Die Bruderschaft von Yoor - Harald Evers - E-Book

Die Bruderschaft von Yoor E-Book

Harald Evers

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Beschreibung

Die Höhlenwelt-Saga - Das große Abenteuer um die Befreiung einer phantastischen Welt Irgendwo in den Tiefen des Alls existiert eine erstaunliche Welt. Tief unter der narbigen Kruste eines Planeten zieht sich ein weites System gigantischer Höhlen dahin. Dort gibt es Kontinente, Gebirge, Seen, Wälder, Flüsse, Pflanzen und Tiere. Aber es gibt dort auch Drachen, ein Menschenvolk und...Magie. Und ein uraltes Geheimnis, von dem heute niemand mehr etwas ahnt...Band 1: "Die Bruderschaft von Yoor"Die junge Leandra lebt in der Höhlenwelt. Kurz vor ihrer Aufnahme in die Magiergilde wird sie an einem verbotenen Ort Zeugin eines Mordes. Leandras alter Mentor Munuel fürchtet, dass viel mehr hinter dieser Tat steckt, als es den Anschein hat. Denn vor Tausenden von Jahren wütete finstere Magie auf der Höhlenwelt, zerstörte Reiche und kostete unzählige Opfer. Leandra schließt sich Munuel an, als er zum Ordenshaus der Gilde in die Hauptstadt Salvagor reist. Für die junge und unerfahrene Frau verspricht dies das große Abenteuer zu werden. Aber plötzlich steht sie im Mittelpunkt der Ereignisse. Denn die Bruderschaft von Yoor ist auferstanden und will mithilfe ihrer bösen Magie die Herrschaft über die Höhlenwelt an sich reißen.Neuauflage des Bestsellers "Die Bruderschaft von Yoor" des 2006 verstorbenen Fantasy Autors Harald Evers, neu lektoriert von Rael Wissdorf.

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Seitenzahl: 1067

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Harald Evers

 

 

 

Die Bruderschaft von Yoor

 

 

Erster Roman der Höhlenwelt-Saga

 

 

 

 

 

 

 

 

Trivocum Verlag GbR

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

eBook

Originalausgabe 2016

Copyright 2016 by Trivocum Verlag GbR Egling

www.trivocum-verlag.deLektorat: Rael Wissdorf

Korrektur: Anne Poitz, Thomas Rehfeld

Umschlagbild: Christophe Vacher „Mount of the Immortals“

www.vacher.com

Umschlaggestaltung: Trivocum Verlag GbR

Satz: Trivocum Verlag GbR

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In Gedenken an den Autor und Freund

 

Harald Evers

(1957 – 2006)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

 

1 Leandra                6

2 Asgard                25

3 Adeptin der Magie                45

4 Aufbruch                65

5 Savalgor                84

6 Die Quellen von Quantar                104

7 Alina                129

8 Dunkle Vorzeichen                152

9 Chast                178

10 Die Tiefen der Seele                190

11 Totenzug                224

12 Anbahnung                247

13 Der Lauerer                272

14 Jambala                296

15 Die Stygischen Artefakte                325

16 Das Gasthaus in der Morneschlucht                364

17 Die Festung                376

18 Auftritte                392

19 Kodex                402

20 Victor                414

21 Lakkamor                433

22 Nächtliche Begegnungen                455

23 Feinde und Freunde                466

24 Die Gefährten                499

25 Die Schmiede am Marschenforst                511

26 Stygische Kräfte                527

27 Feuerglut                545

28 Jacko                560

29 Streitmächte                585

30 Tharul                597

31 Meakeiok                624

32 Drachenflug                645

33 Wasserwelt                662

34 Bor Akramoria                672

35 Nacht über den Tempeln                687

36 Canimbra                695

37 Der Tempel von Yoor                720

38 Das Prinzip der Kräfte                734

39 Unifar                753

40 Dunkle Horden                766

41 Die Pforten der Hölle                796

42 Sardin                820

43 Konklusion                835

44 Epilog                854

 

1 Leandra

 

Im Osten braute sich ein Gewitter zusammen. Schwer hingen die dunklen Wolken zwischen den riesigen Felspfeilern, die im Vordergrund des Westakranischen Gebirges aufragten. Die Ränder der Wolken hatten sich gelbweiß verfärbt,  Blitze zuckten in ihrem Inneren umher – wie eine nachdrückliche Warnung, Leandra solle sich rasch einen Unterschlupf suchen. Sie runzelte die Stirn.

Vor ihr lag die Brücke über den Iser, und das dahinter lauernde Unwetter schien ihr beinahe wie ein ganz persönlicher Fingerzeig. Sie schluckte den Kloß in ihrer Kehle herunter. Was sie hier tun wollte, war strengstens verboten.

Ihre Blicke suchten die Umgebung ab – nein, niemand war zu sehen. Aber wer hätte sich hier schon für sie interessieren sollen, wer hätte ahnen können, was sie im Sinn hatte?

Jenseits des Iser verlief die alte Savalgorer Handelsstraße, stets am Ufer des Flusses entlang, von den Nördlichen Steppen bis hinab nach Savalgor, der Hauptstadt des Landes, im Süden von Westakrania. Aber Savalgor war weit, noch gute dreihundert Meilen entfernt. Dort war der Sitz der Gilde – dort saßen die Männer, die ihr für das, was sie nun zu tun beabsichtigte, sicherlich sämtliche Rechte entzogen hätten. Sämtliche Rechte auf Amt und Würden einer angehenden Magierin. Nein, korrigierte sie sich, Magierin war sie noch lange nicht; erst einmal würde sie Adeptin werden, am morgigen Tage schon – jedenfalls dann, wenn man sie hierbei nicht erwischte.

Sie wandte sich um und versuchte im Westen ein Anzeichen ihres Heimatdorfes Angadoor auszumachen. Aber das war schon hinter dem Wald verschwunden, nicht einmal Rauch aus Schornsteinen war zu sehen. Das nahende Gewitter hielt alles nieder, was in die Höhe steigen wollte.

Selbst die Drachen ließen sich heute nicht blicken. Nicht einmal die verspielten Felsdrachen, die immerzu hoch droben, in drei oder vier Meilen Höhe, um die Felspfeiler segelten und dazu ihre spitzen Schreie hören ließen. Über ihr fiel noch mildes, spätnachmittägliches Licht durch das große Angadoorer Sonnenfenster in die Welt, aber im Osten war alles von drohendem, düsterem Grau überzogen. Bald schon würde der ganze Felsenhimmel von der Gewitterfront verhangen sein – das ging manchmal so rasch, als würde ein Riese eine gewaltige, dunkle Decke über das Land breiten.

Genau die richtige Stimmung, dachte sie grimmig und setzte sich in Bewegung.

Sie betrat die dicken Holzplanken der Brücke, den Schritt auf den gegenüberliegenden Waldrand gelenkt, hinter dem die ersten Hügel der Vorberge und die Spindel aufragten.

Wenn sie nicht nass werden wollte, musste sie sich beeilen. In spätestens einer Viertelstunde würde das Unwetter beginnen.

Aber das war Zeit genug. Wenn sie keinen Fehler machte, war die ganze Sache innerhalb von fünf Minuten vorbei.

Ein Blitz und ein verhaltenes Rumpeln ließen sie aufschrecken, und sie erblickte über dem Wald Regenfahnen, die aus den Wolken herabwehten und ihre Wasserlast über den östlichen Hügeln abluden. Der Wind frischte auf. Dann endlich hatte sie den Waldrand erreicht.

Sie drehte sich um und musterte noch einmal die Umgebung.

Niemand war zu sehen. Das Dorf lag eine Meile entfernt, und bei diesem Wetter war ein zufälliger Spaziergänger nicht zu erwarten. Entschlossen marschierte sie weiter.

Sie kannte den Weg gut; oft genug war sie in den letzten Jahren hierher geschlichen, manchmal zusammen mit anderen Novizen, um die beklemmende Atmosphäre des Asgard in sich aufzusaugen.

Der Asgard.

Das war der Ort, an dem vor langer Zeit jener berühmte Kampf stattgefunden hatte, bei dem angeblich sechs Magier und der schreckliche Minuu umgekommen waren, als er ihnen ein mächtiges Artefakt entreißen wollte. Später hatte man dort einen Steinkreis errichtet, denn selbst die blanke Erde war nach dieser langen Zeit noch von den Energien geladen, die dort einst entfesselt worden waren.

Der Asgard war Leandras Ziel.  Es war bereits verboten, sich dem Asgard auch nur zu nähern.

Munuel, ihr Lehrer, würde ihr die Ohren gehörig langziehen, sollte er je davon erfahren, dass sie hierhergekommen war. Seiner Auffassung zufolge, sollten Novizen behutsam an die Magie herangeführt werden; erst wenn sie einmal ihre Zeit der Wanderschaft hinter sich gebracht und bei einem Einsiedler gedient hatten, erlaubte er ihnen, sich mit den Absonderlichkeiten der Magie zu beschäftigen.

Ein Magier sollte dienen, helfen und beschützen. Sich um ungewöhnliche Phänomene zu kümmern war die Aufgabe besonderer Männer der Gilde.

Aber Leandra war nicht hier, um sich in irgendwelche Dinge einzumischen, die sie nichts angingen. Ihr Grund war ganz anderer Natur – es war eine ganz banale Mutprobe. Der Asgard war voll von Norikelsteinen, und sie wollte sich einen davon besorgen. Ihn bei der Aufnahme in die Gilde seinen Mitschülern und – Schülerinnen vorweisen zu können bedeutete, dass man ein richtiger Magier werden wollte – und kein Dorfblümchen, das zu jedem Siebenfest einmal einen kleinen Trick vorführte.

Sie war gerade einundzwanzig geworden, und morgen stand der Tag ihrer Aufnahme bevor. Hatte sie bis dahin keinen anständigen Norikelstein aufgetrieben, würde sie von den anderen Novizen als Schlafmütze gehänselt werden, und das konnte sie sich einfach nicht gefallen lassen. Sie war unstreitig die beste von Munuels Schülern, deswegen hatte sie es bis heute auch nicht für nötig gehalten, diesen Firlefanz mitzumachen. Je näher jedoch der Tag der Gildenaufnahme rückte, desto unangenehmer fühlte sie sich.

Und gestern hatte es schließlich so ausgesehen, als wäre sie die einzige Novizin, die noch keinen Norikelstein besaß.

Sie schlüpfte zwischen Sträuchern und Birken hindurch in den Wald. Es war Hochsommer, und sah man einmal von dem Unwetter ab, das im Begriff stand, die Luft für Stunden abzukühlen, lastete die Hitze auf dem Land wie ein schweres, erstickendes Kissen. Zum Glück lag der Asgard noch ein Stück tiefer im Wald.

Hinter all den dichten Bäumen und Büschen würde sie niemand sehen – und sie wollte auf keinen Fall erwischt werden. Sie schlich weiter, als wäre ihr jemand auf den Fersen, und ihr Herz begann schneller zu klopfen. Sie glaubte bald, die Gegenwart des magischen Kreises zu spüren. Wollte sie morgen nicht wie ein Dummchen dastehen, dann musste sie in den Asgard – und zwar hinein.

Es gab Orte, die von der Gilde zu verbotenem Grund erklärt waren. Bislang hatte es noch kein Novize gewagt, sich dort hinein zu begeben, und sie konnte sich auch gut vorstellen, warum. Die Faszination des Steinkreises ging von seiner unbeschreiblichen Aura aus, die jeder Mensch mit magisch geschulten Sinnen sofort verspürte. Selbst ganz gewöhnliche Leute vermochten sie manchmal wahrzunehmen. Es war wie ein Knistern und Summen in der Luft: leise, bedrohlich und von abgründiger Art. Man konnte förmlich spüren, wie der Kreis der nachträglich aufgestellten Steine ein fein gesponnenes Muster von Webfäden über den Ort spannte. Kein Tier lebte im Inneren des Kreises, kein Vogel flog je hinein. Nur dumme Insekten krabbelten manchmal über die festgestampfte Erde und flohen doch bald wieder – von diesem Flecken, auf dem keine Blume und nicht einmal Gras wachsen wollte.

Leandra war mit anderen Novizen schon einige Male heimlich hierher geschlichen, hatte den Kreis in großem Abstand ehrfürchtig umwandert und den unheimlichen Geschichten gelauscht, die der eine oder andere zu erzählen wusste. Man spürte dort etwas von der Macht der Magie, von ihrem Ungestüm und ihren Gefahren. Die Kräfte, die damals bei dem Kampf gewütet hatten, mussten gewaltig gewesen sein. Zehnte, vielleicht sogar elfte Iterationen! In diesen Kreis hinein ging keiner – nicht einmal Munuel. Er hätte es zwar gedurft, und er war erfahren genug, mit solchen Dingen umzugehen – aber er tat es dennoch nicht. Wahrscheinlich, weil er einfach keinen Wunsch dazu verspürte. Er kannte die Magie gut genug, um zu wissen, dass der Asgard ihm nur ein unheimliches, unbestimmbares Gefühl verschafft hätte – und sonst nichts.

Leandra dachte daran, was die anderen wohl sagen würden, wenn sie ihnen flüsternd erzählte, sie habe ihren Norikelstein aus dem Steinkreis geholt. Würde man sie als Lügnerin bezeichnen?

Nein, wohl kaum. Der Stein wäre so stark, dass kein Zweifel aufkommen würde, woher er stammte.

Beklommen lief sie mit schnellen Schritten voran. Das aufziehende Gewitter wurde ihr immer unheimlicher, und die Vorstellung, mitten in einem tosenden Regenguss bei Blitz und Donner zwischen den steinernen Monolithen umherzukriechen und im aufgeweichten Boden nach einem kleinen Stein zu wühlen, behagte ihr nicht.

Sie zwängte sich durch ein stachliges Gebüsch – und dann war sie am Ziel.

Am Fuß eines Hügels öffnete sich eine kleine Lichtung.

Mitten darauf standen die zwölf großen, doppelt mannshohen Felsblöcke des Asgard. Dazwischen nichts als uralte, festgebackene, braune Erde.

Es war beinahe, als würde das Gewitter die Luft zusätzlich in knisternde Spannung versetzen – und die Düsternis des nahenden Unwetters tat ihr Übriges. Die magischen Energien, die hier herrschten, waren für einen Novizen kaum auszuhalten. Benommen trat sie einen Schritt zurück.

Sie sah zum Felsenhimmel auf, der weiter westlich noch einen kleinen Blick auf seine blaugrauen, felsigen Weiten zuließ. Über ihr jedoch war er schon hinter den von Osten aufkommenden Wolkenmassen verschwunden. Wie ein gewaltiges Schwert stieß die Spindel, dieser kurios verdrehte Felspfeiler, in den dunkelgrauen Wolkenbrei hinein, vermochte aber nicht, das Unwetter an seinen Platz zu nageln. Nicht weit entfernt ging ein heftiger Regenguss über den Hügeln nieder. Nun durfte sie nicht länger zögern.

Sie trat aus dem Wald auf die Lichtung. Ohne weiter zu überlegen, marschierte sie vorwärts und überschritt die unsichtbare Grenzlinie des Steinkreises.

Es war wie ein Kreischen von Metall, das mit unvermittelter Plötzlichkeit in sie eindrang. Es war in ihrem Kopf, leise, aber dennoch durchdringend, und mit dem Blick ihres inneren Auges stand sie mit rudernden Armen vor einem furchtbaren schwarzen Abgrund, der sie verschlucken wollte. Sie stöhnte auf und blieb stehen. Mit gegen die Schläfen gepressten Händen versuchte sie, Herr ihrer Sinne zu werden, und – den Kräften sei Dank – es gelang.

Heftig atmend und mit pochendem Herzen stand sie da. Sie starrte zu den drohenden Felsblöcken hinauf und war bereit, Munuel in jeder Silbe seiner Warnung beizupflichten: Magier – und insbesondere Novizen – hatten hier nicht das Geringste verloren.

Auf den grauen Steinblöcken waren Runen eingemeißelt – uralte Schriftzeichen von primitiver Machart, aber gerade dies schien ihnen eine besondere Eindringlichkeit zu verleihen. Bis sich Leandra ihrer verborgenen Anziehungskraft zu entziehen vermochte, verging eine lange Minute. Erst als ein dicker Regentropfen ihre Stirn traf, erwachte sie aus ihrer Starre. Es war finster geworden und ein lang anhaltender Donner rollte heran wie das Knurren eines Riesen. Sie riss den Blick von den schweigenden Steinmonolithen los und versuchte den Mut zu finden, ihre Absicht zu vollenden. Nun war sie hier, hatte den Kreis betreten, und schlimmer konnte es wohl kaum noch werden.

Getrieben von dem Wunsch, nichts weiter als einen Norikelstein zu finden und dann Schutz vor dem Unwetter zu suchen, trat sie tiefer in den geheimnisvollen Asgard hinein, strebte zur Mitte des vielleicht fünfzig Schritte durchmessenden Platzes – in der Hoffnung, dort einen besonders starken Stein zu finden.

Sie zerrte die kleine Gartenschippe ihrer Mutter unter dem Wams hervor, ging auf der kargen Erde in die Hocke und begann im Boden zu kratzen. Um sie herum platschten schwere Tropfen auf den Boden und hinterließen immer zahlreicher kreisrunde, dunkle Flecken auf der hellen Erde. Sie grub schneller. Ihr langer, rotbrauner Lockenschopf sog das Wasser ebenso begierig auf wie die festgebackene Erde. Der Regen wurde stärker. Ihre kleine Schaufel stieß mit hellem Klang auf einen harten Gegenstand und mit eiligen Stichen grub sie ihn aus. Als der Regen mit voller Kraft einsetzte und ein krachender Donnerschlag das dunkle Rauschen der Wassermassen wie mit einer Axt spaltete, hob sie einen dunkelgrauen, schwach geäderten Stein aus der Erde. Er war rund und glatt, gut in ihre Faust passend, und besaß jenen unergründlichen, schwärzlichen Schimmer, der jede weitere Prüfung überflüssig machte – es war ohne Zweifel ein jungfräulicher Stein, der einst von magischen Energien berührt worden war.

Leandra seufzte dankbar auf und sandte ein Stoßgebet zu den Kräften, sie hatte es geschafft. Zeit, das Potenzial des Steins zu überprüfen, war jetzt nicht mehr. Aber sie zweifelte nicht daran, dass er stark war. Egal, ob er tatsächlich die Kräfte besaß, die der Fundort vermuten ließ – Hauptsache, sie hatte einen. Sie blickte ehrfürchtig zu den Monolithen auf, ein weiteres Mal von der Faszination dieses Ortes ergriffen. Deutlich fühlte sie die Anwesenheit der Magie. Sie glaubte nun regelrecht zu spüren, dass sie ab morgen, ab dem Tage, da sie ein wirkliches Mitglied der Gilde war, Zugang zu den arkanen Geheimnissen der Welt erhalten würde. Sie konnte an Magien, die jenseits der Vorstellungskraft gewöhnlicher Bürger lagen, teilhaben und … ja, sie würde sie sogar selbst wirken können. Sie erhob sich und stand für einen Moment reglos und andächtig in den herabprasselnden Fluten des Regens. Es war fast wie eine Andacht. Dann wandte sie sich zum Gehen um.

Im nächsten Moment blieb sie jedoch überrascht stehen.

Zuerst war es nur ein kleines, alarmierendes Gefühl. Sie wusste nicht, ob sie es deswegen spürte, weil sie den Norikelstein in der Hand hielt, oder ob es einfach nur die Kräfte waren, die in diesem uralten Steinkreis herrschten. Dann kam es stärker, wie eine Welle, die über sie hinwegspülte, und sie besaß den unangenehmen Beigeschmack von Drohung und Gefahr.

Aufgeschreckt blickte sie sich um. Sie glaubte für Augenblicke die Gegenwart eines oder mehrerer anderer Lebewesen wahrgenommen zu haben. Ihr Herz pochte heftig und schlug wie in angstvollem Protest gegen ihre Brust.

Sie fragte sich, aus welchem Grund sie sich so fühlte, als wäre ihr Leben in Gefahr. Ein Schwindel stieg in ihr hoch, doch es war nicht ihr Körper, sondern eine magische Kraft, die sie in derartige Aufregung versetzte.

Als die Welle wiederkam, diesmal noch stärker, duckte sie sich unwillkürlich nieder. Ihr hübsches Gesicht, umrahmt von einem Schwall triefender Haare, hatte sich zu einer furchtsamen Grimasse verzogen – und endlich reagierte sie. Geistesgegenwärtig verwischte sie die Spur ihrer Grabung und rannte gebückt aus dem Steinkreis hinaus. Sekunden später hatte sie sich in den Schutz einer Dornenhecke hinter ein paar niedrigen Felsbrocken gekauert und verharrte mit bis zum Hals klopfendem Herzen.

Sie hatte keine Ahnung, ob sie hier in Sicherheit war. In der einen Faust den Norikelstein haltend, umklammerte sie mit der anderen ihre kleine Schaufel; entschlossen, sie als Waffe zu gebrauchen, wenn sich irgendwer an ihr vergreifen wollte, wie lächerlich das auch wirken mochte.

Gedanken schossen ihr durch den Kopf, ob es Munuel oder einer aus dem Dorf sein konnte, aber – nein, das erschien ihr viel zu unwahrscheinlich. Besonders bei diesem Wetter. Vielleicht ein wilder Waldmurgo; es gab auch ein paar Drachenarten, die nicht ungefährlich waren … dennoch, Leandra hatte noch nie welche gesehen. Kreuzdrachen oder die riesigen Malachista hausten tief in den Bergen und drangen kaum jemals in die Hochebenen oder ins Tiefland vor. Ein Bär oder vielleicht eine große Waldkatze – aber wie hätte ein Tier eine solch machtvolle Magie ausstrahlen können? Blieb also nur noch – und sie erschauerte unter dieser Vorahnung – etwas aus dem Asgard selbst; etwas Schreckliches, das nach Hunderten von Jahren zurückgekehrt war, weil es sich von einer lächerlichen kleinen Novizin keinen Norikelstein stehlen lassen wollte. Leandras Verstand sagte ihr, dass dies wie ein Ammenmärchen klang – aber dennoch, ihr wurde schlecht vor Angst. Aus dem Schutz der Hecke blickte sie lang in den Kreis des Asgard. Sie rechnete damit, dass der unheiligen Erde dieses Ortes im nächsten Moment etwas entsteigen würde – etwas Furchtbares, das sie für ihre Tat zur Rechenschaft zog.

Doch es geschah nichts. Sie schalt sich eine Närrin, für Momente an ihren eigenen, selbst ersonnenen Kinderspuk geglaubt zu haben.

Sie atmete mit erzwungener Erleichterung aus und machte sich bereit, aufzustehen und davonzugehen.

Sie hatte sich selbst etwas vorgespielt. Die magische Aura des Asgard, zusammen mit ihrer Furcht und ihrer regen Phantasie hatten ihr einen derben Streich gespielt. Beinahe schon peinlich – wahrhaftig. Gut, dass das niemand mitbekommen hatte.

Leandra erhob sich zögernd und blickte in die Runde. Keine fünf Sekunden vergingen, ohne dass ein Blitz die schweigenden Steinmonolithen in grellweißes Licht tauchte und ein rumpelnder Donner bedrohlich über sie hinwegrollte. Der Regen hatte wieder zugenommen und rauschte mit wütender Heftigkeit auf den Morast herab, in den sich der karge Boden verwandelt hatte. Der Asgard verströmte in der Tat eine unerhört bedrohliche Aura und Leandra milderte ihr Urteil über sich selbst. Sie hätte keinen Ort gewusst, der unheimlicher wäre als dieser hier.

Sie atmete tief ein und erklärte diese Spukgeschichte für beendet. Höchste Zeit, dass sie nach Hause kam, wenn sie sich keine Lungenentzündung holen wollte. Sie wandte sich um und marschierte los.

Aber sie kam keine drei Schritte weit.

Wie ein Hammerschlag rollte erneut eine heftige Welle unerklärlicher Empfindungen über sie hinweg. Instinktiv duckte sie sich und kroch zurück in den Schutz der Dornenhecke.

Es war, als hätte einer der Donnerschläge nicht nur ihr Gehör, sondern auch ihr Gehirn durchdrungen, und sie war augenblicklich sicher, dass alle Befürchtungen in Wahrheit doch keine Hirngespinste gewesen waren. Zu verschreckt, um sich zu erheben, blieb sie in ihrem Versteck und versuchte einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Das Zentrum des Gewitters schien wieder näher zu rücken. Blitze zuckten mit blendender Helligkeit rings umher und unablässig krachten Donnerschläge. Der Regenstrom erreichte einen neuen Höhepunkt – man könnte sagen, das Wasser drosch nur so herab. Die Ungewissheit über die Art der Bedrohung begann Leandra zu zermürben. Sie war nass bis auf die Haut, fror erbärmlich und hatte furchtbare Angst – vor etwas, das ihr gänzlich verborgen blieb. Sie war kurz davor, aufzuspringen und in kopfloser Panik ins Dorf zu rennen. Dann aber geschah etwas.

Unweit von ihr tauchten dunkle Gestalten auf.

Hoch zu Pferde, es mussten drei oder vier sein, dann sah sie auch noch weitere, die nebenher liefen. Sie drückte sich unter ihre Hecke und achtete nicht auf die Dornen, die sie empfindlich stachen. Die Gestalten bewegten sich seltsam geräuschlos; die Tritte der Pferde hätten im nassen Boden deutlich vernehmbar platschen müssen – aber sie hörte nur das Rauschen des Regens.

Er ließ abermals langsam nach. Die Temperatur war inzwischen so sehr gefallen, dass Leandras Atem zu sichtbarem Nebel wurde. Und dabei fiel ihr noch etwas Merkwürdiges auf – der Atem der Pferde tat das nicht. Aber dann waren sie schon vorbei, näherten sich der Mitte des Asgard. Leandra stockte der Atem. Diese Fremden begaben sich mitten in den Steinkreis hinein! So, als gälten für sie die magischen Gesetzmäßigkeiten nicht, als hätten sie für sie keinerlei Bedeutung.

Ihre Empfindungen hatten mit diesen Fremden zu tun, das war ihr nun klar. Irgendetwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu.

Sie wagte sich eine Winzigkeit hinter dem Busch hervor und spähte über die Felsbrocken hinweg in den Steinkreis. Sie überlegte, ob sie es wagen könnte, sich rückwärts davonzustehlen, doch die Blitze hielten sie davon ab. Immer wieder war die Lichtung für eine Sekunde taghell, und das würde ausreichen, sie zu entdecken. Sie blieb in ihrem Versteck.

Die Fremden, es waren sechs an der Zahl und drei Pferde, befanden sich in der Mitte des Asgard und waren in den ständig aufzuckenden Blitzen gut zu erkennen. Allerdings waren sie kein sehr beruhigender Anblick. Keiner von ihnen, nicht einmal die Pferde, schien aus mehr als einem schwarzen Fleck zu bestehen, selbst dann, wenn ein wilder Blitz über den Asgard hinwegzuckte und die Szene in bleiches, kaltes Licht tauchte.

Die Fremden versammelten sich zu einem Kreis, während die drei Pferde teilnahmslos und vor Regen triefend abseits dastanden und sich kaum bewegten. Immer unwirklicher wurde das, was sich mitten in dem magischen Kreis abspielte.

Was die Fremden vorhatten, würden Munuel und seine Brüder vom Cambrischen Ordenshaus schwerlich gut heißen – was immer es auch sein mochte.

Ein leises Kribbeln strömte durch ihren Körper und die magische Energie, die sie zuvor in eine so panische Erregung versetzt hatte, stieg wieder an. Sie schluckte heftig und versuchte, mit den Kräften ihres Willens gegen die Magie anzukämpfen. Aber sie spürte, dass es immer schwieriger wurde. Etwas, das von diesen sechs dort kauernden, schwarzen Gestalten ausging, schnürte ihr die Kehle zu. Unwillkürlich japste sie auf, schnappte nach Luft – zum Glück übertönte der Regen das Geräusch. Sie ließ sich wieder zurücksinken und rang nach Luft. Das Kribbeln durchströmte sie immer stärker. Und dann kam wieder das alarmierende Gefühl hinzu – dieses Gefühl, an einem Abgrund zu stehen, die Fußspitzen bereits über der bodenlosen Tiefe, und von einer unbegreifbaren Kraft stetig, um Winzigkeiten, nach vorn gezogen zu werden – ohne die Möglichkeit, sich irgendwo einen Halt zu suchen. Während ein Teil ihres Gehirns begriff, dass diese fruchtbare Kraft von den Gestalten im Steinkreis ausging, war der andere Teil verzweifelt damit beschäftigt, der aufkommenden Panik Herr zu werden. Sie begann zu keuchen und sogar zu schwitzen – trotz der Kälte, die rings um sie herrschte. Dann endlich kam der noch denkende Teil auf die Lösung – sie war Magierin, eine Novizin zwar, aber dennoch: Es musste Möglichkeiten geben, diesem Abgrund mithilfe der Magie zu entfliehen. Spontan schloss sie die Augen und tastete nach dem Trivocum.

Es war Erlösung und Schreck zugleich. Während sie noch eine plötzliche Erleichterung verspürte, mithilfe ihrer Sinne dem Rätsel auf den Grund zu kommen, offenbarte ihr das Trivocum die Ursache ihrer Empfindungen. In dem zartrosa Schleier, den ihr Inneres Auge schon vor vielen Jahren zum ersten Mal erblickt hatte, klaffte ein mörderischer Riss, eine gähnende Spalte, hinter der ein nebliger, schwarzgrauer Brei waberte wie ein verunreinigter, fauliger Teig. Die Ränder des Risses hingen regelrecht in Fetzen, in tiefblauen und violetten Farben leuchtend, und Leandra wusste instinktiv, dass diese Öffnung im Trivocum eine furchtbare Gefahr bedeutete. Das war kein Aurikel, eine der sorgfältig und kontrolliert gesetzten Öffnungen, wie man sie in der Elemantarmagie verwendete: klein, zielgenau, mit kräftig gelb leuchtenden Rändern und darauf wartend, durch ein Norikel sauber wieder verschlossen zu werden. Nein, dies hier war eine klaffende Spalte, durch die alles Mögliche an stygischen Energien ins Diesseits fließen konnte. Der dahinter lauernde graue Strudel, in dem die jenseitigen Kräfte des Stygiums wie ein kochender Schleim auf und ab wallten, war ein nur allzu klares Abbild dessen, welches die beherrschenden Kräfte in dieser Sphäre des Chaos waren. Nur, dass Leandra sie noch nie in dieser Form gesehen hatte.

Und dann begann sich aus dem Strudel ein schwärzlicher, manchmal violett aufleuchtender Faden ins Diesseits zu winden – wie ein ekelerregender Wurm auf der Suche nach einem Opfer. Leandra keuchte. Das konnte nur das Werk der Fremden sein – sie wirkten diese namenlose, abseitige Magie. Auf einmal spürte sie, wie ihre linke Hand warm wurde, und schlagartig begriff sie, dass dies ihre Rettung war: Der Norikelstein! Instinktiv kniff sie die Augenlider zusammen und konzentrierte sich auf die Ableitung der Kräfte, die von ihr Besitz zu ergreifen drohten – in den Stein! Fast augenblicklich konnte sie den Erfolg verspüren – das entnervende Kribbeln ließ nach, während der Stein in ihrer Hand warm und wärmer wurde. Sie presste die Faust, in der sie den Stein hielt, in die feuchte Erde, und abermals geschah etwas – die Hitze, die sich in ihrer Faust gebildet hatte, ließ nach. Leise stöhnte sie auf.

 

*

Sie hatte das Mittel gegen diesen Wahnsinn gefunden – und es als einen Wahnsinn zu bezeichnen erschien ihr nicht übertrieben.

Sie würde morgen – wenn sie diese Begebenheit unbeschadet überstand – Mitglied der Gilde werden und konnte die zwölf wichtigsten Gesetze des Gildenkodex im Schlaf aufbeten. Die Hauptregel besagte, dass sich jeder Magier auf dem akranischen Kontinent und auch im Rest der Höhlenwelt an die Elementarmagie zu halten hatte – an sie und nichts anderes. Das aber, was hier geschah, war alles, nur keine Elementarmagie. Wie gefährlich sie war, glaubte Leandra unschwer ermessen zu können. Mit einem Hauch neu gewonnener Sicherheit beschloss sie, über diese Fremden herauszufinden, was immer ihr möglich sein würde. Vielleicht fand sich später eine Gelegenheit, ihre Beobachtung Munuel zu berichten, ohne preisgeben zu müssen, dass sie hierhergekommen war. Im Moment konnte sie ohnehin nicht fliehen. Leandra beließ die Faust auf der Erde, um weiterhin die stygischen Energien abzuleiten. Sie überlegte, ob die Fremden die Energie würden spüren können, die auf diese Weise in die Erde geleitet wurde, entschied dann aber, dass dies kaum zu befürchten stand. Im Asgard selbst herrschten so starke Verwebungen, dass sie zusammen mit dem Riss im Trivocum diese eher geringfügigen Aktivitäten überdecken würden. Als sie sich umdrehte und wieder in die Mitte des Asgard blickte, stöhnte sie auf.

 

*

Munuel spürte schon den ganzen Tag ein ungutes Gefühl im Magen. Zuerst war ihm am Morgen das Brot im Ofen verbrannt, danach hatte er Zachs krankes Mullooh nicht mehr retten können, und gegen Mittag erreichte ihn die Nachricht aus dem Nachbardorf Malangor, einer seiner Novizen habe es gewagt, ohne Aufsicht Magie zu wirken. Er hatte versucht, einen Stapel nassen Holzes mithilfe einer einfachen Iteration im Herd seines Elternhauses zu entzünden – und dabei die halbe Küche niedergebrannt. Er hatte schlicht und einfach vergessen, die stygischen Energien, die er zum Fließen brachte, irgendwohin zu lenken. Er konnte von Glück sagen, dass dieses Experiment noch vergleichsweise glimpflich verlaufen war.

Munuel stand nun die ärgerliche Pflicht bevor, diesem Novizen eine angemessene Strafe aufzubrummen. Und die konnte nur heißen: Einjährige Verlängerung der Novizenschaft. Er seufzte.

Natürlich probierten alle irgendwas aus. Kaum ein Novize konnte der Versuchung widerstehen, vor seiner Aufnahme in die Gilde allein eine Magie zu wirken. Waren die Vergehen kleiner oder kaum auffällig, versuchte Munuel, den Missetäter mit einer scharfen Zurechtweisung und einem Strafdienst davonkommen zu lassen. In diesem Fall jedoch hatte sich binnen weniger Stunden in der ganzen Gegend herumgesprochen, was vorgefallen war. Und der Schaden war erheblich. Munuel konnte gar nicht anders, als die von der Gilde vorgesehene Strafe zu verhängen.

Er sah zu Altmeisterin Caori und seufzte. »Es ist eine verrückte Zeit, jetzt im Sommer. Die Prüfungen stehen bevor, und mindestens die Hälfte aller Novizen hat nichts anderes im Sinn, als die erste Regel der Novizenschaft zu brechen«.

Er starrte trübsinnig zum Fenster hinaus in den Regen, der über dem Siebenplatz nieder rauschte. Ein rumpelnder Donnerschlag kam von Osten herangerollt. Munuel nahm seinen Weinbecher vom Tisch und nippte lustlos daran.

»Wir sollten wieder härter durchgreifen«, sagte Caori und zog die Stirn in Falten.

Munuel, den Kopf auf die Hand gestützt, studierte interessiert ihre Stirn. Eine wahre Landschaft von Falten, Runzeln und Warzen. Die alte Magierin starrte missmutig in Munuels Augen, deren Blickrichtung sie leicht erraten konnte. »Du bist auch nicht mehr der Jüngste«,  brummelte sie ärgerlich.  Munuel zog die Augenbrauen hoch und richtete sich auf.

»Ich?«, fragte er. »Na hör mal! Gerade mal sechzig! Uns trennen mindestens zwanzig Jahre!« Caori winkte verdrossen ab.

»Das merkt man, du Jungspund! Hast deine jungen Bürschlein nicht im Griff. Als ich noch Novizen ausbildete …«

Munuel stützte sich faul wieder auf. » … und Mägdelein«, fügte er hinzu. »Vier sind es derzeit in unserer Region. Das gab es zu deiner Zeit noch nicht.«

»Du willst dich wieder damit brüsten, was du für die Gleichberechtigung des Weibes tust«, sagte Caori barsch.

»Verschone mich! Nach allem, was ich über dich weiß, bist du nur versessen auf diese jungen Dinger«.

»Ach, Unsinn!«, stieß Munuel hervor. »Wie oft habe ich schon verlangt, wir sollten mehr Magierinnen ausbilden. Sie haben die Magie … nun, sozusagen im Bauch, verstehst du? Sie können viel besser mit ihr umgehen. So eine Meinung sollte dir eigentlich zusagen, alte Krähe! Meinst du nicht?« Caori erwiderte nichts. Munuel focht seinen ständigen Kampf gegen ihren nicht enden wollenden Missmut. Ihm war schleierhaft, was sie im Laufe der Jahre zu einer solch verdrossenen Alten gemacht hatte.

Immerhin war sie nur alle paar Monate in Angadoor, diesmal, weil morgen die Gildenaufnahme für einige Novizen bevorstand. Donner rollte über das Tal, und die Helligkeit der Blitze strahlte in die trübe erleuchtete Wirtsstube herein. Munuel seufzte abermals.

Caori war es schon wieder gelungen, ihn mit ihrer schlechten Laune anzustecken. Er lenkte seine Gedanken auf das bevorstehende Eintreffen des Gildenmeisters. Alles war vorbereitet – nur das Wetter wollte nicht mitspielen. Die Leute hatten eilig die Dekoration des Siebenplatzes in Sicherheit gebracht, die man überall angebracht hatte. Blieb nur zu hoffen, dass der Regen bis morgen aufhörte – aber dafür gab es zu dieser Jahreszeit keine Gewähr.

Plötzlich, als ein gewaltiger Blitz den Himmel erhellte und ein wütender Donnerschlag den müden Abend in zwei Teile zerriss, fuhren beide hoch. Munuel und Caori starrten sich gegenseitig an. Unglauben und Überraschung stand in ihren Blicken.

»Was war dann das?«, flüsterte Caori.

Munuel starrte sie nur an; offenbar tat er dasselbe wie sie – nämlich das Trivocum zu beobachten.

»Da ist irgendwo ein hässliches Loch«, sagte Munuel leise, langsam und sehr nachdenklich.

»Nicht weit von hier. Irgendwo … östlich!«

Caori schüttelte ungläubig den Kopf. »Kein Aurikel«, stellte sie fest. »Also … so etwas habe ich lange nicht mehr gesehen!«

 

 

 

 

 

2 Asgard

 

Mitten im Steinkreis hatte sich ein blauviolettes Licht erhoben, eine spiralförmige Aura, doppelt oder dreifach mannshoch und so breit, dass sie den Kreis der Männer in der Mitte des Asgard umschloss. Ihr oberes Ende verjüngte sich zu einem dünnen Schlauch, der sich irgendwo in der Höhe verlor. Dabei drehte sich diese Aura mit quälender Langsamkeit um diese Achse – so träge, dass es gar nicht zu dem wütenden Wetter und den peitschenden Regenböen passen wollte. Und in der Mitte dieser Aura kniete eine Gestalt am Boden, offensichtlich ein Gefangener. Leandra hatte für Sekunden das Atmen vergessen. Sie fuhr sich mit beiden Händen über die Augen, um den Regen fortzuwischen. Sie versuchte, weitere Einzelheiten zu erkennen.

Die Hände des Gefangenen waren auf dem Rücken zusammengebunden. Im Gegensatz zu den fünf übrigen Männern, trug er Kleider wie ein gewöhnlicher Bürger, nicht jene nachtschwarzen, konturlosen Roben wie seine Peiniger. Ja, Leandra wusste sofort, auf welcher Seite sie stand, obwohl sie kaum mehr sehen konnte als eine im kalten Regen kauernde Männergestalt. Sie war von ihr abgewandt und halb hinter einer anderen Gestalt verborgen, die im Vordergrund auf dem Boden kniete.

Über dem Gefangenen drehte sich die violette, unheilvoll leuchtende Aura in den nächtlichen Regenhimmel hinein, so als sauge sie ihm das Leben aus dem Leib – Leandra konnte es förmlich spüren. Sie hatte Mühe zu atmen. Es war ihr neu, dass es magische Ereignisse gab, die sich so deutlich nach Verderbnis und Tod anfühlten.

Die Farbe dieses mystischen Strudels war das reinste Gift, und sie glaubte nicht, dass der fremde Mann diese Szene mit heiler Haut überstehen würde. Sie fragte sich, warum sie ihn nicht schon vorher bemerkt hatte, aber dann sah sie zu seinen Füßen einen dunklen nassen Haufen im Licht der Blitze glänzen – er hatte wohl ebenfalls eine der schwarzen Roben getragen, als er angekommen war. Und dann begann der Wahnsinn der stygischen Energien aufs Neue – die Kräfte stiegen wieder an, und sie umschloss ihren Norikelstein noch fester, damit sie diese Gewalten irgendwie loswerden konnte. Es fühlte sich an wie das eine Mal, da sie als junges Mädchen zu viel getrunken hatte – alles drehte sich in ihrem Kopf –, nur war da noch diese albtraumhafte Angst, die sich wie ein mörderisches Insekt in ihrem Hirn festgekrallt hatte und sie nicht loslassen wollte.

Doch schließlich schaffte sie es, ihr eigenes Ich überwiegen zu lassen – unter Aufbietung allen Willens, zu dem sie fähig war. Sie hob den Kopf ein wenig mehr hinter ihrer Deckung hervor.

Kurz darauf überkam sie ein neues Gefühl. Es war die Gegenwart einer weiteren Person – irgendjemand, der sich von außen näherte. Nein, korrigierte sie sich, es war eine Wesenheit, die in der magischen Aura zu entstehen schien. Im nächsten Augenblick schon wusste sie, was geschah. In der Mitte des Strudels, über den Köpfen der Fremden, änderte sich die blauviolette Farbe ins Rötliche hinein. Es war wie glühendes Magma. Sie glaubte plötzlich, sich die Hitze und tödliche Kraft glutflüssigen Gesteins vorstellen zu können, als sie diese Empfindung überkam. Ihr Inneres Auge war in der Lage, die Gegenwart der neu hinzukommenden Person in dem Strudel zu spüren. Ohne dass sich die glühende Verfärbung zu einer Gestalt verdichtete, konnte Leandra sie dennoch erkennen. Es war das Gesicht einer Frau – und Leandra kannte sie.

Sie stöhnte innerlich auf, denn diese Frau zählte zu den allerletzten, die sie mit einer solchen Szene in Verbindung gebracht hätte. Es war das Gesicht von Limlora, einer der Töchter des Shabibs – des Herrschers von Akrania.

Wer einmal Limlora gesehen hatte, so sagte man, würde sie nie wieder vergessen. Sie war von fast überirdischer Schönheit, von solch vollkommener Sanftmut und Reinheit, dass sich viele Menschen im Lande wünschten, sie würde einmal die Nachfolgerin des Herrschers des großen Westakranischen Reiches. Doch da Limlora ein so zartes, stilles und zurückgezogenes Wesen war, rechnete niemand damit, dass sie sich jemals der Politik oder den Regierungsgeschäften zuwenden würde. Sie lebte im Palast von Savalgor, zusammen mit ihrem Vater und den anderen Mitgliedern der Herrscherfamilie, und obgleich man sie häufig bei den Versammlungen des Hierokratischen Rates sah und sie eine ständige Begleiterin ihres Vaters zu sein schien, beteiligte sie sich nie an den Debatten, die in den höheren Kreisen zum Tagesgeschäft zählten. Man hielt ihre Gegenwart gemeinhin für eine kluge Maßnahme des Shabibs, ein Mittel, mit dem er seine Verhandlungspartner zu beeindrucken suchte – was ihm auch durchweg gelang. Ihr Lächeln und ihre Anmut schlugen jeden in ihren Bann, so sagte man jedenfalls, und kein Burgherr, Handelsfürst oder Würdenträger vermochte sich ihrem Liebreiz zu entziehen. Der Shabib zog Gewinn daraus, dass ein jeder Limlora gefällig sein wollte.

Leandra hatte Limlora einmal bei einer Debatte des Rates gesehen, und sie konnte nur bestätigen, dass die Ausstrahlung der Shabibstochter außergewöhnlich war. Der Shabib war nun schon alt, und seit geraumer Zeit gingen Gerüchte, seine Zeit sei gekommen. Bei Hofe sollten schon verdeckte Machtkämpfe unter den möglichen Nachfolgern im Gange sein; besonders unter seinen vier Söhnen, von denen jedoch keiner zu überzeugen wusste.

Leandra hatte gehört, das Verlangen nach einer Shaba im Volke sei groß – besonders, da der Herrscherrang seit alters zumeist von Frauen besetzt war. Der Shabib Geramon war in dieser Hinsicht eine Ausnahme.

Dass sie nun das Gesicht der Shabibstochter an diesem seltsamen Ort und bei dieser rätselhaften Gelegenheit erblickte, traf sie vollkommen unvorbereitet. Und noch mehr verblüffte sie, was sie nun sah. Das wunderschöne Gesicht der Limlora verzog sich zu einer Grimasse des Spotts und der Niedertracht.

Ihre Augen, die Leandra als eine Mischung aus mystischer Wahrnehmung und einem realen Abbild in der Mitte des magischen Strudels sah, verstrahlten Kälte, Arroganz und Machtgier.

Ihre hohle Stimme, die wie durch einen dunklen Tunnel aus einem Abgrund heraufschallte, begann Worte in der regendurchströmten Dunkelheit zu formen. »Wie ich sehe, habt ihr ihn gefunden«.

Eine andere Stimme, die Leandra einer der Gestalten in dem Steinkreis zuordnete, erwiderte: »Ja, Herrin. Wir fanden ihn, wie Ihr sagtet, in der Nähe von Laarbon«.

Laarbon? Vor Leandras geistigem Auge formte sich das Bild, das sie sich von dieser alten Festung im Ostakranischen Gebirge machte – diesem legendären Ort, den sie nie erblickt, von dem sie aber viele Geschichten gehört hatte.

Der Ausdruck der Kälte und des Spotts in Limloras Gesicht verstärkten sich.

»Hattest du nichts Eiligeres zu tun, als mit mir in Verbindung zu treten? Idiot!«

Leandra zuckte zusammen. Für einen schrecklichen Moment hatte sie den Eindruck, als hielte Limlora inne, als suchten ihre Augen die Umgebung ab und erblickten sie, Leandra, für einen kurzen Augenblick. Dann aber war es schon vorbei.

»Ich hielt es für wichtig«, erhob sich wieder die andere Stimme.

»Wichtig! Was weißt du schon, was wichtig ist! Habt ihr den anderen auch?« Eine Pause entstand.

»Nein, wir konnten ihn nicht finden. Aber wir …« Leandra stöhnte leise auf, als sich eine neuerliche Welle über dem Asgard ausbreitete, eine Welle von fast schon körperlich spürbarem Zorn, der die Gestalten in dem Kreis straucheln ließ. »Vergiss deine lächerlichen Anstrengungen«, sagte Limloras Stimme, durchsetzt von heißem Zorn und triefend vor Verachtung. »Ich werde andere aus der Bruderschaft nach ihm suchen lassen.«

Der Gefangene, der sich bisher nicht gerührt hatte, hob plötzlich den Kopf – mühsam, wie unter unsäglichen Schmerzen, und starrte in den Wirbel der mystischen Farben, der sich zäh wie eine klebrige Masse über den Köpfen der Gestalten drehte.

»Ihn wirst du niemals kriegen …!«, schrie er der Erscheinung entgegen, aber seine letzten Worte erstarben wie unter einem Knüppelschlag. Und dann geschah etwas, das Leandra niemals vergessen würde, das sich wie ein Symbol einer Macht in ihr Gedächtnis brannte, die so gewaltig war, dass sich ihr niemand widersetzen konnte. Der Mann wurde regelrecht zerdrückt, als geriete er zwischen zwei gewaltige, unsichtbare Mühlsteine, und sein hilfloser Schrei erstarb inmitten eines hässlichen, mahlenden Geräuschs. Die fünf Gestalten um ihn herum wichen entsetzt zurück. Leandra stieß einen hilflosen Schrei aus. Es war keine der Gestalten, die sich ihr zuwandte – dazu waren wohl alle zu schockiert. Es war viel schlimmer, es war das monströse Gesicht Limloras. Leandra mutmaßte später, dass sie in diesem Moment nur mit dem Leben davonkam, weil sie sich außerhalb des magischen Steinkreises befand.

Für Momente sprühte das Gesicht einen beinahe unerträglichen Hass aus; eine Wut, die allein schon ausreichen mochte, einen Menschen zu töten. Dann weitete sich der magische Strudel in der Mitte des Asgard mit beängstigender Geschwindigkeit aus, während sich das Gesicht Limloras wie in einem ohnmächtigen Schrei verzerrte, die Augen schloss und eine weitere Welle unsäglicher Kraft nach außen sandte.

Leandra reagierte endlich. Sie ließ sich nach hinten fallen, kam gleich wieder auf die Beine und fing an zu rennen. Sie rannte wie noch nie in ihrem Leben, stürmte in den Wald hinein, achtete auf nichts, kümmerte sich nicht um die nassen Zweige, die ihr ins Gesicht klatschten, und kannte nur ein Ziel: so schnell wie möglich von hier wegzukommen, heim nach Angadoor, in die Sicherheit ihres Dorfes. Sie glaubte hinter sich noch einen wütenden Befehl zu vernehmen, man solle sie verfolgen, fangen und wahrscheinlich töten, denn sie war Zeugin einer Begebenheit geworden, die nicht für die Augen irgendeines Fremden bestimmt war, und das kam einem Todesurteil gleich. Sie rannte und rannte, fiel mehrfach hin, rappelte sich wieder auf und kam kurz darauf zu der seltsamen Gewissheit, in Sicherheit zu sein, dass nichts auf der Welt so schnell rennen konnte wie sie in diesem Augenblick.

Ihre Gewissheit wurde jedoch enttäuscht. Sie hörte hinter sich Geräusche und wütende Rufe, daher gestattete sie sich keine Sekunde des Verweilens, um sich zu orientieren. Trotz der Dunkelheit glaubte sie auf dem geraden Weg nach Angadoor zu sein und rannte weiter, so schnell sie ihre Füße trugen. Dann war sie aus dem Wald heraus, aber der Regen strömte mit so unverminderter Macht herab, dass sie nicht erkennen konnte, in welcher Richtung die Brücke lag. Heiß kam ihr die Erkenntnis, dass sie verloren war, wenn sie die Brücke nicht auf Anhieb fand. Sie würde am Flussufer entlang irren, und dort würde man sie erwischen, denn sie besaß nicht die Ausdauer, um den Reitern zu entkommen.

Von neuerlicher Angst getrieben, hastete sie vorwärts, aber da hörte sie schon etwas aus dem Wald hinter sich hervorbrechen.

Es war so laut und wild, dass sie dachte, es wären gar keine Männer auf Pferden, sondern eine Monstrosität, die Limlora herbeibeschworen und ihr auf die Fersen gehetzt hatte.

Sie wagte nicht, sich umzuwenden, als sich das Krachen und Bersten von Zweigen und Holz wiederholte. Sie stieß nur einen kraftlosen Schrei aus, rannte weiter und betete zu den Kräften, sie möge die Brücke finden. Sie hastete über die Wiese in Richtung des Iser und glaubte einen Moment später das Rauschen des kleinen Flusses zu vernehmen – aber nein, wie töricht, der Regen war viel zu laut, hinter ihr platschte etwas über die feuchte Wiese, das beängstigend große Füße haben musste. Sie stieß ein Wimmern aus, rannte verzweifelt weiter. Ihre Lungen schmerzten, und sie rang um Luft, glaubte, vor Angst nicht mehr genug atmen zu können, um noch lange rennen zu können.

Dann kam tatsächlich das dunkle Band des Flusses in Sicht, und Leandra hielt verzweifelt nach der rettenden Brücke Ausschau.

Aber da war nichts. Entsetzt flogen ihre Blicke flussauf, flussab; nein, sie konnte die Brücke nicht entdecken. Sie stieß einen weiteren Schrei aus, diesmal einen Schrei der Wut über die Grausamkeit des Schicksals, das ihr diese eine Hoffnung wenigstens noch hätte lassen können. Kraftlos und schluchzend sank sie zusammen. Sie hatte nichts mehr, um sich zu helfen, keine Waffe, keine Brücke, und nicht einmal eine lächerliche, kleine Magie, um sich zu verteidigen – nein, sie war eine Novizin, sie durfte nicht einmal ohne Aufsicht eine Kerze auf magischem Wege entfachen.

Schluchzend kauerte sie am Boden, während das dämonische Platschen hinter ihr lauter wurde. Nein, dachte sie wütend, als angehende Magierin dürfte sich nicht mal ohne Aufsicht gegen eine Todesgefahr wehren – selbst wenn sie irgendeinen dummen Trick gewusst hätte. Ihr Hirn suchte nach einer Erklärung für das Schicksal, das sich lärmend näherte und das es ihr vor Grauen unmöglich machte, sich umzuwenden, um ihm in sein teuflisches Gesicht zu blicken.

Plötzlich wurde es unerträglich hell, und Augenblicke darauf war sie von so heißem Dampf eingehüllt, dass sie vor Schmerz aufschrie. Sie ließ sich flach auf den Boden fallen, während sie einen gewaltigen Donnerschlag vernahm, dessen Echo ihr alle Knochen im Leib durchschüttelte. Ein krächzendes Brüllen erklang, und dann traf sie etwas wie ein schwerer, nasser Sack und begrub sie unter sich.

 

*

Das Nächste, was sie wahrnahm, war eine Hand über ihrem Gesicht. Sie wusste nicht, wovon sie sich so nass anfühlte – vom Regen, von ihren Tränen oder von noch etwas anderem, etwas, das sie sich nicht vorzustellen wagte. Sie begann zu wimmern, aber da hörte sie schon die Stimme einer Frau, die ihr beruhigend zuflüsterte. Völlig im Ungewissen, was um sie herum geschah, krümmte sie sich zusammen und verbarg ihren Kopf unter den Armen. Dann endlich vernahm sie eine vertraute männliche Stimme, und nach einer Sekunde wusste sie, dass Munuel da war  – Munuel, ihr Meister und Lehrer, und das konnte nur bedeuten, dass sie sich in Sicherheit befand.

Ihre innere Anspannung löste sich fast schlagartig. Sie stöhnte erleichtert auf und versuchte sich aufzurichten, um die Orientierung zurückzugewinnen.

Noch immer prasselte Regen herab, aber er schien wärmer zu sein als zuvor. Sie war tropfnass, es donnerte und blitzte, und sie lag auf dem Schoß einer Frau – die sie erst nach einigem Blinzeln als Altmeisterin Caori erkannte, die zurzeit in Angadoor weilte.

Munuel beugte sich herab, sein Blick war sorgenvoll und angespannt.

Leandra richtete sich ächzend auf. Ihr Herz pochte, sie atmete schnell und spürte noch immer Hitze in sich; lange konnte ihre Flucht aus dem Asgard noch nicht her sein. Dann, als sie aufrecht saß, stellte sie fest, dass sie sich an der Stelle befand, an der sie zusammengebrochen war. Caori und Munuel hatten sie offenbar hier gefunden.

»Was ist passiert?«, stöhnte sie.

Munuels Stimme übertönte das Rauschen des Regens. »Das frage ich dich!«, sagte er. Seine Stimme klang nicht vorwurfsvoll – nur verwirrt und unschlüssig darüber, was sich hier abgespielt hatte.

»Ich … ich wurde verfolgt«, stammelte Leandra. »Von irgendetwas … Großem.«

»Etwas Großem!«, echote Caori. »Das haben wir gemerkt. Was, bei den Kräften, war das?«

Bevor sie antworten konnte, traf Munuel eine Feststellung. »Du warst am Asgard, nicht wahr?«

Wie eine kleine Wohltat fiel Leandra das Wörtchen 'am' auf, das Munuel benutzt hatte. Im nächsten Augenblick aber schon erkannte sie, dass die Wahrheit nicht zu verbergen war. Sie würde einen triftigen Grund nennen müssen, bei einem solchen Wetter zum Asgard zu gehen, und wohl kaum eine vernünftig klingende Ausrede finden. Sie beschloss, alle Schwindelei von vornherein zu unterlassen.

»Ich wollte … mir einen Norikelstein suchen«, gestand sie matt und wischte sich mit der Rechten das Wasser aus dem Gesicht.

Der Regen ließ langsam nach.

Munuel nickte nur – er hatte offenbar kaum mit etwas anderem gerechnet.

Caori sprach ein rasches Machtwort. »Wir sollten zurück zum Dorf gehen«, forderte sie. »Dort ist noch Zeit genug, alles zu besprechen. Dieses Wetter tut meinen alten Knochen nicht gut. Ich bin nass bis auf die Haut!«

Munuel murmelte eine Zustimmung. Er half Leandra auf die Beine und zog auch Caori hoch. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zur Brücke, die nur ein kleines Stück nördlich lag. Leandra warf noch einmal einen Blick zum Waldrand zurück.

Aber der war schon in der Dunkelheit verschwunden, und sie sagte sich, dass es vielleicht besser so war. Was es dort möglicherweise zu sehen gab, hätte ihr nur Albträume eingebracht.

Noch mehr Albträume. Nach einer Viertelstunde hatten sie den Rand des Dorfes erreicht. Keine Menschenseele war zu sehen. Der Regen hatte sich in ein Nieseln verwandelt, dennoch war es kein Wetter, bei dem irgendwer Veranlassung hatte, sich draußen aufzuhalten.

Die warmen Lichter in den Fenstern der Häuser verströmten ein Gefühl der Geborgenheit, das Leandra ein tröstliches Gefühl gab.

Sie wandten sich Munuels Haus zu, das am Siebenplatz stand, und die einzigen Menschen, die sie trafen, waren die zwei Söhne eines Dorfbauern, die schwankend aus dem Wirtshaus kamen. Sie winkten ihnen zu und verschwanden dann in nördlicher Richtung.

Wenig später saß Leandra vor dem Kamin in Munuels Haus.

Zwei mächtige Holzscheite knisterten in der Feuerstelle. Für einen Magier wie ihn war es eine Kleinigkeit, augenblicklich ein loderndes Feuer zu entfachen.

Leandra saß in Decken gewickelt vor dem Feuer. Ihr war gar nicht erst gestattet worden, vorher nach Hause zu gehen, um sich umzuziehen. Caori hatte Leandras Kleider genommen und sie in der Küche aufgehängt – sicherlich unter Verwendung irgendeiner Magie. Leandra zweifelte nicht daran, dass sie in trockenen Kleidern von hier fortgehen würde.

Munuel brühte gerade Tee auf, und Leandra beobachtete ihn ahnungsvoll. Noch war nichts besprochen worden. Sie war zu der Einschätzung gelangt, dass diese Angelegenheit geheim bleiben sollte, andernfalls wäre sie nicht hierher gebracht worden. Munuel zog es vor Belange, die mit Magie zu tun hatten, zunächst einmal unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu behandeln.

Er reichte ihr einen Becher mit dampfendem Tee.

»Was war das nun für ein Wesen, dem du begegnet bist?«, fragte er.

»Zum Glück bin ich ihm nicht begegnet!«, erwiderte Leandra seufzend. »Andernfalls würde ich jetzt nicht hier sitzen.«

Sie sah ihn an, und ihre Augen begannen neugierig zu funkeln.

»Hast du es erledigt? Mit einem magischen Feuerblitz?«

Munuel starrte sie eine Weile an, und in seinen Augen lag das Erkennen – das Erkennen seiner Leandra, die, obwohl eigentlich schon erwachsen, stets von kindlicher Neugier beseelt war. Er fragte sich, ob das vielleicht sogar ein begrüßenswerter – wenngleich auch ein wenig gefährlicher – Wesenszug für eine Magierin war. Er verzog den Mund und deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Caori war es«, sagte er. »Wusste gar nicht, was die alte Ackerkrähe so alles kann!« Die alte Magierin kam hinzu. Munuels rüden Worte, durchaus zum Mithören gedacht, schienen ihr gar nichts auszumachen. »Erfahrene Magier können so etwas eben«, erwiderte sie und ließ sich ächzend in Munuels hohem Sessel nieder. Leandra stellte dabei überrascht fest, dass Caoris Kleider bereits trocken waren. Munuel hingegen hatte sich umgezogen. Sie schielte in Richtung der Tür, die in Munuels Küche führte,  wo ihre nassen Kleider hingen. Ihr war nicht ganz wohl dabei, nur mit den Decken bekleidet zu sein. Das schränkte sie ein.

Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, gegen Munuel aufzubegehren. In einem gewissen Rahmen, versteht sich. Munuel war eine Autorität, dennoch genoss er den Disput mit seinen Schülern. Er war ein Mann, der geistig herausgefordert werden wollte.

Und Leandra fühlte sich dazu berufen. Deshalb wollte sie die Möglichkeit haben, aufzuspringen, die Arme in die Luft zu werfen oder wütend aufzustampfen. Das ging jedoch schlecht, wenn man Decken festhalten musste, die ihren bloßen Körper verhüllten.

»Ist gleich soweit, Kindchen«, sagte Caori, die Leandras Blicke bemerkt hatte. »In ein paar Minuten kannst du dich wieder anziehen.«

Leandra nickte.

»Nun los!«, forderte Munuel. »Erzähl der Reihe nach, was passiert ist.«

Leandra nahm ein paar Schlucke aus ihrem Becher und begann mit ihrem Bericht. Zuerst versuchte sie für ihre Absicht, einen Norikelstein zu holen, ausreichende Entschuldigungen zu finden, aber damit stieß sie nur auf geringes Interesse. Munuel und Caori schienen für den Moment nichts davon wissen zu wollen. Munuel winkte sogar ab und forderte sie auf, zum Wesentlichen zu kommen. Sie ließ nach bestem Gewissen nichts aus in der Hoffnung, die erstaunlichen Begebenheiten würden ihre Untat so weit in den Schatten stellten, dass man sie zuletzt ganz vergaß.

Munuel und Caori hatten offenbar nicht damit gerechnet, dass sich außer Leandra noch weitere Personen am Asgard aufhielten.

Die beiden blickten sich betroffen an. Leandra fuhr fort und beschrieb ihre Wahrnehmungen während der magischen Ereignisse und versuchte den beiden klarzumachen, wie schrecklich verloren sie sich gefühlt hatte.

Als sie dann Limlora erwähnte, wuchs die Betroffenheit ihrer Zuhörer. Und als sie schließlich schilderte, wie der Gefangene umkam, verwandelten sich ihre Mienen in den Ausdruck ungläubigen Erstaunens.

Caori hatte sich aufgerichtet. »Bist du dir ganz sicher, Kindchen, dass du da nichts hinzuerfunden hast?«

Leandra schüttelte energisch den Kopf. »Nein, wirklich nicht! Das schwöre ich!«

»Und … da waren tatsächlich … vermummte, dunkle Gestalten?«, wollte Munuel wissen.

Leandra sah ihn forschend an. »Das klingt, als hättest du schon mit ihnen zu tun gehabt.«

Munuels Miene versteinerte sich, und er starrte ins Feuer.

»Nein, das hatte ich nicht. Aber es gibt in letzter Zeit immer häufiger Gerüchte. Beunruhigende Gerüchte.«

»Und … was für welche?«

Munuel schüttelte den Kopf. »Nichts Genaues, leider. Aber das, was du da sagst …« Er wandte ihr wieder den Kopf zu und studierte ihr Gesicht. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, dass du Limloras Gesicht gesehen haben willst. Das ist … nun, gewissermaßen … eine ziemlich absurde Behauptung! Wie sicher bist du, dass es nicht irgendeine andere Frau war?«

Leandra spitzte die Lippen. Sie verstand Munuels Zweifel an ihrer Beschreibung. »Man sagt, man würde Limlora niemals vergessen, wenn man sie einmal sah«, stellte sie achselzuckend fest.

Munuel nickte. »Das ist wahr. Hast du sie denn schon einmal gesehen?«

»Du warst selbst dabei. Letztes Jahr, in Savalgor. Als wir drei Tage im Cambrischen Ordenshaus zu Gast waren und dann eine Debatte des Rates besuchten.«

Munuel überlegte angestrengt. »So? Waren wir das …?« Dann nickte er. »Ja … schon möglich.«

»Sie war nur ein paar Schritte von den Besucherplätzen entfernt«, erinnerte sich Leandra. »Sie saß links vom Shabibsthron, er selbst war an dem Tag nicht anwesend. Sie trug ein violettes Kleid und eine dunkelblaue Robe. Ich war so fasziniert von ihr, dass ich sie dauernd anstarrte. Ich habe noch nie eine schönere Frau gesehen.«

»Sie besitzt ein kleines Muttermal«, sagte Caori. »Hast du es gesehen?«

Leandra deutete unter das linke Auge. »Ja, hier.« Caori nickte vielsagend.

»Hast du es heute auch gesehen … in diesem Gesicht?«

Leandra runzelte die Stirn. »Hm … ehrlich gesagt … darauf habe ich nicht geachtet. Es ging alles sehr schnell, und es war alles so … unheimlich. Aber trotzdem, ich bin wirklich sicher, dass es Limlora war. Ihr Gesicht würde ich niemals vergessen!« Schweigen breitete sich im Raum aus, nur das Feuer knackte gelegentlich. Leandras Gesicht begann sich von der Hitze zu röten und sie rückte vom Feuer ab.

»Könnte es sein«, fragte sie dann, »dass jemand Limloras Gesicht … benutzt hat? Ich meine, dass es nur ein Trugbild war?«

Munuel hob die Schultern. »Möglich. Aber wozu?« Caori winkte ab. »Dafür kann es tausend Gründe geben. Täuschung, Intrigen, Verrat … und so weiter.«

»Da fällt mir noch etwas ein«, sagte Leandra. »Es war die Rede von einem weiteren Mann, den diese … dunklen Gestalten fangen sollten. Sie haben ihn aber nicht erwischt. Limlora sagte etwas von einer Bruderschaft, die sie ausschicken wollte, um den Mann zu finden.«

Munuel starrte sie ungläubig an. »Eine … Bruderschaft?«

Leandra nickte eifrig. »Ja, ich bin sicher, dass dieses Wort fiel. Weißt du etwas darüber?«

Sie studierte sein Gesicht und stellte fest, dass seine Miene noch finsterer geworden war. Munuel hob den Kopf. »Ich fürchte, wir müssen dieser Sache nachgehen.  So verrückt es auch klingt – Leandras Beobachtungen sind der erste klare Hinweis, in welcher Richtung wir nach der Ursache für diese seltsamen Begebenheiten suchen müssen.« Er sah zu Caori.

»Du weißt schon, die Dunklen Reiter, die Bleichen und all das…«

Caori nickte. Ihr Gesicht zeigte den typischen Caori-Missmut, jenen Gesichtsausdruck, für den sie schon fast berühmt war.

»Was sind das für Dunkle Reiter?«, wollte Leandra wissen.

Munuel schnaubte und schüttelte den Kopf. »Das sind Dinge, die nur den Cambrischen Orden etwas angehen. Nichts für dich, meine Prinzessin. Vergiss es am besten gleich wieder.«

Leandra war nur wenig froh über diese Antwort, aber Munuels ernstes Gesicht verriet ihr, dass ein weiteres Nachbohren keinen Sinn hatte. Sie wandte sich an Caori.

»Was war das für ein Wesen, das hinter mir her war? Du hast es doch … getötet, nicht wahr?«

Caori blickte streng zu ihr herab, dann schüttelte sie den Kopf.

»Nicht leicht zu beschreiben«, sagte sie. »Eher so etwas wie ein großer Schatten. Schwärzer als die Nacht. Ich sah nur, wie es hinter dir her war … und unternahm etwas.«

Leandra versuchte, ihre Faszination zu verbergen.

Zweifellos hatte Caori eine sehr mächtige Magie angewandt, die alles übertraf, was sie bis heute gesehen hatte. Es interessierte sie brennend, mehr darüber zu erfahren.

»Etwas? Kannst Du mir das beschreiben?«

Caori tat etwas Überraschendes. Sie starrte mit gläsernem Blick ins Feuer, hob die Hand und beschrieb mit dem Zeigefinger ein kleine Geste, während sie kaum merklich die Lippen bewegte.

Geistesgegenwärtig trat Leandra in Kontakt mit dem Trivocum und erblickte mithilfe ihres Inneren Auges im nächsten Augenblick ein kleines, hell strahlendes Aurikel, durch das stygische Energien ins Diesseits strömten.

Einen Moment später entstand an der Stelle, an der Caori eben noch mit ihrem Zeigefinger Zeichen in die Luft gemalt hatte, eine kleine, orange leuchtende Aura, aus der ein fadendünner Blitz ins Feuer schoss. Er besaß offenbar keine starke Energie, denn das Feuer loderte nur ein wenig auf. Aber die Feinheit der Erscheinung faszinierte Leandra über die Maßen.

Sie stieß ein überraschtes Stöhnen aus und wollte schon beinahe rufen, Caori solle ihre Magie wiederholen.

»Sehr hübsch!«, stieß Munuel erfreut hervor. »Was ist das?«

Caori seufzte. »Ein sehr alter Schlüssel aus den Lehren der Maldoorer. Ich habe ihn vor langer Zeit bei einem Einsiedler erlernt und seit zehn Jahren nicht mehr angewandt. Ich war selber überrascht, dass er noch so gut funktionierte. Ich kenne mich mit solchen Kampfzaubern nicht besonders gut aus. Aber das weißt du ja.«

Munuel lächelte. »Nun, dieser tat seine Wirkung. Meinen Respekt!«

Für Momente wich Caoris missmutiger Gesichtsausdruck, und das war schon beinahe das noch größere Wunder. Sie winkte ab.

»Man wird alt«, stellte sie fest, und dann zeigten ihre Mundwinkel schon wieder nach unten.

Leandras Herz hatte aufgeregt zu pochen begonnen. Sie wagte ihre Frage kaum auszusprechen. »Kann … ich das lernen?«

Beide Magier sahen sie gleichzeitig an. Caori mit leicht verwundertem Gesichtsausdruck, Munuel hingegen eher mit einem strafend-väterlichen. »Liebes Kind«, sagte er. »Du bist Novizin! Morgen wirst du …« er zögerte kurz und warf Caori einen Seitenblick zu. » … nun, Adeptin. Du bist noch weit davon entfernt, irgendwelche Kampfzauber beherrschen zu können. Außerdem sind Kampfzauber nicht eben das, was eine angehende Magierin benötigt. Du weißt, wir dienen und helfen. Wir kämpfen nicht. Diese Zeiten sind lange vorbei.«

»Aber was ist mit heute?«, fuhr Leandra auf. »Wenn ihr nicht gekommen wäret, dann …« Munuel hob abwehrend die Hände. »Jaja, ich weiß. Du hast nicht ganz Unrecht. Trotzdem, solche Magien sind sehr gefährlich. Caori hat vorhin nur eine niedrige Iteration angewandt. Wenn diese Magie im Kampf nützen soll, muss sie in hohen Stufen gewirkt werden. Du müsstest jahrelang üben, bevor du eine davon gefahrlos anwenden könntest. Schlag dir das lieber aus dem Kopf!«

Leandras Unzufriedenheit wuchs. Sie war einundzwanzig, studierte seit über sieben Jahren, und alles, was sie erntete, war eine Behandlung, wie man sie kleinen Kindern angedeihen ließ.

»Das ist lächerlich!«, stieß sie hervor. »Ein Magier muss auch beschützen können! Das steht sogar im Kodex! Ich könnte nicht einmal einen Hund verscheuchen! Wie soll ich da jemanden beschützen können?«

Caori wie auch Munuel seufzten.

»Ich mache dir einen Vorschlag«, sagte Caori. »Nach deiner Zeit der Wanderschaft kommst du zu mir, und ich werde dir diese Magie zeigen. Ich werde dich zuvor prüfen, aber wenn du fähig genug bist, werde ich sie dir beibringen. Einverstanden?«

Munuel bekam große Augen. »Du wirst doch nicht …!«, stieß er hervor.

Caori winkte wieder ab, eine ihrer Lieblingsgesten. »Es gibt viel zu viele alte Magien, die in Vergessenheit geraten«, sagte sie.

»Es ist schade drum. Und die Kleine hat gar nicht so Unrecht – ein Magier sollte auch beschützen können, vor allem sich selbst. Nach allem, was wir wissen, werden die Zeiten nicht eben besser. Diese Dunklen Reiter bereiten mir hässliche Träume. Mag sein, dass wir bald wieder einer großen Gefahr begegnen müssen. Du weißt, wie die Menschen sind, Munuel. Mein alter Lehrer Olmer vertrat die Ansicht, dass kein Land länger als dreißig Jahre im Frieden lebt. Dann kommt wieder ein großer Krieg, oder irgendein Verrückter reißt die Herrschaft an sich. Sieh nur, was in Savalgor los ist! Wir befürchten schon lange, dass sich einer der Höflinge mit Magie wappnet, jetzt, da der Shabib im Sterben liegt.«

»Der Shabib stirbt?«, fragte Leandra erstaunt. Caori nickte. »Ja, aber behalte das für dich.« Sie starrte ins Feuer. »Solche Zeiten sind gefährlich. Umstürze, Revolten, du weißt schon. Es gibt immer eine Reihe von Besserwissern, die sich nicht davor scheuen, Gewalt anzuwenden, um schnelle Siege zu erringen.« Munuel schüttelte verwundert den Kopf. »So habe ich dich noch nie reden hören, Caori«, sagte er. »Seit wann kümmerst du dich um Politik?«

Wieder winkte sie ab. »Ich habe mich schon für Politik interessiert, du Grünschnabel, da bist du noch mit einer Kinderrassel über den Siebenplatz gelaufen. Du glaubst wohl, du bist der Einzige, der jemals für die Cambrier gekämpft hat!«

Leandra musste grinsen, sah dann aber neugierig in Munuels Richtung. »Du hast für den Cambrischen Orden gekämpft?« Munuel erhob sich mit einer heftigen Bewegung. »Nun ist es genug!«, sagte er streng. »Du solltest dich anziehen, Leandra, und nach Hause gehen. Morgen ist dein Ehrentag. Und was du gerade gehört hast, geht dich nun wirklich nichts an.« Er hob einen drohenden Finger. »Und plappere nicht herum, hörst du? Du hast heute Abend schon viel zu viel mitbekommen! Und erzähle keine Silbe über dein Erlebnis im Asgard, verstanden? Wir werden morgen entscheiden, was zu tun ist!«

Als Leandra ging, war ihre Stimmung miserabel. Sie liebte Munuel, als wäre er ihr eigener Großvater, aber sie verdammte ihn auch nicht selten wegen seiner autoritären Art. Insgeheim schmiedete sie einen Plan, der Munuels Ansichten sehr zuwiderlief. Sie freute sich schon darauf, ihm eines Tages unter die Nase zu reiben, was sie getan hatte – vorausgesetzt natürlich, sie würde Erfolg haben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

3 Adeptin der Magie