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Dieses eBook: "Die Canterbury-Erzählungen (Canterbury Tales)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Die Canterbury-Erzählungen sind in eine Rahmenhandlung eingebunden, die von einer Pilgergruppe auf ihrem Weg von Southwark, einem Vorort von London, nach Canterbury handelt, wo sie das Grabmal von Thomas Becket in der Kathedrale von Canterbury besichtigen wollen. Der Wirt des Tabard Inn schlägt den dreißig Pilgern vor, auf dem Hin- und Rückweg je zwei Geschichten zu erzählen, und verspricht dem besten Erzähler als Preis eine Gratismahlzeit. Die Themen der Erzählungen variieren, handeln von der höfischen Liebe, von Verrat und Habsucht. Die Genres variieren ebenso, es gibt Romanzen, bretonische Lai (kurze rhythmische Erzählungen), Predigten und Fabeln. Die im Prolog eingeführten Figuren erzählen Geschichten von höchster kultureller Relevanz. Geoffrey Chaucer (1343-1400) war ein englischer Schriftsteller und Dichter, der als Verfasser der Canterbury Tales berühmt geworden ist.
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Berühmte mittelalterliche Geschichten von der höfischen Liebe, von Verrat und Habsucht
Wenn vom Aprillenregen mild durchdrungen Der Staub des März recht gründlich ist bezwungen Und so von Säften jede Ader schwillt, Daß aus dem Boden Blum' an Blume quillt, Wenn Zephyr dann mit seinem süßen Hauch In Wald und Haide jeden zarten Strauch Durchwehet; wenn der Strahl der jungen Sonnen Zur Hälfte schon dem Widder ist entronnen, Wenn lust'ge Melodie das Vöglein macht, Das offnen Auges schläft die ganze Nacht – So stachelt die Natur es in der Brust –: Dann treibt die Menschen auch die Wanderlust; Wallfahrer ziehen hin zu fernem Strande Zu Heiligen, berühmt in manchem Lande. Besonders sieht man aus den Gauen allen Von England sie nach Canterbury wallen Dem segensreichen Märtyrer zum Dank, Der sie errettet, als sie siech und krank.
Da traf sich's um die Zeit an einem Tag, Als ich im »Heroldsrock« zu Southwark lag, Mit frohem Muth und Gottergebenheit Nach Canterbury hinzuziehn bereit, Daß Abends in dasselbe Nachtquartier Verschiedne Leute – neunundzwanzig schier – Einkehrten; Zufall hatte sie gesellt; Auf Pilgerfahrt war Aller Sinn gestellt. Zu ziehn gen Canterbury war ihr Wille. Zimmer und Ställe boten Raum die Fülle; Wir konnten beßre Pflege nicht verlangen. Kaum daß die Sonne war zu Rast gegangen, Hatt' ich gesprochen schon mit Jedermann: Ich schlösse gern an ihren Zug mich an, Und morgen früh wär' ich bei guter Zeit Zur Reise (die ihr gleich vernehmt) bereit.
Doch da mir's nicht an Zeit und Raum gebricht, Scheint es, eh' ich erstatte den Bericht, Ganz in der Ordnung, daß ich von der Lage Und Art und Weise euch getreulich sage, Wie jeder mir erschienen in der Schaar, Weß Ranges, Standes und Geschäfts er war, Auch welche Kleidung trug so Weib als Mann. Mit einem Ritter fang' ich billig an.
Der Ritter war ein Mann, gar hochgeehrt, Der seit der Zeit, da er zuerst das Schwert Im Kampf zog, stets geglüht für Ritterthum, Freiheit und Wahrheit, Höflichkeit und Ruhm. Höchst angesehn in seines Fürsten Heer Hatt' er gekriegt weit in der Welt umher, Im Christenland und in der Heidenschaft Und steten Ruhm erjagt durch Muth und Kraft. Er war beim Falle Alexandria's Und über allen Landsmannschaften saß Er auf dem Ehrenplatz bei Tisch in Preußen; Er war gereist in Litthauen und Reußen: So oft war dort kein Christ von seinem Stand. Er hatte Algestras mit berannt In Granada –, Belmaria bekriegt, Satalia und Layas mit besiegt Und hatte selbst zur See, im Großen Meere, Ruhmvoll gekämpft in manchem stolzen Heere. In blut'gen Schlachten, funfzehn an der Zahl, Zu Tramissene im Turnier dreimal Stritt er für's Christenthum und schlug den Feind. Derselbe werthe Ritter zog vereint Zuweilen mit dem Herrn von Palatei Gegen die andern Heiden der Türkei. Stets ward der höchste Preis ihm zum Gewinn; Trotz solchen Ruhms war er von weisem Sinn; Wie eine Jungfrau sanft war er von Sitten, Und nie war ihm ein plumpes Wort entglitten, Im Leben nicht; grob ließ er Niemand an: Ein ganz vollendet edler Rittersmann. Doch um zu sagen auch von seiner Tracht: Sein Roß war gut; er selbst war sonder Pracht. Er trug ein Waffenkleid von Fries, beschmutzt Vom Rost des Panzerhemds und abgenutzt. Denn von der Reise kam er nur soeben, Um gleich sich auf die Wallfahrt zu begeben.
Auch war mit ihm sein Sohn, ein Junker gut, Das war ein muntres und verliebtes Blut. Kraus, wie gebrannt, trug er sein lockig Haar; Vermuth' ich recht, so zählt' er zwanzig Jahr. Von Körperbau war er fein schlank und lang, Von großer Kraft und von behendem Gang; Gekämpft auch hatt' er bei der Caval'rie In Flandern, Artois und der Picardie, Und – noch so jung – erworben solchen Namen, Daß er auf Gunst schon hoffte bei den Damen. Er war geputzt gleich einem Wiesengrund Mit roth und weißen Blumen, frisch und bunt. Er pfiff und sang, wo er nur mochte gehn; Frisch Wie der Maimond war er anzusehn. Trug kurz den Rock, die Aermel lang und weit, Saß schön zu Roß und ritt mit Sicherheit, Verstand sich wohl auf Dichten, Deklamiren, Auf Schreiben, Malen, Tanzen und Turnieren; So heiß war seine Liebe, daß die Nacht Er trotz den Nachtigallen stets durchwacht; Doch dienstbereit und höflich und bescheiden Pflegt' er bei Tisch dem Vater vorzuschneiden.
Ein Lehnsmann war sein einziger Begleiter – Auf Reisen liebt' er kein Gefolge weiter – Mit grünem Wams und Hut; im Wehrbehang Führt' er ein Bündel Pfeile scharf und blank; Mit Pfauenfedern war geschmückt ihr Bart. Gut hielt er sein Geschoß nach Schützenart, Daß nicht den Pfeil die Federn niederzogen; Er trug in seiner Hand 'nen mächt'gen Bogen. Sein Haar war rund gestutzt, braun sein Gesicht; Von jedem Waidmannsbrauch wußt' er Bericht; Mit blanker Schiene war sein Arm bewehrt, Und an der Seite hing ihm Schild und Schwert; Ein Messer sah man an der andern blitzen Mit schönem Griff und scharf wie Speeresspitzen, Ein silberner St. Christoph schmückt' ihm vorn Die Brust; an grünem Gurt trug er ein Horn; Ein Förster war er nach dem Augenschein.
Auch eine Priorin fand hier sich ein, Die war von einfach keuscher Freundlichkeit. »Beim heil'gen Ludwig!« war ihr größter Eid. Frau Eglantine wurde sie genannt; Die wohl sich auf den Messedienst verstand Und stets höchst lieblich durch die Nase sang. Französisch sprach sie auch mit feinem Klang, Wie man in Stratford es auf Schulen spricht; Französisch von Paris verstand sie nicht. Sie war geübt in feinen Tafelsitten, Nie ist ein Bissen ihrem Mund entglitten; Nie taucht' in Brühe sie die Finger ein; Schön nahm den Bissen sie und hielt ihn fein, Daß nie ein Tropfen auf die Brust ihr fiel; Höfische Sitte war ihr höchstes Ziel. Die Oberlippe wischte sie so rein, Daß, wenn sie trank, nicht der geringste Schein Von Fett zu sehen war an dem Pokal. Höchst fein benahm sie sich beim ganzen Mahl, Und außerdem war sie von heitern Sitten, Voll Anstand, guter Laun' und wohl gelitten. Des Hofes Art nach Kräften zu entfalten, War sie bemüht und stattlich sich zu halten, So daß man Ehrfurcht stets vor ihr empfand. Fragt ihr, wie es um ihr Gewissen stand? Mitleidig war sie, mild und sanft durchaus. Sie konnte weinen, wenn sie eine Maus Wund in der Falle oder todt gefunden. Man sah sie oft, wie ihren kleinen Hunden Sie Braten gab und Milch und Krümchen Brod; Und bitter weinte sie, war einer todt, Ja, schuf man nur durch einen Hieb ihm Schmerz. Sie war ein gar empfindlich sanftes Herz. Höchst zierlich war ihr Schleier aufgesteckt, Hellgrau ihr Aug', ihr Naschen fein gestreckt, Ihr Mund sehr klein und sanft und roth dabei, Und ihre Stirn vor allem schön und frei; Sie mochte breit fast einer Spanne sein; Denn überhaupt war sie von Wuchs nicht klein. Ihr Mantel war höchst säuberlich fürwahr Und von Korallen trug am Arm ein Paar Betschnüre sie, mit munterm Grün garniert, Und blank mit einem goldnen Schloß geziert, Drauf stand zu oberst ein gekröntes A Und drunter: Amor vincit omnia. Noch eine andre Nonne war dabei, Ein Priester auch, ihr Kapellan – die drei.
Ein Mönch auch war dabei, schön wie kein zweiter, Ein Waidmann von Passion und flotter Reiter; Männlich von Ansehn, eines Abtes werth. Er hatt' in seinem Stall manch nettes Pferd, Und wenn er ritt, so hörte man die Schellen An seinem Zügel hell im Winde gellen, Als wären es die Glöcklein der Kapelle, Wo dieser Herr Hausmeister war der Zelle. Die Regel des St. Maur und Benedikt Schien ihm schon etwas alt und gar zu strikt, Und alte Dinge ließ er gern in Ruh. Er steuerte dem neuen Zeitgeist zu, Gab um den Text nicht ein gerupftes Huhn, Der sagt, daß Waidwerk sei unheil'ges Thun, Und daß ein Mönch, der von der Regel weicht, Nur einem wasserlosen Fische gleicht – Das heißt ein Mönch, wenn außer dem Verschluß Er gab darum nicht eine taube Nuß. Und wie mir scheint, war diese Ansicht gut. Was? Sollt' er nur studiren und mit Wuth Stets in den alten Klosterschwarten wühlen? Sollt' er, wie Augustin befiehlt, sich Schwielen Arbeiten? Nun, was wird denn aus der Welt? Drum placke sich, wem Plackerei gefällt! So ward er denn ein rechter Sporenheld. Sein Windhund flog dem Vogel gleich durchs Feld Und galt es Rosse tummeln, Hasen hetzen, Schien nichts ihm theuer für dies Hauptergetzen. Mit feinstem Grauwerk, das im ganzen Land Zu finden, war verbrämt sein Aermelrand, Und unterm Kinne trug er die Kaputze Mit goldner Nadel zugesteckt zum Putze. Ein Liebesknoten saß an ihrem Knopf. Blank wie ein Spiegel war sein kahler Kopf, Glatt wie mit Oel gesalbt sein Antlitz auch: Feist war der Herr und wohlgenährt sein Bauch. Die Augen traten steif aus dem Gesicht; Das dampfte – ärger dampft ein Backhaus nicht. Die Stiefel fein, das Roß im höchsten Staat: Er war fürwahr ein stattlicher Prälat. Er sah nicht aus wie ein gequälter Geist; Gebratne Schwäne liebte er zumeist. Braun war sein Zelter wie die Beer' am Strauch.
Dann war ein Bettelmönch, ein muntrer Gauch, Noch da; man sah ihm nicht die Schalkheit an. In den vier Orden wüßt' ich keinen Mann, Der so geübt in schöner Redekunst. Bei jungen Weibern stand er sehr in Gunst; Viel Ehen sind durch ihn geschlossen worden, Ein starker Pfeiler war er seinem Orden. Bei den Freisassen rings im ganzen Land War er beliebt und meist genau bekannt Und in der Stadt bei manchen werthen Fraun. Denn in dem Beichtstuhl hat er mehr Vertraun Als (wie er selber sagte) der Vikar, Da er Licentiat im Orden war. Er hörte freundlich stets die Beichte an Und absolvirte höchst gefällig dann, Und wo er gute Spenden nur empfing, Da war auch seine Pönitenz gering. Denn wer der Armuth beizustehn beflissen, Hat sicherlich nicht viel auf dem Gewissen. So konnt' er denn zum voraus schon verkünden: Wenn Einer gab, ihn reuten seine Sünden: Denn mancher Mensch hat ein so hartes Herz, Daß er nicht weint, ist noch so groß sein Schmerz; Drum statt des Weinens und der frommen Lieder Genügt' ihm Silber für die armen Brüder.
Sein Kragen war stets voll von hübschen Dingen, Messern und Nadeln, schönen Fraun zu bringen. Auch seine Stimme war von gutem Klang; Er war geübt im Spiel und im Gesang. Und beim Erzählen trug er stets den Preis. Dann hatt' er einen Hals wie Lilien weiß Und war doch stark trotz einem Kriegeshelden. Die Schenken jeder Stadt könnt' er euch melden, Kellner und Küfer sind im ganzen Rund Mehr als die Bettler ihm und Krüppel kund. Auch ziemt sich's nicht für einen würd'gen Mann, Sich mehr, als er es nicht vermeiden kann, Mit solchem kranken Volke zu beschmutzen; 's ist nicht honnet und bringt auch keinen Nutzen. Viel besser ist als solches arme Pack, Wer was zu leben hat und Geld im Sack. Und überall, wo Vortheil er ersah, Stets höflich und bescheiden war er da. Er galt – denn Niemand war so tugendhaft – Als bester Bettler in der Brüderschaft. Ein Pachtgeld zahlt' er an sein Haus dafür: Kein andrer Bruder kam in sein Revier. Hatt' eine Wittwe keinen Schuh auch mehr, Sagt' er so süß sein: In principio her, Daß sie ihm noch den letzten Dreier gab; Mehr als sein Jahrgeld warf der Handel ab. Ereifert konnt' er bellen wie ein Spitz: Drum war er viel bei Schiedsgerichten nütz; Da sah ihm denn kein Mensch den Klostermann, Den armen Tropf mit schäb'ger Kutte an. Nein, wie ein Domherr, wie der Papst selbst trat Er auf in dickem wolligen Ornat. Steif wie 'ne Glocke stand um ihn das Kleid, Auch lispelt' er etwas aus Lüsternheit, So daß besonders süß sein Englisch klang. Wenn er die Harfe griff nach dem Gesang, So pflegt' er mit den Augen so zu zwinkern, Wie in der Winternacht die Sterne blinkern. Hubertus war der würd'ge Mönch genannt.
Ein Kaufherr dann in scheckigem Gewand Kam hoch zu Roß; er trug 'nen Zwickelbart Und einen Bieberhut nach fläm'scher Art; Die Stiefeln zugehakt, fein säuberlich; Er sprach voll Nachdruck und höchst feierlich. Stets blickte des Geschäfts Bedeutung durch. »Man müßte jedenfalls von Middelburg«, Meint' er, »bis Oriwell das Meer bewachen.« Viel Geld auch konnt' er an der Börse machen, Und seine Kunst betrieb er höchst gewandt. Man ahnte nicht, wie schief es mit ihm stand; So sicher wußt' er sein Geschäft zu führen Und Fordrung mit Kredit zu balanciren. Und in der That ein würd'ger Mann war dies. Doch weiß ich leider nicht mehr, wie er hieß.
Dann ferner kam von Oxford ein Scholar, Der Logik schon studirt manch liebes Jahr; Sein Klepper war so dürr wie eine Leiter Und traun, es war auch nicht sehr fett der Reiter; Hohläugig kam er mir und nüchtern vor, Und fadenscheinig war sein Rockelor. Noch ward ihm keine Pfründe zum Gewinn, Und für ein weltlich Amt fehlt' ihm der Sinn. Denn lieber sah er, wenn am Bett ihm stand Ein Bücherhauf in roth und schwarzem Band Von Aristoteles' Metaphysik, Als reiche Kleider, Kurzweil und Musik. Doch, mocht' er selbst der Weisheit Stein ergründen, In seinem Koffer war kein Gold zu finden. Was er etwa empfing von Freundes Hand, Ward auf gelehrte Bücher gleich verwandt, Und im Gebet pflegt' er für die zu flehn, Die zum Studiren ihn mit Geld versehn. Mit Sorg' und Eifer lernt' er fort und fort; Er sprach niemals ein überflüssig Wort, Und was er sprach, war würdig, gut gewandt Und kurz und scharf und immer voll Verstand. Er ließ sich stets in Sittensprüchen hören, Er lernte gern, doch mocht' er gern auch lehren.
Ein weiser Justitiarius war da, Den oft man an den Kirchenthüren sah. Besonnen war er, schlau und sehr gewandt, Höchst angesehn, mit Ehrfurcht stets genannt. So weise war sein Wort, so voll Gewicht, Daß er zum Vorsitz oft im Schwurgericht Durch ein Patent bestallt ward und ernannt Ob seiner Wissenschaft, die weltbekannt. Er hatte Geld und Roben ganze Haufen, Kein Mensch verstand sich so wie er auf's Kaufen; Denn ihm war Freigut jeglich Ding fürwahr, So daß kein Grund ihn zu verdächt'gen war. So eifrig war kein Zweiter noch wie er, Und war er eifrig, schien er's doch noch mehr. Er zählte jeden Spruch und Rechtsfall auf Bis zu des Königs Wilhelm Zeit hinauf; Dazu bracht' er ein Protokoll zu Stand, Daß man kein Pünktchen dran zu tadeln fand. Auswendig konnt' er jedes Rechtsstatut. Sein Rock war grau melirt, einfach, doch gut, Ein streif'ger Seidengurt darum geschlagen. Mehr will ich nicht von seinem Anzug sagen.
Ein Gutsherr ferner war in diesem Kreis, Sein Bart war stattlich und wie Maßlieb weiß; Vollblütig war sein Angesicht und roth; Er liebt' ein Gläschen Wein beim Morgenbrod. Vergnügen war ihm andere Natur; Er war ein echter Sohn des Epikur, Der ihn gelehrt: Vergnügtsein jederzeit Sei in der That vollkommne Seligkeit. Er hielt daheim ein glänzend großes Haus, Er war der St. Julian des ganzen Gau's. Sein Bier und Brod war kräftig stets und fein: In keinem Keller fand man bessern Wein. An Braten fehlt' es nie in seinem Haus, Von Fleisch und Fisch ging nie der Vorrath aus. Es schneite nur bei ihm von Trank und Speise Und Leckerbissen jeder Art und Weise, Und mit den Jahreszeiten jedesmal Ward auch gewechselt seiner Speisen Wahl. Manch fettes Rebhuhn hielt er im Gehäge, Hecht und Karauschen in des Teiches Pflege, Und weh! dem Koch, war seine Sauce nicht Scharf und pikant und schmackhaft das Gericht. In seiner Halle stand zu jeder Zeit Gedeckt die Tafel und zum Mahl bereit. Als Herr und Fürst beherrscht' er die Session, Oft war er Grafschafts-Deputirter schon. Ein Dolch und eine seidne Börse hing, Wie Milch so weiß, in seinem Gürtelring. Sherif und Landvoigt war er vor der Zeit, Kein besserer Vasall war weit und breit.
Dann war ein Zimmermann, ein Krämer hier, Ein Weber, Färber und ein Tapezier. Die waren einer Brüderschaft geweiht; Drum trugen alle sie ein gleiches Kleid. Man sah, es war noch neu und ungetragen. Auch war mit Messing nicht ihr Dolch beschlagen, Nein, ganz mit reinem Silber, blank und zart; Gürtel und Taschen von derselben Art. Sie schienen Bürger, würdig allzumal Der Rathsherrnbank in einem Gildesaal. Denn, sah man sie nach ihrem Wissen an, So paßte jeder sich zum Alderman, Und Hab und Gut war ihnen auch beschieden Und ihre Frauen wären's wohl zufrieden; Wären sie's nicht, so thäten sie nicht recht: »Madame« zu heißen, klingt fürwahr nicht schlecht. Und dann, wie schön, stets auf der Kirchentreppe Voranzugehn mit königlicher Schleppe.
Sie führten einen eignen Koch auch mit, Der Hühner briet, das Fett vom Knochen schnitt, Für Salz und Pfeffer sorgt' und für Galgant Und trefflich sich auf Londner Ale verstand. Er konnte rösten, schmoren, sieden, hacken Und Suppe kochen und Pasteten backen. Doch dünkte das mich um den Mann recht schade: Er hatt' ein Krebsgeschwür an seiner Wade –; Denn – Blanc-Manger bereitet' er am besten.
Ein Seemann war auch da, fern aus dem Westen Von Dartmouth kam er, irr' ich mich nicht sehr, Er schleppte sich auf einem Miethsgaul her; Sein falt'ger Rock ging bis zum Knie ihm schier. Ein Dolch hing ihm herab vom Bandelier, Das sich vom Nacken unterm Arm her wand. Die Sommersonne hatt' ihn ganz verbrannt. Er schien ein lustiger Gesell zu sein; Auf der Bordeauxfahrt hat manch Schlückchen Wein Er sich gezapft, indeß der Kaufmann schlief. Mit seiner Tugend stand's ein wenig schief, * * * * * * * * * * Doch in der Kunst, die Flutzeit aufzufinden, Durch Strömungen und Küsten sich zu winden, Nach Sonn' und Mond das Fahrzeug recht zu leiten, Gab es gleich ihm zur See nicht einen zweiten. Klug, denk' ich, war er und von kecker Art, Ihm hatte mancher Sturm gezaust den Bart. Die Häfen kannt' er wohl in jedem Meere Von Gotland bis zum Kap von Finisterre, Den spanischen und den breton'schen Strand: »Die Magdalene« war sein Schiff genannt.
Auch hatt' ein Doktor sich zu uns gesellt, Ein Arzt. Gewiß sprach keiner auf der Welt So klug von Medicin und Chirurgie. Er war gelahrt auch in Astronomie Und stundenlang übt' er des Patienten Geduld mit magischen Experimenten. Er wußte wirklich mit geschickten Händen Des Kranken Horoskop zum Glück zu wenden. Der Krankheit Grund sah er mit Leichtigkeit, Ob Kälte, Hitze, Trockniß, Feuchtigkeit, An welchem Ort erzeugt, aus welchen Stoffen. Er war als Praktiker unübertroffen. Hatt' er des Uebels Wurzel erst erkannt, Ward gleich die Medicin auch angewandt. Ein Apotheker war ihm stets zu Händen, Um Droguen und Latwergen ihm zu senden; Sie hatten durch einander viel gewonnen; Die Freundschaft hatte nicht erst jüngst begonnen. Die Alten kannt' er: Aesculap voran Und Dioscorides und Rufus dann, Hippokrates, Hali und Gallien, Serapion, Rasis und Avicen, Averrhois, Damascenus, Constantin, Bernard und Gatisden und Gilbertin. In der Diät liebt' er nicht Ueberfluß, Er gab nur solche Speise zum Genuß, Die nahrhaft war und leicht zu digeriren. Nicht pflegt' er viel die Bibel zu studiren. Blutroth und blau liebt er sich anzuziehn, Mit Tafft gefüttert und mit Levantin. Nicht ein Verschwender war darum der Mann, Er sparte, was er in der Pest gewann. Gold gilt dem Arzt als ein Specificum, Ausnehmend liebte er das Gold darum.
Ein gutes Weib war da; sie war nicht weit Von Bath; doch etwas taub, das that mir leid. Als Tuchfabrik war so berühmt ihr Haus, Sie stach am Markte Gent und Cypern aus. Kein Weib im Kirchspiel, die sich unterfing, Daß sie vor ihr zum Messehören ging. Und that es Eine, wurde sie so schlimm, Daß sie der Andacht ganz vergaß vor Grimm. Höchst prächtig saß ihr auf dem Kopf der Bund, Ich schwöre traun, er wog beinah zehn Pfund, Zum mindesten, wie sie ihn Sonntags trug. Die Strümpfe waren scharlach, fein genug Und saßen stramm, die Schuhe neu und dicht. Rothbäckig, frisch und keck war ihr Gesicht. Ein wackres Weib ihr Lebelang sie war. Sie führte schon fünf Männer zum Altar; Wie sie sich sonst ergetzt in jüngern Tagen, Davon will ich für jetzt nichts weiter sagen. Dreimal ist sie zum heil'gen Grab gezogen, Durchschiffte manches fremden Stromes Wogen, War in Bologna, war im heil'gen Rom, War in St. Jago und im Kölner Dom. Sie hatte viel erlebt auf Wanderschaft; Doch wahr zu reden, sie war leckerhaft. Sie ritt auf einem Zelter leicht und gut Mit hübschem Schleier. Auf dem Kopf ihr Hut War wie ein Schild, wie eine Tartsche breit; Um ihre Hüften lag der Mantel weit, 'nen scharfen Sporn trug sie an jedem Fuß. Sie lacht' und schwatzte nach dem ersten Gruß. Mit Liebestränken wußte sie Bescheid; Denn sie verstand den Spaß aus frührer Zeit.
Ein guter Mann aus heil'gem Stand war dort; Ein Pfarrer war's aus einem kleinen Ort; Arm, und doch reich an Werken und Gedanken. Er war gelehrt und wollte sonder Wanken Das Evangelium Christi treu erklären Und die Gemeinde frommen Sinns belehren. Wohlwollend war er, immer dienstbereit Und voll Geduld in Widerwärtigkeit. Das zeigt' er oft, wenn schwer er ward versucht. Um seinen Zehnten hat er nie geflucht. Nein, lieber schenkt' er selber voll Erbarmen Von den Gebühren noch den Kirchspielarmen, Ja selbst von seinem eignen Hab' und Gut. Bei Wen'gem lebt' er mit vergnügtem Muth. Weit war sein Kirchspiel und fernhin zersplittert Und doch, wie sehr es regnet und gewittert, Blieb er bei Siechthum und bei Mißgeschick Die Fernsten zu besuchen nicht zurück – Zu Fuß, in seiner Hand den Wanderstab. Das Beispiel, das er der Gemeinde gab, War, erst zu handeln und hernach zu lehren. So pflegt' er Gottes Worte zu erklären. Und dieses Gleichniß knüpft' er noch daran: »Wenn Gold verrostet, was thut Eisen dann? Denn, ist ein Priester schlecht, dem wir vertraun, Wie darf man erst auf simple Laien baun! Und schmählich, wenn es so befunden wird, Daß rein die Herde, doch voll Schmuz der Hirt. Der Priester sollte stets ein Beispiel geben Von Reinheit, daß die Schafe danach leben.«
Auch gab er seine Pfründe nicht auf Pacht, Verließ die Herde nicht in Sumpf und Nacht, Um selbst nach London und St. Pauls zu laufen Und einen Seelenmessedienst zu kaufen. Er zog auch nicht mit Brüderschaften aus, Er blieb daheim und nahm in Acht das Haus, Daß sich kein Wolf in seinen Stall verirrte; Er war kein Miethling: nein, ein guter Hirte. Und, war er gleich ein frommer, heil'ger Mann, So ließ er doch nicht hart den Sünder an, Nie war sein Wort voll Hochmuth, nie voll Wuth, Nein, schonend war er stets und sanft und gut; Die Reuigen dem Himmel zu gewinnen Durch gutes Beispiel, war sein ganzes Sinnen. Nur, wenn er einen ganz verstockten fand, – War er von niederm oder hohem Stand – Dem wollt' er die Leviten scharf verlesen: Ein beßrer Priester traun ist nicht gewesen. Er haschte nicht nach Pomp und Eitelkeit, That mit Gewissensskrupeln sich nicht breit, Was Christus sammt den zwölf Aposteln sprach, Das lehrt' er; doch zuerst that er danach. Ein Pflüger war mit ihm; das war sein Bruder. Der hatte Mist geladen manches Fuder, Und plackte redlich sich, war treu und gut Und lebte fromm und mit zufriednem Muth. Er liebte Gott zuerst von ganzem Herzen, Zu jeder Zeit, ja selbst in Noth und Schmerzen Und seinen Nächsten wie sich selbst alsdann. Er wollte gern für jeden armen Mann Um Christi willen, ohne Lohn zu haben, Wenn er's vermochte, dreschen oder graben. Den Zehnten zahlt' er pünktlich jederzeit Von seiner Hab' und seiner Handarbeit. Auf einer Stute ritt er, und im Kittel.
Noch war ein Müller und ein Kirchenbüttel, Ein Ablaßkrämer und Verwalter hier, Ein Stiftsfaktor und ich, das waren wir.
Der Müller war ein Kerl von tücht'gem Mark, Von Muskeln und von Knochen mächtig stark. Das zeigt' er wohl: In jedem Ringerkreis Trug er den Hammel stets davon als Preis; Ein dicker Knorr, kurz, in den Schultern breit, Hob jede Thür aus und mit Leichtigkeit, Ja rannte sie wohl mit dem Schädel ein. 'nen Bart hatt' er, ganz fuchsroth, wie ein Schwein, Breit wie ein Spaten unten abgeschnitten, Und recht auf seiner Nasenspitze Mitten Stand eine Warze, Haare drauf, genau Wie Borsten an den Ohren einer Sau. Die Nasenlöcher waren schwarz und wild Und an der Seite trug er Schwert und Schild. Weit wie ein Ofen that sich auf sein Mund, Und schwadroniren konnt' er aus dem Grund. An Schmuz und Zoten hatt' er sein Ergetzen; Er stahl das Korn und nahm dreimal die Metzen. Bei Gott, sein Daumen machte Gold und Grütze, Er ging in weißem Rock und blauer Mütze. Den Dudelsack verstand er gut zu blasen Und bracht' uns schier durch die Musik zum Rasen.
Ein art'ger Schaffner war auch da vom Tempel, Den nehme jeder Käufer zum Exempel, Der billig gern für gute Speise sorgte, Denn ob er baar bezahlte, ob er borgte, Er zeigte sich im Einkauf so gewandt, Daß er dabei sich immer reicher fand. Nun, ist das eine Gnade nicht von Gott, Daß solches schlichten Mannes Witz zu Spott Die Weisheit vieler Hochgelahrten macht? Er hatte mehr als dreißig Herr'n in Acht Zu nehmen, Rechtsgelehrte, höchst gescheidt, Davon ein gutes Dutzend jederzeit Geschickt verwaltet hätten Rent' und Land Für jeden großen Herrn in Engelland, Daß er vom eignen Erbgut ehrenvoll Und schuldenfrei – macht' er's nicht gar zu toll – Oder so sparsam lebte, wie er wollte Und, wenn das Unglück sich ereignen sollte, Aus Noth befreien einen ganzen Kreis – Die führte der Herr Schaffner all' auf's Eis.
Dann der Verwalter, hagerer Statur Und glatt rasirt, cholerisch von Natur. Sein Haar war um die Ohren weggeputzt Und vorn wie bei den Priestern kurz gestutzt. Höchst dürr und länglich war sein Lendenpaar Wie Hopfenstangen: Waden unsichtbar. Speicher und Böden hielt er so im Stand, Daß der Revisor nichts zu mäkeln fand. Wohl konnt' er nach der Trockniß und dem Regen Schon den Ertrag der Saat vorher erwägen. Des Herren Rosse, Rinder, Schäferei, Geflügel, Schweine, Kornhaus, Milcherei – Darüber mußte er Verwaltung pflegen Und laut Kontrakt alljährlich Rechnung legen, Seitdem sein Brodherr zwanzig Jahr alt war, Und immer stimmt' es ohne Rest auf's Haar. Nicht wagten Büttel, Hirt noch Knecht zu sagen, Was er mit List und Ränken unterschlagen; So lebten sie vor ihm in Angst und Graus. Er hatt' auf einer Haid' ein schönes Haus; Von Bäumen grün umschattet war der Ort. Er kaufte immer besser als sein Lord. Er war mit eignem Vorrath wohl versehn, Verstand dem Herrn fein um den Bart zu gehn Und lieh und gab ihm von dem eignen Gut, Nahm Dank dafür und doch noch Rock und Hut. Ein gut Geschäft lernt' er in jungen Jahren: Er war im Zimmerhandwerk wohl erfahren. Auf einem Apfelschimmel kam er an, Auf einem tücht'gen Gaul. Scott hieß der Mann. Er ritt in langem blauen Oberkleide Und trug ein altes Schwert mit rost'ger Schneide. Von Norfolk war er, wie mir wohl bekannt, Aus einer Stadt, die Baldeswell genannt. Er war geschürzt gleich einem Klostermann Und ritt im Zuge immer hintenan.
Der Büttel dann vom geistlichen Gericht Mit feuerrothem Cherubimsgesicht, Die Augen klein, die Haut unrein und grützig; Kein Sperling war so lüstern und so hitzig. Mit schäb'gem Bart und kahlen Augenbraun War sein Gesicht der Kinder Schreck und Graun. Nicht Schwefel, Bleiweis, Tartarustinktur, Nicht Borax und Latwerge noch Merkur, Noch all die Salben, die am schärfsten ätzen, Konnten die Mäler aus dem Antlitz wetzen Oder die dicken Beulen von den Backen. Er mochte gern sich Lauch und Zwiebeln hacken Zum Wein; er liebt' ihn stark und roth wie Blut; Dann schwadronirt' und schrie er wie in Wuth. Und war er erst recht voll von süßem Wein, Dann sprach kein andres Wort er als Latein. Zwei bis drei Phrasen hatt' er wo erwischt, Die wurden stets von neuem aufgetischt. Kein Wunder; hört' er's doch den ganzen Tag. Ihr wißt ja wohl, auch eine Elster mag Gelehrt parliren just wie ein Prälat. Doch wenn man ihm ein wenig näher trat, Dann war auch gleich zu Ende sein Latein; Dann konnt' er nur: Quaestio quid juris? schrein. Er war ein höflich, freundlich Stück Gesinde, Ich zweifle, daß man einen bessern finde. Er ließ auch gerne für ein Fläschchen Wein Bei lust'gen Burschen fünfe grade sein, Hielt Einer auch ein Jahr bei sich 'nen Schatz. Ganz insgeheim rupft' er auch einen Spatz: Er sagte wohl zu lustigen Gesellen: »Ihr müßt euch nicht gleich so gefährlich stellen, Wenn wirklich auch es Kirchenflüche blitzt – Wenn nicht die Seel' euch in der Börse sitzt. Die Börse freilich ist die Marterstelle, Die Börs' ist des Archidiakon's Hölle.« Doch das sind lügnerische Prahlerein: Vor Flüchen muß in Angst ein Sünder sein. Ein Fluch verdammt, wie Segnungen erlösen. Auch ein Significavit ist vom Bösen.
Auf seine eigne Trift nahm er die Schaar Der jungen Dirnen, droht' einmal Gefahr, Und gerne ward sein guter Rath benutzt. Mit einem Kranz hatt' er sein Haupt geputzt, So groß wie man sie sieht an Bierhausladen, Und statt des Schildes trug er einen Fladen.
Mit ihm kam auch der Ablaßkrämer an Von Ronceval, sein Freund und sein Kumpan. Er war aus Rom gekommen noch nicht lange Und sang: »Komm, Liebe, daß ich dich umfange!« Der Büttel ließ dazu den Grundbaß brummen, Dagegen jede Orgel muß verstummen. Des Krämers Haar – es war so gelb wie Wachs – Hing schlaff in Streifen wie gekämmter Flachs. Lothweise ließ er es von beiden Seiten Sich über seine Schultern hin verbreiten. Dünn lag es, hie und da ein kleiner Zopf; Aus Eitelkeit blieb unverhüllt sein Kopf. Die Schaube lag verpackt im Mantelsack. Er meint', er ritt' im neuesten Geschmack. Auf losem Haar saß nur die Mütze trotzig; Er hatte Hasenaugen, starr und glotzig. Ein heil'ges Schweißtuch hatt' er angesteckt. Sein Mantelsack lag vor ihm ausgestreckt Randvoll von röm'schem Ablaß, frisch und heiß. Ein feines Stimmchen hatt' er wie 'ne Geiß. Von seinem Barte wurd' er nicht genirt; Er war so glatt, als wär' er erst rasirt. Ein Wallach war er oder eine Stute. Doch sein Geschäft war auf der ganzen Route Von Berwick bis nach Ware weitaus das beste. Aus eines alten Bettbezuges Reste Macht' er den Schleier, den Maria trug. Ein Stück auch zeigt' er von dem Segeltuch, Womit St. Petrus auf dem Meere ging, Bis Christus ihn in seinem Arm empfing. Er hatt' ein Kreuz von Tomback voll von Steinen, In einem Glase Knochen auch von Schweinen. Mit den Reliquien, wenn fern im Land Er einen armen Pfarrer wohnen fand, Nahm er mehr Geld ab solchem armen Mann, Als jener in zwei Monaten gewann. So machten Trug und Faxen solches Laffen Den Pfarrer und das Volk zu seinem Affen. Er war gleichwohl, die Wahrheit zu gestehn, Als Prediger berühmt und angesehn. Er las geschickt Episteln und Historien Und sang am allerbesten Offertorien. Er wußte wohl, daß gleich nach dem Gesang Die Predigt folgt, und gierig nach dem Klang Des Silbers wetzt' er kräftig seine Zunge Und sang sein Lied in lautem kräft'gem Schwunge.
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So gab ich euch denn in der Kürze kund Den Stand, die Tracht, die Zahl und auch den Grund, Warum zu Southwark solcher Gäste Schaar Versammelt in der netten Schenke war, Die » Heroldsrock« man nennt; sie liegt ganz dicht Neben der Glocke. Jetzt geb' ich Bericht, Wie wir, nachdem wir eingekehrt, die Nacht Im Wirthshaus mit einander zugebracht. Hernach erzähl' ich dann von unsrer Reise Und unsrer ganzen Wallfahrt Art und Weise. Doch bitt' ich erst von eurer Höflichkeit, Daß ihr es nicht als Ungezogenheit Mir auslegt, muß ich euch ganz einfach sagen, Wie Jeder sprach und wie er sich betragen, Und halt' ich treu an ihre Worte mich; Denn selber wißt ihr ja so gut wie ich, Daß, wenn man einem Andern nacherzählt, Man pflichtgemäß dieselben Worte wählt Wie Jener und sich möglichst an ihn lehnt, Und spräch' er noch so roh und lang gedehnt. Sonst müßte man die Wahrheit ja verhehlen, Vieles erfinden oder neu erzählen. Auch nicht dem eignen Bruder zu gefallen Verschweige man ein einzig Wort von allen. Selbst Christus in der heil'gen Schrift sprach breit Und sicher nicht aus Unbeholfenheit. Auch Plato sagt (für die, so ihn verstehn): Verschwistert müssen Wort' und Thaten gehn. Und ferner bitt' ich, mir es zu vergeben, Hab' ich nicht Jedem seinen Platz gegeben, Der ihm gebührt nach Rang und Würdigkeit; Denn leider reicht mein armer Witz nicht weit.
Der Wirth hatt' es uns recht bequem gemacht Und uns alsbald das Abendbrod gebracht. Die Speisen waren sämmtlich von den besten; Der Wein war stark und schmeckte gut den Gästen, Und unser Wirth nahm stattlich gnug sich aus Für einen Marschall im vornehmsten Haus. Von breitem Wuchs, mit steifem Augenpaar; Kein schmuckrer Bürger ist in Chepe fürwahr. Keck war sein Wort und klug und wohl durchdacht; Nichts fehlt' ihm, was den Mann zum Manne macht. Er war zudem auch ein recht heitrer Mann Und gleich nach Tisch fing er zu spaßen an. Wir eilten unsre Zeche zu entrichten, Da gab er uns die lustigsten Geschichten Und sprach zuletzt: »Herrschaften, ohne Scherzen, Willkommen heiß' ich euch von ganzem Herzen; Denn, meiner Treu' ich lüge nicht, es war So werthe Kompanei dies ganze Jahr Zusammen nicht in meinem Haus wie jetzt. Wüßt' ich nur wie, ich hätt' euch gern ergetzt. Auf sondre Kurzweil bin ich recht bedacht, Die euch gefällt und keine Kosten macht. Ihr geht nach Canterb'ry; mag Gott euch lenken, Der heil'ge Märtyrer euch Gnade schenken. Und sicherlich, ihr werdet auf dem Weg Die Zeit verthun mit Scherz und mit Gespräch. Denn das kann wahrlich kein Vergnügen sein, Stumm vor sich hinzureiten wie ein Stein. Drum möcht' ich euch erheitern, wie gesagt, Und etwas thun, was Jedermann behagt. Wenn ihr es sämmtlich euch nicht laßt verdrießen, Einmüthig meinem Rath euch anzuschließen, Und – wenn wir ausziehn mit dem frühsten Tage – Alles genau zu thun so wie ich sage, Dann schlagt (ich schwör's bei meines Vaters Grab), Wenn ihr nicht lustig seid, den Kopf mir ab. Nun hebt die Hand aus ohne mehr zu sagen.«
Wir brauchten weiter nicht herum zu fragen, Wir wußten Beßres doch nicht zu ermitteln, Gaben ihm Beifall ohne viel zu kritteln Und baten ihn, sein Urtheil kund zu thun.
»Herrschaften«, sprach er, »gebet Achtung nun; Doch bitt' ich sehr, daß Keiner mich verlache; Denn klar und baar ist dies die ganze Sache, Daß Jeder von euch, um den Weg zu kürzen, Die Reise soll mit zwei Geschichten würzen, Zwei auf dem Weg nach Canterbury hin Und zwei erzählen, wenn wir heimwärts ziehn. Ihr mögt zum Stoff ein Abenteuer wählen, Und wer von euch am besten wird erzählen, Wer sich hervorthut vor der ganzen Zahl Durch guten Witz und treffende Moral, Der soll ein Abendbrod auf Aller Kosten Empfahn auf diesem Platz, an diesem Pfosten, Wenn wir von Canterbury wiederkehren. Denn um die Lustigkeit noch zu vermehren, Will herzlich gern ich selber mit euch reiten, Ganz für mein eigen Geld und euch geleiten, Und wagt Wer, meinem Wort zu widersprechen, Der zahlt für uns des ganzen Weges Zechen. Nun sagt mir ohne viel Weitschweifigkeit, Ob mit dem Plan ihr einverstanden seid; Dann rüst' ich mich dazu bei guter Zeit.« Wir stimmten ein und schworen unsern Eid Mit frohem Herzen; ja, wir baten ihn, Er möchte sich der Mühe unterziehn Und übernehmen die Kommandantur, Unsrer Geschichten Urtheil und Censur, Den Preis bestimmen für das Abendessen Und Alles regeln ganz durch sein Ermessen; In Groß- und Kleinem mit Einstimmigkeit Sei'n wir zu folgen seinem Wort bereit. Nun ward zum Abendtrunk der Wein gebracht. Wir tranken noch, sagten uns gute Nacht, Und rasch zu Bette ging dann Jedermann.
Als früh der Tag zu dämmern nur begann, Auf sprang der Wirth – er war der Hahn des Zugs – Und sammelte die ganze Herde flugs.
In etwas scharfem Paß ging es dann fort, Bis wir erreicht St. Thomas' Badeort. Da hielt der Wirth zuvörderst an sein Pferd Und sprach: »Ihr Herrn, wenn's euch beliebt, so hört. Wenn ihr euch euers Worts gleich mir besinnt Und Nacht- und Morgenlied im Einklang sind, Laßt sehn, wer wird zuerst sein Märlein sagen.
Es war einmal, wie alte Sagen melden, Ein Herzog; Theseus nannte man den Helden. Herr und Gebieter war er von Athen, Als Krieger seiner Zeit höchst angesehn; Es war kein größrer in der Welt bekannt. Erobert hatt' er schon manch reiches Land. Mit List und Tapferkeit hat er bekriegt Das Weiberreich und endlich ganz besiegt, Das weiland ward geheißen Scythia. Die junge Königin Hippolyta Führt' er als Gattin heim aus diesem Streit Mit vielem Pomp und großer Festlichkeit. Emilie zog mit ihr, ihr Schwesterlein. So im Triumph mit Siegesmelodei'n Mag nach Athen der edle Herzog reiten Und all sein Heer in Waffen ihn begleiten.
Ja, hielt' es mich nicht gar zu lange auf, Erzählt' ich gern den völligen Verlauf, Wie Theseus sich mit ritterlicher Macht Das Reich der Weiber unterthan gemacht; Auch von den großen Schlachten würd' ich sagen, Worin die Amazonen er geschlagen; Und wie belagert ward Hippolyta, Die tapfre Königin von Scythia; Wie ihre Hochzeit festlich ward begangen Und von dem Tempel, da sie ward empfangen. Doch Alles dies muß ich zur Seite stellen: Ich hab' ein großes Feld noch zu bestellen, Und schwach nur sind die Stier' an meinem Pflug; Meine Geschichte ist noch lang genug. Auch will ich keinen der Gesellschaft hindern Und seine Zeit ihm zum Erzählen mindern. Laßt sehn, wer wird das Abendbrod gewinnen, Drum wo ich abbrach, will ich neu beginnen.
Der Herzog, dessen ich Erwähnung that, Als er beinahe schon die Stadt betrat In hohem Muth, mit Siegesglanz geschmückt, Gewahrt, da er zur Seite grade blickt, Wie eine Damenschaar in einer Reih' Am Weg hin knieet, immer zwei und zwei Hinter einander, schwarz gekleidet alle. Sie schrei'n und jammern mit so lautem Schalle: Kein Mensch auf Erden kann in Wahrheit sagen, Er hörte je so jammerhaftes Klagen. Und nimmer wollten sie vom Schreien lassen, Sie mußten erst des Herzogs Zügel fassen. »Wer seid ihr, die den festlichen Empfang Ihr so mir stört mit Schrei'n und Klaggesang?« Sprach Theseus, »treibt Mißgunst etwa und Neid Auf meinen Ruhm euch, daß ihr also schreit? Hat Jemand euch mißhandelt und beleidigt, So sprecht! Wohl findet sich, der euch vertheidigt. Und weshalb habt ihr schwarze Kleider an?«
Worauf die älteste der Schaar begann – Todtbleich, sie konnte kaum vor Ohnmacht stehn; Ein Jammer war's zu hören und zu sehn –: »O Herr, dem das Geschick ein glorreich Leben Und Sieg und Ruhm in Fülle hat gegeben, Nicht neiden wir dir deine Kriegesehren, Doch flehen wir uns Beistand zu gewähren. Habe mit unserm Mißgeschick Erbarmen Und laß aus Edelmuth, zum Trost uns Armen, Ein Tröpfchen Mitleid auf uns niederfallen. Denn, Herr, es ist hier keine von uns Allen, Die Königin nicht oder Fürstin war. Jetzt sind wir eine jammerhafte Schaar. Wohl sorgt dafür Fortuna's falsches Rad, Daß keines Standes Glück Bestehen hat. So haben wir, um dir uns vorzustellen, Hier an der Göttin Gnade Tempelschwellen Schon volle vierzehn Tage zugebracht. Nun hilf uns, Herr, es liegt in deiner Macht. Ich Aermste, jetzt in Thränen und in Qual, War einst des Königs Kapaneus' Gemahl, Der fiel vor Theben; Fluch auf jenen Tag! Und Alle, die wir jetzt in Ungemach Mit Wehgeschrei bestürmen deine Ohren, Wir haben unsre Männer dort verloren, Als unser Heer vor jener Veste lag. Nun ließ der alte Kreon – Weh der Schmach! – Der Herr und Fürst von Theben ist zur Zeit, Erfüllt von Haß und Ungerechtigkeit, Er ließ, um seiner Tyrannei zu fröhnen Und noch die todten Leiber zu verhöhnen, Die Leichen unsrer Herrn, die dort erschlagen, Auf einen Haufen hoch zusammentragen, Und will in keiner Weise jetzt gestatten, Sie zu verbrennen oder zu bestatten, Nein, giebt den Hunden sie zum Fraß aus Hohn.«
Und kaum gesagt, so lagen Alle schon Platt auf dem Grund und schrieen jämmerlich: »Erbarme der elenden Frauen dich Und laß ins Herz dir unsern Kummer dringen.« Und rasch vom Roß sah man den Herzog springen; Ihr Wort ergriff sein mitleidsvolles Herz; Er wähnt', es müsse brechen ihm vor Schmerz, Als er, die jüngst noch waren so beglückt, So elend sah und so von Noth bedrückt. Er hob sie auf, umfing sie mit den Armen, Tröstete sie mit herzlichem Erbarmen Und schwor 'nen Eid bei seiner Ritterschaft, Er wolle gleich aufbieten alle Kraft, An dem Tyrannen Kreon sie zu rächen. Das ganze Volk der Griechen solle sprechen, Es sei von Theseus Kreon so bedient, Wie Einer, der den Tod mit Fug verdient. Und eiligst, ohne mehr sich aufzuhalten, Ließ er gen Theben sein Panier entfalten Und machte Kehrt mit seinem Heerestroß. Er wollte jetzt zu Fuß nicht, noch zu Roß Heimziehn. Es wurde kaum nur Rast gemacht. Er zog des Weges fort dieselbe Nacht, Sandte die Königin Hippolyta Zusammt der schönen Maid Emilia In ihre neue Heimat nach Athen Und ritt davon, ohne sich umzusehn.
Mars' rothes Bild erstrahlt mit Schild und Lanze Im weißen Banner breit mit solchem Glanze, Daß auf und ab es flimmert durch das Feld, Und die Standarte, dem Panier gesellt, Zeigt Kreta's Minotaur aus Gold geschlagen In voller Pracht, den Theseus einst erschlagen. So ritt der Fürst, der Held im Siegesruhme, Des eignen Ritterheeres schönste Blume, Bis er gen Theben kam, wo er ein Feld Sich auswählt, das zum Kampf er passend hält. Doch, weitrer Worte mich zu überheben, Er ficht mit Kreon selbst, dem Herrn von Theben, Erlegt ihn ritterlich in offner Schlacht, Jagt in die Flucht die ganze Heeresmacht, Nimmt auch mit Sturm die Festung selbst hernach, Reißt Wall und Mauer ein und Dach und Fach Und giebt die Leichen dann den Damen allen Von ihren Eheherrn, die dort gefallen, Sie zu bestatten nach dem Brauch der Zeit.
Doch führte die Erzählung mich zu weit, Wollt' ich vom Jammer und den Weheklagen Der Frauen an dem Scheiterhaufen sagen, Oder der großen Ehre, die den Damen, Als Abschied sie von ihm zu nehmen kamen, Theseus erwies, der edle Siegesheld. Auf Kürze hab' ich meinen Sinn gestellt.
Als so des werthen Herzogs Theseus Hand Kreon erlegt und Thebens Stadt verbrannt, Hat er die Nacht gerastet auf dem Plan Und mit dem Land, wie ihm beliebt, gethan. Die Marodeure übten nach der Schlacht Mit Eifer ihr Geschäft und mit Bedacht: Im Leichenhaufen wühlten sie umher, Und plünderten die Kleider und die Wehr. Und so geschah es, daß mit schweren Wunden Bedeckt ein Jünglingspaar dort ward gefunden, Zwei Ritter bei einander liegend, beide In gleichem reich geschmückten Kampfgeschmeide. Der eine hieß Arcitas, wie sich fand, Der andere war Palamon genannt. Man konnte lebend nicht noch todt sie nennen; Doch waren sie am Wappenrock zu kennen. Der Herold konnte ganz bestimmt erklären, Daß von Thebanschem Königsblut sie wären, Söhne von Schwestern aus dem Königshause; So zog man sie denn aus dem Leichengrause Und trug sie sänftlich in das Feldherrnzelt Des Theseus, der für sie kein Lösegeld Annahm, vielmehr sie nach Athen zur Haft Hingab und ewiger Gefangenschaft. Und als der werthe Herzog dies gethan, Nahm er sein Heer und ritt heimwärts die Bahn Mit Lorbeer als ein Siegesheld bekränzt. Da lebt er nun von Freud' und Ruhm umglänzt Sein Lebelang. Was soll ich weiter sagen?
Im Burgverließ mit Kummer und mit Klagen Wohnen daselbst Arcit und Palamon Für immer. Gold erlöst sie nicht davon.
Und Tag' und Jahre gingen so vorbei, Bis eines Morgens es geschah, im Mai, Daß sie, die schöner als die Lilie Auf grünem Schaft zu schaun, Emilie, Frischer als Maienblüthen, jüngst erschlossen (Denn mit der Rose Roth war sie umgossen; Ich weiß nicht, wer von beiden schöner war) Noch vor dem Tag aufstand, wie immerdar Sie pflegte; völlig war sie angezogen. Der Mai ist trägen Schläfern nicht gewogen, Er stachelt jedes zarte Herz mit Macht Und weckt es aus dem Schlafe noch bei Nacht Und spricht: Steh auf, mir Huldigung zu schenken. Dieß ließ Emilien auch daran denken, Dem Mai zu huldigen und aufzustehn. In sauberm Kleid war frisch sie anzusehn, In Flechten hing der blonden Haare Zier Hinten herunter eine Elle schier. So trieb sie, da die Sonne aufgegangen, Im Garten zu lustwandeln ihr Verlangen. Sie sammelte sich Blumen roth und weiß, Flocht für ihr Haupt sich einen Kranz mit Fleiß Und wie ein Engel sang sie himmlisch süß. Der große Thurm, des Schlosses Burgverließ Mit starken Mauern, dick und riesenhaft, (Die beiden Ritter saßen dort in Haft, Davon mein Lied noch ferner giebt Bericht) Er grenzte an des Gartens Mauer dicht, In dem bei ihrem Spiel Emilie war.
Hell war die Sonne und der Morgen klar, Als Palamon in Haft und tiefem Gram Von seinem Kerkermeister Urlaub nahm. Zu einer Kammer hoch hinaufzugehn, Von wo die ganze schöne Stadt zu sehn Und auch der Garten mit den grünen Bäumen. Dort ging Emilie in den luft'gen Räumen, Die frische, klare, spielend auf und ab. Und Palamon, in seines Kerkers Grab Ging traurig hin und wieder durch die Kammer Und klagte zu sich selbst in Noth und Jammer: »Weh, daß ich je das Licht der Welt erblickte!«
Da fiel (ich weiß nicht, ob es Zufall schickte) Durch seines Kerkers dichte Eisenbarren, Die vor dem Fenster lagen breit wie Sparren, Es fiel sein Blick hin auf Emilia; Da fuhr er auf und schrie erschrocken: Ah! Als wär' ein Stich ihm durch das Herz gedrungen.
Arcit, der bei dem Schrei emporgesprungen, Rief: »Vetter mein, was faßt dich für ein Graus? Du siehst so bleich und todtenähnlich aus. Was schreist du so? Wer thut dir was zu leid? Um Gotteswillen, mit Ergebenheit Laß uns die Haft, die nicht zu ändern, tragen, Da uns das Schicksal einmal so geschlagen. Ein widriger Aspekt, der böse Blick Saturns hat uns gebracht dies Mißgeschick. So stand der Himmel schon, als wir geboren, Und hätten wir dagegen uns verschworen, Wir müßten's tragen; anders ist es nicht.«
Und Palamon antwortet ihm und spricht: »Mein lieber Vetter, laß die Rede sein: Ganz falsche Dinge bildest du dir ein. Nicht dies Gefängniß ließ mich also schrein; Verwundet ward ich durch das Auge mein Tief in das Herz, daß ich dem Tode nah. Die Schönheit einer Dame, die ich sah, Die dort im Garten wandelt auf und ab, Sie ist's, die mir den Grund zum Schreien gab. Ist's eine Göttin, ist es eine Frau? Nein, Venus ist es, prüf' ich sie genau.«
Und auf die Kniee warf er sich alsbald Und rief: »Frau Venus, wenn in der Gestalt In diesen Garten du herniedersteigst, Und unserm kummervollen Blick dich zeigst, Hilf, daß aus dem Gefängniß wir entkommen! Doch hat das Schicksal diesen Lauf genommen Durch ew'gen Spruch, daß wir hier sterben müssen, So laß es unser edles Haus nicht büßen, Das so durch Tyrannei ist unterdrückt.«
So er; da hat Arcitas auch erblickt Die Dame, wie sie wandelt hin und her. Und ihre Schönheit traf sein Herz so sehr, Daß, schmerzten bitter Palamon die Wunden, Er gleichen oder größern Schmerz empfunden. Und seufzend sprach er und mit bangen Klagen: »O, wie die frische Schönheit mich geschlagen Von ihr, die dort umher im Garten irrt. Wenn mir nicht ihre Huld und Gnade wird, Daß wenigstens mir freisteht sie zu sehn, – Was sag' ich mehr? – dann ist's um mich geschehn!
Als diese Worte Palamon vernimmt, Sieht er voll Wuth ihn an und spricht ergrimmt: »Meinst du das ernsthaft, oder willst du scherzen?« »Nein«, sprach Arcit, »im Ernst, von ganzem Herzen, Bei Gott, es ist mir spaßhaft nicht zu Muth.« Und jener zog die Augenbrau'n voll Wuth Zusammen und versetzt: »Fürwahr, es wäre Mich fälschlich zu verrathen keine Ehre Für dich, der du als Blutsfreund mir geboren Und der du Brüderschaft mit mir geschworen, Mit heil'gem Eid, lieber den Tod zu leiden Als uns, bis einer hinstirbt von uns beiden, In Liebeshändeln wie in andern Fällen, Einander hindernd in den Weg zu stellen; Daß du vielmehr in allen Stücken mich Getreulich fördern sollst, so wie ich dich. Dies war dein Eid, und völlig gleich dem meinen; Ich weiß, du wagst das selbst nicht zu verneinen. So bist du denn mein Beistand zweifelsohne, Und dennoch giebst du Falschheit mir zum Lohne Und liebst die Dame, der ich Lieb' und Pflicht Stets weihen werde, bis das Herz mir bricht. Falscher Arcitas, nein, das sollst du nicht. Ich liebte sie zuerst und gab Bericht Von meinem Schmerz, daß du bei deinem Eid Als Bruder mir zur Hülfe wärst bereit. Gebunden bist du durch die Ritterpflicht Mit aller Kraft mir beizustehn; wo nicht – So klag' ich dich mit Recht der Falschheit an.«
Worauf mit Stolz Arcitas so begann Und sprach: »Wohl falscher magst du sein als ich, Ja, ein Verräther bist du sicherlich, Bereits vor dir weiht' ich ihr meine Minne, Du aber warst soeben noch nicht inne, Ob sie ein Weib, ob eine Göttin sei. Dir wohnet das Gefühl der Andacht bei; Mir ist sie als Geschöpf aus Liebe theuer, Darum erzählt' ich dir mein Abenteuer Als meinem Vetter, der mir Freundschaft schwor. Doch nehm' ich an, du liebtest sie zuvor, Kennst du denn nicht die Worte jenes Alten: Wer kann Verliebte durch Gesetze halten! Ein stärkeres Gesetz, bei meinem Leben, Ist Lieb' als je von Menschen ward gegeben, Drum bricht der zwingendsten Gesetze Band Aus Liebe täglich man in jedem Stand. Die Liebe zwingt den Mann durch ihr Gebot; Sie läßt ihn nicht und träf' ihn selbst der Tod, Mag, die er liebt, Frau, Jungfrau, Wittwe sein. Auch schwerlich wirst im ganzen Leben dein Du ihre Gunst gewinnen noch auch ich. Denn nur zu gut entsinnst du selber dich, Daß wir verdammt sind zu beständ'ger Haft, Aus der kein Lösegeld uns Rettung schafft. Wir streiten, wie die Hunde um das Bein Sich zankten: Keiner sollte Sieger sein. Als sie den Tag lang sich herum gebissen, Da hat ein Geier beiden es entrissen. Drum; lieber Bruder, in des Königs Saal Heißt's: »Jeder für sich selbst!« So ist's einmal. Liebe nach Herzenslust. In Ewigkeit Lieb' ich sie auch; hier endet unser Streit. Wir müssen im Gefängniß doch verbleiben; Laß jeden seinen Vortheil denn betreiben.«
Der Streit war groß und nicht so bald zu schlichten, Doch mangelt mir die Zeit, ihn zu berichten. Zur Sache drum. Es traf an einem Tag (Ich sag' es euch so kurz als ich's vermag), Daß Fürst Pirithous, ein werther Held, Von Kindheit als Gespiel und Freund gesellt Dem Herzog Theseus, einstmal nach Athen Gekommen war, den Jugendfreund zu sehn Und wieder einmal mit ihm froh zu werden. Denn Niemand liebt' er so wie ihn auf Erden, Und zärtlich liebte ihn der andre wieder. Von solcher Freundschaft melden alte Lieder, Daß, als der eine todt war, sein Geselle Hinabstieg, ihn zu suchen in der Hölle. Doch von der Sage schweigt für jetzt mein Lied. Pirithous war gut auch dem Arcit, Den er in Theben jahrelang gekannt. Drum hatt' er jetzo sich für ihn verwandt Bei Theseus, welcher, durch sein Flehn erweicht, Auch dem Gefangenen die Gunst erzeigt, Ihn aus dem Kerker ohne Lösegeld Frei zu entlassen in die weite Welt, Daß er nach Wunsch den Aufenthalt sich wähle, Mit der Bedingung, die ich gleich erzähle. Arcitas hatte, um es kurz zu sagen, Mit Herzog Theseus dahin sich vertragen, Daß er, Arcit, wenn er in seinem Leben Tags oder nachts sich in ein Land begeben, Das Theseus unterthan, und wenn er dort Nur eine Stunde weile, er sofort Sein Haupt verlieren sollte durch das Schwert. Nicht Gegenrede ward ihm noch gewährt. So nahm er Abschied, heimwärts rasch gewandt. Er hüte sich! Es liegt sein Kopf zum Pfand.
Nun war Arcit erst recht in Sorg' und Noth; In seinem Herzen fühlet er den Tod, Und unter Weinen, Schluchzen, Jammern, Klagen Gedenkt er heimlich selbst sich zu erschlagen. Er ruft: »O Weh dem Tag, der mich gebar! Nun ist mein Kerker schlimmer als er war. Wo ich auch weile, ewig ist die Stelle Fegfeuer nicht, sie ist für mich die Hölle. Ach, daß ich je Pirithous gekannt! Ich hätte sonst gewohnt in Theseus' Land, Gefesselt in der Haft für ew'ge Zeit, Doch nicht in Trübsal, nein, in Seligkeit. Nur sie zu sehen, der allein ich diene, Ob nimmer auch ich ihre Huld verdiene, Das war für mich genügend reicher Lohn. »O«, rief er, »theurer Vetter Palamon, Dein ist der Sieg in diesem Unternehmen. Du darfst dich nicht in deinem Kerker grämen. Im Kerker? Nein, du weilst in Edens Reichen, Seit das Geschick versteht der Würfel Zeichen, Da du sie siehst und ich ihr ferne bin. Du hast jetzt ihrer Gegenwart Gewinn. Du bist ein Ritter, würdig und gewandt. Wohl möglich bei Fortuna's Unbestand, Du magst einst deiner Sehnsucht Ziel erfassen, Doch ich, in der Verbannung und verlassen Von aller Gnade, ich verzweifle schier, Daß Erde, Wasser, Luft und Feuer mir, Noch ein Geschöpf, geformt aus diesen Stoffen, Heil bringe oder Trost mich lasse hoffen. Ich muß vergehn in eitler Sehnsucht Qual. Lebt wohl, Lust, Freud' und Leben allzumal! Ach, wie die Menschen oft sich unterhalten Von Gottes Leitung und des Schicksals Walten, Dadurch sie oft viel größres Glück gewonnen, Als jemals sie durch eignen Witz ersonnen! Nach Reichthum sieht man viele Leute streben, Der Krankheit bringt und oftmals raubt das Leben, Und Manchen, der, entflohn aus seiner Haft, Erschlug daheim die eigne Dienerschaft. Unzähliges der Art könnt' ich erwähnen; Wir wissen nicht, was flehend wir ersehnen. Gleich ihm, der trunken ist wie eine Maus, Ziehn wir dahin; er weiß, er hat ein Haus, Doch weiß er nicht dahin den rechten Weg; Dem trunknen Mann ist schlüpfrig jeder Steg; So ziehen wir dahin in dieser Welt. All unser Sinnen ist auf Glück gestellt, Doch gehn gar oft wir irre sicherlich. Das gilt für Alle, namentlich für mich, Der in dem festen Wahn ich war befangen, Wär' ich nur dem Gefängniß erst entgangen, Dann würde Glück und Freude mir zu Theil. Und nun leb' ich verbannt von meinem Heil. Kann ich nicht dich, Emilia, mehr sehn, Muß ohne Rettung in den Tod ich gehn.«
Als auf der andern Seite Palamon Erfuhr, Arcitas sei auf und davon, Da klagt er also, daß von seinem Stöhnen Und Schrein des großen Thurmes Mauern dröhnen Und an den Fesseln, die den Fuß umschließen, Hinab die bittern salz'gen Thränen fließen. »Weh«, rief er, »weh! Arcitas, Vetter mein, All unsers Streites Frucht, weiß Gott, ist dein. Frei gehst in Theben du ganz nach Behagen Und wirst nach meinem Unglück wenig fragen. Du magst, da Klugheit dir nicht fehlt noch Kraft, Versammeln unsers Stamms Genossenschaft, Mit hartem Krieg beziehen dieses Reich Und durch Verhandlung oder kühnen Streich Als Gattin sie gewinnen und als Weib, Um die in Kummer hier verdirbt mein Leib. Denn nach den Wegen der Wahrscheinlichkeit, Da du aus dem Gefängniß bist befreit, Kann gegen deine Macht ich mich nicht wehren, Der ich im Käfig hier mich muß verzehren. Ich kann verweinen hier mein ganzes Leben In jedem Weh, das Kerkerhaft mag geben, Und in der Liebe Schmerz noch obendrein, Die mir verdoppelt jede Qual und Pein.«
Und hoch in seinem Busen flammt die Glut Der Eifersucht empor und füllt mit Wuth Sein Herz, daß er dem Buxusholze gleich Und gleich der Esche aussah, todtenbleich. O, Götter, die ihr diese Welt verwaltet Und sie mit ew'gem Wort in Banden haltet, Grausame, die auf Tafeln ihr von Stahl Euern Beschluß schreibt ein für allemal, Was ist der Mensch, wenn man ihn eurer Würde Vergleicht, mehr als ein Schaf in seiner Hürde? Gleich andern Thieren läßt der Mensch sich schlachten, Wird eingesperrt, muß im Gefängniß schmachten, Muß Widerwärtigkeit und Siechthum dulden Und wahrlich oftmals ohne sein Verschulden.
Was für Vernunft ist in dem Regiment, Das Folterqual der Unschuld zuerkennt? Ja, unsre Pein wächst dadurch an Gewicht, Daß wir verbunden sind durch unsre Pflicht, In Gottesfurcht zu fesseln unsern Willen. Das Thier mag alle sein Gelüst erfüllen, Und ist es todt, so enden seine Plagen. Der Mensch muß dann auch weinen noch und klagen, Wie sehr er auch schon litt in dieser Welt – So ohne Zweifel ist's mit ihm bestellt. Doch diese Frage mögen Priester lösen; So viel ist klar, die Welt ist voll des Bösen. Ach, manchen braven Mann sah ich zu nicht Gemacht von einem Dieb und Bösewicht, Der frei nach Wunsch umher sich durfte treiben. Ich aber muß in meinem Kerker bleiben, So will's Saturn und Juno's Haß und Wuth, Die nun fast Alle schon von Thebens Blut Vertilgt hat und die Mauern wüst gelegt. Und Venus auf der andern Seite schlägt Mit Furcht mich vor Arcit und Liebesneid.«
Doch jetzo setz' ich Palamon bei Seit'; Mag er noch ferner im Gefängniß weilen, Ich muß nun wieder zu Arcitas eilen. Der Sommer flieht und mit den langen Stunden Der Nächte wächst die Pein der Herzenswunden Bei ihm, der liebt und ihm, der in der Haft. Ich weiß nicht, welch Geschick mehr Qualen schafft. Denn jener, Palamon, der, wie ihr wißt, Zu ew'ger Kerkerpein verurtheilt ist, Trägt bis zum Tod die Ketten und die Bande, Arcitas ist für ewig aus dem Lande Verbannt, und nimmer ist – bei seinem Haupt – Ihm das geliebte Weib zu sehn erlaubt. Nun stell' ich euch, ihr Liebenden, die Frage: Wer von den beiden hat die größre Plage? Der eine sieht die Herzgeliebte zwar, Doch weilt er im Gefängniß immerdar, Der andre kann, wo es ihm lüstet, gehn, Doch darf er seine Dame nimmer sehn. So gebe denn sein Urtheil wer da kann, Ich fahre jetzo fort, wo ich begann.
Arcit, nach Theben nun zurückgekehrt, Hat Tagelang in Seufzern sich verzehrt. Nie sollt' er wiedersehen seine Dame. Und kurz zu melden euch von seinem Grame, Von solchem Kummer ist niemals auf Erden