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England, Anfang des 19. Jahrhunderts: Die junge Catherine wird für einige Monate nach Snowshill Manor geschickt. Das feudale Herrenhaus gehört der Familie von Lord Darabont. Als Gesellschafterin der Lady nimmt Catherine am bunten Leben des Adels teil. Sie wird zu Bällen und Teegesellschaften eingeladen und gleich von mehreren Verehrern hofiert. Aber schon bald merkt sie: Das Haus der Darabonts scheint voller Geheimnisse zu stecken. Wie kommt es, dass der älteste Sohn des Lords spurlos verschwunden ist? Warum will sich keiner an ihn erinnern? Und wer ist die junge Frau auf dem Gemälde, das Catherine auf dem Dachboden entdeckt?
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Seitenzahl: 493
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Ingrid Kretz
Die Erben von Snowshill Manor
Roman
© 2016 Brunnen Verlag Gießen
www.brunnen-verlag.de
Lektorat: Eva-Maria Busch
Umschlagfoto: Lee Avison/Trevillion Images
Umschlaggestaltung: Daniela Sprenger
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-7655-7449-8
1
Sommer 1805, Cotswolds
„Du wirst ihn nicht mehr treffen!“
Catherine sah deutlich die grimmige Miene ihres Vaters mit der steilen Falte über der Nase vor sich. Er stand dicht vor ihrem Sessel. Eine Strähne seines dunklen Haares, das er streng nach hinten gekämmt trug, fiel wie ein Peitschenhieb in sein Gesicht. Beschämt zuckte sie zusammen, als habe er ihre riskanten Gedanken lesen können.
„Es gilt, die weibliche Tugend zu bewahren.“ Sir Jonathan Satchmores Bass füllte den Salon wie eine Gewitterwolke aus. Es hörte sich an, als habe der Erzbischof von Canterbury ein neues Dekret verkünden lassen. „Töchter wissen nie, was sie wollen! Wo kämen wir denn hin, wenn sie Gefühle vor der Hochzeit zeigen? Heiraten ist eine Angelegenheit, die Eltern für ihre Kinder arrangieren. Arrangieren müssen!“
Dann war es still im Salon. Lady Margaret, Catherines Mutter, hielt ihre Hände ehrenhaft im Schoß gefaltet und schüttelte den Kopf. Ihr Augenspiel verriet, dass sie ihre Enttäuschung nicht verbergen konnte. Die für ihr Alter viel zu früh verbleichten, einstmals roten Haare umleuchteten ihr Gesicht im Kerzenlicht wie ein Heiligenschein.
Catherine seufzte und warf ihrem Vater einen flehentlichen Blick zu. Offensichtlich war er heute in Redelaune und hatte mehr als einen Satz gesprochen, bevor er wieder abrupt in Schweigen verfiel, wie es seine Art war. Sie hoffte, dass die Angelegenheit damit vom Tisch war. Tatsächlich wandte er sich ab und ließ sich gegenüber seiner Frau in den Sessel sinken.
Unter ihren gesenkten Lidern bemerkte Catherine rote, hektische Flecken auf den Wangen ihrer Mutter. Sie biss sich auf die Lippen und starrte auf den Kamin an der Wand gegenüber, den man angesichts der zunehmend warmen Temperaturen draußen nicht mehr befeuerte. Sie fröstelte, aber eher von der Atmosphäre, die sich im Salon ausgedehnt hatte. Warum war ihr Vater um ihre Ehre besorgt? Sie musste ein für alle Mal klarstellen, dass da nichts Unerlaubtes geschehen war! Es gab nichts, für das sie sich schämen musste.
„Percy hat lediglich meine Hand gehalten. Ja, nur gehalten! Mehr ist nicht gewesen, glaub mir. Er hat bei unserem letzten Treffen einfach meine Hand genommen. Ich kann doch auch nichts dafür und außerdem …“ Sie schlang ihren Schal noch fester um ihre Schultern und presste dabei die Hände vor die Brust.
Ihre Mutter neigte den Kopf etwas zur Seite und hob die Brauen. „Beim letzten Treffen?“ Die Stimme klang leise und unaufgeregt, aber Catherine glaubte zu wissen, was hinter ihrer fast ausdruckslosen Miene vorging. Die Mutter konnte Gefühle gut verbergen, doch an ihren gefalteten Händen traten die Knochen auffällig weiß hervor. Sie waren jetzt krampfhaft ineinander verschlungen. Zudem weckte der flatternde Atem ihrer Mutter die Befürchtung, sie könne augenblicklich in Ohnmacht fallen.
Catherine hätte sich ohrfeigen können, dass sie sich verplappert hatte, und die Röte kroch ihr ins Gesicht. Dabei war die Begegnung draußen bei den Beeten aufregend gewesen. Noch nie in ihrem Leben hatte ein Mann – abgesehen von den männlichen Verwandten – ihre Hand gehalten. Zumindest hatte bis dahin kein männliches Wesen außerordentliches Interesse an ihr gezeigt.
Bei einem Ausritt vor drei Tagen hatte sie eine kleine Rast eingelegt. Dabei hatte sie Percy von Weitem entdeckt und war irgendwie in die Nähe der Beete gelangt, wobei sie den Anschein erweckte, sie müsse kurz absitzen. In diesem Moment hatte er sie wahrgenommen, sich innerhalb kurzer Zeit an einer Rabatte mit üppigen Rosen zu schaffen gemacht. Anschließend hatte er ihr zu ihrer Überraschung einen Strauß anmutigster Rosen überreicht. Fasziniert von ihm und dem Strauß, hatte sie ihre Nase bewundernd in die Blüten gesteckt und deren süßen, weichen Duft tief in sich aufgesogen. Er hatte ihr den außergewöhnlichen Farbverlauf an der Blüte erklärt, deren gelbe Mitte nach außen blasser, fast weiß wurde. Dann hatte er ihr tief in die Augen geblickt und gesagt, ihr zauberhaftes Äußeres sei gleich dieser Rose: Ihr Charakter, kaum sichtbar nach außen, entfalte sich erst bei näherem Kennenlernen und berausche ihn, wie diese Rose sie. In diesem Augenblick war es um sie geschehen gewesen.
Und doch hatte sie den Strauß verlegen ins Gras gelegt und gemeint, sie könne unmöglich damit nach Hause reiten. Sie ließ offen, ob es war, weil sie nur noch eine Hand für die Zügel frei hatte, oder weil sie zu Hause eine Erklärung dafür abgeben müsste. Nein, sie durfte den Strauß nicht annehmen. Nicht auszudenken, wenn ihre Mutter sie darauf angesprochen hätte. Percy hatte daraufhin ihre Hand genommen und ihr in die Augen geschaut. Seine Ohren glühten. Kein weiteres Wort war über seine Lippen gekommen und sie hatte wohl genauso verlegen dagestanden. Irgendwann hatte sie ihm die Hand entzogen und war einfach aufs Pferd geklettert. Wie im Traum war sie zurückgetrabt.
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