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Der beliebte und äußerst erfolgreiche Roman von Dumas: Die Eiserne Maske. Hier werden der Kapitän der schwarzen Musketiere und seine drei Freunde als rüstige Fünfziger gezeigt. Sie sind zu Ansehen und Wohlstand gekommen, werden jedoch in die kriegerischen Ereignisse im Frankreich des Ludwig XIV. hineingezogen. Packend, mitreißend und wahrhaft heldenhaft.
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Seitenzahl: 687
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ALEXANDER DUMAS
Malicorne – Archivar des Königreichs
Die Reise
Triumfeminat
Erster Streit
Verzweiflung
Flucht
Die Mitternacht des Königs
Die Botschafter
Chaillot
Bei Madame
Das Taschentuch der La Vallière
Gärtner, Leiter und Ehrendamen
Geheimnisvoller Zauberer
Spazierfahrt bei Fackelschein
Die Erscheinung
Das Bild
Hampton Court
Der Kurier von Madame
Saint-Aignan befolgt Malicornes Rat
Zwei alte Freunde
Frau von Chevreuse findet einen Käufer
Das Fell des Bären
Bei der Königinmutter
Zwei Freundinnen
Jean de La Fontaines erste Erzählung
La Fontaine als Unterhändler
Schmuck und Silber der Frau von Belliere
Die Quittung des Kardinals Mazarin
Colberts Vertragsentwurf
Raoul erfährt die Wahrheit
Porthos Methode
Politische Nebenbuhler
Nebenbuhler in der Liebe
König und Edelmann
Die Folgen des Sturmes
Wunden
Was Raoul erraten hatte
Drei verblüffte Tischgenossen
Was während des Soupers in der Bastille im Louvre geschah
Politische Gegenspieler
Die Gesellschaft des Herrn von Baisemeaux
Der Gefangene
Porthos’ neue Kleider
Messire Jean Percerin
Das Urbild zu Molières Bürger als Edelmann
Noch ein Souper in der Bastille
Der Ordensgeneral
Der Versucher
Krone und Tiara
Nektar und Ambrosis
Auf einen Gascogner anderthalbe
Colbert
Eifersucht
Majestätsverbrechen
Der Schatten des Herrn Fouquet
Der Morgen
Der Freund des Königs
In der Bastille
Der Dank des Königs
Der falsche König
Porthos träumt von seinem Herzogtum
Der Herzog von Beaufort
Krämer und Herzog machen Inventur
Die Silberplatte
Gefangener und Kerkermeister
Versprechungen
Unter Frauen
Das Abendmahl
Im Wagen des Herrn Colbert
Freundesrat
D’Artagnan und Colbert
Belle-lsle-evi-Mer
Aramis erklärt
Wettlauf der Gedanken
Die Ahnen Porthos’
Biscarrats Sohn
Die Grotte von Locmaria
Ein homerischer Gesang
Der Tod eines Titanen
Porthos’ Grabstein
Die Runde des Herrn de Gesvres
König Ludwig XIV
Athos’ Greisenalter
Der Todesengel
Bericht
Letzter Gesang
Ausklang
D’ Artagnans Tod
Guiche lag in einem Himmelbett, dessen gewundene Säulen ähnliche Vorhänge wie jene am Fenster trugen. Sein Kopf war durch ein Doppelkissen erhöht, sein Blick suchte starr in der Weite. Lange, schwarze Locken umschmeichelten die fahlen Schläfen des jungen Mannes.
Guiche träumte. Sein Geist folgte Bildern, wie Gott sie denen sendet, die im Begriff sind, in die Ewigkeit einzugehen.
Zwei oder drei Blutspuren, die noch feucht waren, bedeckten den Boden.
Manicamp eilte hastig die Treppe hinauf. Erst an der Schwelle hielt er an, öffnete vorsichtig die Tür und überzeugte sich, daß alles ruhig war. Auf den Fußspitzen näherte er sich einem mächtigen Ledersessel aus der Zeit Heinrichs IV., stellte fest, daß die Krankenwärterin eingeschlafen war, weckte sie und bat, sie möchte sich für einen Augenblick in das Nebenzimmer zurückziehen.
Dann trat er an das Bett und überlegte, ob er Guiche wecken sollte. Aber schon hörte er auf der Schwelle das Rauschen von Seidenkleidern. Er trat beiseite und folgte der Krankenwärterin in das Nachbarzimmer.
Im gleichen Augenblick wurde der Türvorhang hochgehoben, und die beiden Frauen betraten das Zimmer, das er gerade erst verlassen hatte. Die zuerst eintrat, gab ihrer Begleiterin einen herrischen Wink; sofort setzte sich diese auf einen Schemel an der Tür.
Entschlossen näherte sich die andere dem Bett und zog die Vorhänge zurück. Jetzt sah sie das blasse Gesicht des Grafen, sah seine rechte Hand, die verbunden war, und schauderte.
Die weiße Brust des jungen Mannes war entblößt, als ob sie in der frischen Nachtluft leichter atmete. Ein Verband deckte die Wunde, an dessen Rändern heraussickerndes Blut einen bläulichroten Kreis gezogen hatte.
Ein tiefer Seufzer löste sich aus dem Mund der jungen Frau. Sie stützte sich auf eine Säule des Bettes. Dann nahm sie die Linke des Verwundeten. Die Hand war heiß wie glühende Kohle.
In dem Augenblick, in dem die eisige Hand der Dame sie berührte, schlug de Guiche die Augen auf.
Das erste, das er gewahrte, war die gespenstische Erscheinung an seinem Bett. Seine Augen weiteten sich, aber kein Verstehen leuchtete aus seinem Blick.
Jetzt gab die Dame ihrer Begleiterin an der Tür einen Wink. Offenbar war die andere abgerichtet, denn sie sagte ohne Zögern wie auswendig gelernt und mit klarer Betonung: „Herr Graf, Ihre Königliche Hoheit, Madame, wollte wissen, wie Sie die Schmerzen ertragen, die Ihnen Ihre Wunde verursacht. Sie hat Ihnen durch meinen Mund ihr Bedauern über die Leiden aussprechen wollen, die Sie erdulden.“
Bei dem Wort Madame ging eine Bewegung über Guiches Züge. Er hatte die Person, die an der Tür sprach, noch nicht beachtet. Da die eisige Hand ihn noch festhielt, schaute er wieder das unbewegliche Gespenst an. „Sprechen Sie mit mir, Madame“, fragte er mit schwacher Stimme, „oder ist noch jemand anderes im Zimmer?“ — „Ja“, flüsterte die Unbekannte mit einer fast unverständlichen Stimme. — „Ich danke Ihnen. Bestellen Sie Madame, daß ich leichter sterbe, nachdem sie sich meiner erinnert hat.“
Da konnte die maskierte Dame die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie vergaß offenbar, daß sie eine Maske trug, führte die Hand an die Augen, um sie zu trocknen, berührte den kalten Samt, riß ihn fast ärgerlich ab und warf ihn zu Boden.
Bei diesem unerwarteten Anblick stieß Guiche, vor dessen Augen sich gleichsam eine Wolke geteilt hatte, einen Schrei aus. Doch jedes Wort, das er sagen wollte, erstarb auf seinen Lippen. Seine Rechte, die er mechanisch erhoben hatte, fiel auf das Bett zurück, und im nächsten Augenblick zeichnete sich ein rasch wachsender Blutfleck auf der weißen Leinwand ab.
Gleichzeitig begannen die Lider des jungen Mannes zu zucken, und seine Augen schlossen sich, als hätte der Todeskampf begonnen. Die Dame bekam Angst, beugte sich über Guiche und drückte einen flüchtigen Kuß auf die linke Hand des Grafen.
„Gehen wir“, sagte sie dann, „wir können nicht länger hierbleiben.“
„Madame, Eure Hoheit vergißt ihre Maske“, antwortete die wachsame Begleiterin. — „Heben Sie sie auf.“
Madame war bereits die Treppe hinabgeeilt.
Eine Viertelstunde später kehrte die Begleiterin in das Zimmer der Ehrendamen zurück. Sie gönnte sich kaum Zeit aufzuatmen, setzte sich an ihren Schreibtisch und brachte folgende Zeilen zu Papier:
„Heute abend hat Madame Herrn de Guiche besucht. Auf dieser Seite geht alles nach Wunsch. Sehen Sie zu, daß auch bei Ihnen alles klappt. Vor allem: verbrennen Sie dieses Papier.“
Sie faltete das Blatt zu einem langen Streifen zusammen, schlich dann vorsichtig aus dem Zimmer, überquerte einen Korridor und blieb vor einer Tür stehen; zweimal klopfte sie kurz, dann schob sie das Papier durch die Türritze und floh.
Als sie wieder in ihrem Zimmer war, fiel ihr Blick auf den Tisch, auf dem noch Madames Maske lag.
„Ach“, murmelte sie, „wir dürfen morgen nicht vergessen, was wir heute versäumt haben.“
Sie griff nach der Maske, und da sie fühlte, daß ihre Finger feucht waren, sah sie sie an.
Der Daumen war nicht nur feucht, sondern gerötet.
„Oh“, murmelte Montalais, „diese Maske wollen wir nicht zurückgeben Sie ist kostbar.“
Sie eilte zu einer Truhe, in der Toilettengegenstände aufbewahrt wurden. Dann aber zögerte sie, betrachtete noch einmal die Maske und sagte lächelnd:
„Schöne Maske, du sollst hingehen in das Archiv der Wunder, in dem schon die Briefe der La Vallière und Raouls liegen, all diese Kostbarkeiten, die eines Tages die Geschichte Frankreichs darstellen sollen. Herr Malicorne soll dich haben“, fuhr sie lächelnd fort, während sie begann sich auszukleiden, „der brave Malicorne, den man nur zum Kastellan Monsieurs ernannt hat.“ Sie löschte das Licht aus. „Ich erhebe ihn zum Archivar und Historiographen des Hauses Bourbon und des französischen Hochadels.“
Sie zog die Bettvorhänge zu und schlief ein.
Am andern Morgen kehrte der Hof nach Paris zurück. Es war ein herrlicher Anblick, diese erlauchte Gesellschaft in Reisekleidern, die stattliche Menge von prächtig gesattelten Pferden und prunkvollen Kaleschen zu sehen, die Schar von Kavalieren und Damen, von Pagen und Lakaien, von Bereitern und Großknechten. Die Kutsche des Königs, die er mit seiner Mutter und seiner Gemahlin teilte, fuhr zuerst ab, dann folgte die von Madame, und schließlich, dem Rang entsprechend, die große Reihe der anderen.
Die Sonne schien drückend, und heißer Wind wehte den Reisenden Staub und Sand ins Gesicht. Madame war die erste, die sich über die Hitze beklagte. „Ich hätte Sie für galanter gehalten“, sagte sie zu ihrem Gemahl, der sich erschöpft und behäbig ausstreckte. „Sie könnten mir den Wagen allein überlassen und den Weg zu Pferd zurücklegen.“ — „Reiten? Bei der Hitze?“ versetzte Monsieur entsetzt. „Ich denke gar nicht daran, Madame! Ich habe außerdem kein Pferd.“
„Aber ich sehe dort Ihren Lieblingsfuchs“, antwortete sie, zum Fenster hinaussehend. „Ihr Stallmeister Malicorne führt ihn am Zügel.“ —
„Tatsächlich“, sagte Monsieur, sah auch hinaus und fiel gleich darauf zurück in die Kissen. „Das arme Tier! Ihm mag schön heiß sein.“
Madame drückte sich in die andere Ecke des Wagens, schloß die Augen und gab sich ihren Träumereien hin.
Inzwischen wurde es dem König ebenfalls zu eng im Wagen, doch weniger der Hitze wegen, als aus Liebesverlangen. Er wünschte im Sattel zu sitzen, um zum Wagen der Ehrendamen zu reiten und sich am Anblick der geliebten La Vallière zu erfreuen. Die vielen Fragen der jungen Königin, die glücklich war, ihren lieben Gemahl zu besitzen, und sich beständig nach seinem Befinden erkundigte, das Geschwätz der Königinmutter, die ihn um jeden Preis zerstreuen wollte, empfand er als lästigen Zwang. Er klagte schließlich über Schmerzen in den Beinen, und Maria Theresia fragte, ob er mit ihr aussteigen und ein Stück zu Fuß gehen wolle. Das war freilich ein Strich durch die Rechnung, aber er konnte es der eifersüchtigen Frau nicht abschlagen. Nach wenigen Minuten merkte sie, daß ihm der Weg zu Fuß auch nicht besser behagte als die Fahrt im Wagen. Sie erklärte, sie wolle wieder einsteigen. Er führte sie an den Wagen, ließ sie aber allein Platz nehmen, und sah sich nach dem Wagen um, der ihn am meisten interessierte. Am Schlag des sechsten Wagens erblickte er das Gesicht der La Vallière.
„Verlangt Majestät ein Pferd?“ rief eine Stimme hinter ihm; Malicorne verneigte sich und bot dem König den Lieblingsfuchs Monsieurs an. — „Das ist kein Tier aus meinem Marstall“, sagte Ludwig. — „Es gehört Seiner Königlichen Hoheit“, antwortete Malicorne, „allein Monsieur reitet bei einer solchen Hitze nicht.“ — Mit diesen Worten hielt er den Steigbügel, und Ludwig schwang sich hinauf. Lachend sprengte er an den Wagen der Königinnen und sagte trotz Maria Theresias bestürzter Miene: „Ich habe endlich ein Pferd! Auf Wiedersehen, meine Damen.“ Dann hielt er an, ließ sie vorbeifahren und ritt im Galopp zurück. Anna von Österreich neigte sich zum Fenster hinaus und sah ihm nach.
Er ritt nicht weit; schon beim sechsten Wagen hielt er das Pferd an. Ludwig zog galant den Hut und grüßte mit einem glückseligen Lächeln Fräulein von La Vallière, die vor Freude errötete, während die neben ihr sitzende Montalais den König ehrfurchtsvoll grüßte und dann diskret sich in die Ecke zurückzog und die Landschaft betrachtete. Er folgte dem Wagen ein Weilchen ohne ein Wort, nur seine Augen führten eine beredte Sprache. Dann begann er eine belanglose Plauderei. — „Ein verständiger Mann erriet meinen Wunsch nach einem Reitpferd und erlöste mich von der furchtbaren Plage. Ich möchte seinen Namen wissen, denn ich kenne ihn noch nicht. — Die Montalais ließ sich das nicht zweimal sagen. „Der Herr, der Eurer Majestät das Pferd gebracht hat“, sagte sie, „heißt Malicorne. Das war er doch, der dort drüben reitet, nicht wahr, Sire?“ — Dabei wies sie auf den Stallmeister, der an der linken Seite des Wagens ritt und genau wußte, daß von ihm die Rede war, sich aber mit heuchlerischer Miene das Ansehen gab, als sei er taub. — „Das war er“, antwortete Ludwig. „Malicorne, ich werde mir den Namen merken.“
Aure hatte ihren Zweck erreicht. Malicornes Name war gefallen. Alles übrige konnte sie der Zukunft überlassen. Sie blinzelte ihm zu. „Alles geht gut“, sagte sie leise.
Nach kurzem Schweigen wandte sich der König an La Vallière. „Nun ist die ländliche Freiheit zu Ende, mein Fräulein“, sagte er. „Mit der Rückkehr nach Paris wird Ihr Dienst bei Madame Sie mehr in Anspruch nehmen, und wir werden uns nur selten sehen.“ — „Eure Majestät lieben Madame zu sehr, als daß Sie nicht oft zu ihr kommen werden“, antworte Louise, „und wenn Majestät nur durchs Zimmer gehen…“ — „Ah, das würde mir nicht genügen“, versetzte Ludwig, „und doch scheinen Sie damit zufrieden zu sein.“ — Louise antwortete nur mit einem Seufzer. — „Sie haben sich sehr in der Gewalt“, sagte der König. „Gebrauchen Sie diese Kraft um zu lieben, und ich werde Gott preisen, der sie Ihnen verliehen hat.“
La Vallière schwieg, doch ein seelenvoller Blick in des Königs Augen sagte mehr als Worte. Und als wäre dieser Blick wie ein brennender Strahl in sein Herz gedrungen, fuhr er mit der Hand an die Stirn und trieb das Pferd durch einen plötzlichen Druck der Schenkel vorwärts. Ihr Blick folgte dem schönen Reiter, dessen Hutfedern im Wind wallten. Sie lehnte sich zurück und verlor die geliebte Gestalt mit den schönen Locken nicht aus den Augen. Das arme Mädchen liebte und berauschte sich an seiner Liebe.
Nach wenigen Minuten war der König wieder an ihrer Seite. — „Fräulein“, sagte er, „es zerreißt mir das Herz, daß Sie so beharrlich schweigen. Sie sind unbarmherzig, so verschlossen zu bleiben. Ich muß das schließlich für Koketterie halten. Ich fürchte, Sie erwidern die tiefe Liebe nicht, die ich für Sie empfinde.“
„O nein, Majestät“, erwiderte sie, „wenn ich lieben werde, so ist’s fürs ganze Leben!“ — „Lieben werde!“ — rief er. „Ach, da haben wir’s! Sehen Sie, daß ich recht habe, Sie der Koketterie, der Launenhaftigkeit anzuklagen!“ — „Oh, nein, Sire, nein!“ — „Versprechen Sie mir, für mich stets die gleiche zu bleiben.“ — „Oh, immer, Sire!“
„Ich liebe es, das, was mein Herz bewegt, unter die Bürgschaft eines Schwurs zu stellen“, sagte er. „Schwören Sie mir, wenn wir in dem Leben, das vor uns liegt, in diesem Leben, voll von Opfern, Geheimnissen, Schmerzen und vielleicht auch Zerwürfnissen, uns einmal falsch verstanden oder einander Unrecht getan haben sollten, schwören Sie mir, Louise —“
Sie erbebte bis in den Grund ihrer Seele, denn es war das erste mal, daß sie ihren Namen so von ihrem königlichen Geliebten hörte. — „Schwören Sie mir“, fuhr er fort, „daß wir, wenn eins dem andern fern ist, nie eine Nacht verstreichen lassen wollen, ohne einander aufzusuchen oder wenigstens einen Brief zu schreiben, der dem andern Trost und Ruhe bringt.“
Louise nahm die heiße Hand des Geliebten in ihre beiden kalten Hände und drückte sie lang und zärtlich, bis ein Geräusch das Pferd erschreckte, das mit einem Satz vorwärts sprang. Sie hatten das Gelübde getauscht. „Majestät“, flüsterte Louise, „kehren Sie zu den Königinnen zurück — ich fühle es, dort droht meinem Herzen ein Unwetter.“
Ludwig grüßte und ritt im Galopp zu dem Königswagen. Im Vorüberreiten sah er Monsieur — er schlief. Er sah auch Madame — sie schlief nicht. — Die junge Königin lächelte ihm traurig zu und fragte nur: „Ist Dir nun wohler, lieber Mann?“
In Paris arbeitete der König einen Teil des Tages im Staatsrat. Die junge Königin blieb mit der Königinmutter in den Gemächern und vergoß Tränen, nachdem sie vom König Abschied genommen hatte. — „Ach, Mutter!“ klagte sie, „der König liebt mich nicht mehr! Was soll aus mir werden?“ — „Ein Ehemann liebt stets eine Frau, wie du bist“, erwiderte Anna von Österreich. — „Aber der Augenblick kann kommen, wo er doch eine andere lieben wird, Mutter.“ — „Was nennst du überhaupt lieben?“ — „Nun, ständig an jemand denken, sich immer nach ihm sehnen.“ — „Hast du schon bemerkt, daß der König das tut?“ — „Nein, eigentlich noch nicht“, erwiderte die junge Königin zögernd. — „Na, also, Maria!“ — „Und doch mußt du zugeben, daß der König mich vernachlässigt!“ — „Der König, meine Tochter, gehört seinem ganzen Reich!“ — „Gerade deshalb gehört er mir nicht. Dann werde ich wie so viele Königinnen verlassen und vergessen, während andere Frauen Liebe, Ruhm und Ehren genießen. Oh, Mutter, der König ist so schön! Wie oft werden ihm andere Frauen sagen, daß sie ihn lieben, und wie viele werden ihn lieben müssen.“
„Es ist selten, daß Frauen im König den Mann lieben. Sollte das aber dennoch geschehen — was ich bezweifle —, so wünsche eher, Maria, daß diese Frauen deinen Gemahl wirklich lieben. Hingebende Liebe der Geliebten kühlt die Leidenschaft des Liebhabers bald ab. Außerdem verliert die Geliebte gerade durch ihre innige Hingabe die Herrschaft über den Mann, von dem sie weder Reichtum noch Macht, sondern nur Liebe begehrt. Wünsche also, daß die Geliebte den König recht leidenschaftlich liebt.“
„Ach, Mutter, welche Macht besitzt wirkliche tiefe Liebe!“ — „Und da behauptest du, du wärest verlassen?“ — „Es ist wahr, ich rede unvernünftig… Es gibt aber eine Marter, die ich nicht aushalten könnte. Wenn der König an der Seite einer andern Frau gleichsam eine zweite Ehe führen würde — eine zweite Familie hätte. Ach, wenn ich die Kinder vom König sehen werde, ich glaube, das wäre mein Tod.“ — Anna von Österreich nahm lächelnd Maria Theresia bei der Hand. „Maria, denke daran, was ich dir jetzt sage, und laß es dir stets ein Trost sein: Der König kann keinen Dauphin ohne dich haben, aber du kannst auch ohne ihn einen haben.“
Mit einem vielsagenden Lachen stand die Königinmutter auf, um Madame entgegenzugehen, deren Ankunft ein Page meldete.
Sie erschien mit einer Miene, die darauf deutete, daß sie einen bestimmten Plan entworfen habe und ein gewisses Ziel zu erreichen willens sei. — „Ich wollte sehen“, begann sie, „ob die kleine Reise Ihre Majestäten angegriffen habe.“ — „Mich gar nicht“, antwortete Anna. — Mich ein wenig“, sagte Maria Theresia. — „Und dem König scheint sie gut bekommen zu sein, obwohl er bei der Hitze geritten ist.“ — „Ich selbst habe ihm dazu geraten“, sagte Anna von Österreich.
Madame erwiderte nichts. Mit einem Lächeln wechselte sie das Thema des Gesprächs.
„Ich selbst, meine Damen“, erklärte sie, „habe großen Ärger gehabt. Paris hat sich in unserer Abwesenheit nicht verändert“, fuhr sie fort. „Immer dasselbe: Intrigen, Kabalen, Koketterien.“ — „Was für Intrigen?“ fragte die Königinmutter. — „Ach, es wird viel über Herrn Fouquet und Madame Plessis-Bellière gesprochen.“ — „Sie will wohl Nummer Zehntausend werden? Und was für Kabalen?“ — „Wir haben Ärger mit Holland.“ — „Was ist denn nur geschehen?“ — „Monsieur erzählte mir eine Geschichte von Denkmünzen…“
„Ach“, rief die junge Königin, „diese Münzen, die in Holland geprägt worden sind! Man sieht darauf die Sonne des Königs, von einer Wolke verdeckt. Das ist keine Kabale, nur eine unbillige Kränkung.“
„Die der König mit einem Achselzucken übersehen hat“, versicherte die Königinmutter. „Und von welchen Koketterien sprachen Sie? Meinen Sie die Sache mit Madame d’Olonne?“
„Nein, eine Sache, die uns viel nähergeht. Haben Sie nicht die schreckliche Nachricht gehört?“ — „Ach, der Unfall des Herrn de Guiche?“ — „Glauben Sie etwa an diesen Jagdunfall?“ —
Jetzt waren die beiden Königinnen interessiert. Madame rückte näher.
„Ein Duell!“ flüsterte sie. — „Ach!“ rief Anna von Österreich, in deren Ohren das Wort Duell einen üblen Klang hatte, denn seit sie regierte, war gegen das Duell gekämpft worden. „Ja, ein beklagenswertes Duell“, fuhr Madame fort, „das Monsieur einen seiner besten Freunde, den König aber zwei gute Diener kostet.“ —
„Und warum fand dieses Duell statt?“ fragte die junge Königin, deren Neugierde ein geheimer Instinkt wachgerufen hatte. „Koketterien natürlich“, erklärte Madame triumphierend. „Diese Herren haben über die Tugend einer Dame gestritten. Der eine fand, Pallas sei wenig, mit ihr verglichen, während der andere behauptete, diese Venus habe es auf Mars abgesehen. Nun, die beiden Herren haben sich geschlagen wie Hektor und Achilles.“
„Venus hat es auf Mars abgesehen?“ fragte die junge Königin scheu. — „Wer ist diese Dame?“ fragte Anna. „Ich glaube, Sie sprachen von einer Ehrendame? Ich glaube wenigstens, so verstanden zu haben. Ist es Mademoiselle de La Vallière?“ — „Weiß Gott, ja, diese häßliche Kleine.“ — „Und ich dachte, sie wäre mit einem Edelmann verlobt, aber nicht mit Herrn de Guiche oder Herrn de Wardes.“
„Wohl möglich, Madame.“ —
„Was sprachen Sie von Venus und Mars? Es gibt also einen Mars in dieser Sache?“ — „Sie rühmt sich dessen wenigstens.“ — „Und Herr de Guiche hat die Partei des Mars ergriffen?“ — „Gewiß, er mußte das tun als treuer Diener.“
„Als treuer Diener!“ rief die junge Königin. „Als wessen treuer Diener?“
„Mars konnte nur auf Kosten dieser Venus verteidigt werden. Herr de Guiche hat sich für seine Unschuld eingesetzt und erklärt, jene Venus hätte sich wohl zu Unrecht ihrer Eroberung gerühmt.“
Sofort begann Madame, Wardes nach allen Regeln der Kunst zu belasten. Sie tat es so gründlich, daß Manicamp, wenn er dabeigewesen wäre, seinen Feind bedauert hätte.
„In dieser ganzen Sache“, erklärte Anna von Österreich, „sehe ich nur eine einzige Wurzel des Unheils, diese La Vallière. Ist das nicht auch Ihre Ansicht?“
Madame antwortete mit einer Gebärde, die weder eine Zustimmung noch eine Verneinung war. „Nun ja“, sagte sie, „wenn die junge Person nicht kokett gewesen wäre, hätte Mars sich wohl nicht mit ihr beschäftigt.“ Die Wangen der jungen Königin röteten sich.
„Ich will nicht“, sagte Anna, „daß an meinem Hof die Männer aufeinander gehetzt werden. Solche Sitten mögen zweckmäßig gewesen sein zu einer Zeit, da der Adel, durch vielerlei Interessen getrennt, keinen anderen Berührungspunkt hatte als den der Galanterie. Damals hatten die Frauen das Vorrecht, den Wert der Edelleute in zahlreichen Versuchen auf die Probe zu stellen. Heutzutage gibt es, Gott sei gelobt, in Frankreich nur einen Herrn. Alle Kraft strömt in ihm zusammen. Ich werde nicht zulassen, daß man meinem Sohn nur einen einzigen seiner Diener so raubt.“ Sie wandte sich an die junge Königin. „Was soll mit dieser La Vallière geschehen?“
„La Vallière?“ fragte Maria Theresia mit einem eisigen Lächeln. „Kenne ich nicht.“ — „Sie ist eine meiner Ehrendamen“, erklärte Madame. — „Man könnte das Mädchen nach Hause schicken und ihr eine Pension aussetzen“, meinte Maria Theresia sanft. — „Aus meiner Kasse“, schlug Madame vor. — „Nein, wir wollen kein Aufsehen erregen“, entschied Anna. „Der König sieht es nicht gern, wenn die Hofdamen ins Gerede kommen. Madame, Sie werden dieses Mädchen hierherkommen lassen. Und Sie, liebe Tochter, sind so gütig und ziehen sich einen Augenblick zurück.“
Die Bitten der alten Königin waren Befehle.
Maria Theresia erhob sich, während Madame einen Pagen nach Mademoiselle de La Vallière sandte.
Louise begab sich zur Königinmutter, ohne zu ahnen, welche Gefahr ihr drohte. Sie glaubte, es handle sich um ihren Dienst, und die Königinmutter war nie unfreundlich zu ihr gewesen. Lächelnd trat sie ein. Anna von Österreich forderte sie mit einem Zeichen auf, näher zu treten.
Als Louise sah, daß man ihr nicht sofort einen Befehl erteilte, wurde sie, wenn auch nicht unruhig, so doch neugierig.
„Mademoiselle“, sagte die Königinmutter endlich, ohne ihren spanischen Akzent zu unterdrücken, „kommen Sie, wir wollen ein wenig von Ihnen sprechen, da ja alle Welt von Ihnen spricht.“ — „Von mir?“ fragte Louise erblassend. — „Tun Sie nicht so, als ob Sie es nicht wüßten, meine Schöne. Sie wissen von dem Duell zwischen Herrn de Guiche und Herrn de Wardes?“ —
„Ich habe davon gehört, Madame.“ — „Zwei Männer schlagen sich nicht ohne Grund, und Sie dürften die Ursache dieses Streites kennen.“
„Ich kenne sie wirklich nicht, Madame.“ — „Das Leugnen ist eine bequeme Verteidigung, und Sie, die Sie doch einen klaren Kopf haben, Mademoiselle, sollten Banalitäten scheuen.“ — „Mein Gott, Madame. Eure Majestät erschreckt mich! Sollte ich das Unglück haben, Ihnen zu mißfallen?“
Madame brach in ein Gelächter aus.
„Was fällt Ihnen ein, Mademoiselle de La Vallière?“ rief die Königinmutter. „Mißfallen können mir nur Leute, über die ich mir Gedanken mache. An Sie denke ich nur, weil man mir etwas zuviel von Ihnen spricht. Ich habe es nicht gern, wenn die Ehrendamen meines Hofes ins Gerede kommen.“ — „Eure Majestät hat mir bereits die Ehre erwiesen, mir das zu sagen, aber ich weiß nicht, warum man sich mit mir beschäftigt.“
„Nun, ich will es Ihnen sagen. Herr de Guiche hat Sie verteidigt. Das ist sehr ritterlich, und Abenteuerinnen lieben es, wenn Kavaliere für sie eine Lanze einlegen, aber ich hasse Zweikämpfe und Abenteuer. Ziehen Sie eine Lehre daraus.“
Louise sah Madame an, die ihr ins Gesicht lachte. Eine Regung des Stolzes steifte den Rücken des jungen Mädchens.
„Ich habe gefragt, welches Verbrechen man mir vorwirft“, sagte sie, „und Eure Majestät verurteilt mich, bevor man mir Zeit gegeben hat, mich zu rechtfertigen.“ — „Schöne Redensarten“, rief Anna von Österreich. „Sehen Sie nur, Madame, welche edlen Gefühle! Dieses Mädchen tut wie eine Infantin, ein wahres Füllhorn heroischer Formeln. Man sieht wohl, welche Geisteskräfte der Umgang mit gekrönten Häuptern entwickelt.“
La Vallière wurde totenblaß.
„Ich wollte Ihnen nur sagen“, begann die Königin wieder, „daß Sie, wenn Sie fortfahren, solche Gefühle zu nähren und Frauen zu beschämen, daß wir uns Ihrer schämen werden. Werden Sie wieder einfach, Mademoiselle! Übrigens, ich höre, Sie sind verlobt? Antworten Sie doch, wenn man Sie fragt.“ — „Ja, Madame, mit dem Vicomte de Bragelonne.“ — „Das ist ein großes Glück für Sie, Mademoiselle, denn ohne Vermögen, ohne Stellung, ohne nennenswerte persönliche Vorzüge, wie Sie sind, müssen Sie den Himmel segnen, daß er Ihnen soviel versprochen hat.“
Louise antwortete nicht.
„Wo ist der Vicomte de Bragelonne?“ fragte die Königin. — „In England“, erklärte Madame, „wo ihn das Gerücht von den Erfolgen Mademoiselles gewiß erreichen wird.“ —
„Schön, Mademoiselle“, rief Anna von Österreich, „man wird den jungen Mann zurückrufen und Sie mit ihm irgendwohin schicken. Wenn Sie anderer Ansicht sein sollten… junge Mädchen haben ja oft seltsame Pläne… dann hüten Sie sich vor mir! Ich bringe Sie schon wieder auf den rechten Weg! Ich habe noch andere Mädchen als Sie kuriert. Ich schicke Sie allein in die Provinz, wo Sie Gelegenheit haben, sich alles reiflich zu überlegen. Ich nehme an, Sie haben mich verstanden?“ — „Madame, ich bin alles dessen unfähig, was Eure Majestät mir unterstellt. Ich liebe und achte Eure Majestät so sehr!“ — „Das fehlte gerade noch, daß Sie mich nicht achten!“ rief die Königin mit kaltem Hohn. „Keine Komödie, wenn Sie nicht wollen, daß ich für einen tragischen Schluß sorge. Gehen Sie jetzt, und mag die Lektion Ihnen frommen.“ — „Madame“, wandte sich Louise an die Herzogin von Orléans, „bitten Sie doch für mich! Sie waren immer so gütig zu mir.“ — „Mademoiselle, das kann doch nicht Ihr Ernst sein“, erwiderte Madame Henriette schadenfroh.
Statt zusammenzubrechen, wie die beiden Fürstinnen wohl erwarteten, wurde Louise plötzlich ruhig. Sie verneigte sich tief und ging.
„Nun“, fragte Anna von Österreich Madame, „glauben Sie, daß sie es noch einmal versuchen wird?“
„Ich bin mißtrauisch gegen die sanften, geduldigen Charaktere.“ „Ich stehe Ihnen dafür, daß sie es sich wohl überlegen wird, den Gott Mars noch einmal anzuschauen.“
Ihres Sieges sicher, kehrten die beiden Damen zu Maria Theresia zurück.
Es war halb sieben Uhr abends. Der König hatte gespeist. Danach nahm er Saint-Aignan am Arm und befahl ihm, ihn zur La Vallière zu begleiten.
„Sire“, meinte der Zeremonienmeister, „die Wohnung der Damen ist eine Laterne: Man sieht jeden ein- und ausgehen. Mir scheint, daß ein Vorwand… wenn Eure Majestät zum Beispiel warten wollte, bis Madame wieder in ihren Gemächern ist
„Schluß mit diesen Vorwänden und Geheimnissen! Ich wüßte nicht, wieso der König von Frankreich sich entehrt, wenn er sich mit einem jungen Mädchen von Geist unterhält. Schande über jeden, der schlecht davon denkt!“ — „Sire, Eure Majestät wird mir meinen Übereifer verzeihen. Und die Königin, Sire?“ — „Ja, ich will, daß die Königin immer berücksichtigt wird. Heute will ich noch einmal so zu La Vallière gehen. Von morgen ab will ich alle Vorwände annehmen, die du ausfindig machst, nur heute habe ich keine Zeit, welche zu ersinnen.“ Saint-Aignan wandte nichts mehr ein.
An der Tür des Zimmers der Ehrendamen wollte er sich zurückziehen, denn er scheute den Haß der Königinnen, aber Ludwig hielt ihn zurück. Er mußte ihm zu Louise folgen.
Als der Monarch eintrat, trocknete das junge Mädchen hastig ihre Tränen. Teilnahmsvoll drang er in sie, ihm zu sagen, warum sie geweint habe. „Oh, es ist nichts, Sire!“ — „Doch, Sie haben geweint. Sehen Sie nur, Saint-Aignan, ob ich mich täusche!“ — „Das kommt vom Staub während der Fahrt.“
Saint-Aignan war in großer Verlegenheit.
„Nein, Louise, Sie meiden meinen Blick“, fuhr der König fort. „Was gibt es denn? Hat man Sie beleidigt?“ — „Nein, Sire, niemand hat mich beleidigt.“ — „Noch heute morgen waren Sie so fröhlich und verträumt zugleich! Ein solcher Stimmungswechsel ist unerklärlich.“
Der König stampfte mit dem Fuß auf. Mißtrauisch blickte er um sich. Da streifte sein Blick ein Miniaturbildnis von Athos, das im Zimmer hing. Die Ähnlichkeit mit Bragelonne fiel dem König auf, denn Athos glich sehr seinem Sohn. Plötzlich erinnerte er sich, daß Athos ihn für Raoul um die Hand der La Vallière gebeten hatte. Er stellte sich vor, Louise habe bei ihrer Rückkehr nach Paris Nachrichten aus London vorgefunden. Schon war seine Eifersucht erwacht. Ihre Tränen, die ihm eben noch Mitleid eingeflößt hatten, empörten ihn. Er vertrug keinen Widerstand, auch nicht den der Seufzer.
Seine Worte wurden hart und verletzend. Er begann Louise zu beschuldigen. Mademoiselle de La Vallière versuchte nicht einmal sich zu verteidigen. Nur mit einem Kopfschütteln antwortete sie auf alle Verdächtigungen. Sie konnte nicht antworten, denn sonst mußte sie alles sagen und die Königinmutter ebenso wie Madame anklagen. Sie schwieg also und beschränkte sich darauf, zu weinen und ihr Gesicht in den Händen zu verbergen.
Übrigens sekundierte ihm Saint-Aignan. Der Höfling witterte einen Stimmungswechsel, er ahnte die Macht der drei gegen Louise vereinigten Prinzessinnen, und er war nicht Kavalier genug, um sich in den Sturz der La Vallière hineinziehen zu lassen. Darum antwortete er auf die Fragen, die der König an ihn stellte, nur mit halben Worten und kurzen Gesten.
Der König wurde immer erregter. Empört ging er im Zimmer auf und ab. „Ein letztes Mal, Mademoiselle“, rief er, „wollen Sie sprechen? Wollen Sie mir die Ursache dieses plötzlichen Stimmungswechsels erklären?“ — „Mein Gott, was soll ich Ihnen sagen?“ murmelte La Vallière. „Sie sehen doch, Sire, daß ich in diesem Augenblick fassungslos bin.“ — „Ist es denn so schwer, die Wahrheit zu sagen?“ — „Welche Wahrheit?“ — Wirklich war Louise einen Augenblick versucht, die Wahrheit zu bekennen, aber ihre Stimme versagte und ihr Arm fiel herab.
„Oh“, rief der König, „das ist mehr als Koketterie und Laune, das ist Treulosigkeit.“
Und diesmal ließ er sich von keiner Regung seines Herzens zurückhalten und eilte aus dem Zimmer.
Auf der Treppe blieb er stehen und klammerte sich an das Geländer. „Siehst du“, sagte er zu Saint-Aignan, „man hat ein unwürdiges Spiel mit mir getrieben.“ — „Wieso, Sire?“
„Guiche hat sich wegen Bragelonne geschlagen. Sie liebt diesen Bragelonne noch immer! Wahrhaftig, Saint-Aignan, wenn in drei Tagen noch ein Atom von dieser Liebe in meinem Herzen lebendig ist, will ich vor Scham sterben!“
„Ich habe es Eurer Majestät immer gesagt“, murmelte Saint-Aignan, und spähte dabei ängstlich nach den Fenstern hinüber. Ein Vorhang hob sich, und dahinter zeigte sich Madame. Sie hatte den König aus der Wohnung ihrer Ehrendame kommen sehen. Sie eilte sogleich die Treppe hinauf nach den Gemächern, die der König eben verlassen hatte.
Die La Vallière sah dem König nach und hob die Arme, als wollte sie ihm nacheilen und ihn zurückhalten. Aber der Klang seiner Schritte verlor sich im hallenden Korridor. Kraftlos sank sie vor dem Kruzifix nieder. Da blieb sie gebrochen und von ihrem Schmerz überwältigt liegen, unfähig, sich zu vergegenwärtigen, was eigentlich geschehen war. Die Tür ging auf — sie hörte es wohl, aber sie sah nicht danach. Da schoß es ihr in den Kopf, es sei vielleicht der König, der zurückkehrte. Sie hob das in Tränen gebadete Gesicht.
Madame stand vor ihr. Doch was lag ihr an der Herzogin? Sie sank zurück und ließ das Haupt wieder auf den Betstuhl fallen.
„Mademoiselle“, sagte Madame zornig und aufgeregt, „es ist sehr schön, auf den Knien zu liegen und die Fromme zu spielen. Doch da Sie dem König des Himmels so sehr ergeben sind, so geziemt es sich auch, ein wenig den Willen der irdischen Fürsten zu achten.“ — La Vallière sah auf. Ihr starrer, fast unbewußter Blick bewies, daß sie kaum verstand, was zu ihr gesprochen wurde.
„Die Königinmutter hat Sie doch ermahnt, sich in acht zu nehmen, damit niemand Ursache fände, üble Gerüchte über Sie auszusprengen. Und jetzt ging schon wieder jemand von Ihnen fort, dessen Hiersein eine Ursache zu übler Nachrede ist. Da mein Haus das der ersten Prinzessin ist, darf es dem Hof kein schlechtes Beispiel geben. Das geschieht aber durch Ihr Verhalten. Ich erkläre Ihnen daher, Mademoiselle — ich sage es Ihnen ohne Zeugen, da ich Sie nicht öffentlich demütigen will —, Sie sind von dieser Stunde ab frei und können zu Ihrer Mutter nach Blois zurückkehren.“
La Vallière antwortete nicht; nur ein Schauer, der ihren ganzen Körper erzittern ließ, verriet, daß sie verstanden hatte. Madame ging hinaus.
Louise lag noch lange regungslos da; sie betete nicht einmal mehr. Allmählich kehrten die Gedanken zurück — sie begann zu begreifen, was geschehen war. Ein Strahl der Hoffnung schimmerte in die Nacht ihres Herzens, wie ein Strahl des Tageslichts in den Kerker des Verurteilten. Sie dachte an die Fahrt nach Paris, sie sah den König neben ihrem Wagen, sie hörte, wie er ihr süße Worte der Liebe und Treue zuflüsterte, sie fühlte seine Hand in der ihren und erinnerte sich des Gelübdes, das sie einander getan hatten. „Es soll nach einem Zerwürfnis keine Nacht verfließen, ohne daß wir einander aufsuchen oder uns durch Briefe verständigen!“ Es war ja nicht möglich, daß der König sein Versprechen nicht hielt, hatte er doch selbst ihr diesen Schwur abgerungen, wie ein Despot, der Liebe ebenso verlangt wie Gehorsam. Wenn er nicht kam, dann bewies er damit eben, daß er keine Liebe hatte, oder daß dieses erste Hindernis auf dem Weg ihn schon zur Umkehr bewog.
Er mußte also kommen! — Und so wartete das arme Kind mit bangender Seele, Stunde um Stunde. — Oh, wenn er käme, wie würde sie ihm entgegeneilen — wie würde sie alles vergessen über der Freude, ihn wiederzusehen, wie wollte sie ihm sagen: „Nicht ich bin es, die Sie nicht liebt — jene sind es, die mich hindern wollen, Sie zu lieben!“ — Wenn sie in Ruhe nachsann, mußte sie sich sagen, der König sei unschuldig. Er konnte nichts wissen. Wenn sie ihn in Gedanken beschuldigt hatte, an dem Komplott ihrer Feindinnen teilzuhaben, so war das unrecht von ihr. Ihr hartnäckiges Schweigen mußte ihn befremden. Ungeduldig, herrisch und reizbar wie er war, hatte er sich wirklich lange genug bemüht, sie zum Sprechen zu bewegen. Oh, wenn er nur käme, wie würde sie ihm beweisen, daß sie ihn liebte!
So verrann die Zeit, aber der König kam nicht. Nun hoffte sie wenigstens auf eine Nachricht. Er würde Saint-Aignan schicken, sagte sie sich, und sie würde auch ihm ihr Herz ausschütten. Und sie wartete. Selbst als es elf Uhr schlug, verlor sie die Hoffnung noch nicht; konnte doch bis Mitternacht noch immer ein Bote kommen. Doch die Stunde verrann — die Lichter im Schloß erloschen — und auch für das arme Mädchen erlosch das Licht der letzten Hoffnung. Der König hatte den Schwur gebrochen, den er am selben Tag erst geleistet hatte. Also liebte der König sie nicht mehr; der schöne Traum hatte jäh geendet. Ihre Herrin hatte sie verstoßen — schmählich hinausgewiesen, und doch war der König die einzige Ursache dieser Beschimpfung.
Ein bitteres Lächeln spielte um ihren Mund, die einzige Spur von Zorn, die sich während dieses langen Kampfes auf dem Engelsantlitz des Opfers zeigte. An wen sollte sie sich nun wenden, bei wem Zuflucht suchen, da der König der Erde sie verließ? Ihr blieb nur noch der König des Himmels! Und sie blickte auf das Kruzifix und murmelte: „Mein Gott, Du selbst schreibst mir vor, was ich zu tun habe. Du bist der Herr, der nimmer die Verlassenen und Vergessenen verläßt und vergißt. Dir will ich mich weihen.“ — Sie sank wieder vor dem Betstuhl nieder und legte den Kopf auf die Platte. So lag sie, bis der Tag dämmerte.
Beseelt von einem festen Entschluß stand sie auf, warf einen Mantel über und ging hinaus. Sie erreichte die Gartentür in dem Augenblick, als ein Posten der Schweizergarde eingelassen wurde. Sie schlüpfte hinaus, ehe noch der Patrouillenführer Zeit hatte, sich zu fragen, wer diese junge Dame sei, die so früh aus dem Palast entwich.
Da die Patrouille sich nach rechts wandte und den Weg durch die Rue Saint-Honoré einschlug, wählte La Vallière mechanisch den Weg zur Linken.
Ihr Entschluß stand fest, sie wollte zu den Karmeliterinnen von Chaillot gehen, deren Oberin im Ruf äußerster Strenge stand, daß die weltlichen Damen des Hofes selbst bei Nennung ihres Namens schauderten.
Louise kannte Paris nicht, sie war nie zu Fuß ausgegangen und hätte den Weg selbst in ruhigerer Geistesverfassung kaum gefunden. So kam es, daß sie der Rue Saint-Honoré in ihrem Anstieg folgte, statt abwärts zu gehen. Sie wollte sich nur rasch vom Palais Royal entfernen, und das gelang ihr schließlich. Sie hatte gehört, Chaillot habe die Aussicht nach der Seine, darum wandte sie sich nach dem Fluß.
Sie wählte die Rue du Coq, und da sie keine Erlaubnis hatte, den Louvre zu durchqueren, folgte sie jener Front, an der Perrault später seine Kolonnade bauen sollte.
Bald hatte sie die Quais erreicht.
Zu einer anderen Stunde des Tages hätte sie wohl sogar Spaziergänger, die nicht gerade neugierig waren, aufmerksam gemacht, aber um halb drei Uhr morgens sind die Straßen von Paris menschenleer, man begegnet nur Handwerkern, die zur Arbeit gehen, oder Müßiggängern, die nach einer verbummelten Nacht nach Hause streben.
La Vallière hatte Angst vor all diesen Gesichtern, denn sie kannte die Pariser so wenig, daß sie die einzelnen Typen kaum voneinander unterscheiden konnte. Das Elend flößte ihr Schrecken ein, und alle Menschen, denen sie begegnete, schienen ihr elend.
So erreichte Louise den Quai auf der Höhe des Greveplatzes. Zuweilen hielt sie an, legte ihre Hand aufs Herz, schöpfte Atem und lief wieder weiter.
Auf dem Grèveplatz begegnete sie drei Betrunkenen, die taumelnd von einem Lastkahn ans Ufer stiegen. Der Kahn führte Weinfässer, und die drei schienen seiner Ladung wacker zugesprochen zu haben.
Louise blieb stehen.
Auch die drei Männer machten halt, nahmen einander wie auf Verabredung an den Händen und umringten Louise, indem sie sangen:
„Mädchen, langweilst dich allein, sollst lieber mit uns lustig sein!“
Louise unternahm einen vergeblichen Fluchtversuch. Erschrocken schrie sie auf. Im selben Augenblick sah sie, wie ihre Bedränger von ihr abließen. Einer flog nach links, einer nach rechts, der dritte taumelte zurück. Ein Musketieroffizier stand drohend dem jungen Mädchen gegenüber.
Die Betrunkenen hatten von der Uniform und zumal von dem Kraftbeweis, den sie erhalten, einen tiefen Eindruck empfangen. Sie zogen sich zurück.
„Mordious!“ rief der Offizier, „das ist ja Mademoiselle de La Vallière!“
Erschrocken blickte sie auf, als sie ihren Namen hörte, und erkannte d’Artagnan.
„Ja, ich bin es“, sagte sie, „nicht wahr, Sie werden mich beschützen, Herr d’Artagnan?“ — „Natürlich werde ich das tun. Aber wohin gehen Sie nur um diese Zeit?“ — „Nach Chaillot.“ — „Da gehen Sie allerdings in entgegengesetzter Richtung.“ — „Dann bringen Sie mich doch auf den rechten Weg. Es war wirklich eine Gnade des Himmels, daß Sie zur Stelle waren, um mir zu helfen.“ — „Ja, Mademoiselle, ich besitze ein Haus am Grèveplatz. Ich habe gestern die Miete kassiert und bin dann dort geblieben. Jetzt wollte ich ins Palais, um meine Posten zu inspizieren.“
Er hatte ihr den Arm gereicht und fühlte, daß der ihre zitterte. Er schlug ihr vor, ein wenig auszuruhen, aber sie lehnte ab.
„Sie wissen wohl nicht, wo Chaillot ist?“ fragte er. „Sie haben noch eine gute Meile bis dorthin. Zu wem wollen Sie überhaupt?“
„Zu den Karmeliterinnen. Und da Gott Sie mir gesandt hat, um mir auf dem Weg ein Beschützer zu sein, empfangen Sie meinen Dank und nehmen Sie zugleich Abschied von mir.“ — „Abschied? Wollen Sie denn ins Kloster gehen? Sie, die Sie mit Raoul glücklich, mit dem König mächtig werden könnten, Sie wollen ins Kloster?“
„Ja. Ich entsage der Welt. Sie kennen nun meinen Entschluß und mein Ziel. Ich habe Sie nur noch um eine Gunst zu bitten. Der König weiß nichts von meiner Flucht, er weiß auch nicht, wohin ich mich wende. Seien Sie unbesorgt, mein Schritt ist wohlüberlegt, und es wäre jetzt auch zu spät, von meinem Entschluß abzukommen. Schwören Sie mir, Herr d’Artagnan, daß Sie dem König nichts sagen werden.“
Der Gascogner schüttelte den Kopf.
„Das werde ich ganz gewiß nicht beschwören.“ — „Und warum nicht?“ fragte Louise trostlos. — „Weil ich den König kenne, weil ich Sie, mich und die ganze Menschheit kenne.“ — „Dann werde ich Sie verfluchen“, rief La Vallière mit einer Energie, deren er sie nicht für fähig gehalten hätte, „ich, die ich Sie sonst bis an das Ende meiner Tage gesegnet hätte. Denn Sie machen mich zum elendsten, unglücklichsten aller Geschöpfe.“ —
D’Artagnan erkannte den furchtbaren Ernst, der aus ihren Worten sprach und gab seinen Widerstand auf.
„Mag es also geschehen, wie Sie verlangen“, entschied er. „Seien Sie unbesorgt, Mademoiselle, ich werde dem König nichts sagen.“ — „Dank, tausend Dank! Sie sind der großherzigste Mensch!“
In freudiger Aufwallung ergriff sie seine Hände. Dann machte sie sich wieder auf den Weg. Nach einer knappen Stunde konnte sie im Schein der aufgehenden Sonne das Kloster der Karmeliterinnen erkennen.
D’Artagnan folgte ihr in einigem Abstand.
Die Klosterpforte war bald geöffnet. Bevor Louise wie ein Schatten in das Dunkel des Korridors glitt, dankte sie d’Artagnan noch einmal mit einer Gebärde.
Weiß Gott, dachte der Gascogner, da bin ich in eine heikle Geschichte verwickelt. Ein solches Geheimnis bewahren, heißt eine glühende Kohle in der Tasche tragen und hoffen, daß der Stoff nicht anbrennt. Das Geheimnis nicht halten, nachdem man es beschworen hat, ist ehrlos. Die guten Ideen bekommt man, wie es heißt, im Gehen, aber diesmal werde ich, wenn ich mich nicht sehr täusche, verdammt weit laufen müssen, bis ich eine Lösung des Problems finde. Und wohin soll ich gehen? Nun, nach Paris, das ist immer am besten. Schade nur, daß ich für den Augenblick bloß über zwei Beine verfüge. Ein Pferd, ein Königreich für ein Pferd — das habe ich doch in einem Londoner Theater sagen hören! Gut, ich gebe mein Königreich für ein Pferd, das wäre noch nicht zu teuer. Übrigens am Stadttor ist ein Posten der Musketiere, dort bekomme ich statt des einen Rosses, das ich brauche, deren zehn.
D’Artagnan ging zu dem Musketierposten am Stadttor, nahm das beste Pferd und war binnen zehn Minuten im Palais.
Es schlug gerade fünf Uhr.
D’Artagnan erkundigte sich sofort nach dem König. Er war, wie es hieß, zur gewohnten Zeit schlafen gegangen, nachdem er mit Herrn Colbert gearbeitet hatte, und schlief wahrscheinlich noch jetzt.
Sie hat mir also doch die Wahrheit gesagt, stellte d’Artagnan fest, der König weiß nichts. Hätte er nur eine Ahnung davon, ginge hier jetzt alles drunter und drüber.
Nachdem der König das Zimmer der Ehrendamen verlassen hatte, war er in sein Arbeitszimmer zurückgekehrt, wo ihn Colbert bereits erwartete.
Es handelte sich um den Empfang des holländischen und spanischen Botschafters, der für den nächsten Morgen angesetzt war.
Ludwig XIV. hatte gewichtige Gründe, mit den Holländern unzufrieden zu sein. Die Vereinigten Provinzen hatten in ihren Beziehungen zu Frankreich viele Winkelzüge gebraucht, und erst jetzt wieder hatten sie, ohne die Gefahr eines offenen Bruches zu erkennen oder sich darüber zu beunruhigen, das Bündnis mit dem Allerchristlichsten König aufs Spiel gesetzt, um mit den Spaniern zu intrigieren.
Ludwig XIV. hatte bei seiner Thronbesteigung, oder genauer gesagt, nach dem Tod Mazarins, diese politische Konservation bereits fertig vorgefunden. Das Problem war für einen jungen Mann nicht leicht zu lösen, aber da zu jener Zeit der König wirklich die Nation darstellte, konnte er sich wenigstens darauf verlassen, daß die Armee nicht den Dienst verweigern würde, wenn der Kopf einen Befehl erteilt. Ein leichter Zornausbruch, eine jugendliche, allzu lebhafte Regung konnte genügen, um mit bewährten politischen Traditionen zu brechen und plötzlich einen neuen Kurs einzuschlagen. Zu jener Zeit beschränkte sich die Aufgabe der Diplomaten darauf, untereinander die Gegebenheiten herbeizuführen, deren die Souveräne bedurften.
Ludwig XIV. war gewiß in diesem Augenblick nicht in der geeigneten Gemütsverfassung, um wohldurchdachte Entschlüsse zu fassen. Noch von der Szene mit La Vallière erregt, ging er hastig in seinem Arbeitszimmer auf und ab und sehnte sich nur nach einer Gelegenheit, seinem verhaltenen Zorn Luft zu machen.
Colbert überblickte sofort die Lage, erkannte die Absichten des Monarchen und beschloß zu lavieren.
Als sein Herr fragte, was morgen geschehen sollte, begann der Unterintendant damit, daß er seine Verwunderung bekundete; es war seltsam, daß Seine Majestät nicht von Fouquet auf dem laufenden gehalten wurde.
„Herr Fouquet“, sagte Colbert, „kennt den Gang der holländischen Geschäfte genau, die ganze Korrespondenz geht durch seine Hände.“
Der König war an die Ausfälle Colberts gegen den Oberintendanten gewöhnt, und so ließ er diese Bemerkung unbeantwortet.
„Allerdings“, bemerkte Colbert, „ist Herr Fouquet augenblicklich wohl kaum in der Lage, sich viel mit diesen Dingen zu beschäftigen, da andere Sorgen ihn in Anspruch nehmen.“
„Wieso andere Sorgen?“ fragte der König und blickte auf.
„Sire, die Menschen sind eben nur Menschen, und auch Herr Fouquet hat neben seinen unverkennbaren Vorzügen auch Schwächen und Fehler.“
„Schwächen, die mir fehlen, Herr Colbert? Wer hat keine?“
„Auch Eure Majestät hat welche“, sagte Colbert entschlossen, der geschickt einen Tadel in eine Schmeichelei umzubiegen wußte, „so wie der Pfeil trotz seines Gewichts durch die Luft schwirrt — gerade dank dieser leichten Federn, die ihn tragen.“
Der König lächelte.
„Welchen Fehler hat denn Fouquet?“ fragte er. — „Es ist immer dasselbe, Sire. Er soll wieder einmal verliebt sein.“ — „In wen denn?“ — „Ich kann es selbst nicht genau sagen, Sire. Ich kümmere mich wenig um galante Angelegenheiten, wie alle Welt weiß.“ — „Aber etwas wissen Sie ja doch davon, da Sie darüber sprechen.“ — „Ich habe in diesem Zusammenhang einen Namen gehört… es war, wenn ich mich recht erinnere, der einer Ehrendame Madames.“
Der König zuckte zusammen.
„Sie wissen mehr, als Sie sagen wollen, Colbert“, murmelte er. — „Gewiß nicht, Sire.“ — „Aber man kennt die Namen dieser Ehrendamen, und wenn ich sie Ihnen nenne, werden Sie wohl den richtigen herausfinden?“ — „Nein, Sire.“ — „Versuchen Sie es doch wenigstens!“ —
„Es wäre vergeblich, Sire. Wenn es sich um den Namen einer kompromittierten Dame handelt, ist mein Gedächtnis eine eherne Kassette, deren Schlüssel ich verloren habe.“
Eine Wolke glitt über die Stirn des Königs, dann schüttelte er den Kopf.
„Wie steht es also mit dieser holländischen Sache?“ — „Zunächst, wann geruht Eure Majestät die Botschafter zu empfangen?“ — „Am frühen Morgen.“ — „Um elf Uhr?“ — „Das ist zu spät. Sagen wir um neun. Freunde kann man behandeln wie man will, hat man aber Feinde vor sich, so ist es noch bequemer. Mögen sie sich ärgern. Ich wäre heilfroh, wenn ich all diese Sumpfvögel los wäre, die mich mit ihrem Geschrei nur verletzen.“ — „Gut, Sire, um neun Uhr. Ich gebe die entsprechenden Befehle. Feierliche Audienz?“ — „Nein, ich will mich mit den Leuten aussprechen und die Lage nicht noch mehr verschlimmern, wie das immer geschieht, wenn viele Leute dabei sind.“ — „Eure Majestät wird geruhen, die Personen zu bezeichnen, die dem Empfang beiwohnen sollen.“ — „Ich werde die Liste diktieren. Sprechen wir zunächst von den Gesandten. Was wollen sie?“ — „Wenn die Holländer sich mit Spanien verbünden, gewinnen sie nichts, verbünden sie sich aber mit Frankreich, so verlieren sie viel.“ — „Wie das?“ — „Verbünden sie sich mit Spanien, so haben sie die Gebiete ihres Alliierten vor den Toren. Von Antwerpen nach Rotterdam ist, rückt man an der Schelde oder an der Maas vor, nur ein Katzensprung. Wenn sie in den spanischen Kuchen beißen wollen, werden Sie, Sire, der Sie doch der Schwiegersohn des spanischen Königs sind, binnen zwei Tagen mit Ihrer Kavallerie in Brüssel sein. Die beste Politik für Holland ist also, die Spanier gegen Sie mißtrauisch zu machen.“
„Wäre es nicht einfacher für sie, ein offenes Bündnis mit mir zu schließen, durch das ich etwas gewönne, sie aber alles erhielten?“ „Nein, denn so bekämen sie Eure Majestät zum Nachbarn, und ein junger, kriegerischer König von Frankreich ist kein bequemer Nachbar, er kann Holland furchtbare Streiche spielen.“ — „Gut erklärt. Aber was schließen Sie daraus? Was werden die Botschafter sagen?“ — „Sie werden Eurer Majestät sagen, daß sie dieses Bündnis sehr wünschen, und das wird eine Lüge sein. Sie werden den Spaniern sagen, daß die drei Mächte sich gegen den Aufschwung verbünden müssen, den England nimmt, und das wird ebenfalls eine Lüge sein, denn der natürliche Verbündete Eurer Majestät ist England, das über die Schiffe verfügt, die Ihnen fehlen, England, das in Indien den Holländern Schach bietet, England, dieses monarchische Land, mit dessen Dynastie Eure Majestät durch Bande des Blutes verbunden ist.“
„Gut. Was würden Sie antworten?“ — „Ich würde antworten, Sire, daß Holland für den König von Frankreich als Verbündeter noch nicht ganz reif scheint, daß gewisse Symptome die Stimmung des holländischen Volkes in ungünstiges Licht setzen, daß gewisse Medaillen geprägt worden sind, deren Devisen den König von Frankreich beleidigen mußten.“
„Mich beleidigen?“
„Verzeihung, Sire, ich habe mich nicht richtig ausgedrückt. Ich wollte sagen: Medaillen, die für die Bataver allzu schmeichelhaft waren.“
„Ach, was liegt mir an dem Stolz der Bataver!“ sagte der König seufzend.
„Eure Majestät hat vollkommen recht, aber es ist nie eine falsche Politik, ungerecht zu sein, um Zugeständnisse zu erlangen. Wenn Eure Majestät sich empfindlich zeigt, wird man spüren, daß man die Rechnung nicht ohne Sie machen kann.“
„Gut, ich werde das Wort Medaille fallen lassen, mögen sie es verstehen, wie sie wollen.“
„Sie werden es schon richtig verstehen. Eure Majestät kann auch ein Wort über gewisse Pamphlete, die im Umlauf sind, fallen lassen.“ „Niemals! Pamphlete beschmutzen die Leute, die sie geschrieben haben, mehr als jene, gegen die sie sich richten. Ich danke Ihnen, Herr Colbert, Sie können sich zurückziehen.“
„Sire, ich erwarte noch die Liste.“
„Richtig.“
Der König begann zu träumen. Er dachte an ganz andere Dinge als an diese Liste. Es schlug halb zwölf. Ludwig focht einen Kampf zwischen Stolz und Leidenschaft aus. Das politische Gespräch hatte seine Erbitterung stark gedämpft, und Louises blasses Gesicht schien ihm jetzt eine andere Sprache zu reden, als jene holländischen Medaillen und batavischen Pamphlete.
Zehn Minuten überlegte er, ob er nicht doch zu La Vallière zurückkehren sollte. Plötzlich erinnerte er sich Colberts und errötete. Er hatte an Liebesdinge gedacht, während doch die Geschäfte drängten.
Sofort begann er die Liste zu diktieren.
„Die Königinmutter, die Königin, Madame… Madame de Motteville… Mademoiselle de Chatillons… Madame de Navailles. Männer: Monsieur, der Herr Prinz… Gramont… Manicamp… de Saint-Aignan… und die Offiziere vom Dienst.“
„Und die Minister?“
„Natürlich, die Minister und die Staatssekretäre.“
„Sire, ich werde alles vorbereiten. Die Befehle werden morgen früh in allen Häusern sein.“
„Sagen Sie ruhig heute“, antwortete Ludwig traurig.
In der Tat schlug es gerade Mitternacht. Es war die Stunde, da die arme La Vallière vor Schmerz und Kummer verging. Die Königin wartete seit einer Stunde. Er begab sich seufzend zu ihr, aber dabei beglückwünschte er sich zu seinem Mut. Er rühmte sich, in der Liebe ebenso fest und sicher zu sein wie in der Politik.
D’Artagnan hatte bereits alles erfahren, was sich ereignet hatte, denn er hatte Freunde und vertraute Spitzel, die ihm bereitwillig alles zutrugen, was die Höflinge im Vorzimmer geflüstert hatten. So erfuhr er auch sofort von der Besprechung zwischen dem König und Colbert, hörte, daß die Botschafter heute morgen empfangen würden, und daß von den Medaillen die Rede sein würde. Ohne seine Phantasie zu überanstrengen, rekonstruierte er das Gespräch, das stattgefunden hatte, und begab sich dann auf seinen Posten.
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