem alten Diener hinüber, der mit schlaff herabhängenden Armen dastand.
»Rufen sie das Zimmermädchen«, befahl er ihm.
Mit schleppenden Schritten ging der Alte durch die Bibliothek hinaus, ohne sich umzusehen. Jetzt standen die beiden allein vor dem Toten, dessen Antlitz mit offenen, seltsam stillen und rätselhaften Augen zu ihnen emporgewandt lag.
Das junge Mädchen machte sich los und ging ihm voran aus der Tür. Er sah sie auf einen Stuhl sinken und das Gesicht in den Händen verbergen. Dann begab er sich ans Telefon, um die Polizei anzurufen.
Als er John mit dem zitternden Zimmermädchen herunterkommen hörte, wandte er sich ihnen zu und sagte: »Die Polizei wird bald hier sein. Bis dahin darf im Arbeitszimmer nichts angerührt werden. Sie müssen da Wache halten, John. Agnes, stehen sie dem Fräulein bei.«
»Ich brauche keinen Beistand«, sagte Pauline mit leiser Stimme.
Er drehte sich um: Sie stand bleich, aber ruhig hinter ihm. »Ein Arzt muss jedenfalls kommen«, fuhr sie fort. »Ich werde Doktor Bredin anklingeln. Er war ein guter Freund von Papa und wohnt nebenan.«
»Tu das!«, sagte Steno – ganz überrascht von ihrem Mut.
Während Pauline telefonierte, kehrten Steno und John ins Arbeitszimmer zurück. Steno untersuchte die Gartentür und stellte fest, dass sie verschlossen, aber nicht verriegelt war. Sie hatte ein Patentschloss. Er blickte sich im Zimmer um. Plötzlich trat er auf die Bibliothekstür zu. »Sehen Sie her!«, rief er. »Hier in Mannshöhe steckt eine Kugel im Türpfosten. Die andere«, seine Stimme schwankte, »die andere drang dem Doktor durchs linke Auge ins Gehirn. Aber die dritte Kugel? Das Fräulein sagt, es seien drei Schüsse gewesen. Haben Sie sie gehört, John?«
»Ja, Herr Beyler«, erwiderte John mit undeutlicher Stimme. »Ich hörte sie oben in meinem Zimmer und lief herunter.«
»Und die Tür war verschlossen«, murmelte der Journalist. »Was haben sie gesehen, als sie durchs Fenster hereingestiegen sind?«
John sah ihm gerade in die Augen. »Nichts weiter als dies«, lautete seine Antwort.
Im selben Augenblick klopfte es laut an der Tür. Steno Beyler öffnete.
Ein Polizist in Uniform kam herein, machte jedoch angesichts des Toten halt. Steno berichtete mit knappen Worten.
Der Beamte salutierte und sagte: »Ich bin hergeschickt worden, um dafür zu sorgen, dass alles unberührt bleibt, bis der Herr Kommissar kommt. Er ist schon unterwegs.«
Gleich darauf erschien Doktor Bredin, der ganz außer sich war. »Was ist denn nur geschehen?«, flüsterte er Steno auf dem Wege nach dem Arbeitszimmer zu. »Das ist unfassbar!«
Steno deutete auf den regungslos ausgestreckten Körper.
»Herrgott!«, murmelte der alte Graubart erschüttert. »Mein lieber, alter Freund!« Er war so aufgeregt, dass er kaum die Untersuchung vorzunehmen vermochte. Sie nahm nicht viel Zeit in Anspruch.
»Für mich bleibt nichts zu tun«, sagte er dumpf, als er sich wieder erhob. »Artur ist umgefallen, wie er stand, und auf der Stelle tot gewesen.«
Sie kehrten in die Bibliothek zurück. Pauline kam ihnen mit gegen die Brust gedrückten Händen entgegen, und als sie den alten Doktor ansah, flackerte eine wahnwitzige Hoffnung in ihren Augen auf.
Aber er schüttelte sachte den Kopf. Sie blieb regungslos stehen. »Steno!«, entfuhr es ihr. »Steno, du musst mir helfen!«
Er hielt ihre Hand in der seinen, ohne gleich zu antworten. Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Ich weiß jemand, der uns helfen könnte«, sagte er.
»Wen meinst du?«
»Ich meine Maurice Wallion!«
»Den Detektivreporter?«, rief Doktor Bredin aus.
»O ja, ja, der kann uns gewiss helfen«, flüsterte Pauline mit fieberhaftem Eifer. »Telefoniere doch gleich mit ihm!«
Nach wenigen Minuten kehrte der Journalist zurück. »Er kommt«, war alles, was er sagte.
Maurice Wallion! Der Name übte eine unbeschreiblich beruhigende Wirkung auf beide aus. Der Stern des »Dagens Kurir«, der Detektivreporter von europäischem Ruf – Maurice Wallion würde kommen!
»Wo bleibt denn der Kommissar?«, wandte Steno sich ungeduldig an den Polizisten.
»Ich glaube, er kommt gerade«, erwiderte dieser.
Ein Auto fuhr an der Straßenfront vor. Man hörte Schritte, und eine gebieterische Bassstimme ertönte in der Halle. Gleich darauf erschien in der Tür zum Arbeitszimmer ein hochgewachsener, muskulöser Mann mit struppigem, graumeliertem Schnurrbart. Seine kleinen scharfen Augen nahmen mit einem raschen Blick alle Einzelheiten des Zimmers in sich auf und blieben an den Anwesenden hängen.
»Ich bin der Polizeikommissar Hedenborg«, sagte er, »und muss Sie vor allen Dingen bitten, mir ihre Namen zu nennen, meine Herren.«
Das geschah. Nun ging der Kommissar ans Werk und legte die Sachlage mit wenigen, kurzen Fragen klar. Doktor Bredins Aussagen interessierten ihn ganz besonders. Während er zuhörte und dann und wann lebhaft nickte, fuhren seine Blicke fortwährend im Zimmer herum.
»Selbstmord ist also ausgeschlossen«, bemerkte er, während er den Revolver aufhob. »Drei Schüsse abgefeuert. Aus diesem Smith & Wesson Kaliber 38 ist einer von ihnen abgegeben worden. Die übrigen sind auch scharfe Patronen. Hier am Schreibtisch ist das Schubfach halb aufgezogen: Da wird die Waffe vermutlich gelegen haben. Der Tote hat auf den Mörder geschossen, bevor er selbst niedergeschossen wurde. Hat ein Diebstahl stattgefunden?«
Beyler schüttelte den Kopf. Der Kommissar sah sich wieder um. Plötzlich entdeckte er das Schussloch im Türpfosten und nahm es genau in Augenschein.
»Vom Fenster aus abgefeuert, auf jemand, der von der Bibliothek aus hereinkam«, murmelte er. »Ist das der Schuss, den der Tote abgab? Dann ist der Mörder durch diese Tür gekommen, Herr Beyler.«
»Das ist unmöglich«, entgegnete Steno Beyler bestimmt. »Der Mörder ist ganz zweifellos durch das Fenster hereingekommen.«
Der Kommissar lehnte sich aus dem Fenster, verließ das Zimmer dann durch die Glastür und ging in den Garten hinaus. Es dauerte jedoch nicht lange, bis er zurückkehrte.
»Hat einer von Ihnen die Gartenpforte geöffnet?«, fragte er lebhaft, fuhr aber ohne eine Antwort abzuwarten fort: »Die Frage kommt übrigens erst später an die Reihe. Jetzt wünsche ich, dass alle Personen, die um Punkt elf Uhr in der Villa anwesend waren, sich hier versammeln und zu meiner Verfügung halten.«
Er nahm eine sorgfältige Untersuchung der Leiche vor, und als er sich wieder erhob, nahm er den Polizisten beiseite und stellte mit leiser Stimme ein paar hastige Fragen.
Zwei Männer in Regenmänteln mit dicken Stöcken in den Händen traten ein.
»Einer an der Gartenpforte, und der andere am Haupteingang«, kommandierte der Kommissar.
Die beiden Beamten verschwanden im Dunkeln.
»Zünden Sie alle Lichter im Hause an und öffnen Sie die Gardinen, damit wir ein wenig Licht in den Garten bekommen«, lautete der nächste Befehl.
Nach wenigen Minuten strahlte das ganze Haus in gespenstisch-festlicher Beleuchtung, wie zu Ehren der stillen Gestalt unten im Arbeitszimmer. Im Speisesaal waren die Köchin, das Zimmermädchen, der Diener, Beyler und Pauline versammelt. Doktor Bredin war nach Hause gegangen.
Sobald die beiden Beamten eine gründliche Durchsuchung des Arbeitszimmers und seiner Umgebung vorgenommen hatten, erschienen sie im Speisesaal. Der Kommissar setzte sich oben an den Tisch und zog ein Notizbuch hervor.
»Ich werde einige Fragen stellen«, begann er.
Da ertönte wieder eine Hupe. Der Kommissar blickte auf. »Was ist denn das?«, fragte er verdrießlich.
Steno und Pauline wechselten einen Blick und gingen dann hastig auf die Diele hinaus.
»Das ist er!«, flüsterte Steno.
Pauline öffnete die Haustür. Der wachhabende Beamte redete mit einer hohen Gestalt, die ebenfalls mit einem Regenmantel umhüllt war.
»Ich komme vom ›Dagens Kurir‹«, hörte sie eine ungewöhnlich tiefe und beherrschte Stimme sagen.
»Treten Sie ein, Herr Wallion!«, sagte Pauline mit einem Seufzer der Erleichterung.
Der Fremde lüftete den Filzhut, und seine ruhigen grauen Augen hefteten sich mit durchdringendem, aber freundlichem Blick auf das junge Mädchen.
»Guten Abend, Fräulein Hesselman«, sagte er, während er ihrer Aufforderung folgte. »Hallo Beyler! Ich fasse dies als deinen Auftrag auf.«
»Natürlich!«, erwiderte Steno und schüttelte dem Kollegen sehr herzlich die Hand.
Pauline betrachtete Maurice Wallion verstohlen, während er den Mantel ablegte. Sein scharfgeschnittenes, glattrasiertes Gesicht mit der breiten Stirn und dem vorspringenden Kinn machte trotz aller Unschönheit einen energischen, Willensstärken Eindruck. Er und Beyler wechselten einige hastige, leise Fragen. Dann richteten sich die festen, grauen Augen wieder auf Pauline.
»Fräulein Hesselman«, sagte er, und seine tiefe Stimme ging so zu Herzen, »ich kann Ihnen vorläufig nichts weiter sagen, als dass ich alles tun werde, um Ihnen zu helfen.«
Jetzt ließ sich von der Speisesaaltür die überraschte Stimme des Kommissars vernehmen: »Was sehe ich? Wie kommen Sie denn hierher, Herr Wallion? Bedeutet das wieder ein Zusammenarbeiten von Presse und Polizei?«
»Sie haben es erraten«, erwiderte Wallion mit einem flüchtigen Lächeln. »Es ist ja nicht das erste Mal, nicht wahr?«
»Erinnern Sie mich nicht an das unselige Browningrätsel«, versetzte der Beamte mit scheinbarem Verdruss. »Na, dann kommen Sie nur ’rein! Ich bin im Begriff, ein vorbereitendes Verhör der Dienstboten vorzunehmen.«
Sie gingen alle zusammen zum Speisesaal.
»Hast du eine Zigarette, Beyler?«, fragte Wallion, indem er Platz nahm. »Eine mit Goldmundstück? Danke!« Er lehnte sich in seiner gewohnten, still abwartenden Art im Stuhle zurück und heftete seinen Blick auf den Beamten.
»Um elf Uhr abends befanden sich sechs bekannte Personen in diesem Gebäude«, begann der Kommissar. »Die Köchin Anna Nielsson, das Zimmermädchen Agnes Brandt und der Hausdiener John Andersson schliefen jeder in seiner Dachkammer, Fräulein Hesselman schlief ebenfalls, und auch Herr Beyler war auf einem Stuhl im Salon sitzend eingeschlummert. Nur Doktor Hesselman arbeitete in seinem Schreibzimmer. Etwa zehn Minuten nach elf knallten laut Fräulein Hesselmans Aussage aus dem Zimmer des Doktors drei Schüsse, durch die auch John Andersson aus dem Schlaf geweckt wurde. Was taten Sie, als sie die Schüsse hörten, Andersson?«
»Ich sprang aus dem Bett, warf mich in die Kleider und stürzte die Wendeltreppe hinunter. Die Tür …«
»Halt! Was dachten Sie, während sie das taten?«
»Ich dachte, dass ein Unglück geschehen wäre.«
»Ein Unglück? Nicht vielmehr ein Verbrechen?«
»Nein.«
»Sie hielten die drei Laute also nicht mit Bestimmtheit für Revolverschüsse?«
»Nein.«
»Waren Sie der Meinung, dass die Töne aus dem Arbeitszimmer kamen?«
»Ja.«
»Nun möchte ich wissen, was Sie sahen, als Sie durch das Fenster des Arbeitszimmers hereinkletterten?«
»Nichts weiter als den tot am Boden liegenden Herrn Doktor.«
»Aber das Fenster stand offen und das Licht brannte, wie Sie schon sagten?«
»Ja.«
»Waren die Fensterhaken eingesetzt?«
»Nein.«
»Welchen Weg schlugen Sie ein, um ans Fenster zu gelangen?«
»Ich lief durch die Halle und die Glastür im Speisesaal.«
»Bemerkten sie im Garten oder draußen vor dem Fenster etwas Ungewöhnliches?«
»Nein.«
Der Kommissar unterbrach das Verhör, um seine Notizen durchzulesen.
»Darf ich eine Frage an Andersson richten, Herr Kommissar?«, fragte Wallion ruhig.
»Gewiss!«, erwiderte der Beamte mit einem Anflug von Neugier.
»Andersson«, fuhr der Journalist fort, »Sie sagen, Sie hätten angenommen, dass ein Unglück geschehen sei, und seien daher aus dem Bett gesprungen und in die Kleider gefahren?«
»Ja.«
»Wie kam es denn, dass Sie sich dennoch Zeit ließen, einen Kragen umzulegen und Ihre Krawatte so sorgfältig zu binden?«, fragte Maurice Wallion langsam.
Der Diener verzog keine Miene. »Das fand ich normal«, sagte er.
Der Kommissar hatte Wallion rasch und beistimmend zugenickt. »Bleiben Sie bei Ihrer Aussage, Andersson?«, fragte er nach einer Pause in ernstem Ton.
»Jawohl, Herr Kommissar!«
»Gut. Sie ist zu Protokoll genommen. Ihr Zimmer wird noch in Augenschein genommen werden.«
Der Diener machte eine gemessene Verbeugung.
»Fräulein Hesselman«, fuhr der Kommissar freundlich fort, »Sie sind gewiss, dass Sie drei Schüsse hörten?«
»Ja«, sagte Pauline.
»Was taten Sie zuerst?«
Das junge Mädchen berichtete.
»Sie wussten gleich, dass es Revolverschüsse waren?«
»Ja, ich habe selbst schon oft mit einem Revolver auf eine Scheibe geschossen.«
»Ah!«, machte der Kommissar und blickte auf. »Besitzen Sie einen eigenen Revolver?«
»Nein, ich habe mit dem Revolver meines Vaters geschossen«, erwiderte Pauline.
»Ist es dieser?«
Der Kommissar legte den gefundenen Revolver vor sie hin.
»Nein«, sagte das junge Mädchen hastig. »Nein, das ist er nicht. Mein Vater hatte einen Browning.«
Der Kommissar machte ein verblüfftes Gesicht. »Was sagen Sie dazu, Herr Wallion?«, fragte er nach einer Weile.
Der Journalist zuckte stumm die Achseln.
Nun wurden die beiden weiblichen Dienstboten einem kurzen Verhör unterzog, doch ihnen war nichts weiter als »ja« oder »nein« zu entlocken.
Maurice Wallion trommelte mit den Fingern auf dem Tisch, während der Kommissar ein paar Minuten nachdachte. Mit einem Male wandte er sich ganz unvermutet an Steno Beyler: »Was ist Ihnen – abgesehen von dem Toten – als ungewöhnlich aufgefallen, als Sie ins Arbeitszimmer eindrangen?«
»Nichts weiter als einige Papierfetzen auf dem Fußboden.«
»Haben Sie wirklich weder da noch vorher etwas bemerkt, was von dem Mörder stammen könnte?«
Steno berichtete von den Schritten, die er hinter der Tür vernommen zu haben meinte. Die Blicke des Kommissars und des Detektivreporters hefteten sich wieder auf John Andersson.
»Da müssen Sie schon im Garten gewesen sein, Andersson«, sagte Hedenborg. »Bleiben Sie dabei, dass niemand im Zimmer war, als Sie hineinstiegen?«
»Ja«, erwiderte der Diener ebenso eintönig wie vorhin.