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In den Schatten unserer Welt lauern Geschichten, die besser ungesagt bleiben - und doch flüstern sie leise in dunklen Stunden. "Die Chroniken der verlorenen Seelen" öffnet die Tür zu jenen verborgenen Abgründen, die sich tief in der menschlichen Existenz verbergen. Jede Kurzgeschichte entführt dich in eine düstere Realität, in der Alpträume Wirklichkeit werden und das Übernatürliche mit der kalten Rationalität kollidiert. Vom Flüstern der Geister in verlassenen Gemäuern bis hin zu den verstörenden Konsequenzen geheimer Rituale - jede Seite birgt ein neues Geheimnis, das dir den Atem rauben wird. Ein verschwundenes Dorf, dessen Bewohner nie verziehen haben. Eine rätselhafte Melodie, die ihren Zuhörern den Verstand raubt. Und ein Spiegel, der mehr zeigt, als das bloße Auge je sehen könnte. Die verlorenen Seelen dieser Chroniken werden dich nicht nur in ihren Bann ziehen, sondern auch nicht so leicht wieder loslassen. Bist du bereit, den Weg durch die Dunkelheit zu beschreiten? Aber sei gewarnt: Nicht jeder kehrt daraus zurück.
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Seitenzahl: 172
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Im Schatten der Ewigkeit, wo das Flüstern des Unbekannten und die Schreie der Vergessenen miteinander tanzen, breitet sich ein Reich aus, das nur wenige wagen zu betreten. Es ist ein Ort, an dem die Dunkelheit lebendig wird, wo das Unbegreifliche zur Wahrheit und das Verborgene zur Macht wird. In diesen Seiten, meine geneigten Leser, öffnet sich das Tor zu diesem düsteren Land – einem Land, in dem die Seele bebt und der Geist sich windet, wo die Realität ihre schützende Maske abstreift und das Übernatürliche sich offenbart.
Die Geschichten, die hier niedergelegt sind, sind keine bloßen Worte, sondern Fragmente von Albträumen, in denen das Herz der Finsternis schlägt. Sie erzählen von einsamen Wanderern, die von Schatten verfolgt werden; von Türen, die sich öffnen, um nur ins Ungewisse zu führen; von Stimmen, die aus den Tiefen der Zeit rufen, und von Geistern, die das Lebendige mit kaltem Hauch umarmen. Sie sind Spuren des Schicksals, eingewoben in ein Netz aus Angst und Ehrfurcht, aus Schrecken und Staunen.
Doch seid gewarnt: Was ihr hier lest, sind nicht bloß Märchen. Diese Worte tragen das Gewicht der Dunkelheit, das Echo dessen, was im Verborgenen lauert. Es sind Geschichten, die das Herz schneller schlagen lassen, die den Verstand herausfordern und die Seele mit einer sonderbaren Kälte erfüllen – jener Kälte, die entsteht, wenn man dem Abgrund zu lange in die Augen sieht.
Dies ist ein Buch für jene, die den Mut haben, den Schleier der Wirklichkeit zu heben. Für jene, die bereit sind, in die Tiefen des Unergründlichen zu tauchen und die Schönheit im Grauen zu finden. Lasst euch von den Worten verführen, doch haltet euch an den Lichtern eures Verstandes fest – denn die Dunkelheit kennt keine Gnade.
Und nun, mit zitternden Händen und flammender Neugier, schlagt diese Seiten auf. Hört das Knarren der Pforte, die sich zu den Welten des Schreckens öffnet. Betretet das Reich der Geschichten, wo die Geister wandeln, wo das Unheimliche atmet und wo das Grauen seine Stimme erhebt.
Willkommen in den Tiefen der Nacht. Willkommen in den Chroniken der verlorenen Seelen.
Vorwort
Der Fluch des Draugr
Der Mann im Schatten
Verloren im Wald
Die Gasse des Grauens
Das Kloster des Grauens
Der Fluch der Kornfelder
Die vergessene Gruft
Das Schiff der verlorenen Seelen
Der Atem der Toten
Das Tagebuch der Elisabeth Marlowe
Der Friedhofswächter
Ein Geist geht um
Die schwarze Kutsche
Der einsame Leuchtturm
Der Vampir von Leiburg
Der Mitternachtspassagier
Der verbotene Pfad
Das Herz der Uhr
Das Flüstern der Finsternis
Ein Mord in Città del Vicolo Nero
Die vergessene Bibliothek
Die verlorene Expedition
Der verlassene Jahrmarkt
Der Berg der Träume
Die Rose im Nebel
Das letzte Lachen
Das verborgene Pendel
Die Maske des Träumers
Das Murmeln der Mauern
Der Schrei des Rabens
Der Abgrund der Liebe
Nachwort
Im kalten Norden Dänemarks, nahe der stürmischen Nordsee, stand ein altes Haus, das schon seit Jahrhunderten verlassen war. Die Einheimischen mieden es, da es als verflucht galt. Es hieß, dass ein Draugr – ein untoter Wikingerkrieger – dort sein Unwesen trieb. Die Legende besagte, dass der Krieger in diesem Haus auf tragische Weise gestorben war und nun in ewiger Unruhe lebte.
Im Herbst 2023 beschloss die Familie Olsen, das alte Haus zu kaufen. Lars und Maria, zusammen mit ihren Kindern Freja und Emil, wollten der Stadt entfliehen und ein ruhigeres Leben auf dem Land führen. Sie hatten von den Geschichten über das Haus gehört, aber sie waren nicht abergläubisch und glaubten nicht an Geistergeschichten.
Die ersten Tage verliefen friedlich. Lars und Maria waren damit beschäftigt, das Haus zu renovieren und es gemütlich zu machen, während Freja und Emil die umliegenden Wälder und Felder erkundeten.
Doch schon bald bemerkten sie, dass etwas nicht stimmte.
Es begann mit kleinen, merkwürdigen Vorfällen.
Freja fand eines Morgens ihre Puppe in einer anderen Ecke des Zimmers, obwohl sie sicher war, sie am Abend zuvor neben ihr Bett gelegt zu haben.
Emil hörte nachts seltsame Geräusche, wie Schritte und Flüstern, die ihn wach hielten. Maria fand eine alte, verrostete Axt im Garten, die definitiv nicht zu ihrem Werkzeug gehörte.
Lars versuchte, rationale Erklärungen zu finden.
Vielleicht waren es Tiere oder die Geräusche eines alten Hauses, das sich setzte. Doch die Ereignisse wurden immer unheimlicher. Eines Nachts, als die Familie am Esstisch saß, fielen plötzlich alle Fensterläden zu und die Temperatur im Raum sank rapide. Eine eisige Kälte erfüllte das Haus, und ein dumpfer, widerhallender Schlag war aus dem Keller zu hören.
Lars und Maria gingen hinunter in den Keller, während die Kinder oben blieben. Mit zitternden Händen öffnete Lars die schwere Kellertür und leuchtete mit einer Taschenlampe in die Dunkelheit.
Zunächst sahen sie nichts, doch dann, in einer Ecke, schien sich der Schatten zu bewegen. Eine Gestalt trat hervor – groß, massig und bedrohlich. Der Draugr. Seine Augen glühten in einem unheimlichen Rot, und der Geruch von Verwesung und Meerwasser lag in der Luft.
„Ihr habt mein Haus entweiht!“, dröhnte die tiefe, raue Stimme des Draugr. „Ihr werdet den Preis dafür zahlen!“
Lars und Maria flohen panisch aus dem Keller, schlossen die Tür hinter sich und rannten nach oben zu den Kindern. Sie wussten, dass sie das Haus sofort verlassen mussten, doch als sie die Tür erreichten, war diese wie von unsichtbarer Hand verschlossen. Der Draugr folgte ihnen, seine Schritte laut und schwer auf den alten Holzdielen.
Die Familie Olsen war in ihrem eigenen Haus gefangen, mit einem untoten Krieger auf den Fersen. Lars erinnerte sich an die Geschichten, die er gehört hatte – dass Draugr nur durch alte Wikinger-Rituale und heilige Symbole vertrieben werden konnten. Er wusste, dass sie einen Weg finden mussten, um den Draugr aufzuhalten, bevor es zu spät war.
Maria griff nach einem alten Familienerbstück – einem silbernen Amulett, das einst einem Wikingerpriester gehört hatte. Sie hielt es dem Draugr entgegen, der kurz zögerte, bevor er mit unverminderter Wut weiter auf sie zukam. Das Amulett schien ihn zu verletzen, doch es reichte nicht aus, um ihn zu stoppen.
Freja, die mutiger war als ihr Alter vermuten ließ, erinnerte sich an ein altes Buch über nordische Mythen, das sie im Dorfladen gesehen hatte. „Das Buch könnte uns helfen!“, rief sie. Doch das bedeutete, dass sie das Haus verlassen mussten.
In einem verzweifelten Versuch, den Draugr aufzuhalten, warf Lars ihm alles entgegen, was er in die Hände bekam, während Maria das Amulett weiterhin hochhielt. Sie schafften es, den Draugr für einen Moment zu stoppen. Das gab Freja und Emil die Gelegenheit, aus dem Fenster im Erdgeschoss zu klettern und ins Dorf zu rennen.
Dort angekommen, erzählten sie den Dorfbewohnern, was passiert war. Zunächst ungläubig, erkannten die Ältesten schließlich den Ernst der Lage. Einer von ihnen, ein alter Mann namens Sigurd, war ein Nachkomme von Wikingerpriestern und kannte die alten Rituale. Er nahm das Buch, das Freja gefunden hatte, und eilte mit den Kindern zurück zum Haus.
Zurück im Haus, fand Sigurd Lars und Maria, die verzweifelt versuchten, den Draugr in Schach zu halten. Mit dem Buch in der Hand und dem Wissen der alten Rituale begann Sigurd, die Beschwörungsformeln zu rezitieren. Die Luft wurde schwer und dicht, als die Worte des alten Mannes durch das Haus hallten.
Der Draugr schrie vor Wut und Schmerz, als die heiligen Worte ihn trafen. Er stürzte sich auf Sigurd, doch das Amulett und die alten Formeln bildeten eine unsichtbare Barriere, die ihn zurückhielt. Langsam, aber sicher begann der untote Krieger zu schwinden, seine Gestalt löste sich in Schatten und Nebel auf.
Als der Draugr schließlich verschwand, kehrte die Ruhe ins Haus zurück. Die Kälte wich, und das Gefühl der Bedrohung war verschwunden. Die Familie Olsen atmete erleichtert auf. Sigurd erklärte ihnen, dass der Draugr nun endgültig in die Unterwelt verbannt sei und sie keine Angst mehr haben müssten.
In den folgenden Wochen halfen die Dorfbewohner der Familie, das Haus wieder aufzubauen und die Spuren des Kampfes zu beseitigen. Das Haus, das einst ein Ort des Schreckens war, wurde zu einem Symbol der Gemeinschaft und des Zusammenhalts.
Lars, Maria, Freja und Emil beschlossen, trotz der schrecklichen Ereignisse zu bleiben. Sie fühlten, dass das Haus nun wirklich ihr Zuhause war, gereinigt von den dunklen Mächten, die es einst beherrscht hatten. Die Geschichten über den Draugr wurden weiter erzählt, aber von nun an mit dem Wissen, dass Mut, Zusammenhalt und das alte Wissen der Vorfahren die dunkelsten Geister vertreiben konnten.
Henry Mason, ein renommierter Schriftsteller, entschied sich, eine Auszeit zu nehmen, um an seinem nächsten Buch zu arbeiten. Er wählte eine abgelegene Hütte tief in den Wäldern von Maine.
Die Stille und Abgeschiedenheit sollten ihm die nötige Ruhe und Inspiration bieten. Die Hütte lag am Ufer eines ruhigen Sees, umgeben von dichten Bäumen, weit weg von der nächsten Stadt.
„Hier wird mich nichts ablenken“, murmelte Henry, als er seinen Koffer aus dem Auto holte und zur Hütte ging. Er schloss die Tür auf, trat ein und atmete tief durch. Der Duft von Holz und frischer Luft erfüllte den Raum. Die Hütte war einfach, aber gemütlich eingerichtet – genau das, was er brauchte.
Henry machte sich daran, seine Sachen auszupacken und seinen Arbeitsplatz vorzubereiten. Er stellte seinen Laptop auf den schweren Holztisch, ordnete seine Notizbücher und Bücher, und ließ sich schließlich in den bequemen Sessel vor dem Kamin fallen. „Es kann losgehen“, dachte er zufrieden.
In den ersten Tagen arbeitete Henry konzentriert an seinem Buch. Er genoss die Stille und die Abgeschiedenheit. Doch eines Nachts, als er bis spät in die Nacht schrieb, bemerkte er eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Er blickte auf und sah nichts als Dunkelheit außerhalb der Fenster. Er zuckte mit den Schultern und konzentrierte sich wieder auf seine Arbeit.
Am nächsten Tag, während eines Spaziergangs um den See, hatte Henry das Gefühl, beobachtet zu werden. Er drehte sich mehrmals um, konnte aber niemanden entdecken. „Nur Einbildung“, sagte er sich, versuchte das mulmige Gefühl abzuschütteln und ging weiter.
In der folgenden Nacht wiederholte sich das Erlebnis. Henry saß am Tisch und schrieb, als er erneut eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm. Diesmal war es deutlicher – eine dunkle Gestalt stand am Waldrand und beobachtete ihn.
Henry sprang auf, doch als er hinausblickte, war die Gestalt verschwunden. Er schüttelte den Kopf und sagte zu sich selbst: „Ich arbeite zu viel. Vielleicht sollte ich früher ins Bett gehen.“
Trotz seiner Bemühungen konnte Henry das unheimliche Gefühl nicht abschütteln. Das Gefühl, beobachtet zu werden, verfolgte ihn. Eines Nachts, als er wieder das Gefühl hatte, nicht allein zu sein, entschloss er sich, nach draußen zu gehen und nachzusehen. Mit einer Taschenlampe bewaffnet, trat er vor die Tür und leuchtete in die Dunkelheit. „Ist da jemand?“, rief er. Keine Antwort. Er schritt vorsichtig weiter, immer tiefer in den Wald hinein.
Plötzlich hörte er Schritte hinter sich. Er drehte sich um und sah die dunkle Gestalt direkt vor sich. Sie war groß und in einen langen Mantel gehüllt, das Gesicht im Schatten verborgen.
„Wer sind Sie?“, rief Henry, doch die Gestalt schwieg. Panik ergriff ihn, und er rannte zurück zur Hütte. Die Gestalt folgte ihm nicht, aber das Gefühl der Bedrohung blieb.
Henry beschloss, die Hütte am nächsten Tag zu verlassen. Er packte seine Sachen und bereitete sich auf die Abfahrt vor. Doch als er die Tür öffnete, stand die Gestalt dort, als hätte sie auf ihn gewartet. Diesmal sprach sie mit einer tiefen, unheimlichen Stimme: „Du kannst nicht entkommen.“
Henry schloss die Tür hastig und verriegelte sie. „Was willst du von mir?“, schrie er, doch es kam keine Antwort. Die Gestalt verschwand so plötzlich, wie sie erschienen war. In seiner Verzweiflung begann Henry, nach Hinweisen zu suchen. In einem alten Schrank fand er eine Kiste mit alten Dokumenten und Fotos. Eines der Fotos zeigte die Hütte, und davor stand ein Mann, der Henry erschreckend ähnlich sah.
Ein altes Tagebuch enthüllte die Wahrheit. Es gehörte einem Mann namens Jonathan Blake, einem Schriftsteller, der vor vielen Jahren in der Hütte lebte. Jonathan hatte von einer mysteriösen Gestalt berichtet, die ihn verfolgte und letztlich in den Wahnsinn trieb. Henry erkannte, dass er denselben Weg wie Jonathan Blake eingeschlagen hatte.
Entschlossen, sich seinem Schicksal zu stellen, bereitete sich Henry auf eine letzte Konfrontation vor. Er zündete Kerzen an und setzte sich an den Tisch, das Tagebuch vor sich. Die Nacht brach herein, und er wartete. Stunden vergingen, und die Spannung wuchs.
Plötzlich flackerte das Licht der Kerzen, und die Gestalt erschien erneut im Raum. „Warum tust du das?“, fragte Henry mit zitternder Stimme. Die Gestalt trat näher, und das Gesicht wurde sichtbar – es war Henry selbst, aber älter und verzerrt. „Ich bin du“, sagte die Gestalt. „Ich bin der Teil von dir, den du verdrängt hast – deine Ängste, deine Zweifel, dein Scheitern.“
Henry erkannte die Wahrheit. Die Gestalt war keine externe Bedrohung, sondern eine Manifestation seines eigenen Geistes. Der jahrelange Druck und die Isolation hatten seinen Verstand verzerrt. Mit einem tiefen Atemzug beschloss er, sich seinen inneren Dämonen zu stellen.
„Du hast keine Macht über mich“, sagte er fest. Die Gestalt verzog sich, schrie vor Zorn, und verschwand schließlich in einem letzten, ohrenbetäubenden Schrei. Die Hütte wurde still, und die Luft fühlte sich leichter an.
Am nächsten Morgen packte Henry seine Sachen und verließ die Hütte. Er wusste, dass er seine inneren Dämonen besiegt hatte, doch der Preis war hoch gewesen. Zurück in der Zivilisation begann er, seine Erlebnisse niederzuschreiben. Das Buch, das daraus entstand, wurde ein Bestseller – eine eindringliche Erzählung über den Kampf gegen die eigenen Ängste.
Henry Mason hatte seine Dämonen besiegt, doch die Hütte in den Wäldern von Maine blieb ein Ort des Grauens, wo die Grenze zwischen Realität und Wahnsinn verwischte. Und so erzählten sich die Menschen weiter Geschichten über den Mann im Schatten, der in der Dunkelheit lauert und die Seelen derer heimsucht, die es wagen, sich ihm zu stellen.
Es war ein sonniger Tag auf dem Schulhof der kleinen Stadt Millfield. Die Kinder spielten ausgelassen, lachten und genossen die warmen Strahlen der Frühlingssonne. Unter ihnen waren Tom und Max, zwei unzertrennliche Freunde, die sich über ihre Abenteuer austauschten. Tom, der mutigere von beiden, hatte eine neue Idee.
"Was hältst du davon, wenn wir nach der Schule in den Wald hinter der Stadt gehen?", fragte Tom und grinste breit.
Max zögerte kurz. "Ich weiß nicht, Tom. Man sagt, dass Leute sich dort schon verlaufen haben."
"Ach, komm schon, Max! Wir sind doch keine kleinen Kinder mehr. Wir gehen einfach ein Stück hinein, erkunden ein bisschen und kommen rechtzeitig zum Abendessen zurück. Was kann schon passieren?"
Nach einigem Zögern stimmte Max schließlich zu, und die beiden Freunde verabredeten sich für den Nachmittag.
Nach der Schule trafen sich Tom und Max am Rand des Waldes. Die Bäume standen dicht beieinander und warfen lange Schatten, die den Waldboden in ein Spiel aus Licht und Dunkelheit tauchten. Mit einer Mischung aus Aufregung und Nervosität betraten die beiden den Wald.
Die Stunden vergingen schnell, während sie tiefer in den Wald eindrangen, unbekannte Pfade entdeckten und sich Geschichten über die Geheimnisse des Waldes erzählten. Die Sonne begann bereits unterzugehen, als sie merkten, dass sie den Weg zurück nicht mehr fanden.
"Ich glaube, wir sollten umkehren", sagte Max nervös und sah sich um. "Es wird dunkel, und ich habe das Gefühl, wir sind schon zu weit gegangen."
Tom nickte, obwohl er selbst ein wenig Angst verspürte. "Du hast recht. Lass uns den Weg zurück suchen."
Doch egal welchen Pfad sie einschlugen, der Wald schien immer dichter zu werden, und der Ausgang blieb unauffindbar.
Die Dämmerung wich schnell der Dunkelheit, und die beiden Jungen konnten kaum noch etwas sehen.
Sie tasteten sich vorsichtig voran, als plötzlich ein lautes Knacken die Stille durchbrach. Max erstarrte.
"Hast du das gehört?", flüsterte er.
Tom nickte und deutete auf einen großen Baumstamm. "Schnell, versteck dich!"
Sie duckten sich hinter den Baumstamm und hielten den Atem an. Im schwachen Mondlicht sahen sie eine gewaltige Gestalt. Ein Bär, der durch den Wald streifte. Die beiden Jungen wagten kaum zu atmen, aus Angst, der Bär könnte sie hören. Nach einer endlos erscheinenden Zeit schien der Bär das Interesse zu verlieren und trottete weiter.
Tom und Max warteten noch eine Weile, bis sie sicher waren, dass die Gefahr vorüber war. Dann krochen sie vorsichtig hervor und setzten ihren Weg fort, in der Hoffnung, bald den Waldrand zu erreichen.
Nach weiteren Minuten des Umherirrens stießen sie auf eine Lichtung. Im Mondlicht sahen sie ein altes, verfallenes Haus, das unheimlich in der Dunkelheit stand. Die Fenster waren zerschlagen, und das Dach war teilweise eingestürzt.
"Was ist das für ein Ort?", fragte Max flüsternd.
"Keine Ahnung, aber vielleicht können wir dort Unterschlupf finden, bis es wieder hell wird", antwortete Tom.
Vorsichtig traten sie näher und öffneten die knarrende Tür. Kaum hatten sie das Haus betreten, veränderte sich alles um sie herum. Die düsteren Wände erstrahlten in bunten Farben, und der modrige Geruch wich einem angenehmen Duft von frisch gebackenen Keksen. Tom starrte ungläubig auf die Szene vor ihm.
"Das sieht aus wie … das Haus meiner Eltern!", rief er überrascht aus.
Vor ihm sah er seine Eltern, die mit seiner kleinen Schwester spielten. Er konnte es nicht fassen. Ohne nachzudenken, rannte er auf sie zu.
"Mom! Dad! Ich bin hier!" schrie er, doch niemand reagierte. Er versuchte, seine Mutter zu berühren, aber seine Hand glitt durch sie hindurch wie durch einen Nebel. Verzweifelt sank er auf die Knie und begann zu weinen.
Plötzlich wurde das Haus wieder alt und grau. Die bunten Farben und seine Familie verschwanden, und Tom fand sich allein in dem verfallenen Raum wieder.
Tom wischte sich die Tränen aus den Augen und drehte sich um. "Max?", rief er. Doch sein Freund war nirgendwo zu sehen.
Plötzlich hörte er Schreie aus dem Keller. Ohne zu zögern, rannte er die knarrenden Stufen hinunter, doch als er unten ankam, war niemand zu sehen. Die Schreie verstummten, und eine bedrückende Stille legte sich über den Raum.
"Max, wo bist du?", rief Tom verzweifelt.
Dann sah er ihn. Max stand vor einer Wand und starrte sie an. Er bewegte sich nicht, als Tom ihn rief.
"Max, was ist los?" Tom trat näher und legte eine Hand auf die Schulter seines Freundes. Langsam drehte sich Max um, doch sein Gesicht war verzerrt, und seine Augen waren leer und ausdruckslos. Tom schrie auf und stolperte rückwärts, fiel auf den Boden und krabbelte zurück zur Treppe.
Tom rannte aus dem Haus, stolperte durch den Wald und versuchte, die Schreie seines Freundes aus seinen Gedanken zu verbannen. Plötzlich standen seine Eltern vor ihm. Ihre Gesichter waren ernst und traurig.
"Tom", sagte seine Mutter sanft. "Du musst die Wahrheit akzeptieren."
"Welche Wahrheit?", schrie Tom verzweifelt. "Max ist in Gefahr! Ich muss ihm helfen!"
Sein Vater trat näher und legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Tom, Max war nie real. Du hattest nie einen Freund namens Max. Das ist eine Illusion, die du geschaffen hast, um mit deiner Einsamkeit fertig zu werden."
Tom schüttelte den Kopf, unfähig, die Worte zu begreifen. "Nein, das kann nicht sein. Ich … ich habe ihn gesehen, ich habe mit ihm gesprochen."
"Die Dunkelheit dieses Waldes spielt mit deinem Verstand", sagte seine Mutter. "Du musst uns vertrauen und nach Hause kommen."
Die Realität verschwamm vor Toms Augen. Er sank auf die Knie, überwältigt von der Erkenntnis und der Verzweiflung. Plötzlich fühlte er sich, als würde er aus einem Albtraum erwachen. Der Wald um ihn herum wurde klarer, die Stimmen seiner Eltern verschwanden, und er war allein.
Es war eine kalte, sternlose Nacht in der alten Stadt. Die Straßenlaternen flackerten, als ob sie sich mühsam gegen die Dunkelheit wehren würden. In einer abgelegenen Gasse, die die Einheimischen nur „die Gasse des Grauens“ nannten, hallten die Schritte eines alten Mannes wider. Sein Name war Heinrich, ein einsamer Witwer, der trotz der Gerüchte und Warnungen in dieser Nacht nach Hause eilte.
Heinrich war ein gebrechlicher Mann, gekleidet in einen abgetragenen Mantel, der kaum Schutz vor der nächtlichen Kälte bot. Seine Augen waren von Tränen der Erinnerung getrübt, als er an seine verstorbene Frau dachte. Sie war vor einem Jahr an einer schweren Krankheit gestorben, und Heinrich hatte seitdem nie wirklich Frieden gefunden. Die Nächte waren am schlimmsten, wenn die Dunkelheit seine Einsamkeit verstärkte und die Geister der Vergangenheit ihn heimsuchten.