Die Eissphinx - Jules Verne. - E-Book

Die Eissphinx E-Book

Jules Verne.

0,0

Beschreibung

Dies ist die illustrierte Version dieses Klassikers. Ein phantastischer Roman von Jules Verne um Geheimnisse und Überleben auf einer Insel in der Südsee.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 613

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Drittes Capitel. Der Kapitän Len Guy.

Ich schlief ziemlich schlecht. Mehrmals »träumte ich, daß ich träumte«, Edgar Poe hat übrigens schon beobachtet, daß man, wenn man zu träumen vermuthet, meist gleich aufwacht.

Ich erwachte also, und zwar ziemlich mißgestimmt gegen den Kapitän Len Guy. Der Gedanke, mich bei ihrer Abfahrt auf der »Halbrane« einzuschiffen, hatte sich in meinem Kopfe nun einmal festgesetzt. Meister Atkins hatte mir ja gerade dieses Schiff, das Christmas-Harbour alljährlich als das erste anlief, ganz besonders empfohlen. Die Tage und die Stunden zählend, hatte ich mich im Geiste schon so oft an Bord dieser Goëlette gesehen, während sie, draußen vor dem Archipel den Vordersteven nach Westen gewendet, der amerikanischen Küste zusteuerte. Mein Gastwirth setzte keinen Zweifel in das Entgegenkommen des Kapitän Len Guy, das ja eigentlich in seinem Interesse lag. Es kommt sonst fast nie vor, daß ein Handelsschiff die Aufnahme eines Passagiers verweigert, wenn es dadurch nicht gezwungen wird, von seinem Reisewege abzuweichen und jener die Mitfahrt gut bezahlt. – Wer hätte auch etwas anderes glauben sollen?...

Allmählich ergrimmte ich wirklich gegen den ungefälligen Mann. Die Galle lief mir über und meine Nerven singen an, sich zu spannen. Hier stellte sich mir ein Hinderniß in den Weg, vor dem ich mich aufbäumte.

Bei meiner fieberhaften Erregung hatte ich eine sehr schlechte Nacht und fand erst gegen Tagesanbruch einige Ruhe.

Uebrigens blieb ich entschlossen, mich mit dem Kapitän über sein beklagenswerthes Benehmen gegen mich auseinanderzusetzen. Vielleicht richtete ich bei diesem Stacheligel gar nichts aus, mindestens aber sollte ausgesprochen sein, was ich auf dem Herzen hatte.

Meister Atkins hatte sich im Gespräche mit jenem nur die schon erwähnte Antwort geholt. Ob der gefällige Hurliguerly, der es so dringlich zu haben schien, mir seinen Einfluß und seine Dienste anzubieten, es auch gewagt hatte, sein Versprechen zu halten, wußte ich nicht, da er mir noch nicht wieder zu Gesicht gekommen war. Jedenfalls würde er auch nicht glücklicher gewesen sein, als der Wirth vom »Grünen Cormoran«.

Gegen acht Uhr früh ging ich aus. Es war abscheulich draußen, das reine Hundewetter, wie man zu sagen pflegt. Regen mit Schnee vermengt, der über die im Westen gelegenen Berge herübertobte, während aus den niederen Schichten Wolkenmassen herunterwirbelten – eine richtige Lawine aus Luft und Wasser. Daß der Kapitän Len Guy jetzt ans Land gegangen wäre, um bis auf die Knochen naß zu werden, war nicht anzunehmen.

In der That befand sich keine Seele auf dem Quai. Einige Fischerboote mochten den Hafen schon vor dem Unwetter verlassen haben und hatten jetzt wahrscheinlich in einer der vielen kleinen Buchten, die gegen Wasser und Wind geschützt waren, Unterkommen gesucht. Um an Bord der »Halbrane« zu gelangen, hätte ich eines ihrer Boote herüberrufen müssen, und der Hochbootsmann würde es schwerlich auf sich genommen haben, ein solches zu senden.

»Uebrigens – so dachte ich – auf dem Deck seiner Goëlette ist der Kapitän bei sich zu Hause, und für das, was ich ihm antworten möchte, wenn er bei seiner unhöflichen Weigerung beharrt, eignet sich ein neutrales Gebiet entschieden besser. Ich werde von meinem Fenster aus nach ihm ausschauen, und wenn sein Gig ihn am Quai landet, soll er mir nicht wieder entgehen!«

Nach dem »Grünen Cormoran« zurückgekehrt, nahm ich hinter einer von Wasser überrieselten Fensterscheibe Platz, deren Beschlag an der Innenseite ich abgewischt hatte, und kümmerte mich nicht weiter um den Sturmwind, der sich im Schornstein fing und die Asche aus dem Kamine trieb.

Hier wartete ich... nervös, ungeduldig, an meiner Trense nagend und in immer zunehmender Erregung.

So verflossen zwei Stunden, und wie das bei der Unbeständigkeit der Winde an den Kerguelen vorkommt: das Wetter beruhigte sich eher, als ich mich fassen lernte.

Gegen elf überwogen schon die hohen Wolken aus dem Osten und der Sturm schlief jenseits der Berge langsam ein.

Ich öffnete das Fenster.

In diesem Augenblicke wurde ein Boot der »Halbrane« zum Niederlassen zurecht gemacht. Ein Matrose stieg hinein und ergriff allein zwei Riemen, während ein Mann sich im Hintertheil niedersetzte, ohne die Ruderpinne anzufassen. Zwischen dem Schooner und dem Quai lag nur eine Strecke von fünfzig Toisen. Das Gig legte an, der Mann sprang ans Land.

Es war der Kapitän Len Guy.

Binnen wenigen Secunden hatte ich die Schwelle des Gasthauses überschritten und stand sehr bald vor dem Kapitän, der eine Begegnung mit mir, so wenig ihm daran gelegen schien, doch nicht zu vereiteln wußte.

»Herr Kapitän...« begann ich trockenen und kalten Tones, so kalten, wie die Luft, seit der Wind nach Osten umgesprungen war.

Der Kapitän Len Guy sah mich fest an, ich wurde aber betroffen durch den traurigen Ausdruck seiner nachtschwarzen Augen. Dann fragte er mit tiefer, nur flüsternder Stimme:

»Sie sind ein Fremder?

– Auf den Kerguelen... ja, gab ich zur Antwort.

– Von englischer Nationalität?...

– Nein... von amerikanischer.«

Er begrüßte mich mit leichter Verbeugung und ich that desgleichen.

»Herr Kapitän, fuhr ich dann fort, ich habe Ursache zu glauben, daß der Meister Atkins vom »Grünen Cormoran« Ihnen einen mich betreffenden Vorschlag unterbreitet hat. Dieser Vorschlag oder dieses Gesuch verdiente, meiner Meinung nach, wohl eine günstige Aufnahme bei einem...

– Der Vorschlag, auf meiner Goëlette mitzureisen?... unterbrach mich Kapitän Len Guy.

– Ganz richtig.

– Ich bedauere, mein Herr, diesem Wunsche nicht entsprechen zu können...

– Würden Sie mir auch mittheilen, warum?

– Weil ich nie gewöhnt war, Passagiere an Bord zu haben – das der erste Grund.

– Und der zweite, Herr Kapitän?

– Weil die Reiseroute der »Halbrane« nie im voraus bestimmt wird. Sie segelt nach dem einen Hafen oder geht nach einem anderen, wie ich das eben für vortheilhafter erachte. Lassen Sie sich gesagt sein, mein Herr, daß ich nicht im Dienste eines Rheders stehe. Die Goëlette ist zum größten Theil mein persönliches Eigenthum und ich habe für ihre Fahrten von niemand Segelordre zu empfangen.

– So hängt es also ausschließlich nur von Ihnen ab, mir die Mitfahrt zu gestatten.

– Gewiß; doch ich kann Ihnen zu meinem größten Bedauern nur eine abschlägige Antwort geben.

– Vielleicht ändern Sie Ihre Anschauung, Herr Kapitän, wenn ich Ihnen sage, daß es mir ganz gleichgiltig ist, wohin Ihre Goëlette geht. Es ist doch wohl anzunehmen, daß sie überhaupt irgendwohin segelt....

– Irgendwohin... ja freilich!«

Da schien es mir, als ob der Kapitän einen langen Blick nach dem südlichen Horizont hinaussendete.

»Nun, Herr Kapitän, nahm ich wieder das Wort, hier- oder dorthin zu gehen, gilt mir fast ganz gleich. Mich verlangt vor allem nur, von den Kerguelen mit der ersten, sich darbietenden Gelegenheit wegzukommen.«

Der Kapitän Len Guy erwiderte nichts, sondern blieb im Nachdenken versanken, ohne daß er sich jedoch von mir wegstehlen zu wollen schien.

»Sie erweisen mir wohl wenigstens die Ehre, mich anzuhören, Herr Kapitän? fragte ich in ziemlich lebhaftem Tone.

– Warum sollte ich das nicht, mein Herr!

– Nun, wenn ich mich nicht verhörte und die Reiseroute Ihrer Goëlette keine Veränderung erlitten hat, so hatten Sie die Absicht, von Christmas-Harbour nach Tristan d'Acunha zu segeln.

– Vielleicht nach Tristan d'Acunha... vielleicht nach dem Cap... oder nach den Falklandsinseln... vielleicht noch anderswohin....

– Schön, Kapitän Guy, eben »anderswohin« wollt' ich gelangen!« antwortete ich ironisch, mußte mich aber anstrengen, meine Erregung zurückzudämmen.

Da trat eine seltsame Aenderung in der Haltung des Kapitän Len Guy ein. Seine Stimme wurde härter. In kurzen, nicht mißzuverstehenden Worten sagte er mir, daß jedes weitere Drängen unnütz sei, daß unsere Verhandlung schon zu lange gedauert und er Eile habe, da ihn Geschäfte nach dem Hafencontor riefen, kurz, daß wir, und in hinreichender Weise, uns alles gesagt hätten, was wir einander zu sagen haben könnten.

Ich hatte den Arm ausgestreckt, um ihn zurückzuhalten – ihn zu packen, wäre das richtige Wort – und das schon zu Anfang nicht gut verlaufende Gespräch drohte dann ein noch schlimmeres Ende zu nehmen, als der sonderbare Mann sich noch einmal zu mir umdrehte und in weit milderem Tone sagte:

»Glauben Sie mir, mein Herr, daß es mir sehr unangenehm ist, Ihrem Wunsche nicht entsprechen zu können und gegen einen Amerikaner so wenig Gefälligkeit zeigen zu müssen. Ich kann mein Verhalten aber nicht ändern Während der Fahrt der »Halbrane« könnte sich der oder jener unvorhergesehene Zwischenfall ereignen, bei dem die Anwesenheit eines Passagiers – und auch eines so fügsamen wie Sie – störend wirken würde. Ich liefe damit Gefahr, nicht alle versprechenden Umstände, auf die ich immer ein Auge habe, ausnützen zu können.

– Ich habe es schon ausgesprochen und wiederhole Ihnen hiermit, Herr Kapitän, daß es mir, wenn ich auch nach Connecticut in Amerika zurückzukehren beabsichtige, doch ganz gleichgiltig ist, ob das in drei oder in sechs Monaten, auf dem einen oder einem anderen Wege geschieht, selbst wenn Ihre Goëlette bis in die Antarktischen Meere vordränge...

– In die Antarktischen Meere!« rief der Kapitän mit fast fragender Stimme und sein Blick schien mir ins Herz zu dringen, als ob er Spitzen hätte.

»Warum erwähnen Sie die Antarktischen Meere? begann er wieder, meine Hand ergreifend.

– O, ganz so, wie ich von den nördlichen Meeren, vom Nord- oder Südpole hätte reden können...«

Der Kapitän Len Guy antwortete nicht. Ich glaubte in seinen Augen eine Thräne schimmern zu sehen. Dann sagte er, einen anderen Gedankengang aufnehmend, als wollte er sich einer schmerzlichen Erinnerung entreißen:

»Ja, dieser Südpol, wer sollte sich dahin wagen...

– Ihn zu erreichen, ist freilich schwierig und wäre von keinem Nutzen erklärte ich. Zuweilen tauchen ja abenteuerlustige Charaktere auf, die sich in ein solches Unternehmen stürzen wollen...

– Ja... abenteuerlustige!... murmelte der Kapitän Len Guy.

– Doch, halt, fuhr ich fort, die Vereinigten Staaten machen eben noch einen solchen Versuch und zwar mit dem Geschwader Charles Wilkes', dem »Vancouver«, dem »Peacock«, der »Purpoise«, dem »Flying-Fish« und mehreren Begleitschiffen.

– Die Vereinigten Staaten, Herr Jeorling?... Sie behaupten, daß von der Bundesregierung eine Expedition nach den Antarktischen Meeren gesendet sei?

– Das ist Thatsache, und im vergangenen Jahre hörte ich, daß diese Expedition schon ausgelaufen sei. Jetzt ist seitdem ein Jahr verstrichen und es ist leicht möglich, daß der wagemuthige Wilkes schon weiter als andere Entdeckungsreisende vor ihm vorgedrungen wäre.«

Der Kapitän Len Guy war völlig stumm geworden und unterbrach sein unerklärliches Stillschweigen nur, um zu sagen:

»Sollte es Wilkes thatsächlich gelungen sein, den Polarkreis zu überschreiten und das Packeis zu durchbrechen, so wird er doch nicht höher hinaufdringen können...

– Als seine Vorgänger Bellingshausen, Forster, Kendall, Biscoe, Morrell, Kemps, Beleny... fiel ich ein.

– Und als... setzte der Kapitän Len Guy hinzu.

– Von wem wollen Sie noch sprechen?

– Sie sind aus Connecticut gebürtig, mein Herr? fragte er plötzlich.

– Aus Connecticut.

– Und dort woher?...

– Aus Providence.

– Keanen Sie die Insel Nantucket?

– Gewiß, von mehreren Besuchen derselben her.

– Dann wissen Sie, glaub' ich, auch, sagte der Kapitän Len Guy, mir scharf ins Auge sehend, daß Ihr Romandichter Edgar Poe seinen Helden Arthur Gordon Pym von dort herstammen läßt.

– Richtig, antwortete ich, dessen erinnere ich mich, der Anfang dieses Romans spielt auf der Insel Nantucket.

– Sie sagen, dieses Romans?... Bedienten Sie sich wirklich des Wortes »Romans«?

– Ohne Zweifel, Herr Kapitän!

– Ja, ja... Sie reden eben wie alle Welt. Doch entschuldigen Sie, mein Herr, ich kann nicht länger verweilen... Ich bedauere... aufrichtig... Glauben Sie, wenn es mir möglich gewesen wäre... doch glauben Sie nicht, daß eine weitere Erwägung meine Entscheidung über Ihren Vorschlag zu ändern vermöchte. Uebrigens werden Sie nur wenige Tage zu warten brauchen. Jetzt beginnt hier die Saison, wo Handelsschiffe und Walfänger in Christmas-Harbour erscheinen, und Sie haben dann die Wahl, sich auf dem einen oder dem anderen einzuschiffen, gleichzeitig mit der Gewißheit, dahin befördert zu werden, wohin Sie es wünschen. Ich bedauere lebhaft... und empfehle mich Ihnen!«

Mit diesen Worten zog sich der Kapitän Len Guy zurück und das Gespräch endete also ganz anders als ich gefürchtet hatte – in ziemlich höflicher, wenn auch förmlicher Weise.