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Diplomarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Amerikanistik - Literatur, Note: 1,3, Universität Mannheim, Sprache: Deutsch, Abstract: Der amerikanische Traum ist ein fest in der amerikanischen Kultur verwurzelter Mythos. Als gesamtgesellschaftliches Phänomen ist er so wirkungsmächtig, dass er Eingang in nahezu alle wichtigen Diskurse und Lebensbereiche gefunden hat und das amerikanische Selbstverständnis entscheidend beeinflusst. So äußert er sich insbesondere in einem unerschütterlichen Optimismus, dem Streben des Einzelnen nach Selbstverwirklichung und Individualität sowie der Vorstellung, jeder könne durch harte Arbeit zu Ruhm und Reichtum gelangen. Aus diesem Grund propagiert der amerikanische Traum Eigenschaften wie Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft, Ausdauer, Konkurrenzverhalten und Eigenverantwortlichkeit; und umfasst grundlegende amerikanische Werte wie Freiheit und Demokratie, Chancengleichheit, freier Wettbewerb, Erfolgsorientierung und das Recht auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Wie alle wichtigen soziokulturellen Erscheinungen findet auch der amerikanische Traum seinen Niederschlag in der Literatur. Und wie alle Träume ist auch der amerikanische Traum in erster Linie ein Traum und somit ein menschliches Konstrukt, welches als solches hinterfragt und mit der Wirklichkeit abgeglichen werden muss. Als Raum für Reflexion bietet die Literatur dabei einen geeigneten Rahmen, um den Mythos des amerikanischen Traums einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Eine Kritik am amerikanischen Traum äußert sich in der Literatur zumeist an bestimmten Verhaltensweisen von Figuren. Der Held steht dabei im Mittelpunkt des Interesses. Helden wie der Cowboy und Pionier, aber auch der self-made man, welche typischerweise mit dem amerikanischen Traum assoziiert werden, sind hierbei besonders geeignet, um die Diskrepanz zwischen Traum und Realität aufzuzeigen. Ausgehend von dieser theoretischen Basis werden in den folgenden Kapiteln (4, 5 und 6) die Bühnenstücke untersucht. Das Vorgehen in Death of a Salesman und Glengarry Glen Ross wird dabei sehr ähnlich sein: Zunächst setzt sich die Arbeit mit der Erörterung der dem Drama zugrunde liegenden Auffassung des amerikanischen Traums auseinander.
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Die Desillusionierung des amerikanischen Traums am Beispiel der Salesmen von Arthur Miller, David Mamet und Eugene O'Neill
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Abkürzungsverzeichnis
ABAmerican Buffalo
DOSDeath of a Salesman
GGRGlengarry Glen Ross
ICThe Iceman Cometh
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If there is anyone out there who still doubts that America is a place where all things are possible; who still wonders if the dream of our founders is alive in our time; who still questions the power of our democracy, tonight is your answer.Barack Obama, Siegesrede in der Wahlnacht, Chicago, Illinois, 4. November 2008.
Der amerikanische Traum ist ein fest in der amerikanischen Kultur verwurzelter Mythos. Als gesamtgesellschaftliches Phänomen ist er so wirkungsmächtig, dass er Eingang in nahezu alle wichtigen Diskurse und Lebensbereiche gefunden hat und das amerikanische Selbstverständnis entscheidend beeinflusst.1So äußert er sich insbesondere in einem unerschütterlichen Optimismus, dem Streben des Einzelnen nach Selbstverwirklichung und Individualität sowie der Vorstellung, jeder könne durch harte Arbeit zu Ruhm und Reichtum gelangen. Aus diesem Grund propagiert der amerikanische Traum Eigenschaften wie Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft, Ausdauer, Konkurrenzverhalten und Eigenverantwortlichkeit; und umfasst grundlegende amerikanische Werte wie Freiheit und Demokratie, Chancengleichheit, freier Wettbewerb, Er-folgsorientierung und das Recht auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung.
Wie alle wichtigen soziokulturellen Erscheinungen findet auch der amerikanische Traum seinen Niederschlag in der Literatur. Und wie alle Träume ist auch der amerikanische Traum in erster Linie ein Traum und somit ein menschliches Konstrukt, welches als solches hinterfragt und mit der Wirklichkeit abgeglichen werden muss. Als Raum für Reflexion bietet die Literatur dabei einen geeigneten Rahmen, um den Mythos des amerikanischen Traums einer kritischen Würdigung zu unterziehen.
Eine Kritik am amerikanischen Traum äußert sich in der Literatur zumeist an bestimmten Verhaltensweisen von Figuren. Der Held steht dabei im Mittelpunkt des Interesses. Helden wie der Cowboy und Pionier, aber auch derself-made man,welche typischerweise mit dem amerikanischen Traum assoziiert werden, sind hierbei besonders geeignet, um die Diskrepanz zwischen Traum und Realität aufzuzeigen.
Als hervorstechender Prototyp eines solchen Helden kann die Figur des Salesman2gelten. Fuller erläutert:
1Vgl. beispielhaft Cullen (2003): S. 6; Geisst (1990): S. ix, Jillson (2004): S. 6 und Carpenter (1968): S. 5.
2Im Folgenden werde ich die englische BezeichnungSalesmanvorziehen, da sich dieser Ausdruck nicht adäquat ins Deutsche übersetzen lässt. In Bezug auf die Bücher umfasst der Begriff sowohl den Beruf des Handlungsreisenden als auch den Beruf des Immobilienmaklers. Im Deutschen findet er seine eheste Entsprechung im Vertreter. Allerdings geht diese Bezeichnung im Deutschen häufig mit negativen Konnotationen einher (vgl. die synonyme Verwendung von Hausierer oder Klinkenputzer), wohingegen der Sales- man in den Vereinigten Staaten im Wesentlichen positiv besetzt ist. Hier verspricht die Tätigkeit des Ver-
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(T)he professional salesman is the real hero of American society, the cutting edge of a free competitive economy who […] with his slogans and enthusiasms, is symbolic of the true spirit of a large, an important, and [...] a decisive segment of American life.3
Wie zu zeigen sein wird, repräsentiert der Salesman den Mythos Amerika wie keine andere Figur in der amerikanischen Literatur. Er verbindet in seinen Charaktereigenschaften sowohl Elemente des Cowboys als auch Elemente des Geschäftsmannes. Auf diese Weise vereint er sowohl den Mythos der Frontier als auch den Mythos des Erfolgs, und somit zwei wesentliche Kernbestandteile des amerikanischen Traums. Eingebettet in einen größeren gesamtgesellschaftlichen Kontext, geht das Scheitern des Salesman über ein individuelles Versagen hinaus und verweist häufig auf soziale Missstände. Als Repräsentant eines kommerziellen industriellen Systems einerseits und als charakteristische Ausprägung des Frontiergeists andererseits liefert er eine bestechende Vorlage für eine gezielte Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Traum.
So setzt sich die vorliegende Arbeit am Beispiel des Salesman mit der Desillusionierung des amerikanischen Traums auseinander. Als Untersuchungsgegenstand dient hierbei je ein Drama von Arthur Miller, David Mamet und Eugene O'Neill. Neben dem obligatorischen Vorhandensein eines Salesman verbindet diese drei Bühnenstücke insbesondere eine kritische Haltung gegenüber dem Mythos. So zielen die ausgewählten Bücher alle darauf ab, anhand des Scheiterns eines prototypischen amerikanischen Helden den Illusionscharakter dieses Traums zu entlarven und seine Wirkungsmacht zu hinterfragen. Geschrieben zwischen 1939 und 1983 decken die Dramen darüber hinaus einen Literaturzeitraum von über vierzig Jahren ab und sind daher geeignet, die Wahrnehmung des amerikanischen Traums in der Literatur auch von einem historischen Standpunkt aus zu beleuchten.
MillersDeath of a Salesmanthematisiert am Beispiel des Handlungsreisenden Willy Loman konkrete Auswirkungen eines fehlgeleiteten Glaubens an den amerikanischen Erfolgsmythos. Der Selbstmord des Protagonisten wirft Fragen hinsichtlich individueller und gesellschaftlicher Verantwortung auf. Neben dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft ist auch die Familie ein zentrales Thema des Stücks.
kaufens vor allem seit Ende des 19. Jahrhunderts einen Weg zum Erfolg. Definiert als "a man whose job it is to persuade people to buy his company's products." (Longman Dictionary of Contemporary English (1995): S. 1256), wird der Salesman weniger als Repräsentant einer Firma, sondern als eigenverantwortlich agierendes Individuum gesehen. Für einen Abriss der historischen Entwicklung des Verkäuferwesens in den USA vgl. Walter A. Friedman:Birth of a Salesman.Cambridge (MA); London, 2004, bes. 4-13.
3Fuller (1971): S. 240f.
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MametsGlengarry Glen Rossproblematisiert den Frontiermythos des amerikanischen Traums. Anhand mehrerer Salesmen zeigt es die Folgen eines aus dem Ruder gelaufenen Leistungs- und Erfolgsdenkens und setzt sich kritisch mit dem System des Kapitalismus auseinander.
O'NeillsThe Iceman Comethbeschäftigt sich mit der psychischen Notwendigkeit von illusionären Selbstbildern. Anhand mehrerer Einzelschicksale zeigt es, dass Menschen auf Illusionen angewiesen sind, da ihr Leben andernfalls jeglicher Hoffnung und Lebensfreude beraubt ist. Im Gegensatz zu Mamets und Millers Dramen fällt O'Neills Werk leicht aus dem Rahmen: Der Salesman ist hier nur eine von mehreren Hauptfiguren und sein Scheitern nur ein Schicksal unter vielen. Darüber hinaus befasst sichThe Iceman Comethnicht konkret mit einem spezifischen Bestandteil des amerikanischen Traums, sondern nimmt eine eher übergeordnete Sicht ein und setzt an einem grundlegenderen Punkt der Kritik an. Gleichwohl soll das Drama Berücksichtigung finden, da es in der Lage ist, eine neue Perspektive auf den amerikanischen Traum sowie auf die beiden anderen Dramen zu werfen. Obwohl chronologisch das früheste Stück, soll es Daher solles als letztes diskutiert werden.4
In diesem Sinne werfen die Bücher drei unterschiedliche Perspektiven auf den amerikanischen Traum:The Iceman Comethzeigt den Salesman unter Freunden und fokussiert somit auf eine gesellschaftlich-gruppendynamische Perspektive. Im Mittelpunkt steht weniger das individuelle Scheitern als die Bedeutung von Träumen als gesamtgesellschaftliches Phänomen.Death of a Salesmanhingegen zeigt das persönliche Schicksal eines Salesman und konzentriert sich auf die Familie und Freunde. Es nimmt daher eine individuell-familiäre Perspektive ein, indem es die Auswirkungen eines unerschütterlichen irregeleiteten Glaubens an den amerikanischen Traum aufzeigt.Glengarry Glen Rossschließlich nimmt eine ökonomisch-systembezogene Perspektive ein. Indem es die Salesmen ausschließlich bei der Arbeit zeigt und weder Rückschlüsse auf ein Privatleben noch auf ein soziales Umfeld zulässt, stehen die Einzelschicksale der Charaktere repräsentativ für das Scheitern eines ganzen Systems.
Um den amerikanischen Traum in seiner Komplexität anhand der Bücher untersuchen zu können, ist es notwendig, sich zunächst mit dessen Entstehungshintergrund und zentralen Elementen zu befassen. Wie zu belegen sein wird, ist der amerikanische Traum ein äußerst vielschichtiges Phänomen, welches nicht abschließend und erschöpfend zu definieren ist. Häufig assoziiert mit materiellem Wohlstand, bezieht er
4Zudem steht der Salesman als Katalysator der Handlung insofern im Mittelpunkt des Geschehens, als er den Prozess der Desillusionierung ins Rollen bringt und somit den Gang der Ereignisse maßgeblich beein- flusst.
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sich im Kern auf die Vorstellung, dass jedem Individuum unabhängig von sozialer und ethnischer Herkunft oder politischer und religiöser Gesinnung die gleichen Chancen zustehen. Dies bringt der Historiker James Truslow Adams zum Ausdruck, wenn er schreibt:
(T)he American dream [...] is not a dream of motor cars and high wages [...], but a dream of a social order in which each man and each woman shall be able to attain to the fullest stature of which they are innately capable, and be recognized by others for what they are, regardless of the fortuitous circumstances of birth or position.5
Wegen seines inflationären Gebrauchs und einer damit einhergehenden Bedeutungsverwässerung scheint es daher angebracht, sich zunächst mit dem originären BegriffAmerican Dreamauseinanderzusetzen. Insofern wird sich die Arbeit im zweiten Kapitel darauf konzentrieren, die Entwicklungsgeschichte des amerikanischen Traums zu untersuchen und zentrale Kernelemente zu identifizieren.
Das dritte Kapitel widmet sich dem Salesman als Epitom des amerikanischen Traums. Anhand der Heldentypen des Cowboys und des Geschäftsmannes zeigt die Arbeit auf, inwieweit der Held des Salesman als Synthese dieser zwei Leitbilder anzusehen ist.
Ausgehend von dieser theoretischen Basis werden in den folgenden Kapiteln (4, 5 und 6) die Bühnenstücke untersucht. Das Vorgehen inDeath of a SalesmanundGlengarry Glen Rosswird dabei sehr ähnlich sein: Zunächst setzt sich die Arbeit mit der Erörterung der dem Drama zugrunde liegenden Auffassung des amerikanischen Traums auseinander. Anschließend wird der Salesman im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen. Dabei wird es zunächst darum gehen, dessen individuelles Scheitern deskriptiv darzustellen, bevor es in einem zweiten Schritt analytisch untersucht werden soll. Wie angedeutet, fügt sichThe Iceman Comethnicht in dieses Untersuchungsschema. Daher wird die Arbeit von obiger Methodik abweichen und sich insbesondere auf die Traumwelt der Figuren und deren Zerstörung durch das Wirken des Handelsreisenden konzentrieren. So wird hier insbesondere die gruppenstabilisierende Funktion von Träumen im Zentrum der Analyse stehen.
Die Arbeit endet mit einer Schlussbetrachtung und der Frage, welche Alternativen die einzelnen Dramen entwerfen.
5Adams (1941): S. 404.
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'The American Dream' has never been defined exactly, and probably never can be. It is both too various and too vague: many men have meant different things by it.Frederic I. Carpenter: American Literature and the Dream. Freeport; New York: 1968.
Der BegriffAmerican Dreamist in seiner Bedeutung ebenso vage wie ambivalent,6auch wenn seine häufige Verwendung in Verbindung mit dem bestimmten Artikel ein eindeutig definiertes Phänomen suggeriert. Gleichwohl ist der amerikanische Traum wesentlicher Bestandteil der nationalen Identität und Symbol des amerikanischen Selbstverständnisses.7Bereits das von Thomas Jefferson in der Unabhängigkeitserklärung formulierte, gottgegebene Recht des Menschen auf "Life, Liberty, and the pursuit of Happiness"8kann als eine Urform des amerikanischen Traums gesehen werden, auch wenn sich der Begriff zum ersten Mal erst über 150 Jahre später bei James Truslow Adams findet.9Dieser spricht 1931 in seinem BuchThe Epic of Americavon dem "Americandream,that dream of a land in which life should be better and richer and fuller for every man, with opportunity for each according to his ability or achievement."10
Truslows Definition zufolge scheint sich der amerikanische Traum im Kern auf die Hoffnung eines besseren und glücklicheren Lebens für alle Menschen jeglicher sozialer, ethnischer und religiöser Herkunft zu beziehen. Hierauf deuten auch zahlreiche Aussagen berühmter Amerikaner. So stellt Richard Nixon die materielle Komponente des Traums heraus und nennt "full employment, better housing, excellence in education; in rebuilding our cities and improving our rural areas; in protecting our environment and enhancing the quality of life" als zentrale Elemente. Ronald Reagan erinnert an die Einzigartigkeit des amerikanischen Volkes und hebt den Sonderstatus hervor, welcher den USA in der Welt zukomme. Amerika sei "too great a nation to limit (them)selves to small dreams." Jesse Jackson und Martin Luther King träumen von Freiheit und Gleichheit für alle Bürger, insbesondere für die afroamerikanische Bevölkerung.11Und Bill Clinton betont die universelle Gültigkeit des amerikanischen Traums, welcher jeden Bürger am Erfolg partizipieren lasse, solange er hart und rechtschaffen arbeite.12
6Vgl. Carpenter (1968): S. 3.
7Vgl. Cullen (2003): S. 6.
8Jefferson (1989): S. 640.
9Cullen und Jillson merken an, dass Unklarheit darüber herrscht, ob Adams den Begriff tatsächlich geprägt oder ihn von einem anderen Autor übernommen hat. Vgl. Cullen (2003): S. 4 und Jillson (2004): S. 6.
10Adams (1941): S. 404.
11Zitiert in Freese (2006): S. 12-23.
12Vgl. Clinton zitiert in Hochschild (1995): S. 18.
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Wohl ist der amerikanische Traum durch diese subjektiven Meinungen nur unzureichend definiert und insbesondere die Aussagen der amerikanischen Präsidenten müssen sicherlich teilweise als politische Wahlkampf-Phrasen gewertet werden. Allerdings verdeutlichen obige Begriffsverwendungen zum einen, dass der amerikanische Traum von unterschiedlichen Generationen ganz verschieden ausgelegt wurde, und zum anderen, welch fundamentale Bedeutung ihm in der amerikanischen Gesellschaft zukommt. Es handelt sich beim Amerikanischen Traum offensichtlich um ein äußerst wichtiges, doch auch sehr komplexes Phänomen, welchem wir durch Betrachtung unterschiedlicher Interpretationen nur ungenügend Rechnung tragen.
Nicht weniger problematisch ist der Versuch, sich dem amerikanischen Traum über synonym verwendete Begriffe zu nähern. Ergebnis einer solchen Betrachtung ist eine Aneinanderreihung nahezu sämtlicher Aspekte der amerikanischen Gesellschaft, angefangen von Teilaspekten des amerikanischen Traums wieequal opportunityoderindividual successbis hin zu ähnlich umfassenden und vagen Konzepten wieAmerican creed, American destinyoderAmerican way of life,mit denen der amerikanische Traum häufig gleichgesetzt wird. Es scheint, als kennzeichne es den amerikanischen Traum, dass eine Definition, die über eine Aufzählung solcher Aspekte hinausgeht, nicht möglich ist und lediglich zu einer Verwässerung seiner Bedeutung führt.13
Andererseits mag gerade in dieser Ungreifbarkeit der Reiz des Traums begründet liegen. Hierauf verweist Cullen, wenn er sagt: "The American Dream would have no drama or mystique if it were a self-evident falsehood or a scientifically demonstrable principle. Ambiguity is the very source of its mythic power."14In jedem Fall ist der amerikanische Traum ein allgegenwärtiges Phänomen, dessen Faszination, Entstehungsgeschichte und einzelne Elemente es im Folgenden zu ergründen gilt.
Wenngleich es schwierig scheint, den amerikanischen Traum zu definieren, ist es doch möglich, verschiedene Entwicklungen aufzuzeigen, die zu seiner Entstehung beigetragen haben. Nach Freese basiert der Mythos auf drei Konzepten: (1) Der mythischen Vorstellung Amerikas als einem zweiten El Dorado15; (2) der religiösen Vorstellung Amerikas als einem Neuen Jerusalem; und (3) der politischen Vorstellung Amerikas als
13Vgl. Keil (1968): S. 4f.
14Cullen (2003): S. 7.
15Der Begriff El Dorado kommt aus dem Spanischen und heißt übersetzt "der Vergoldete". Er geht zurück auf eine kolumbianische Sage, der zufolge ein mit Goldstaub bedeckter Stammeshäuptling zur Opferdarbietung auf einen See hinausfuhr, um sich den Goldstaub in einem zeremoniellen Bad abzuwaschen. Heute bezeichnet El Dorado im metaphorischen Sinne ein üppiges, fruchtbares Land, in dem es jeder zu Reichtum und Wohlstand bringen kann. Vgl. Brockhaus 7 (2006): S. 672.
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einem Land, in dem Tyrannei und Unterdrückung durch Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit abgelöst werden.16
Der mythischen Auffassung des amerikanischen Traums zufolge ist Amerika ein Land der Neuanfänge und unbegrenzten Möglichkeiten und ein El Dorado des Überflusses und der Reichtümer. Diese Vorstellung ist wesentlich durch europäisches Gedankengut geprägt und kommt in Wunschvorstellungen wie der Insel Atlantis, der Terra Repromissionis oder der Utopia zum Ausdruck. Bevor Amerika als Kontinent entdeckt wurde, existierte daher bereits ein "America of the mind"17, welches mit der Entdeckung eines neuen Kontinents im Westen eine geeignete Projektionsfläche fand.
Die Glorifizierung Amerikas als "brave new world" und zweites Paradies auf Erden wurde vorangetrieben von verheißungsvollen Nachrichten aus der Neuen Welt. So vergleicht bereits Christoph Kolumbus in einem seiner Reiseberichte Amerika mit einem "irdische(n) Paradies" und Captain John Smith schildert Virginia als ein "fruitful and delightful land", welches einen idealen Lebensraum biete: "(H)eaven and earth never agreed better to frame a place for man's habitation." In einer berühmt gewordenen Aussage William Penns zu Pennsylvania heißt es: "The air is sweet and clear, the heavens serene." Und Thomas Morton schreibt: "For mine eyes t'was Nature's masterpiece. [...] If this land be not rich, then is the whole world poor."18
Gleichwohl gab es durchaus auch kritische Schilderungen, die von Elend, Krankheit und Tod berichteten.19Diese negativen Berichte wurden anfangs jedoch aus mindestens zwei Gründen weitgehend ignoriert:20Zum einen löste die Entdeckung eines in weiten Teilen unbesiedelten und in den Augen der Europäer unzivilisierten Landes ein bis dato einzigartiges Besitzdenken aus. Zwar war Amerika nicht das erste Land, welches Europa mit kulturellen Unterschieden konfrontierte. Doch während die Europäer bei ihren Begegnungen mit fremden Völkern in der alten Welt lediglich den Status von
16Vgl. im Folgenden Peter Freese:The American Dream and the American Nightmare.Paderborn, 1987, bes. 95-108.
17Freese (1987): S. 94.
18Shakespeare (2002): S. 209, Colombo (1956): S. 267, Smith (1967): S. 344, Penn (2002): S. 592, Morton (1989): S. 23.
19Vgl. beispielhaft die Schriften von John Captain Smith und William Bradford, in denen es heißt, dass viele Menschen bereits die Überfahrt nach Amerika aufgrund von "extreme weakness and sickness" nicht überstanden (Vgl. Smith (1989): S. 13) bzw. aufgrund von Epidemien oder Unterernährung den ersten Winter vor Ort nicht überlebten (Vgl. Bradford (1989): S. 68).
20Billington zeigt in seinem BuchLand of Savagery, Land of Promiseam Beispiel der Frontier, dass sich die europäische Wahrnehmung Amerikas mehrfach änderte. So schlug die Konzeption Amerikas als einem Gelobten Land (16. Jhd.) im 17. Jhd. rasch ins Negative um. Im 18. Jhd. änderte sich das Bild im Zuge der Romantik erneut: Das 'Land of Savagery‘ wich einer Verherrlichung der Natur zum 'Wilden Westen‘ und aus dem gefährlichen Wilden wurde derNoble Savage.Vgl. Billington (1981): S. 1-28.
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Gästen innehatten, fiel ihnen jetzt der Status von Entdeckern zu, und diese Tatsache implizierte ein gewisses Eigentumsrecht. "America, having been uncovered and, in a sense, 'given to them' by their own initiative, seemed to be theirs to expropriate and to define."21Zum anderen hatten viele der ersten Siedler Europa nicht freiwillig verlassen, sondern kamen aus Angst vor Hunger, Armut und drohenden Kriegen oder um ihrer politischen oder religiösen Verfolgung zu entfliehen.22Die Neue Welt bot für sie einen Zufluchtsort, und glücklich, dort angekommen zu sein, verherrlichten sie das Land als ihre neue Heimat. Zu diesem Fazit gelangt auch Robert Beverly, der in seinem BuchThe History and Present State of Virginiadie Eindrücke der ersten Siedler in Virginia folgendermaßen zusammenfasst:
Being over-pleased with their Profits, and finding all Things there entirely new, and surprizing; they gave a very advantageous Account of Matters; by representing the Country so delightful, and desirable; so pleasant, and plentiful; the Climate, and Air, so temperate, sweet, and wholsome; the Woods, and Soil, so charming, and fruitful; and all other Things so agreeable, that Paradice it self seem'd to be there, in its first Native Lustre.23
Auf diese Weise entstand die weit verbreitete Vorstellung von Amerika als einem idyllischen, unschuldigen und pastoralen Land, welche in starkem Kontrast zum dekadenten und verstädterten Europa stand. In den folgenden Jahrzehnten veranlasste dieser Mythos Millionen Flüchtlinge dazu, ihr Glück in der Neuen Welt zu suchen. Mit den Immigranten kam auch der Wunsch nach religiöser, politischer und wirtschaftlicher Freiheit ins Land, welcher sich später in der religiösen sowie soziopolitischen Konzeptualisierung des amerikanischen Traums wiederfinden sollte. Insofern begründet die frühe Mythologisierung Amerikas durch die Europäer jene dominante religiöse und soziopolitische Dimension, welche den amerikanischen Traum bis heute kennzeichnet.
Die religiöse Tradition sah Amerika als ein neues Kanaan24, in welchem Gottes auserwähltes Volk ein zweites Jerusalem errichten werde. Im Gegensatz zur mythischen Vorstellung, welche im 16. Jahrhundert insbesondere Abenteurer auf den Plan rief, die in ihrem Entdeckerdrang freiwillig die gefährliche Reise nach Amerika antraten, waren
21Greene (1993): S. 11.
22Vgl. Dippel (2005): S. 7-17.
23Beverly (1703): S. 262.
24Kanaan ist der historische Begriff für die syrisch-palästinensische Küste, steht in der biblischen Terminologie jedoch für das Gelobte Land (Vgl. Brockhaus 14 (2006): S. 362). In 2 Mose 3,8 heißt es: "Ich bin herabgestiegen, um sie der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter."
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es im 17. Jahrhundert vorwiegend als religiöse Dissidenten verfolgte Puritaner25, die in Amerika einen Ort zu finden hofften, an dem sie ihren Glauben frei leben konnten.
Der Puritanismus war eine theologische Protest- und Reformbewegung innerhalb des englischen Protestantismus, die sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bildete und eine liturgische und moralische Erneuerung der Anglikanischen Kirche forderte.26Sein Name leitet sich von seinem erklärten Ziel ab, die Kirche nach kalvinistischen Grundsätzen von römisch-katholischen Lehren zu reinigen (im Englischen: to purify). Im weiteren Sinne wurden jedoch auch jene Gläubige abwertend als Puritaner bezeichnet, die sich einem frommen, sittenstrengen, am Biblizismus ausgerichteten Le-benswandel verschrieben hatten.27
Grundlage des Puritanismus ist die Vorstellung, die Heilige Schrift enthalte eine verbindliche gesellschaftliche Ordnung für das Zusammenleben von Menschen. Aus diesem Grund lehnten die Puritaner alle Formen der Religionsausübung ab, die sie nicht durch die Bibel begründet fanden28, und forderten eine Rückkehr zum reinen Glauben. Aufgrund des Vorwurfs an die Regierung, die Trennung vom Katholizismus nicht vollzogen und die protestantische Reformation nicht vollendet zu haben, setzte mit dem 'Act Against Puritans' ab 1593 die Verfolgung der Puritaner ein, die als Andersdenkende zunehmend als Bedrohung empfunden wurden.29So emigrierten in der Folge viele Puritaner in die Niederlande und ab 1620 nach Neuengland, wo sie zunächst Plymouth Colony (1620), dann Massachusetts Bay (1630) und schließlich weitere Siedlungen im Connecticut-Tal sowie New Haven und Providence errichteten.30Ihre Hoffnung, die Anglikanische Kirche in England zu reformieren, hatten sie aufgegeben. Vielmehr sahen sie nun in Neuengland die Möglichkeit, ein paradigmatisches Gemeinwesen im Sinne eines 'model of christian charity' zu errichten, welches als Vorbild für die gesamte Menschheit dienen würde. So heißt es in einer berühmt gewordenen Aussage John Winthrops: "(W)e must consider that we shall be as a City upon a Hill, (and that) the eyes of all people are upon us."31In Anlehnung an die Prophezeiungen Jesajas und die
25Im 17. Jahrhundert zersplitterte der Puritanismus in verschiedene Religionsgemeinschaften wie Presbyterianer, Kongregationalisten und Separatisten, sodass der Ausdruck 'Puritaner' streng genommen zu kurz greift. Für unsere Zwecke soll im Folgenden nicht zwischen den einzelnen Kongregationen unterschieden werden. Für eine genaue Analyse der Aufspaltung der Puritaner siehe Linder und Christadler (1996): S. 619, sowie Ralph Barton Perry:Puritanism and Democracy.New York 1944, bes. S. 62-81.
26Vgl. zur Geschichte der Puritaner Cal Jillson:Pursuing the American Dream.Lawrence 2004, 15-47.
27Brockhaus 22 (2006): S. 294.
28So verlangten die Puritaner weit reichende Reformen hinsichtlich Kirchenordnung und Liturgie. Sie traten für eine Gleichheit der Gläubigen ein und lehnten jede Form der kirchlichen Hierarchie, z.B. den Einsatz von Bischöfen, ebenso ab wie eine Instrumentalisierung und Vergegenständlichung des Glaubens durch Devotionalien und 'vermenschlichte' Traditionen. Vgl. Linder; Christadler (1996): S. 619.
29Vgl. Raeithel (1987): S. 30.
30Vgl. Linder; Christadler (1996): S. 620.
31Winthrop (1989): S. 41.