Die Chroniken von Nyúmel - Stefanie Gerken - E-Book

Die Chroniken von Nyúmel E-Book

Stefanie Gerken

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Beschreibung

Blaues Feuer, ein gieriger König und zwei frisch vermählte, die ihre Geheimnisse hüten. Nyúmel vereint in diesen schweren Zeiten viele unterschiedliche Schicksale. Keiner von ihnen ahnt, welche Hindernisse ihnen noch bevorstehen. Neue Gefühle erwachen, während alte Gefühle faulen. Ein neuer Verbündeter könnte die Schlacht entscheiden, doch keiner weiß, ob man ihm trauen kann. Wird er sein Wort halten? *Reihenfolge* Band 1 - Götterblut Band 2 - Drachenjagd Band 3 - Zwillingsbürde

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Die Chroniken von Nyúmel

Drachenfeuer

Stefanie Gerken

die chroniken von

Nyúmel

drachenfeuer

Das Zeitalter der Menschen

Stefanie Gerken

- FoxBuxs -

© 2022 Stefanie Gerken

Verlagslabel: FoxBuxs

ISBN Softcover: 978-3-347-59365-7

ISBN Hardcover: 978-3-347-59366-4

ISBN E-Book: 978-3-347-59367-1

ISBN Großschrift: 978-3-347-59368-8

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

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Prolog

Die Sonne schien mit ihrer gesamten Kraft auf das Deck des Schiffes. Bei jedem seiner Schritte, spürte er das erhitzte Holz unter seinen Füßen. Fast schon erwartete er, dass er sich die Fußsohlen verbrennen würde, dennoch lächelte er. Immerhin konnte er endlich die frische, salzige Seeluft genießen.

Die Ketten seiner Handfesseln hingen nach all den Tagen schwer an seinen Armen, doch noch mehr machte ihm dieser massive Halsring zu schaffen. Seine Haut war von seinem Schweiß und dem Salzwasser gereizt und brannte wie Feuer, wenn er sich bewegte. Tamris versuchte die Ruhe zu bewahren, bald würde er ihn ablegen können.

Die vergangenen Tage unter Deck hatten ihm viel Zeit zum Nachdenken gegeben. Diese Zeit hatte er genutzt und schließlich hatte er verstanden, dass er seine Entscheidung nicht bereute, dennoch hatte er um den Preis getrauert, den er zu zahlen hatte.

Jetzt war Tamris wieder hier, das allein zählte.

Das allein, war die richtige Entscheidung gewesen.

Ein harter Schlag mit der Peitsche erwischte seinen Rücken. Für einen kurzen Augenblick biss er seine Zähne zusammen, während er scharf die Luft einsog. Auch wenn der Schmerz wie flüssiges Feuer durch seinen Körper jagte, so würde er sich nicht die Blöße geben und sein Gesicht verziehen. Sein Besitzer sollte wissen, dass er die Wahrheit gesagt hatte.

»Los, Bewegung! Ich will endlich von diesem verfluchten Schiff herunter!«

Er stieß Tamris die Planken hinunter, bis er auf dem sandigen Stein des Docks stand. Um ihn herum wurden die Schiffe entladen und die neuen Sklaven wurden, aneinander gekettet und verängstigt, wie sie waren, zu den Prüfern gebracht.

Die Prüfer kontrollierten die Zähne der Ankömmling, untersuchten sie auf äußere Krankheiten und rasierten ihnen die Köpfe. Mit diesen Maßnahmen wollten die Bewohner der Insel verhindern, dass sich unter ihrer teuren Ware Krankheiten ausbreiteten.

Die Huren der Insel standen bereits am Hafen. Sie amüsierten sich über die neuen Sklaven und versuchten die Sklavenhändler für eine Nacht für sich zu gewinnen. Dabei entging Tamris nicht, dass die eine oder andere Dame, eher einen stattlichen Sklaven anschmachtete, als den fast zahnlosen, kahlköpfigen Sklavenhändler. Die neuen Sklaven hatten für dieses Spektakel keine Zeit. Verängstigt klammerten sie sich an die Hoffnung hier eines Tages lebend herauszukommen. Tamris konnte sich noch gut an sein erstes Mal auf der Insel erinnern, auch er hatte Angst. Doch dieses Mal, schien das alles vergessen, zu sein.

Der Sklave vor ihm wurde zum nächsten Prüfer gezogen. Ein kurzer Blick in den Mund und in die Augen genügte, dann wurde ihm der Schädel rasiert. Auch Tamris musste diese Prozedur über sich ergehen lassen. Während ihm der Kopf rasiert wurde, sah er hinauf zu den Häusern.

Die untersten waren aus Holz. Hier lebten die ärmsten der Bewohner. Neue Sklavenhändler, die noch keinen Favoriten hatten, einige der freien Huren und die, die sich bei den Wetten verschätzt hatten. Sie alle hatten weniger, als die meisten Sklaven besaßen, dennoch führten sie sich auf, als ob ihnen die Insel gehören würde.

In der Nacht war hier niemand mehr sicher, man wurde schneller einer der Sklaven, als einem lieb war, niemand würde nach der Herkunft des Sklaven fragen. Die hohen Schulden und die ärmlichen Lebensbedingungen ließen die Menschen hier alle zu Tieren werden. Jeden den sie erwischen konnten, legten sie in Ketten und versuchten ihn als Sklaven zu verkaufen.

Der Hafen war gefährlich.

Er kannte das bereits alles, deswegen schüchterte ihn diese Insel nicht mehr ein.

Sein Herr lebte im mittleren Ring der Insel, hier konnte man in der Nacht noch vor die Haustür treten, ohne in Eisenketten in der Arena zu landen. Im mittleren Ring lebten viele der Händler. Sie versorgten die Insel mit allem, was man zum Leben brauchte. Hier gab es die Bordelle, die Mediziner und die bekannteren Sklavenhändler. Je näher die Häuser der Arena waren, desto massiver und größer wurden sie. Doch dafür musste der Sklavenhändler Sklaven besitzen, die in der Arena überlebten und ihn zu einem geachteten Mann machten. Dann erst, würde der Sklavenhändler an Ansehen gewinnen und Reichtum anhäufen können.

Und genau darauf hatte es sein Herr abgesehen.

Ein steinernes Haus, mit dem Blick auf die Arena gegen das Leben als Sklave, gegen die Gewissheit, dass er niemals wieder einem Menschen oder Elfen in Nyúmel schaden musste und gegen die Freiheit der anderen gefangenen.

Dafür hatte Tamris das Versprechen gegeben, Kewan zum Ruhm zu verhelfen.

Das war ihr Preis gewesen.

Und Tamris war bereit ihn zu zahlen.

1

Neue Wege

Er kniff die Augen zusammen, als der Diener von Sommerly erneut mit dem Rohrstock ausholte. Das Geräusch würde Ser Eland sein restliches Leben lang nicht mehr vergessen. Genauso, wie die Schreie der jungen Frau, die Sommerly foltern ließ.

»Sommerly, ich flehe dich an! Lass dieses unschuldige Kind gehen. Ich schwöre dir, dass ich nicht weiß, wo sie ist!«

»Das sagst du seit Monaten. Ich habe es dir damals im Wald gesagt. Du bist daran schuld, wenn du ein weiteres Leben an deinen Händen kleben hast. Wo ist sie, Eland?«

»Ich weiß es nicht!«

»Wer sind eure Verbündeten?«

»Das weißt du, Sommerly. Sie sollte den Prinzen der Sonnlunds heiraten. Das hat sie aber nie, ich weiß nicht, ob dieses Bündnis noch besteht!«

Königin Sommerly ging vor ihrem Bruder auf und ab. Seit Monaten versuchte sie aus ihm ein Wort herauszubekommen. Starrsinnig wie sie war, wollte sie nicht einsehen, dass Eland wirklich nicht wusste, wo sich seine Enkelin versteckt hielt.

»Sommerly, bitte. Es ist Monate her, seit diesem Vorfall. Dein geliebter Ehemann, König Rej, ist schon lange bei den Göttern. Was meinst du, was er für dich empfinden würde, wenn er dich jetzt sehen würde?«

Sommerly fuhr herum und schlug Eland mit ihrer flachen Hand in sein Gesicht. Der Schmerz des Schlages verebbte schnell, doch länger würde er den Schmerz in seinem Herzen behalten.

Seine eigene Schwester hatte es gewagt ihn zu schlagen.

Bevor er noch etwas zu ihr sagen konnte, beugte sie sich zu ihm herunter und funkelte ihn an.

»Wage es noch einmal den Namen meines Mannes in den Mund zu nehmen.«

»Sommerly, ich…«

»Nein, schweig. Ich habe genug für heute.«

Sie stellte sich wieder aufrecht hin und wandte sich an ihren Diener. Diese falsche Schlange von Elf befolgte jeden ihrer Befehle mit Genugtuung. Oft hatte sich Eland gewünscht, einmal mit ihm alleine zu sein. Jedoch wollte er sich frei bewegen können. Dieser Elf, war das Böse in Person.

»Nerzul? Beende dein Werk. Danach kommst du zu mir.«

»Sehr wohl, Minherrin. Soll ich vorher den Gefangenen zurück in den Kerker bringen?«

»Nein. Er soll dir bei deiner Arbeit zusehen. Anschließend werden wir ihn hier auf diesem Stuhl lassen. Vielleicht bringt ihn der Anblick einer toten Frau dazu, zu reden.«

»Wie Ihr wünscht, Minherrin.«

Eland wollte seinen Ohren nicht trauen.

»Sommerly!?«

»Nein, Eland. Du wolltest dieses Schicksal. Du kannst froh sein, dass ich nicht dich in die geschickten Hände meines Dieners übergebe. Ich habe erst in den letzten Monaten gelernt, zu was dieser Künstler fähig ist.

Du solltest mich nicht provozieren, ich kenne noch nicht alle seiner Fähigkeiten.«

Ser Eland sah mit an, wie Sommerly ruhig die Folterkammer verließ und ihn mit dieser Bestie alleine ließ.

»Hätte sie mich doch nur auf die Himmelsscheibe gebracht.«

Der Elf lachte, während er eine Zange in seine Hände nahm.

»Wer einmal auf die Himmelsscheibe kommt, kommt nie wieder herunter. Außer er springt. Hast du das vergessen, alter Mann? Meine Königin braucht deine Informationen. Du solltest ihr endlich antworten, sonst werden noch mehr Menschen und Elfen deinetwegen sterben.«

Während er dies sagte, stellte er sich über die Frau, die erschöpft auf dem Boden lag. Ohne Gnade zu zeigen, stemmte der Elf seinen Fuß zwischen ihre Schulterblätter, zog ihren Arm hinauf und begann damit Stück für Stück ihr die Nägel auszureißen. Elands Magen drehte sich herum und er versuchte wegzusehen. Die Schreie der jungen Frau würden ihn sein Leben lang begleiten.

Der Wind blies über den Berg hinweg. Lyria streckte sich aus und drehte sich auf ihren Rücken. Fugl regte sich neben ihr und drehte sie schließlich zu ihr herum.

»Du bist wach?«

»Nun, ich habe mir diese Wache freiwillig ausgesucht. Und auch, wenn du mich kurz abgelenkt hast, beachte ich meine Pflichten.«

Fugl drehte sich gänzlich zu ihr herum und legte seine Hand zwischen ihre Brüste. Langsam begann er damit sie auf ihrem Brustbein zu streicheln.

»Du sitzt hier jeden Tag, seit er uns verlassen hat. Wann willst du endlich wieder ein normales Leben führen?«

»Er war mein normales Leben.«

»Nein, du hattest vor ihm noch eines. Kannst du dich noch an die Zeit erinnern, als wir mit Lorenonn auf dem Festland gelebt haben? Als er der Botschafter der Sonnlunds war? Und als wir seine Wachen waren? Wir wollten danach eine Familie gründen und zusammen auf den Sonnlunds leben. Was ist aus diesem Plan geworden?«

Lyria setzte sich hin und sah zu Fugl hinunter.

»Diesen Plan gab es, bevor Tamris geboren wurde. Warum verlangst du von mir ihn zu vergessen?«

»Weil er erwachsen ist.«

»Beinahe.«

»Lyria, diese paar Jahre interessieren uns Elfen nicht, das weißt du. Er ist nur noch nicht alt genug, dass ihm eine wichtige Position zugeteilt wird. Aber er ist durchaus in der Lage alleine zu überleben.«

»Aber auch nur, weil ihr ihn alle verdrängt. Bei den Göttern, Fugl. Er ist unser Prinz und dazu noch mein Schützling. Ich lasse ihm diese Freiheit, die er sich wünscht, jedoch werde ich ihn finden und ihm danach den Kopf waschen!«

Fugl ließ sich zurück auf seinen Rücken gleiten.

»Du solltest ihm nach allem, was passiert ist, diesen Abstand eingestehen.«

»Du hast ja recht.«

Lyria legte sich wieder zu ihm und schmiegte sich an seine Seite.

»Ich mache mir Sorgen um ihn.«

Fugl zog sie enger an sich heran und gab ihr einen Kuss auf ihre Haare.

»Ihm wird es gut gehen. Er hat schon einmal alleine auf dem Festland überlebt. Was soll schon schiefgehen?«

Die Fackeln erhellten die Zellen, auch tief in der Nacht. Für die Neuankömmlinge bedeutete dies, dass sie die ersten Nächte nicht schlafen konnten. Doch Tamris hatte sich auf sein steinernes Bett gelegt, die Augen geschlossen und schlief bereits halb, als er von einer anderen Zelle her Stimmen vernahm.

»Verstehe ich nicht.«

»Unmöglich.«

»Als ob nichts passiert ist.«

»Wer ist das bloß?«

»Ich kenne ihn nicht. Und ich habe alle Elfenreiche besucht.«

»Da hättest du bleiben sollen. Genauso, wie wir anderen.«

Er konnte deutlich hören, dass über ihn gesprochen wurde. Genervt spannte er seinen Kiefer an, um sie zu verdrängen. Dieses Mal schaffte er es nicht die neugierigen Fragen auszublenden, deswegen konfrontierte er sie.

»Was wollt Ihr von mir?«

Die Stimmen erstarben.

Tamris glaubte bereits, dass er nun endlich schlafen konnte, als sich schließlich ein Sklave traute und ihn direkt ansprach.

»Ihr könnt schlafen, Minherr?«

»Nein, Ihr seid zu laut.«

»Wir wundern uns nur, Minherr.«

Tamris setzte sich auf und suchte mit seinen Augen den Sprecher. In der Zelle, die ihm gegenüber war, stand eine kleine Gruppe, die ihn gebannt beobachtete. Tamris zog seine Beine an und legte seine Unterarme auf seine Knie.

»Weshalb wundert Ihr Euch?«

»Nun, wir kamen heute alle zusammen an. Jeder von uns hat Angst, außer Ihr. Könnt Ihr Euer Geheimnis mit uns teilen?«

»Es gibt kein Geheimnis.«

»Aber, Minherr, bitte. Mein Sohn, Sulvinnur. Er ist doch erst zwölf.«

Als Tamris den Jungen sah, sammelte sich in seinem Mund saurer Speichel. Er hatte Mühe damit, mit ruhiger Stimme weiterzusprechen.

»Weshalb ist er nicht bei den anderen Sklavenjungen?«

»Der Sklavenhändler wollte ihn nicht weitergeben. Sulvinnur kann nicht sprechen.«

Durch die Adern von Tamris floss kein Blut mehr, sondern Eis. Vorsichtig fragte er, in der Hoffnung mit seinen Herren reden zu können, nach.

»Seit wann schweigt dein Junge? Erst, seit er gefangen wurde?«

»Nein, schon immer. Er wurde so geboren, Minherr.«

Am liebsten hätte Tamris alles dafür getan, dieses Kind zu retten. Doch er wusste, wie die Zukunft für ihn aussah. Die Kinder der Sklaven und Huren, wurden in den Dienst der Arena geschickt. Sie sollten als Pagen jeden noch so kleinen Wunsch der Besucher erfüllen.

Oder sie wurden zum Verkauf angeboten.

So ersparten sie sich den Weg in die Arena, jedoch war dies ihr Weg in die private Sklaverei. Ein Leben als Diener, klang dennoch für viele verlockender, als dem Tod in der Arena in die Augen zu sehen.

Wenn ein Kind unbrauchbar für diese Dienste war, wurde es gleich in die Arena gebracht. Zur Belustigung der Besucher.

Tamris ekelte dieses Verhalten an, doch im Augenblick wusste er nicht, wie er dieses Kind unter diesen Umständen retten sollte.

»Nehmt ihn in Eure Arme, summt ihm ein Lied vor.«

»Das soll helfen?«

Die nächsten Worte rutschten Tamris heraus. Zwar sprach er nur die Wahrheit aus, dennoch wollte er es eigentlich nicht.

»Es ist nicht für lange.«

Auf dem Kindergesicht erschien ein breites Lächeln. Während der Vater seinen Sohn an sich herandrückte, konnte Tamris deutlich die Tränen in seinen Augen sehen. Er hatte Angst um seinen Sohn und er sollte Recht behalten.

Dies war eine harte Welt. Und auch, wenn Tamris freiwillig hier war, so hatte er im Augenblick nicht die Macht, um diesen Jungen zu retten.

Es klopfte an der Tür. Robyn erhob sich vorsichtig und wollte die Tür öffnen, doch ihre Mutter trat bereits ein.

»Bleib ruhig sitzen.«

Dankbar setzte sich Robyn wieder hin und versuchte das weiche Kissen wieder in eine angenehme Position zu rutschen. Ihre Mutter setzte sich zu ihr und stellte ihr ein Brett auf den Tisch, auf dem ihr Frühstück lag. Robyn wollte ihren Augen nicht trauen, ihre Mutter bemerkte ihren Blick.

»Du solltest ausreichend essen.«

»Das ist doch viel zu viel.«

»Ich weiß, dass du so denkst. Deswegen habe ich es übernommen deine Speisen anzufertigen.«

»Mir hat das Essen von Helvar gereicht.«

»Du isst nicht mehr alleine, Robyn.«

»Das weiß ich, aber, wenn ich satt bin, bin ich satt.«

»Du bringst einen zukünftigen König zur Welt, er wird dir schon sagen, wenn er etwas braucht.«

Robyn sah dankbar zu Cassia hinauf. Sie wusste, dass ihre Mutter nur ihr Bestes wollte. Ihre dunklen Augen leuchteten sie mit ihrer typischen Wärme an.

Sie war glücklich.

Wenn Robyn ihr nur die Wahrheit erzählen könnte.

Zwar wollte Robyn lächeln, stattdessen spürte sie aber selbst die Träne, die an ihrer Wange hinab rollte. Hastig wischte Robyn sie weg und entschuldigte sich.

»Es tut mir leid.«

»Das muss es nicht. Ich kenne viele Frauen, die während ihrer Schwangerschaft geweint haben.«

»Das ist es nicht, ich sollte nicht weinen.«

»Sei nicht so hart zu dir. Selbst ich habe ab und an geweint.«

Dankbar legte Robyn ihre Hand auf die ihrer Mutter. Cassia drückte ihre Hand sanft und lächelte ihr aufmunternd zu.

»Schon gut, das ist ganz normal.«

Robyn atmete noch einmal tief ein, um ihre Nerven zu beruhigen.

»Bestimmt hast du recht.«

»Brauchst du mich noch?«

»Nein, ich denke, dass ich noch alleine essen kann.«

»Natürlich, aber, wenn du etwas brauchst, kannst du es mir sagen.«

»Das werde ich.«

Ihre Mutter stand auf und verließ sie wieder. Robyn blieb auf ihrem Stuhl sitzen und sah aus dem Fenster. Wie so oft in den letzten Wochen, seit man ihre Umstände sah, saß sie hier und dachte über sich und dieses Kind nach. Natürlich wusste sie, dass die Fragen, die sie quälten, ihre eigene Schuld waren. Jedoch konnte sie noch immer nicht vergessen, was sie gehört hatte. Seit sie wusste, dass sie ein Kind erwartete, hatten sich ihre Ansichten geändert. Sie musste ihre Ängste und ihre Wünsche aussortieren. Einige waren berechtigt, andere konnte sie sich nicht mehr erlauben. Egal, wie ihr Leben nun aussah.

Für die Menschen und Elfen machte sie alles richtig.

Sie war verheiratet und anschließend wurde sie schwanger. Alles verlief in seinen gewohnten Wegen. Alles, bis auf die Tatsache, dass Robyn wusste, dass nichts so war, wie alle dachten.

Schützend legte Robyn ihre Hände um ihren Bauch, als sie den Reitern zusah, die in den Berg einritten. Bereits von weitem, hatte sie gesehen, dass dies Elfen waren. Ihre schillernden, dunklen Rüstungen mit den zahlreichen Verzierungen, hatte sie verraten. Und dass Lyria ihnen vorweg ritt, zeigte Robyn, dass diese Männer wichtiger Besuch waren. Neugierig beobachtete sie die Gruppe, die in die Stadt einritt. Die Männer sahen sich nicht um, geschweige denn, dass sie den Menschen ihre Aufmerksamkeit schenkten. Stattdessen war ihr Blick starr auf den Rücken von Lyria gerichtet.

Robyn spürte eine warme Hand auf ihrer Schulter. Sie musste nicht mehr hochsehen, um zu erkennen, dass sie von Lorenonn war. Seit er wusste, dass sie ein Kind erwarteten, berührte er sie so oft es ging. Er war glücklich und stolz darauf, bald Vater zu werden.

»Wer sind sie?«

»Krieger von den Sonnlunds. Und sie sind Freunde. Wir sollten sie begrüßen.«

Gemeinsam gingen sie auf die Gruppe zu und begrüßten sie.

»Bealon!«

Ein Mann mittlerer Statur sprang aus dem Sattel und lief mit großen Schritten auf Lorenonn zu. Freundschaftlich umarmten die Männer sich und klopften sich dabei auf ihre Rücken.

»Mein Prinz, wir hoffen, dass es Euch gut geht.«

»Mir geht es sehr gut. Ich möchte Euch jemanden vorstellen.«

Lorenonn drehte sich zu Robyn herum und reichte ihr seine Hand. Sie wusste, dass sie diese Hand annehmen und zu ihm gehen musste, deswegen tat sie es auch.

»Ser Bealon, das hier ist meine bezaubernde Ehefrau, Prinzessin Robyn.«

Ser Bealon sah zwischen ihr und Lorenonn hin und her. Bevor er etwas sagte, verneigte er sich vor Robyn.

»Prinzessin. Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen. Ich bin Ser Bealon. Ein Offizier des Königs. Und ein alter Freund Eures Mannes.«

Robyn nickte ihm freundlich zu und legte ihre Hand wieder auf ihren Bauch.

»Willkommen, Ser Bealon.«

Bealon betrachtete von Neuem Robyn, bevor er sich an Lorenonn wandte.

»Mit dieser reizenden Frau, hast du wirklich Glück gehabt. Vor kurzem waren wir auf den Eiklunds, dort haben wir die neue Ehefrau von König Trimoreal getroffen. Königin Viveria ist wirklich bezaubernd, aber nicht annähernd so erhaben, wie deine Königin.«

»Bealon, kaum bist du angekommen, verbreitest du schon wieder den neusten Tratsch.«

»Natürlich, du warst lange nicht mehr zu Hause. Und wie ich sehe, dürfen wir noch einmal gratulieren.«

Lorenonn legte stolz seinen Arm um Robyns Rücken.

»Das darfst du, mein Freund.«

Ser Bealon verneigte sich vor Robyn.

»Unseren tiefsten Segen für Euch und Euer Kind, meine Prinzessin.«

»Ich danke Euch, Ser Bealon.«

Er stellte sich wieder aufrecht hin und lächelte Lorenonn an.

»Mein Prinz, darf ich fragen, wie lange Eure Ehefrau noch Zeit hat?«

»Noch ein paar Monate, wir werden die Reise gut überstehen.«

»Gut, wenn wir das aber gewusst hätten, hätten wir eine Amme mitgenommen.«

»Wir werden zurechtkommen, Ser Bealon.«

»Wie Ihr es wünscht, meine Prinzessin.«

Robyn half anfänglich dabei die Männer in ihre Unterkünfte zu bringen, bis Lorenonn sie von ihrer Arbeit abzog. In den letzten Wochen hatten die Frauen aus der Stadt an ihrer Aussteuer gearbeitet. Lorenonn bestand darauf, dass sie damit begann ihre Kleider in eine Kleidertasche zu packen. Mordecay hatte sich mehrmals bei ihr entschuldigt, dass sie ihre Kleider nicht wie die anderen Frauen, in Koffern transportieren konnte. Jedoch waren die geheimen Tunnel der Banditen zu eng dafür. Koffer würden sie aufhalten und im schlimmsten Fall ihr Leben gefährden. Robyn störte sich nicht daran. So wusste sie doch, dass Harel ihre Tasche tragen würde. Sie war sich sicher, dass der Freund ihrer Mutter lieber eine Tasche, als einen schweren Koffer voller Tand tragen wollte.

Als sie jetzt mit Lyria in ihrem Zimmer stand und ihre Kleidertasche packte, hielt sie mitten in ihrer Arbeit inne.

Lyria bemerkte, dass Robyn reglos in ihrem Zimmer stand, deswegen erkundigte sie sich, nach ihrem Wohlbefinden.

»Geht es Euch gut, Prinzessin?«

»Mir geht es gut, danke. Aber ich habe mich gerade gefragt, wenn wir jetzt abreisen, woher weiß Tamris dann, dass wir nicht mehr hier sind? Und findet er im Augenblick ein Schiff, dass ihn auf die Sonnlunds bringt? Was ist, wenn wegen dem Krieg niemand einen Elfen dabeihaben möchte?«

Lyria legte das Kleid wieder auf die Truhe und sah Robyn lange schweigend an. Robyn bemerkte ihren harten Gesichtsausdruck. Mittlerweile kannte sie Lyria so gut, dass sie wusste, dass sie das, was die Elfin dachte, nicht hören wollte.

Und trotzdem musste sie es hören.

»Sprecht mit mir, Lyria.«

»Ihr solltet wissen, dass wir Elfen die Zeit anders erleben, als ihr Menschen. Wir altern, genauso wie ihr, ja. Aber viel langsamer. Während ein Mensch nur wenige Jahrzehnte hat, hat ein Elf mehrere tausend Jahre. Wenn ein Elf für eine gewisse Zeit geht, ist es nicht gesagt, dass Ihr als Mensch ihn wiedersehen werdet.«

Lyria schwieg und versuchte die Regung in Robyns Gesicht zu deuten. Doch selbst Robyn konnte nicht sagen, wie es ihr ging. Lyria hatte ihre größte Angst ausgesprochen, dennoch hatte Robyn genau das erwartet.

»Es tut mir leid, Prinzessin. Ich hätte Euch auch gerne etwas Anderes erzählt. Aber Tamris hat sich für diesen Weg entschieden. Niemand weiß, ob wir ihn jemals wiedersehen werden. Die Welt ist zu groß dafür.«

»Die Welt…«

Robyn wiederholte diese beiden Wörter leise für sich. Dann fiel ihr wieder etwas ein, dass sie Lyria fragen wollte.

»Lyria?«

»Ja, Prinzessin?«

»Ser Bealon sprach vorhin von dem Königreich Eiklunds. Wo genau ist das?«

»Dies wird zu Euren Aufgaben gehören, wenn Ihr auf den Sonnlunds seid. Aber so viel kann ich Euch bereits sagen. Die Karte der Menschen, Nyúmel, geht bis zu den Sonnlunds. Das liegt daran, dass die Elfen vor vielen Jahren mit den Menschen zusammen gegen die Drachen gekämpft haben. Die Menschen zeigten sich erkenntlich und nahmen die Sonnlunds in Nyúmel auf. Wir Elfen hingegen haben viele Königreiche. Oft sind es Inseln, doch es gibt auch größere Flächen auf einem anderen Festland. Selten ist ein Mensch so weit gesegelt. Das liegt daran, dass einige Elfen das Wetter oder den Ozean befehligen können. Unsere Schiffe sind schneller als Eure und somit können wir größere Strecken bewältigen. Es gibt viele Königreiche der Elfen. Die Sonnlunds sind nur eines davon.«

»Werde ich die anderen Königreiche besuchen?«

»Nun, Ihr seid ein Mensch, deswegen weiß ich das nicht. Unsere Nachbarländer werdet Ihr wahrscheinlich besuchen. Aber unser Festland wohl nicht. Alleine die Reise dorthin dauert bald ein paar Monate.«

»Monate?«

»Das sagte ich.«

»Verhungern die Elfen auf der Reise nicht?«

»Nein, wir haben Möglichkeiten gefunden Lebensmittel länger zu lagern.«

Robyn nickte, als sie das hörte. Dieses neue Wissen bedeutete, dass sie niemals eine vollwertige Königin sein würde, die mit ihrem Ehemann ihr Land repräsentieren würde.

Und dies bedeutete auch, dass Tamris überall sein könnte.

Lyria hatte recht, die Möglichkeit ihn wiederzusehen, sank mit jeder Sekunde.

Listus korrigierte die Körperhaltung von Vey’lon, als dieser mit dem Pfeil zielte.

»Nein, warte. So erlegst du nur einen Wurm, wenn du ihn triffst. Du musst den Pfeil höher halten. Ganz straff. Richtig, jetzt weißt du es, gut, jetzt passt deine Körperhaltung.«

Vey’lon drehte sich leicht zu Listus herum und ließ aus Versehen den Pfeil los. Mit großen Augen beobachtete Listus, wie sich der Pfeil in den Erdboden bohrte.

»Ich gratuliere dir. Du hast etwas Dreck erlegt.«

»Da saß ein Vogel.«

Listus sah zu ihm und zog seine Augenbraue hoch, danach fing er an hellauf zu lachen.

»Lass das Fugl nicht hören.«

Aus Vey’lons Gesicht wich das Blut, als er bemerkte, was er gesagt hatte.

»Oh, stimmt ja.«

Listus bemerkte das schuldbewusste Gesicht von Vey’lon. Freundschaftlich legte er seine Hand auf die Schulter des jungen Co‘adz und versuchte ihn aufzumuntern.

»Das passiert und Fugl wird dich nicht umbringen. Er mag solche Scherze nun einmal nicht. Also, holen wir den Pfeil und versuchen es erneut.«

Vey’lon holte ihn und stand kurz darauf wieder neben Listus.

»Und jetzt noch einmal.«

Listus half Vey’lon, indem er seine Arme um ihn herumlegte und seine Körperhaltung erneut korrigierte. Als sie dieses Mal den Pfeil losließen, erwischten sie ihr Ziel.

Ungläubig sah Vey’lon zu dem Pfeil hinüber, der noch immer fest in dem Baumstamm steckte.

»Ich habe den Baum erwischt.«

»Großartig! Siehst du, du kannst es doch.«

Vey’lons Gesicht strahlte vor Stolz.

»Ich habe ja auch einen hervorragenden Lehrer.«

»Das ist Unsinn. Ich schaffe es gerade ein verletztes Tier zu erlegen. Im Kampf bin ich wertlos.«

»Sagt der Elf, der brillante Ideen hat?«

»So brillant sind sie nun auch nicht.«

»Doch, das sind sie. Ich habe gesehen, wie deine Einfälle in den letzten Monaten das Leben dieser Menschen verbessert hat.«

»Dennoch…«

Die beiden schwiegen urplötzlich und sahen sich an. Als sie das Geräusch erkannten, weiteten sich ihre Augen. Listus war der Erste, der reagierte.

»Schnell, folge mir.«

Sie liefen ein paar Schritte weiter, bis sie am dichten Unterholz ankamen. Listus kniete sich hin und öffneten die Luke, die im Unterholz der Sträucher versteckt war und kletterten hinein. Vey’lon folgte ihm und verschloss von innen heraus die Luke. Anschließend zog er vorsichtig mit Listus an den beiden Fäden des alten Fischernetzes, dass über der Luke lag. So wurde die Luke wieder von einer falschen Laubschicht bedeckt.

Wenige Herzschläge später, hörten sie die Schritte, die sie zuvor gehört hatten, nur dieses Mal waren sie noch deutlicher zu hören. Die Wachen hielten in der Nähe ihres Versteckes an und unterhielten sich.

»Sie könnten überall sein.«

»Die Königin verlangt, dass wir sie finden.«

»Hat sie sich diesen Wald schon einmal angesehen? Ich dachte, dass sie jetzt mit dieser Katze zusammenarbeitet. Warum laufen die nicht los? Die können doch die Fährte aufnehmen.«

»Das sind doch keine Hunde! Los, suchen wir weiter, bevor sie uns diesem wahnsinnigen Elfen ausliefert.«

Die Schritte entfernten sich, leider in die Richtung, die Vey’lon und Listus einschlagen müssten, um zurück zur Stadt zu kommen.

Vey’lon wandte sich flüsternd an Listus.

»Was machen wir jetzt?«

Listus setzte sich hin, lehnte sich an die kühle Wand aus Erde an und zuckte mit seinen Schultern.

»Wir warten.«

»Aber es ist kalt hier unten.«

»Sagt die Katze. Setze dich zu mir, dann ist dir vielleicht nicht mehr so kalt.«

Vey’lon setzte sich neben Listus und lehnte sich ebenfalls an.

Kurze Zeit später meckerte er bereits wieder.

»Es ist trotzdem kalt.«

»Dann musst du jetzt einfach frieren.«

Vey’lon ignorierte Listus. Er legte sich auf seine Seite, rollte sich zusammen und legte seinen Kopf auf die Beine von Listus.

»Was wird das?«

»Eine Katzensache. Aber so ist mir wärmer.«

Listus legte seine Hand auf die Schulter von Vey’lon und lächelte amüsiert.

»Dann schlaf gut, Kätzchen. Wir sitzen hier die nächsten Stunden fest.«

Lavis öffnete die Tür zu dem Kaminzimmer seiner Mutter. Vorsichtig wagte er sich vor.

»Mutter?«

»Was gibt es?«

Sie versuchte zwar interessiert zu klingen, dennoch konnte er aus ihrer Stimme heraushören, dass sie müde und noch immer gereizt war. Dies ging bereits seit mehreren Monaten so, er wusste nicht, wie er sie wieder aufheitern konnte. Seit Vey’lon die Familie verlassen hatte, war sie nicht mehr dieselbe.

»Kann ich mit dir sprechen?«

»Natürlich.«

Lavis betrat das Zimmer und verschloss hinter sich die Tür.

Er durschritt den Raum und setzte sich neben sie. Das Holz des Sessels drückte sich an diesem Tag bedrohlich tief in seinen Rücken.

»Worüber wolltest du mit mir sprechen?«

»Ich habe eine Einladung zur Jagd bekommen.«

A’kesha zog eine ihrer Augenbrauen hoch und musterte ihren Sohn. Dabei schien ihren blauen Augen nichts zu entgehen.

»Du hast neuerdings Freunde, die auf die Jagd gehen? Die müssen aber einen hohen Rang besitzen.«

»Nein, aber ich habe dennoch diese Einladung erhalten.«

Er überreichte seiner Mutter das Pergament. Noch bevor sie die Nachricht las, betrachtete sie das Siegel und stand zornig auf.

»Das kann er doch nicht wagen! Nach allem, was er getan hat? Die Götter sollen ihn endlich holen!«

Lavis stand hastig auf und entzog seiner Mutter die Einladung, bevor sie das Pergament im Feuer verbrennen konnte.

»Er schreibt, dass er mich besser kennenlernen möchte. War das nicht das, was du dir immer gewünscht hast?«

A’kesha stand vor ihrem Sohn und sah ihn lange an. Schließlich schluckte sie ihren Zorn hinunter und antwortete ihm ruhig.

»Ja, das habe ich. Aber ich lag falsch. Du musst mit ihm gehen, sonst wird er misstrauisch. Aber achte auf dich und lass ihn oder seine Handlanger niemals hinter dir reiten, hörst du Lavis? Achte auf dich und dein Leben.«

»Übertreibst du nicht etwas, Mutter?«

»Nein.«

Die kurze, rasche Antwort von seiner Mutter ließ ihn innehalten.

»Du verschweigst mir etwas.«

»Das ist wahr. Und weil du das jetzt weißt, solltest du mir glauben. Achte auf dich. Versprich es mir.«

Die Eindringlichkeit, mit der sie ihn anflehte, brachte ihn dazu, ihr zu glauben.

»Ich werde auf mich achten.«

»Warte noch.«

Sie eilte durch den Raum, bis sie an einem Schrank stand. Kurz suchte sie etwas in ihm, bis sie es schließlich fand.

»Hier.«

Sie trat auf ihn zu, in ihrer Hand hielt sie dabei einen gebogenen Dolch.

»Nimm ihn mit, verstecke ihn unter deiner Kleidung. Wenn es um dein Leben geht, solltest du nicht zögern. Du wirst dich danach schlecht fühlen, aber ich bin für dich da. Überwinde deine Zweifel und deine Gedanken, versuche einfach nur zu überleben.«

Mit klammen Händen nahm er den Dolch entgegen. Zwar sagte er nichts zu ihr, dennoch überlegte er, woher sie das alles wusste.

»Ich denke nicht, dass Selega es selbst machen wird, wenn doch, treffe ihn unter seinen Achseln oder in seinen Kniekehlen. Seine Stehkragen sind mit Metallplatten verstärkt, da kommst du nicht durch. Seine Beine sind ebenfalls gepanzert, jedoch gibt es in seiner Kniekehle keine Panzerung. Und achte auf seinen Schwanz, sobald er merkt, dass du dich verteidigst, wird er zu unfairen Mitteln greifen.«

»Mutter, ich kann doch auch zu Hause bleiben, wenn du dich so sehr sorgst.«

»Nein, das kannst du leider nicht. Du darfst dich dem König nicht widersetzen.«

A’kesha strich sanft mit ihrer Hand über seine Wange. Als sie jetzt zu ihm sprach, wahr ihre Stimme kaum mehr ein Flüstern.

»Die Zeiten haben sich geändert, Lavis. Zwar merken und wissen das viele Co’adz noch nicht, aber Selega will uns…retten. Er sagt, dass er die Co’adz von einem Leben als Hauskatzen zu einem Leben als Wildkatzen führen will.«

»Was will er damit sagen?«

»Vor vielen Jahren, wurden die Halbwesen von den Menschen und Elfen getötet. Sie haben sich verbunden und die Halbwesen beinahe genauso ausgerottet, wie die Drachen.«

»Aber, warum? Wir sind doch nett?«

»Die Halbwesen brachten den Tod und stellten sich über die Menschen und Elfen. Selegas Vater, hat dafür gesorgt, dass unser schlechter Ruf als mordende Halbwesen vergessen wird, indem er jedem Co’adz verboten hat, einen anderen Elfen oder Menschen zu verletzen. Jeder Versuch wurde umgehend mit dem Tode bestraft. So hat sein Vater viele Co’adz getötet, weil viele sich nicht gegen ihre Natur wenden wollten. Doch nur so konnte sein Vater garantieren, dass wir ein Teil des Königreiches wurden und nicht länger die gejagten Halbwesen waren. Er brachte uns den Frieden.

Du kennst die Geschichten um die Halbwesen noch?«

Lavis nickte.

»Du hast sie uns erzählt, als wir noch Kinder waren. Ich erinnere mich noch gut an die Geschichten, in denen der Anblick eines Halbwesen den Tod vorhergesagt hat. Oder in denen wir als die Monster angesehen wurden. Du hast uns von den Geschichten der Menschen erzählt, als unsere Vorfahren noch durch die Wälder pirschten und Menschen jagten.«

»Ganz genau. Und Selegas Vater war derjenige, der das alles verbannt hat. Er hat uns zu einer neuen Stufe gebracht, zu einer Gesellschaft, die anerkannt ist und vor allem einen guten Ruf genießt und pflegt. Wir sind nicht mehr die Ausgeburten der Unterwelt, wir sind ein Teil einer Welt. Doch das will Selega ungeschehen machen, er fühlt sich seiner Natur beraubt.«

»Aber warum? Uns geht es doch gut!«

»Er will ein größeres Denkmal, als sein Vater besitzen. Dies bedeutet für ihn, dass er etwas machen muss, dass die Taten seines Vaters in den Schatten stellen. Er will, dass wir die alleinigen Herrscher von Nyúmel werden und wieder jagen können, wie früher.«

»Er will also Wildkatzen in Samt und Brokat?«

A’kesha musste lachen, aufgrund der utopischen und doch passenden Bezeichnung.

»Ja, das will er. Und wenn du ihm in seinen Augen im Weg stehst, wird er versuchen dich zu beseitigen.«

»Und weshalb sollte er denken, dass ich ihm im Weg stehe?«

»Ich weiß es nicht. Aber er tut es. Gib acht auf dich, Lavis. Ich will nicht noch einen Sohn verlieren.«

»Ich werde auf mich aufpassen, aber jetzt will ich wirklich wissen, was er von mir will und was er erwartet.«

»Wehe, du kommst nicht zurück zu mir.«

»Ich werde zurückkommen, versprochen.«

»An einem Stück?«

»Versprochen, an einem Stück.«

Listus öffnete seine Augen. Im ersten Augenblick erschreckte er sich zutiefst, doch dann erinnerte er sich daran, dass sie noch immer in dem Erdloch saßen und deswegen die Welt um ihn herum finster war. Er wollte sich bewegen, doch Vey’lon hatte sich so fest an ihn herangedrückt, dass Listus sich kaum bewegen konnte. Vorsichtig griff er nach hinten und tippte Vey’lon an.

»Hm.«

Listus zog seine Augenbraue hoch und tippte ihn erneut an. Vey’lon versuchte im Schlaf das störende Gefühl zu beseitigen. Mit seiner Hand, strich er nach dem Etwas, dass ihn störte. Als er die Hand von Listus ergriff, hielt er ihn einfach fest.

»Bist du wach?«

Hinter ihm regte sich etwas, doch anstatt, dass Vey’lon aufwachte, legte er seinen Arm um Listus und legte sich anders hin. Listus rollte mit seinen Augen und versuchte es noch einmal, indem er ihm dieses Mal auf die Hand tippte.

»Vey’lon?«

Vey’lon regte sich hinter ihm.

»Wach auf.«

Als er wach wurde, zog er sofort seinen Arm zurück.

»Entschuldige.«

»Schon gut. Aber ich denke, wir können gehen.«

»Bist du dir sicher?«

»Nein, aber wir können es versuchen.«

Sie standen beide auf, doch bevor Listus die Luke öffnen konnte, hielt ihn Vey’lon noch einmal auf.

»Was machen wir mit den Wachen?«

»Nichts, was willst du tun?«

»Und wenn wir sie verfolgen und ausschalten?«

»Nur, wenn sie zu nah an der Stadt sind.«

Vey’lon nickte ihm zu und gemeinsam kletterten sie langsam aus dem Loch heraus.

Leise schlichen sie durch den Wald. Ihre Ohren nahmen jedes noch so kleine Geräusch wahr, während ihre Augen sich in der Dunkelheit zurechtfanden. Listus schlich hinter Vey’lon her und versuchte dabei nicht dem Co’adz auf den Schwanz zu treten.

Schließlich blieb Vey’lon stehen und kniete sich hin, Listus folgte ihm. Wortlos deutete Vey’lon auf die Spur, die sie gefunden hatten. Er hielt drei Finger hoch und zeigte in die Richtung, in die die Schritte führten. Doch dann zeigte er auf eine andere Spur, die durch das Unterholz gekommen war. Diese Abdrücke waren etwas größer. Listus betrachtete die Abdrückte und verwarf schnell den Gedanken, dass diese Abdrücke von Lyria stammen könnten.

Sie gingen weiter und verfolgten, wie die vierte Person vor ihnen, die drei Wachen.

Listus und Vey’lon blieben stehen, als sie den Qualm des alten, erloschenen Feuers rochen. Sie bückten sich noch tiefer und schlichen sich an. Die drei Wachen saßen schweigend vor dem alten Feuer. Listus beobachtete sie und ihm fiel auf, dass irgendetwas an ihnen nicht stimmte. Er stieß Vey’lon leicht mit seinem Ellenbogen an. Als er seine Aufmerksamkeit hatte, deutete er auf seinen Bauch und atmete deutlich ein und aus. Anschließend nickte er zu den anderen und schüttelte mit seinem Kopf. Die Wachen saßen zwar um die Feuerstelle herum, jedoch atmete keiner von ihnen mehr. Vey’lon zog sein Kurzschwert hervor und Listus seine Dolche. Sie mussten sich vorbereiten, irgendjemand war vor ihnen hier gewesen. Und der hatte nicht lange gewartet.

Da sie nur die Spuren eines Mannes gesehen hatten, musste er es mit drei weiteren Männern, alleine aufgenommen haben. Listus war kurz davor Respekt für diesen Krieger zu verspüren, doch dann besann er sich darauf, dass ein Krieger, der es mit drei Männern aufnehmen konnte, ebenfalls mit zweien zurechtkommen würde.

Sie mussten auf der Hut sein.

Xanar saß auf seinem Ast und beobachtete das ungleiche Paar, dass sich hinter seiner Falle versteckte. Er bezweifelte, dass diese beiden Männer ihm gefährlich werden konnten. Sie waren nicht die Verstärkung, die er erwartet hätte.

Als er genug Platz hinter ihnen hatte, glitt er lautlos den Baum hinunter und zog seine beiden Schwerter aus ihren Scheiden. Dieses Geräusch, ließ die beiden Männer stillstehen.

»Umdrehen. Ganz langsam.«

Sie drehten sich herum und hoben vorsichtig die Hände, als sie seine Schwerter sahen, die auf ihre Gesichter gerichtet waren.

»Wer seid Ihr?«

»Wir sind nur zwei Wanderer.«

»Wanderer? Und wo ist Eure Ausrüstung?«

»Die haben wir verloren, Banditen, Sie verstehen uns?«

»Und dann haben sie dich nicht mitgenommen, Elf?«

»Nein.«

Xanar betrachtete das Gesicht des Elfen genauer. Nach kurzem Überlegen, wusste er wieder, woher er ihn kannte.

»Ich kenne dich. Du warst in der Burg.«

Das Gesicht des Elfen zuckte kurz zusammen.

»Gut, du weißt, dass ich recht habe. Ich habe einen von euch gesucht. Euer Prinz sollte die Prinzessin heiraten, da du noch hier bist, nehme ich an, dass sie noch immer in Dranka ist.«

Der Elf mit den schwarzen Haaren, straffte seinen Rücken durch. Offensichtlich ließ er seine schlampige Tarnung fallen.

»Was willst du von ihr?«

»Ich muss mit ihr reden.«

»Kennt Sie Euch?«

»Ja. Wir sind uns bereits ein paar Mal begegnet.«

»Und warum sollte ich Euch glauben?«

»Das ist mir egal. Ich weiß jetzt, wo ich sie finden kann.«

Der Elf warf dem Co’adz einen schnellen Seitenblick zu, schließlich versuchte er mehr Informationen von Xanar zu bekommen.

»Was wollt Ihr der Prinzessin sagen?«

»Ich habe Neuigkeiten für sie.«

»Sind sie angebracht?«

Xanar zog seine Augenbraue hoch.

»Warum fragst du das, Elf?«

Der Co’adz neben ihm mischte sich in die Unterhaltung ein.

»Die Prinzessin ist in besonderen Umständen, deswegen.«

Xanar ließ seine Schwerter sinken.

»Oh, ich verstehe. Wie lange noch?«

»Noch bis in den Spätsommer hinein.«

Xanar steckte seine Schwerter endgültig wieder weg.

»Gut, dann sage ich es Euch, Elf. Der andere Elf, der bei ihr war. Der, der den König getötet haben soll.«

»Ich weiß, wen Ihr meint, was ist mit ihm?«

»Er wurde von einem Sklavenhändler aufgenommen.«

»Aufgenommen? Bist du dir sicher?«

»Ja, er hat sich im Tausch für die gefangenen Elfen gestellt, darunter Frauen und Kinder. Sie wollen zurück auf die Inseln, dort werdet ihr die Bestätigung meiner Geschichte bekommen.«

Xanar konnte die Angst in den Augen des Elfen erkennen.

»Was ist mit dem Elfen geschehen?«

»Der Elf, wurde in Ketten gelegt und mitgenommen.«

»Wo hat er ihn hingebracht?«

»Das weiß ich noch nicht, ich vermute, dass sie ihn auf die Insel der Rhodoy gebracht haben. Ich dachte nur, dass die Prinzessin das wissen sollte.«

»Warum sollte sich die Prinzessin dafür interessieren?«

Xanar warf dem Elfen einen deutlichen Blick zu.

»Mir ist die Freundschaft der beiden aufgefallen, als ich ihnen in der brennenden Burg das Leben gerettet habe.«

Der Elf gab seine kämpferische Haltung endgültig auf.

»Ich werde es dem Prinzen mitteilen, vielen Dank.«

»Gerne doch.«

»Darf ich nach Euren Namen fragen?«

»Ich heiße Xanar.«

»Wo kann ich Euch finden, wenn die Prinzessin oder der Prinz nach Euch fragen?«

»Ich werde in diesen Wäldern bleiben und Euch die Wachen der Königin vom Hals halten.«

»Und warum macht Ihr das?«

Xanar zuckte mit seiner Schulter.

»Das ist meine Angelegenheit, Elf. Ich werde Euch finden.«

Xanar drehte sich herum und verließ die beiden. In seinem Kopf ging er die neuen Informationen durch.

Die Prinzessin war also schwanger, dann könnte es sein, dass sie den Prinzen geheiratet hatte. Und dies würde bedeuten, dass Sommerly die Wand hochgehen würde. Er musste alles dafür tun, um diese Information in diesem Wald zu behalten. Anderweitig wusste er nicht mehr, wie er die Wahrheit herausbekommen sollte.

Zumal er seine neu errungene Freiheit, ohne einen König an seinen Fersen, sichtlich genoss. Vielleicht sollte er sich auch einfach nur so auf die Seite von Robyn stellen. Immerhin würde sie ihn nicht wie einen Kampfhund abrichten und losschicken.

Er könnte frei sein.

Und die Pläne der Königin sabotieren.

2

Von Stein zu Staub

Die Kleinen Füße von Lemia liefen über die Wiesen mit den Wildkräutern. Ihre hellblonden Haare, wehten dabei hinter ihr im Wind. Nicht weit von ihr entfernt, kniete ihre Mutter in der Wiese. Sie sortierte die Wildkräuter aus und überlegte, welche sie noch brauchen würden.

Lemia blieb abrupt stehen, als sie den funkelnden, blauen und violetten Schimmer am Himmel bemerkte.

»Mama?«

»Jetzt nicht, Lemia. Ich muss mich konzentrieren.«

»Aber, Mama. Was ist das?«

Ihre Mutter drehte sich kurz zu ihr herum. Auch sie konnte jetzt dieses Funkeln am Himmel erkennen. Vorsichtig stand sie auf, ihr Korb hing an ihrem einem Arm, während sie ihre Tochter an der anderen Hand festhielt. Langsam gingen sie über die Wiese, bis sie ihr Dorf sehen konnten. Die Anwohner hatten alle ihre Tätigkeiten abgebrochen, gemeinsam starrten sie mit Lemia und ihrer Mutter in den Himmel.

Schon bald, war ein ohrenbetäubendes Geräusch zu hören.

Es raste durch Lemias kleinen Körper und hinterließ ein helles Pfeifen in ihren Ohren. Auch ihre Mutter hatte sich ihre Ohren zugehalten. Sie sah noch, wie ihre Mutter den Korb mit den Kräutern fallen ließ. Anschließend riss sie das Kind von dem Boden hoch und lief mit ihr davon.

Lemia konnte über die Schulter ihrer Mutter hinweg sehen, wie der riesige, funkelnde Drache über das Dorf flog und jedes Haus und jeden Mann verbrannte.

Das letzte was sie sah, war der hellblaue Lichtschein, der auf sie und ihre Mutter zukam.

Der Regen strömte auf die Erde, während Lorenonn mit Bealon auf einer der zahlreichen Aussichtsplattformen der Stadt stand. Noch immer bewunderte er die Bauweise der Bewohner. Auf diesen Plattformen hatten bis zu fünf Mann Platz, von außen sah man jedoch nichts. Mit Bohrern hatten die Bewohner Steine aufgebohrt und sie an alte Fischernetze gebunden. Diese Netze lagen über den Schießscharten des Berges. Der Berg war nirgends einsehbar.

»Und du hast hier die ganze Zeit wie einer von ihnen gelebt?«

»Ja, aber ich bin dankbar dafür. Nachdem die Burg brannte, habe ich mich innerlich bereits auf Schlimmeres vorbereitet.«

Bealon nickte ihm zwar zu, doch bevor er einen Schluck von seinem Wasser nehmen konnte, sagte er Lorenonn seine Meinung.

»Ihr hättet nach Hause kommen können.«

»Das weiß ich.«

»Warum bist du dann noch hier?«

Lorenonn warf seinem alten Freund aus Kindheitstagen einen vielsagenden Blick zu.

»Oh, das Thema. Ich verstehe…Das Wetter.«

»Danke.«

»Dennoch kann ich nicht verstehen, wie du eine Prinzessin dazu nötigen kannst, hier zu leben. Ich meine, sie kommt aus einer guten Familie, ist in einer Burg aufgewachsen. Du bist ein Prinz, der zukünftige König der Sonnlunds. Und dann schaffst du es trotz deiner Gaben nicht, sie angemessen zu behandeln?«

»Du siehst das falsch, Bealon.«

»Ach? Wie sollte ich es denn sehen?«

»Es war Robyns Idee, hierhin zu gehen.«

»Ihre?«

»Ja, sie kannte Mordecay bereits von früher.«

»Mordecay, er war der…«

»Er ist das Oberhaupt dieser Gemeinschaft. Er wird auch derBanditenkönig genannt.«

»Banditen, ja? Und sie sind Freunde? Das sollte dein Vater besser nicht hören.«

»Nein, so ist das nicht, er wird nur so genannt. Mordecay kümmert sich um die Ausgestoßenen.«

»Also, ist er ein guter Mann?«

»Das ist er.«

»Gut, das erklärt mir aber noch lange nicht, weshalb deine Prinzessin den König der Banditen kennt.«

»Sie sind sich begegnet, als sie mit Tamris unterwegs war.«

Bealon verschluckte sich an seinem Wasser, sodass Lorenonn ihm auf seinem Rücken klopfen musste.

»Geht es wieder?«

»Sie? Mit diesem Kerl? Lorenonn, sag mir, dass alles gut ausgegangen ist!«

»Du denkst noch immer so schlecht von ihm.«

»Ja, aus gutem Grund. Jeder wächst auf den Sonnlunds mit dem Wissen auf, dass der junge Prinz gefährlich ist und nur wenige kennen die Wahrheit. Warum hast du sie alleine gelassen? Hattest du vergessen, was dein Bruder mit deiner letzten Ehefrau getan hat?«

»Dämpfe deine Stimme, Bealon.«

»Warum?«

Lorenonn wusste nicht, wie er ihm die Situation erklären sollte, stattdessen versuchte er es mit einer kurzen und knappen Erklärung.

»Sie weiß nicht, dass er mein Bruder ist. Sie denkt, dass wir befreundet sind. Ja, ihr ging es bei ihm gut. Aber er ist der Grund für diesen Krieg. Er sollte den König von Helis heilen, jetzt ist der König tot.«

»Oh, hat er? Ich meine, würde er?«

»Nein, wir haben bereits herausgefunden, dass ein anderer ihm diesen Mord unterschieben möchte. Aber mehr haben wir noch nicht.«

»Gut, du solltest deine Prinzessin schnellstmöglich nach Hause bringen. Und dann sollten wir uns noch einmal über einen Umzug unterhalten.«

»Wie meinst du da?«

»Ich habe es dir doch schon gesagt, wir waren auf den Eiklunds.«

»Ja, das sagtest du.«

»Ich war nicht ohne Grund dort. Eine Handvoll unserer Fürsten sind zu König Trimoreal gegangen.

Sie haben Angst um sich und ihre Familien. Diese Sklaverei der Menschen und der Co’adz geht zu weit. Sie wollen die Sonnlunds verlassen.«

»Verlassen? Aber das ist seit tausenden von Jahren unser zu Hause!«

»Das weiß ich. Und so einfach kommen sie auch nicht weg. Entweder sie ziehen einfach um, dann müssen sie sich jedoch ihren Rang erneut erarbeiten. Oder du gehst mit.«

»Ich? Warum sollte ich die Sonnlunds verlassen?«

»Weil König Trimoreal verlangt, dass du als seine rechte Hand auf die Eiklunds ziehst.«

»Ich soll meinen Platz als Thronfolger aufgeben, weil ein paar der Fürsten gehen wollen?«

»Ja, das ist der Plan.«

»Das ist ein schlechter Plan.«

»Das weiß ich, ich war ja auch nur als Wache anwesend. Aber so sieht es aus. Sie wollen dich umstimmen, dass du gehst.«

»Ich werde nicht gehen.«

»Das weiß ich. Lorenonn, ich versuche dir gerade schonend beizubringen, dass in deinem Land das Chaos herrscht. Die Fürsten konnten kein Abkommen schließen, sie brauchen dich dazu.«

»Nein, das ist mein letztes Wort.«

»Du könntest aber einmal mit Trimoreal sprechen. Er will Robyn bestimmt kennenlernen.«

»Sie wollen gehen? Dann sollen sie gehen. Aber halte mich und meine Familie da heraus!«

»Sie wollen aber ihren Status behalten. Den haben sie jedoch nur unter der Herrschaft der Krone deiner Familie.«

»Das weiß ich. Ich opfere viel für mein Land, aber ich lasse mich nicht erpressen.«

»Oh Lorenonn, du ziehst den Zorn der Götter auf dich.«

»Nein, nur den Zorn meiner Untertanen. Aber das ist es mir wert. Ich lasse niemanden zurück. Unsere Bauern haben dort keine Felder, die Fischer keine Rechte und die Familien, die getrennt leben? Was ist mit ihnen, wenn sie wissen, dass ihre Liebsten zu solch einer Zeit nicht einfach nach Hause kommen können? Abgesehen davon, gibt es einen Pakt mit dem König von Dranka.«

»Du zeihst die Menschen deinem Volk vor?«

»Nein, ich ziehe meine Pflicht ihren feigen Wünschen vor.«

Bealon hob seinen Becher und versuchte Lorenonn anzulächeln.

»Dann auf den nächsten Krieg, mein Freund.«

»Wir werden keinen Krieg führen, nicht gegen unser eigenes Volk.«

»Doch Lorenonn. Die Angst treibt uns zu vielem.«

Lorenonn wollte es nicht zugeben, doch sein Freund hatte recht. Die Fürsten der Sonnlunds hatten ein Mitspracherecht, wie das Land regiert wird. Daher waren die Plätze rar und begehrt. Niemand von ihnen würde sich einfach erheben und gehen. Doch er wusste, dass er sich in diesem Fall auf seinen Vater verlassen konnte. Sie würden diese schwierigen Zeiten gemeinsam durchstehen. Falls er sie nicht bereits erkannt und im Keim erstickt hatte.

Lorenonn war gerade auf dem Weg zu Königin Cassia, als er Robyn unter den Menschen entdeckte. Sie ging gerade etwas spazieren, als sie plötzlich stehenblieb und ihre Hand auf ihren Bauch legte. Besorgt lief Lorenonn zu ihr.

»Ist alles in Ordnung.«

Robyn stand einfach nur da und starrte ziellos in die Luft.

»Ja, ja. Es ist alles in Ordnung.«

»Warum siehst du dann nicht so aus?«

»Deswegen.«

Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihren Bauch. Deutlich konnte er die unruhigen Bewegungen seines Kindes spüren. Ein strahlendes Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus, als er Robyn zärtlich in seine Arme schloss und ihren Duft einatmete.

»Danke.«

»Wofür?«

»Für alles.«

Die Hufe der Pferde schlugen dumpf auf dem Gras auf. Lavis ließ Selega und seinen Berater Zlo’dagk vor sich reiten. Innerlich dankte er den Bäumen dafür, dass ihre Wege so schmal waren, somit würde niemand nach seinen Beweggründen fragen.

Sie ritten noch, bis sie einen schattigen Platz für die Pferde gefunden hatten, dort stiegen Selega und Zlo’dagk ab. Xaler folgte ihrem Beispiel, stieg ebenfalls ab und band das Pferd an. Als er jedoch sah, wie sie ihre Westen aufknüpften, sah er weg.

»Stell dich nicht so an, Junge. Das ist unsere Natur.«

»Ich dachte, wir wollten Jagen, Minherr.«

»Das werden wir auch.«

»Wenn wir unsere Kleidung ablegen, wie sollen wir dann unsere Waffen tragen?«

Zlo’dagk lachte ihn aus, doch Selega antwortete ihm ruhig.

»Wir sind geborene Jäger. Wir tragen die Waffen stets bei uns.«

Lavis sah zu ihm in dem Augenblick hoch, indem Selega seine Krallen ausfuhr.

Selega trat zu ihm und blieb direkt vor ihm stehen. Als er mit ihm sprach, war seine Stimme ein Flüstern, dass Lavis einen Schauer verpasste.

»Ich habe dich mitgenommen, damit du lernst, was deine wahre Natur bedeutet. Deine Mutter ist noch zu schwach, um dir dein wahres Wesen zu zeigen. Folge mir in unsere Vergangenheit und in unsere Zukunft.«

»Dies würde bedeuten, dass ich alles verdrängen würde, was Euer Vater uns allen auferlegte.«

»Er zwang uns dazu, ja. Und ich werde uns alle in eine glorreiche Zukunft führen.«

König Selega lehnte sich weiter vor und flüsterte nun direkt in das Ohr von Lavis.

»Folge mir, mein Sohn.«

Diese Wörter, fuhren durch seinen Geist, wie ein Blitz. Die Gefühle, die in ihm durchbrachen, waren ihm selbst fremd und bevor er es verstand, knöpfte er bereits seine Weste auf.

Er war bereit dazu, der Sohn seines Vaters zu werden.

Tamris kniete sich hin und nahm etwas von dem Sand in seine Hände. Er war jetzt bereits heiß und trocken, dies würde ein harter Tag werden. Tamris war froh darüber, dass er mittlerweile die typischen Kleider der Krieger trug. Die kurze Hose aus Leinen reichte ihm vollkommen. Im Laufe der nächsten Wochen, würde sich auch seine Haut wieder an die stechende Sonne gewöhnen. Sie würde wieder dunkler werden, er musste nur daran denken, sich um den Sonnenbrand zu kümmern.