Die Erscheinung - Harald Walach - E-Book

Die Erscheinung E-Book

Harald Walach

0,0

Beschreibung

Im Vatikan wird eine Verschwörung ausgekocht: Der Sekretär von Kardinal Katz, Dr. Winfried Noethrich entwickelt die Idee, man könne mit einer lancierten Marienerscheinung den schwindenden Glaubenseifer in Mitteleuropa wieder aktivieren. In Marianne, einer Krankenschwester, die er von früheren Zeiten her kennt, meint er eine willfährige Helferin gefunden zu haben, die die Dossiers aus Kardinal Katz' Schreibstube der Hl. Jungfrau Maria in den Mund legen soll. Wird es Noethrich gelingen, Marianne von seinem Plan zu überzeugen? Zunächst scheint es so, und die persönlichen Verwicklungen, die sich dabei ergeben, nimmt der gute Noethrich mehr oder weniger gern in Kauf. Aber was dann passiert, das hätten sich die Beteiligten nicht träumen lassen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 343

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Harald Walach

Die Erscheinung

Die Vierte Dimension im Leben des Dr. Winfried Noethrichs

Roman - 1995

© 2023 Harald Walach

Website: https://harald-walach.de/

Coverdesign von: Andreas Giesen, [email protected]

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

ISBN

 

Paperback

978-3-384-07353-2

Hardcover

978-3-384-07354-9

e-Book

978-3-384-07455-6

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland. .

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Vorbemerkung

1. Der Plan

2. Die Vorbereitung

3. Das Mittel

4. Der Kontakt

5. Die Begegnung

6. Der Ausflug

7. Die Krankenschwester

8. Die Entscheidung

9. Auf höhere Weisung

10. Das Wiedersehen

11. Fidelio

12. Das Vorspiel

13. Der Höhepunkt

14. Die Bekehrung

15. Die Wahl

16. Die Unterscheidung

17. Rosa von Lima und der gestiefelte Kater

18. Auf die Erscheinung

19. Mehr Vorbereitungen

20. Die Erscheinung

21. Der Bischof und die Presse

22. Die Recherche

23. Noethrich in Not

24. Die Panne

25. Das Kind

26. Katz' Erleuchtung

27. Maria mit dem Kinde

Danksagung

Die Erscheinung

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

1. Der Plan

27. Maria mit dem Kinde

Die Erscheinung

Cover

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

41

42

43

44

45

46

47

48

49

50

51

52

53

54

55

56

57

58

59

60

60

62

63

64

65

66

67

68

69

70

71

72

73

74

75

76

77

78

79

80

81

82

83

84

85

86

87

88

89

90

91

92

93

94

95

96

97

98

99

100

101

102

103

104

105

106

107

108

109

110

111

112

113

114

115

116

117

118

119

120

121

122

123

124

125

126

127

128

129

130

131

132

133

134

135

136

137

138

139

140

141

142

143

144

145

146

147

148

149

150

151

152

153

154

155

156

157

158

159

160

161

162

163

164

165

166

167

168

169

170

171

172

173

174

175

176

177

178

179

180

181

182

183

184

185

186

187

188

189

190

191

192

193

194

195

196

197

198

199

200

201

202

203

204

205

206

207

208

209

210

211

212

213

214

215

216

217

218

219

220

221

222

223

224

225

226

227

228

229

230

231

232

233

234

235

236

237

238

239

240

241

242

243

244

245

246

247

248

249

250

251

252

253

254

255

256

Vorbemerkung

Dieser Text wurde im Jahr 1994/95 verfasst und ist seither bis auf kleine Korrekturen, Anpassung der Rechtschreibung und einige kleine Verbesserungen inhaltlich nicht mehr verändert. Die Geschichte ist frei erfunden und Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind purer Zufall.

1. Der Plan

Der Plan ist gut, Noethrich.“

Kardinal Katz legte sichtlich zufrieden die Akte neben sich auf den Schreibtisch und bedeckte sie wie zufällig mit irgendeiner älteren Ausgabe des Osservatore Romano. „Wir werden ihn morgen Monsignore Dementi vorstellen. Er muss eingeweiht werden.“ Als er das Zögern seines Gegenübers bemerkte, fuhr er im Plauderton fort:

„Sie wissen ja, ich bin Deutscher, Dementi ist Römer. Er hat etwas, was mir fehlt: Zugang zur Kommission für die Prüfung von Wundern und Erscheinungen, dessen Vorsitzender Kardinal De Leuw, mir, wie Sie ja vielleicht wissen, nicht gerade wohlgesonnen ist. Dementi kann als Sekretär dieser Kommission in unserem Sinne votieren und uns wichtige Informationen zuspielen. Und noch eins, Noethrich“, seine Stimme senkte sich ein bisschen, und er blickte plötzlich unverwandt mit stahlblauen Augen, die immer etwas Vages und Schneidendes zugleich hatten, auf seinen Kaplan.

„Es versteht sich von selbst, dass außer uns beiden und natürlich Dementi und jener Person, die den Auftrag ausführen wird, niemand, hören Sie, niemand, etwas von der Sache erfahren darf. Sonst kann ich kaum mehr etwas für Sie tun. Ich selber kann nicht weit fallen.“

Einen Moment lang hatte Noethrich den Eindruck, als stünde jemand hinter ihm und bliese ihm eisige Luft in den Nacken. Wie unter Zwang wandte er sich kurz um, um sich zu versichern, was er ohnedies schon wusste. Leicht irritiert wandte er sich wieder Katz zu, dessen durchdringender Blick aus etwas aufgeschwemmten, überarbeiteten Augen mit den dunklen Ringen eines an der Leber Leidenden noch immer auf ihm ruhte, als wollte er mit einem Mal an den Grund seiner Seele sehen und gleichzeitig alle mögliche Rebellion, noch bevor sie dort empfunden wurde, heraussaugen.

Was Katz sah, stimmte ihn zufrieden. Denn er wandte seinen Blick ab. Sie wussten beide in diesem Moment, das sie einen Pakt besiegelt hatten. Noethrich würde mit seinem Plan die Flutwelle des Säkularismus in Deutschland eindämmen helfen. Katz würde dadurch an Einfluss gewinnen und ihm weiter auf der Leiter der Würden nach oben helfen. Sollte nach Jahrhunderten irgendein Historiograph im vatikanischen Archiv die Akten dieses Vorfalls finden, was im Übrigen äußerst unwahrscheinlich wäre, würde er, Winfried Noethrich aus Dillingen, als Retter des katholischen Glaubens im satten Mitteleuropa des ausgehenden 20. Jahrhunderts entdeckt werden. Und selbst wenn man keine Akten finden würde, was wohl eher der Fall sein dürfte, so hätte er immerhin die Genugtuung, dass es seine Idee war, dank derer ein Kardinal Katz dereinst… aber wer wollte an sowas denken. Katz sicher. Dem war es zuzutrauen. Falls er die Römer hinter sich brächte - und mit diesem Plan könnte es gelingen - dann wäre er zweifellos der mächtigste Mann an der Kurie. Und er an dessen Seite.

Katzens Blick glitt von Noethrich ab und blieb an einer Tizianreproduktion von Mariä Himmelfahrt haften. Noethrich folgte seinem Blick. Auf diesem Bild aus der Frarikirche in Venedig, erhebt sich eine unsterblich schöne und zugleich sinnlich irdische Frau ganz in Rot - welche Kühnheit! - in den Himmel, als wäre er ihr Eigentum. Die Apostel bleiben gewissermaßen wie begossene Pudel auf der Erde zurück, und Maria entgleitet ihnen. Der erste Mensch, der ganz in den Himmel entrückt wurde, eine Frau. Welcher Skandal. Katz musste ähnliche Gedanken gehabt haben. Denn er sagte:

„Sehen Sie Noethrich: Tizian hatte Unrecht - und Gottseidank haben so wenig Menschen bisher verstanden, was er sagen wollte. Maria war und bleibt die Dienerin Gottes. Und ihr Plan macht sie auch zu der unsrigen. Wir sind die wahren Werkzeuge Gottes. Ich und Sie.“

Wieder überlief es Noethrich kalt. Er wusste, dass Katz eigentlich sagen wollte: Ich bin der Diener Gottes und Sie sind mein Werkzeug, Noethrich. Aber sei's drum. Man würde ja sehen, wer hier wessen Werkzeug war und wer der wahre Herr.

„Gehen Sie, Noethrich. Sie müssen sich für das Treffen mit Dementi gut vorbereiten. Er wird skeptisch sein, Einwände vorbringen. Wir, das heißt in diesem Fall Sie, müssen ihn überzeugen, dass es bald mit der Kirche in Mitteleuropa zu Ende geht, wenn wir nicht nachhelfen. Bringen Sie Argumente, Noethrich, schlagkräftige, Sie wissen, was ich meine.“

Mit einem Nicken entließ der Kardinal seinen Kaplan.

Nachdem dieser gegangen war, trat Katz an den Bücherschrank, zog die voluminöse Summa des Thomas hervor, griff in den Raum dahinter und beförderte eine Flasche Armagnac ans Licht, goss sich ein kleines Glas ein und sog mit geschlossenen Augen den scharf-weichen Duft des Cognacs ein. Und vor seinen Augen standen Bilder, die er immer mit sich trug, aber diesmal hatte er ein tiefes Gefühl der Befriedigung, als er sie sah: den kleinen Wolfgang Katz, den die Buben seines Dorfes hänselten und beflegelten, weil er nicht an ihren derben Späßen teilnahm und lieber las. Sie trauten sich das nur, weil sie wussten, dass sein Vater sich über ihn lustig machen würde, wenn er sich über sie beklagte, sagen würde: ‚Lass dir halt net alles g‘falln, hau halt mal zu, wenn'd a rechter Bue bisch.'

Er sah sich in der Kirche vor dem Bild der schmerzhaften Mutter Gottes knien und ihr sein Leid klagen. Sie war die Einzige, die ihn verstand. Sie mit den sieben Schwertern in ihrem Herzen. Sie hatte ihm immer Trost gespendet. Jetzt würde er ihr endlich vergelten können, was er von ihr erhalten. Sein Leben hatte er einst ihr geweiht. Vom einfachen Gelehrten und Privatdozenten für Mariologie war er, heute noch nicht sechzigjährig, zum Kurienkardinal aufgestiegen. Einer der jüngsten und aussichtsreichsten, wenn, ja wenn… Aber so etwas sollte man nicht denken.

Die Vesperglocke weckte den Kardinal aus seiner Privatandacht und kommandierte ihn zu seinem Brevier. Er betete die Vesper, mit besonderer Andacht das Magnifikat ‚Hoch preise meine Seele den Herrn… Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen… Von nun an preisen mich selig alle Geschlechter…Amen.'

Die Konferenz mit Dementi war anderntags auf drei Uhr nachmittags anberaumt. Der schon etwas greise Dementi war ein wenig eher gekommen. Er war das Gedächtnis des Vatikans sozusagen, hatte er doch in verschiedenen Funktionen drei Päpsten gedient und war heutzutage noch immer in einer stattlichen Anzahl von Kommissionen. Er war einer der wenigen Italiener am Heiligen Stuhl, die für Katz etwas Wohlwollen aufbrachten. Die Deutschen mit ihrer Pünktlichkeit und ihrer theologischen Spitzfindigkeit… Katz fühlte sich Dementi verbunden, weil sie beide eine besondere Vorliebe für Unsere Liebe Frau hegten. Und umgekehrt war das wohl auch der Fall, wähnte Katz. Deswegen war er, Dementi, auch beim Papst gut angeschrieben. Gleichzeitig war der förmlich eine gefährliche Klippe. Man würde sie geschickt umschiffen müssen, damit sein frommes Gefühl nicht etwa irritiert würde.

„Guten Tag, Monsignore Dementi. Danke, dass Sie sich Zeit für uns nehmen.“ Begann Katz die Unterredung mit einer leichten Verbeugung in Richtung auf Dementi. „Mein Kaplan, Dr. Noethrich, und ich, wir haben in letzter Zeit mit großer Besorgnis die Lage der Kirche jenseits der Alpen verfolgt. Wir sind zu der erschreckenden Bilanz gekommen, dass die Kirche dort in weniger als zwei Generationen in der Diaspora sein wird, umspielt, ja verschlungen von einem Meer des Säkularismus. Was das bedeutet, lieber Monsignore, brauche ich Ihnen wohl kaum zu schildern. Bedenken Sie, das einstige Herzland des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, ganz zu schweigen von den Einnahmen. Aber das wird Ihnen Herr Noethrich besser schildern können als ich. Und einen Rettungsplan - einen ehrgeizigen zugegebenermaßen - aber vielleicht den einzig wahren, bedenkt man die Lage.“

Claudio Dementi, ein pummeliger, gemütlich dreinblickender Mann, blickte mit seinen wässrigen Äuglein von Katz zu Noethrich und sagte einladend: „Eminenz, ich bin gespannt.“ Noethrich holte seinen Aktenberg aus der Tasche und breitete ihn um sich herum aus, gleichsam um die Profundität seiner Studien ins rechte Licht zu rücken und gleichzeitig den Wall gegen den Säkularismus, den er beschreiben wollte, handfest zu machen, und begann:

„Wie Ihre Eminenz und Monsignore vielleicht wissen - letzte Woche habe ich im Osservatore eine Analyse darüber geschrieben - hat unlängst eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe unter Leitung von Professor Buckel in München zusammen mit Professor Wahrenberger, dem Dominikaner, Professor für Pastoraltheologie, eine Studie vorgelegt zum Thema ‚Die neue Religiosität der Jugend'. Die Sache ist Ihnen sicher bekannt, höchst lästig, hat aber viel Beachtung gefunden. Alle namhaften Medien, sogar ‚Focus', ‚Zeit' und ‚Spiegel' haben darüber berichtet. Wenn es nur Polemik wäre, könnten wir sie vergessen, aber es ist mehr. Gut fundiertes Zahlenmaterial. In Kürze: Nur noch jeder zehnte Jugendliche zwischen siebzehn und neunzehn geht heute mindestens einmal im Vierteljahr in die Kirche. Nur fünf Prozent der Jugendlichen halten die kirchliche Moral, vor allem die Sexualmoral, für bindend. Nur jeder fünfte würde kirchlich heiraten wollen und nur noch jeder vierte sein Kind taufen lassen. Hingegen bezeichnen sich siebzig Prozent als im weiteren Sinne religiös. Aber diese Religiosität verläuft in anderen, in neuen Bahnen. Sie kennen alle die Schlagworte: Neue Religiosität, Esoterik, New Age, Buddhismus, ja sogar Chassidismus und Islam. Kurz, wenn der Trend so weitergeht, hat die Kirche spätestens dann, wenn die Kinder dieser Jugendlichen groß sind, nichts mehr zu lachen. Zwar ist die Studie nur auf Deutschland bezogen, aber die Zahlen dürften für die Schweiz und Österreich nicht anders liegen und in Frankreich ist alles noch viel katastrophaler. Und nachdem Deutschland in Europa eine gewisse kulturelle Vorreiterrolle hat, wird sich der Trend in die gut katholischen Länder Spanien, Italien, Portugal fortsetzen. Dies ist also unsere Ausgangslage.“

Noethrich machte eine Pause, um die Wirkung seiner Worte abzuschätzen. Katz nickte anerkennend. Dementi wiegte sinnierend den Kopf und strengte sich sichtlich an, zu begreifen.

„Dieser Buckel, oder wie er noch heißt, und der Dominikaner, sind das nicht ausgemachte Feinde, oder mindestens Kritiker der Kirche?“ wandte er ein.

„Buckel ja,“ erwiderte der Kaplan. „Unlängst hat er ein übles Machwerk ‚Sie glauben, was der Hahn kräht' herausgebracht. Eine Camouflage ohne Boden. Wahrenberger hingegen ist einer jener Kritikaster, denen nichts recht ist, aber immerhin ein Dominikaner und im Grunde loyal. Und gegen die Studie gibt es nichts zu sagen. Ich habe mir die Unterlagen angesehen und derzeit rechnet eine kleine Gruppe an der Gregoriana die Daten nach. Sie wurden vom Meinungsforschungsinstitut Allensbach repräsentativ erhoben, bezahlt übrigens von der Stiftung ‚Kirche und Welt'. Daran gibt es also nichts zu rütteln. Und ich nehme mal an, dass die Statistik stimmt. Nun, wir haben uns aufgrund dieser Daten gefragt: Was braucht die Kirche? Und wir sind zu dem Schluss gekommen…“

„Ein Wunder!“, rief Dementi spontan.

„Sie sagen es, Monsignore“.

„Aber Wunder gibt es nicht mehr“, sinnierte Dementi ein wenig traurig.

„Dann müssen wir eben ein bisschen nachhelfen.“

Dementi blickte erstaunt.

„Ja, nachhelfen, Sie haben richtig gehört, Monsignore.“ Noethrich war in Form.

„Wir werden ein Wunder lancieren, Monsignore. Irgendwo in Deutschland muss es eine Marienerscheinung geben, so etwas wie damals in Lourdes oder Fatima, oder meinethalben Lassallette, aber mit einer besseren Organisation.“

„Aber bitte, meine Herren“, Dementi war nun indigniert.

„Sie können der Heiligen Jungfrau doch nicht vorschreiben, wo und wie sie zu erscheinen hat!“

„Das nicht, aber wir könnten, sagen wir mal, ihr ein bisschen dabei helfen. Sehen Sie: Wer hat die Erscheinungen denn gesehen? Denken Sie an Medjugorje. Ein paar Kinder, niemand sonst. und alle pilgern hin und lassen sich bekehren. Aber Medjugorje ist zu weit weg. Und zu instabil. Es muss zentraler sein, besser steuerbar, leichter erreichbar. Wir könnten doch jemanden finden, der die Jungfrau sieht und sagt, was Sie von ihr gehört hat, und fertig ist das Wunder.“

Bei diesen Worten breitete Noethrich die Hände ein wenig aus, fast so, als würde er einen Pudding anpreisen.

„Ja, aber das ist Blasphemie!“ rief Dementi empört.

„Aber nicht doch, Monsignore,“ griff Katz ein und fuhr in kollegialem Ton fort:

„Sie wissen besser als jeder andere, dass ich als Mariologe sowohl wissenschaftlich guten Ruf genieße, als auch eine tiefe Ehrfurcht für unsere Heilige Mutter hege. Glauben Sie mir, eine tiefere Frömmigkeit bei den Gläubigen wäre auch im Sinne der Heiligen Mutter. Das spüre ich jeden Abend nach dem Rosenkranzgebet genau. Die Sorge der Heiligen Mutter, ihr Sehnen nach mehr Andacht. Oder glauben Sie vielleicht, die Heilige Jungfrau würde sich darüber freuen, wenn ganz Deutschland heidnisch würde? Ganz zu schweigen von den Einnahmen, die die Kirche heute dringender denn je benötigt?“ Dementi schwieg schmollend.

„Wir könnten mit so einer kleinen Erscheinung vielleicht eine Wende herbeiführen. Bedenken Sie: Europa für die Kirche zu retten oder zu verlieren, das steht hier auf dem Spiel. Und Sie, mein lieber Monsignore, müssen uns dabei helfen. Sie als Sekretär der Kommission für Wunderfragen und Anerkennung von Erscheinungen haben einen gewaltigen Einfluss. und ab jetzt tragen Sie auch dafür die Verantwortung, ob die Kirche in Europa bestehen bleibt oder untergeht. Nichts Geringeres als das. Und es könnte ja einmal der Zeitpunkt kommen, wo ich mich erkenntlich zeigen kann…“

Katz blickte den Monsignore unvermittelt an. Für den Bruchteil einer Sekunde wechselten Licht und Schatten auf dem faltigen Gesicht des Prälaten. Der letzte Schlag war ein Treffer. Katz sah es. Und war zufrieden.

„Die Wege des Herrn sind dunkel, wer kann sie kennen,“ zitierte Dementi sinngemäß.

„Ich will mich nicht in den Weg stellen, wenn ich der Verbreitung seiner Botschaft dienen kann. Aber bitte geben Sie mir Zeit. In meinem Alter braucht man etwas Zeit.“

„Selbstverständlich, Monsignore. Aber wenn ich Sie bitten darf: Discretio. ‚Discretio, mater virtutum'1 hat das nicht der Heilige Gregor gesagt? Außer uns drei weiß niemand etwas und soll auch niemand etwas erfahren. Und wenn unser Plan klappt, ist es auch gar nicht nötig, nicht wahr?“

„Ganz wie Eminenz wünschen.“

1 Die Verschwiegenheit ist die Mutter aller Tugend.

2. Die Vorbereitung

Der Plan lässt sich gut an.“

Kardinal Katz wandte sich zufrieden lächelnd Dr. Noethrich zu und blies eine dicke Wolke Havannarauch in dessen Richtung.

„Mein Gebet steige auf zu dir wie Weihrauch,“ sagte er, als Noethrich etwas vorwurfsvoll hüstelte. Katz war kein Asket, beileibe nein, obwohl er diesen Wesenszug an seinem Sekretär schätzte. Asketen waren in aller Regel zuverlässig und getreu, wenn sie einmal für etwas oder jemanden gewonnen waren. Er, Katz, war keiner; dazu fehlte ihm das moralische Rückgrat, wie sein Vater das genannt hatte. Er war für die Via media und für die Vita mixta2, von allem etwas. Ein paar Bußübungen, das ja. Kein üppiges Essen am Aschermittwoch und Karfreitag. In der Fastenzeit keine, oder höchstens billige Zigarren. Zigarren waren für Katz der besondere Genuss. Er bekam sie fast immer geschenkt, von den Nonnen, denen er Messe las, oder wenn er mal einem Festakt vorstand. Noethrich konnte geschickt bereits im Vorfeld die Vorlieben seiner Eminenz durchsickern lassen, so dass es wie ein - doch völlig unnötiges - Überraschungsgeschenk aussah, wenn ein Kistchen Monte Christo (die hatte er schon wegen des Namens am liebsten) auf seinem Tisch stand.

Österreich war, was die Zigarrenfabrikation anlangt, katastrophal. Drum fuhr er auch so ungern hin. Außerdem war er als Bayer dort ohnedies außer Konkurrenz. Damals, beim Empfang des Heiligen Vaters, hatten ihn die Mönche von Sankt Peter in Salzburg österreichischen Most und Jubiläumsvirginier vorgesetzt. Er hatte das wahrscheinlich völlig richtig - als verdeckten Affront gedeutet. Denn der Cocktail aus sauren Birnen, Äpfeln und womöglich Alpenstroh mit Bilsenkraut, hatte ihm gehörig eingeheizt und durchgeräumt. Er hatte damals viele fromm-schelmische Gesichter unter den jungen Klerikern gesehen, und wenn er aus der Toilette kam, stand wie zufällig einer am Waschbecken und wusch sich die Hände. Er hörte sie insgeheim tuscheln, „Jetzt hot er scho dreimal miassn, da Kotz.“ (Die Salzburger konnten ja kein richtiges ‚A' sagen, diese Erztrottel). Seither waren österreichische Jubiläumsvirginier sein privater Bußgürtel. Etwas für Fastenzeit und für bittere Stunden, wenn er zwar die Anregung des Tabaks brauchte, sich aber zugleich den Genuss versagen wollte.

Heute nicht. Heute war ein Tag für Monte Christo. Wieder blies er dem vorwurfsvoll hüstelnden Noethrich drei dicke Ringe Tabakqualm vors Gesicht.

„Hams g‘sehn, trinitarisch, Noethrich, trinitarisch!“ sagte er bedeutungsvoll.

„‚Vestigia trinitatis in omnibus sunt notanda‘“3 verballhornte er Thomas, Bonaventura und den von ihm sonst nicht besonders geschätzten Ignatius. Zufrieden mit seinem theologischen Bonmot wandte er sich dem eigentlichen Thema zu:

„Ich glaube, Dementi ist gewonnen, Noethrich. Die ungewisse Aussicht auf Promotion sitzt. Bedenken Sie: Jetzt unter drei Päpsten gedient und doch nur Sekretär und Monsignore mit der Würde eines Kurienbischofs. Er hätte Besseres verdient, und er weiß das. Aber außer mir scheint es niemand bemerkt zu haben. Dementi war immer eine Spur zu fromm und eine Spur zu wenig klug. Das falsche Verhältnis, wenn man weiterkommen will bei der Heiligen Mutter. Mit etwas weniger Frömmigkeit schafft man's auch bis an die Pforten des Himmels und mit etwas mehr Klugheit kommt man auf Erden weiter. Wie hat unser Herr gesagt: ‚Klug wie die Schlangen'.“

„‘Und arglos wie die Tauben'“, ergänzte der Kaplan.

„Ja, aber von Frommsein keine Rede. Wie auch immer: Dementi will endlich wer sein und das wird ihn auf unsere Seite bringen. Das gilt übrigens auch für Sie: Ich werde mit meinem Dank nicht kleinlich sein, bei denen, die mir wohlgesonnen sind.“

Der Kaplan wendete sich leicht zum Fenster und verbarg damit einen Anflug stolzen Lächelns.

„Und nun zu den weiteren Planungen. Dürfte ich hören, welche konkreten Überlegungen Sie sich zur Ausführung unseres Planes gemacht haben?“

„Nun, Eminenz, da wäre erst einmal die Frage des Ortes zu entscheiden. Ich habe einige Vorschläge, die Sie sich bitte anhören wollen. Zunächst grundsätzlich: Muss es Deutschland sein? Wäre auch die Schweiz ein möglicher Ort oder Österreich? Für die Schweiz spräche etwa, dass ein solcher Wallfahrtsort für viele attraktiv mit Ferien zu verbinden wäre, was die Anziehungskraft sicher steigern würde.“

„Nein, Noethrich, ausgeschlossen. Stellen Sie sich vor: Die Schweiz. Wo denn dort? Etwa in der Zentralschweiz? Da könnten Sie hundert echte Erscheinungen haben. Solange die Jungfrau nichts über die Vorzüge der Schweizer Volksdemokratie sagen würde, bekämen Sie keinen Felsklotz für einen Kapellenbau ohne Votum des Schweizer Volkes und ohne Vernehmlassungen und den ganzen demokratischen Wahnsinn. Oder Graubünden! Mit Bischof Igel an der Spitze. Der würde uns alles ruinieren. Oder der Tessin, mit seinem Italienisch und den schluderigen Tessinern. Nein, die Schweiz kommt nicht in Frage.“

„Wie wäre es mit Österreich? Land der Ströme, Land der Dome, Land der Marienwallfahrten. Man könnte etwa die Kartause Marienthron bei Aggsbach auf diese Weise aktivieren, hätte ein Haus und historischen Boden dazu. Oder in Tirol auf der Brennerstrecke, gut von Rom und München zu erreichen?“

„Tirol kommt nicht in Frage. Die Tiroler sind zu stur. Es dauert dort alles hundert Jahre bis es akzeptiert ist. Die Tiroler haben immer noch nicht begriffen, dass Südtirol zu Italien gehört, obwohl das nun schon mehr als siebzig Jahre so ist. Und bevor man sich über den wahren Besitzer des Gletschermannes aus dem Ötztal einig ist, vergeht wohl noch so viel Zeit, wie jener im Eis gelegen hat. Und was, wenn die Tiroler mit Skiern und Schneelawinen oder mit Heuwagen die Inntalautobahn sperren? Nein, das ist mir zu unsicher.“

„Und sonst, Österreich?“

„Ja, sehen Sie, Österreich an sich wäre nicht schlecht. Aber wer glaubt schon einem Österreicher? Wenn in Österreich heute jemand eine neue Erscheinung gesehen haben will, glauben‘s ja nicht mal die eigenen Leut‘. Und wenn wir einen der neuen, linientreuen Bischöfe dazu bringen, die Werbetrommel zu rühren, geht aus purem Protest niemand hin und die Medien schweigen's tot, weil die Trottel nicht wissen, wie man mit der Presse umgeht. Und schließlich würde irgendein Stift aus dem Waldviertel, Zwettl, Schlägl oder so, einen alten Besitzbrief auf den Erscheinungsort in den Archiven finden oder finden lassen und das Ganze zu einem lukrativen Fremdenverkehrsgeschäft machen. Nein, Noethrich, nicht Österreich, wenn's nicht unbedingt sein muss.“

„Dann also Deutschland, aber wo? Wie wär‘s mit dem alten Osten? Da gibt's so was nicht. Vielleicht wäre das der Einstieg, um die Gegenreformation im Osten Deutschlands einzuläuten? Irgendwo im Thüringer Wald, etwa auf dem Rennsteig in Sichtweite der Wartburg. Gewissermaßen im kulturellen Herzland Deutschlands? Anknüpfend an Elisabeth von Thüringen, der Platz, an dem einst schon Elisabeth die Stille und die Einsamkeit der Natur suchte und sich der Heiligen Jungfrau im Gebet anvertraute, und so. In Sichtweite des Schandflecks der Kirchengeschichte, Luther zum Trotz sozusagen.“

„Keine üble Idee. Aber ich halte das für zu gefährlich und infrastrukturell für zu schwierig. Der katholische Klerus wird die Wende noch lange zu verdauen haben und die Tourismusindustrie - Hotelbetten etc. - muss noch aufgebaut werden, Das dauert Jahre. Und dann können wir nicht auf das gläubige Volk vor Ort bauen, das sind zu wenige. Wenn wir Medienwirksamkeit wollen - und das brauchen wir - dann brauchen wir katholische Stammlande, nicht Diaspora.“

„Gut, also dann kommt nur Bayern in Frage.“

„Ja, das sehe ich auch so. Welche Pläne haben Sie zu Bayern?“

„Wir könnten entweder eine der alten Wallfahrten aufbauen - Altötting zum Beispiel, oder was Kleineres, Maria Vesperbild im Schwäbischen, oder etwas ganz Neues?“

„Wir brauchen was Neues, Noethrich. Das Alte zieht nicht mehr und bei allen alten Orten wäre die Öffentlichkeit gelangweilt. Es muss neu und außergewöhnlich sein.“

„Dann kommen wir nicht daran vorbei, die Erscheinung an einem neuen Ort zu installieren. Bayern steht fest. Ich denke, aus geographischen Gründen dürfen wir nicht so weit in den Süden oder Osten gehen. Da werden die Zugverbindungen und das Klima schlechter und die Leute sind zu verbohrt. In Franken ist schon zu viel Reformation eingedrungen. Ich hätte an das Schwäbische Bayern gedacht, Eminenz. Schon aus lokalpatriotischen Gründen. Sie wissen, ich bin in Dillingen geboren, wie der Heilige Ulrich.“ Bei ‚Dillingen' wuchs Noethrich ein bisschen, so als wolle er andeuten, was er Dillingen, und Dillingen einem künftigen Professor, Bischof, Kardinal…. Noethrich zu verdanken habe.

„Die Grundidee finde ich ausgezeichnet, Noethrich. Irgendwo im Bistum Augsburg muss es sein: Die Tradition - 955 Schlacht auf dem Lechfeld, Bollwerk gegen die Heiden aus dem Osten, der Heilige Ulrich, die Heilige Afra, die römische Jungfrau, Zentrum der Kultivation der Länder nördlich der Alpen unter den Römern, erster Keim des Christentums im römischen Germanien, die Verbindung zu Karolingern, Saliern usw. - ausgezeichnet. Mir scheint schon aus kirchenpolitischen Gründen Augsburg der geeignete Standplatz. Das Bistum ist einigermaßen unkompliziert, die Augsburger Bischöfe sind traditionsgemäß nicht sonderlich herausragend, fromme, solide schwäbische Mittelklasse mit unauffälligen Doktorarbeiten. Und der Augsburger Diözesanbischof ist ein alter Studienfreund von mir, der uns keine Knüppel zwischen die Beine werfen wird.“

Katz sog versonnen an seiner Havanna. Der Bischof von Augsburg würde es nicht wagen, seine diözesanen Rechte an Noethrich ihm, Katz, gegenüber, geltend zu machen. Dessen war sich der Kardinal gewiss. Augsburg als möglicher kultureller Anziehungspunkt für kulturbegeisterte Wallfahrer, Einbindung in den diözesanen Wallfahrtsplan und so fort, Anbindung ans ICE-Netz, eine halbe Stunde und doch so weit von München.

„Ja, Noethrich, ausgezeichnet, Augsburg. Aber wo im Bistum? Augsburg selber? Glaubt niemand. Irgendwo in den Stauden vielleicht? Violau oder Mickhausen? Verkehrstechnisch schwierig, scheint mir. Oder mehr gegen das Allgäu? Wörishofen? Marienwallfahrt mit Kneippkur? Ich sehe schon die Prospekte von Kuoni - nein, das geht nicht.“

„Wie wär‘s mit Ottobeuren?“

„Ich weiß nicht, ob wir die Benediktiner mit hineinnehmen sollen. Natürlich würden sie nichts erfahren. Aber wer weiß, zu was die fähig sind, wenn ihre jahrhundertealte Ruhe im geistigen Milchgürtel des Voralpenlandes durch eine neue Wallfahrt und Horden von Franziskanern und Fokularini gestört würde. Die wären imstande und würden über ‚ihren Kardinal‘, wie heißt er doch gleich, ja, richtig, Dr. Pater Anselm Windschütz, auf das ‚Doktor' legt er Wert übrigens, wussten Sie das, jedenfalls über ihren Kardinal intervenieren. Ich glaube sogar, dass dieser Pater Anselm in der Kommission für Wunderfragen als außerordentlicher Berater für mittelalterliche Wundergeschichten tätig ist. Er hat damals über die wissenschaftliche Möglichkeit des Wohlgeruchs heiliger Leiber Verstorbener promoviert, sehr gelehrt, und gezeigt, dass es unter den Bedingungen der Campagna tatsächlich möglich war, dass ein toter Leib, wie der des Heiligen Thomas, Düfte ausströmte, wie berichtet wird. Nein, Noethrich, bitte keine Benediktiner, bitte nicht Ottobeuren. Überhaupt scheint mir eine etablierte Ordensgemeinschaft, sofern sie Anrechte auf einen Platz hat, ungeeignet, weil Animositäten unvermeidbar wären. Kapuziner als Wallfahrtspfleger, vielleicht, aber erst später.“

„Eine andere Idee: Altenmünster, dreißig Kilometer westlich von Augsburg. Ein schlagendes Argument: Eines der besten Biere weit und breit. Sie exportieren sogar ins Badische, habe ich unlängst gehört, was zwar nicht viel heißt, weil die Badener nichts von Bier verstehen. Aber die schmucken Flaschen mit dem antiken Bügelverschluss sind schon in jedem Getränkemarkt in der ganzen Republik zu kaufen. Und das Brauereiemblem mit dem Zwiebelkirchturm könnte man sich zunutze machen.“

„Ich kenne Altenmünster, Noethrich, war selber mal dort. Kirchenpolitisch ungeeignet, dort leben ein paar exklaustrierte Nonnen. Ein Novum in der neueren Kirchengeschichte übrigens; sind pardauz nicht freiwillig gegangen, sondern haben sich rausschmeißen lassen. Unleidige Sache, die Oberen hätten sie vernünftig abfinden müssen, vielleicht wären sie dann in Frieden gegangen, aber so: Wo gibt's das denn, wollen bleiben und bringen's fertig, dass man sie feuert. Der schwarze Peter in Rom, verstehen Sie? Sowas kann nur bei Frauen vorkommen. Nun stellen Sie sich vor, bei einer Medienkampagne, wie sie bei einer neuen Wallfahrt unvermeidbar ist, kommen ein paar Journalisten auf diese Geschichte. Die würden der Heiligen Jungfrau den Rang ablaufen, nein, Noethrich, unmöglich. Außerdem, sub sigillo silentii4, verbindet mich mit einer der Damen, noch aus meiner Münchner Zeit her, eine unleidige Geschichte. Sie kennen das, wie studierende Nonnen ihre geistlichen und geistigen Lehrer anhimmeln, manchmal mehr als einem lieb ist…“

Katz' Blick wanderte einige Momente in die Ferne und schien vage zu suchen, so als hätte er von weit her eine Melodie vernommen.

„Nein, Noethrich, stellen Sie sich vor, ich käme einmal vorbei, was bei einer Höherdotierung einer solchen Wallfahrt unausweichlich wäre. Wie peinlich und schmerzhaft für die Schwester. Sie verstehen.“

„Selbstverständlich, Eminenz.“

Plötzlich empfand der Kaplan eine Welle der Sympathie für den sonst so gefühlsarmen Funktionär des Heils, als hätte er einen Zipfel seiner sonst gut verborgenen Seele zu fassen erhalten. Auch der Unnahbare war also nicht makellos. Ob er wohl seinem Beichtvater die Vergehen gegen das sechste Gebot auf Lateinisch sagen würde, oder gar auf Griechisch? Aber ob es auf Griechisch diese feinen moralischen Abstufungen gab? Unzucht mit sich selbst, mit anderen, etc. Noethrich fielen die Vokabeln nicht ein. Oder ob er gar diesen Punkt übersprang? Und ob der diskrete Padre Agostino nachfragte? Manchmal würde er viel darum geben, wenn er's wüsste. Pfui, Noethrich, sagte er zu sich selber, und sein Gesicht zeigte eine plötzliche Miene des Abscheus, die Katz in diesem Moment verständlicherweise auf sich selbst bezog und etwas indigniert aber gleichsam wehrlos über sich ergehen lassen musste. Er hielt es für klüger, zum Thema zurückzukehren.

„Also, Bistum Augsburg steht fest. Jetzt noch ein geeigneter Ort.“

Noethrich breitete vor seinem inneren Auge die Landkarte des Bistums aus, die er zur Genüge kannte. Immerhin hing sie im Studienseminar zu Dillingen, wo er bis zum Abitur die Schulbank gedrückt hatte. In unbeaufsichtigten Momenten hatte man mit Kaugummis und Papierbolzen darauf geschossen. Wer Dillingen traf, hatte gewonnen. Daher waren Dillingen und seine Umgebung auf der Karte abgewetzt. Die Einfallspinsel von Lehrer dachten, weil die Schüler auf den Nabel der geistlichen Welt zu zeigen liebten….

„Ich glaube, ein wenig nördlich von Augsburg, vielleicht unweit von Donauwörth, etwa an den Lechabhängen der Stauden. Das läge an der vielbefahrenen Zugstrecke Augsburg-Nürnberg, gut mit dem Zug zu erreichen, eine halbe Stunde von Augsburg. Wer's ruhiger liebt, kann nach Donauwörth ausweichen. Die romantische Straße. Alle ‚See Europe in three days'-Touristen, die mit dem Bus die romantische Straße nach Rothenburg ob der Tauber gekarrt werden, können Station machen, was für die nötige Internationalisierung sorgt - Amerika, Japan, Spanien.

„Wie wär's mit Oberdrosselhausen? Eilzugstation sogar, wenn mich nicht alles täuscht. Die Bahnstation liegt außerhalb des Ortes. Wenn man den Erscheinungsort auf den Lechabhang positionieren könnte, was allein aus optischen und traditionellen Gründen naheliegend wäre, könnte man gleich einen zumutbaren Pilgerweg von vier Kilometern ab Bahnstation ausbauen, und für die Fußmaroden einen kleinen Pendelverkehr in den Ort und von da noch ein Kilometer bis zur möglichen Wallfahrt. Ja, Eminenz, Oberdrosselhausen schiene mir geeignet.“

„Ich kenne den Ort nicht, Noethrich. Ich bitte Sie, bringen Sie mir doch gelegentlich einige nähere Informationen - Karten, Ansichten, Bahnverbindungen usw. Von Ihrer Beschreibung her klingt es passend. Den Namen finde ich allerdings ungeschickt, wie das klingen würde ‚Heilige Maria von Oberdrosselhausen'.“

„Dem wäre abzuhelfen durch einen Flurnamen. Beispielsweise ließe sich die ganze Erscheinung auf dem Feld bei einigen Bäumen inszenieren und dann als ‚Heilige Maria auf dem Felde' oder ‚Heilige Maria Dreilinden' benennen oder sowas, was recht alt klingt.“

„Ja, explorieren Sie doch diese Möglichkeiten, Noethrich. Und machen Sie mir bis nächste Woche detaillierte Vorschläge. Ganz konkret mit möglichen Reisezeiten, etc.“

„Mit gewohnter Präzision, Eminenz,“ erwiderte Noethrich selbstzufrieden. Schließlich war Noethrich bekannt für seine Sorgfalt, hatte er doch seinerzeit in seiner mariologischen Dissertation über ‚Die Verehrung der Heiligen Maria und die Geschichte des Rosenkranzgebets im Kloster Maria Medingen von 1595 bis 1623 als Beispiel schwäbischer Nonnenfrömmigkeit und ihres Einflusses auf die Volksfrömmigkeit unter besonderer Berücksichtigung des Rieses und der Stadt Nördlingen' zweifelsfrei zeigen können, dass Hugo Rahner Gregor von Nazianz falsch zitiert hatte, nämlich Gregor von Nyssa gemeint und dabei noch die falsche Seitenangabe gemacht hatte. Das hatte ihm bei seinem Korreferenten, einem Jesuiten, eine halbe Note schlechter beschert, was auf Intervention der Fakultät allerdings rückgängig gemacht werden musste, so dass er, Noethrich, rehabilitiert mit ‚Summa cum laude' und als präziser Nörgler und theologischer Querulant in die Annalen der Fakultät einging. Katz, seinem damaligen Mentor, hatte das Eindruck gemacht. Er mochte nämlich die Rahner-Dynastie nicht, auch wenn der alte Karl seines Meisters Lehrer war.

„Präzision ist eine meiner guten Eigenschaften, wie Eminenz sich vielleicht erinnern,“ erwiderte Noethrich mit unverhohlenem Stolz. Innerhalb der nächsten Woche werden Sie alle nötigen Unterlagen auf ihrem Pult haben.“

„Ich weiß, Noethrich,“ erwiderte der Kardinal.

„Und vergessen Sie das Wichtigste nicht: Wer wird die Person sein, welche die Erscheinung sehen wird? Dies ist der heikelste Punkt in unserem Plan. Es muss eine glaubwürdige junge Frau sein, Noethrich. Guter Leumund, einfach, aber nicht dumm, möglichst ohne Theologie- oder sonstiges Studium, der Sache der Kirche verpflichtet. Eine glaubwürdige Jungfrau, Sie verstehen, keine Männergeschichten, und irgendwie aus der näheren Umgebung, damit niemand Verdacht schöpft. Sie darf unter keinen Umständen mit Ihnen oder mit mir in Verbindung gebracht werden können und wir müssen trotzdem sichergehen, dass sie uns gegenüber absolut loyal ist, verstehen Sie?“

„All das habe ich bereits selbst überlegt, mit Verlaub, Eminenz. Ich habe einige Gedanken, die ich Ihnen angelegentlich weiterer Präzisierungen vorzutragen gedenke. Allerdings muss ich noch Abklärungen treffen. Bis diese getätigt sind, werden noch einige Tage vergehen. Vielleicht muss ich zu diesem Zweck reisen.“

Noethrichs Stimme hob sich leicht, wie, um eine Frage und stille Bitte um Erlaubnis anzudeuten.

„Tun Sie, was Ihnen notwendig scheint, unter Wahrung der nötigen Diskretion, versteht sich. Ich lasse ein Konto bei der Banca Ambrosiana auf ihren Namen einrichten. Sie können darüber verfügen. Keine Rechnungen.“

2 Mittlerer Weg und gemischtes Leben

3 Die Spuren der Trinität kann man in allen Dingen bemerken.

4 Unter dem Siegel der Verschwiegenheit

3. Das Mittel

Ja, hier Waldhofer.“

Das Telefon knackte so sonderbar, als wäre Sand in der Leitung.

„Aspetta un momento, Signorina,“ sagte eine unbekannte, schrille Stimme am anderen Ende der Leitung.

'Aha, Italien', dachte Marianne Waldhofer, ‚Wer das wohl sein mag - Italien?'

Immer noch das Knacken in der Leitung. Plötzlich ein verzweifeltes Gurgeln, als ob ein Relais vergeblich ein Kabel kontaktehalber in sein rostiges Maul zu fassen versuchte. ‚Solche Leitungen gibt's in ganz Europa nur noch in der Oberpfalz und in Österreich', dachte Marianne amüsiert.

'Naja, ist ja nicht mein Geld - au, aber der Tee hat schon genug gezogen und sollte raus, hoffentlich wird's bald was.'

„Hallo, Marianne,“ meldete sich plötzlich eine Stimme, die ihr irgendwie bekannt vorkam, die ihr aber aufgrund der Ferne nicht gleich ein Gesicht zum Klang lieferte. „Ja?“ sagte sie. „Wer ist da?“

„Ich bin's, Winfried, Winfried Noethrich aus Rom. Hallo, störe ich dich?“

„Winfried!“ So eine Überraschung. „Was machst du denn in Rom? Und warum rufst du an? Was gibt's? Mensch, toll, so unvermutet von dir zu hören.“

„Ja, ich bin in Rom, längere Geschichte. Ich würde sie dir gerne persönlich erzählen; deswegen rufe ich ja an. Ich muss nämlich nach München, dienstlich. Ja, Geschäftsreise sozusagen. Ich wollte dabei meine Mutter in Dillingen besuchen, und da bist du mir in den Sinn gekommen, weißt du…. Ja, ich bin dir so viele Briefe damals schuldig geblieben, dass ich ein ganz schlechtes Gewissen habe. Ach, es ist mir so viel dazwischengekommen, Berufung nach Rom, anspruchsvoller Job, du weißt schon. Ich wollte immer mal wieder schreiben, aber ich hatte nie die Ruhe. Da dachte ich, demnächst komme ich eh mal in die Gegend, da klären wir alles persönlich. Und dann sind all die Monate draus geworden. Nun, jetzt ist's soweit. Heute Nachmittag geht mein Flug, und wenn du irgendwann ab morgen Abend und am Wochenende frei bist, könnte ich bei dir kurz vorbeischauen, wenn ich bei meiner Mutter in Dillingen bin. Käme dir das sehr ungelegen?“

„Nein, gar nicht. Mensch, toll! Ich würde mich freuen; ich habe sowieso ab heute Abend bis Montagmittag frei, weil ich Nachtdienste guthabe. Ja, Winfried, ruf an, wenn du in Dillingen bist. Ich habe nichts Spezielles vor. Wohnung putzen, mal ein bisschen lesen, vielleicht ein wenig wandern. Wann kämst du denn, dass ich dann auch da bin? …Was, schon morgen Vormittag? Und deine Geschäfte? … Ach so, nur ein Treffen heute Abend? Na schön. Ich schlafe morgen sicher lang. Bis neun oder halb zehn. Ja, aber elf wäre prima, sicher. Und sag, was für Geschäfte und was machst du in Rom? Seit wann macht ein Priester Geschäfte?“

„Hör mal, Marianne, kann ich dir das nicht morgen erzählen? Es wird schon ein bisschen teuer. Ich weiß noch nicht, wie die Züge fahren. Aber ich denke, ich kann's bis elf oder so schaffen. Nein, nichts kochen, hörst du, wir gehen wohin essen. …Brauchst du nicht, ich lade dich ein. Schließlich habe ich so lange nichts hören lassen. Du, ganz toll, dass das klappt. Ich finde es ganz schön, dass du Zeit hast und wir uns sprechen können. Ich freue mich!“

„Ja, ich auch. Tschau, Winfried, bis morgen dann.“

„Tschau, Marianne, bis bald.“

Knack. Aufgelegt. Weg ist er. Jetzt ist der Tee bitter. Winfried kommt. Morgen schon. So eine Überraschung. Wie sich doch plötzlich so ein stinknormaler Donnerstag verwandeln kann. Winfried kommt, wie denn das? Was das wohl zu bedeuten hat?

Marianne Waldhofer war so aufgeregt, dass sie für einige Minuten keinen klaren Gedanken fassen konnte. Automatisch hantierte sie in der Küche und beendete ihre Verrichtungen zur Vorbereitung des Frühstücks. Teestrumpf raus, schon reichlich spät. Butter heraus, noch Brot schneiden. Die alltäglichen Handlungen kamen ihr in ihrer Normalität fast grotesk vor. Wieso überhaupt noch frühstücken? Sie blickte aus dem Fenster ihrer kleinen Einzimmer-Kochnische-Nasskabinen-Wohnung, auf diese nichtssagende Gasse hinter dem Dillinger Hauptmarkt, und plötzlich fand sie all das so bizarr, dass sie laut hätte schreien oder in einen Lachanfall ausbrechen mögen.

Der ewige Morgennebel von der Donau lag noch immer in allen Fugen und Gassen der Stadt. Wenn man Glück hatte, konnte gegen zehn, halb elf, die Sonne durchbrechen. Aber mit einem Mal hatte selbst der Nebel ein anderes Gesicht bekommen. Winfried Noethrich, nie mehr erwartet, fast vergessen schon, nach dieser Unhöflichkeit von fünf unbeantworteten Briefen, die sie doch an ihn in seinem priesterlichen Amt geschrieben hatte damals, als ihr unklar war, ob sie nun der Kongregation vom Heiligen Blute beitreten sollte oder nicht. Und jetzt ruft er einfach an. Ich an seiner Stelle hätte mich das nicht getraut. Aber wieso denn ‚Mutter besuchen'? Die war doch vor einem halben Jahr gestorben. Sie hatte das zufällig im Dillinger Boten gelesen. Sie erinnerte sich noch genau ‚….ging ein in die ewige Ruhe, nach langem Leiden usw., Frau Emma Noethrich. In tiefer Trauer Geschwister und Dr. Winfried Noethrich und Walburga Haslacher, geborene Noethrich.' Sie hatte das damals nämlich ausgeschnitten und eine Weile aufgehängt, weil sie sich überlegt hatte, ob sie zur Beisetzung sollte. Das wäre eine Gelegenheit gewesen, ihn wenigstens zu sehen. Sie hätte vielleicht in der Trauergemeinde, die bei alten Dillingern immer aus der halben Stadt bestand, gut unbemerkt bleiben können. Aber dann hatte sie nicht den Mut gefunden, die Stationsschwester um einen Diensttausch zu bitten. Sie konnte schon die Frage hören, „Ja, wer ist den gestorben? Aber freilich. Ach, keine Tante? Ja, wer denn? Ach, Frau Noethrich, freilich. Ihr ältester Sohn ist Priester geworden, wissen Sie das? Kennen Sie ihn?“ usw. Sie hätte ihr nicht gerade ins Gesicht schauen können und Anteilnahme am Tod der ihr völlig unbekannten und gleichgültigen Emma Noethrich heucheln können. Alles weitere, die Bekanntschaft mit Winfried gestehen, ausgeschlossen. Sie wäre rot angelaufen wie eine Tomate. Aber sie wusste es noch genau, als sei es gestern gewesen.