Die Buena Vista Morde - Sophia Verena - E-Book
NEUHEIT

Die Buena Vista Morde E-Book

Sophia Verena

0,0

Beschreibung

»Babylon Berlin« meets »Agatha Christie« - Ein fiebernder Alptraum aus Lüge, Gier und Rache. Havanna, 1920: Er geht wieder um - Ángel de la Muerte - der Todesengel. Die Privatdetektivin Ada untersucht einen mysteriösen Mord an einem ebenso reichen wie verhassten Großgrundbesitzer und stößt dabei auf ein Netz aus Verbrechen und Intrigen, das bis in die Zeit der Sklaverei zurückreicht. Doch alle beteiligten Personen hüllen sich bewusst in einen Mantel des Schweigens. Was bleibt ihr da anderes übrig, als mit nicht ganz legitimen Methoden an Informationen zu kommen? Ein Glück, dass ihr der eigenwillige Kater Loco dabei die störenden Verehrer vom Leib hält.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 426

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Diese Geschichte ist frei erfunden. Jedwede Ähnlichkeiten mit nicht fiktiven Personen, seien sie lebendig oder tot, sind rein zufällig.

Für meine Lieblingsschwester Antonia, die mich öfters inspiriert als sie ahnt

Inhaltsverzeichnis

Kreuz Sieben

Pik Zwei

Karo Acht

Pik neun

Herz zwei

Kreuz Neun

Dame

König

52 Karten

Schwarzer Bube

Kreuz Dame

Herz Vier

Kreuz Drei

Pik neun

Schwarzer König

Herz zwei

Rote Karte

Ass

Full House

Epilog

Pik Zwei

Das Florabell war ein Palast aus rosa schimmerndem Marmor mit weißen Säulen, einem Dach aus Zuckerguss und türkis schimmernden Fensterläden. Über mehrere Stockwerke verteilt fand man dort alles, was das Herz begehrte. Von billig bedruckten Kattunkleidern und Turbanen, irdenem Geschirr und billigen Zigarren im Erdgeschoss bis hin zu verheißungsvoll glänzenden Diamanten, Rubinen und Perlen im obersten Stockwerk. Dazwischen lagerten hinter goldenen Tresen Seide und Brokat aus dem Orient, englisches Silber, französischer Champagner, indischer Tee, Gewehre und Messer, Schildplattkämme und Pelzstolen.

Eine bunte Schar lachender und feilschender Frauen hatte sich um einen Stapel mit bedruckten Stoffen versammelt. Ihre mit Blumen und Federn geschmückten Turbane wippten fröhlich im funkelnden Licht der Lüster. Der Verkäufer lachte und scherzte mit ihnen, hielt der einen die roten, der anderen die grünen Stoffe vors Gesicht und zwinkerte zeitgleich einer Dritten zu. Er würde so tun, als würde er auf ihre Verhandlungen eingehen. Behaupten, sie würden ihn noch ruinieren, aber am Ende nachgeben, sodass der Preis, den er ihnen schließlich angab, exakt dem entsprach, den er sich vorher ausgerechnet hatte. Auf die Art waren am Ende alle zufrieden.

Eine geschwungene Marmortreppe führte mich nach oben, wo die chinesischen Porzellantassen, das englische Teegeschirr, die silbernen und goldenen Besteckkästen, Kristallgläser und Servierplatten ausgestellt waren. Ich fragte einen der elegant gekleideten Verkäufer nach der Hochzeitsliste und er holte sie mir. Fast alle Posten waren bereits gestrichen und mit einer unguten Vorahnung erkundigte ich mich nach einem Teeservice aus Meißener Porzellan.

Auf dem dunklen Gesicht des Verkäufers erschien ein so strahlendes Lächeln, dass sich mein mulmiges Gefühl noch verstärkte. Vermutlich sah er sich in Gedanken bereits seine Provision einstreichen.

Er führte mich zu einer von goldenen Lichtern beschienenen Vitrine in der Mitte des Raumes. Dort ausgestellt war das komplette Teeservice. Das weiße Porzellan schimmerte hell und einladend. Die winzigen, gold umrandeten Tassen waren mit Rosenknospen in rosa und gelb verziert. Auf dem hellen Grün der Blätter glitzerten Tautropfen. So fein und natürlich, als müsste ich nur die Hand ausstrecken, um einen von ihnen auf meinem Finger zu spüren.

Ich wusste sofort, dass es kein besseres Geschenk für Clarice geben konnte. Es war, als hätte sie selbst dieses Service entworfen. Als wäre es einzig und allein für sie gefertigt.

»Was kostet es?«

Ohne zu zögern nannte er mir den Preis. Ich spürte, wie meine Knie zu zittern begannen. Die Summe entsprach exakt jener, die in Shangos Buch stand. Eine Summe, von der ich die nächste Rate noch nicht zusammen hatte. Eine Summe so hoch, dass manche kubanische Familie sie, selbst wenn sie ein Jahr hungerte, nicht zusammenbringen würde.

Der Verkäufer sah wohl bereits seine Felle davonschwimmen, denn er beeilte sich mir zu versichern, dass es auf ganz Kuba kein edleres und einzigartigeres Service wie dieses geben würde.

»Sehen Sie nur.« Er schloss die Vitrine mit einem winzigen, goldenen Schlüssel auf, der um seinen Hals hing. Vorsichtig nahm er eine der Tassen heraus.

»Sie sind so dünn, dass Sie Ihre eigene Hand hindurch schimmern sehen können. Probieren Sie es.«

Ich tat es, doch er brauchte mich nicht mehr zu überzeugen. Meine Entscheidung war bereits gefallen. Clarice sollte dieses Geschenk bekommen. Wie oft in ihrem Leben würde sie schon noch heiraten?

»Ich nehme es.«

Sein Gesicht erstrahlte vor Glück. Seine Stimme ging beinahe eine Oktave höher als er fragte: »Welchen Namen darf ich auf die Karte schreiben?«

»Young …«

»Ada? Ada, du hier?«

Ich drehte mich um und blickte in das lachende Gesicht Dalilas, die mich stürmisch umarmte. Wie immer ergoss sich ihr warmer, sprudelnder Wortschwall auf mich. »Wie lange haben wir zwei uns nicht mehr gesehen? Und jetzt ausgerechnet hier. Was machst du? Kaufst du dir was Schönes?« Sie gab mir keine Gelegenheit zu antworten. Ihre Augen musterten anerkennend das Service. »Wie hübsch.

Ich habe es mir auch schon fürs Dalia angesehen, ich plane künftig einen echten englischen Nachmittagstee für meine Kunden anzubieten. Was meinst du, eine gute Idee, no? Aber bei so fragilen Dingern habe ich nur Angst, dass sie sie mir mit ihren tapsigen Pfoten zerbrechen. Du weißt ja, wie Männer sind, si?« Sie lachte glockenhell und ich sah, wie sich die anwesenden Herren nach ihr umdrehten. Sie musterten. Manche mit roten Wangen, schnell den Blick abwendend, andere mit anerkennendem Lächeln, einem Zwinkern oder einem gemurmelten Kompliment. Es gab kaum einen Mann in Havanna, der sie nicht kannte. Sie und das Dalia, ihren Herrenclub, wie sie es nannte.

Ich nutzte ihre kurze Atempause für eine Antwort. »Es ist tatsächlich ein Hochzeitsgeschenk. Meine Freundin Clarice hat während ihres Europaaufenthalts geheiratet.«

»Ach, die schöne Clarice.« Dalila lachte, sodass ihre schneeweißen Zähne aufblitzten. »Ich sag dir, sie hat einer Menge Männern das Herz gebrochen mit ihrer Hochzeit. Nun, gut für mich, ein paar Kunden mehr, die von meinen Mädchen getröstet werden.«

Sie packte mich am Arm. »Jetzt komm aber mal mit, hast du schon einen Blick auf die neuen Abendkleider geworfen? Sie sind gerade aus Paris eingetroffen. Espléndido, sag ich dir. Ich habe mir bereits drei ausgesucht. Und da ist eines … oh Ada, das musst du sehen. Rápido!« Und ohne meine Antwort abzuwarten, zog sie mich bereits zwei Treppen nach oben in den Salon de Paris, wie dieses Stockwerk genannt wurde. Im weichen, rosafarbenen Licht, von einem Dutzend goldener Spiegel umrandet, standen dort Träume aus Seide und Chiffon. Der Duft von Treibhausblumen hing in der Luft. Die ganze Atmosphäre war von Weiblichkeit durchzogen.

Auf einem rosafarbenen Sessel in der Ecke, saß ein verhutzeltes Männlein, das aussah, als wäre es dort vergessen worden. Bei Dalilas Anblick begannen die müden Augen zu strahlen. Sie warf ihm eine Kusshand zu und zog mich dann ohne weiteres Wort und ohne die Verkäuferin zu beachten vor eine der Puppen.

»Sieh nur. Sieh dir dieses Kleid an. Es ist wie für dich gemacht. Als ich es vorhin gesehen habe, musste ich sofort an dich denken. Es würde dir wie angegossen passen, das sehe ich sofort. Diese Taille … da braucht man deine Figur für.«

Ich starrte auf das Kleid. Lange, fließende Seide, von Chiffon und Tüll umhüllt. Das Oberteil eng und am Rücken geschnürt, der Rock in unzähligen Falten bis zum Boden reichend. Doch am erstaunlichsten war die Farbe. Noch nie hatte ich ein Kleid in einem derart intensiven Grün gesehen. Strahlender als das Gefieder von Pfauen. Einem Grün, so unbeschreiblich wie das Meer, wenn die Sonne golden darin versank.

»Es passt genau zu deinen Augen. Also, wenn du dir das nicht kaufst, dann bin ich ernsthaft böse mit dir.«

Ich schüttelte benommen den Kopf. Es war unmöglich. Auch wenn dieses Kleid das Schönste war, das ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte. Wenn es wie aus einem Traum zu mir gekommen schien. So exakt meinen Fantasien entsprach, dass es mir den Atem verschlug, so war es doch unmöglich. Unmöglich für mich, unmöglich in meiner Situation.

»Nein, Dalila.«

»Unsinn.« Ihre hübsche Stirn legte sich in Falten.

»Shango hat mir gesagt, dass du dringend ein paar neue Kleider brauchst. Du musst es einfach kaufen. Entendido! Keine Widerrede!«

Plötzlich wurde ich wütend. Das so oft verdrängte schlechte Gewissen meldete sich auf einmal mit voller Wucht zu Wort. Flüsterte mir zänkisch ins Ohr, in was für eine prekäre Lage ich mich bereits mit meinen Schulden und nun mit diesem extravaganten Hochzeitsgeschenk gebracht hatte. Woher ich die nächste Rate für Shango nehmen sollte, geschweige das Geld, um die Rechnung des Kaufhauses zu bezahlen, die bald kommen würde, stand in den Sternen. Ich biss die Zähne zusammen. Meine Worte waren barsch.

»Shango soll seinen verdammten Mund halten. Ich misch mich schließlich auch nicht in seine Garderobe ein.«

Wie auch ihr Bruder war Dalila nicht aus der Ruhe zu bringen. Sie lächelte nur.

»Hör mal …« Sie hakte sich bei mir unter. Ihre Stimme war leise und freundlich. »Du weißt, wenn du Probleme hast, Chica, kannst du immer zu mir kommen. Oder ich gebe dir einen Job, was meinst du? Ich habe genug Kunden, die würden für ein bisschen Zeit mit einer inglesa viel bezahlen. Ganz harmlos. Einfach ein bisschen Gesellschaft.«

Ich blickte sie an. Blickte in ihr offenes, freundliches Gesicht mit den schönen, karamell-farbenen Augen. Auf einmal musste ich lachen.

»Stell dir vor, dein Bruder hat mir gestern etwas Ähnliches angeboten. Natürlich exklusiv und vermutlich nicht ganz so harmlos.«

Sie kicherte erfreut. »Shango ist verrückt nach dir, das weißt du genau, Chica. Sei klug und spiel deine Karten richtig aus. Ich verspreche dir, er heiratet dich, noch ehe du ein weiteres Mal beim Spiel verlieren kannst. Überleg nur …« Ihr Blick wanderte träumerisch in die Ferne. »Wäre das nicht toll, wenn wir Schwestern würden? Das wäre doch himmlisch, und du bräuchtest nie wieder Angst davor haben zu verlieren.«

»Und dein lieber Bruder wäre innerhalb eines halben Jahres ruiniert. Willst du das?«

Sie lachte nur. »Shango lässt sich nicht ruinieren, glaub mir. Vielleicht brauchst du ja auch nur einen Mann, der die Zügel ein bisschen straffzieht, was meinst du?« Sie pikste mich in die Seite.

»Genauso wenig wie du, mi amor. Na komm, lass uns auf der Terrasse eine rauchen, was sagst du?«

»Na schön, burro terco.«

Hatte sie mich gerade ernsthaft einen Sturen Esel genannt?

Die Terrasse des Florabell war mit plätschernden Springbrunnen, Palmen in Töpfen und riesigen Sonnenschirmen vollgestellt. An winzigen, eisernen Tischen saßen Leute in bunten Kleidern oder weißen Tropenhelmen. Einige Männer nickten förmlich in meine Richtung oder warfen Dalila glühende Blicke zu.

Wir ließen uns an einem, aus eisernen Ranken geschmiedeten Tisch nieder, und bestellten Mojitos und Gebäck. Genüsslich stieß ich den Rauch meiner Zigarette aus, während ich über die von der Hitze flimmernden Dächer Havannas blickte.

»Der Sommer wird dieses Jahr mörderisch.« Dalila tupfte sich mit einem bunten Taschentuch die Stirn. »Ich glaube, ich werde die meiste Zeit direkt am Meer verbringen oder ich gehe auf unsere hacienda. Shango hat letztes Jahr ein Schwimmbecken bauen lassen. Und die Bäume spenden den ganzen Tag Schatten.« Sie seufzte.

»Wenn es da nur nicht so einsam wäre.«

»Gibt es nicht ein paar Plantagen in der Nähe?« Ich nahm einen Schluck von meinem Mojito. Er schmeckte köstlich.

»Ja, die eine oder andere. Oh, hast du das gehört …« Sie beugte sich aufgeregt über den Tisch. »Auf der Beso de Sol hat es ein furchtbares Unglück gegeben.«

»Ja, Jakob hat mir davon erzählt. Scheinbar wurde der Besitzer während eines Aufstands ermordet.«

»Ach, dieses Aas.« Sie spuckte auf den Boden. Ich zuckte zusammen. Dalila konnte so fein wie eine Dame daherreden, doch wenn es sie packte, legte sie das Benehmen eines Bierkutschers an den Tag.

»Wieso Aas? Weil er seine Männer nicht bezahlt hat?«

»Findest du das etwa in Ordnung?« Sie funkelte mich böse an.

»Beruhig’ dich. Und nein, natürlich finde ich das nicht in Ordnung.« Ich dachte an Jakobs Worte. »Ich meine nur, dass man es vielleicht mit einem Vermittler hätte probieren können, anstatt gleich einen Mord zu begehen.«

Dalila nahm einen Schluck aus ihrem Glas, ihre Augen waren spöttisch zusammengezogen.

»Und du glaubst, das haben sie nicht versucht? Weil alle Kubaner Barbaren sind?«

Langsam reichte es mir. Die eben noch so fröhliche Stimmung war so plötzlich gekippt, dass es mir zu viel wurde.

»Ich muss jetzt gehen.« Ich machte Anstalten aufzustehen. Sie hielt mich am Arm fest.

»Chica … Ada, sei nicht böse.« Sie seufzte. »Wenn ich dich ansehe …« Sie verstummte. Ich schwieg ebenfalls. Wusste, was sie hatte sagen wollen. Dass sie bei meinem Anblick einen der vielen Amerikaner sah. Eine Gringa, die hierherkam, um sich als Herrin aufzuspielen. Obwohl sie genau wusste, dass es nicht so war. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Kein halbes Jahrhundert war es her, dass Teile ihrer Familie noch auf den Zuckerrohrplantagen geschuftet hatten. Ihr Vater war von seinem Herrn totgeprügelt worden als er angeblich dessen Frau nachstellte. Der Zorn auf alles, was weiß war, saß einfach zu tief. Und mochte sie die hombres blancos - die weißen Herren, die ihr Etablissement besuchten - auch noch so ausnehmen, die Preise vervierfachen, so stillte dies doch nur in geringem Maße ihren Groll.

Plötzlich ergriff sie meine Hand. »Du bist mir nicht böse, no? Weil ich so einen Unsinn rede?«

Ich drückte ihre Hand. »Und du bist mir nicht böse, weil ich eine Frage stelle, die dir nicht gefällt, sí?«

»Sí!« Sie lächelte. Dann wurde ihr Gesicht wieder ernst.

»Die Männer waren verzweifelt, weißt du? Und gehen konnten sie auch nicht, sonst hätten sie gar nichts bekommen.« Ihre schmalen Hände ballten sich vor Wut.

»Es kommen viele Frauen, die ich nicht aufnehmen kann, ins Dalia. Frauen mit kleinen Kindern, Frauen, die kein Geld haben, weil ihre Männer ihnen keines schicken. Ihnen nichts schicken können, weil sie es nicht bekommen. Shango war sogar einmal dort und hat versucht mit De Sol zu reden. Er hat ihn einfach hinausgeworfen. Kannst du dir das vorstellen? Shango war so wütend. Ich dachte, er würde ihn umbringen. Und nun, nun sitzen diese armen Männer im Gefängnis. Dafür, dass sie ihr Recht eingefordert haben.«

Ich seufzte. Versuchte, die rechten Worte zu finden.

»Dalila, ich verstehe dich ja. Verstehe auch die Männer. Aber warum ein Mord? Hätten sie nicht einfach das Haus ausrauben können? De Sol eine Tracht Prügel verpassen? Meinetwegen noch die Speicher anzünden, schön und gut. Aber warum ein Mord?«

»Sie waren es nicht! Sie sagen es selbst. Nur dein blonder Ami glaubt es nicht.«

Ich zuckte die Schultern. Wusste nicht genau, was ich sagen sollte »Es ist schwierig …«

»No, es ist nicht schwierig. Es ist ganz leicht. Die Männer wurden nicht bezahlt, also haben sie genommen, was ihnen zusteht. Mit dem Mord haben sie nichts zu tun.«

»Woher willst du das so genau wissen?«

»Ein guter Freund von mir arbeitet dort im Gefängnis. Glaub mir, keiner von denen war es. Das musst du deinem Amerikaner sagen.« Sie klang bestimmt.

»Jakob ist nicht mein Amerikaner. Hör zu … ich habe heute mit ihm geredet, er wird mir die Protokolle zum Lesen geben. Ich bin sicher, wenn diese Schriftstücke das enthalten, was du mir sagst …«

»Werden sie!«

»Dann kann ich auch Jakob sagen, dass er sich anderweitig nach einem Täter umschauen muss.«

»Ja, das tust du. Lies sie, dann siehst du, dass es nur anständige Männer sind.«

Anständige Männer, die gewütet und gemordet hatten. Doch das sagte ich nicht.

Wir tranken unsere Mojitos schweigend aus.

Karo Acht

Die Hitze des Tages begann sich langsam zu zerstreuen, gemeinsam mit der Sonne schwächer zu werden. Ich lag im kühlen Dunkel des schattigen Salons. Die Fensterläden waren fest verschlossen, sodass das wenige Licht in Streifen über den Teppich glitt. Loco hatte sich inmitten der Strahlen ausgebreitet, sodass sein dunkles Fell wie das eines Tigers wirkte. Ich hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt und blickte nachdenklich an die Decke. Zu viel war heute schon passiert, was mir durch den Kopf schwirrte. Fiebrig durch meine Gedanken irrte. Auch die kurze Siesta hatte nichts daran ändern können. Mit müden Fingern griff ich nach dem Kartenpäckchen auf dem Tisch. Mischte träge, dann fächerte ich die Karten vor mir auf. Wie immer zog ich mit der linken Hand. Die Augen geschlossen. Auf meine Intuition trauend. Ich betrachtete die Karte mit einem Lächeln. Karo-Acht. Die rote Farbe, die auf Glück hindeutete und die Acht, die in ihrer Vollkommenheit das Gleichgewicht, die Unendlichkeit symbolisierte. Ein klares Zeichen, dass doch noch nicht alles verloren war. Gut werden würde. Lo bueno tarda en Ilegar, porque lo que facil Ilega, facil se va. Wie mein Vater immer gesagt hatte. Ich musste nur etwas geduldig sein.

Das rostige Klirren der Türglocke ließ Loco und mich gleichermaßen zusammenzucken. Ich stöhnte auf. Musste das jetzt sein? Wer konnte um diese Zeit etwas von mir wollen? Benita war längst nach Hause gegangen. Ich erwartete niemanden. Ich beschloss, einfach liegen zu bleiben. Wenn es wichtig war, konnte man mir eine Nachricht in den Briefkasten legen und wenn nicht, dann lohnte es sich sowieso nicht, sich Gedanken zu machen.

Offenbar schien die Türglocke das anders zu sehen, denn sie klirrte und klingelte nun immer beharrlicher. Mit einem wütenden Satz sprang ich auf und lief den Flur entlang. Als ich die Tür mit Schwung aufriss, bereit den Störenfried anzufahren, stockte ich mitten in der Bewegung. Der Mann, der bei meinem plötzlichen Auftritt einen Schritt zurückgewichen war, kam mir seltsam bekannt vor. Er mochte Anfang dreißig sein, großgewachsen und mit dunkler, im Sonnenlicht bronzefarben schimmernder Haut.

»Buenos días! Ich suche …«, er warf einen kurzen Blick auf das angelaufene Messingschild neben der Tür. »Señor Young. Den Privatdetektiv.« Er lächelte freundlich, während sein Blick für eine Sekunde an meinen nackten Füßen hängen blieb.

»Mein Vater ist vor einem Jahr verstorben. Ich habe seine Detektei übernommen. Mein Name ist Ada Young.«

Ich reichte ihm die Hand, die er äußerst charmant an die Lippen führte. »Ich verstehe.« Er musterte mich noch einmal. Offenbar nicht sicher, ob er bleiben oder wieder gehen sollte. Ich nahm ihm die Entscheidung ab, indem ich die Tür einladend öffnete.

»Kommen Sie doch erst einmal herein. Ich wollte sowieso gerade einen Zitronensaft trinken.«

Ob es nun an der Aussicht auf frischen Saft oder an meinen nackten Füßen lag, jedenfalls trat er über die Schwelle. Ich dirigierte ihn durch den dunklen Flur direkt in das ehemalige Arbeitszimmer meines Vaters, das ich bei neuen Kunden stets als mein Büro ausgab. Wie immer hatte Benita einen Strauß mit frischen Blumen auf den Tisch gestellt. Ihr süßer Duft vermischte sich mit dem schweren Leder- und Rauchgeruch. Papas Geruch. Der noch immer in allen Möbelstücken seines Zimmers zu stecken schien.

Der Mann ließ sich auf einen der grün gepolsterten Sessel sinken. Trotz der Hitze trug er einen leichten Sommeranzug in Weiß und geschlossene Halbschuhe. Sein Blick wanderte neugierig durchs Zimmer, an den Bücherregalen an der linken Wand, über den kleinen Altar gegenüber dem Schreibtisch. Eine betende Mutter Gottes, mit Blumen geschmückt, neben sich einen Teller mit Obst und tränende Kerzen in goldenen Ständern. In der Ecke stand ein leerer Vogelkäfig, der auf einen neuen Bewohner wartete, seitdem Loco den letzten gefressen hatte.

Während ich in der Küche in Windeseile Zitronen und Orangen auspresste, überlegte ich, woher mir der Mann so bekannt vorkam, und was er wollen könnte. Sein Spanisch war gut, doch hatte er einen unüberhörbaren amerikanischen Akzent. Ob Ost- oder Westküste konnte ich jedoch nur raten. Kurz darauf trat ich mit den Gläsern ins Arbeitszimmer. Im Flur war ich schnell wieder in meine Schuhe geschlüpft. Lächelnd nahm er das Glas entgegen, das ich ihm reichte.

»Hat Ihr Dienstmädchen heute frei?«

»Sie erledigt ein paar Besorgungen«, log ich vorsichtshalber.

»Bei der Hitze?«

»Was genau kann ich für Sie tun, Señor …?«

Er ignorierte meine Frage. »Haben Sie denn keine Angst, fremde Männer ins Haus zu lassen, wenn Sie allein sind?«

Was wollte er? Ich dachte an die Pistole meines Vaters, die gut geölt in der Schreibtischschublade lag. Nur einen Handgriff von mir entfernt. Ich lachte leise.

»Guter Mann, Sie vergessen das Eine. Ich weiß ganz genau, wo sich hier in diesem Haus die Waffen befinden. Und glauben Sie mir, ich habe keine Skrupel sie zu benutzen.«

»Jetzt verstehe ich, warum Shango Sie mir empfohlen hat. Wenn er allerdings auch nur von »Young« gesprochen hat.« Er lächelte freundlich. »Offenbar hatte er Angst, ich würde sonst ablehnen, wenn ich wüsste, dass Sie eine Frau sind.«

»Shango hat mich empfohlen?« Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. »Sie waren doch gestern auch mit in der Runde, nicht wahr?«

»Stimmt.« Das Lächeln war nicht aus seinem Gesicht gewichen. »Sie hatten ganz schön Pech, was?«

Ich zuckte betont gleichgültig die Schultern. »Man kann nicht immer gewinnen.«

»Wäre ja auch langweilig, oder?«

Nein! Er war offenbar kein Spieler, sonst würde er eine derartig absurde Frage nicht stellen. Doch vielleicht war es besser nicht mit ihm zu streiten. Nach seiner Kleidung und seinem Benehmen zu urteilen, schien er gut situiert zu sein.

Wenn ich es klug anstellte, könnte ich bestimmt das ein oder andere Sümmchen aus ihm herausschlagen.

Offenbar fand auch er, dass nun genug Smalltalk geleistet worden war, um endlich zur Sache zu kommen.

»Mein Name ist Ramírez. Béla Ramírez. Ich bin hier, weil ich sozusagen Ahnenforschung betreiben möchte.« Er lächelte leicht ironisch, doch sah ich, wie sich sein Gesicht straffte. Ich schwieg und ließ ihm Zeit, die richtigen Worte zu finden. »Ich komme nicht aus Kuba, wie Sie ja unschwer an meinem Akzent hören können. Ich bin in New York aufgewachsen. Brooklyn, um genau zu sein.«

»Sie sind dort aufgewachsen … will heißen?«

»Sie hören gut zu. Ich wurde hier geboren. Zumindest weist alles darauf hin. Meine leiblichen Eltern haben mich zur Adoption frei gegeben und ein sehr liebevolles Paar aus besagtem Brooklyn hat mich aufgezogen.«

»Wie alt waren Sie, als sie dorthin kamen?«

»Noch ein Säugling. Ein paar Wochen, nicht mehr. Ich habe also nicht die geringste Erinnerung.«

Ich nickte. »Verstehe. Wann haben Sie es denn erfahren? Also, dass Ihre Adoptiveltern nicht Ihre leiblichen sind?«

»Sehr früh, wie Sie sich denken können. Kinder sind nicht besonders verschwiegen. Es wurde mir in unschönen Worten beim Spielen auf der Straße mitgeteilt. Natürlich war auch mir schon aufgefallen, dass ich anders als die übrigen Kinder war. Nicht so schwarz, aber auch eben nicht so weiß. Ich habe dann meine Eltern darauf angesprochen und sie haben mir dann sehr kindgerecht erklärt, wie es dazu kam, dass sie so ganz anders aussahen als ich. Später, als ich älter wurde, haben sie mir dann den Rest erzählt, zumindest das Wenige, was sie wussten.«

Das klang spannend. »Und aus welchem Grund möchten Sie nun etwas über Ihre leiblichen Eltern erfahren? Ich meine, sind es einfach die Wurzeln, das Gefühl, nicht dazuzugehören? Sich nicht komplett zu fühlen?«

Er schüttelte den Kopf. »Das wäre das naheliegendste, nicht? Aber so war es tatsächlich nicht. Wissen Sie …« Er lächelte versonnen bei der Erinnerung. »Ich habe in meiner Kindheit so viel Liebe bekommen. Nicht nur von meinen Eltern, nein, man kann fast sagen von ganz Brooklyn. Natürlich gab es immer mal die ein oder andere Prügelei, aber glauben Sie mir …« Er blickte mir direkt in die Augen.

»Die meisten davon habe ich gewonnen.«

Das glaubte ich ihm sofort. Ich konnte ihn mir gut vorstellen, als sehnigen, zimtfarbenen Jungen, wie er im kühlen, nebligen New York mit fliegenden Fäusten großmäulige Esel und heimtückische Frettchen besiegte. Und sich mehr und mehr einen Namen machte.

»Liebe von der einen und Respekt von der anderen Seite, sí? Aber zurück zur eigentlichen Frage: Warum jetzt diese plötzliche Neugierde?«

»Meine Eltern sind vor einem halben Jahr verstorben. Ein Zugunglück.«

»Mein Beileid.«

Er zuckte die Schultern. »Das hätte ich Ihnen vorhin vermutlich auch wünschen sollen.«

Ich schluckte. Auf einmal erschien mir der Duft im Zimmer noch intensiver geworden zu sein. Ich schlug die Beine übereinander und setzte mich noch eine Spur gerader hin.

»Sie wollen sich also neue Eltern suchen, habe ich das richtig verstanden?«

Im selben Moment hätte ich mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Warum benahm ich mich wie eine fauchende Katze, nur weil er mich an Vater erinnert hatte? Vermutlich würde er gleich aufstehen und gehen. Doch er blieb. Zu meiner Überraschung sah ich in seinen dunklen Augen Verständnis aufblitzen.

»Jetzt habe ich Sie verärgert. Das tut mir leid. Und nein, ich möchte mir keine neuen Eltern suchen. Es gibt mehrere Gründe für mich. Unter anderem würde ich wirklich gerne wissen, wessen Blut in meinen Adern fließt. Wessen Erbgut, um es medizinisch auszudrücken.«

Ich blickte ihn erstaunt an. »Sind Sie Mediziner?«

»Ja. Dr. Ramírez, um genau zu sein. Ich habe mein Studium vor sieben Jahren beendet und eine Zeit lang in einem Armenhospital in Brooklyn gearbeitet.«

»Das ist großartig! Und nun wollen Sie sich hier niederlassen.«

Mein plötzlicher Eifer schien ihn zu überraschen. Kein Wunder, kannte er doch nicht die wenigen Ärzte hier in Havanna. Ein Grüppchen grauhaariger Männlein, die zwar einen Bruch schienen konnten, aber bei allem anderen noch auf Senfpflaster und stärkende Tonika schworen. Sodass ich bei Krankheiten mittlerweile lieber Opfergaben an die Santeras richtete. Was bisher auch stets erfolgreich gewesen war. Ein junger Arzt mit frischen Ideen und Wissen, das nicht aus dem letzten Jahrhundert kam, konnte nur eine Bereicherung für diese Insel sein.

»Ich hatte eigentlich nicht vor, mich hier niederzulassen.