Die drei Kutter - Frederick Marryat - E-Book

Die drei Kutter E-Book

Frederick Marryat

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Beschreibung

Frederick Marryat selbst kämpfte im Mittelmeer gegen Franzosen und Türken und war später Leiter einer Expedition nach Birma. In seiner Erzählung "Die drei Kutter" schildert Marryat Vorkommisse, die er bei der Küstenwache mit Schmugglern selbst erlebte. Die Hauptrollen in dieser Erzählung spielen drei Kutter, von denen zwei in Plymouth liegen, während der Auftritt des dritten auf französischer Seite in St. Malo beginnt. Dies ist die "Ohnesorge", deren Kapitän Jack Pickersgill ist. Ziel seiner Reise nach England ist das Schmuggeln und fast unweigerlich droht er an der englischen Küste in die Fänge des Zollkutters zu gelangen. Wäre da nicht die Jacht seiner Lordschaft, die mehr zufällig in diese Auseinandersetzung hineingezogen wird. Als Pickersgill und seine Lordschaft aufeinandertreffen, reift ein ganz eigenartiger Plan heran.-

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Frederick Marryat

Die drei Kutter

Abenteuer der welt

Saga

Der erste Kutter

Lieber Leser, bist du schon in Plymouth gewesen? Wenn es der Fall ist, dann muß dein Auge mit Entzücken auf dem prachtvollen Besitztum des Grafen von Mount Edgecumbe geruht haben. Warst du aber noch nicht in dieser Stadt, so besuche sie, und je eher, desto besser.

Auf Mount Edgecumbe kannst du die schönsten Bäume, die es gibt, bewundern; sie schmücken die Hügel von ihren Spitzen bis hinunter zu dem flachen Geröll am Strand. Von diesem reizenden Fleckchen Erde aus bietet sich dir einer der herrlichsten Rundblicke der Welt. Du siehst – und ich weiß kaum etwas, was du nicht sehen wirst – Ram Head und die Bucht von Cawsand; die große Mole, Drake’s Island und tief unter dir Devil’s Bridge; die Stadt Plymouth mit ihren Befestigungen, den Hoe, Devil’s Point, um den der Gezeitenstrom verteufelt quirlt, das neue Proviantamt, wo Sir James Gordon alle Tage umherzustelzen und von jedem, der eine Schnupftabaksdose bei sich hatte, eine Prise zu nehmen pflegte (sie wurde gern gegeben und gern genommen, woraus man ersieht, welch großes Vergnügen auch nur eine Prise Schnupftabak bereiten kann). Dann siehst du Mount Wise und Mutton Cove, die Stadt Devonport mit ihrer prächtigen Werft und den Arsenalen, North Corner und die Straße, die nach Saltash führt. Du siehst Schiffe im Bau und Schiffe außer Dienst, Schiffe, die repariert, und Schiffe, die ausgerüstet werden, abgetakelte Schiffe, die Sträflingsschiffe und das Wachtschiff, segelfertige und unter Segel stehende Schiffe, daneben Leichter, Kriegsschiffboote, Werftboote, Proviantboote, Landungsboote, kurzum, in Plymouth gibt es, außer dem Meer selbst, eine Menge zu sehen.

Mein besonderer Wunsch ist jetzt aber, daß du auf der Batterie von Mount Edgecumbe stehen und nach Barn Pool unter dir blicken sollst; dort wirst du einen Kutter sehen, der ganz allein vor Anker liegt, und du wirst am Stander und an der Schiffsflagge erkennen, daß es eine Jacht ist.

Von allen Liebhabereien, die bei Adel und Bürgertum unserer Insel Eingang gefunden haben, ist keine so männlich, so aufregend, so patriotisch oder so national wie das Jachtsegeln. Es ist ein für England kennzeichnender Sport, nicht allein wegen unserer Insellage und der guten Häfen, sondern auch deshalb, weil er ein bestimmtes Maß an Tatkraft und eine bestimmte Höhe des Einkommens voraussetzt, die man selten woanders findet. Von unserer Regierung ist dieser Sport in weiser Voraussicht gefördert worden; sie erkannte, daß die Sicherheit des Königreiches stieg, wenn jeder mehr oder weniger ein Seemann oder doch mit dem Seemannsberuf eng verbunden war. Für unser Land ist dieser Sport von der größten Bedeutung; er hat den Bau und die Ausrüstung der Schiffe wesentlich verbessert und gibt Seeleuten und Schiffbauern Arbeit. Aber wenn ich das alles erzählen wollte, was ich zum Lobe des Jachtsegelns zu sagen wüßte, käme ich mit meiner Geschichte nie voran. Ich trinke daher einen vollen Humpen auf das Wohl des Admirals Lord Yarborough und des Jachtklubs und fahre in meiner Erzählung fort.

Du stellst fest, daß die Jacht wie ein Kutter getakelt ist und zierlich auf dem ruhigen Wasser liegt. Sie ist gerade dabei, den Anker zu lichten; das Vorsegel ist los, alles ist bereit – in wenigen Minuten wird sie Fahrt gewinnen. Du siehst auch, daß an der hinteren Reling einige Damen sitzen und daß fünf Rehkeulen über dem Heck hängen.

Wir müssen nun an Bord gehen. Das Deck besteht aus schmalen schneeweißen Planken, die Kanonen sind aus blankem Messing, Poller und Kompaßhäuschen aus Mahagoni. Das Schiff ist geschmackvoll gestrichen, seine Verzierungen sind alle vergoldet. Es fehlt nichts, und doch, wie frei und geräumig ist das Deck! Laß uns nun hinuntergehen! Hier liegt die Damenkabine. Kann etwas geschmackvoller oder eleganter sein? Ist sie nicht fast luxuriös? Und staunst du nicht, wenn du siehst, wieviel Bequemlichkeiten bei so beschränktem Raum praktisch und hübsch untergebracht sind? Dies hier ist der Speiseraum, wo sich auch die Herren aufhalten. Was könnte vollkommener, erlesener sein? Und jetzt wirf noch einen verstohlenen Blick in die Empfangskajüten und Schlafkabinen! Hier befinden sich die Kammer des Stewards und die Anrichte – der Steward drückt gerade Zitronen für den Punsch aus –, dort steht der Champagner in Eis, und neben dem Kübel stehen die Rotweinflaschen mit den langen Korken, alle fertig aufgereiht.

Nun laß uns weiter nach vorn gehen. Hier sind die Schlafkojen der Besatzung, aber sie sind nicht so eng wie auf einem Kriegsschiff. Nein! Der Luxus, der im Hinterschiff beginnt, verliert sich selbst ganz vorn nicht. Dies ist die Kombüse; ist sie nicht bewundernswert eingerichtet? Welch Vielerlei auf kleinstem Raum! Und wie lieblich duftet die Schildkrötensuppe! – Auf See begegnet man zuzeiten rauhen Stürmen; um sie abzuwettern, braucht man nur eine Jacht. Nun muß ich dir noch, nachdem ich dich durch das Schiff geführt habe, die Gesellschaft an Bord vorstellen.

Du siehst dort diesen blühenden, hübschen Mann in weißen Hosen und blauer Jacke, der, ein Fernglas in der einen Hand, gerade an einem Glas Kognak mit Wasser nippt, das er soeben vom Skylight genommen hat. Das ist der Besitzer des Schiffes, ein Mitglied des Jachtklubs. Es ist Lord B. Er sieht wie ein Seemann aus, und er straft sein Aussehen wohl auch kaum Lügen. Ich habe ihn schon bei der Eröffnung des Oberhauses in seiner Staatsrobe gesehen. Neben ihm steht Herr Stuart, ein Leutnant von der Marine. Er hält sich beständig mit der einen Hand an der Takelage, weil er, der sein ganzes Leben hindurch emsig beschäftigt war, nicht weiß, was er mit leeren Händen beginnen soll. Er ist ein Schützling von Lord B. und augenblicklich als Navigationsoffizier an Bord der Jacht.

Der hübsche, wohlgebaute Mann dort, der am Kompaßhäuschen steht, ist Herr Hautaine. Er diente sechs Jahre als Seekadett in der Kriegsmarine, fand aber keinen Geschmack daran. Dann diente er sechs Jahre in einem Kavallerieregiment, fand aber daran ebenfalls keinen Geschmack. Darauf heiratete er, entdeckte aber schon nach einer wesentlich kürzeren Probezeit, daß er auch daran keinen Geschmack finden würde. Er ist ein leidenschaftlicher Verehrer von Jachten und Frauen, und wo er aufkreuzt, ist er willkommen.

Jener junge Mann mit der gestickten seidenen Weste und den weißen Handschuhen, der sich gerade etwas hinunterbeugt, um mit einer der Damen zu sprechen, ist ein gewisser Herr Vaughan. Man sieht ihn viel in den Vergnügungsetablissements von Almack und Crockford und überall sonst. Jeder kennt ihn, und er kennt jeden. Er ist ein wenig verschuldet, und das Jachtsegeln kommt ihm gerade gelegen.

Der, welcher bei der Dame sitzt, ist ein Verwandter von Lord B. Du siehst sofort, was mit ihm los ist. Er spielt den Seebären: Er ist nicht rasiert, weil Seeleute keine Zeit haben, sich jeden Tag zu rasieren; seine Wäsche hat er aus eben diesem Grunde auch nicht gewechselt; er raucht eine Zigarre, was ihn selbst halb krank macht und die Gesellschaft obendrein belästigt; er spricht von dem Vergnügen, das ihm eine grobe See macht, von der die Damen unter Deck getrieben werden – dann bemerken sie nämlich nicht, daß er stärker unter der Seekrankheit leidet als sie. Er hat Pech, denn er ist für ein großes Besitztum geboren und dabei ein Narr. Sein Name ist Ossulton. Der letzte der Herren an Bord, den ich vorzustellen habe, ist Herr Seagrove. Er ist zart gebaut und hat auffallend intelligente Züge. Er hat es bis zum Advokaten gebracht, aber er besitzt jede andere Fähigkeit, nur nicht die Eignung zu diesem Beruf. Er hat noch nie einen Prozeß geführt und hat auch keine Aussicht, jemals einen zu führen. Er ist der Unterhalter der Gesellschaft. Seine Kanzlei hat er geschlossen und ist auf Einladung Seiner Lordschaft an Bord der Jacht gekommen, um seine „Vorstellungen“ zu geben.

Ich muß noch die Damen beschreiben. Ich hätte eigentlich mit ihnen beginnen sollen, kann mich aber mit dem Grundsatz entschuldigen, daß man sich das Beste immer bis zuletzt aufhebt. Alle Puppenspieler machen es so, und was ist dies anderes als der erste Auftritt in meinem Puppenspiel?

Wir wollen nun die Damen dem Alter und der Würde nach schildern. Jene lange, dünne, mürrisch dreinblickende Dame von fünfundvierzig Jahren ist eine alte Jungfer und die Schwester von Lord B. Sie ist sehr gegen ihren Willen überredet worden, an Bord zu gehen; aber ihre Begriffe von Anstand erlaubten nicht, daß ihre Nichte sich nur unter dem Schutz ihres Vaters auf der Jacht aufhielte. Sie erschrickt über alles. Wenn eine Trosse auf das Deck geworfen wird, fährt sie empor und schreit: „Oh!“ Ist sie oben, meint sie, unten rausche das Wasser hinein. Ist sie unten und es entsteht Lärm, ist sie überzeugt, daß oben Gefahr droht. Und wenn es völlig ruhig ist, dann steht es bei ihr fest, daß etwas nicht in Ordnung ist. Sie macht sich selbst und die andern nervös und fällt lästig mit ihrem Dünkel und ihrer Übellaunigkeit. Sie hat aber strenge Begriffe von Anstand und opfert sich für sie wie eine Märtyrerin. Es ist das ehrenwerte Fräulein Ossulton.

Die Dame, die beim Lächeln so viele Grübchen auf ihrem hübschen, länglichen Gesicht bekommt, ist eine junge Witwe namens Lascelles. Sie heiratete einen alten Mann, um Vater und Mutter gefällig zu sein, was wirklich sehr pflichttreu von ihr war. Sie wurde damit belohnt, daß sie als Witwe mit einem großen Vermögen zurückgelassen wurde. Da sie das erstemal ihren Eltern zuliebe geheiratet hat, will sie nun zu ihrem eigenen Vergnügen heiraten; aber sie ist noch sehr jung und hat gar keine Eile.

Die junge Dame dort mit den sanften Gesichtszügen ist das ehrenwerte Fräulein Cecilia Ossulton. Sie ist lebhaft und verständig und kennt ihrer Natur nach keine Furcht; aber sie ist doch noch sehr jung, nicht älter als siebzehn, niemand weiß so recht, was mit ihr los ist – sie selbst am allerwenigsten.

Dies ist also die Gesellschaft, die sich in der Kajüte der Jacht trifft.

Die Mannschaft besteht aus zehn tüchtigen Matrosen, dem Steward und dem Koch. Dazu kommen der Kammerdiener von Lord B., der Diener von Herrn Ossulton und die Zofe von Fräulein Ossulton. Da für die übrige Dienerschaft kein Raum mehr war, ist sie an Land geblieben.

Die Jacht macht jetzt Fahrt, alle ihre Segel sind gesetzt. Sie läuft zwischen Drake’s Island und dem Festland. Das Mittagessen ist angekündigt. Da der Leser einiges über die Vorbereitungen dazu erfahren hat, überlasse ich es ihm, zu entscheiden, ob es nicht sehr vergnüglich ist, sich auf einer Jacht zum Mittagessen niederzulassen. Die Luft hatte jeden hungrig gemacht, und erst nachdem abgedeckt war, wurde die Unterhaltung allgemein.

„Herr Seagrove“, sagte Seine Lordschaft“, „Sie wären fast um ihre Seereise gekommen. Ich wartete seit Donnerstag auf Sie.“

„Es tut mir leid, Mylord, daß Geschäfte mich daran hinderten, der freundlichen Aufforderung Eurer Lordschaft eher zu folgen.“

„Kommen Sie, Seagrove, reden Sie keinen Unsinn!“ sagte Hautaine. „Sie haben mir selbst neulich gestanden, daß Sie nie in Ihrem Leben einen Prozeß geführt hätten.“

„Was ein äußerst glücklicher Umstand ist“, erwiderte Seagrove, „denn wenn ich einen bekommen hätte, hätte ich nicht gewußt, was mit ihm anfangen. Es ist nicht meine Schuld, ich bin nur zum Vermittler geeignet. Aber ich hatte doch ein Geschäft, und obendrein ein sehr wichtiges: Ich wurde von Ponsonby aufgefordert, mit ihm zu Tattersall zu gehen, um meine Meinung über ein Pferd abzugeben, das er kaufen wollte, und ihn nach Forest Wild zu begleiten, um seine Sache vor seinem Onkel mit zu vertreten.“

„Es scheint also, daß Sie doch als Anwalt verpflichtet wurden“, meinte Lord B. „Darf ich fragen, ob Ihr Freund seine Sache gewonnen hat?“

„Nein, Mylord, die Sache ist verloren, aber er hat dafür einen Heiratsantrag gewonnen.“

„Erklären Sie dieses Rätsel, mein Herr“, sagte Cecilia Ossulton.

„Es ist so: Der alte Ponsonby ist sehr darauf bedacht, daß William Fräulein Percival heiratet, deren Gut an Forest Wild grenzt. Mein Freund William schätzt aber das Heiraten so sehr wie ich die Gesetze, und daher rührt der strittige Punkt.“

„Aber weshalb wurden Sie denn mit herangezogen?“ fragte Frau Lascelles.

„Weil Ponsonby, gnädige Frau, niemals ein Pferd kauft, ohne mich um Rat zu fragen ...“

„Ich verstehe nicht den Zusammenhang, mein Herr“, bemerkte das ältere Fräulein Ossulton und warf ihren Kopf zurück.

„Verzeihung, gnädiges Fräulein“, fuhr Seagrove fort, „es hat damit folgende Bewandtnis: Da ich sonst immer Ponsonbys Pferden ‚den Rücken zu decken‘ habe, hielt er es nur für recht und billig, daß ich es in diesem Fall auch mit ihm täte. Er forderte für sich einen besonderen Sachwalter, aber sein Onkel stellte ihn wegen eines Kapitalverbrechens vor Gericht und bewilligte ihm keinen Rechtsbeistand. Als wir angelangt waren und ich mich kaum in das Zimmer hineinkomplimentiert hatte, komplimentierte mich Herr Ponsonby auch schon wieder hinaus. Glücklicherweise war die Tür noch offen. – Aber nun möchte ich mir ein Glas Wein nehmen.“

„Tun Sie das“, sagte Seine Lordschaft, „aber vergessen Sie nicht, daß wir begierig auf Ihre Geschichte sind.“

„Ich kann Ihnen versichern, Mylord, es war wie auf dem Theater.“