Die Durchtriebenen - Elyse Friedman - E-Book

Die Durchtriebenen E-Book

Elyse Friedman

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Beschreibung

Reichtum, Macht und Bosheit – Willkommen bei einer der bösartigsten Familie der Welt! »Die Durchtriebenen« ist ein echter Pageturner: Die fesselnde Mischung aus Thriller und Familiendrama begeistert mit köstlicher Raffinesse, Witz und schockierenden Wendungen. Ed Shropshire hat scheinbar das große Los gezogen, als er sich in seine rund 50 Jahre jüngere Pflegerin Kelly verliebt. Doch Eds Söhne sind vom zweiten Frühling ihres schwerreichen Vaters alarmiert. Sie sehen ihr Erbe dahinschwimmen und bitten sogar ihre Schwester Alana, die der Familie seit Jahren den Rücken gekehrt hat, um Hilfe. Die alleinerziehende Mutter schert sich zunächst nicht um die Sorgen ihrer geldgierigen Brüder. Erst als die Hochzeit angekündigt wird, ist sie bereit, eine Rolle im Plan ihrer Brüder zu spielen. Doch schon bald ist nicht mehr klar, wer hier eigentlich welches Ziel verfolgt? »Dieser Roman ist eine perfekte Mischung aus Intrige, Drama und Geheimnis. Jede Enthüllung ist so getimt, dass man förmlich an den Seiten kleben bleibt, keine Figur ist vor den Lügen der anderen sicher.« Booklist Cleverer Nervenkitzel für Fans von Cynthia d'aprix Sweeneys »Das Nest«, Patricia Highsmith oder der Serie »Succession« Die kanadische Autorin Elyse Friedman bietet mit ihrem raffinierten und nervenaufreibenden Familienroman bitterböse Einblicke in die Welt der Superreichen und eine bis ins Mark verdorbene Familie, in der allein das Geld regiert.

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Seitenzahl: 361

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Elyse Friedman

Die Durchtriebenen

Familie ist gefährlich.Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Peter Hammans

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Ed Shropshire hat scheinbar das große Los gezogen, als er sich in seine rund fünfzig Jahre jüngere Pflegerin Kelly verliebt. Doch Eds Söhne sind vom zweiten Frühling ihres schwerreichen Vaters alarmiert. Sie sehen ihr Erbe davonschwimmen und bitten sogar ihre Schwester Alana, die der Familie vor Jahren den Rücken gekehrt hat, um Hilfe. Die alleinerziehende Mutter schert sich zunächst nicht um die Sorgen ihrer geldgierigen Brüder. Erst als die Hochzeit angekündigt wird, ist sie bereit, eine Rolle im Plan ihrer Brüder zu spielen. Doch schon bald ist nicht mehr klar, wer hier eigentlich welches Ziel verfolgt. Kelly erweist sich als gerissener als erwartet, und auch Alana scheint ganz eigene Absichten zu haben…

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

Danksagung

Für meinen Freund Gil Adamson

 

Und, wie immer, für Max

1

Als die Anrufe wieder anfingen, ignorierte Alana sie. Ebenso die SMS-Nachrichten und E-Mails, auch diejenigen, die mit roten Ausrufezeichen versehen waren. Sie hatte einen Teilzeitjob, der sich wie eine Vollzeitstelle anfühlte, und eine kranke Tochter, die rund um die Uhr ihre Aufmerksamkeit forderte. Sie hatte weder die Zeit, noch verspürte sie die Neigung, sich in das Familiendrama hineinziehen zu lassen. Und sie wusste bereits, warum ihre Brüder verzweifelt versuchten, sie zu erreichen. Der jüngere der beiden, Martin, hatte schon vor Monaten immer mal wieder eine SMS über die »Schlampe« abgesondert, mit der sich ihr Vater eingelassen habe – eine Krankenschwester, engagiert von Teddy, dem älteren, die sich um die Pflege des alten Mannes kümmern sollte, der zunehmend schrullig und gebrechlich wurde.

Schwester Kelly, achtundvierzig Jahre jünger als der Vater, offensichtlich eine Frau, die nur aufs Geld aus war, dazu noch gerissen, wenn man Martin Glauben schenken durfte. Ziemlich sicher hatte sie ihn gleich beim ersten Wannenbad am Haken. Alana amüsierte das eher, als dass es sie beunruhigte. Sie teilte ihren Brüdern mit, dass es ihr ziemlich egal sei. Sie hatte wichtigere Dinge zu tun. Irgendwann hatten sie aufgehört, sie damit zu behelligen.

Doch dann hatte sich vor ein paar Wochen ein übergroßes Kuvert in Alanas Briefkasten gefunden. Dickes cremefarbenes Papier, darauf in geschwungenen goldenen Lettern ihr Name – eine Einladung zur Hochzeit von Edward Shropshire senior und Kelly McNutt. Ha! Wirklich clever. Sie verspürte einen Anflug von Genugtuung, auch wenn sie sich auf den Ansturm ihrer Geschwister gefasst machen musste, die angesichts des drohenden Verlusts eines Teils ihrer beträchtlichen Erbschaft außer sich sein würden. Alana hasste ihren Vater und hatte für ihre Brüder nur Verachtung übrig. Weder hatte sie ein Interesse daran, »das Vermögen der Familie zu schützen«, noch wollte sie eine »geschlossene Front« bilden, »Papas Rückhalt besitzen« oder was ihre raffgierigen Geschwister sonst noch so an Gesülze von sich gaben. Sie hatte sich ihrem Vater vor Jahrzehnten entfremdet, wollte sich an diesem Spiel nicht beteiligen.

Dass man sie zur Hochzeit eingeladen hatte, war, offen gesagt, ein Schock. Kelly McNutt musste darauf bestanden haben. Die Anrufe, SMS-Nachrichten und Mails setzten mit neuem Furor wieder ein. Als Alana zu guter Letzt zu dem Schluss kam, dass ihre Brüder sie nicht in Ruhe lassen würden, bis sie endlich reagierte, setzte sie eine simple, drei Wörter umfassende SMS-Nachricht auf. Nicht unbedingt ein in der Familie kursierendes geflügeltes Wort, sondern etwas, das sie erkennen und begreifen würden: »Jenseits unserer Kontrolle.« Sie fügte ein Emoji hinzu, ein Gesicht mit Lachen und Heulen, und schickte Teddy und Martin die Nachricht.

Danach hörte sie nichts mehr von ihnen.

 

Die Nacht war hart. Lilys BiPAP-Beatmungsgerät hatte zweimal Alarm geschlagen. Sie konnte ohne das Gerät atmen, aber nicht besonders gut, und Alana war darauf geeicht, selbst aus dem Tiefschlaf heraus sofort in Aktion zu treten. Beim ersten Alarm, um ein Uhr nachts, saß die Atemmaske nicht richtig. Schnell zurechtgerückt und wieder ab ins Bett. Beim zweiten Mal, um 4:28 Uhr, war es nerviger: Das Gerät war offensichtlich undicht. Es dauerte ewig, bis das behoben war, und in der Zwischenzeit dauerte der Alarm an, egal, woran sie auch herumfummelte. Sie bekam es schließlich hin, sodass Lily weiterschlafen konnte. Nur Alana eben nicht. Sie lag wach, und die Gedanken kreisten. Um 5:40 Uhr stand sie schließlich auf, machte sich Kaffee und verschlang direkt hintereinander zwei Zimtschnecken, was sie sofort wieder bereute, auch wenn sie trotzdem noch die letzten Krümel Zuckerguss zusammensuchte und sie in den Mund bugsierte.

Es war ein Werktag. Also weckte sie Lily früh, half ihr beim Anziehen und flocht ihr die Haare zu Zöpfen. Ramona kam heute, und Lily machte sich gerne schön für ihre liebste Betreuerin. Im Unterschied zu Alana hatte es Ramona mit Mädchenkram: Frisur, Fingernägel, Mode. Sie machte bei Lily immer eine Mani- und Pediküre, und die beiden blätterten zusammen Harper’s Bazaar und Teen Vogue durch und gaben ihren Senf zu den Outfits dort dazu. Ramona war zu ihnen gekommen, als Lily drei Jahre alt war, und Alana vertraute ihr voll und ganz. Sie war absolut fähig und sehr lustig. Lily war eigentlich ein ernstes Kind, aber wenn Ramona bei ihr war, gestattete sie sich, auch einmal albern und übermütig zu sein. Es war nicht ungewöhnlich, dass die beiden sich die Haare toupiert sowie Glitzer-Make-up aufgelegt hatten und außerdem noch eine Folge der Reality-Show RuPaul’s Drag Race nach der anderen glotzten, wenn Alana nach Hause kam. Ramona war, was Lily »cool« nannte. So ziemlich das Gegenteil von Alana, die immer gestresst und erschöpft war.

»Wann kommst du wieder nach Hause?«, wollte Lily wissen.

»Wenn alles gut geht, um halb sechs.«

»Wann geht schon mal alles gut?«

Alana lachte. »Selten, ja, aber es soll schon vorgekommen sein. Letzte Woche war ich sogar zweimal rechtzeitig zu Hause.«

»Stimmt.«

»Und du hast Ramona.«

»Okay. Aber versuch es, ja?«

»Ich versuche das immer, mein Schatz. Aber wenn plötzlich um halb fünf noch jemand auftaucht, kann ich unmöglich gehen. Denen muss ich helfen.«

»Ich weiß.«

 

Alana arbeitete Teilzeit beim Frauenhaus RedTree, das Opfern häuslicher Gewalt vorübergehend Unterkunft bot. Eigentlich war es ein ziemlich blöder Job: schlecht bezahlt, aber dafür viel Stress. Nicht unbedingt das, was sie gebrauchen konnte in den wenigen Stunden, in denen sie sich einmal nicht um Lilys Gesundheit kümmern musste. Sie hätte sich eigentlich eine Stelle suchen sollen, die seelisch nicht so belastend war, so etwas wie in einem Laden Blumenarrangements zusammenstellen – irgendeine halbwegs angenehme, geistig nicht allzu anspruchsvolle Tätigkeit, die ihr Gelegenheit zur Erholung und Regeneration gab. Sie träumte öfter davon, professionell Hunde auszuführen oder den ganzen Tag Herzformen auf Cappuccinos zu zaubern, aber letztlich blieb sie bei RedTree. Die Arbeit war wichtig und gab ihr ein besseres Gefühl in Bezug auf sich selbst. Manchmal fragte sie sich, ob das nicht letztlich ganz schön egoistisch war.

Als Ramona da war, gab Alana Lily zum Abschied einen Kuss und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Beim dritten Versuch geruhte ihr uralter Honda Odyssey dann auch anzuspringen. Als sie rückwärts aus der Einfahrt fuhr, blockierte auf einmal ein Lexus den Weg. Sie hupte – eine höfliche Erinnerung daran, dass sie tatsächlich losfahren wollte. Nichts geschah. Der Wagen blieb stur stehen. Sie hupte erneut, diesmal lauter, und fragte sich, warum es eigentlich immer ein Lexus, ein Mercedes oder ein BMW zu sein schien, der sie behinderte, ihr die Vorfahrt nahm oder sich in ihre Einfahrt stellte, wenn sie, Teufel noch mal, gerade dringend zur Arbeit musste. Sie unterdrückte den Impuls, mit ihrem SUV einfach den schicken Sportwagen zu rammen, und ließ den Honda laufen, während sie nach vorne zu dem falsch abgestellten Fahrzeug ging, um den über Jahre aufgestauten Unmut auf Luxuskarossen abzulassen und dem selbstgerechten Arschloch hinter dem Steuer mal so richtig die Meinung zu geigen. Doch bevor sie mit der Faust gegen die getönte Scheibe hämmern konnte, fuhr diese geräuschlos herunter, und dahinter war ihr Bruder Martin zu sehen, wie er auf seinem Handy ein Telefongespräch führte. Er hielt sich das Gerät, das flach auf der Handfläche lag, vors Gesicht. »Okay«, sagte er. »Ich weiß schon. Kümmere mich darum.«

»Martin? Verdammt noch mal, ich muss zur Arbeit!« Seit Jahren hatte sie ihn nicht gesehen, aber er sah noch wie früher aus – abgesehen von einem etwas höheren Haaransatz und vielleicht ein paar Pfunden mehr. Nach allgemeinem Verständnis war er auch immer noch ansehnlich, blond, blaue Augen, das gemeißelte Kinn seines Vaters, wenn er auch mittlerweile das leicht aufgedunsene Gesicht eines Trinkers hatte, mit den dazugehörigen geplatzten kleinen Blutgefäßen an der Nase. Ein schwacher Geruch nach Kölnischwasser umgab ihn, übertönt noch von der Ledernote der Sitze des Luxusmietwagens.

Mit dem Finger bedeutete er Alana, dass er in nur einer Sekunde Zeit für sie haben würde. »Hör zu, Damian, ich muss los. Ich ruf dich in ’ner Stunde wieder an.« Martin steckte das Handy ein und lächelte seine Schwester an. »Tut mir leid!«

»Was machst du denn hier?«

»Hast du meine SMS-Nachrichten nicht gekriegt? Ich muss mit dir sprechen. Hast du ’ne Minute?«

»Im Moment nicht, nein.«

»Ich bin einmal quer durch das ganze Land zu dir geflogen, und du hast nicht mal zwei Minuten Zeit für mich?«

»Ich muss zur Arbeit, Martin. Wenn du mitfahren willst, herzlich gerne. Wenn du mich eben rausfahren lässt, kannst du in der Auffahrt parken und dir dann ein Uber zurück nehmen.«

Martin beäugte die Abgasschleuder von einem verbeulten Odyssey. »Warum fahre ich dich eigentlich nicht hin? Ich geb dir das Geld für ein Taxi zurück.«

»Nein danke.«

Er lächelte angespannt. »Na schön.«

Alana ging zu ihrem Auto und wartete dort auf ihren Bruder. Als Martin einstieg, hatte er einen kartonierten weißen Umschlag mit einem Knopf-und-Kordel-Verschluss sowie eine Tüte aus dem Geschenkshop am Flughafen bei sich.

»Hier, für … deine Tochter.«

»Sie heißt Lily.«

»Weiß ich doch. Klar. Du hast sie nach Lillian genannt.«

Eine dement aussehende Puppe mit steifen blonden Ringellocken ragte oben aus der Tüte.

»Danke«, sagte Alana. »Aus dem Alter für Puppen ist sie mittlerweile raus.«

»Oh. Wie alt ist sie jetzt?«

»Elf.«

»Wow, wie die Zeit vergeht. Aber ich dachte …«

»Was?«

»Na ja, weißt du … ich dachte eben, sie würde noch mit Puppen spielen.«

»Sie ist nicht zurückgeblieben, Martin. Ihr Gehirn funktioniert prächtig.«

»Äh, weil …?«

»Sie hat eine seltene Form von Muskeldystrophie. Selten bei Mädchen jedenfalls. Bei Jungen kommt sie häufiger vor.«

»Ach so.«

»Sie ist da drinnen. Möchtest du deine Nichte kennenlernen?«

Ihr Bruder wirkte verwirrt und peinlich betroffen, als hätte sie ihn gefragt, ob er eine Niere spenden oder ein Kätzchen stillen wollte.

»Hattest du es nicht eilig?«

»Ja, absolut. Ich veräpple dich nur ein bisschen.«

Alana fuhr mit dem Odyssey auf die Straße hinaus. Ihr war klar, dass Martin Lily nicht begegnen wollte. Und auch sie wollte nicht, dass er sie kennenlernte.

»Kannst du die Klimaanlage anmachen?« Martin fächelte sich mit dem weißen Umschlag Luft zu. »Es ist unglaublich schwül in dieser Stadt.«

»Tut mir leid, die ist kaputt.« Alana öffnete hinten eines der Fenster, um ein wenig Luft hereinzulassen, und stellte fest, dass es ihr ein diebisches Vergnügen bereitete, ihrem Bruder diese Annehmlichkeit vorzuenthalten.

»Also gut. Ich nehme zur Kenntnis, dass dich Dads Hochzeit nicht interessiert.«

»Richtig. Ich werde nicht kommen.«

»Mir persönlich ist es scheißegal, ob du kommst oder nicht, aber ich bin jetzt hergekommen, um dir mitzuteilen, dass sie dich in der Tat interessieren sollte.«

»Und weshalb?«

»Weil diese Kelly ihm völlig den Kopf verdreht.«

»Den Kopf oder seine Vermögenswerte?«

»Beides. Sie wickelt ihn um den Finger. Jetzt sind sie gerade dabei, eine wohltätige Stiftung ins Leben zu rufen.«

»Und das ist schlecht, weil …?«

»Dreimal darfst du raten, wer sie leiten wird und über dreihundert Millionen Dollar verfügen kann?«

»Kelly McNutt?«

»Genau, diese verdammte Kelly McNutt. Und das ist das Problem. Diese Frau ist gefährlich.«

Der Klang einer Harfe drang aus Martins Tasche. Er schaltete sein Handy stumm.

»Nun gut, ist aber nicht mein Problem. Und überhaupt, woher willst du eigentlich wissen, dass sie dieses Geld nicht klug und für einen guten Zweck verwenden wird?«

»Sehr witzig.«

»Ich meine das ernst.«

»Und ich weiß natürlich auch, dass eine achtundzwanzig Jahre alte Krankenschwester sich nicht einfach unsterblich in ihren sechsundsiebzigjährigen Patienten verliebt.«

Alana zuckte die Schultern. »Unwahrscheinlich, ja, aber man weiß nie. Vor ein paar Wochen habe ich sein Foto in Forbes gesehen. Sieht immer noch aus wie ein steroidgedopter Charlton Heston. Vielleicht hat sie ja auch einen Vaterkomplex.«

»Dürfte wohl eher ein Opakomplex sein. Ich bezweifle, dass ihr beim Windelwechseln einer abgeht.«

»Er trägt Windeln?«

»Ist seit Jahren inkontinent.«

»Hm.«

»Das Foto in Forbes muss vor seinem Schlaganfall gewesen sein.«

»Dad hatte einen Schlaganfall?«

»Ja. Habe ich dir letztes Jahr schon gesagt.«

»Wirklich?«

»Meine Güte, liest du deine Mails denn nicht?«

»Manchmal rutschen mir diese Familiengeschichten einfach durch.«

»Wie auch immer. Das und dann noch die Prostata-Operation. Ich bezweifle jedenfalls, dass er bei Fräulein McNutt noch einen hochkriegt.«

»Okay, weißt du was? Ich will darüber einfach nicht sprechen. Tut mir leid, dass Teddy und du einen ordentlichen Batzen von eurer Erbschaft abgeben müsst. Aber ich bin mir sicher, dass noch mehr als genug übrig bleiben wird.«

»In einer vollkommenen Welt wären wir sicherlich alle zufrieden mit unserem Stück vom Kuchen. Schließlich hatte er auch vorher schon Gespielinnen, für die er Geld zum Fenster hinausgeschmissen hat. Aber diesmal ist es anders. Diesmal schrillen die Alarmglocken. Sie begnügt sich nicht mit dem Haus, dem Ferrari und …«

»Er hat ihr einen Ferrari gekauft?« Alana lachte.

»Einen 812GTS. Du möchtest wirklich nicht wissen, was der gekostet hat.«

»Nämlich wie viel?«

»Sehr viel.«

»So was wie hundert Riesen?«

»Versuch’s mal mit der vierfachen Summe.«

»Wow!«

»Genau. Man sollte meinen, sie wäre glücklich mit dem Leben, das sie jetzt hat, oder? Plus eine bestimmte, im Ehevertrag festgelegte Summe, versteht sich, mit der sie sich acht Jahre nach dem College-Abschluss behaglich zur Ruhe setzen könnte. Aber nein. Offenbar wird es keinen Ehevertrag geben, weil er ihr vertraut.«

»Tatsächlich? Das überrascht mich.«

»Ich weiß. Deshalb sag ich’s ja. Weil sie ihn zu Turnübungen anhält und ihm Gemüse auftischt, glaubt er allen Ernstes, dass ihr seine besten Interessen am Herzen liegen. Die Frau ist durchtrieben. Ihre Mission ist es, für Entfremdung zwischen Dad und uns zu sorgen. Von Anfang an hat sie versucht, uns schlechtzumachen. Und sie macht das raffiniert, denn sie ist schlau. Eine Pflegevollmacht hat er ihr schon gegeben. Wie lange wird es noch dauern, bis sie auch für sein Vermögen verantwortlich zeichnet?«

»Geradezu faszinierend, ehrlich gesagt. Aber eben auch nicht mein Problem.«

»Doch, zumindest teilweise. Wenn man vom schlechtesten Fall ausgeht. Mal angenommen, sie laufen in den Hafen der Ehe ein, und sie überzeugt ihn anschließend davon, dass wir alle miese Säcke sind, die es nicht verdient haben. Wenn sie Alleinerbin wird, kannst du deine Erbschaft vergessen.«

»Ich erbe doch sowieso nichts.«

»Stimmt nicht, du erbst was. Wenn auch in bescheidenem Umfang. Er hat deiner Tochter treuhänderisch fünf Millionen vermacht.«

»Was? Kann nicht sein.«

»Ist aber so.«

»Er hat meine Tochter noch nie gesehen.«

Martin zuckte die Schultern. »Vielleicht hat er Schuldgefühle.« Er wedelte mit dem weißen Umschlag herum. »Ich habe eine Ausfertigung seines Letzten Willens mitgebracht. Ist natürlich nach der Heirat null und nichtig.«

»Hat er das mir vermacht oder Lily?«

»Lily. Aber bis sie volljährig wird, kannst du über das Geld verfügen. Jedenfalls solange es in irgendeiner Form für ihre Pflege ausgegeben wird … Ich meine, du könntest dein Haus veräußern und eines kaufen, das ihren Bedürfnissen besser entspricht.«

»Glaubst du etwa, mir gehört in Toronto ein Haus?« Alana amüsierte sich darüber. »Es ist gemietet, Martin.«

»Da hast du’s ja! Du könntest eines kaufen. Und einen neuen SUV, den du offensichtlich dringend brauchst, gleich dazu. In dieser Karre fährst du sie herum? Wie alt ist die?«

»Von 2004.«

»Gütiger Gott. Wie alt ist dieser Donut hier?« Martin trat gegen einen nur halb aufgegessenen Schmalzring, der im Wagen auf dem Boden lag.

»Ziemlich sicher ein Modell aus diesem Jahr.« Alana bog in die schmale Straße hinter ihrer Arbeitsstelle ein und fuhr weiter bis zu ihrem Parkplatz neben dem Müllcontainer.

»Hier parkst du immer?«

»Jawohl.«

»Nun gut, du könntest deinen Job ja auch kündigen, wenn du den Eindruck hast, dass es gut wäre, mehr Zeit mit Lily zu verbringen.«

»Ich mag meinen Job«, entgegnete Alana, obwohl sie den weißen Umschlag im Blick behielt.

»Hier«, sagte Martin, holte das Testament heraus und schlug es an einer durch ein türkisfarbenes Post-it markierten Seite auf. »Ich habe die einschlägige Stelle angestrichen.«

Sie las den Absatz durch, der die Zuwendung und die dazugehörigen Bedingungen darlegte. »Und was passiert, wenn ich sein Drecksgeld nicht annehme?«

Martin lachte. »Im Ernst? Du willst da echt ’ne Greenpeace-Nummer abziehen? Du weißt ja, dass wir da in den letzten Jahren eine Menge bereinigt haben. Er hat sämtliche Papierfabriken verkauft.«

»Ach ja! Und was ist mit den Raffinerien? Und den ganzen Minen? Hat er in den letzten dreißig Jahren auch nur einen Cent Steuern gezahlt? Ich könnte mühelos noch mehr aufzählen, aber ich glaube, dir ist schon klar, dass es mir darum gar nicht geht«, hielt Alana ihm entgegen.

»Wie auch immer. Das Geld geht ja auch gar nicht an dich, sondern an Lily. Sie wird das irgendwann entscheiden müssen.«

»Ich denke mal, er weiß, dass ich es nicht nehmen würde.«

»Fräulein Reine Weste. Kannst du es dir wirklich leisten, dermaßen auf dem hohen Ross zu sitzen? Selbst in dieser Lage, mit Kind?«

Alana zuckte die Schultern.

»Immer noch Single?«

»Niemand unterstützt mich, wenn du das meinst.«

»Ist dein Ex nicht so ’ne Silicon-Valley-Type?«

Jetzt war es an Alana zu lachen. »Genau! Und ich bin mir sicher, dass es ihm gut geht. Aber ich habe seit sieben Jahren nichts mehr von ihm gehört.«

»Wow, okay. Würdest du denn Geld von Teddy und mir annehmen?«

»Wieso das? Wovon redest du?«

»Sagen wir mal: Wir haben einen Plan.«

»Einen Plan?«

»Einen Vorschlag eigentlich. Und da brauchen wir deine Hilfe.«

 

Glücklicherweise ging es bei RedTree an diesem Tag ruhig zu. Eine verstopfte Toilette hatte Alanas ganze Aufmerksamkeit gefordert – die Rohrleitungen in der Einrichtung waren eine Katastrophe, das ganze Gebäude zerfiel in seine Einzelteile, aber es gab keine Neuaufnahmen, was hieß, dass sie sich den ganzen Nachmittag auf die Beschaffung von Geldmitteln konzentrieren konnte. Oder eben auch nicht, so wie es aussah. Sie sollte eigentlich Spenden für die alljährliche stille Auktion des Frauenhauses eintreiben, aber im Geiste war sie die ganze Zeit bei dem Vorschlag ihres Bruders.

Ein bestechend einfacher Plan, in dem ihr eine überschaubare Rolle zukam, für die man sie materiell gut entschädigen würde, ob die ganze Sache nun aufging oder nicht. Alles, was sie von ihr verlangten, war, vor der Hochzeit bei Kelly McNutt aufzuschlagen und ihr im Gegenzug dafür, dass sie sich aus dem Staub machte, eine gewisse Summe anzubieten. Alana sollte ihr mitteilen, dass ihre Brüder, falls sie die Heirat durchzuziehen gedachte und Ed während der Dauer ihrer Ehe verstarb, eine ganze Armada der furchterregendsten Anwälte des Landes aufbieten würden, um sicherzustellen, dass sie lediglich die geringstmögliche Summe erhielt – völlig unabhängig davon, was im Testament stand.

Darüber hinaus sollte sie Kelly sagen, dass ihre Brüder den Rechtsstreit endlos in die Länge ziehen würden, sodass es, sollte ihr tatsächlich der größere Teil des väterlichen Vermögens zugesprochen werden (was angesichts des offenkundigen Altersunterschieds unwahrscheinlich war), mindestens ein Jahrzehnt dauern würde, bis sie das Erbe tatsächlich in Anspruch nehmen konnte. Sie würden das Geld mithilfe des Gerichtsprozesses so lange binden, wie es das Gesetz überhaupt nur zuließ, und Kelly in den Medien als raffgierige Prinzessin darstellen, die einen hinfälligen alten Mann ausnahm. Und sie würden natürlich auch ihre ganze Vergangenheit durchleuchten. Wollte sie diese Scherereien wirklich haben? Ob sie nicht vielleicht lieber einen netten Scheck einstreichen, in ihren Ferrari hüpfen und sich einfach davonmachen wolle, ohne jemals wieder das Bett mit dem altersschwachen Ed senior teilen zu müssen?

Martin fügte noch hinzu: »Und du kannst sie ja fragen, ob sie sich wirklich gegen eine alleinerziehende Mutter, die in einem Frauenhaus arbeitet und eine behinderte Tochter hat, in Stellung bringen möchte?«

Das ist also der Grund, warum sie mich im Boot haben wollen, dämmerte es Alana. Sieht gut aus vor Gericht. Und es hatte auch noch einen weiteren Vorteil. Falls Kelly sich bei Ed über den Versuch, sie herauszukaufen, beklagen sollte, könnten die Brüder jede Mitwisserschaft abstreiten und einfach Alana die Schuld geben. Schließlich war sie der abtrünnige Spross, der sich von der Familie losgesagt hatte. Martin und Teddy hingegen waren die pflichtbewussten Söhne und, bis Kelly aufgetaucht war, die rechtmäßigen Erben eines millionenschweren Imperiums.

Sie konnten das Risiko, das Angebot selbst zu unterbreiten, nicht eingehen, weil sie zu viel zu verlieren hatten. Sollte Alana auffliegen, ginge es schlimmstenfalls um eine widerrufene Einladung zur Hochzeit und den Verlust von Lilys finanzieller Zuwendung – und nicht einmal das war gewiss. Ed, der alte Sack, hielte es womöglich nicht für angebracht, das Ganze an seiner Enkelin auszulassen.

»Aber er würde natürlich mitkriegen, dass ihr da drinhängt«, hatte Alana betont. »Ich meine, es weiß schließlich jeder, dass ich nicht genug Geld habe, um meine Kreditkartenabrechnungen zu bezahlen, geschweige denn Kelly McNutt.«

»Wenn sie zu Ed geht, was ich wirklich bezweifle, könntest du immer noch sagen, dass du herausfinden wolltest, ob sie ihn wirklich liebt. Und dass du niemals die Absicht hattest, es in die Tat umzusetzen.«

»Aber weshalb sollte es mich kümmern? Er dürfte wissen, dass ich nicht gerade obsessiv an seinem Wohlergehen interessiert bin.«

»Dennoch ist ihm klar, dass du neugierig wärst und es dir wahrscheinlich Genugtuung verschaffen würde, wenn seine romantische Fantasie platzt. Das ist so ’n Ding, das du vielleicht machen würdest.«

»Ich bin also das gemeine Arschloch?«

»Nein, du bist die Moral in Person. Du willst die Wahrheit wissen, den Heuchlern heimleuchten, Unrecht wiedergutmachen.«

»Na klar!«

»Sieh mal, das ist doch alles rein akademisch. Die Frau will an das Geld, da bin ich mir zu neunundneunzig Prozent sicher. Warum sollte sie sich auch nur eine Sekunde länger mit Dad abgeben, als sie muss?«

»Stimmt.«

»Wir brauchen dich nur, um dieses eine Prozent abzuklären. Und im Endeffekt würde Dad dir glauben. Teddy und mir in derselben Situation aber nicht, vergiss es.«

»Schon möglich«, sagte Alana und musste grinsen angesichts der Moral in Person.

Martin versicherte ihr, dass Teddy und er für die Reisekosten nach Alfred Island aufkommen würden und sie von ihnen außerdem noch fünfzigtausend Dollar bekäme. Ginge der Plan auf und Kelly nähme die Abfindung und verschwände, würden sie Alana mit fünfundzwanzig Millionen Dollar belohnen. Eine Million, sobald die Frau abgehauen war, und je zwölf Millionen aus ihrer jeweiligen Erbschaft, nachdem Ed gestorben war (»den Löffel abgegeben hatte«, wie Martin sich ausdrückte). Falls Kelly sie verpetzte und die Unterstützung für Lily deshalb hinfällig wäre, würden beide je zweieinhalb Millionen aufbringen, um diesen Verlust auszugleichen.

»Und das könnt ihr euch leisten?«

»Natürlich«, näselte Martin.

»Kann ich das schriftlich haben?«

»Sehe ich etwa aus wie ein Idiot?«

 

Wieder und wieder ließ sich Alana den Vorschlag durch den Kopf gehen, grübelte über die Stolpersteine nach. In gewisser Weise belustigte sie der Gedanke, ihn umzusetzen. Doch als ihre Schicht vorüber war, hatte sie beschlossen, dass es keinen Sinn ergab, sich da hineinziehen zu lassen. Sie traute ihren Brüdern nicht und hatte absolut nicht das Bedürfnis, ihren Vater wiederzusehen.

Um Punkt fünf verließ sie das Frauenhaus, um bei Greg’s Ice Cream vorbeizufahren, dort eine Riesenportion gerösteter Marshmallows zu kaufen und immer noch überpünktlich zu Hause zu sein. Doch dann sprang der Odyssey nicht an, und sie musste neben dem stinkenden Müllcontainer mehr als eine Stunde warten, bis der Pannendienst kam, der ihr dann erklärte, dass sie ihren alten SUV hier nicht zum Laufen bekämen und er in die Werkstatt geschleppt werden müsse. Sie fragte sich, ob das wohl ein Zeichen sein könnte.

Als der Automechaniker sie am folgenden Tag auf der Arbeit anrief, um ihr mitzuteilen, dass der Wagen nicht nur einen defekten Anlasser habe, sondern darüber hinaus auch einen Riss im Motorblock sowie einen löchrigen Auspuff, wurde ihr klar, dass sie den Deal durchziehen musste. Wenn Alana diesen Job übernahm, hatte sie fünfzigtausend sicher, egal was dabei herauskam. Genug, um ein neues Auto zu kaufen – eines mit Klimaanlage und einer Rollstuhlrampe mit Fernbedienung.

Sie könnte gleich morgen in ein Autohaus gehen und einen Wagen kaufen. Bei der Vorstellung wurde ihr leicht schwummerig. Sie hatte noch nie ein nagelneues Auto gekauft. Und wenn sie ganz ehrlich war, wäre eine kleine Auszeit von ihrem Alltagstrott auch nicht so schlecht. Abgesehen von der Woche, die sie mit Lily jedes Jahr im Sommercamp der Gemeinde verbrachte, war sie mit ihrer Tochter nie länger als eine Nacht von zu Hause weg gewesen. Vielleicht wäre eine Pause ganz gut für sie beide. Allein auf dem Flug mal fünf Stunden abzuschalten kam ihr schon wie Urlaub vor. Und außerdem verschaffte ihr das die Gelegenheit, die raffinierte Kelly McNutt in Augenschein zu nehmen.

Alana sagte dem Mechaniker, dass er sich bei den Reparaturen auf den Anlasser beschränken solle, und schickte dann Ramona eine SMS: Wie stehen die Chancen, dass du eine ganze Woche bei L bleiben könntest (Übernachtungszeit halber Stundensatz)? Wenige Minuten später kam die Antwort, mit einem Selfie von Ramona und Lily, auf dem die beiden lächelten und mit erhobenem Daumen grünes Licht gaben: Die Chancen stehen gut.

2

Ed Shropshire gehörten Häuser in Victoria, Vancouver, New York, Montana sowie auf den Turks- und Caicosinseln, doch er hatte sich entschlossen, in der Villa erneut zu heiraten, in der Alana jeden Sommer ihrer Kindheit verbracht hatte – ein sechshundert Quadratmeter großes herrschaftliches Gebäude auf einer Privatinsel vor der Küste von Vancouver Island. In vielerlei Hinsicht war Alfred Island ein idealer Ort gewesen, um dort die Ferien zu verbringen, besonders für ein introvertiertes Kind, das glücklich war, wenn es seine Zeit damit verbringen konnte, die schier endlosen Strandflächen und Waldgebiete des fast vier Quadratkilometer großen Anwesens zu erforschen.

Alanas Brüder fand man hingegen eher im hauseigenen Swimmingpool oder auf dem von Stanley Thompson gestalteten Golfplatz, wenn sie sich nicht gerade in den aufgelassenen Industriebauten aus der Zeit herumtrieben, als die Insel mit ihrer schweren Tonerde zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Zentrum der Ziegelbrennerei gewesen war. Alana wusste nicht immer genau, wohin ihre Schwester Lillian verschwunden war. Sie war ein zurückhaltendes Mädchen, vier Jahre älter als Alana, das sich immer irgendwo herumtrieb und zu lange wegblieb, was dazu führte, dass auf die Schnelle zusammengewürfelte Kommandos sie suchen und zum Essen nach Hause schleifen mussten oder eben zu den Privatstunden, die mit diesem oder jenem Lehrer anberaumt worden waren.

Alana erinnerte sich, wie Patsy, ihr Kindermädchen, sich darüber beschwert hatte, dass sie sich ständig auf Spurensuche nach der eigenwilligen Lillian begeben musste. Sie schien große Angst davor zu haben, dass dem Mädchen etwas zustoßen könnte, während sie »Wache« hatte. Lillian war es nicht erlaubt, am Strand allein schwimmen zu gehen, aber sie fanden sie oft beim Baden im kalten Wasser der Meerenge, woraufhin Patsy jedes Mal Flüche ausstieß und ihr Vorwürfe machte.

Alana hatte nur verschwommene Erinnerungen an ihre Schwester, als würde sie etwas Vertrautes durch einen hauchzarten Vorhang hindurch sehen. Lillian war ihr immer so viel älter vorgekommen, und oft distanziert. Doch wenn sich Alana in ihrem Dunstkreis aufhielt, war Lillian immer sehr liebevoll und beschützerisch. Sie war ein athletisches Mädchen, ein Wildfang, der sich von Martin und Teddy nicht verscheißern ließ und sie zur Schnecke machte, wenn sie Alana hänselten oder drangsalierten. Zumal Alana, die immer pummelig und langsam gewesen war – die Ausnahme von der Regel in der Familie –, ein dankbares Opfer abgab. Nicht nur für Teddy und Martin, die sie herumschubsten und aufzogen (Fellknäuel, Fetti), sondern genauso für ihre properen, sportlichen Eltern, die mit ihr schimpften und sie beschämten, wenn sie zwischen den Mahlzeiten etwas zu sich nahm oder ihren Teller leer aß, ein Ding der Unmöglichkeit im Hause Shropshire. Die gertenschlanke Lillian hingegen durfte straflos den Kühlschrank plündern – für Alana fiel dabei der ein oder andere Leckerbissen ab – und sich beim Essen noch eine zweite oder sogar dritte Portion nehmen. Ihre Mutter Kat, die Alana regelmäßig daran erinnerte, dass sie »groß« und nicht »breit« werden sollte, war meistens zu betrunken, als dass es ihr hätte auffallen können. Und Ed war oft geschäftlich unterwegs.

Jetzt, als sie da auf ihrem Platz in der Economy Class saß und vor lauter Stress Pringles-Snacks in sich hineinschlang – das nur zum Thema Entspann dich auf dem Flug –, verspürte Alana einen Anflug von Selbstbewusstsein. Ihren Vater hatte sie vor sechzehn Jahren, mit dreißig Pfund weniger auf den Rippen – eines der wenigen Male in ihrem Leben, als sie dünn gewesen war –, auf der Beerdigung der Mutter zum letzten Mal gesehen. Damals hatte sie eine Phase gehabt, in der sie sich selbst verabscheute, selbstzerstörerisch war und sich hauptsächlich von Bushmills, Amphetaminen, Nikotinersatzprodukten, Espresso und gelegentlich mal einem Toastbrot ernährte.

Ironischerweise hatte ihr Vater sie damals dafür gelobt, dass »du dich endlich mal zusammenreißt«. Zweifellos würde er seine Missbilligung ihrer Rundlichkeit zum Ausdruck bringen. Und genau wie damals, als sie ein Kind war, würde er alles, was sie zu sich nahm, misstrauisch beäugen und latent aggressive Bemerkungen darüber machen, wie wunderbar alle anderen aussähen oder wie viel Elan ihm seine ständigen Saftkuren verliehen hätten. Scheißegal, dachte sie, bring’s einfach hinter dich. Die Zeiten, in denen sie ständig Diäten machte, waren vorbei.

Sie wischte sich ein paar Chipskrümel von der Brust, zog die Karte mit dem Air-Canada-Menü aus der Tasche am Sitz vor ihr und sah sich das Angebot an Snacks an. Dann rief sie den Flugbegleiter herbei und bestellte einen Riegel KitKat und eine Tüte Erdbeer-Twizzlers.

 

Sobald das Flugzeug in Victoria landete, vergewisserte sich Alana bei Ramona und Lily, dass alles in Ordnung war. Anschließend machte sie sich auf den Weg zur Gepäckausgabe, wo ein beängstigend jung aussehender Pilot – Akne, Lost Boys-T-Shirt – schon auf sie wartete, um sie mit ihren Koffern zu der Cessna zu bringen, mit der sie beide mal eben kurz nach Alfred Island hinüberhüpfen würden. Alana hatte erwartet, nach Saanichton kutschiert zu werden, um von dort mit einem der Boote ihres Vaters überzusetzen, doch der Pilot informierte sie, dass Martin neu geplant hatte, nachdem er von dem Paddel-Event im Cordova Channel erfahren hatte.

Als sie sich der Insel näherten, bemerkte Alana vor dem Anwesen Dutzende von Kanus und Kajaks. Sie erkannte noch von oben, dass das sogenannte Paddel-Event in Wirklichkeit die Protestveranstaltung einer Sippe der First Nations war, die Alfred Island als Teil ihres angestammten Territoriums für sich beanspruchte. Ein ähnlicher Disput mit dem Stamm der Tsawout um das benachbarte James Island (das einem amerikanischen Telekommunikationsunternehmer gehörte) hatte diese Sippe dazu animiert, ihrerseits einen Rechtsstreit gegen die kanadische Regierung anzustrengen. Im Endergebnis führte das Verfahren dazu, dass die Regierung aufgefordert wurde, der Firma ihres Vaters Alfred Island (dessen Wert auf einundsiebzig Millionen Dollar taxiert wurde) abzukaufen und den Ureinwohnern die Insel zurückzugeben, unter Verweis darauf, dass dies Bestandteil der Douglas-Verträge aus den 1850er-Jahren sei, die ihnen das Land zusprachen.

Die Anwälte wussten nur nicht, dass ihr Vater – für ihn war das eine Prinzipienfrage – niemals etwas herausrücken würde, das er als sein Eigentum betrachtete, ganz egal, welchen Betrag ihm die Regierung dafür bot. Ihr Vater wusste wiederum nicht, dass Alana, obwohl praktisch mittellos, der GoFundMe-Kampagne der Sippe mehr als einen halben Monatslohn gespendet hatte, um diese in dem Rechtsstreit zu unterstützen. Der Gedanke daran entlockte ihr ein Lächeln, als sie dem Flugzeug entstieg und dem Piloten dabei zusah, wie er ihr Gepäck aufs Rollfeld stellte.

»Darla wird sich um Sie kümmern«, sagte er und deutete auf ein Golfmobil, das sich näherte.

»Vielen Dank.«

»Keine Ursache. Angenehmen Aufenthalt!«

Er kletterte zurück ins Cockpit, schob seine Sonnenbrille hoch und fing an, etwas auf seinem Smartphone zu tippen. Das Golfmobil hielt neben ihr, und eine große Frau mit kurzen grauen Haaren sprang heraus, ging auf Alana zu und streckte ihr eine schwielige Hand entgegen.

»Willkommen!«, sagte sie. »Ich bin Darla.«

»Schön, Sie kennenzulernen. Ich bin Alana.«

»Weiß schon«, erwiderte sie und rief dem Piloten dann »Hey, Frank« zu.

Er winkte zurück, während Darla das Gepäck in dem Golfmobil verstaute. Sie war eine kräftige Person mit einem großen Kopf und einem Körperbau, der einem auf der Spitze stehenden Dreieck glich – oben sehr mächtig, nach unten hin auslaufend in schmalen Hüften und dünnen Beinen. Sie erinnerte Alana an einen Tasmanischen Teufel, hätte die entsprechende Figur aus der Trickfilmserie Looney Tunes denn ein Poloshirt, Khakishorts und lange weiße Baumwollstrümpfe in den Wanderschuhen getragen.

»Schön, wieder hier zu sein?«, erkundigte sich Darla, als das Golfmobil von der Rollbahn fuhr.

»Riecht immer noch so wie damals, als ich Kind war«, meinte Alana.

Darla schien zu begreifen, worauf sie anspielte, und wechselte das Thema. »Cottage 1 ist für Sie vorbereitet, aber Martin sagte mir, die anderen wären auch frei, wenn Ihnen das lieber ist.«

»Oh«, sagte Alana und lachte. »Irgendwie dachte ich, ich käme in mein altes Zimmer.«

»Na, wenn Sie das möchten, dann sprechen Sie mit Ihrem Vater oder Ihrem Bruder.«

»Nein, muss nicht sein. Ich hatte mir einfach … nicht richtig Gedanken darüber gemacht. Ein Cottage ist mir recht. Das liegt am nächsten beim Haus, oder?«

»Genau«, erwiderte Darla. »Das beste von allen, finde ich.«

»Toll«, freute sich Alana. Cottage 1 dürfte wunderbar sein. Sie versuchte, sich die anderen drei vorzustellen, aber das gelang ihr nur bei dem Cottage, das nah am Strand lag. Die Ferienhäuser waren für sie und ihre Brüder als Kinder immer Verbotszone gewesen, und sie waren auch stets abgeschlossen, die Vorhänge zugezogen, wenn sie einmal den Versuch wagten, sie zu erkunden.

»Leben Sie hier auf der Insel?«

»Ja, in einer der Unterkünfte für das Personal. Ich bin für die Pflege der Anlage zuständig.«

»Das ist ja schön.«

»Wenn Sie etwas brauchen: Mrs. Keith ist die Haushälterin.«

»Okay, gut zu wissen.«

Alanas Puls beschleunigte sich, als das Golfmobil am Haupthaus vorbeifuhr. Die merkwürdige Aufgabe, die sie übernommen hatte, fühlte sich jetzt sehr real an. Nervöse Energie durchflutete sie.

»Jetzt sind wir gleich da«, sagte Darla, als sie auf einen Weg in bewaldetes Gelände abbogen.

Die Douglasfichten hier waren massiv und riesig, nicht so wie die Tannen, an die sie sich in Ontario gewöhnt hatte. Diese Bäume hier fühlten sich prähistorisch an, wie im Jura.

»Da, sehen Sie mal.« Alana deutete auf ein paar Rehe, die zwischen den Bäumen ästen.

»Blöde Viecher«, sagte Darla. »Und ich hab gerade kein Gewehr dabei.«

»Na klar!« Alana nahm an, dass sie einen Scherz machte.

»Das ist Damwild, die wahre Pest. Sie fressen alle einheimischen Pflanzen weg, vor allem auch die Erdbeerbäume. Ich habe Anweisung von Ihrem Vater, alle abzuschießen, die ich zu sehen kriege.«

»Oh«, sagte Alana. »Okay, aber die hier haben Sie dann vielleicht einfach nicht gesehen, oder?«

Darla warf ihr von der Seite einen amüsierten Blick zu. »Jetzt klingen Sie schon wie die Verlobte Ihres Vaters.«

Alana musste lachen. »Ich freue mich schon darauf, sie kennenzulernen. Hab von ihr noch nicht so viel mitbekommen.« Sie ließ es wie eine Frage klingen und wartete darauf, dass Darla ihr ein paar Informationen gab, doch die schluckte den Köder nicht und fuhr einfach weiter.

»So, da wären wir«, sagte Darla schließlich, als sie vor Cottage 1 anhielten, einem niedlichen Nurdachhaus, das, weiß umrandet, in einem lebhaften Türkisgrün gestrichen war.

»Ich erinnere mich«, meinte Alana. »War mal einfach nur blankes Holz.«

»Sie sind vor ein paar Jahren gestrichen worden. Damit sie nicht verrotten.«

Alana stieg aus dem Mobil und wollte nach ihrem Kleidersack greifen, doch Darlas kräftige Hand hatte ihn schon gepackt.

»Ich mach schon«, sagte sie und schnappte sich auch den Koffer, die Reisetasche und selbst Alanas Handtasche.

»Oh … danke!«

Darla hievte das Gepäck die Treppe zur Veranda hoch, schloss die Tür des Cottage auf und überreichte Alana den Schlüssel.

Alana lachte verlegen und bedankte sich noch einmal. »Ich bin es nicht gewohnt, dass jemand meine Sachen trägt.«

»Jetzt klingen Sie schon wieder wie Miss McNutt.« Darla lächelte sie an und ging zum Golfmobil zurück. »Um fünf gibt’s Drinks am Pool, soll ich Ihnen von Martin sagen.«

»Oh, werden alle da sein?«

»Vermute ich mal«, entgegnete Darla. »Hab vorhin schon gesehen, wie Essen und Getränke geliefert wurden.«

Alana verspürte den Drang, sofort wieder in das Golfmobil zu steigen und zum Rollfeld zurückzufahren. Wenn das Flugzeug schon weg sein sollte, könnte sie ja immer noch den Cordova Channel durchschwimmen und zum Flughafen trampen. Stattdessen holte sie tief Luft und sah auf die Uhr. Ihr blieben nur fünfundzwanzig Minuten, um sich frisch zu machen und sich zu beruhigen.

 

»Ist sie das?«, hörte Alana Ed sagen, als sie über das langgestreckte, mit Steinplatten ausgelegte Pooldeck auf die Versammlung zuging. Aus ihrer Warte sah das Ganze so ähnlich aus wie eine Panoramaseite im Architectural Digest. Ihr Vater, im weißen Leinenanzug mit Panamahut, saß auf einem großen geschwungenen Sofa unter einer neu errichteten Pergola – neu jedenfalls für Alana, es hatte sie nicht gegeben, als sie ein Kind gewesen war. Die Sauna direkt dahinter auch nicht.

Links von ihrem Vater eine langbeinige Blondine, die mit ihrem ärmellosen schwarzen Hemdkleid, der überdimensionalen Sonnenbrille und den zu einem Knoten gebundenen Haaren wie ein italienischer Filmstar wirkte. Gegenüber von den beiden, in einem luxuriösen Sessel neben einem Pflanzkübel voller Bougainvillea, saß Martin in einem Shirt mit V-Ausschnitt und weißer legerer Hose. Ein adrett gekleideter Hausangestellter kümmerte sich um das Feuer in dem aufwendig gekachelten Pizzaofen, während ein anderer die Gläser einer behelfsmäßigen Bar polierte. Augenblicklich zweifelte Alana an dem alten Trägerkleid von Gap und den Flipflops, die sie als Garderobe gewählt hatte.

»Hey«, sagte Martin und stand auf, um sie zu begrüßen.

»Hallo«, erwiderte Alana, winkte in die Runde und hoffte, dass niemand versuchen würde, sie zu umarmen oder ihr einen Kuss zu geben.

Die Blonde erhob sich, strich ihr Kleid glatt und streckte ihr für einen schlaffen Handschlag eine Hand mit langen Fingernägeln entgegen. Aus der Nähe konnte Alana erkennen, dass ihre Lippen aufgespritzt waren.

»Das ist meine Freundin Gertrud«, stellte Martin sie vor.

»Ah, schön, Sie kennenzulernen!«

»Ganz meinerseits«, flötete Gertrud und lächelte.

»Hast du eine andere Frisur?«, meinte Ed, der sitzen geblieben war.

»Stimmt«, bestätigte Alana und fasste sich an die kurzgeschnittenen Locken. Es bestürzte sie, wie grau und hager ihr Vater geworden war. Nur noch Leinen und Knochen.

»Möchtest du einen Drink?«, erkundigte sich Martin.

Am liebsten fünf, dachte Alana mit klopfendem Herzen. »Ja, gerne. Ich nehme einen Wodka-Martini ohne Eis, aber mit Zitrone, bitte.«

»Das trinkt Kelly immer«, sagte ihr Vater mit einem künstlichen Lächeln. Die Zähne waren immer noch perfekt, aber die eine Gesichtshälfte war etwas schlaff, die Stimme leicht verwaschen.

»Gibt es etwas, das sie nicht trinkt?«, flüsterte Martin im Vorbeigehen.

»Da kommt sie ja!«, verkündete Ed.

Alana drehte sich um und sah Kelly auf die Gruppe zugehen. Sie hatte ein ziemliches Tempo drauf und sah überhaupt nicht aus wie ein raffgieriges Vorzeigeweibchen. Sie war knapp eins sechzig groß und wog vielleicht gerade mal fünfzig schweißnasse Kilo. So gut wie keine Brust und auch keine nennenswerten Hüften, krauses, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenes Haar und Sommersprossen, wohin man sah. Sie trug abgeschnittene Jeans, ein Top, Leinenschuhe und sah aus wie ein Kind.

»Tut mir leid«, sagte sie. »Der Partyservice hat veganen Käse geliefert, aber ich glaube, unserer ist besser.« Sie wedelte mit der Packung, die sie in der Hand hielt, in der Luft und überreichte sie dem jungen Mann am Pizzaofen, bevor sie sich zu Alana umwandte.

»Du musst Amanda sein«, sagte sie und umarmte sie kurz und heftig.

»Hm …«

»Sie heißt Alana«, bemerkte Martin und gab sich keine Mühe, seine Verachtung zu verbergen.

»O Gott, das tut mir furchtbar leid.«

»Klingt ja auch ganz ähnlich«, meinte Ed.

»In der Tat«, sprang Gertrud ihr bei und blitzte Martin an.

»Mach dir keine Gedanken«, sagte Alana. »Schön, dich kennenzulernen.«

»Ja, das ist wirklich schön, Alana. Entschuldigung, aber diese ganzen Hochzeitsvorbereitungen machen mich ganz wirr im Kopf.«

Ein Kellner verteilte die Drinks.

»Hey, ein Martini-Kumpel«, frotzelte sie und stieß mit den Gläsern etwas zu heftig an. Sie hatte ein schelmisches Lächeln und lachende, große blaue Augen mit einem ausgeprägten dunklen Ring um die Iris.

»Komm her«, sagte Ed und klopfte auf den Platz neben sich.

Pflichtschuldigst setzte sich Kelly neben Ed, der ihr gleich einen Arm um die magere weiße Hüfte legte.

Alana kam das ebenso besitzergreifend wie unsicher vor. Sie nahm auf einem Stuhl gegenüber Platz, nippte an ihrem Drink und fragte sich, ob ihr Gesicht wohl so heiß und rot aussah, wie es sich anfühlte.

»Wie geht’s deiner Tochter?«, erkundigte sich Ed.

Alana reagierte gereizt. »Ihr geht’s gut. Sie ist bei ihrer Betreuerin.« Um das Thema zu wechseln, deutete sie auf einen Berg Pizza auf dem Tisch und sagte: »Die sehen toll aus.«

»Probier mal die mit Rosmarin und Kartoffeln«, bemerkte Kelly. »Die sind alle vegan, bis auf die mit den Shrimps.«

»Dad ist jetzt Veganer«, kam der Kommentar von Martin.

»Warum sagst du das so?«, sagte Ed.

»Wie? Ich hab’s ihr doch nur gesagt.«

»Probier sie doch mal. Du kriegst langsam einen Bauch, mein Lieber.« Er sagte das zu Martin, beobachtete dabei aber Alana, die sich gerade verschiedene Pizzastücke nahm.

»Ich steh nun mal auf Fleisch«, grummelte Martin.

»Wir könnten’s doch mal ausprobieren«, mischte sich Gertrud ein. »Für den Planeten ist es jedenfalls besser.«

»Mach doch«, sagte Martin und leerte auf dem Weg zur Bar seinen Drink.

»Um acht gibt’s Essen«, verkündete Ed und beäugte Alanas Teller.

»Ah, okay.« Ein Gefühl von Scham, das ihr bekannt vorkam, wandelte sie an. Offenbar war sie die Einzige, die etwas aß.

»Wir haben uns darauf gefreut, deine Tochter und dich auf der Hochzeit zu begrüßen«, meinte Kelly, »aber dass du uns jetzt schon mit einem Besuch beehrst, überrascht uns.«

»Na ja, ich hatte beruflich in der Gegend zu tun, und da dachte ich mir, ich schau mal rein. Es könnte nämlich sein, dass ich es zur Hochzeit nicht hinkriege.«

»O nein, das höre ich aber gar nicht gern.«

»Wieso denn nicht?«, spiegelte Ed Kellys Enttäuschung.

»Es ist … eben einfach ziemlich schwierig, mit Lily zu verreisen.«

»Nimm das Flugzeug, das dürfte am einfachsten sein.«

»Danke, aber es wäre immer noch kompliziert genug.«

»Komm, das kriegen wir schon hin«, erwiderte Ed.

Alana reagierte nicht darauf.

»Na, dann hoffe ich doch, dass du wenigstens bis Freitag bleiben kannst«, schaltete Kelly sich wieder ein. »Da proben wir nämlich auf dem Boot für die Hochzeit.«

»Oh … ja, vielleicht, aber ich bin mir nicht sicher.«

»Isst du eigentlich alles?«, wollte sie wissen, während sie mit dem bereits geleerten Glas zur Bar ging.

»Hm, ja, ich meine, ich esse nicht viel Fleisch, aber gelegentlich schon.«

»Sehr gut. Dann lass uns doch wissen, was du von dem Essen hältst.«

»Wenn ich dann noch da bin, gern.«

Martin warf Alana einen Blick zu, der zu besagen schien: Du meinst, wenn sie dann noch hier ist.

»Was meinst du eigentlich mit beruflich?«, erkundigte sich Ed.

»Ach, das war nur ein Treffen … mit einem Spender. Hey, wo ist eigentlich Teddy?«, sagte sie, um von dem Thema loszukommen.

»Der junge Herr Edward guckt Tennis«, meinte Ed.