Die drei !!!, 63, Flammen in der Nacht (drei Ausrufezeichen) - Maja von Vogel - E-Book

Die drei !!!, 63, Flammen in der Nacht (drei Ausrufezeichen) E-Book

Maja von Vogel

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Beschreibung

Kim, Franzi und Marie sind "Die drei !!!". Mutig und clever ermitteln die drei Freundinnen und sind jedem Fall gewachsen. In Kims Nachbarschaft häufen sich seltsame Ereignisse: umgekippte Mülltonnen, verwüstete Beete und aufgebrochene Autos. Schnell geraten die Jugendlichen aus dem Wohnheim für Flüchtlinge in Verdacht. Die drei !!! beginnen zu ermitteln. Und dann steht eines Nachts die Flüchtlingsunterkunft in Flammen...

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Maja von Vogel

Flammen in der Nacht

Kosmos

Umschlagillustration Ina Biber, Gilching

Umschlaggestaltung von Friedhelm Steinen-Broo, eSTUDIO CALAMAR

Grundlayout: Doppelpunkt, Stuttgart

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele

weitere Informationen zu unseren Büchern,

Spielen, Experimentierkästen, DVDs, Autoren und

Aktivitäten findest du unter kosmos.de

© 2016, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-15267-6

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Neue Nachbarn

Feiner Nebel lag über den abgeernteten Feldern. Es war dunkel und kalt. Irgendwo bellte ein Hund. Am Ende des holperigen Feldweges hüpfte ein Lichtschein über den gefrorenen Boden. Er gehörte zu einem Fahrrad, das langsam näher kam. Das linke Pedal quietschte und vertrocknetes Laub raschelte unter den Reifen. Das Mädchen auf dem Rad summte leise vor sich hin.

Bunt sind schon die Wälder, gelb die Stoppelfelder…

Das Mädchen hieß Ella und war unterwegs zur Chorprobe. Ella wusste nicht, dass sie das Gemeindehaus nie erreichen würde. Denn hinter der nächsten Kurve lauerte das Böse in Form von … in Form von …

»Kim?«

In Form von was?

»KIM!«

Die Szene in Kims Kopf löste sich auf wie der Nebel auf den Feldern, den sie sich gerade ausgedacht hatte. Sie blinzelte verwirrt. »Wie bitte?«

»Ich hab dich gefragt, ob du noch ein Brötchen möchtest.« Frau Jülich hielt ihrer Tochter den Brotkorb hin. »Wo bist du nur mit deinen Gedanken?«

»Mir ist bloß gerade etwas eingefallen.« Kim griff nach dem letzten Mohnbrötchen und nahm sich vor, ihre Idee gleich nach dem Abendessen aufzuschreiben, ehe sie sie wieder vergaß. Die Szene gefiel ihr richtig gut. Die Frage war nur, wer der armen Ella im Gebüsch auflauerte. Ein verrückter Mörder? Ein ausgebrochener Sträfling? Ein Werwolf? Oder ein Entführer, der Lösegeld erpressen wollte?

Kim liebte Krimis. Je spannender, desto besser. Sie verschlang nicht nur jeden Thriller, den sie in die Finger bekam, sondern schrieb auch selbst Krimi-Kurzgeschichten. Es machte ihr wahnsinnigen Spaß, sich verzwickte Verbrechen auszudenken und ihre Figuren in unheimliche Situationen zu bringen, aus denen es kein Entkommen gab.

Während Kim überlegte, wie alt Ella war und wie sie aussehen könnte, griff sie nach der Salami und schnitt sich ein dickes Stück ab. Sofort tauchte eine feuchte Hundeschnauze unter dem Tisch auf und stupste Kim auffordernd an.

»Du sollst nicht betteln, Pablo«, sagte Frau Jülich streng. Sie schüttelte den Kopf. »Dieser Hund treibt mich noch in den Wahnsinn! Vorhin hat er sich eins der Wiener Würstchen geschnappt, die ich gerade eingekauft hatte.«

»Selbst schuld, wenn du sie auf dem Küchentisch liegen lässt«, sagte Ben ungerührt.

»Pablo ist eben total schlau«, fügte Lukas hinzu. »Er weiß genau, wo es was zu holen gibt.«

Kims zehnjährige Zwillingsbrüder liebten den lebhaften Spaniel-Mischling heiß und innig. Sie tobten stundenlang mit ihm im Garten herum oder brachten ihm irgendwelche Kunststücke bei. Das Gassigehen fanden sie allerdings sterbenslangweilig, sodass es häufig an Kim hängen blieb. Erst hatte sie die Runden mit Pablo ziemlich nervig gefunden, doch seit sie festgestellt hatte, dass ihr auf den Spaziergängen oft die besten Ideen für neue Geschichten kamen, ging sie richtig gerne mit dem Hund raus.

»Unser lieber Nachbar Herr Poschke hat sich mal wieder beschwert«, berichtete Herr Jülich. »Pablo ist über den Zaun gesprungen und hat in sein Blumenbeet gemacht.«

»Na und? Ist doch prima Dünger«, sagte Ben.

»Außerdem meckert der Poschke sowieso immer nur rum, ganz egal, was wir tun«, behauptete Lukas.

»Das stimmt nicht.« Kim nutzte den Moment, in dem ihre Mutter Butter auf ihr Brötchen schmierte, und ließ unauffällig eine Salamischeibe unter den Tisch fallen, die Pablo sofort verschlang. »In letzter Zeit war er viel freundlicher als sonst. Manchmal spendiert er Pablo sogar ein Hunde-Leckerli.«

»Herr Poschke bemüht sich seit einer Weile wirklich um gute Nachbarschaft«, bestätigte ihre Mutter. »Umso wichtiger, dass ihr zwei gut auf Pablo aufpasst und Herrn Poschke keinen Anlass zur Klage gebt.« Sie sah die Zwillinge scharf an.

Ben und Lukas verdrehten die Augen.

»Ja, ja, schon gut«, murmelte Ben.

»Übrigens ist unser anderes Nachbarhaus wieder bewohnt«, erzählte Herr Jülich und griff nach dem Gouda.

»Echt? Hab ich gar nicht mitbekommen.« Kim biss in ihr Salami-Brötchen. Das angrenzende Reihenhaus hatte eine Weile leer gestanden, nachdem die alte Dame, die dort über vierzig Jahre gelebt hatte, zu ihrer Tochter gezogen war.

»Die Stadt hat das Haus gemietet.« Herr Jülich belegte sein Brötchen mit Käse, nahm sich eine Tomate und viertelte sie. »Das Jugendamt hat dort eine Unterkunft für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge eingerichtet.«

»Minderjährige was?«, nuschelte Kim mit vollem Mund, was ihr einen strafenden Blick ihrer Mutter eintrug.

»Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge«, wiederholte ihr Vater. »Das sind Kinder und Jugendliche unter achtzehn Jahren, die ohne ihre Eltern aus ihrer Heimat geflohen sind.«

»Warum denn?«, fragte Ben.

»Weil in ihren Heimatländern Krieg herrscht oder die Menschen dort sehr arm sind und nicht genug zu essen haben«, erklärte Frau Jülich. »Deshalb fliehen sie zu uns nach Europa.«

»Und weshalb kommen die Eltern nicht mit?«, wollte Lukas wissen.

»Dafür gibt es viele Gründe«, sagte Herr Jülich. »Manchmal sind die Eltern im Krieg gestorben. Oder die Familien haben nicht genug Geld, um gemeinsam zu fliehen, und schicken ihre Kinder alleine los.«

»Es kommt auch vor, dass die Kinder ihre Eltern auf der Flucht verlieren«, ergänzte Frau Jülich.

»Krass!«, stellte Ben fest.

»Wenn es bei uns Krieg gibt, müssen wir dann auch fliehen?«, fragte Lukas ungewöhnlich ernst.

»Bei uns gibt es keinen Krieg, mein Schatz«, beruhigte ihn Frau Jülich.

»Und wenn doch? Können wir dann unsere Spielsachen mitnehmen?«, wollte Ben wissen.

»Also, unser Fußball muss auf jeden Fall mit«, sagte Lukas. »Ist schließlich ein offizieller Bundesliga-Spielball.«

»Und die Torwarthandschuhe, das Fußball-Sticker-Album, das Spiderman-Kostüm und das ferngesteuerte Rennboot«, zählte Ben auf.

»Und Pablo natürlich!« Lukas streichelte den Hund, der an Kims Bein schnupperte und auf eine weitere Wurstscheibe wartete.

Herr Jülich lachte. »Ich fürchte, dann brauchen wir einen Lieferwagen.«

»Aber was machen wir mit unserem Auto?«, fragte Ben. »Lassen wir das hier?«

»Und wer kümmert sich um unser Haus, wenn wir nicht mehr da sind?«, erkundigte sich Lukas.

Frau Jülich seufzte. »Ihr braucht euch wirklich keine Sorgen zu machen. Zum Glück herrscht in Deutschland seit über siebzig Jahren Frieden und das wird hoffentlich auch noch lange so bleiben.«

»Eigentlich ist es ziemlich ungerecht, dass so viel davon abhängt, wo man auf die Welt kommt«, sagte Kim nachdenklich. »Wenn wir in Syrien geboren worden wären, müssten wir jetzt auch fliehen. Stattdessen leben wir hier in einem schönen Haus, können zur Schule gehen und haben genug zu essen.«

»Auf die Schule könnte ich gut verzichten.« Lukas verzog das Gesicht.

»Aber auf das Essen nicht!« Ben stopfte sich eine Salamischeibe in den Mund. Pablo ließ ihn nicht aus den Augen und leckte sich hungrig über das Maul.

»Was passiert denn mit den Flüchtlingskindern, wenn sie es bis nach Deutschland geschafft haben?«, fragte Kim.

»Sie werden vom Jugendamt in Obhut genommen und in einem Kinderheim, einer Wohngruppe oder bei Pflegefamilien untergebracht.« Herr Jülich salzte seine Tomate und steckte sich ein Viertel in den Mund. »Nebenan soll eine Wohngruppe für bis zu zwölf Kinder und Jugendliche entstehen. Ich hab heute vor dem Haus einen der Sozialarbeiter getroffen, die die Kinder betreuen, und mich ein bisschen mit ihm unterhalten.« Er runzelte die Stirn. »Herr Poschke kam auch dazu. Er schien nicht gerade begeistert zu sein, dass Flüchtlinge in unsere Straße ziehen.«

»Wieso?«, fragte Kim. »Was hat er denn dagegen?«

»Gute Frage.« Herr Jülich überlegte kurz. »Manche Menschen haben leider Vorurteile gegenüber Flüchtlingen. Sie fürchten, sie könnten uns die Arbeitsplätze wegnehmen oder sich auf unsere Kosten ein schönes Leben machen.«

»Wie gemein!« Kim schüttelte den Kopf. »Was können die Kinder dafür, dass in ihrer Heimat Krieg herrscht und sie fliehen mussten?«

»Gar nichts«, sagte ihre Mutter. »Deshalb sollten wir sie auch freundlich empfangen und ihnen helfen, sich möglichst schnell bei uns einzuleben. Was haltet ihr davon, wenn wir unseren neuen Nachbarn zur Begrüßung einen Kuchen backen?«

»Super Idee!« Kim nickte begeistert. »Am besten gleich morgen. Franzi und Marie kommen nach der Schule vorbei, dann können wir den Kuchen persönlich nach nebenan bringen.«

»Habt ihr ein Detektivclub-Treffen?«, fragte Ben.

»Ermittelt ihr gerade in einem neuen Fall?«, wollte Lukas wissen. »Erzähl mal!«

Dass Kim, Franzi und Marie mit ihrem Detektivclub Die drei !!! schon viele Verbrechen aufgeklärt hatten, war längst kein Geheimnis mehr. Trotzdem achteten die Detektivinnen darauf, keine Einzelheiten ihrer Ermittlungen auszuplaudern. Im Moment gab es allerdings nicht viel zu verraten, weil der Club arbeitslos war. Seit sie im Sommer in eine spannende Schatzsuche verwickelt gewesen waren, hatten Die drei !!! keinen Fall mehr gehabt. Doch das brauchte Kim ihren Brüdern ja nicht auf die Nase zu binden.

»Seid nicht so neugierig«, sagte sie deshalb nur. »Unser Club geht euch gar nichts an.«

Die Zwillinge streckten ihr die Zunge raus, aber Kim tat ihnen nicht den Gefallen, sich darüber zu ärgern. Sie blieb völlig gelassen, prostete ihnen mit ihrem Wasserglas zu und trank einen großen Schluck. Augenblicklich verloren Ben und Lukas das Interesse an weiteren Nerv-Attacken und begannen, sich um das letzte Sesambrötchen zu streiten. Kim grinste in sich hinein. Wie schön, dass die Reaktion ihrer Brüder so wunderbar vorhersehbar war!

Haus Heimathafen

»Welches Haus ist es?«, fragte Franzi.

»Direkt nebenan.« Kim nickte zu einem weiß verputzten Reihenhaus mit dunkelbrauner Holztür hinüber. Der Vorgarten sah ziemlich verwildert aus und war voller Herbstlaub. Auch die Hecke hätte dringend mal wieder geschnitten werden müssen. Als die alte Frau Hopp noch dort gewohnt hatte, waren Beete und Rasen immer tipptopp gepflegt gewesen. Aber seit sie weggezogen war, hatte sich niemand mehr um den Garten gekümmert.

Kim hielt die mit Alufolie abgedeckte Kuchenplatte vorsichtig in beiden Händen, während sie die wenigen Schritte zum Nachbarhaus lief. Franzi und Marie waren sofort einverstanden gewesen, Kims neuen Nachbarn den Schokoladenkuchen zu bringen, den Herr Jülich am Vormittag gebacken hatte. Kims Vater hatte sich vor einer Weile mit einer kleinen Kuckucksuhren-Manufaktur selbstständig gemacht und kümmerte sich außerdem zu großen Teilen um den Haushalt, weil Kims Mutter als Rektorin einer Grundschule sehr eingespannt war.

»Hoffentlich ist jemand zu Hause.« Marie hielt Kim die Gartenpforte auf.

Welke Blätter raschelten unter Kims Füßen und erinnerten sie an den Beginn der Geschichte, die sie sich gestern ausgedacht hatte. Nach dem Abendessen hatte sie sich sofort an den Computer gesetzt und angefangen zu tippen. Die Wörter waren fast wie von selbst in die Tastatur geflossen, und als sie das nächste Mal auf die Uhr geschaut hatte, war es schon halb zehn gewesen und sie hatte beinahe sechs Seiten geschrieben. Wenn es doch nur immer so gut laufen würde!

Vor der Haustür blieben die Detektivinnen stehen. Kim erblickte ein kleines Schild, auf dem Haus Heimathafen stand. Ein schöner Name! Franzi klingelte. Kurze Zeit später waren Schritte zu hören und die Tür wurde geöffnet.

»Ja, bitte?«, fragte eine zierliche Frau mit locker aufgesteckten braunen Haaren und einer großen Brille auf der Nase.

»Hallo, ich bin Kim Jülich«, stellte sich Kim vor. »Ich wohne mit meiner Familie nebenan. Das sind meine Freundinnen Franziska Winkler und Marie Grevenbroich. Wir möchten Sie bei uns in der Straße herzlich willkommen heißen.« Sie reichte der Frau die Platte. »Ich hoffe, Sie mögen Schokoladenkuchen.«

»Danke!« Die Frau lüftete die Alufolie und schnupperte. »Das riecht ja köstlich! Wollt ihr nicht reinkommen? Dann können wir den Kuchen gleich anschneiden.«

Kim nickte eifrig. »Gerne!« Sie liebte Schokolade und Süßes über alles und hatte schon heftig bedauert, dass ihr Vater nicht gleich einen Kuchen für sie mitgebacken hatte.

»Ich heiße übrigens Sabine Tophoven und betreue zusammen mit meinem Kollegen Falk Biedermann diese Wohngruppe. Ihr könnt mich ruhig duzen.« Sie führte die drei !!! durch einen schmalen Flur in eine geräumige, helle Küche. »Entschuldigt bitte die Unordnung, aber wir haben noch nicht alles ausgepackt.« Sie deutete auf ein paar aufgerissene Kartons in der Ecke. Auf der Arbeitsfläche stapelte sich in Zeitungspapier gewickeltes Geschirr. An einem großen Holztisch vor dem Fenster saßen zwei etwa neun- und dreizehnjährige Jungen und machten Hausaufgaben.

»Das sind Khaleed und Ahmed«, sagte Sabine.

»Hallo, wie geht’s?«, fragte Marie.

Die Jungs sahen von ihren Heften auf.

»Hello«, erwiderte der ältere, den Sabine als Ahmed vorgestellt hatte.

»Die zwei sprechen noch nicht so gut Deutsch«, erklärte Sabine. »Aber wenn sie weiter so fleißig lernen, werden sie es bestimmt bald können.« Sie schenkte den Jungs ein warmes Lächeln.

»Where do you come from?«, versuchte Kim es auf Englisch.

»Somalia«, antwortete Khaleed und kratzte sich mit dem Bleistift zwischen den schwarzen, krausen Locken. Sein verschmitztes Grinsen erinnerte Kim an die Zwillinge. Sie hätte schwören können, dass er es genauso faustdick hinter den Ohren hatte wie ihre Brüder.

»Syria«, sagte Ahmed. Er hatte sanfte braune Augen, über denen sich dicke schwarze Brauen wölbten.

»Jetzt gibt es erst mal eine kleine Stärkung!« Sabine schob die Hefte und Bücher zur Seite und stellte den Schokoladenkuchen auf den Tisch. »Ich sage nur schnell den anderen Bescheid.«

Kurze Zeit später waren alle um den großen Küchentisch versammelt. Neben den drei !!!, Khaleed und Ahmed hatten noch der sechzehnjährige David aus Sierra Leone und ein vierzehnjähriges Mädchen namens Aveen Platz genommen. Sie kam wie Ahmed aus Syrien.

»Die Wohngruppe ist noch nicht voll besetzt, aber es wird sicher nicht mehr lange dauern, bis wir komplett sind.« Sabine verteilte den Kuchen und bald war nur noch das Klappern der Gabeln zu hören. Kim schob sich einen großen Bissen Schokokuchen in den Mund. Ihr Vater hatte sich mal wieder selbst übertroffen. Mit jedem Kuchen, den er backte, wurde er besser. Wenn das so weiterging, konnte er bald Frau Winkler Konkurrenz machen. Franzis Mutter war mit ihrem Backservice sehr erfolgreich und dachte sogar darüber nach, ein eigenes Café zu eröffnen.

»Schmeckt toll«, lobte Sabine. »Richte deinen Eltern bitte unseren herzlichen Dank für den netten Empfang aus.«

»Das ist doch selbstverständlich«, sagte Kim.

Sabine seufzte. »Nein, ist es leider nicht. Wir haben schon ganz andere Sachen erlebt.« Sie spießte ein Kuchenstück auf ihre Gabel, ohne weiter ins Detail zu gehen.

Kim saß neben Aveen. Das Mädchen aß langsam und kaute jeden Bissen gründlich. Ihre langen, leicht gewellten dunklen Haare fielen wie ein Vorhang vor ihr Gesicht. Sie schien Kims Blick zu spüren und sah auf.

»Ist sehr gut.« Aveen zeigte auf ihren Teller. »Danke schön.«

»Gern geschehen.« Kim lächelte. »Bist du schon länger in Deutschland?«

»Seit drei Monaten.« Aveen strich sich die Haare hinter das Ohr. »Deutschland viel gut.«

»Du sprichst ja schon prima Deutsch«, stellte Franzi fest.

»Nur ein bisschen.« Aveen legte die Gabel neben ihren Teller. »Ich muss noch viel lernen.«

»Aveen ist immer so bescheiden«, sagte Sabine. »Dabei ist sie ein echtes Sprachentalent. Sie besucht seit zwei Monaten eine Sprachlernklasse und hat in dieser Zeit riesige Fortschritte gemacht. Wenn es so weitergeht, kann sie bald in eine normale Schulklasse wechseln.«

Aveen starrte auf ihren Teller und ließ die Haare wieder vor ihr Gesicht fallen. Es schien ihr peinlich zu sein, vor allen anderen gelobt zu werden. Kim konnte das gut verstehen. Sie stand auch nicht gerne im Mittelpunkt.

»Was macht ihr hier denn so den ganzen Tag?«, fragte Marie.

»Deutsch lernen in Sprachlernklasse, Hausaufgaben, essen, schlafen«, zählte Aveen auf.

»Und sonst?«, hakte Franzi nach. »Was habt ihr für Hobbys?«

»Hobbys?« Aveen schien das Wort nicht zu kennen.

»Was macht ihr gerne?«, formulierte Kim die Frage um. »Wobei habt ihr Spaß?«

»Spaß?« Aveen überlegte. »Lesen. Und kochen. Ich viel kochen.«

»Das stimmt«, bestätigte Sabine. »Aveen hat sich gestern freiwillig zum Kochdienst gemeldet. Wir wechseln uns hier mit den Haushaltspflichten ab. Es gibt einen Plan, auf dem steht, wer an welchem Tag mit Kochen, Tischdecken und -abräumen, Putzen und Müllrausbringen dran ist. Einige versuchen zwar manchmal, sich zu drücken«, sie warf einen Blick zu Khaleed hinüber, der so tat, als würde er kein Wort verstehen, »aber das wird sich schon noch einspielen.«

»Ich lese auch gern«, sagte Kim. »Am liebsten Krimis. Welche Bücher magst du?«

Aveen zuckte mit den Schultern. »Alle. Bücher über Liebe, Freunde oder Tiere. Aber hier haben wir keine Bücher. Nur Zeitung. Oder Deutschbuch.« Sie zeigte auf die Schulbücher auf dem Tisch.

»Ich könnte dir ein paar Bücher leihen«, bot Kim an. »Dann lernst du bestimmt noch schneller Deutsch. Vielleicht hab ich sogar Tiergeschichten oder einen Liebesroman. Wenn nicht, kriegst du einfach meine Lieblingskrimis.«

»Leider fehlt es uns noch an vielen Dingen.« Sabine hatte ihren Kuchen aufgegessen und schob den leeren Teller zur Seite. »Die Kinder brauchen zum Beispiel dringend Hefte und Schreibzeug für den Deutschunterricht. Die meisten Flüchtlinge haben ja nur die Kleider, die sie am Leib tragen, wenn sie hier ankommen. Jetzt, wo der Winter vor der Tür steht, fehlen uns außerdem warme Jacken und Stiefel. Von Spielsachen und Büchern gar nicht zu reden.«

Die drei !!! schwiegen betroffen. Kim dachte an ihren gut gefüllten Kleiderschrank, das vollgestopfte Bücherregal und das Zimmer der Zwillinge, in dem jede Menge Spielzeug herumflog. Wie würde es sich anfühlen, alles zurücklassen zu müssen? Nicht nur die Klamotten, Bücher und Fotos, auch Verwandte und Freunde? Das war einfach unvorstellbar!

»Wir könnten zu Hause bestimmt etwas aussortieren«, sagte Kim.

»Wir auch«, kam es wie aus einem Mund von Franzi und Marie.

Sabine lächelte. »Das ist sehr nett von euch. Wir sind tatsächlich auf Spenden angewiesen.«

Plötzlich fiel Kim noch etwas ein. »Sag mal, Aveen, hast du vielleicht Lust, am Freitag mit uns ins Jugendzentrum zu gehen? Da gibt es ein Lichterfest.«

»Jugendzentrum?«, fragte Aveen. »Lichterfest? Was ist das?«

»Im Jugendzentrum treffen sich Kinder und Jugendliche, um gemeinsam Zeit zu verbringen«, erklärte Kim. »Im Herbst gibt es dort immer ein Fest mit vielen Lampions und Kerzen, einem Lagerfeuer, Würstchen und Früchtepunsch.«

»Das macht Spaß«, fügte Marie hinzu. »Hast du Lust?«

Aveen zögerte kurz, dann nickte sie.

»Toll!« Kim lächelte. »Wir holen dich am Freitag um fünf Uhr ab.«

Etwas später verabschiedeten sich die drei !!!. Draußen dämmerte es bereits.

»Es war eine prima Idee von dir, Aveen zum Lichterfest einzuladen«, sagte Marie, als sie auf den Bürgersteig traten. »Ich glaube, sie hat sich richtig gefreut.«

Kim nickte nachdenklich. »Stell dir vor, du wärst ganz allein in einem fremden Land, dessen Sprache du erst mühsam lernen musst. Ohne Familie und Freunde.« Sie fröstelte. »Das muss schrecklich sein.«

»Wir können uns ja ein bisschen um Aveen kümmern«, sagte Franzi. »Vielleicht lebt sie sich dann schneller ein.«

Kim wollte gerade in ihren Vorgarten einbiegen, als wüste Beschimpfungen durch die stille Straße schallten. Irritiert blieb sie stehen. »Was ist denn da los?«

Tatort Rosenbeet

»So eine Unverschämtheit!«, rief eine schrille Stimme. »Meine schönen Rosen …«

Die Stimme gehörte Frau Moser, die im Haus gegenüber wohnte. Die drei !!! überquerten die Straße und blieben vor dem Jägerzaun stehen. Die Beete im Vorgarten der Nachbarin waren säuberlich geharkt und es lag kein einziges welkes Blatt auf dem Gartenweg. Zwischen den ordentlich gestutzten Büschen hatte das Unkraut keine Chance. Frau Moser kniete in ihrem Rosenbeet, das im Gegensatz zum restlichen Garten aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen.

»Guten Tag«, grüßte Kim. »Was ist denn passiert?«

Die Nachbarin sah auf. »Hallo, Kim. Sieh dir dieses Chaos an! Irgendjemand hat mein Rosenbeet völlig verwüstet. Ich versuche gerade zu retten, was zu retten ist, bevor es dunkel wird.«