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Die hier vorliegende Sammlung vereint erstmals Kanehls frühe Gedichte, die von 1913 bis 1915 verstreut erschienen sind und nicht in einem der zu Lebzeiten publizierten Gedichtbände abgedruckt wurden. Der Titel folgt einer Verlagsankündigung aus den 1920er Jahren: „Die Dinge schreien. Gedichte vor Krieg und Hunger.“ Die Publikation war damals geplant, ist aber nie erschienen. Die Herausgeber möchten dies mit dieser Ausgabe nachholen.
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Seitenzahl: 17
KAPITEL I
AM STRANDE
SONNENUNTERGANG
HERBSTNÄCHTLICHER GANG
FEIERABEND
ICH BIN DER LETZTE DER DIE STRASSE KOMMT
KAPITEL II
IM D-ZUG
EINFAHRT
DIE STADT
HOCH- UND UNTERGRUNDBAHN
HERBSTMORGEN
BAHNHOF
AUTO
KAPITEL III
AUFLAUF
KANALBRÜCKE
TRAUM VOM SOMMER
GLUTHITZE
SAUWETTER
LITERATURKAFFEE
NACHTCAFÉ
TINGELTANGEL
SPIELHÖLE
IM ZELTGARTEN
BRESLAUER VERGNÜGUNGSPARK
KAPITEL IV
AUF DIE LASKER
DER LETZTE LÄRM
DU WEISSER KNABE
GEDICHT FÜR DEN ARZT OTTO GROSS
QUELLENVERZEICHNIS
Wir liegen nackt und lassen uns besonnen.
Durch einen Mückenschwarm, wie feines Maschennetz gesponnen,
Flutet auf uns der Blendstrom alles Sonnenlichts
und drückt die Augen zu. Wir wollen nichts,
wir lassen das Gehirn uns kochen,
weil wir gehungert haben, lange Wochen.
Vom stillen Meer her, eintönig wie Gebet,
kommt Kühle fächelnd leiser Wind geweht.
Und neben uns liegt Zarathustra, ungelesen;
Wir lesen nicht, wir Übermenschenwesen,
und lassen Leben mit der vollen Hand.
Wir denken nichts, wir fühlen nur:
Wir sind ein Stück Natur
und nichts als Leiber auf dem heißen Sand.
Die letzten weißen Wolkenflotten fliehen.
Der Tag hat ausgekämpft
über dem Meer.
Wie eine rote Blutlache liegt es,
in der das Land wie Leichen schwimmt.
Vom Himmel tropft ein Eiter, Mond.
Es wacht kein Gott.
In Höhlen ausgestochner Sternenaugen
hockt dunkler Tod.
Und ist kein Licht.
Und alles Tier schreit wie am Jüngsten Tag.
Und Menschen brechen um
am Ufer.
Naßkalte Nacht.
Wie weißschaumiger Aussatz
deckt Nebel das sündige Land.
An meiner Hand
wandert mein letzter Begleiter: der Schatten.
Hastig vorbei
gleiten, wie tanzender Leichenzug,
schwarzgerippige Bäume.
Frierende Tiere
hallender Hungerschrei.
Eine Mühle wie Galgenspuk.
Drohende Telegraphenlatten.
Mit dunkelblutigen Armen
winkt gierig das Wasser.
Und durch ein Leichentuch blinkt
rot umrandet, gequält,
wie ein entzündetes Auge
der Mond.
In blassem Tintenblau
schwimmt käsegelb und groß
die Mondscheibe.
Das Wasser hat die Fischerkähne
ans Land gespien
und ruht nun
silbern selbstzufrieden aus.
Der Wind hat aufgehört zu husten.