Die drei ??? und der unheimliche Drache (drei Fragezeichen) - Nick West - E-Book

Die drei ??? und der unheimliche Drache (drei Fragezeichen) E-Book

Nick West

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Beschreibung

War es ein Scherz, was Mr. Allen über ein Seeungeheuer berichtet, das er gesehen haben will? Wem gehört zum Beispiel die unheimliche Stimme am Telefon? Und was ist Mr. Shelby für ein Mensch? Er nennt sich Spezialist für Tricks und Späße aller Art – aber damit geht er entschieden zu weit ... Unsere drei Freunde, Justus, Bob und Peter müssen wieder so manche Merkwürdigkeiten überstehen.

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Seitenzahl: 212

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und der unheimliche Drache

erzählt von Nick West nach einer Idee von Robert Arthur

Aus dem Amerikanischen übertragen von Leonore Puschert

Kosmos

Umschlagillustration von Aiga Rasch

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele

weitere Informationen zu unseren Büchern,

Spielen, Experimentierkästen, DVDs, Autoren und

Aktivitäten findest du unter kosmos.de

© 2014, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur.

ISBN 978-3-440-14061-1

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

An meine Leser

Dieses Vorwort dient lediglich dazu, neu hinzugekommene Leser mit den drei ??? bekannt zu machen. Wer ihnen schon früher begegnet ist, braucht hier nicht weiterzulesen.

Die drei ??? sind ein tatkräftiges Team junger Detektive – Amateure, gewiss, aber bemerkenswert erfolgreich im Verfolgen ihrer Ziele, nämlich der Aufklärung rätselhafter Fälle.

Justus Jonas hat sich zum Anführer und Kopf des Trios ernannt. Peter Shaw, der Athlet unter den dreien, setzt sich gern für Aufgaben ein, die auf diesem seinem Gebiet besondere Anforderungen stellen. Bob Andrews schließlich ist für Recherchen und für das Archiv zuständig. Im Verein sind sie ein höchst aktives Unternehmen. Die Jungen wohnen in Rocky Beach, einem Städtchen am Pazifik in der Nähe von Hollywood. Ihr Hauptquartier, die ›Zentrale‹, ist ein ausgebauter Campinganhänger, der auf dem Schrottplatz der von Justs Onkel und Tante betriebenen Firma ›Gebrauchtwaren-Center T.Jonas‹ steht. Im Anhänger gibt es ein kleines Büro, ein Labor, eine Dunkelkammer und allerlei Zubehör, das sich die Jungen aus dem Schrottlager geholt und selbst instand gesetzt haben. Zu dieser Zentrale führen verschiedene Geheimzugänge, die sich vorzugsweise mit jugendlicher Geschmeidigkeit meistern lassen.

Nun wisst ihr alles Notwendige und ich werde bis auf Weiteres von der Bildfläche abtreten, damit für euch das Lesevergnügen beginnen kann!

Mit Rätseln fängt es an

»Ich frage mich«, sagte Justus Jonas eines Morgens, »wie wir es anstellen würden, wenn wir hier in der Gegend den kühnsten Raub aller Zeiten planten!«

Seine beiden Freunde waren sichtlich verblüfft. Bob Andrews ließ den Stapel Kärtchen fallen, die er gerade einzeln in die alte Druckerpresse einführte. Peter Shaw, der an einem ausgedienten Radio herumbastelte, zuckte zusammen, sodass sein Schraubenzieher eine wilde Kurve beschrieb.

»Was hast du da gesagt?«, fragte Peter. Er versuchte, den hässlichen Kratzer glatt zu schmirgeln, den er hinten auf das hölzerne Gehäuse des Apparats gemacht hatte.

»Ich sagte, ich frage mich, wie wir es anstellen würden, wenn wir hier den kühnsten Raub aller Zeiten starten wollten«, wiederholte Justus. »Gesetzt den Fall, wir wären Verbrechergenies.«

»Frag dich nur weiter«, sagte Peter, »und vielleicht findest du dabei auch noch heraus, was mit uns passiert, wenn sie uns geschnappt haben. Ich hab mal gehört, Verbrechen zahlt sich nicht aus.«

Bob Andrews las seine am Boden verstreuten Kärtchen zusammen. »Ich glaube kaum, dass wir für ein Verbrechen großen Stils die geeigneten Experten wären. Ich bin nicht mal Experte genug, um auf dieser Druckerpresse Karten zu fabrizieren.«

»Mir kam nur so der Gedanke«, meinte Justus. »Schließlich sind wir Detektive. Wenn wir in der Theorie ein Verbrechen sorgfältig planen könnten, käme uns das sehr zustatten, sobald es um seine Aufklärung ginge. Wir müssen unsere Gedankenarbeit einmal in der Gegenrichtung vollziehen und uns in die Denkweise eines genialen Verbrechers hineinversetzen.«

Peter nickte. »Das ist eine prima Idee, Just. Aber erst muss ich bei diesem Radio mal die Gedanken des früheren Besitzers in der Gegenrichtung vollziehen. Er hat das Ding selber zu reparieren versucht und die Strippen total verheddert. Danach werde ich dann gern mit dir kriminelle Planspiele machen.«

Die drei ???, wie sich die Detektive nennen, waren in Justs Freiluftwerkstatt auf dem Schrottplatz der Firma Jonas. Im Schutz des zwei Meter breiten Dachs, das von der hohen Umzäunung nach innen vorsprang, setzten sie alten Trödel, den Justs Onkel Titus aufkaufte, wieder instand. Was sie dabei verdienten, verbrauchten sie zum Teil als Taschengeld, zum Teil leisteten sie sich davon solchen Luxus wie das Telefon in ihrer geheimen Zentrale.

Peter zog an seinem Radio die letzte Schraube an und hielt Justus den Apparat stolz zur Begutachtung hin. »Das dürfte deinem Onkel mindestens drei Dollar wert sein«, sagte er. »Jetzt kann er es als funktionierendes Radio verkaufen – vorher hatte das Ding nur Schrottwert.«

Justus lächelte. »Onkel Titus pflegt aber nicht achtlos mit dem Geld um sich zu werfen. Ich schlage vor, du probierst erst mal aus, ob es überhaupt geht.«

Peter zuckte die Achseln und drehte an einem Knopf. »Und ob das geht«, sagte er. »Hört’s euch an.«

Im Radio summte und krachte es, dann kam der Sender klar herein. Sie hörten einen Sprecher, der anscheinend mitten in den Nachrichten war. »Die Polizei steht im Hinblick auf die sonderbaren Vorfälle in Seaside weiterhin vor einem Rätsel«, sagte er. »Im Laufe der vergangenen Woche wurden fünf Hunde als vermisst gemeldet. Die Besitzer können sich das plötzliche Verschwinden ihrer Vierbeiner nicht erklären. Und nun zu den Nachrichten aus dem Ausland.«

»Schalt ab, Peter«, verlangte Justus.

Peter drehte den Knopf zurück. »Was ist das nun wieder?«, wunderte er sich. »Fünf Hunde vermisst. Anscheinend macht ein verrückter Hundefänger die Gegend unsicher.«

»Da hätten wir ja das Verbrechergenie, das Justus meinte«, sagte Bob grinsend. »Er stiehlt nach und nach alle Hunde, die er kriegen kann, und treibt damit die Nachfrage in die Höhe. Und wenn dann die Leute den Preis zahlen, den er fordert, stößt er die Viecher wieder ab und wird Millionär.«

Justus saß da und knetete seine Unterlippe, das Zeichen dafür, dass sein Denkapparat auf Hochtouren lief.

»Komisch«, meinte er schließlich.

»Was ist komisch?«, fragte Bob. »Ist dir der Schmerz der betroffenen Hundehalter etwa Anlass zur Belustigung?«

Justus schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. »Nein. Mir ging es darum, dass in einer Woche gleich mehrere Hunde als vermisst gemeldet werden. Dass Haustiere verschwinden, passiert sonst eher in unregelmäßigen Abständen als gehäuft in einer einzigen Woche.«

»Na, es muss so sein, wie ich sagte«, erwiderte Bob. »Da treibt ein genialer Verbrecher sein Unwesen – mit der verrückten Idee, sich das Hunde-Monopol zu sichern. Vielleicht will er nebenbei auch den Hackfleischpreis drücken. Und natürlich die gestohlenen Hunde mit einem schönen Profit verkaufen!«

Justus rang sich ein Lächeln ab. »Könnte hinhauen. Aber es lässt die Frage offen: Wieso fünf verschwundene Hunde in einer Woche? Und noch eine Frage: Warum hat man sich nicht an uns gewandt, damit wir diese rätselhaften Fälle aufklären?«

»Vielleicht sind sie gar nicht so rätselhaft«, meinte Peter. »Hunde brennen eben manchmal durch und kommen eine Zeit lang nicht wieder. Ich tippe eher da drauf.«

»Ich auch«, sagte Bob. »In der Meldung hieß es nicht, dass es wertvolle Hunde seien. Einfach fünf verschwundene Hunde.«

Justus nickte langsam und widerstrebend. »Vielleicht habt ihr beide recht«, gab er zu. »Es mag eine Laune des Zufalls sein, so ungern ich eine derartige Vermutung auch ausspreche.«

Die beiden anderen grinsten. Justus sprach mit besonderer Vorliebe in dieser gespreizten Art – nicht genug damit, dass er detektivisch äußerst begabt war, was die Freunde an ihm hoch schätzten und was ihn zum anerkannten Oberhaupt des Trios machte.

»Ich frage mich nur«, überlegte Justus, »wie wir dieses Rätsel lösen sollen, wenn uns keiner der Hundebesitzer damit betraut.«

Bob und Peter sahen einander ratlos an. »Was denn für ein Rätsel?«, wollte Peter wissen. »Ich denke, wir sind uns einig, dass es eine Laune des Zufalls ist und kein Rätsel.«

»Vielleicht«, äußerte Justus. »Aber wir sind Detektive. Wir haben in der Vergangenheit mehrere vermisste Haustiere wieder beschafft. Und jedes Mal waren damit geheimnisvolle Vorgänge verbunden.«

Da nickten Bob und Peter und erinnerten sich, wie die Suche nach einer gewissen Abessinierkatze sie auf die Spur des Geheimnisses um die flüsternde Mumie gebracht hatte und wie die Fahndung nach Mr Fentriss’ vermisstem Papagei Lucullus ihnen zur Klärung des Falles mit dem Superpapagei verholfen hatte.

»Seaside liegt südlich von hier, nicht sehr weit weg«, sagte Justus. »Offenbar reicht unser Ruhm als Detektive doch nicht so weit, wie wir dachten. Dagegen sollten wir etwas tun.«

Bob wies auf den Stapel Kärtchen, mit dem er die alte Druckerpresse beschickt hatte. »Das tu ich ja gerade, Just«, meinte er. »Ich drucke neue Geschäftskarten für uns. Eine ganz frische Serie.«

»Gute Idee, Bob«, lobte Justus. »Aber ich hatte etwas anderes im Sinn. Wir müssen einfach besser bekannt werden, und wenn etwas Ungewöhnliches passiert, sollen die Leute sofort an die drei Detektive aus Rocky Beach, Kalifornien, denken.«

Bob hob abwehrend die Hände. »Na hör mal, Just, wie stellst du dir das vor? Wir können uns weder einen Werbespot im Fernsehen noch einen Himmelsschreiber leisten.«

»Ich weiß«, sagte Justus. »Ich schlage vor, wir gehen sofort in unsere Zentrale und berufen eine Sitzung ein, in der wir über Mittel und Wege diskutieren, wie unsere Detektivfirma noch mehr Leuten zum Begriff werden könnte.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, stand er auf. Bob und Peter wechselten einen Blick, zuckten die Achseln und folgten ihm. »Das gefällt mir an dir, Just«, sagte Peter mit leisem Spott, »wie du alles so demokratisch regelst. Ich meine, dass wir immer erst abstimmen, ehe eine Entscheidung getroffen wird.«

Die Jungen schoben hinter der Druckerpresse ein Stück Eisengitter zur Seite, das die Mündung einer weiten Wellblechröhre freigab. Sie schlüpften in diese Öffnung und rückten das Gitter wieder zurecht, dann krochen sie auf Händen und Knien etwas über zehn Meter vorwärts. Ein Stück weit verlief die Röhre als unterirdischer Tunnel, dann führte sie zwischen ein paar tarnenden Eisenträgern hindurch. Das andere Ende öffnete sich unmittelbar unter dem Campinganhänger, den die Jungen zu ihrer Zentrale ausgebaut hatten. Als Justs Onkel Titus damals keinen Käufer für den verbeulten alten Anhänger fand, hatte er ihn Justus und seinen Freunden überlassen.

Die drei drückten eine Falltür auf und zwängten sich durch. Nun waren sie in ihrem engen Büro mit Schreibtisch, Stühlen, Schreibmaschine, Aktenschrank und Telefon. An dieses hatte Justus ein Mikrofon und einen Verstärker angeschlossen, sodass die Jungen bei Telefongesprächen gemeinsam zuhören konnten. Außerdem gab es in dem Anhänger eine winzige Dunkelkammer, ein Miniaturlabor und einen Waschraum. Innen war es dunkel, weil hohe Stapel aus Schrott und Trödel den Anhänger umgaben. Peter knipste die Lampe über dem Schreibtisch an.

In diesem Augenblick klingelte das Telefon.

Die Jungen blickten sich an. Angerufen wurden sie höchst selten. Nach dem zweiten Klingeln nahm Justus den Hörer ab und schaltete den kleinen Verstärker ein.

»Justus Jonas?«, fragte eine Frauenstimme. »Sie werden von Albert Hitfield verlangt.«

»Mann!«, rief Bob. »Vielleicht hat er wieder einen schönen Fall für uns!«

Seit Mr Hitfield, der berühmte Filmregisseur, die drei ??? kannte, hatte er ihnen schon mehrmals Aufträge vermittelt.

»Hallo, junger Freund!« Nun sprach Albert Hitfield selbst. »Steckst du mit deinen Kollegen gerade in irgendwelchen Ermittlungen?«

»Nein, Sir«, erwiderte Justus. »Aber nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit müssten wir bald wieder auf etwas Interessantes stoßen.«

Mr Hitfield lachte. »Gesetz der Wahrscheinlichkeit ist gut!«, sagte er. »Falls ihr frei seid, habe ich etwas für euch. Ein Freund von mir, ein ehemaliger Regisseur, hätte Hilfe nötig.«

»Wir würden es gern versuchen, Mr Hitfield«, sagte Justus. »Was hat denn Ihr Freund für ein Problem?«

Albert Hitfield zögerte, als bemühe er sich, eine schwierige Situation in knappe Worte zu fassen.

»Das Problem ist anscheinend ein Hund«, erzählte er schließlich. »Mit anderen Worten: Er erzählte mir vor Kurzem am Telefon, dass ihm sein Hund abhandengekommen sei.«

Justs Blick hellte sich auf. »Zählt Ihr Freund vielleicht zufällig zu den Einwohnern von Seaside, Mr Hitfield?«, erkundigte er sich.

Eine kurze Stille folgte.

Als Albert Hitfield sich wieder meldete, hörte man seiner Stimme maßlose Verblüffung an. »Er wohnt tatsächlich in Seaside, junger Mann. Wie hast du denn das herausgefunden?«

»Ich stellte lediglich den Zusammenhang zwischen einigen außergewöhnlichen Vorkommnissen her«, erwiderte Justus.

»Bemerkenswert«, meinte Mr Hitfield dazu. »Wirklich sehr bemerkenswert. Es gefällt mir, wie ihr weiterhin hellwach seid und noch nicht so eingebildet oder blasiert, dass es euer Unternehmen lahmlegt.«

Justus grinste. »Dazu wird es nie kommen, Mr Hitfield. Aber Sie sagten, das Problem bei Ihrem Freund sei anscheinend ein Hund. Das Wort ›anscheinend‹ betonten Sie besonders. Geschah das mit Absicht?«

»Ich muss schon sagen«, meinte Albert Hitfield, »da hast du bereits genau erraten, was ich zum Ausdruck bringen wollte. Ich glaube nämlich nicht, dass es sich hier einfach um einen entlaufenen Hund handelt. Bei Licht besehen kann ein Fall, in dem ein Drache vorkommt, wohl kaum alltäglich genannt werden. Oder seid ihr anderer Meinung?«

Justus räusperte sich. »Ein Drache?«

»Ja, mein Junge. Das Haus meines Freundes liegt direkt über dem Meer und darunter verlaufen unterirdische Gänge. Mein Freund behauptet steif und fest, dass er in der Nacht, seit der sein Hund fehlt, einen ziemlich großen Drachen aus dem Ozean auftauchen und in einer dieser Höhlen unter seinem Grundstück verschwinden sah.«

Daraufhin herrschte erst einmal verdutztes Schweigen.

»Nun, was sagst du dazu, mein Junge? Seid ihr drei bereit, zu diesem Fall Ermittlungen anzustellen?«

Justus war so aufgeregt, dass er ins Stottern kam. »B-b-bitte geben Sie mir den Namen und die Adresse Ihres F-freundes, Sir!«, sagte er. »Das hört sich an, als könnte es unser spannendster Fall werden!«

Er schrieb sich Albert Hitfields Angaben auf, versprach, Fortschritte jeweils sofort zu melden, und legte auf. Triumphierend sah er Bob und Peter an.

»Mit einem Drachen, der heutzutage hier auftaucht, muss man sich unbedingt befassen. Meint ihr nicht?«

Bob nickte. Peter zuckte die Achseln.

»Du scheinst irgendwelche Bedenken zu haben, Peter«, bemerkte Justus.

»Einen Fehler hast du gemacht«, bemerkte Peter. »Du sagtest zu Mr Hitfield, das könnte unser spannendster Fall werden.«

»Ja, das sagte ich«, entgegnete Justus. »Hast du etwas dagegen?«

»Eigentlich schon«, meinte Peter.

»Was hättest denn du gesagt?«

»Wenn es dabei um einen Drachen geht«, sagte Peter, »dann hätte ich gesagt: Das könnte unser letzter Fall werden!«

Das Ungeheuer aus dem Meer

Das Städtchen Seaside, wo Albert Hitfields Kollege und Freund wohnte, lag etwa fünfunddreißig Autobahnkilometer entfernt. Patrick, einer der beiden irischen Brüder, die auf dem Schrottplatz arbeiteten, musste gleich nach dem Mittagessen ohnehin in die Gegend, um Ware abzuholen und anzuliefern. Justus holte sich bei seiner Tante Mathilda die Erlaubnis, samt seinen Freunden in dem kleinen Lastwagen der Firma Jonas mitzufahren.

Justs Tante richtete für alle das Essen und danach brachen sie gleich auf und zwängten sich neben Patrick auf die Sitzbank im Führerhaus. Justus nannte ihm die Adresse und bald fuhren sie auf der gut ausgebauten Schnellstraße entlang der Küste nach Süden.

»Du hattest inzwischen Zeit für ein wenig Forschungsarbeit, Bob«, sagte Justus. »Was kannst du uns über Drachen berichten?«

»Ein Drache«, erklärte Bob, »ist ein durch die Sage überliefertes Ungeheuer, das meist in Gestalt eines großen Reptils mit Flügeln und Klauen erscheint und Rauch und Feuer speit.«

»Ich habe zwar keine Forschungen angestellt«, unterbrach Peter. »Aber ich glaube, Bob hat etwas Wichtiges außer Acht gelassen. Drachen sind nicht sehr umgänglich.«

»Das hätte ich schon noch erwähnt«, meinte Bob, »aber Justus interessiert sich ja nur für Tatsachen. Drachen kommen in Sagen vor, also gibt es sie nicht wirklich. Und wenn es keine gibt, braucht es uns nicht zu kümmern, ob sie umgänglich sind oder nicht.«

»Völlig zutreffend«, bestätigte Justus. »Drachen sind Geschöpfe aus uralten Legenden. Wenn es je wirklich welche gegeben haben sollte, dann sind sie bestimmt inzwischen allesamt ausgestorben.«

»Das leuchtet mir ein«, sagte Peter. »Wenn sie aber alle ausgestorben sind, wie kommen wir dann dazu, uns mit einem Exemplar zu befassen?«

»Wir haben erfahren, dass vorige Woche in dem friedlichen Städtchen Seaside fünf Hunde verschwunden sind«, stellte Justus fest. »Und Mr Hitfield erzählte uns, dass einer seiner Freunde seinen Hund vermisst und bei seinem Haus einen Drachen gesehen hat. Sagt euch das denn überhaupt nichts?«

»Doch, freilich«, antwortete Peter. »Das sagt mir, dass ich besser zu Hause in Rocky Beach schwimmen gehen sollte, anstatt mich mit euch auf Drachenjagd zu begeben.«

»Wenn Mr Hitfields Freund, Henry Allen, uns als Detektive engagiert, wird das für uns bestimmt ein lohnendes Abenteuer werden«, versprach Justus. »Versuch mal, es von dieser Seite zu sehen.«

»Ich versuch’s ja die ganze Zeit«, sagte Peter.

»Ob es nun einen Drachen gibt oder nicht«, meinte Justus, »irgendetwas Rätselhaftes geht dort offenbar vor sich. Bald werden wir für unsere Arbeit Fakten zur Verfügung haben. Inzwischen müssen wir die Sache aufgeschlossen angehen.«

Sie hatten die Außenbezirke von Seaside erreicht, Patrick mäßigte seine Geschwindigkeit und suchte die Straße, die ihm Justus genannt hatte. Langsam fuhren sie noch fast zwei Kilometer weiter und dann hielt Patrick an. »Hier wären wir wohl richtig, Just«, sagte er.

Außer hohen Hecken und Palmen konnten sie nichts sehen. Wenn es hier ein Haus gab, dann schien es sich versteckt zu haben.

Da erspähte Peter das kleine Schild an einem weißen Briefkasten.

»H.H.Allen«, las er. »Hier muss es sein.«

Die Jungen kletterten vom Wagen herunter. »Diese ersten Ermittlungen dürften etwa zwei Stunden in Anspruch nehmen, Patrick«, erklärte Justus. »Kannst du deine Aufträge erledigen und uns dann hier abholen?«

»Na klar, Just«, sagte der stämmige Ire. Er winkte zum Abschied und fuhr um die nächste Ecke eine abfallende Straße hinunter, die zur Innenstadt führte.

»Wir wollen uns mal rasch hier umschauen«, meinte Justus. »Wenn wir uns einigermaßen auskennen, kommt uns das bei dem Gespräch mit Mr Allen vielleicht zugute.«

Auf dem hohen Bergrücken über dem Pazifik standen die Häuser in weiten Abständen. Die Gegend wirkte einsam und verlassen. Die Jungen gingen zu einem unbebauten Grundstück neben dem Haus des Regisseurs und sahen über den Steilhang hinunter.

»Alles friedlich«, sagte Bob mit einem Blick auf den Strand und die glitzernde Wasserfläche unter ihnen.

»Ganz nette Brandung«, murmelte Peter. »Nicht wild, aber gut meterhoch werden die Wellen wohl sein. Ich schätze, heute Abend, wenn die Flut mit Brechern kommt, wäre die beste Zeit für den Drachen. Da hätte er mehr Tarnung.«

Justus gab ihm recht. »Stimmt, Peter. Falls es einen Drachen gibt.« Er reckte den Hals, um besser hinuntersehen zu können. »Mr Hitfield sagte, da unten seien unterirdische Höhlen. Von hier aus kann man sie nur nicht sehen. Später, nach unserem Gespräch mit Mr Allen, gehen wir mal hinunter und schauen sie uns an.«

Bob überblickte den öden Strand tief unter ihnen. »Und wie kommen wir da runter?«, fragte er.

Peter zeigte auf ein paar morsch aussehende, vom Wetter recht mitgenommene weiße Planken. »Da führen Stufen hinunter, Bob. Eine Art Hühnerleiter, damit man den Steilhang hinauf- und hinuntersteigen kann.«

Justus deutete den Grat entlang. »Da gibt es noch mehr solche Stiegen. Viele sehe ich allerdings nicht. Na, jedenfalls haben wir einen Überblick gewonnen. Jetzt wollen wir hören, was uns Mr Allen berichten kann.«

Er drehte sich um und ging voraus bis zu einem Tor in der Hecke, stieß es auf und alle schritten hindurch. Am Ende eines gewundenen Pfads sahen sie ein Haus aus verblassten gelben Ziegeln, umgeben von Palmen, Sträuchern und wild wachsenden Blumen. Der Garten wirkte ein wenig vernachlässigt, ebenso das alte Haus, das fast an der Kante des steil abfallenden, windumbrausten Felshanges balancierte.

Justus hob den Klopfer an der Tür und ließ ihn fallen.

Die Tür öffnete sich und ein kleiner, stämmiger Mann stand vor ihnen.

Er hatte große braune, bekümmert dreinblickende Augen und buschige Augenbrauen, und ein weißer Haarkranz umgab das sonnengebräunte runzlige Gesicht.

»Kommt herein, ihr drei«, grüßte er und streckte den Jungen seine Hand entgegen. »Ich nehme an, ihr seid die Jungen, die mir nach den Worten meines Freundes Albert Hitfield vielleicht helfen können. Ihr seid Detektive, nicht?«

»Ja, Sir«, sagte Justus. Flink zog er eine Geschäftskarte der drei ??? hervor. »Bisher haben wir schon mehrere Fälle aufgeklärt.«

Der alte Mann betrachtete die Karte in seinen knotigen Fingern. Darauf stand:

»Die Fragezeichen«, erklärte Justus, »sind unser Symbol, unser Gütezeichen. Sie stehen für nicht beantwortete Fragen, nicht gelöste Rätsel, nicht enthüllte Geheimnisse. Wir bemühen uns, Lösungen zu finden.«

Der alte Mann nickte, anscheinend zufrieden, und steckte die Karte ein. »Kommt mit in mein Studio, dann werden wir uns unterhalten«, sagte er.

Er führte die Jungen in einen großen, sonnigen Raum. Als sie sich umsahen, verschlug es ihnen beinahe den Atem. Von der Decke bis zum Fußboden hingen die Wände voller Bilder, die sich gegenseitig fast den Platz streitig machten. Außer einer Menge Gemälde gab es schön gerahmte Fotografien bekannter Filmschauspieler und anderer Berühmtheiten.

Der große Schreibtisch war mit Schriftstücken und kleinen Holzschnitzereien bedeckt. Auch in den Bücherregalen standen überall seltsame Kunstgegenstände, groteske indianische und afrikanische Figürchen. Einige davon sahen böse und Furcht einflößend aus.

Der alte Mann wies auf drei Stühle für die Jungen und nahm selbst in dem großen geschnitzten Armsessel hinter dem Schreibtisch Platz. »Setzt euch bitte, und dann will ich euch erzählen, warum ich meinen Freund Albert Hitfield angerufen habe. Vielleicht hat er euch schon gesagt, dass ich Filmregisseur bin?«

»Ja«, sagte Justus. »Das hat er erwähnt, Sir.«

Der alte Mann lächelte. »Ich sollte wohl besser sagen: ich war. Seit einigen Jahren habe ich nichts mehr verwirklicht. Ich war schon jahrelang Regisseur, ehe Albert Hitfield bekannt wurde. Und ich war auf meinem Gebiet auch recht berühmt. Wie Albert sich auf den Hitfield-Thriller spezialisierte, hatte auch ich mein besonderes Fach. Etwa auf der gleichen Linie, aber doch mit einem kleinen Unterschied. Albert befasst sich mit Geheimnissen der realen Welt, die logisch lösbar sind. Doch ich überschritt diese Grenzen.«

»Was meinen Sie damit, Sir?«, fragte Justus.

»Es erklärt auch, warum ich mit meinem Anliegen nicht zur Polizei oder sonst einer amtlichen Stelle gehen konnte. Meine Filme waren nämlich bizarr, sie spielten in einer anderen Welt, voller Albträume und Schrecknisse. Sie handelten von Ungeheuern, Werwölfen, seltsamen und grässlichen Geschöpfen und von entsetzlichen menschlichen Leidenschaften. Kurz gesagt: Meine Spezialität war der Horrorfilm!«

Justus nickte. »Ja, ich erinnere mich jetzt wieder an Ihren Namen, Sir. Ich habe ihn bei Filmkunstwochen in Museen gesehen.«

»Schön«, sagte der alte Mann. »Wenn ich euch also nun davon berichte, was ich in der Nacht, als mein Hund verschwand, aus dem Wasser auftauchen sah, werdet ihr begreifen, warum ich mich vorerst nicht an die Öffentlichkeit wandte. In Anbetracht meines einstigen Ruhmes und meiner erzwungenen Untätigkeit während der letzten Jahre wäre für bornierte Leute die nächstliegende Vermutung, ich wolle nur auf mich aufmerksam machen, gewissermaßen durch Eigenreklame. Doch mein Werk ist vollendet. Ich habe genug Geld, um ein ruhiges Leben zu führen. Und ich habe keine Sorgen, keine Ängste – bis auf –«

»Bis auf den Drachen, der jetzt in den Höhlen unter Ihnen lebt, Sir?«, mutmaßte Justus.

Mr Allen verzog unwillig das Gesicht. »Ja.« Bedächtig sah er die Jungen an. »Ich sagte Albert, dass ich ihn aus dem Meer steigen sah. Aber eines hatte ich dabei übergangen: Ich habe ihn nämlich auch gehört!«

Im Raum wurde es plötzlich still.

»Sie hörten den Drachen«, sagte Justus gefasst. »Was hörten Sie da genau? Und wo waren Sie in diesem Augenblick?«

Mr Allen zog ein großes, buntes Taschentuch hervor und tupfte sich die Stirn ab. »Ich stand vor meinem Haus dicht am Steilhang und sah aufs Meer hinunter, als ich ihn erblickte«, sagte er. »Vielleicht war es eine Halluzination.«

»Vielleicht«, meinte Justus. »Erzählen Sie uns jetzt bitte ganz genau, was Sie gehört haben. Das könnte ein wichtiger Hinweis für die Lösung sein.«

»Ja, aber zum Kuckuck«, sagte Mr Allen, »soviel ich weiß, dürfte es hier in der Gegend keine Drachen geben und in den letzten paar Millionen Jahren auch nicht gegeben haben. Natürlich habe ich Filme über solche Ungeheuer gedreht, mit mechanischen Konstruktionen. Wir verwendeten dabei eine Art gedämpftes Motorengedröhn und kombinierten es mit schrillen Pfeiftönen. Und die beabsichtigte Wirkung blieb nicht aus – es gruselte dem Publikum. Was ich aber gestern Nacht hörte, war keineswegs etwas Derartiges. Es war eher ein Keuchen oder Krächzen in hoher Tonlage – fast so, als hätte das Wesen Atembeschwerden oder Husten.«

»Wie ist das mit der Höhle unter Ihrem Haus?«, erkundigte sich Justus. »Ist sie groß genug, um einem Drachen Platz zu bieten, oder sonst einem Geschöpf, das man seiner Größe nach für einen halten könnte?«

»Ja«, sagte der alte Mann. »Unter dem Bergrücken hier verläuft ein regelrechtes Höhlensystem. Es erstreckt sich nach Norden und Süden und auch landeinwärts. In früheren Zeiten diente es als Schlupfwinkel für Alkoholschmuggler und vorher hausten dort Piraten. Vor einigen Jahren gab es einen gewaltigen Erdrutsch, nachdem das Steilufer zu sehr ausgewaschen worden war. Dabei ist der Küstenvorsprung, der Haggity’s Point heißt, fast ganz abgesunken. Aber viele der Höhlen gibt es heute noch.«

»Hmm«, murmelte Justus, »aber jetzt haben Sie zum ersten Mal einen Drachen gesehen oder gehört, obwohl Sie schon seit Jahren hier wohnen. Stimmt das?«

Der alte Mann nickte lächelnd. »Einmal reicht mir. Und ich hätte ihn vielleicht auch gar nicht gesehen, wenn ich nicht gerade nach meinem Hund Rover Ausschau gehalten hätte.«

»Ich meine, wir sollten uns zunächst mit dem Verschwinden Ihres Hundes befassen, Sir. Bob, du schreibst mit«, sagte Justus.

Bob, der Fachmann für Recherchen und Archiv, holte Block und Stift hervor.

Mr Allen stutzte, dann lächelte er beifällig über die so eifrig demonstrierte Geschäftstüchtigkeit der drei Detektive.