Die Entstehung der Mafia - Jan Hoffmann - E-Book

Die Entstehung der Mafia E-Book

Jan Hoffmann

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Beschreibung

Diplomarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Soziologie - Recht und Kriminalität, Note: 1,7, Universität der Bundeswehr München, Neubiberg (Institut für Soziologie und Gesellschaftspolitik), Sprache: Deutsch, Abstract: Seit etwa anderthalb Jahrzehnten beginnt sich nicht nur die kultursoziologisch-ethnographische und die kriminologische Literatur, sondern auch die Sozialtheorie immer nachhaltiger für das Thema „Mafia“ zu interessieren, der es weniger um eine Bewertung des Phänomens „Mafia“ geht, als um eine Rekonstruktion der Umstände und Bedingungen, unter denen es durchaus lohnen und rational sein kann, sich als Nachfrager wie als Anbieter um die Bereit- und Sicherstellung mafiöser „Leistungen“ zu bemühen. Ihren theoretischen Durchbruch verdankte die wissenschaftliche Diskussion um die „Krake“ Mafia Diego Gambetta, der in einem vielbeachteten Buch über die „sizilianische Mafia“ von 1993 mit Nachdruck darauf hin wies, dass Mafiosi als (unternehmerische) Anbieter auf einem monopolartig zu organisierenden Markt für Schutzleistungen zu verstehen sind, die angesichts der Tatsache, dass Eigentumsrechte durch staatliche Instanzen (aus den verschiedensten Gründen) nicht gewährt und geschützt werden, auch dann (freiwillig) nachgefragt werden, wenn die Zahlung von Schutzgeldern und die damit verbundene Erhöhung der Transaktionskosten zu einer „Verteuerung“ der „Güterpreise“ führen und jeder einzelne Nachfrager nach Schutzleistungen sich besser stellen könnte, wenn er auf die Entrichtung von Mafiasteuern verzichten könnte. Tatsächlich ist dies aber keinem einzelnen Akteur möglich, mit der Folge, dass mafiöse Strukturen sich die Bedingungen ihrer Reproduktion immer wieder selbst beschaffen können, was den üblichen (überaus wohlmeinenden) „Counter insurgency“-Strategien jede Durchschlagskraft nimmt. Jan Hoffmans Arbeit schließt an diese Forschungstradition an und erarbeitet souverän und in höchst lesbarem Stil die Expansion der sizilianischen Mafia in den USA – vornehmlich in New York – heraus. Er diskutiert dabei in systematischer Weise die jeweiligen Entstehungsbedingungen, die immer dann günstig sind, wenn Schutzleistungen privat nachgefragt werden, weil sie als öffentliche Güter gerade nicht bereitgestellt werden. Um ein entsprechendes Schutzleistungsangebot zu machen, sind zugleich ganz spezifische Firmeneigenschaften erforderlich, die lebhaft geschildert werden und deren Darstellung theoretisch einsichtig macht, weshalb zum teil blutige Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Gewaltanbietern stattfinden bzw. warum zugleich immer wieder Versuche unternommen werden, Angebotskartelle zu bilden.

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Inhaltsverzeichnis

 

1.         Einleitung

2.         Die Sizilianische Mafia

2.1.  Die Entstehung der sizilianischen Mafia

2.1.1.       Sizilien

2.1.2.       Die Entwicklung der Mafia

2.1.3.       Wie die Mafia zu ihrem Namen kam

2.1.4.       Wie wird man ein Ehrenmann?

2.2.  Der Markt

2.2.1.       Der Mafiosi als „dritter Mann“

2.2.2.       Konkurrenz auf dem Markt

2.2.3.       Der regulierte Markt

2.3.  Die Struktur der Cosa Nostra

2.3.1.       Die Identität der Mafiosi

2.3.2.       Die interne Struktur

2.4.  Mafia als Unternehmen

2.4.1.       Mafiose Macht

2.4.2.       Mafia und Staat

3.         Die Mafia in den USA

3.1.  Die Entstehung der Mafia in den USA am Beispiel von New York

3.1.1.       Auswanderung aus Sizilien

3.1.2.       Integration in die „Neue Welt“ und Entstehung der Mafia

3.1.3.       Die Entwicklung und die Struktur der Cosa Nostra in New York

3.2.  Der Markt in den USA

3.2.1.       Betätigungsfelder der US-Mafia

3.2.2.       Probleme auf dem Markt

3.3.  Das Unternehmen Mafia in den USA

3.3.1.       Die Mafiose Macht in den USA

3.3.2.       Das Verhältnis zwischen Mafia und dem amerikanischen Staat

4.         Vergleich der mafiosen Komponenten auf beiden Kontinenten

4.1.  Die Entstehungshistorie

4.2.  Die Strukturen

4.3.  Die Märkte

4.4.  Das politische Umfeld

5.         Zusammenfassung

6.         Schlussfolgerungen

7.         Literaturverzeichnis

8.         Medienverzeichnis

9.         Abbildungsverzeichnis

1.                Einleitung

 

Der 16. Dezember 1985 war wieder einer dieser Tage, an dem die amerikanische Öffentlichkeit Zeuge davon wurde, mit welcher Aggressivität und Brutalität die Cosa Nostra ihren Vorhaben nachging:[1] Es war gegen 17.45 Uhr als Paul Castellano, der zeitweise mächtigste Gangster der Vereinigten Staaten, auf offener Straße zusammen mit seinem Fahrer, Leibwächter und Unterboss Thomas Bilotti erschossen wurde.

 

Diese Hinrichtung ist exemplarisch dafür, wie die Mafia mit Nachfolgefragen und internen Problemen umgeht. Paul Castellano trat nach dem Tod von Carlo Gambino dessen Nachfolge an der Spitze der Gambino-„Familie“ an. Dadurch stand dieser neun Jahre lang an der Spitze der Mafia-Pyramide, das heißt er war der Boss aller Bosse der Mafia. Seine Regierungszeit war gekennzeichnet durch Wohlstand für die Verbrecher und relative Stabilität des mafiosen Systems. Doch nun war seine Zeit gekommen. „Big Paul“ war mittlerweile 70 Jahre alt und erfreute sich nicht mehr bester Gesundheit. Er war müde, krank und manche meinten, er verliere langsam den Bezug zur Realität.

 

Als Mafia-Pate muss man gehasst werden, das wusste Castellano und es gehörte auch einfach dazu. Wurde man jedoch gehasst ohne gleichzeitig gefürchtet zu werden, wurde es gefährlich. Die Furcht vor ihm war nach wie vor vorhanden, doch hatte sie sich geändert. Man fürchtete sich nicht mehr nur vor seiner Stärke, sondern vor seinem möglichen Schwächerwerden. Gegen Castellano wurde Anklage erhoben wegen Führen eines Auto-Rings für gestohlene Autos sowie wegen Anstiftung zum Mord. Es war nicht das erste Mal, dass er vor Gericht stand, doch auch diese Anklagepunkte waren nur die Spitze des Eisberges der Taten, die man ihm hätte zur Last legen können. Die Gefahr, dass der „Boss der Bosse“ in seinem angeschlagenen Gesundheitszustand zukünftig noch öfter vor Gericht stehen sollte, machte andere führende Mafiosi nervös. Auch die Tatsache, dass ein 70-jähriger alter Mann es wohl sehr gern verhindern würde, seinen Lebensabend im Gefängnis zu verbringen, machte seinen Untertanen Angst. Diese Motive führten dazu, dass man befürchtete „Big Paul“ könnte eine Vereinbarung mit der Polizei eingehen, seine Verbindungen verraten und sich somit in Sicherheit bringen. Diese Vorstellungen bereiteten in den Köpfen anderer hochrangiger Mafiosi Kopfschmerzen und daher musste gehandelt werden.

 

Da es sich bei Paul Castellano nicht um einen kleinen, gewöhnlichen Straßenmafioso handelte, sondern um einen der mächtigsten kriminellen Männer der Vereinigten Staaten, sollte seine Beseitigung eine öffentliche Angelegenheit werden. Dieser Mordauftrag kam nicht von irgendwelchen Mafiosi oder von einer Randgruppe der eigenen Gambino-„Familie“, sondern war ein wohl überlegter Schachzug der fünf großen Cosa Nostra „Familien“ New Yorks. Die Ermordung Castellanos wurde, wie es in der Mafia bei so wichtigen Personen üblich ist, mit allen New Yorker Familien abgesprochen und unter deren Verantwortung durchgeführt. Der „Boss der Bosse“ wurde an diesem besagten Tag durch einen Kugelhagel halbautomatischer Waffen getötet, fünf Einschüsse zielten auf seinen Körper sowie ein Gnadenschuss in den Kopf. Zeugen dieser Ermordung hätte es viele geben müssen, doch selbst als sich einige fanden, konnten sie sich nur daran erinnern, dass die Mörder Trenchcoats trugen und in einer dunklen Limousine flüchteten.

 

Zurückhaltung und Diskretion hatten das Leben PaulCastellanos geprägt. Er war stets bestrebt, dass sein Name in keinen Zeitungen oder Boulevardblättern erschien. Er sah sich selbst gern als cleverer amerikanischer Geschäftsmann, nicht unbedingt als Mafioso, der seine Landsleute in das gelobte Land des legalen Unternehmertums führen wollte. Wenn jedoch an der weit verbreiteten Meinung etwas Wahres dran ist, dass die Art des Todes das letzte Wort über einen Menschen spricht, dann machte dieser Tod deutlich, dass Castellano trotz seines weltgewandten Auftretens und seiner berüchtigten Managerqualitäten eben doch nur ein ewiger einfacher Gewaltverbrecher geblieben war. Er starb seiner einstigen Macht beraubt, seines Mythos entzogen, als eine Unterweltleiche von vielen.

 

Macht oder Mythos

 

Die unfassbare Brutalität, mit der mafiose Kräfte vorgehen und scheinbar unbeeindruckt von Gesetzen und Staat taktieren können, schockiert die einfache Bevölkerung genauso wie sie diese Fülle an Macht fasziniert.

 

Wurde die Mafia, das organisierte Verbrechen allgemein, noch vor wenigen Jahrzehnten als Mythos, Hirngespinst oder aber als Aberglaube beschrieben, so zeigt uns doch die tägliche Realität auf den Straßen der Großstädte, dass der Mythos vom Realen nicht weit entfernt zu sein scheint. Die akribische Planung jeder mafiosen Handlung, Verbindungen bis in Regierungskreise hinein sowie die Struktur der verbrecherischen Organisationen im Allgemeinen, lassen den Schluss zu, dass diese Teil einer rationalen, grausamen Unternehmenspolitik sind, kein Mythos, und somit auch wissenschaftlich untersucht werden können.

 

Beim Versuch, das organisierte Verbrechen nüchtern und logisch zu betrachten, sieht man meist als erstes die grausame Brutalität in ihrem Vorgehen. Wenn wir aber herausfinden wollen, wie und warum Mafiosi handeln, was die Organisation Mafia überhaupt ist und warum man so wenig gegen diese organisierte Kriminalität unternimmt, reicht es nicht, Fakten über mafiose Handlungen zu betrachten. Wenn wir etwas Genaues über die Hintergründe der mafiosen Entstehung und deren Legitimation erfahren wollen, dann sind wir gezwungen, genau hinzusehen. Das heißt, wir dürfen uns nicht mit vorschnellen Auffassungen und Erklärungen zufrieden geben. Wir müssen hinterfragen, was sich hinter der Erscheinung der parasitären mafiosen Verbindung verbirgt, um die sozialen und allgemeinen Quellen für deren Entstehung zu realisieren.

 

Ein wesentlicher Schlüssel für die Benennung von Gründen und Ursachen sowie Hintergründe der allgemeinen Akzeptanz des Phänomens Mafia liegt in der Nachzeichnung der politischen, ökonomischen sowie sozialen Verhältnisse und Gegebenheiten in den jeweiligen Entstehungsgebieten derer.

 

Die Einschränkung der Thematik

 

Die Thematik des organisierten Verbrechens, welches heutzutage allgemein als Mafia bezeichnet wird, ist jedoch zu umfassend, vielfältig sowie gesellschaftlich und kulturell zu spezifisch, als dass eine Arbeit allein alle Formen und Mutationen des Phänomens Mafia ausreichend erklären könnte. Daher lassen wir alles außer Acht was nur deshalb als Mafia bezeichnet wird, weil es sich um eine Art von organisiertem Verbrechen handelt. Wir beschränken unseren Fokus auf eine einzige Mafia: auf die so genannte UrMafia, die sich selbst als „La Cosa Nostra“ bezeichnet. Die Rede ist von dem Phänomen der sizilianischen Mafia. In der Kriminalgeschichte nimmt diese eine Sonderstellung ein, da es gewiss schon viele verbrecherische Geheimgesellschaften gab - aber keine reicht an diese Vereinigung sizilianischer Familien heran. Dieses sizilianische Verbrechersyndikat beschränkt sich jedoch nicht nur auf deren ursprünglichen Entstehungsort Sizilien. „La Cosa Nostra“ ist auch, und das nicht erst seit heute, in den Vereinigten Staaten zu finden und dort extrem erfolgreich.

 

Nun drängt sich die Frage auf, wie das Phänomen Mafia, das unter ganz bestimmten Umständen auf der Insel Sizilien entstehen konnte, diese kriminelle Organisation in die Vereinigten Staaten transferieren konnte? Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ich nicht einfach hinterfragen möchte, wie die Kriminalität in den Vereinigten Staaten von Amerika entstanden ist, sondern ganz speziell, wie die sizilianische Mafia, welche ein Phänomen für sich ist, in den USA entstehen und ihr sizilianisches Erfolgskonzept exportieren konnte.

 

Die Umstände und Gegebenheiten, welche man in der Entstehungszeit des mafiosen Verhaltens auf der italienischen Insel vorfand, waren der optimale Nährboden für organisiertes Verbrechertum. Die USA hingegen, speziell das Beispiel New York, stellen auf den ersten Blick einen ganz anderen Ort mit anderen Umständen dar, keinesfalls zu vergleichen mit der abgeschiedenen Insel Sizilien. Es sollen daher die Besonderheiten der Entstehungselemente der sizilianischen Mafia dargelegt und analysiert werden, vergleichend an den Entstehungsorten Sizilien und den Vereinigten Staaten, speziell an der Stadt New York.

 

Hier stellt sich nun die Frage, ob es denn wirklich nur die äußeren Umstände waren, welche die Entstehung der Cosa Nostra begünstigten oder ob es sich hierbei um soziale Phänomene, bestimmte Handlungsmuster von Menschen, welche die Entstehung von einem derart organisierten Verbrechersyndikat positiv beeinflussen, tolerieren und vielleicht sogar fördern konnten, handelte? Um dies zuverlässig betrachten, analysieren und diskutieren zu können, müssen zuallererst die Handlungsmuster und Beweggründe der Bevölkerung an den beiden zu betrachtenden Entstehungsorten analysiert werden.

 

Die Macht, über welche das sizilianische Verbrechersyndikat speziell in den Vereinigten Staaten verfügt, ist kein Mitbringsel aus der alten Heimat, auch wurde diese Fülle an Macht und Beziehungen nicht von Sizilien eins zu eins exportiert. Wie ist es jedoch dann zu erklären, dass der amerikanische Ableger der sizilianischen Mafia, sich so radikal ausbreiten, wachsen und expandieren konnte, sodass die Mutterstruktur und der Unternehmenserfolg der Cosa Nostra Siziliens indessen wahnsinnig klein wirken?

 

Wenn es sich also bei dem Phänomen Mafia wirklich um eine verbrecherische, streng gegliederte Organisation handelt, die aufgrund besonderer sozialer und infrastruktureller Umstände entstanden ist und die in unserer heutigen Zeit eine der erfolgreichsten kriminellen Vereinigungen darstellt, dann müssen wir auch Antworten auf die folgenden Fragen erhalten:

 

1.      Wie konnte die sizilianische Mafia auch in den USA, speziell in der Stadt New York, entstehen und sich ausbreiten, obwohl auf den ersten Blick ganz andere soziale und infrastrukturelle Umstände vorhanden waren als im Mafia-Ursprungsland Sizilien?

2.      Warum ist die Entstehung der Mafia auf soziale Phänomene sowie auf bestimmte Handlungsmuster der Menschen in den Entstehungsgebieten zurückzuführen?

3.      Welche Umstände und Gegebenheiten führten dazu, dass sich der amerikanische Ableger der sizilianischen Mafia besser entwickeln und dadurch dominierender werden konnte als die Ursprungsorganisation im Heimatland der Mafia Sizilien?

 

Der Aufbau der Arbeit

 

Den Ausgangspunkt unserer Betrachtungen bildet im zweiten Kapitel die sizilianische Mafia an sich. Dazu wird im ersten Unterpunkt dieses Kapitels die Entstehung der Cosa Nostra auf der Insel Sizilien beleuchtet und analysiert. Zu berücksichtigen ist hierbei die spezielle Situation der Insel, die Gegebenheiten dieser Örtlichkeit und die jeweilige historische Machtkonstellation, welche Einfluss auf die sozialen und moralischen Situationen der Bevölkerung hatte. Des Weiteren werden wir die Entstehungsgeschichte der Mafia von ungefähr 1860 an verfolgen und Fakten herauskristallisieren, die für den Zuspruch und die Akzeptanz auf der Insel und den daraus resultierenden Machtzuwachs der Mafiosi verantwortlich sind. Wir werden erfahren wie die Mafia zu ihrem Namen kam, herausfinden welche Voraussetzungen vorhanden sein mussten, um ein Mitglied der Mafia, ein so genannter „Ehrenmann“, zu werden als auch wie die rituelle Zeremonie durchgeführt wird, die bis in unsere heutige Zeit ihre Anwendung findet. Im zweiten Unterpunkt dieses Kapitels widmen wir uns dem allgemeinen Markt auf dem die Mafia tätig ist. Hierzu analysieren wir die anfänglichen Tätigkeiten der Mafiosi, die Hintergründe, welche die Basis für die Ausübung ihrer Aktivität bildeten, sowie die Konkurrenzsituation und die des regulierten Marktes. Im dritten Unterpunkt gehen wir auf die genauen Identitäten der mafiosen Verbrecher ein, analysieren die internen Strukturen, die einen Mafiosi umgeben, bis hin zur pyramidenförmigen nationalen Struktur der Cosa Nostra, welche die Insel leitete und bis heute leitet. Der vierte und letzte Unterpunkt dieses Kapitels soll uns Erkenntnisse darüber gewähren, wie die Macht der Mafioso vom 19. Jahrhundert an bis in unsere heutige Zeit fast kontinuierlich wuchs und uns Aufschluss darüber geben, inwieweit die Politik mit der Mafia zusammenarbeitete und wenn, wie sie bekämpft wurde.

 

Im dritten Kapitel dieser Arbeit befassen wir uns mit den Hintergründen der sizilianischen Mafia in den Vereinigten Staaten von Amerika, speziell am Beispiel der Stadt New York. Hierzu versuchen wir die Gegebenheiten, mit denen die sizilianischen Auswanderer Anfang des vergangenen Jahrhunderts zu kämpfen hatten, zu rekonstruieren, gehen auf die Integrationssituation der Sizilianer in die amerikanische Welt ein und analysieren die Entstehungshintergründe sowie die Struktur der sizilianischen Mafia in den USA. Der zweite Unterpunkt dieses Kapitels widmet sich dem Markt, auf dem die US-Mafia tätig ist. Hierbei soll der Ausgangspunkt der mafiosen Tätigkeiten in den Vereinigten Staaten sowie der derzeitige Markt, auf dem die Mafia operiert, skizziert und mit all seinen Problemen dargestellt werden. Der letzte Unterpunkt dieses Kapitels beschäftigt sich mit dem Unternehmen Mafia in den USA an sich. Hierzu soll die mafiose Macht, welche die Cosa Nostra in den Vereinigten Staaten besitzt, aufgezeigt sowie das Verhältnis zwischen Mafia und dem amerikanischen Staat visualisiert werden.

 

Dieses Wissen über die historische Entwicklung der Mafia sowie die Tatsachen zu den einzelnen Komponenten, welche die Entstehung und die Ausweitung der Mafia begünstigten, sind notwendig für die Bearbeitung des vierten Kapitels. In diesem Kapitel sollen die Entstehungsgeschichten, die Strukturen, die Märkte sowie das politische Umfeld der beiden Mafiaentstehungsorte verglichen werden. Diese damit gesammelten Erkenntnisse helfen uns, um in Kapitel fünf die gestellten Forschungsfragen zusammenfassend zu beantworten und schließlich im sechsten Kapitel einige Schlussfolgerungen zu ziehen.

 

Die Fakten über die Entstehung, die Hintergründe und die Ursachen der Entwicklung und Ausbreitung der Cosa Nostra stammen größtenteils aus Quellen von Historikern, Soziologen, Vernehmungs- sowie Gerichtsprotokollen Aussagewilliger sowie aus Zeitungsberichten.

2.                Die Sizilianische Mafia

 

Der 23. Mai 1992, der Tag an dem die ganze Welt auf die sizilianische Mafia aufmerksam wurde[2]. Es ist gegen 18 Uhr, als GiovanniBrusca, ein „uomo d'onore “[3], die Schnellstraße vor dem Abzweig nach Capaci beobachtet. Kurz vorher wurde die Kanalisation der Straße von anderen Mafiosi mit etwa 400kg Sprengstoff präpariert. Als Brusca bemerkt, dass sich die Kolonne sehr langsam auf sie zu bewegt, zögert er noch, doch dann im richtigen Moment drückt er auf den Knopf.

 

Die gewaltige Detonation zerreißt den Asphalt, der erste Wagen der Kolonne wird in die Luft gewirbelt und landet etwa 60 Meter entfernt in einem Olivenhain. Aus dem zweiten, kugelsicheren Wagen wird der Motor gerissen, danach stürzen die Reste des Wagens in den Explosionskrater. Das dritte Fahrzeug wird nur beschädigt, ist aber noch intakt.

 

Die Insassen der ersten beiden Fahrzeuge wurden getötet. Hierbei handelte es sich um den führenden Anti-Mafia-Ermittler und Untersuchungsrichter Giovanni Falcone und seine Frau (beide im kugelsicheren Wagen) sowie deren 3 Leibwächter in dem vorausfahrenden Fahrzeug. Durch diesen Anschlag entledigte sich zwar die sizilianische Mafia ihres größten Feindes, jedoch wurde durch dieses Attentat die ganze Welt auf die Arroganz und die überragende Macht der Mafia aufmerksam.

 

Wie kam es dazu, dass ein Richter der größte Feind der Mafia werden konnte? Die Geschichte beginnt Anfang der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Damals wurden in ca. zwei Jahren etwa tausend Menschen ermordet. Diese waren „uomo d'onore“, deren Angehörige und Freunde sowie Polizisten und Unbeteiligte. Bei diesem blutigsten aller Mafiakonflikte handelte es sich jedoch nicht um einen Krieg, sondern um ein Bündnis von Verbrechern, die sich um die Führung der Mafia von Corleone sammelten. Diese Gruppe erzwang sich durch ihre Morde eine diktatorische Macht über die ganze Mafia Siziliens.

 

Unter den Opfern waren unter anderem auch die Söhne des Ehrenmannes Tommaso Buscetta, welcher aufgrund seiner kriminellen Verbindungen auf beiden Seiten des Atlantiks (Amerika und Sizilien) den Namen „Boss von zwei Welten“ trug. Nachdem Buscetta in Südamerika verhaftet und nach Italien ausgeliefert worden war, versuchte er mit Strychnin Selbstmord zu begehen. Er überlebte und entschied sich dafür auszupacken, da er damit rechnete von der Mafia sowieso umgebracht zu werden. Dem Einzigen, dem er sich jedoch anvertrauen wollte, war Giovanni Falcone. Durch die Aussagen Buscettas und den Bruch der „omerta“[4] erhielt Falcone erstmals einen Einblick in das Innenleben der sizilianischen Mafia. Diese neuen Informationen, die noch nie von einem „Ehrenmann“ so detailgetreu dargestellt wurden, zeichneten ein völlig neues Bild von Befehlsstrukturen, Methoden und Geisteshaltungen der mafiosen Vereinigung. Heutzutage kann man sich nicht vorstellen, was man über die Institution Mafia alles nicht wüsste, wenn Buscetta sich Falcone nicht offenbart hätte. Nicht nur, dass der „Boss der zwei Welten“ Falcone über Riten, Namensgebung und die Kommandostruktur aufklärte, er nannte auch zahlreiche Namen, was später zu mehreren Verurteilungen führen sollte. Dem Beispiel Buscettas folgten andere Ehrenmänner, die ebenso um ihr Leben durch die Corleonesie fürchteten. Der Untersuchungsrichter Falcone hatte nach allen Aussagen 8607 Seiten Beweismaterial gesammelt. Sie waren die Grundlage für einen der größten Mafia-Prozesse aller Zeiten, die sogenannten „Maxi-Prozesse“[5], welche in einem eigens dafür errichteten, bombensicheren Gericht stattfanden. Nach 22 Verhandlungsmonaten sprach der Richter 342 Mafiaangehörige für schuldig und verurteilte sie zu insgesamt 2665 Jahren Haft. Fünf Jahre später, 1992, wurde das Urteil durch das Kassationsgericht[6] für rechtskräftig erklärt. Nur vier Monate nach diesem Urteil wurde Falcone ermordet (vgl. Fischer, 2000, S.15; vgl. Falcone, 1992, S.7f.).

 

Diese Ermordung hatte weitreichende Folgen, die bis heute zu spüren sind. Die Mafiabekämpfung, die Falcone vorantrieb hatte demnach soviel Erfolg, dass sich die Mafia in die Enge getrieben sah. Weiterhin kam dadurch ans Tageslicht, dass die Cosa Nostra nicht nur in der Theorie und in Sagen eine straff organisierte kriminelle Vereinigung ist, nein sie ist real.

 

Falcone pflegte zu sagen, dass wenn die Cosa Nostra wirklich existiert, sie dann auch eine Geschichte hat. Und wenn sie eine Geschichte hat, dann hat sie auch einen Ursprung, und sie wird ein Ende haben (vgl. Dickie, 2006, S.23).

 

Um diesem besagten Ursprung der Cosa Nostra auf den Grund gehen zu können, werde ich in dem folgenden Kapitel versuchen die Entstehung, die Struktur sowie die Einflüsse und Voraussetzungen, die zu dieser Entwicklung der Mafia führten, näher zu beleuchten, darzustellen und zu erklären.

 

2.1.         Die Entstehung der sizilianischen Mafia

 

Die politische Struktur Siziliens ist schon seit Jahrhunderten für die außerordentliche Schwäche des formellen Herrschaftsapparates, für Misstrauen und sogar für die Feindschaft der Bevölkerung gegenüber allen staatlichen Organen bekannt (vgl. Hess, 1988, S.16). In diesem tiefen Misstrauen der Gesellschaft Süditaliens und Siziliens steckt der Ursprung der Mafia (vgl. Gambetta, 1994, S.107).

 

Um dem Phänomen der sizilianischen Mafia auf den Grund zu gehen, begeben wir uns in das 19. Jahrhundert zurück und werden versuchen im folgenden Kapitel alle wichtigen Fragen, Aspekte und Hintergründe, die zur Entstehung der Cosa Nostra beigetragen haben, zu beleuchten, zu hinterfragen und zu beantworten.

 

2.1.1.      Sizilien

 

Wirtschaftlich gesehen ist Italien ein geteiltes Land. Im Norden des Landes, speziell im Städtedreieck Mailand, Turin und Genua, blüht die Wirtschaft enorm. Der Süden Italiens jedoch gilt im europäischen Vergleich als Entwicklungsgebiet. Die Menschen beider Regionen beurteilen dieses Phänomen unterschiedlich. Die Süditaliener sehen diesen Unterschied als Folge der Ausbeutung durch die Kolonialherren, Norditaliener sehen ihn jedoch als Folge des mediterranen Schlendrians (vgl. Müller, 1990, S.10). Um die Grundlagen in der ungleichen wirtschaftlichen Struktur herauszufinden, muss man zuallererst die historische Entwicklung betrachten.

 

Sizilien ist gekennzeichnet durch Fremd- und Feindseligkeit der Bevölkerung gegenüber allen staatlichen Organisationen. Die einzigen Institutionen, auf die sich die Sizilianer verlassen, sind die Selbsthilfe und vor allem die Familie. Diese Unfähigkeit der Bevölkerung, Loyalität gegenüber formellen staatlichen Organisationen zu zeigen, ist ein Produkt der sizilianischen Geschichte. Betrachtet man die historische Entwicklung Siziliens, erkennt man, dass es schon seit mehr als 2000 Jahren von verschieden Kolonialmächten besiedelt und beherrscht wurde (vgl. Uesseler, 1987, S.79f.). Die Ferne der herrschenden Mächte sowie der ständige Wechsel machten es der Bevölkerung fast unmöglich, sich mit den verschiedenen Herrschaftsträgern zu identifizieren. Einige dieser Fremdherrschaften prägten durch ihre Mentalität, ihren Umgang mit den Menschen sowie durch die Art ihrer Ausbeutung den Volkscharakter der Sizilianer. In der Zeit der römischen Herrschaft über Sizilien wurde die Insel vor allem als Getreidelieferant benutzt. Die Arbeiter, welche für die Römer auf den Feldern tätig waren, waren Sklaven. Diese machten schätzungsweise die Hälfte der damaligen Bevölkerung im Altertum Siziliens aus, ca. 300.000 Menschen (vgl. Hess, 1988, S.16). Auch Griechen, Normannen, Karthager, Ostgoten und sogar Araber eroberten die Insel, sodass diese vom 9. bis Anfang des 13. Jahrhunderts ein Zentrum des Islams in Italien bildete. Die letzte Kolonialmacht, der die Sizilianer unterstanden, waren die spanischen Bourbonen, unter denen es zum Königreich Neapel zählte.

 

Am 7. Juni 1860 wurde die Hauptstadt Siziliens, Palermo, erstmals zu einer italienischen Stadt. Der Grund dafür war eine Invasion durch Guiseppe Garibaldi mit ungefähr 1000 Freiwilligen, die sich zum Ziel gesetzt hatten, Sizilien mit dem neu gegründeten italienischen Nationalstaat zu vereinen. Unter der Führung Garibaldis schaffte es die hoch motivierte Streitmacht die spanischen Bourbonen von der Insel zu vertreiben (vgl. Dickie, 2006, S.47). Sizilien gehört seitdem politisch gesehen zu Italien.

 

Wie alle anderen Inbesitznahmen wurde auch die Eingliederung in das italienische Königreich von den Sizilianern als das Eindringen einer fremden Macht gesehen. Die Bevölkerung stand der neuen Regierung mit Abneigung und Indifferenz gegenüber. In Gesetzeshütern sahen die Einheimischen ihre ärgsten Feinde. Maßnahmen der Regierung, die diesen Hass unbewusst förderten, waren zum Beispiel die Einführung der Wehrpflicht oder auch das für die ärmere Bevölkerung weitaus schlechtere neue Steuersystem. Hinzu kam die Enttäuschung der landlosen Bauern, deren Hoffnung auf ein eigenes Stück Ackerland nicht befriedigt werden konnte. Das enteignete Land ging schnell in den Besitz finanzkräftiger Großgrundbesitzer über. Der rückständige und fanatische Klerus, welcher auf der Insel großen Einfluss auf die äußerst gläubigen Bauern hatte, förderte den Hass auf die Regierung und gab diesem sogar den kirchlichen Segen (vgl. Hess, 1988, S.29f.).

 

Diese Geschichte Siziliens prägte deren Einwohner insoweit, dass sie wenig Vertrauen gegenüber allen über sie herrschenden Mächten hatten. Gambetta zufolge hat die Mafia ihren Ursprung in diesem tief verwurzelten Misstrauen, welches Süditalien schon seit dem 19. Jahrhundert kennzeichnet. Dies erklärt auch, warum sich die Mafia nur in diesen Gebieten entwickeln konnte, an anderen Orten, zum Beispiel in Norditalien, jedoch nicht. Das „öffentliche Vertrauen“, die Grundlage gesellschaftlichen Zusammenlebens, wurde durch die harte spanische Politik des „divide et impera“[7] zerstört. Um diesen gesellschaftlichen Vertrauensverlust zu entgehen, flüchteten sich die Sizilianer in die engsten Familien- und Freundschaftsbeziehungen, es überlebte nur das „private Vertrauen“ (vgl. Gambetta, 1994, S.107; vgl. Raith, 1992, S.225ff.). Dies bedeutete für die offiziellen Ordnungshüter der Insel, dass sie faktisch nicht wahrgenommen wurden. Probleme, welche die Bevölkerung miteinander hatten, wurden untereinander bereinigt. In den einzelnen Gebieten der Insel gab es zwar sogenannte und auch eingeteilte „Feldhüter“[8], diese jedoch kamen ihren Aufgaben nur wenig bis gar nicht nach. Berichte zu einer allgemeinen Bestandsaufnahme über die Sicherheitslage in den Provinzen, durch Beamte der „Publicia Sicurezza“ oder durch Bürgermeister geschrieben, stellen folgende Verhältnisse dar:

 

„Königliche Polizei station von Monreal an den hochwohllöblichen Herrn Präsidenten der Provinz Palermo, 5. November 1893 ...

 

Ich beehre mich, Euer Hochwohlgeboren mitzuteilen, dass die Feldhüter dieser Gemeinde in keiner Weise der Regierungsautorität beim Schutze der öffentlichen Sicherheit behilflich sind. Wenn ein Verbrechen geschieht, erscheinen sie für einen Augenblick; aber dann entziehen sie sich mit großer Geschicklichkeit und Schläue der Aufgabe irgendeiner Untersuchung, und man kann von Ihnen die Fortführung irgendeiner Dienstleistung im Interesse der öffentlichen Sicherheit nicht erhoffen. Sie beschaffen keinerlei Indiz, nichts, was die Justiz aufklären könnte, wie man auch nicht von ihnen erwarten kann, dass sie irgendeine vorbeugende Maßnahme treffen oder die unter Polizeiaufsicht stehenden, die anderen vorbestraften Personen und die Gaststätten überwachen. Sie leisten keinerlei Patrouillendienste ... Zur eigenen Verfügung ist diesem Amt nur ein einziger Feldhüter zugeteilt, der morgens um 9 Uhr erscheint, mittags weggeht und abends um 6 erscheint, um nur die Post zu bringen. Und es war nicht möglich diesen Zustand zu verbessern.

 

Mit vorzüglicher Hochachtung ...“ (Hess, 1988, S.24)

 

„Gemeindeverwaltung von Bolognetta, 4. November 1893. Diese Gemeinde hat acht Feldhüter, dazu den Führer; keiner von diesen, der Führer eingeschlossen, ist zu Pferde. Bis auf den Führer erhalten sie keinen Lohn, sondern private Vergütungen von den Eigentümern, im Verhältnis zum Land, das diese besitzen. Sie beziehen keine anderen Einkünfte“ (Hess, 1988, S.25)