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»Ein isländischer Schriftsteller kann nicht leben, ohne beständig über die alten Bücher nachzudenken.« Halldór Laxness Der Stellenwert, den die Isländersagas im kulturellen Gedächtnis der Isländer einnehmen, ist enorm. Bis heute haben die fesselnden Geschichten rund um die Besiedelung der nordischen Insel nicht an Leuchtkraft verloren: Die Prosatexte aus dem 13. und 14. Jahrhundert sind eine Sternstunde der Geistesgeschichte Europas – und können hier in einer breiten Auswahl bewundert werden. Mit der vorliegenden Neuedition öffnet sich dem Leser ein Tor in eine Welt, die beseelt ist von wütenden Außenseitern, starken Frauen und Rechtskundigen, von Rache, Totschlag und Buße, aber auch von Schadenszauber und Wiedergängern und nicht zuletzt abenteuerlichen Reisen in ferne Länder. Die Isländersagas sind Weltliteratur. Die ›Isländersagas‹ - vorgelegt von den besten literarischen Übersetzern und angereichert mit wissenschaftlichen Zusatzinformationen - räumen einer der bedeutendsten Literaturen den Platz ein, der ihr gebührt. Mit einem Vorwort der Herausgeber Mit Faksimiles der mittelalterlichen Handschriften Mit Karten der Handlungsorte der Sagas Mit einem Glossar
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Seitenzahl: 95
Herausgegeben von Klaus Böldl, Andreas Vollmer und Julia Zernack
Isländersagas
Die Isländersagas (Íslendingasögur) sind umfangreiche Prosaerzählungen in altisländischer Sprache, entstanden im 13. und 14. Jahrhundert. Sie gelten als der wichtigste Beitrag Islands zur Weltliteratur und sind in viele Sprachen übersetzt worden, mehrfach auch ins Deutsche. Die vorliegende Ausgabe präsentiert eine breite Auswahl dieser Sagas in neuen deutschen Übertragungen, ergänzt durch eine Reihe thematisch und stilistisch verwandter Erzählungen (þættir) aus derselben Epoche. In ihrer novellenhaften Kürze und Pointiertheit legen sie zusammen mit den Isländersagas in eindrucksvoller Weise Zeugnis ab von der im Mittelalter einzigartigen Erzählkunst Islands.
Viele Übersetzer haben zum Entstehen der neuen Ausgabe beigetragen. Wenn die Übertragungen dadurch einen je individuellen Ton bekommen haben, dann ist dies durchaus beabsichtigt. Denn die Originaltexte haben bei allen Gemeinsamkeiten doch immer eine deutlich eigene Prägung, die auch in der Übersetzung noch durchscheint. Damit die Sagas als literarische Kunstwerke für sich wirken können, sollten sie von allen erläuternden Zusätzen möglichst frei bleiben. Für das Verständnis unverzichtbare Anmerkungen der Übersetzer sowie Karten zur geographischen Orientierung finden sich in einem Anhang. Den größeren kultur- und literaturgeschichtlichen Zusammenhang erschließt der Begleitband.
April 2011
Die Herausgeber
Auðunar þáttr vestfirzka
Aus dem Altisländischen und mit einer Einleitung von Mathias Kruse
Der Beginn der Erzählung von Auðunn aus den Westfjorden in einer Papierhandschrift, die zwischen 1775 und 1825 entstanden sein dürfte. Oben auf der Seite endet die Saga von Flóres und Blankiflúr (eine Adaption des im Mittelalter in Europa weitverbreiteten Florisstoffes), darunter fängt mit einer großen Überschrift und der vergrößerten ersten Zeile die Erzählung von Auðunn aus den Westfjorden an.
Die Erzählung von Auðunn aus den Westfjorden gilt als Perle unter den sogenannten Íslendingaþættir und als besonders gelungenes Beispiel ihrer Art. Es ist eine jener kurzen Erzählungen, die vom Schicksal eines Isländers handeln, den es auf seinen Reisen ins Ausland verschlägt.
In knappen Worten erfährt man, wie der aus den Westfjorden Islands stammende Auðunn sein Glück macht, nachdem er in Grönland in den Besitz eines Eisbären gekommen ist. Sein fester Wille ist es, den Bären nach Dänemark zu verschiffen, um ihn dort dem König zum Geschenk zu machen. Dass er sich von seinem Vorhaben weder vom norwegischen König, der sich das kostbare Tier natürlich nicht entgehen lassen will, noch von Geldnot und Hunger abbringen lässt, zeigt, wie ernst es ihm damit ist. Letztendlich jedoch bleibt er vollkommen abhängig von der Anständigkeit und der Großmut der beiden Könige, denen er auf seiner Reise begegnet. Doch sie beide – es handelt sich um König Harald den Harten, der zwischen 1047 und 1066 in Norwegen herrschte, und dessen Zeitgenossen Sveinn Ástríðarson (dän. Svend Estridsen), König von Dänemark von 1047 bis 1074 – erscheinen in durchweg positivem Licht. Sie sind es, die Auðunn zu seinem Glück verhelfen, und der Isländer revanchiert sich jeweils mit kostbaren Geschenken.
Die Charakterzüge der drei Hauptpersonen treten in lebendig gestalteten Dialogen klar hervor: Auðunns Hartnäckigkeit in der Verfolgung seiner selbst gestellten Aufgabe, bei der er sich doch in jeder Situation bewusst zu sein scheint, was für ihn auf dem Spiel steht, und daneben die Großzügigkeit der beiden Könige, die sich im Falle einer Zurückweisung ihrer Gunst jedoch auch schnell gekränkt fühlen können.
Die Geschichte des Bärentransportes über Norwegen an den Hof des dänischen Königs erfreute sich im Mittelalter offenbar größter Beliebtheit und war in zahlreichen Varianten weit über Skandinavien hinaus verbreitet. Dass sie im Kern durchaus auf Tatsachen beruhen könnte, zeigen vergleichbare Berichte. Die Saga von den Leuten aus dem Vatnsdal und auch das Buch der Landnahmen erzählen von einem entsprechenden Geschenk an den norwegischen König Harald Schönhaar, und auch Kaiser Heinrich III. soll kurz vor seinem Tod im Jahr 1056 vom isländischen Bischof Ísleif einen Eisbären bekommen haben.
Im Laufe ihrer Verbreitung hat die Geschichte allerdings auch literarische Motive angezogen. So ist die Begegnung Auðunns mit dem Vogt König Sveinns, an den er seinen Bären zur Hälfte abtreten muss, um zum König zu gelangen, einem beliebten Märchen- und Schwankmotiv nachgebildet.
Entstanden ist die Erzählung von Auðunn wahrscheinlich gegen Anfang des 13. Jahrhunderts. Überliefert ist sie in der Morkinskinna, dem »Verfallenen Pergament«, einer Sammlung von Königssagas aus der Zeit um 1275, deren Wortlaut auch die vorliegende Übersetzung folgt. In einer leicht abweichenden Fassung findet sich die Geschichte Auðunns jedoch auch in der Flateyjarbók, einer umfangreichen Sammelhandschrift vom Ende des 14. Jahrhunderts.
Ein Mann hieß Auðunn. Er stammte aus den Westfjorden und war nicht besonders reich. Er verließ die Fjorde dort im Westen in Richtung Norwegen und folgte dabei dem Rat Þorsteinns, eines tüchtigen Bauern und Landbesitzers, und dem Angebot von Þórir dem Schiffsführer, der bei Þorsteinn den Winter verbracht hatte. Auch Auðunn hielt sich dort auf und arbeitete für Þórir, und als Lohn für seine Arbeit erhielt er von ihm Unterstützung und die Fahrt außer Landes. Auðunn legte den Großteil des Geldes, das er hatte, für seine Mutter zurück, ehe er an Bord ging. Es sollte ihren Unterhalt für die nächsten drei Winter sichern.
So fahren sie von hier fort. Die Reise verläuft gut, und Auðunn verbrachte den folgenden Winter bei Þórir dem Schiffsführer. Dieser hatte einen Hof in Møre.
Im Sommer darauf fahren sie fort nach Grönland und verbringen den Winter dort. Man erzählt sich, dass Auðunn dort einen Bären kauft, ein überaus kostbares Gut, für das er alles gab, was er besaß. Im Sommer darauf nun kehren sie wieder nach Norwegen zurück, und sie haben eine glückliche Überfahrt. Auðunn hat sein Tier bei sich und möchte nun in den Süden nach Dänemark fahren, um dort König Sveinn aufzusuchen und ihm den Bären zum Geschenk zu machen. Als er in den Süden Norwegens kam, wo König Harald herrschte, ging er von Bord, das Tier mit sich führend, und suchte sich eine Unterkunft. Es dauerte nicht lange, und man berichtete König Harald, dass da ein Bär in die Stadt gekommen war, ein überaus kostbares Gut, das im Besitz eines Isländers war. Der König schickte sogleich Männer los, den Isländer herzubitten, und als Auðunn vor den König trat, grüßte er ihn ehrerbietig. Der König erwiderte seinen Gruß und fragte dann: »In deinem Besitz befindet sich ein überaus kostbares Gut, ein Bär, oder nicht?«
Er antwortete, er besitze so ein Tier.
Der König sprach: »Möchtest du uns das Tier verkaufen, zu dem Preis, zu dem du es erstanden hast?«
Er erwidert: »Das möchte ich nicht, Herr.«
»Möchtest du dann«, sagt der König, »dass ich dir den doppelten Preis bezahle, was vielleicht angemessener sein wird, falls du all deinen Besitz dafür gegeben hast?«
»Das möchte ich nicht, Herr«, sagt er.
Der König sprach: »Möchtest du es mir zum Geschenk machen?«
Er erwidert: »Nein, Herr.«
Der König sprach: »Was hast du dann damit vor?«
Er antwortet: »Nach Dänemark zu fahren und es König Sveinn zum Geschenk zu machen.«
König Harald spricht: »Bist du wirklich so dumm, dass du nicht von dem Zwist gehört hast, der zwischen unseren Ländern herrscht? Oder hältst du dein Glück für so groß, dass du es schaffen wirst, mit kostbarer Fracht an einen Ort zu gelangen, den schon andere nicht unbeschadet erreichen, die dort Wichtigeres zu erledigen haben?«
Auðunn erwidert: »Herr, das liegt in Eurer Hand – doch werden wir uns auf nichts anderes einlassen als auf das, was schon immer unser Ziel war.«
Da sprach der König: »Warum nicht? So gehe deines Weges, wie du es wünschst, und komme zu mir, wenn du zurückkehrst, und sage mir, wie König Sveinn dir das Tier vergolten hat, denn es kann ja sein, dass du ein Glückskind bist.«
»Das verspreche ich Euch«, sagte Auðunn.
Daraufhin nun reist er am Land entlang in Richtung Süden, nach Osten in die Vík und von dort nach Dänemark. Da war der letzte Pfennig seines Geldes aufgebraucht, und so ist er gezwungen, um Essen zu betteln für sich und das Tier. Er kommt dort zu einem Vogt König Sveinns, der Áki hieß, und bittet ihn um ein wenig Verpflegung für ihn und für das Tier.
»Ich habe vor«, sagt er, »es König Sveinn zum Geschenk zu machen.«
Áki meint, er könne ihm Proviant verkaufen, wenn er wolle.
Auðunn sagt, er habe nichts, was er dafür geben könnte, »doch würde ich das Tier gerne irgendwie zum König bringen«, sagt er.
»Ich werde dir Kost und Verpflegung bieten, da ihr zum König müsst, doch im Gegenzug soll das Tier zur Hälfte mir gehören. Und du kannst dich darauf verlassen, dass dir das Tier unter den Händen wegsterben wird, wenn es so viel Futter braucht, du aber kein Geld mehr hast, und am Ende wirst du dann gar kein Tier mehr haben.«
Bei genauerer Betrachtung scheint ihm etwas Wahres daran zu sein, was der Vogt ihm da erzählte, und so einigen sie sich darauf, dass er Áki das Tier zur Hälfte verkauft. Was es insgesamt wert war, sollte später der König bestimmen. Gemeinsam machen sie sich nun auf zum König und treten vor dessen Tafel.
Der König überlegte, wer dieser Mann sein könnte, den er nicht kannte, und sprach dann zu Auðunn: »Wer bist du?«
Er antwortet: »Ich bin ein Isländer, Herr, von weit her aus Grönland gekommen, und nun gerade aus Norwegen eingetroffen, und wünsche Euch diesen Bären zu überbringen. Ich kaufte ihn mit allem, was ich besaß, auch wenn ich inzwischen so große Schwierigkeiten hatte, dass ich ihn nur noch zur Hälfte besitze«, woraufhin er dem König berichtet, wie es ihm mit dessen Vogt Áki ergangen ist.
Der König sprach: »Stimmt das, Áki, was er berichtet?«
»Das stimmt«, sagt er.
Der König sprach: »Und du hieltst es für angebracht, nachdem ich dich in den Rang eines mächtigen Mannes erhoben habe, es zu verhindern, dass mir ein kostbares Geschenk gemacht werde – ein Geschenk, für das er all seinen Besitz gab und selbst unseren Feind König Harald dazu brachte, ihn in Frieden ziehen zu lassen? Überlege dir, ob es recht war, was du getan hast; es wäre angebracht, dich töten zu lassen. Das werde ich jetzt zwar nicht tun, doch sollst du auf der Stelle das Land verlassen und mir niemals wieder unter die Augen treten. Du aber, Auðunn, sollst von mir denselben Dank erhalten, als gäbest du mir das ganze Tier, und bleibe nun bei mir.«
Das nimmt er an und bleibt eine Weile bei König Sveinn.
Als etwas Zeit vergangen war, sprach Auðunn zum König: »Es zieht mich nun fort, Herr.«
Nach kurzem Schweigen antwortet der König: »Wonach verlangt es dich denn«, sagt er, »wenn du nicht hier bei uns bleiben möchtest?«
Er sagt: »Ich möchte nach Süden wandern.«
»Hättest du nicht eine solch gute Absicht gefasst«, sagt der König, »würde es mir missfallen, dass es dich in die Ferne zieht.«
Der König gab ihm nun reichlich Silber, und mit Pilgern, die auf Wallfahrt nach Rom waren, brach er in den Süden auf. Der König hatte die Reise für ihn vorbereitet und bat ihn, wieder zu ihm zu kommen, wenn er zurückkehrte. Er machte sich nun auf den Weg, bis er in Rom ankam. Und als er sich eine Zeitlang dort aufgehalten hatte, ganz wie es üblich war, kehrte er zurück.