Die fabelhafte Welt meiner Mama - Barbara Bachler - E-Book

Die fabelhafte Welt meiner Mama E-Book

Barbara Bachler

0,0

Beschreibung

Wenn die Mama die Pantoffeln in den Kühlschrank zum Gemüse stellt und der Opa seine Steuererklärung für den längst geschlossenen Laden macht, dann wird aus einer Befürchtung oft Gewissheit: Diagnose Demenz. Das Vergessen kann unseren Alltag komplett umkrempeln, und obwohl es auch liebevolle Momente geben kann, ist es oft eine große Herausforderung, dem anderen mit Respekt und Humor zu begegnen, ohne sich selbst zu verlieren. Dieser Aufgabe stellte sich Barbara Bachler. Persönlich und einfühlsam beschreibt sie in ihrem Erstlingswerk die Beziehung zur Mutter, wie sie durch ihre Hingabe fast ins Pflege-Burnout getrieben wurde – und dann wieder zu sich selbst zurückfand. Ein Blick auf die Volkskrankheit Demenz – und ein Mutmachbuch für alle, die einem an Demenz erkrankten Menschen nahestehen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 103

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



BARBARA BACHLER

DIE FABELHAFTE WELT MEINER MAMA

LEBEN MIT DEMENZ BEGLEITEN OHNE BURNOUT

INHALT

Cover

Titel

WORUM ES EIGENTLICH GEHT: UM DICH

Die Geschichten von der klugen Flugbegleiterin, von Omas Hausschuhen im Gemüsefach und von der armen Franziska, die den toten Vater ins Kühlhaus stellen wollte, bis sie aus dem Urlaub zurück wäre: auch keine Lösung. Außerdem geht es um das Nachdenken über ein Tabu: Willst du dir den Rucksack mit den neuen Aufgaben überhaupt umschnallen?

»MAMA, DU HAST RECHT.« ICH KOMME ZU DIR IN DEINE WELT. WIR KRIEGEN DAS HIN

Die Geschichte, als der Arzt meine Mama über einen Strich an der Wand springen ließ. Es ist das ultimative Zaubermittel: Sieh die Welt mit ihren Augen. Das bringt Frieden, Ruhe und endlich wieder Durchschlafen.

1. SÄULESORG GUT FÜR DICH

Die Geschichte, wie sich der nette Herr vom Finanzamt Sorgen um mein Einkommen gemacht hat: Hier geht es um deine Beziehungen. Und daneben auch um deine Ernährung, Bewegung – und deine Ruhe. Und wo deine Oase der Ruhe sein könnte.

2. SÄULELOSLASSEN. GIB DEN WIDERSTAND AUF

Warum es keine wirklich gute Idee war, meine Mutter im Zimmer neben meiner Schwiegermutter unterzubringen und was das mit der Erstbesteigung des Mont Blanc zu tun hat. Hier geht es ums ganz banale Entrümpeln – vor allem in deinem Kopf. Dort wirst du jede Menge Hexen vorfinden.

3. SÄULEDIE VIER FREUNDE

Die Geschichte, wie die Tante mit dem besonders frommen Blick von meiner Mutter noch aus dem Sterbebett heraus eine gescheuert bekam: Eins der hilfreichsten Kapitel in diesem fröhlichen Buch, in dem es um die vorzüglichen Wirkungen geht, die Großzügigkeit, Respekt, Geduld und Humor haben können.

FRIEDEN SCHLIESSEN

Und die letzte Geschichte, wie meine Mutter mit nur zwei Worten Frieden für ein ganzes Leben geschaffen hat: Hier denken wir gemeinsam – und vielleicht überraschenderweise – auch über das Thema Dankbarkeit nach. Die bettet dich sanft, wenn es ans Ende geht. Und man kann sie üben wie das Einmaleins: Diese Rechnung geht immer auf.

Impressum

Alle in diesem Buch genannten Personen sind mit geänderten Namen angeführt.

Der Tod hält sich in unserer Familie bisher an die natürliche Reihenfolge: Uroma, Opa, Oma, Papa, Mama – und dann werde wohl ich dran sein, wahrscheinlich. Und darüber bin ich heilfroh.

Bei der Begleitung meiner dementen und sterbenden Mutter habe ich gelernt, dankbar zu sein auch für Dinge, die einem zunächst gar nicht als wertvoll auffallen: zum Beispiel, dass sich der Tod oft an die Sterbeordnung hält. Das erleichtert den Umgang mit ihm enorm.

Erst beim Schreiben dieses Buches wurde mir richtig klar, um wie viel besser unser Zusammensein gelungen ist, seitdem ich meine Mutter bedingungslos in ihre Wirklichkeit begleitet habe. Ihre Wirklichkeit, das war zuletzt ein unansehnlicher, schlampig wiederaufgewickelter Wollfaden, der einmal ein Kleid, ein Pullover oder sonst etwas gewesen sein mochte: ein Leben lang elegant und funktional, heute nutzlos und sichtbar abgewirtschaftet.

Meine Mutter hat mir in ihrem Verlöschen beigebracht, leichter zu leben. Und ich möchte dir das weitergeben, damit auch du leichter, besser und am Ende glücklicher durch diese besondere Zeit kommst.

Ich wünsche dir Gewinn aus dem Buch und ein gelingendes Leben!

BARBARA BACHLER

Das Begleiten der dementen Mutter und des beeinträchtigten Bruders prägte Barbara Bachlers Leben. So ist es auch nicht ungewöhnlich, dass ihr in ihrem Beruf als Physiotherapeutin und später als Unternehmensberaterin die Menschen ein besonderes Anliegen sind. Barbara Bachler wurde 1959 in der Nähe von Salzburg geboren und lebt mit ihrem Mann im Salzburger Land.

WORUM ES EIGENTLICH GEHT: UM DICH

MAMA IM SCHNITZELPARADIES

Tack, tack, tack. Rhythmisch und unhörbar tropft die Infusion. Den Mund leicht geöffnet, liegt sie friedlich im kühlen Zimmer. Sie schläft. Ruhe. Ruhe und ihr so alt gewordenes, vom Leben gezeichnetes Gesicht.

Plötzlich macht sie die Augen auf und schaut mich erstaunt und zugleich freudig überrascht an. »Da bist du ja. Ach, bin ich heute müde, es waren so viele Handwerker da. Dreißig Schnitzel hab’ ich gemacht.« Ich: »Da hast du aber viel zu tun gehabt. Und, hat es allen geschmeckt?«

Sie: »Ja und wie, sie haben alles aufgegessen! Jetzt muss ich aber schlafen.« Ich: »Mama, da hast du recht.«

Sie lächelt und schließt die Augen. Die Infusion tropft in verlässlichem Rhythmus weiter.

WORUM ES EIGENTLICH GEHT: UM DICH

Anderen helfen braucht Kraft. Deshalb bist zunächst du dran, dann erst die anderen.

Stell dir vor, du sitzt im Flugzeug. Es rollt langsam auf die Startbahn, und die Flugbegleiterin erklärt routiniert die Sauerstoffmaske, die bei Bedarf aus der Decke fällt: »Ziehen Sie die Maske zu sich und legen Sie sie über Mund und Nase. Passen Sie die Maske an und ziehen Sie das elastische Band über Ihren Kopf. Erst danach helfen Sie Kindern und anderen Mitreisenden.« Versäumst du das, hat die Crew im Ernstfall zwei Probleme statt einem: eins mit dem Kind und dann noch eines mit dir.

Das klingt im Flieger logisch; im Alltag aber vergessen wir auf uns, auf unsere lebensrettende Maske, die unsere Hilfe für andere erst möglich macht. Dieses Buch über die Demenz meiner Mutter und wie wir das hingekriegt haben, soll allen, die in einer ähnlichen Situation sind, Mut machen. Mutig sein, Verantwortung übernehmen und gut für dich selber sorgen: Das wirst du brauchen.

»MIT DER MAMA STIMMT WAS NICHT!«

SEI BEREIT FÜR ÜBERRASCHUNGEN

OMAS HAUSSCHUHE IM GEMÜSEFACH

Wahrscheinlich liest du gerade dieses Buch, weil deine Großeltern, deine Mutter oder dein Vater in letzter Zeit ein bisschen merkwürdig geworden sind; Omas Hausschuhe haben sich im Gemüsefach des Kühlschranks wiedergefunden, Opas Brille im Biomüll. Und das Garagentor geht nicht mehr ganz zu, seit er die Seitenschiene mit der Stoßstange erwischt hat. Nachdem er ein parkendes Auto touchiert und Lackspuren hinterlassen hatte, fahndete einmal sogar die Polizei nach ihm. Jetzt fürchtet die ganze Familie, dass noch Schlimmeres passiert.

Bei mir und meinen Eltern war es jedenfalls so. Genau so und gelegentlich noch schlimmer.

Und da war noch mein um fünf Jahre jüngerer Bruder, nach einem Mopedunfall mit 17 Jahren körperlich und geistig schwer behindert. Von Einsicht keine Spur, bei keinem von ihnen. Nein, sie brauchen keine Heimhilfe, und nein, sie brauchen auch keinen Putzdienst und vor allem brauchen sie keine unerwünschten Ratschläge, und da war zunehmend Schärfe im Ton. Ihr Humor war bald verdampft.

EIN PAKET VERANTWORTUNG – OHNE RÜCKSENDEFORMULAR

Nun, sie hatten keine Vorstellung von dem, was da noch kommen sollte. Und ich auch nicht. Ich hatte nur so eine Ahnung, dass sich da ein Paket Verantwortung näherte: ein besonders schweres – und ohne Rücksendeformular.

In diesem Buch erzähle ich, was dann so alles geschehen ist.

In diesem Buch versuche ich, dir zu vermitteln, was ich dabei gelernt habe.

In diesem Buch geht es mir darum, wie du Demenzkranken das Leben erleichtern kannst – und, wichtigste Voraussetzung dafür, wie du dein Leben mit demenzkranken Angehörigen für dich selbst besser erträglich machen kannst.

Denn der Umgang mit Demenz ist eine zehrende Herausforderung, 24/7 und mit sicherem Ausgang, aber ungewisser Dauer. Dieser Untergang der Persönlichkeit fordert dir buchstäblich alle Kräfte ab – auch die, von denen du bis dahin nicht einmal gewusst hast, dass du sie hast.

ES BEGINNT GANZ LEISE

»Mit der Mama stimmt was nicht.« So hatte es mein Vater formuliert. Na ja, man kann schon mal die Tage verwechseln oder sich nicht mehr an Namen erinnern. Das ist ganz normal und passiert doch jedem. Aber er, der jeden Tag mit ihr verbrachte und sie so gut kannte, er sah das klarer.

Es begann leise, aber diese verwirrenden, komischen Situationen häuften sich. So bestand sie, längst pensioniert, darauf, dass sie zur Bank müsse, um die Steuern einzuzahlen, oder dass morgen Kunden kämen und einen Kostenvoranschlag abholen wollten. Dabei drängte sie den Vater, er solle das doch gefälligst rasch erledigen.

Ja, es wurde immer komischer und es war bereits mehr als komisch. Als dann die Hausschuhe im Kühlschrank neben der Butter standen und sie bei einem Kaffeekränzchen mit zwei Fingern die Schlagsahne aus der großen Schale löffelte, die für alle gedacht war, war es klar: Mit Mama stimmt was nicht. Und bald schon stimmte gar nichts mehr.

Aus dem Verdacht, dass mit ihr etwas nicht stimmte, wurde Gewissheit, als sie nach einer Hüftoperation ihre Spitalsdecke mit einer Nagelschere in hingebungsvoller Kleinarbeit zerschnippelte. Die Untersuchungen zeigten: Es war keine Narkosereaktion, sondern Parkinson. Parkinson und eine beginnende Demenz. Das volle Programm also.

Sie vergaß zunehmend. Oder wollte sie vergessen? Ich könnte mir das gut vorstellen. Ihr Leben hatte sie herausgefordert und ja, in vielerlei Hinsicht sogar überfordert.

EIN RUCKSACK, PRALL GEFÜLLT MIT NEUEN AUFGABEN

Nach dem Unfall ihres Sohnes war die Welt für meine Eltern aus den Fugen geraten. Sie waren am Boden zerstört. Und ich war mit 22 zur stabilsten Person in der Familie geworden.

Für sie stand die Welt still. Ganze 25 Jahre später erst konnte ich die Spuren des Unfalls entrümpeln – Kartons voll mit Verbandszeug, Faschen, Salben und jede Menge Medikamente.

Ich nahm damals den mit neuen Aufgaben prall gefüllten Rucksack, aber ohne mich zu fragen: Kann ich das? Will ich das? Schaff ich das? Was sollten denn all diese Fragen auch, die Dinge waren eben zu tun. So einfach war das.

Es begann also ganz leise und ich wuchs über die Jahre in die Aufgabe hinein.

Jahre später sollte ich dieses unüberlegte Annehmen einer so schweren Last bei meiner Freundin Johanna wieder erleben. Sie rief mich eines Abends an und erklärte mir todtraurig, dass sie nicht zu unserem Diplom-Jubiläum kommen kann. Johanna war eine Wegbegleiterin gewesen, als ich die Ausbildung zur Physiotherapeutin machte. Jetzt wollten wir unser Jubiläum feiern und plaudern.

KEINE VON UNS HATTE DAS PROBLEM GUT GELÖST

Johanna konnte nicht kommen, weil ihr Mann an Alzheimer erkrankt war, »und er keine anderen Betreuungspersonen akzeptiert«. Sie klang aufgewühlt und es war deutlich zu spüren, dass sie sehr unter der Situation litt. Sie fühlte sich ihrem Mann gegenüber verpflichtet.

Bei mir entstand der Eindruck, dass sie keinen Freiraum mehr für Persönliches hatte und ziemlich am Limit entlangschrammte. Als der Abend gekommen war, erzählte ich die Geschichte meinen Kolleginnen – und siehe da, diese Verpflichtungsfalle kannten sie alle. Leider auch mit der Erkenntnis, dass sie alle mehr oder minder hineingeraten waren.

An diesem Abend habe ich beschlossen, meine Geschichte mit Mama und allem, was ich dabei gelernt habe, niederzuschreiben: Niemand braucht in diese Falle zu tappen.

WÄHREND ICH SCHRIEB …

Corona, erster Lockdown: Ich habe Zeit zum Nachdenken. Zeit, diese Geschichte über die Pflege meiner dement gewordenen Mutter aufzuschreiben.

Zuerst ging das ganz schnell, die ersten hundert Seiten schrieben sich fast von allein. Und mit dem Nachdenken kamen die Details. Zuerst die traurigen und belastenden Geschichten, die ich in meinem turbulenten Leben nie so recht wahrgenommen habe. Plötzlich sind sie wieder da.

Tags darauf lese ich das Geschriebene noch einmal: Um Himmels Willen, Nabelschau pur ist das und Bejammern des längst Abgetanen. Alles schien vorbei zu sein. Fruchtlos, es hinzuschreiben, denn dadurch wird es auch nicht besser. Aber da war in den Geschichten noch etwas Rettendes, das mich wohl auch über viele Jahre getragen hat: Humor und die Fähigkeit, das Gute im Schlechten und das Heitere in einer Tragödie zu sehen.

Wenn die Lage ernst wird, meldet sich dieser Humor verlässlich bei mir. Und die Lage war ernst. Also verwarf ich die Jammerei und probierte es mit dem Heiteren. Und siehe da, man brauchte bloß genauer hinzuschauen: Das Gute, das mir im Leben widerfahren war, hat bisher bei weitem überwogen.

Und genau dasselbe gilt auch für die schlimmen, die letzten Jahre mit meiner Mutter.

WENN ES EIN PROBLEM GIBT, DAS ICH LÖSEN KANN, BRAUCHE ICH MIR KEINE SORGEN MEHR ZU MACHEN – DENN ES IST LÖSBAR

HABE ICH ABER EIN UNLÖSBARES PROBLEM, BRAUCHE ICH MIR AUCH KEINE SORGEN MEHR ZU MACHEN – DENN ES IST OHNEHIN NICHT ZU LÖSEN

WOMIT ANFANGEN, WENN’S DICK KOMMT?

Die Suche nach der anderen, der weniger belastenden Wahrheit hinter meinem Gejammer führte mich zu einem entscheidenden Punkt: Ob die Pflege eine schlimme Zeit in meinem Leben wird oder doch eine überraschend erfüllte, das hängt davon ab, wie ich mit Problemen umgehe.

Es wäre vorerst wohl zu viel verlangt, dass du die Entscheidung ganz bewusst triffst, ob du dir diesen mit neuen Aufgaben prall gefüllten Rucksack auch wirklich umhängen willst und nicht nur so irgendwie, »weil einer es ja machen muss«. Möglicherweise siehst du dich, genau wie ich damals, auch nicht in der Lage, diese Entscheidung zu diesem Zeitpunkt zu treffen.