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Ob man zu Hause arbeitet oder im Ausland, Geschäftserfolg in unserer immer mehr globalisierten und virtuellen Welt erfordert die Fähigkeit, durch kulturelle Unterschiede zu navigieren und fremde Kulturen zu entschlüsseln. Die renommierte Expertin Erin Meyer ist Ihr Guide durch dieses schwierige, manchmal trügerische Gelände, in dem von Menschen mit gänzlich unterschiedlichem Background erwartet wird, harmonisch zusammenzuarbeiten.
Selbst mit Englisch als globaler Sprache ist es leicht in kulturelle Fallen zu tappen, die die Karriere gefährden oder Abschlüsse zunichtemachen können. Zum Beispiel wenn ein brasilianischer Manager versucht, zu ergründen, wie sein chinesischer Lieferant Dinge erledigt; oder ein amerikanischer Chef versucht, mit den Dynamiken innerhalb seines Teams zwischen russischen und indischen Teammitgliedern umzugehen.
In der "Culture Map" liefert Erin Meyer nun ein praxiserprobtes Modell, einen Kompass, um zu dekodieren, wie kulturelle Unterschiede internationalen Erfolg beeinflussen. Sie kombiniert ein kluges analytisches Framework mit praktischen Tipps für mehr Erfolg in einer globalen Welt. Im Modell der "Culture Map" werden 8 Dimensionen (unter anderem Kommunizieren, Führen, Vertrauen, Entscheiden) betrachtet. Diese Dimensionen steigern die Effektivität der Arbeit - egal, ob man seine Mitarbeiter motivieren, Kunden erfreuen will oder einfach nur einen Conference-Call plant, an dem Mitglieder unterschiedlicher Kulturen teilnehmen. Die Leser werden in die Lage versetzt, sich und ihre Position gegenüber den anderen einzuordnen und zu entschlüsseln, wie die Kultur die eigene internationale Zusammenarbeit (Kollaboration) beeinflusst, um unangenehme Situationen oder Fiaskos zu vermeiden.
Die deutsche Ausgabe des Buches wird von der Autorin aktualisiert. Drei neue Länder (Türkei, Marokko, Irak) werden zusätzlich in die Betrachtung aufgenommen.
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Seitenzahl: 366
Das englische Original erschien 2014 bei Public Affairs™, einem Mitglied der Perseus Book Group unter dem Titel Culture Map. Breaking Through The invisible Boundaries of global Business.
Copyright © 2014 by Erin Meyer.
All rights reserved
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© 2024 Wiley-VCH GmbH, Boschstraße 12, 69469 Weinheim, GermanyAlle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlich geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche markiert sind.
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Print ISBN: 978-3-527-51168-6ePub ISBN: 978-3-527-81629-3
Umschlaggestaltung: Susan BauerCoverbild: elenabsi – fotolia.com
Für meine Söhne Ethan und Logan, die mir täglich vor Augen führen, was es heißt, interkulturell aufzuwachsen, und für meinen Mann Eric, der das alles möglich gemacht hat.
Cover
Titelblatt
Impressum
Widmung
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Wie man durch kulturelle Unterschiede navigiert, und die Weisheit von Frau Chen
Unsichtbare Grenzen teilen unsere Welt
Es reicht nicht aus, offen für individuelle Unterschiede zu sein
Acht Skalen, mit denen sich die Kulturen der Welt kartografieren lassen
Wie Sie mit der Culture Map arbeiten
Wie ist mein Land zu seiner Platzierung gekommen?
Die entscheidende Perspektive: Kulturelle Relativität
Wenn die kulturellen Unterschiede in uns selbst liegen
Schmecken Sie das Wasser, in dem Sie schwimmen
Notiz
1. Auf die Luft hören – Interkulturelle Kommunikation
Zusammenspiel von Sprache und Geschichte
Was macht einen guten Kommunikator aus?
Alles ist relativ
Strategien für die Zusammenarbeit mit Personen aus kontextreicheren Kulturen
Strategien für die Zusammenarbeit mit Personen aus kontextärmeren Kulturen
Strategien für eine multikulturelle Zusammenarbeit
Wann sollten Sie etwas schriftlich festhalten?
Anmerkungen
2. Die vielen Gesichter der Höflichkeit – Leistung beurteilen und negatives Feedback geben
Offene Worte: Ein Geschenk oder ein Schlag ins Gesicht?
Verstärkung, Understatement und die Kunst der Übersetzung
A) Kontextarm + Direktes negatives Feedback
B) Kontextreich + Direktes negatives Feedback
C) Kontextarm + Indirektes negatives Feedback
D) Kontextreich + Indirektes negatives Feedback
Was heißt höflich sein?
Anmerkungen
3. Warum versus Wie – Die Kunst, in einer multikulturellen Welt zu überzeugen
Zwei Denkstile: Von Prinzipien ausgehend versus von der Anwendung ausgehend
Die Position der Länder auf der Skala des Überzeugens
Wenn sich Philosophie und Wirtschaft begegnen
Strategien für interkulturelles Überzeugen
Ganzheitliches Denken: Der asiatische Ansatz beim Überzeugen
So steigern Sie Ihre Effektivität
Gefahren vermeiden, Vorteile genießen
Anmerkungen
4. Wie viel Respekt erwarten Sie? – Führung, Hierarchie und Macht
Geert Hofstede und das Konzept der Machtdistanz
Historische und kulturelle Faktoren mit Einfluss auf die Skala des Führens
Lernen, in einer hierarchischen Kultur zu führen
Ebenen überspringen: Erst schauen, dann springen
Wenn internationale Mitarbeiter zu viel Respekt zeigen – oder zu wenig
Anmerkungen
5. Großes E oder kleines e – Wer entscheidet, und wie?
Konsens ist ein Schimpfwort
Konsens oder Top-down – was bevorzugen Sie?
Das japanische Ringi-System: hierarchisch, aber äußerst konsensorientiert
Bei Entscheidungen das Aufeinanderprallen von Kulturen vermeiden
Anmerkungen
6. Der Kopf oder das Herz – Zwei Arten von Vertrauen und wie sie wachsen
Vertrauen aus dem Herzen, Vertrauen aus dem Verstand
Aufgabenbasierte kontra beziehungsbasierte Kulturen
Pfirsich versus Kokosnuss: Freundlich ist nicht gleichbedeutend mit beziehungsbasiert
Strategien zur interkulturellen Vertrauensbildung
Sein wahres Ich zeigen: Die Beziehung ist der Vertrag
Denken Sie gut über Mahlzeiten nach: Das Mittagessen könnte Ihre Eintrittskarte sein
Wählen Sie Ihr Kommunikationsmittel: Telefon, E-Mail oder Wasta
Anmerkungen
7. Die Nadel, nicht das Messer – Produktiv widersprechen
Konfrontation: Gesichtsverlust oder lebhafte Debatte?
Konfrontation versus emotionale Ausdrucksfähigkeit
Teams aus aller Welt dazu bringen, auf angenehme Weise zu widersprechen
»Lassen Sie mich den Advocatus Diaboli spielen«
Notiz
8. Wie spät ist zu spät? – Terminplanung und kulturell bedingte Zeitwahrnehmung
Die Kultur studieren, bis die Kühe nach Hause kommen
Beziehungen: Ein Schlüssel zum Verständnis der Zeitplanungs-Skala
Schlange ist nicht gleich Schlange: Schlangestehen in Stockholm versus Schwarmbildung in Indore
Ein Meeting ist wie Schlangestehen
Auf ein Zeichen vom Mond warten: Die Methode des Stilwechsels bei unterschiedlichen Zeitauffassungen
Vorher Klarheit schaffen: die Strategie für interkulturelle Führungskräfte
»Deine Art und Weise ist so ineffizient!«
Anmerkungen
Epilog: Mit der Culture Map arbeiten
Alles zusammenbringen: die Culture Map
Die Störungszonen überbrücken
Wir sind alle gleich, wir sind alle verschieden
Danksagungen
Stichwortverzeichnis
Die Autorin
End User License Agreement
Einleitung
Abbildung E.1
Abbildung E.2
Abbildung E.3
Abbildung E.4
Abbildung E.5
Abbildung E.6
Kapitel 1
Abbildung 1.1: Kommunizieren
Abbildung 1.2: Kommunizieren
Kapitel 2
Abbildung 2.2: Beurteilen
Abbildung 2.3
Kapitel 3
Abbildung 3.1: Überzeugen
Abbildung 3.2: Beispiel einer Zeichnung
Abbildung 3.3: Links: US-amerikanisches Porträt. Rechts: japanisches Porträt...
Kapitel 4
Abbildung 4.1: Führen
Abbildung 4.2: Prozentualer Anteil der »Ja«-Antworten auf die Frage
Kapitel 5
Abbildung 5.1: Zeitplan in einer Konsens-Kultur
Abbildung 5.2: Zeitplan in einer Top-down-Kultur
Abbildung 5.3: Entscheiden
Kapitel 6
Abbildung 6.1: Vertrauen
Kapitel 7
Abbildung 7.1: Widersprechen
Abbildung 7.2: Beispielfotos der Studie
Abbildung 7.3: Vierquadranten-Matrix zur Ausdrucksstärke
Kapitel 8
Abbildung 8.1: Termine vereinbaren
Epilog
Abbildung E.1
Cover
Titelblatt
Impressum
Widmung
Einleitung: Wie man durch kulturelle Unterschiede navigiert, und die Weisheit von Frau Chen
Inhaltsverzeichnis
Fangen Sie an zu lesen
Epilog: Mit der Culture Map arbeiten
Danksagungen
Stichwortverzeichnis
Die Autorin
End User License Agreement
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Als an diesem kalten Novembermorgen in Paris die Dämmerung anbrach, war ich mit dem Auto unterwegs zu meinem Büro, wo ich einen wichtigen neuen Kunden treffen wollte. Ich hatte nicht gut geschlafen, aber das war nichts Ungewöhnliches, denn vor einer wichtigen Trainingssitzung habe ich oft eine unruhige Nacht. Was in dieser Nacht aber anders gewesen war, waren die Träume, die meinen Schlaf gestört hatten.
Ich war in einem großen amerikanischen Supermarkt gewesen und wollte dort Lebensmittel einkaufen. Ich arbeitete meine Einkaufsliste ab – Obst, Kleenex-Tücher, weiteres Obst, ein Brot, eine Tüte Milch, noch mehr Obst – und musste zu meinem Erschrecken feststellen, dass ich die Artikel gar nicht so schnell finden und in meinem Einkaufswagen verstauen konnte, wie sie auch schon wieder daraus verschwunden waren. Ich hetzte durch die Regalreihen und warf ein Produkt nach dem anderen in den Wagen, nur um festzustellen, dass sie gleich darauf schon wieder spurlos verschwunden waren. Entsetzt und frustriert wurde mir klar, dass ich mit meinem Einkauf niemals fertig werden würde.
Nachdem der Traum in dieser Nacht noch mehrmals wiedergekehrt war, gab ich den Plan auf, wieder einzuschlafen. Ich stand noch vor Anbruch des Tages im Dunkeln auf, kippte eine Tasse Kaffee hinunter und zog mich an, dann fuhr ich durch die leeren Straßen von Paris zu meinem Büro in der Nähe der Champs-Élysées, um mich dort auf das Programm des Tages vorzubereiten. Da ich überlegt hatte, mein Albtraum vom ineffizienten Einkaufen könnte mit der Sorge zu tun haben, ich wäre womöglich nicht gründlich genug auf den Besuch meines Kunden vorbereitet, verwendete ich meine Energie darauf, den Konferenzraum herzurichten und noch einmal gründlich meine Notizen für den vor uns liegenden Tag durchzugehen. Ich sollte den Tag mit einem der Topmanager von Peugeot Citroën verbringen, um ihn und seine Frau auf die kulturellen Unterschiede vorzubereiten, auf die sie sich bei ihrem bevorstehenden Umzug nach Wuhan in China einstellen mussten. Wenn ich mit meinem Programm erfolgreich wäre, sollte meine Firma den Auftrag erhalten, das Gleiche im Lauf des Jahres mit 50 weiteren Paaren durchzuführen, es stand also eine Menge auf dem Spiel.
Bo Chen, der landeskundige chinesische Experte, der bei dieser Trainingssitzung assistieren sollte, traf ebenfalls frühzeitig ein. Chen, ein 36-jähriger, in Paris ansässiger Journalist aus Wuhan, arbeitete für eine chinesische Zeitung. Er hatte sich dafür gemeldet, an dem Training als Experte für chinesische Kultur teilzunehmen, und sein Beitrag würde ein ganz entscheidendes Element sein, wenn dieser Tag zum Erfolg werden sollte. Wenn er so gut war, wie ich es hoffte, würde das Programm zum Hit werden, und wir würden die 50 Folgeaufträge bekommen. Mein Vertrauen in Chen war durch unsere Vorbereitungstreffen gestärkt worden. Redegewandt, extrovertiert und äußerst kenntnisreich war Chen für die Aufgabe wie geschaffen. Ich hatte ihn gebeten, zwei oder drei konkrete Beispiele aus dem Geschäftsleben vorzubereiten, mit denen er jede der kulturellen Dimensionen illustrieren konnte, die ich im Programm behandeln wollte, und er hatte begeistert zugestimmt.
Monsieur und Madame Bernard trafen ein, und ich platzierte sie auf der einen Seite des großen rechteckigen Glastischs, Chen auf der anderen. Ich atmete einmal tief und hoffnungsvoll durch und begann dann mit der Sitzung, in der ich den Bernards auf dem Flipchart skizzierte, welche kulturellen Probleme sie würden meistern müssen, wenn ihr Aufenthalt in China zum Erfolg werden sollte. Im Lauf des Vormittags erläuterte ich die Hauptprobleme in allen Dimensionen, beantwortete die Fragen der Bernards und hielt immer ein wachsames Auge auf Chen gerichtet, damit ich ihm gegebenenfalls ermöglichen konnte, seine Beiträge einzubringen.
Aber Chen schien keine Beiträge zu haben. Nachdem ich mit der ersten Dimension fertig war, machte ich eine kurze Pause und sah zu ihm hinüber, ob er einen Beitrag leisten wollte, aber er ergriff nicht das Wort. Weder tat er den Mund auf noch beugte er sich vor oder hob die Hand. Anscheinend konnte er kein Beispiel beisteuern. Da ich Chen nicht in Verlegenheit bringen und auch keine peinliche Situation herbeiführen wollte, indem ich ihn aufforderte, obwohl er nichts zu sagen hatte, machte ich einfach mit dem nächsten Punkt weiter.
Zu meinem wachsenden Entsetzen blieb Chen still und nahezu bewegungslos sitzen, während ich mit dem Rest meiner Präsentation fortfuhr. Er nickte zwar höflich, wenn ich sprach, aber das war auch schon alles; es kamen von ihm keinerlei weitere körpersprachliche Reaktionen, seien sie positiv oder negativ. Ich lieferte jedes Beispiel, das mir nur irgend einfiel, und trat so gut ich konnte in den Dialog mit meinen Kunden. Dimension für Dimension besprach und beriet ich mit den Bernards – und Dimension für Dimension gab es keinen Beitrag von Chen.
Drei volle Stunden machte ich so weiter. Meine anfängliche Enttäuschung über Chen wich allmählich ausgewachsener Panik. Ich brauchte seinen Beitrag, wenn das Programm ein Erfolg werden sollte. Und auch wenn ich vor dem Kunden keine peinliche Situation entstehen lassen wollte, sprach ich ihn schließlich direkt an. »Bo«, fragte ich, »hätten Sie irgendwelche Beispiele, die Sie uns mitteilen möchten?«
Chen setzte sich aufrecht hin, lächelte die Kunden selbstbewusst an und öffnete seine Mappe, die mit Seiten über Seiten getippter Notizen gefüllt war. »Danke, Erin«, antwortete er. »Ja, die habe ich.« Und dann begann Chen zu meiner unendlichen Erleichterung ein klares, relevantes und faszinierendes Beispiel nach dem anderen zu erläutern.
Wenn man über die Geschichte meiner Auseinandersetzung mit dem »stillen Bo« nachdenkt, liegt es nahe zu vermuten, dass irgendetwas in Chens Persönlichkeit oder meiner Persönlichkeit oder unserer Interaktion zu der angespannten Situation geführt haben könnte. Zum Beispiel, dass Chen vielleicht so schweigsam gewesen wäre, weil er kein guter Kommunikator ist oder weil er schüchtern und introvertiert ist und sich nicht wohl dabei fühlt, sich zu äußern, ohne dazu gedrängt zu werden. Oder dass vielleicht ich ein schlechter Stichwortgeber wäre und Chen zwar vorher gesagt hätte, dass er sich auf die Besprechung vorbereiten solle, ihn dann aber erst angesprochen hätte, als die Sitzung schon fast vorbei war. Oder, die gnädigere Variante, dass ich so müde gewesen wäre, weil ich die ganze Nacht von verloren gegangenem Obst geträumt hatte, dass mir Chens ganze visuelle Hinweise entgangen wären, mit denen er anzeigen wollte, dass er etwas zu sagen habe.
Meine Vorbesprechungen mit Chen hatten mir allerdings klargemacht, dass er weder unfähig war, sich auszudrücken, noch schüchtern; er war im Gegenteil ein begabter Kommunikator und strotzte vor Extrovertiertheit und Selbstbewusstsein. Und ich meinerseits hatte schon jahrelang Kundenbesprechungen geführt und noch nie eine derartige Kommunikationslücke erlebt, was nahelegte, dass auch nicht meine Fähigkeiten als Stichwortgeberin hier das Problem waren.
In Wirklichkeit ist die Geschichte des stillen Bo eine Geschichte der Kultur, nicht der Persönlichkeit. Aber die kulturelle Erklärung ist nicht so leicht, wie Sie vielleicht denken. Chens Verhalten in unserer Besprechung deckt sich zwar mit einem vertrauten kulturellen Stereotyp. Menschen aus dem Westen nehmen oft an, dass Asiaten im Allgemeinen ruhig, reserviert oder schüchtern seien. Und wenn Sie ein globales Team leiten, zu dem sowohl Asiaten als auch Personen aus dem Westen gehören, ist Ihnen höchstwahrscheinlich auch die verbreitete westliche Beschwerde schon begegnet, die asiatischen Teilnehmer sprächen nicht viel und seien nicht so unumwunden bereit, in Teambesprechungen ihre persönliche Meinung zu äußern. Aber dieses kulturelle Stereotyp spiegelt nicht den wirklichen Grund für Chens Verhalten wider.
Da die Bernards, Chen und ich ja hier nun einmal an einem interkulturellen Trainingsprogramm teilnahmen (das ich leiten sollte – obwohl ich mich nun unbehaglicherweise in der Rolle der Lernenden wiederfand), beschloss ich, Chen einfach nach einer Erklärung für sein Vorgehen zu fragen. »Bo«, rief ich, »da hatten Sie all diese tollen Beispiele, und Sie melden sich gar nicht zu Wort?«
»Hatten Sie denn erwartet, dass ich mich zu Wort melde?«, fragte er mit dem Ausdruck echten Erstaunens im Gesicht. »Hier im Raum«, sagte er und wandte sich an M. und Mme Bernard, »ist Erin die Leiterin der Besprechung.« Er fuhr fort:
Da sie die leitende Person hier im Raum ist, warte ich, bis sie mich aufruft. Und solange ich warte, muss ich zeigen, dass ich ein guter Zuhörer bin, und verhalte mich ruhig, mit Stimme und Körper. In China haben wir oft den Eindruck, dass Menschen aus dem Westen in Besprechungen so oft das Wort ergreifen, weil sie angeben wollen oder schlechte Zuhörer sind. Ich habe auch beobachtet, dass Chinesen ein paar mehr Sekunden Stille verstreichen lassen als Personen aus dem Westen, bevor sie das Wort ergreifen. Ihr Westler redet in einer Besprechung praktisch schon, bevor der andere ausgeredet hat. Ich habe immer darauf gewartet, dass Erin einmal lange genug still wäre, damit ich übernehmen könnte, aber da kam ich nie an die Reihe. Wir Chinesen haben oft den Eindruck, dass Amerikaner keine guten Zuhörer sind, weil sie anderen immer ins Wort fallen, um ihre Argumente anzubringen. Ich hätte gern einen meiner Beiträge geleistet, wenn es zu einer angemessen langen Pause gekommen wäre. Aber Erin hat immer weiter geredet, daher habe ich geduldig gewartet. Meine Mutter hat mir immer eingebläut: Du hast zwei Augen, zwei Ohren, aber nur einen Mund. Entsprechend sollst du sie auch gebrauchen.
Als Chen redete, wurde den Bernards – und mir – der kulturelle Hintergrund unseres Missverständnisses klar. Er war ganz offensichtlich viel weitreichender als das schlichte Stereotyp vom »schüchternen Chinesen«. Und dieses neue Verständnis leitete über zur wichtigsten Frage überhaupt: Sobald ich mir des kulturellen Kontexts bewusst bin, der eine Situation prägt, welche Schritte kann ich dann unternehmen, um effektiver damit umzugehen?
Im Szenario des stillen Bo führt mein tieferes Verständnis der Bedeutung von Bos Verhalten zu ein paar einfachen und doch wirksamen Lösungen. In Zukunft kann ich mich besser darauf vorbereiten, die unterschiedlichen kulturellen Erwartungen im Hinblick auf Status und Kommunikation zu erkennen und flexibel damit umzugehen. Beim nächsten Mal, wenn ich ein Trainingsprogramm mit einem chinesischen Kulturspezialisten leite, muss ich darauf achten, dass ich ihn zum Sprechen auffordere. Und wenn er dann nicht gleich antwortet, muss ich erst ein paar Momente der Stille abwarten, bevor ich weiterrede. Auch Chen kann ein paar einfache Strategien anwenden, um seine Effizienz zu verbessern. Er könnte zum Beispiel beschließen, sich über seine natürliche Neigung hinwegzusetzen, erst nach Aufforderung zu sprechen, und sich zwingen, immer dann dazwischenzugehen, wenn er die Idee zu einem Beitrag hat. Oder wenn ihm das zu aggressiv vorkommt, dann könnte er die Hand heben und ums Wort bitten, wenn sich der Freiraum nicht bietet, den er zum Sprechen braucht.
Ich biete in diesem Buch eine systematische, schrittweise Methode an, wie sich die meistverbreiteten kommunikativen Herausforderungen im geschäftlichen Bereich verstehen lassen, die aus kulturellen Unterschieden entstehen, und zeige Schritte, wie sich effektiver damit umgehen lässt. Der Prozess beginnt damit, dass man die kulturellen Faktoren erkennt, die das menschliche Verhalten prägen, und die Gründe für dieses Verhalten methodisch analysiert. Das wiederum ermöglicht Ihnen dann klare Strategien, wie Sie Ihre Effizienz bei der Lösung der schwierigsten Probleme verbessern können, die durch interkulturelle Missverständnisse ausgelöst werden – oder sie sogar gleich ganz vermeiden.
* * *
Als ich Sabine Dulacs im zweiten Stock gelegenes Büro in La Défense betrat, dem Geschäftsviertel vor den Toren von Paris, ging sie gerade aufgeregt vor ihrem Fenster auf und ab, das einen Ausblick auf eine kleine Fußgängerbrücke und die Betonskulptur eines riesigen menschlichen Daumens bot. Der energiegeladenen Finanzleiterin eines führenden globalen Energieunternehmens war eine zweijährige Mission in Chicago angeboten worden, nachdem sie ihre Vorgesetzten jahrelang um eine solche Gelegenheit gebeten hatte. Den vorangegangenen Abend hatte sie damit verbracht, einen Schwung von Artikeln zu studieren, die ich ihr geschickt hatte und in denen die Unterschiede zwischen der französischen und der amerikanischen Geschäftskultur beschrieben wurden.
«Ich denke, dieser Umzug nach Chicago ist perfekt für mich«, erklärte Dulac. »Ich liebe es, mit Amerikanern zusammenzuarbeiten. Ils sont tellement pratiques et efficaces! Mir gefällt diese Konzentration aufs Praktische und auf die Effizienz. Et transparent! Die Amerikaner sind so viel deutlicher und transparenter als wir hier in Frankreich!«
Ich verbrachte mehrere Stunden mit Dulac, in denen ich ihr half, sich auf ihren Umzug vorzubereiten, und dabei überlegten wir auch, wie sie ihren Führungsstil am besten anpassen könnte, um im Kontext der amerikanischen Kultur effizient zu arbeiten. Das sollte ihre erste Auslandserfahrung werden, und sie würde auch die einzige Nichtamerikanerin im Team sein, wobei beides ihre Begeisterung für den Umzug nur noch steigerte. Voller Vorfreude auf ihre neuen Möglichkeiten brach Dulac dann in die Windy City auf. Vier Monate lang hörten wir nichts voneinander. Dann rief ich zunächst ihren neuen amerikanischen Chef an und später auch Dulac selbst, um die vereinbarten Folgegespräche zu führen.
Auf meine Frage, wie sich Dulac denn so mache, begann Jake Webber seine Antwort mit einem schweren Seufzer. »Sie macht sich – so mittel. Ihr Team mag sie sehr gern, und sie ist unglaublich energiegeladen. Ich muss zugeben, dass sie mit ihrer Energie die ganze Abteilung ansteckt. Das ist positiv. Sie hat sich definitiv viel schneller integriert, als ich erwartet hätte. Ja, das war wirklich sehr gut.«
Es war zu spüren, dass in Webbers Beurteilung nun das Aber folgen würde. »Es gibt allerdings ein paar kritische Dinge in ihrer Arbeitsweise, die Sabine unbedingt ändern muss«, fuhr Webber fort, »und ich kann da leider keinerlei Bemühen auf ihrer Seite feststellen. Ihre Kalkulationstabellen sind schludrig, sie macht Rechenfehler, und sie kommt unvorbereitet in die Konferenzen. Ich habe ein paar Mal mit ihr darüber gesprochen, aber sie bekommt die Message nicht mit. Sie bleibt einfach bei ihrem gewohnten Arbeitsmuster. Erst letzten Donnerstag habe ich wieder mit ihr darüber gesprochen, aber es ist ihrerseits weiter kein Bemühen festzustellen.
Heute Morgen haben wir dann ihr Beurteilungsgespräch geführt«, sagte Webber mit einem weiteren Seufzer, »und ich habe diese Probleme noch einmal ausführlich angesprochen. Warten wir's mal ab. Aber wenn sie da nicht mal endlich in die Gänge kommt, fürchte ich, wird das mit dem Job nichts.«
Besorgt rief ich Dulac an.
»Es läuft großartig!«, verkündete Dulac. »Mein Team ist fantastisch. Ich konnte wirklich einen Draht zu den Leuten aufbauen. Und ich verstehe mich wunderbar mit meinem Chef. Je m'épanouis!«, fügte sie hinzu, ein französischer Ausdruck, der sich etwa mit »ich blühe hier auf« übersetzen ließe. »Zum ersten Mal in meiner Karriere habe ich einen Job, der wirklich perfekt für mich ist. In dem ich alle meine Talente und Fähigkeiten zum Einsatz bringen kann. Ach, und das muss ich Ihnen auch noch sagen: Heute Morgen hatte ich mein erstes Beurteilungsgespräch. Ich bin einfach begeistert! Das war mein bestes Beurteilungsgespräch, seit ich bei diesem Unternehmen arbeite. Ich denke oft, ich werde versuchen, meinen Aufenthalt hier über die zwei Jahre hinaus zu verlängern. Es läuft einfach so gut!«
Lassen Sie uns wie bei der Geschichte des stillen Bo zunächst einmal kurz überlegen, ob die misslungene Kommunikation zwischen Webber und Dulac wohl eher auf persönliches Missverstehen oder auf kulturelle Unterschiede zurückzuführen ist. In diesem Fall tragen nationale Stereotypen womöglich eher zur Verwirrung bei, als dass sie hilfreich sind. Denn schließlich geht die verbreitete Meinung ja davon aus, die Franzosen seien Meister der impliziten und indirekten Kommunikation, sie seien subtil und sensibel im Sprechen wie im Zuhören, während die Amerikaner eher zu expliziter und direkter Kommunikation neigten – je unverblümter, desto besser. In unserer Geschichte von der »tauben Dulac« aber ist es der amerikanische Vorgesetzte, der sich beklagt, seine französische Mitarbeiterin sei nicht feinfühlig genug mitzubekommen, was er ihr sagen will, während die französische Managerin hemdsärmelig die Botschaft zu überhören scheint, die ihr amerikanischer Chef ihr zu übermitteln versucht. Angesichts dieser jeder Intuition widersprechenden Situation könnte man zu der Annahme gelangen, Webber und Dulac hätten, ganz unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund, wohl einfach inkompatible Persönlichkeiten.
Könnte man annehmen. Aber nehmen Sie dann einmal an, Sie sprechen mit 20 oder 30 französischen Managern, die in den USA leben und von denen Ihnen ein Dutzend ganz ähnliche Storys erzählt. Und wenn Ihnen dann noch einer nach dem anderen berichtet, dass er oder sie ein negatives Feedback ihres amerikanischen Chefs verwirrend, zweideutig oder geradezu irreführend gefunden habe, dann kommen Sie vielleicht zu dem richtigen Schluss, dass hinter diesen Missverständnissen wohl doch irgendein kulturelles Muster stecken muss. Und ein solches Muster gibt es in der Tat – und es weist ganz stark darauf hin, dass es im Fall der tauben Dulac um weit mehr geht als nur um einen Konflikt zwischen Persönlichkeiten.
Das Muster ist deswegen verwirrend, weil Amerikaner ja in der Tat oft dazu neigen, expliziter und direkter zu sein als die Franzosen (oder genauer gesagt »kontextärmer«, ein Ausdruck, den wir in einem späteren Kapitel genauer besprechen werden). Die eine große Ausnahme ist aber der Fall, dass Manager ihren Mitarbeitern Feedback geben. Im französischen Umfeld wird hier positives Feedback oft eher implizit gegeben, negatives Feedback dagegen direkter. In den USA ist es genau andersherum. Amerikanische Manager geben ein positives Feedback meist ganz direkt, während sie negative Botschaften gern in positive, ermunternde Worte zu kleiden versuchen. Als Webber daher im Beurteilungsgespräch über Dulacs Arbeit nach der beliebten amerikanischen Devise vorgegangen war, eine negative Nachricht durch drei positive aufzuwiegen, klang Dulac nach dem Gespräch das Lob noch angenehm in den Ohren, während das negative Feedback demgegenüber vernachlässigenswert erschien.
Wäre sich Dulac dieser kulturbedingten Neigung im Gespräch über ihre Arbeitsleistungen mit ihrem neuen amerikanischen Chef bewusst gewesen, hätte sie den negativen Teil der Beurteilung vielleicht wichtiger genommen, als wenn er von einem französischen Chef gekommen wäre, hätte das Feedback besser verstanden und womöglich ihren Job gerettet.
Webber wiederum hätte, mit dem gleichen Verständnis ausgestattet, seine Kommunikation für Dulac vielleicht neu formulieren können. So hätte er vielleicht sagen können: »Wenn ich eine Leistungsbeurteilung abgebe, dann fange ich immer damit an, dass ich drei, vier Dinge anspreche, bei denen ich den Eindruck habe, dass die betreffende Person sie sehr gut gemacht hat. Erst dann komme ich zu dem wirklich wichtigen Teil des Gesprächs, in dem es natürlich darum geht, wie Sie sich verbessern können. Ich stürze mich einfach ungern direkt in den wichtigen Teil der Besprechung, ohne zuvor etwas Positives gesagt zu haben. Ist dieses Vorgehen für Sie in Ordnung?«
Allein dass Sie erklären, was Sie tun, kann oft schon sehr hilfreich sein, zum einen, weil es ein vorliegendes Missverständnis auflösen kann, zum anderen, weil es das Fundament für eine bessere künftige Zusammenarbeit legt – ein Prinzip, dessen Funktionieren wir auch beobachten konnten, als Bo Chen seine Gründe erläuterte, warum er die meiste Zeit über in unserer Besprechung still geblieben war. Dies ist eine von Dutzenden konkreter, praktischer Strategien, die wir Ihnen anbieten werden, um mit interkulturellen Fehltritten umzugehen und Ihre Effizienz bei der Zusammenarbeit mit multikulturellen Teams zu steigern.
Situationen wie die beiden, die wir gerade betrachtet haben, sind viel häufiger, als man meinen könnte. Die traurige Wahrheit ist, dass die überwiegende Mehrheit der Manager, die internationale Geschäfte tätigt, kaum eine Vorstellung davon hat, wie die Kultur ihre Arbeit beeinflusst. Das ist umso bedeutsamer, als wir mit unseren Gesprächspartnern in anderen Ländern immer häufiger täglich über virtuelle Medien wie E-Mail oder Telefon kommunizieren. Wenn man in einem fremden Land lebt, arbeitet oder ausgiebig reist, nimmt man aus dem Kontext eine Menge Hinweise auf, die zum Verständnis der Kultur der dort lebenden Menschen beitragen, und das hilft dann, die Kommunikation besser zu decodieren und sich entsprechend anzupassen. Wenn man dagegen mit seinem Gegenüber in einem Land, in dem man noch nie gewesen ist, lediglich E-Mails austauscht, passiert es viel leichter, dass man die kulturellen Feinheiten übersieht, die auf die Kommunikation Einfluss haben.
Ein einfaches Beispiel ist hier ein ganz charakteristisches Verhalten, das für Indien eigentümlich ist – eine Bewegung des Kopfes, die halb ein Schütteln, halb ein Nicken darstellt. Wenn Sie geschäftlich nach Indien reisen, werden Sie bald feststellen, dass dieses halbe Schütteln, halbe Nicken kein Zeichen für Ablehnung, Unsicherheit oder fehlende Unterstützung ist, wie es in den meisten anderen Kulturen zu interpretieren wäre. Sondern es signalisiert Interesse, Begeisterung oder mitunter auch respektvolles Zuhören. Nach ein, zwei Tagen haben Sie dann mitbekommen, dass das jeder macht, Sie machen sich eine mentale Notiz zur anscheinenden Bedeutung und sind von da an in der Lage, die Geste korrekt zu deuten, wenn Sie ein Geschäft mit Ihrem indischen Outsourcing-Team abschließen.
Aber per E-Mail oder Telefon können Sie von Ihrem Büro in Hellerup/Dänemark oder Bogotá/Kolumbien aus ruhig täglich mit Ihrem indischen Gegenüber interagieren – das Umfeld, in dem er oder sie lebt und arbeitet, sehen Sie nicht. Und wenn Sie dann einmal eine Videokonferenz mit einem Ihrer indischen Topmanager abhalten, dann könnten Sie dessen halbes Schütteln, halbes Nicken als Zeichen interpretieren, dass er nicht ganz Ihrer Meinung sei. Sie verdoppeln Ihre Anstrengungen, um ihn zu überzeugen, aber je mehr Sie reden, desto mehr zeigt er (scheinbar) durch seine Kopfbewegung, dass er nicht an Bord ist. Und nach dem Gespräch sind Sie dann verwirrt, frustriert, vielleicht sogar verärgert. Die Kultur hat Ihre Kommunikation beeinflusst, aber in Ermangelung der visuellen und kontextabhängigen Hinweise, die eine physische Präsenz böte, sind Sie sich nicht einmal darüber im Klaren, dass hier etwas Kulturelles abgelaufen ist.
Ob wir uns dessen also bewusst sind oder nicht, die feinen Unterschiede in den Kommunikationsmustern und die komplizierten Variationen, was je nach Land als gutes Geschäftsgebaren und vernünftiges Verhalten betrachtet wird, haben gewaltige Auswirkung darauf, wie wir uns verstehen, und letztlich auch, wie wir unsere Arbeit erledigen. Viele dieser kulturellen Unterschiede – unterschiedliche Einschätzungen, wann man besser redet und wann man schweigt; die Rolle der leitenden Person im Raum; welche Art von negativem Feedback als am konstruktivsten erachtet wird – mögen geringfügig erscheinen. Aber wenn Sie sich der Unterschiede nicht bewusst und für den effektiven Umgang mit ihnen nicht mit einer Strategie gewappnet sind, können sie Ihre Teambesprechungen zum Scheitern bringen, Ihre Mitarbeiter demotivieren, Ihre ausländischen Lieferanten frustrieren und es Ihnen auf zahlreiche andere Weise viel schwerer machen, Ihre Ziele zu erreichen.
Heute sind wir, ganz gleich ob wir in Düsseldorf oder Dubai arbeiten, in Brasilia oder in Beijing, New York oder New Delhi, alle Teil eines globalen Netzes (real oder virtuell, physisch oder elektronisch), in dem ein Navigieren durch extrem unterschiedliche kulturelle Realitäten erforderlich ist, um Erfolg zu haben. Wenn wir dabei nicht wissen, wie wir andere Kulturen zu decodieren haben und kulturelle Fallen vermeiden, in die man leicht hineinfällt, sind wir leichte Beute für Missverständnisse, unnötige Konflikte und letztliches Scheitern.
Es ist durchaus möglich, ja sogar verbreitet, jahrzehntelang interkulturell zu arbeiten und häufig auf Geschäftsreisen zu gehen und trotzdem kein Bewusstsein dafür zu entwickeln und keine Kenntnisse darüber zu haben, wie die Kultur uns beeinflusst. Millionen von Menschen arbeiten in einem globalen Umfeld, betrachten dabei aber alles aus ihrer eigenen kulturellen Perspektive und nehmen an, Unterschiede, Kontroversen und Missverständnisse wurzelten immer nur in der Persönlichkeit. Das liegt nicht an Faulheit. Viele wohlmeinende Menschen informieren sich deshalb nicht über kulturelle Unterschiede, weil sie der Meinung sind, es reiche aus, wenn sie sich auf die individuellen Unterschiede konzentrieren.
Nachdem ich einen Online-Artikel über Unterschiede zwischen den asiatischen Kulturen und deren Einfluss auf die interasiatische Teamarbeit veröffentlicht hatte, kommentierte ein Leser: »Von kulturellen Unterschieden zu sprechen verleitet uns dazu, in Klischees zu denken und Individuen deshalb in Kästchen mit ›allgemeinen Charakterzügen‹ einzusortieren. Statt über Kultur zu reden, wäre es wichtiger, die Menschen als Individuen zu beurteilen, nicht einfach als Produkte ihrer Umwelt.«
Zunächst hört sich dieses Argument berechtigt an, gar aufgeklärt. Und natürlich haben Individuen, ganz gleich welcher kulturellen Herkunft, unterschiedliche persönliche Züge. Warum sollte man also nicht einfach auf alle Menschen mit dem Interesse zugehen, sie persönlich kennenzulernen, und dies dann als Ausgangsbasis nehmen? Leider hat dieser Standpunkt schon Tausende von Menschen davon abgehalten zu lernen, was sie wissen müssten, wenn sie ans Ziel kommen wollen. Wenn Sie in jede Interaktion mit der Annahme gehen, die Kultur spiele keine Rolle, dann kommt es zu dem Automatismus, dass Sie die anderen durch die Linse Ihrer eigenen Kultur betrachten und sie dementsprechend beurteilen bzw. fehlbeurteilen. Wenn Sie die Kultur ignorieren, können Sie nur zu dem Schluss kommen: »Chen äußert sich nicht – offensichtlich hat er nichts beizutragen! Mit seiner schlechten Vorbereitung ruiniert er das ganze Trainingsprogramm!« Oder: »Jake hat mir im Beurteilungsgespräch gesagt, alles wäre in bester Ordnung, obwohl er in Wirklichkeit mit meiner Arbeit unzufrieden war – er ist ein hinterhältiger, unehrlicher, inkompetenter Chef!«
Ja, jedes Individuum ist anders. Und ja, wenn Sie mit Menschen aus anderen Kulturen zusammenarbeiten, sollten Sie nicht von deren Herkunft auf ihre individuellen Züge schließen. Das heißt aber noch lange nicht, dass es unnötig wäre, etwas über den kulturellen Kontext zu lernen. Wenn Ihr geschäftlicher Erfolg davon abhängt, dass Sie erfolgreich mit Menschen aus aller Welt zusammenarbeiten, dann müssen Sie ein Verständnis sowohl für die kulturellen Unterschiede als auch für die individuellen Unterschiede haben. Beides ist essenziell.
Und als ob diese Komplexität noch nicht groß genug wäre, sind die kulturellen und individuellen Unterschiede oft auch noch in betriebliche, branchen- und berufsspezifische oder sonstige gruppenbedingte Unterschiede eingebunden. Aber selbst in den komplexesten Situationen kann Ihnen ein Verständnis dafür, wie kulturelle Unterschiede den gesamten Mix beeinflussen, dabei helfen, neue Ansatzpunkte zu finden. Kulturelle Verhaltens- und Denkmuster beeinflussen oft unsere Wahrnehmung (was wir sehen), unsere Erkenntnis (was wir denken) und unser Handeln (was wir tun). Dieses Buch soll Ihnen helfen, Ihre Fähigkeiten beim Decodieren dieser drei Facetten der Kultur zu verbessern und Ihre Effizienz beim Umgang mit ihnen zu erhöhen.
Ich wurde nicht in eine multikulturelle Familie hineingeboren, etwa mit Eltern, die mich rund um die ganze Welt mitgenommen hätten. Im Gegenteil, ich bin in der Nähe von Two Harbors (Minnesota) geboren, das vor allem unter Autofahrern auf der Straße aus Duluth als Standort von Betty's Pies bekannt ist. Es handelt sich um die Art von Kleinstadt, in der die meisten Leute ihr ganzes Leben in der Kultur ihrer Kindheit verbringen. Meine Eltern waren ein klein wenig abenteuerlustiger: Als ich vier war, zogen sie mit unserer Familie die ganzen 300 Kilometer weit nach Minneapolis um, wo ich aufgewachsen bin.
Als ich dann aber erwachsen war, verliebte ich mich in den Reiz, von Leuten umgeben zu sein, die die Welt dramatisch anders betrachten als ich. Und da ich nun schon fast die Hälfte meines Lebens außerhalb der USA verbracht habe, habe ich inzwischen zahlreiche neue Fähigkeiten entwickelt, etwa als kleinen Nachmittagsimbiss die Raupen des Mopane-Falters zu mir zu nehmen, während ich Oberschülern in Botswana Englisch beibringe, oder beim morgendlichen Jogging Kühen, Hühnern und dreirädrigen Rikschas auszuweichen, wenn ich zu einer kurzen Managementschulung in Indien bin.
Nachdem ich inzwischen mit einem Franzosen verheiratet bin und zwei Kinder in Frankreich großziehe, habe ich es nun jeden Tag mit interkulturellen Herausforderungen zu tun. Ist es zum Beispiel unabdingbar, dass ich als gebildete Person Salatblätter vor dem Essen zusammenfalte, oder ist es auch vertretbar, sie zu zerschneiden? Oder: Wenn die supernetten Nachbarn über uns mich gestern auf die Wangen geküsst haben, als ich ihnen im Hauseingang begegnete, ist es dann zu viel des Guten, wenn ich sie jetzt jeden Tag, wenn ich ihnen das erste Mal begegne, auf die Wange küsse?
Aber die Lektionen dieses Buches sind nicht aus Diskussionen über Salatblätter oder Mopane-Raupen erwachsen (so interessant das auch sein mag), sondern aus der faszinierenden Chance, in einer der kulturell vielfältigsten Institutionen auf Erden interkulturelles Management zu lehren. Nachdem ich die französische Niederlassung einer interkulturellen Beratungsfirma eröffnet hatte, in der ich das Vergnügen hatte, tagtäglich von Dutzenden Kulturspezialisten wie Bo Chen zu lernen, begann ich als Dozentin bei INSEAD zu arbeiten, einer internationalen Wirtschaftsschule, die in Two Harbors (Minnesota) weitgehend unbekannt ist.
INSEAD ist einer der wenigen Plätze auf Erden, wo praktisch jeder eine kulturelle Minderheit ist. Obwohl der Heimat-Campus in Frankreich liegt, sind nur etwa sieben Prozent der Studenten Franzosen. Das letzte Mal, als ich das überprüft habe, stammte die größte kulturelle Gruppe aus Indien, mit einem Anteil von rund elf Prozent an der Gesamtstudentenschaft. Andere Managementstudenten haben überall auf der Welt gelebt und gearbeitet, und viele sind im Lauf ihrer Karriere von einer Region zur anderen gezogen. Was interkulturelles Management angeht, gehören diese globalen Manager zu den geschicktesten und kenntnisreichsten des Planeten. Und obwohl sie zu INSEAD kommen, um bei uns zu lernen, lerne ich jeden Tag heimlich von ihnen. Ich konnte meinen Unterrichtsraum in ein Labor verwandeln, in dem die teilnehmenden Manager die Befunde eines Jahrzehnts Forschung testen, überprüfen, bewerten und korrigieren. Viele haben mir ihr eigenes Wissen und ihre praxisüberprüften Lösungsansätze mitgeteilt, mit denen sie in einer globalen Welt ans Ziel kommen.
Aus dieser Fundgrube an Informationen und Erfahrungen speist sich das Modell der acht Skalen, das diesem Buch zugrunde liegt. Jede der acht Skalen ist ein Schlüsselbereich, auf den Manager achten müssen und der ausweist, wie sich die Kulturen in einem Spektrum zwischen dem einen Extrem und dem anderen unterscheiden. Die acht Skalen sind:
Kommunizieren:
kontextarm vs. kontextreich,
Beurteilen:
direktes negatives Feedback vs. indirektes negatives Feedback,
Überzeugen:
von Prinzipien ausgehend vs. von Anwendungsfällen ausgehend,
Führen:
egalitär vs. hierarchisch,
Entscheiden:
im Konsens vs. von oben nach unten,
Vertrauen:
auf der Arbeit beruhend vs. auf Beziehungen beruhend,
Widersprechen:
konfrontativ vs. Konflikt vermeidend,
Termine vereinbaren:
zeitlich linear vs. zeitlich flexibel.
Ob Sie nun Mitarbeiter motivieren müssen, Kunden zufriedenstellen oder einfach nur eine Konferenzschaltung zwischen den Mitgliedern eines interkulturellen Teams organisieren, diese acht Skalen werden Ihnen helfen, Ihre Effizienz zu erhöhen. Durch eine Analyse, wo die eine Kultur im Vergleich zur anderen platziert ist, erlauben Ihnen die Skalen, zu decodieren, wie die Kultur Ihre eigene internationale Kooperation beeinflusst, und zu vermeiden, dass es zu unangenehmen Situationen wie etwa zwischen Webber und Dulac kommt.
Lassen Sie mich ein Beispiel dafür geben, wie sich das Verständnis der Skalen in einer echten Situation einsetzen lässt. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein israelischer Manager, der bei einem Unternehmen arbeitet, das gerade eine Fabrik in Russland gekauft hat. In Ihrer neuen Position haben Sie eine Gruppe russischer Mitarbeiter zu führen. Am Anfang läuft alles gut, aber dann bekommen Sie den Eindruck, dass Sie doch mehr Schwierigkeiten haben als mit Ihrem eigenen israelischen Team. Sie bekommen von Ihrem neuen Team nicht die gleichen Ergebnisse, und Ihr Führungsstil scheint nicht die gleiche positive Wirkung zu haben wie daheim.
Abbildung E.1
Verwirrt und besorgt, beschließen Sie, einen Blick auf die Position der russischen Geschäftskultur auf den acht Skalen zu werfen und sie mit der israelischen Kultur zu vergleichen. Das Ergebnis ist die Culture Map, die Kulturkarte, die in Abbildung E.1 gezeigt wird – also das Instrument, das wir in den folgenden Kapiteln detailliert untersuchen werden.
Wenn Sie sich die Culture Map anschauen, dann stellen Sie fest, dass sowohl die russische als auch die israelische Geschäftskultur eher eine flexible als eine organisierte Terminvereinbarung schätzen (Skala 8), beide offenen Widerspruch akzeptieren und positiv bewerten (Skala 7) und beide bei Vertrauensthemen eher eine beziehungsorientierte als eine arbeitsorientierte Herangehensweise wählen (Skala 6). Das stimmt mit Ihren Erfahrungen überein. Dann stellen Sie allerdings fest, dass es einen großen Abstand zwischen beiden Kulturen gibt, wenn es um den Führungsstil geht (Skala 4), bei dem in Russland ein hierarchischer Ansatz bevorzugt wird, in Israel dagegen ein egalitärer. Wie wir später noch genauer diskutieren werden, legt dies nahe, dass die für israelische Geschäftsleute so charakteristische Vorliebe für flache Organisationsstrukturen und egalitäres Management in dem stark hierarchisch geprägten russischen Umfeld ineffizient sein könnte.
Hier haben Sie einen Schlüssel zu den Schwierigkeiten, die Sie hatten. Sie beginnen die verbreitete israelische Einstellung zu überdenken, der Chef sei »einer von uns«. Sie erkennen, dass einige Worte und Handlungsweisen, die auf die egalitäre israelische Kultur zugeschnitten waren, von Ihrem russischen Team missverstanden worden sein könnten und womöglich sogar demotivierend wirkten. Und wenn Sie dann in den kommenden Wochen Ihren Führungsstil anzupassen beginnen, stellen Sie fest, dass sich die Atmosphäre langsam verbessert – und damit auch die Ergebnisse, die am Ende herauskommen. Dies war ein Beispiel dafür, wie wir die acht Skalen und den Prozess des Culture Mapping einsetzen können, um echte, wirkungsvolle Veränderungen in Betrieben herbeizuführen, zum Nutzen aller Beteiligten.
Jedes der folgenden Kapitel ist einer der Skalen der Culture Map gewidmet. Auf jeder Skala wird 20 bis 30 Ländern ein Platz auf dem Kontinuum zugewiesen, und Sie erhalten eine Orientierung, wie sich die Skala auf Dutzende Situationen anwenden lässt, die in unserer globalen Geschäftswelt üblicherweise entstehen. Das Wichtige an der Skala ist der relative Abstand zwischen zwei Ländern; Personen aus einem enthaltenen Land können die Ideen des Buchs auf ihre Interaktionen mit Kollegen aus jedem anderen dieser Länder anwenden.
Mancher könnte nun einwenden, die Skalen gäben kulturellen Abweichungen zwischen Individuen, Subkulturen, Regionen und Betrieben nicht ausreichend Gewicht. Wenn Sie sehen, wie die Skalen entstanden sind, kann das aber vielleicht dazu beitragen zu erkennen, wie auch solche Abweichungen in den Skalen widergespiegelt werden, und wie Sie die Erkenntnisse, die diese Skalen liefern, am exaktesten anwenden.
Lassen Sie uns als Beispiel die Platzierung Deutschlands auf der Skala fürs Terminvereinbaren betrachten, die widerspiegelt, wie Menschen in verschiedenen Kulturen tendenziell ihre Zeit managen. Der erste Schritt besteht darin, deutsche Personen im mittleren Management zu interviewen und sie zu befragen, welche Bedeutung es für sie hat, flexibel oder organisiert zu sein, wenn es darum geht, Besprechungen, Projekte oder Abläufe zeitlich zu planen. Die individuellen Antworten streuen natürlich, aber es wird doch ein normatives Muster erkennbar. Eine Glockenkurve illustriert die Spannbreite dessen, was auf der Skala des Terminvereinbarens in Deutschland als angemessenes und akzeptables geschäftliches Verhalten betrachtet wird, mit einem Buckel dort, wo die meisten Antworten zu finden sind. Sie könnte so aussehen wie in Abbildung E.2.
Abbildung E.2
Natürlich wird es auch ein paar Ausreißer geben – eine Handvoll Deutsche, die rechts oder links des Buckels zu verorten sind –, aber deren Verhalten würde in der Sicht eines Durchschnittsdeutschen als unangemessen, inakzeptabel oder zumindest nicht ideal für die deutsche Geschäftskultur gelten.
Mithilfe dieser Art von Analyse habe ich angefangen, die Position der Länder auf jeder Skala zu kartografieren. Später habe ich die Positionen dann auf Grundlage des Feedbacks hunderter internationaler Manager feinjustiert.
Wenn Sie sich die Skalen anschauen, die in diesem Buch abgebildet sind, dann sehen Sie dort nicht den ganzen Buckel für das jeweilige Land, sondern nur einen Punkt, der die normative Position des Buckels darstellt, wie in Abbildung E.3 gezeigt. Mit anderen Worten gibt die Position des Landes auf der Skala den Mittelwert einer Bandbreite von akzeptablen oder angemessenen Verhaltensweisen in diesem Land an.