18,99 €
Examensarbeit aus dem Jahr 2015 im Fachbereich Theologie - Systematische Theologie, Note: 1,1, Universität Leipzig (Theologische Fakultät, Institut für Systematische Theologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Das Wort vom Kreuz war den griechischen und jüdischen Zeitgenossen des Paulus ein Ärgernis und eine Torheit (1 Kor 1,23). Was könnte ärgerlicher und anstößiger sein, als die »Frohbotschaft« vom gekreuzigten Gott? Bis in heutige Zeit hinein scheint sich das Wort vom Kreuz in innertheologischen Kontroversen einer dogmatischen oder moralistischen Engführung erfolgreich zu widersetzen. Unabhängig vom Streit um bestimmte Interpretamente des historischen Kreuzestodes Jesu möchte diese Arbeit das Wort vom Kreuz als eine Dynamik betrachten, die einer Dynamik zwischen Gott und Mensch entspricht. Daher liegt der Ausgangspunkt dieser Arbeit in Martin Luthers Kreuzestheologie, da diese versucht, mithilfe der Deutungskategorien von Kreuz und Auferstehung ein relationales Geschehen zwischen Gott und Mensch in Worte zu fassen. Das Wort vom Kreuz hat für Luther Verweischarakter und transzendiert in metaphorischer Sprache vorfindliche Wirklichkeit. Dabei liegt die Bedeutung des Wortes für Luther allein in seiner Relationalität begründet. Nur durch den kontingent entstehenden Glauben erhält das Wort vom Kreuz Bedeutsamkeit im Subjekt, weil es dann existenziell wird. Durch den Glauben nämlich wird eine Beziehung des Subjekts zu Gott möglich, die außersubjektiv konstituiert, aber mit der subjektiv erfahrbaren, durch das Kreuz deutbaren Lebenswirklichkeit untrennbar verbunden ist. Der Fokus dieser Arbeit liegt in der Untersuchung einer Möglichkeit, das Wort vom Kreuz im Sinne Luthers als existenzielles Deutungsmuster, als Schnittstelle zwischen Christologie und Anthropologie zu begreifen und zu artikulieren. Diese Möglichkeit liegt in Bachs Kantaten, die heutzutage allein schon in Leipzig wöchentlich bei vielen Menschen Gehör finden und in denen sich Luthers Kreuzestheologie in musikalischer Form niedergeschlagen hat. Womöglich vermag es Musik in besonderer Weise, die existenziellen Gehalte der Theologie Luther zu transportieren, da sie als kognitives und sinnliches Medium die anthropologische Ganzheitlichkeit des Glaubens bedient. Da Bachs Musik nicht nur Ausdruck, sondern auch Interpretation theologischer Inhalte darstellt, gilt es, eben diesen bestimmten Interpretationen in Wort und Ton nachzuspüren. Insofern wird zu fragen sein, ob und inwiefern wesentliche Aspekte der Kreuzestheologie Luthers in Bachs Kantaten nachweisbar sind.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Impressum:
Copyright (c) 2015 GRIN Verlag / Open Publishing GmbH, alle Inhalte urheberrechtlich geschützt. Kopieren und verbreiten nur mit Genehmigung des Verlags.
Bei GRIN macht sich Ihr Wissen bezahlt! Wir veröffentlichen kostenlos Ihre Haus-, Bachelor- und Masterarbeiten.
Jetzt beiwww.grin.com
Inhaltsverzeichnis
0 Vorwort
1 Luthers theologia crucis
1.1 Forschungsgeschichtliche Einführung
1.2 Quellen und Grundzüge der theologia crucis Luthers
1.3 Luthers Sünden- und Bußverständnis als Grundlage seiner theologia crucis
1.4 Epistemologischer und anthropologischer Aspekt der theologia crucis – Wahre Selbsterkenntnis durch die Erkenntnis Gottes unter dem Gegenteil
1.5 Christologischer Aspekt der theologia crucis – Christus als exemplum und sacramentum
1.6 „Eyn Sermon von der Betrachtung des heyligen leidens Christi“ – die Verknüpfung von Passionsbetrachtung und theologischer Anthropologie
1.7 Glaube und Hoffnung als maßgebliche Korrelate innerhalb der theologia crucis
2 Das Kreuz als Schnittstelle zwischen Christologie und Anthropologie in den Kantaten Johann Sebastian Bachs
2.1 Ziel, Gegenstand und Grundlegung der Untersuchung
2.2 »Aus der Tiefen rufe ich, Herr, zu dir« - Buße in Bezug auf das Kreuz Christi
2.3 »Ärgre dich, o Seele, nicht« - Die Offenbarung Gottes sub contrario specie
2.4 »Die das Zeichen Jesu tragen« - Christus als exemplum
2.5 »Christ lag in Todesbanden« - Christus als sacramentum
2.6 Kritische Würdigung und Ausblick
3 Thesen
4 Literaturverzeichnis
Das Wort vom Kreuz war den griechischen und jüdischen Zeitgenossen des Paulus ein Ärgernis und eine Torheit (1 Kor 1,23). Was könnte ärgerlicher und anstößiger sein, als die »Frohbotschaft« vom gekreuzigten Gott? Die vielfältigen Deutungen des Todes Jesu, welche Paulus und andere Autoren des Neuen Testaments niedergeschrieben haben, zeugen von dem urchristlichen Ringen um das Verständnis des Unverständlichen.[1] Bis in heutige Zeit hinein scheint sich das Wort vom Kreuz in innertheologischen Kontroversen einer dogmatischen oder moralistischen Engführung erfolgreich zu widersetzen.[2] Unabhängig vom Streit um bestimmte Interpretamente des historischen Kreuzestodes Jesu möchte diese Arbeit das Wort vom Kreuz als eine Dynamik betrachten, die einer Dynamik zwischen Gott und Mensch ent-spricht. Daher liegt der Ausgangspunkt dieser Arbeit in Martin Luthers Kreuzestheologie, da diese versucht, mithilfe der Deutungskategorien von Kreuz und Auferstehung ein relationales Geschehen zwischen Gott und Mensch in Worte zu fassen. Das Wort vom Kreuz hat für Luther Verweischarakter und transzendiert in metaphorischer Sprache vorfindliche Wirklich-keit. Dabei liegt die Bedeutung des Wortes für Luther allein in seiner Relationalität begründet (vgl. 1.4). Nur durch den kontingent entstehenden Glauben erhält das Wort vom Kreuz Be-deutsamkeit im Subjekt, weil es dann existenziell wird. Durch den Glauben nämlich wird eine Beziehung des Subjekts zu Gott möglich, die außersubjektiv konstituiert, aber mit der subjek-tiv erfahrbaren, durch das Kreuz deutbaren Lebenswirklichkeit untrennbar verbunden ist.[3] Der Fokus dieser Arbeit liegt in der Untersuchung einer Möglichkeit, das Wort vom Kreuz im Sinne Luthers als existenzielles Deutungsmuster, als Schnittstelle zwischen Christologie und Anthropologie zu begreifen und zu artikulieren. Diese Möglichkeit liegt in Bachs Kantaten, die heutzutage allein schon in Leipzig wöchentlich bei vielen Menschen Gehör finden und in denen sich Luthers Kreuzestheologie in musikalischer Form niedergeschlagen hat. Womög-lich vermag es Musik in besonderer Weise, die existenziellen Gehalte der Theologie Luther zu transportieren, da sie als kognitives und sinnliches Medium die anthropologische Ganzheit-lichkeit des Glaubens bedient.[4] Da Bachs Musik nicht nur Ausdruck, sondern auch Interpreta-tion theologischer Inhalte darstellt, gilt es, eben diesen bestimmten Interpretationen in Wort und Ton nachzuspüren. Insofern wird zu fragen sein, ob und inwiefern wesentliche Aspekte der Kreuzestheologie Luthers in Bachs Kantaten nachweisbar sind. Dass Bachs Werk dabei nicht in Gänze systematisch beleuchtet werden kann, versteht sich im Hinblick auf die Viel-zahl an zu untersuchenden Kompositionen von selbst. Dass der Fokus auf den Kantaten liegt und nicht etwa auf den Passionen, scheint allerdings erklärungsbedürftig zu sein. Ziel der Arbeit soll es sein, anhand der Kantaten zu untersuchen und darzustellen, wie umfassend sich Luthers Kreuzestheologie auf die kirchliche Verkündigung des 18. Jahrhunderts ausgewirkt hat. Anhand der Untersuchung soll deutlich werden, dass in Bachs liturgisch verorteter Musik das Kreuz Christi nicht nur in den Passionen der Karwoche, sondern an verschiedenen Sonntagen des Kirchenjahres in den Blick kommt. In den Kantaten drückt sich das Wort vom Kreuz in einer besonderen Weise aus – im Dialog von verschiedenen biblischen und dichteri-schen Texten einerseits, in Bachs musikalischer Umsetzung andererseits – und artikuliert sich dabei in einer Form, die bis heute Gehör und Nachhall findet.
Seit Walther von Loewenichs Erstlingswerk »Luthers theologia crucis« von 1929 ist das Thema der Kreuzestheologie für die Lutherforschung von bleibender Bedeutung geblieben.[5] Im Fokus seiner Untersuchung lag die Problematik der Erkenntnis und der Glaubenserfah-rung.[6] Dass diese primär epistemologische Deutung nicht der einzig mögliche Ansatz ist, Luthers theologia crucis zu interpretieren, ist ein Erkenntnisverdienst der Lutherforschung nach Loewenich. Diese hat sowohl anthropologische als auch christologische Deutungen formuliert, wobei alle genannten Deutungsansätze in Beziehung zueinander stehen, wie in den folgenden Kapiteln noch aufzuzeigen ist. Bei aller Kritik lassen sich wichtige Gedanken Loewenichs nicht falsifizieren.[7] Indem er die theologia crucis als wesentlich für die Lebens- und Glaubenspraxis bestimmte, wies Loewenich über die kritisierte epistemologische Engfüh-rung hinaus und lieferte darüber hinaus einen wertvollen Anstoß für heutiges Nachdenken über die anthropologische Anschlussfähigkeit der theologia crucis.
Neben vier um das Jahr 1518 herum entstandenen Schriften[8] inklusive der Heidelberger Disputation, die Ulrich Barth als für die Kreuzestheologie des jungen Luther relevant erachtet, sind die »Operationes in psalmos« (1519-1521) als systematisches Hauptwerk der theologia crucis Luthers zu betrachten.[9]
Zunächst ist festzustellen, dass der theologia crucis Luthers das biblische Vorbild der paulinischen theologia crucis zugrunde liegt.[10] Da Luthers theologia crucis ihren Aufhänger an 1 Kor 1 nimmt, wird sie von Vorneherein einem „deszendenztheologischen Offenbarungs- und Erkenntnisbegriff“[11] zugeordnet, indem klargestellt wird, dass der Mensch durch eigene Werke und eigenes Wissen Gott nicht erkennen kann. Damit führt Luther einen Angriff auf philosophische Gotteserkenntnis und die Scholastik. Dieser Generalangriff findet seinen Ausdruck in der theologischen Programmschrift der Heidelberger Disputation.[12] Loewenich betonte die in den Thesen 19 und 20 formulierte theologische Erkenntnis Luthers, man könne Gott nicht aus dessen Schöpfungswerken[13] erkennen, sondern nur seine innerweltlich existenziell erfahrbare „Rückseite“[14] in Leiden und Kreuz.[15] Im größeren Rahmen der gesamten Disputation ordnet sich die epistemologische Frage des theologischen Erkennens ein „in den größeren Zusammenhang der Frage nach den menschlichen Werken und dem freien Willen“[16]. Diese Frage wiederum steht ganz im Dienste des Rechtfertigungsgedankens Luthers, wie letztlich die Thesen 25-28 deutlich machen.[17] Die Eigenherrlichkeit des Menschen muss demnach zunichte gemacht werden, um den Menschen für Gottes Heil zu öffnen. Dass die theologia crucis allerdings mehr ist als ein argumentatives Mittel zum Zwecke der Plausibilisierung des Rechtfertigungsgedankens, macht spätestens ein Blick in Luthers Zweite Psalmenvorlesung, die Operationes in Psalmos, deutlich. Diese exegetische Vorlesung ist im Vergleich zur knappen Programmschrift der Heidelberger Disputation viel ausschweifender und öffnet den Raum für mannigfaltige theologische Topoi. Umso erstaunlicher ist es, dass Luther quasi als Programmwort seiner Theologie folgendes Vorzei-chen setzt: „CRUX sola est nostra theologia.“[18] – Das Kreuz allein ist unsere Theologie! Dass gerade eine exegetische Psalmenvorlesung systematisches Hauptwerk der theologia crucis Luthers darstellt, mag von modernen Gesichtspunkten der historisch-kritischen Forschung her irritieren. Dieses Faktum erklärt sich aber durch das Schriftverständnis Luthers. Schon in der Ersten Psalmenvorlesung legte Luther die Psalmen streng christologisch, also vom Gekreu-zigten her, aus.[19] Da literaler und tropologischer Schriftsinn[20] bei Luther allerdings eng bei-einander liegen, steht der Gekreuzigte sogleich im Bezug zum gläubigen Subjekt, da eine Rezeption im Glauben die existentiale Aneignung beinhaltet. „Von daher sind die Psalmen für den Reformator nicht nur Zeugnisse der Angefochtenheit Christi, sondern zugleich »Buch der Angefochtenen«, gerade so aber ein naheliegender Ausgangspunkt für die Kreuzestheolo-gie.“[21] Für das Thema dieser Arbeit ist zweierlei hervorzuheben: Erstens wird an dieser hermeneutischen Grundlegung deutlich, wie Luther in seiner Psalmenauslegung das Leiden Christi mit dem Leiden des Christen in der Welt identifiziert. Weiterhin spielten die Psalmen eine wichtige Rolle in lutherischer Sakralmusik, nicht zuletzt in der Zeit Johann Sebastian Bachs (vgl. 2.).
Ulrich Bartherörtert die Kerngedanken der theologia crucis Luthers im Hinblick auf die Hebräerbriefvorlesung[22]. Anhand derer entwickelt er wesentliche Merkmale der Kreuzes- theologie Luthers. So stehe das Symbol des Kreuzes in Luthers Theologie „nur indirekt für das Versöhnungswerk Christi, in erster Linie vielmehr für die Grundform des göttlichen Offenbarungshandelns in einer durch die Sünde bestimmten Welt“[23]. Die Verbindung von Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis ist dabei zentral: Gott wird nicht erkannt an sich, sondern in seinem Handeln an jedem Einzelnen, welches sub contrario specie, unter dem Gegenteil verborgen ist.[24] Die Merkmale dieses Offenbarungsbegriffes lassen sich in Kategorien[25] zusammenfassen: a) die Differenz von Sein und Schein b) die Kontrarietät von Offenbarungsintention und Offenbarungsmittel (Heil und Strafe) c) die Verborgenheit göttlichen Handelns unter der Konträrgestalt d) die Heilsfinalität zwischen dem manifesten und verborgenen Werk und e) die Hoffnungsgewissheit der Heilsfinalität beider Werke.
Die Lutherdeutung Ulrich Barths ist von einem theologischen Subjektivismus geprägt. Die Bedeutung Christi als relationales Gegenüber in der theologia crucis wird im Diskurs mit Ulrich Barth noch eigens zu klären sein(vgl. 1.5).
Nachdem die theologia crucis Luthers nun in Grundzügen skizziert wurde, sollen nach einem Exkurs über das der Thematik zugrunde liegende Sünden- und Bußverständnis Luthers die oben genannten Deutungsansätze noch einmal gesondert beleuchtet werden. Zuletzt sollen Glaube und Hoffnung als von der theologia crucis Luthers untrennbare Inhalte dargestellt werden, die wechselseitig in einer engen Beziehung zueinander stehen.