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Frisch verliebt. Wir schweben im siebten Himmel. Die Hormone spielen irdisch verrückt. Unser Sexleben ist aufregend und voller Leidenschaft, unser Begehren endlos. Doch nach einiger Zeit flaut die Lust ab, Frust macht sich bereit – trotz aller Liebe. Schließen Leidenschaft und intime Nähe sich zwangsläufig aus? Wenn wir als Paar zusammenbleiben, uns jedoch nicht mit einem sexlosen Liebesleben arrangieren möchten, muss sich etwas ändern. Aber wie? Renate Stendhal geht dieser Frage nach und stellt fest: »Die Wahrheit ist wohl das stärkste Aprodisiakum, das es gibt.« Indem wir ehrlich sind und einander die Wahrheit sagen, indem wir Kontrolle aufgeben und damit etwas Riskantes, Wagemutiges tun, können wir unser erotisches Feuer neu entfachen. In »Die Farben der Lust« begleiten wir die Autorin und weitere Frauen auf ihrem Weg zu neu entflammender Leidenschaftlichkeit und finden Inspiration für unser eigenes Liebesleben.
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Seitenzahl: 189
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FRAUEN IM SINN
Verlag Krug & Schadenberg
Literatur deutschsprachiger und internationalerAutorinnen (zeitgenössische Romane, Kriminalromane,historische Romane, Erzählungen)
Sachbücher und Ratgeber zu allen Themenrund um das lesbische Leben
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Renate Stendhal
Die Farben der Lust
Sex in lesbischen Liebesbeziehungen
Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Krug in Zusammenarbeit mit Renate Stendhal
K+S digital
Vorwort
Die sieben Stadien lesbischen BegehrensOder: Was hat die Wahrheit damit zu tun?
Eine Frau erschien
Annäherung
»Von wo aus sprichst du?«
Einlass
Unaussprechliche Tiefen
Die sechsunddreißig Farben erotischen Begehrens
Zur Sache kommen
Aus demselben Holz geschnitzt
Auf gefährlichem Terrain
»Sex ist Magie«
Ich würde lieber sterben, als es ihr zu sagen
Eine Möglichkeit
Schlüssel aus der Kindheit
Das coolste Spiel von allen
Was nun?
Geh zurück auf Los
Die Gehilfin
Polymorph-pervers
Intime Leidenschaft
Die Wahrheit als Aphrodisiakum
Wahre Geständnisse
Das Sahnehäubchen
Forscherinnen in einem unbekannten Land
Warum überhaupt Sex haben?
»Reifer Sex«
Selenas Geheimnis
Dem Körper die Scham nehmen
Erotische Strategien
Literatur
Jeder Teil von dir besitzt eine geheime Sprache.
Deine Hände und deine Füße erzählen, was du getan hast.
Und jedes Bedürfnis trägt bei, was nötig ist.
Schmerz birgt seine Linderung wie ein Kind.
Nichts zu haben bewirkt Gaben.
Stell eine schwierige Frage und die wundersame Antwort erscheint.
Rumi
Als junge Lesbe hatte ich geradezu panische Angst vor dem Verlust sexueller Leidenschaft und hegte große Zweifel, ob es mir gelingen würde, dem zu entrinnen. Monogamie schien mir der sichere Weg zu sexueller Langeweile. Meine Erfahrung mit serieller Monogamie lehrte mich, dass das Begehren unweigerlich einem langsamen Tod geweiht war. Doch meine Intuition sagte mir etwas anderes. Die Behauptung, dass Leidenschaft und Intimität nicht nebeneinander bestehen können, roch verdächtig nach einem patriarchalen Mythos. Ich begann diese berühmte Unvereinbarkeit zu hinterfragen. Es musste einen Weg geben, anhaltende Liebe und heißen Sex in Einklang zu bringen.
Es gibt Zeiten im Leben, in denen Monogamie einen zu großen Kampf gegen unsere Hormone erfordert oder in krassem Gegensatz zu dem Zeitgeist steht, dem wir uns verpflichtet fühlen. Solch eine Zeit erlebte ich während der zweiten Welle der Frauenbewegung in den siebziger Jahren. In Paris, wo ich damals lebte, strömten täglich neue Frauen in die politischen Versammlungen und Selbsterfahrungsgruppen – und jede von ihnen war eine potentielle Verführerin oder ein Objekt des Begehrens. Das erotische Vermögen von Frauen schien grenzenlos: Frau mit Frau, mit zwei Frauen, drei Frauen, einem ganzen Kollektiv, einem ganzen Raum voller Frauen. Zu dieser Zeit hatte Monogamie natürlich nicht die geringste Chance.
Während meiner promiskuitiven Jahre gestand ich mir kaum jemals ein, dass mir etwas fehlte. Meine Abenteuer, meine Affären und polyamourösen Experimente waren eine gute sexuelle Lehrzeit, aber sie entpuppten sich oft als emotional oder intellektuell frustrierend oder erstickten an eifersüchtigen Komplikationen. Die sexuelle Hochstimmung war kurzlebig. War ich immer noch auf der Suche nach »der Richtigen«? Ein romantischer Mythos? Ich gelangte schließlich zu der Überzeugung, dass die auf ewig sexuell attraktive, interessante und faszinierende Frau meiner Träume nicht existierte.
Als ich mich im Alter von einundvierzig Jahren erneut ernsthaft verliebte, war ich demzufolge misstrauisch – trotz meines Entzückens. Ich zog nach Berkeley, Kalifornien, um mit dieser Frau zusammenzusein, die ebenfalls Autorin und Feministin war und meine Liebe zur französischen Kultur und zur deutschen Lyrik teilte. Doch ich war entschlossen, nicht einen Tag länger bei ihr zu bleiben, als meine sexuelle Leidenschaft währte.
Heute, achtzehn Jahre später, hat sich meine frühere Intuition bestätigt: Leidenschaft und Intimität schließen sich nicht zwangsläufig aus. In einer Beziehung ist vieles möglich, wenn die beiden Liebenden zueinander passen, wichtige Interessen miteinander teilen, einander mögen wie beste Freundinnen, sich immer noch anziehend finden, neugierig aufeinander bleiben und, am wichtigsten von allem, sich trauen, ehrlich miteinander zu sein. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass Wahrheitsliebe im Umgang mit Gefühlen und Körperempfindungen der Schlüssel für anhaltendes Begehren sein kann. Das hatte mir, soweit ich mich erinnern konnte, nie jemand gesagt. Zwar ist viel die Rede davon, dass Ehrlichkeit in allen ethischen und moralischen Beziehungen und natürlich in Liebesbeziehungen eine wichtige Rolle spielt, doch wer hätte je gedacht, dass Ehrlichkeit erotisch sein könnte? Dass Wahrheit ein Aphrodisiakum sein könnte?
Als ich mich in Kim, meine Amerikanerin in Paris, verliebte, bestand einer unserer besonderen erotischen Genüsse darin, zusammen Obst zu essen. Ich erinnere mich an den Morgen nach unserer ersten Liebesnacht in Paris. Meine Wohnung bestand aus drei winzigen chambres de bonnes, Mädchenkammern, in der Mansarde eines alten Hauses. Sie gingen auf einen Hof mit einer Kastanie hinaus, hinter der sich kilometerweit graue Schieferdächer und ziegelrote Schornsteine erstreckten, bis das Auge am Horizont auf den Eifelturm traf. Ich schlich mich in aller Frühe hinaus, als Kim noch schlief, und kaufte frische Croissants und Erdbeeren. Als sie aufwachte, küsste ich sie und fütterte sie, fütterte sie und küsste sie. Ich bot ihr eine Erdbeere an, die ich zwischen meinen Zähnen und Lippen hielt, und neckte sie, indem ich nicht losließ, als sie in die Beere beißen wollte. Dieses Spiel, bei dem ich sie fütterte, mich ihr entzog, dann wieder nachgab und sogar die Beere verfolgte, die bereits in ihrem Mund verschwunden war, stellte einen besonderen Anreiz für mich dar. Es spielte mit den klassischen Elementen der Verführung: sich darbieten und sich enthalten, Verfolgung und Flucht, Aggression und Hingabe. Die Mischung aus saftig-süßer Frucht und Zunge war ein erotisches Hors d’œuvre, das ein Fest ohnegleichen versprach.
Wir wiederholten dieses Spiel anschließend noch viele Male – mit Kirschen, Schokolade und anderen Köstlichkeiten. Jedes Mal, wenn wir es spielten, fanden wir uns in meine kleine Wohnung zurückversetzt mit der Zimmerpalme und der Matratze auf dem Boden, dem Licht, das durch das Fenster hereinflutete, und dem Begehren, das unsere überraschten, berückten Körper durchströmte.
Doch irgendwann in Laufe der Zeit verschwand dieses Spiel von unserer Speisekarte. Wir vergaßen es einfach – ich zumindest, denn eines Tages stellte ich fest, dass es verschwunden war. Als ich versuchte, es zurückzuholen, zusammen mit den liebgewonnenen Erinnerungen an die Zeit unserer anfänglichen Leidenschaft, gelang es mir nicht. Kim war nicht länger in der Stimmung, es zu spielen. Irgendetwas hatte sich verändert. Anfangs war ich beunruhigt; ich fühlte mich zurückgewiesen, ich war bestürzt. Mir dämmerte, dass es auch noch andere Lieblingsspielarten der erotischen Kommunikation gegeben hatte, die wir fallengelassen oder die uns im Lauf der Zeit verlassen hatten. Ich musste zugeben, dass auch meine sexuellen Vorlieben nicht mehr dieselben waren wie früher: Auch ich enthielt Kim erotische Genüsse vor, die sie einmal besonders geschätzt hatte, zu denen ich jedoch keine Lust mehr verspürte. Ging uns unser sexueller Appetit verloren? Fingen wir an, uns miteinander zu langweilen? Erhob das Schreckgespenst des lesbischen Bettentods wieder einmal sein schauriges Haupt?
Ich vermute, dass alle Paare, die das Stadium der Verliebtheit überdauert haben, die Situation wiedererkennen. Es ging mir plötzlich auf, dass Kim und ich ähnliche »Klimaveränderungen« in unseren früheren Beziehungen erlebt hatten. Als Therapeutin hörte ich darüber hinaus auch von meinen Klientinnen einiges über diese wechselnden erotischen Stimmungen. Das Muster des Begehrens, das sich in Beziehungen gewöhnlich abzeichnet, würde ich folgendermaßen beschreiben:
Dieses Stadium stellt den Hauptbezugspunkt in unserer Kultur dar. Auf dieses Stadium werden wir von Anfang an zugerichtet mit Märchen von Prinzen und Prinzessinnen, die sich auf den ersten Blick ineinander verlieben und auf geheimnisvolle Weise bis an ihr Lebensende glücklich miteinander sind. Unzählige Filme führen uns Menschen vor, die sich ineinander verlieben. Wir bekommen es so oft demonstriert, dass wir automatisch annehmen, dass Liebe dasselbe ist wie Verliebtsein – oder zumindest so aussieht. Wir begreifen nicht, dass Verliebtsein kein Normalzustand ist. Es ist wie ein Drogentrip, ein außergewöhnliches High. Wir befinden uns in einem Ausnahmezustand. Unser Gleichgewicht ist aus dem Lot, und wir geraten in Gefahr, über unsere eigenen Füße zu stolpern, uns lächerlich oder gar unmöglich zu machen. Wir können vom Objekt unseres Begehrens völlig besessen sein. Alles, was wir tun, und alles, was unsere Angebetete tut, wird mit bangem Eifer auf der Skala »Komme ich ihr näher?« bemessen. Fühlt sie sich zu mir ebenso hingezogen wie ich mich zu ihr? Oder wird es nur zu einer Freundschaft reichen? Wir sind verabredet: Werden wir Sex miteinander haben? Wer macht den ersten Schritt? Was, wenn der Sex enttäuschend ist? Wird das alles ruinieren? In diesem erregten Zustand der Ungewissheit, des gesteigerten Begehrens und Bangens essen wir kaum, schlafen wir kaum, vergessen wir unsere Pflanzen zu gießen, schwänzen wir die Schule, vernachlässigen wir unseren Job. Wir können es als einen nicht weiter gefährlichen Fall von Wahnsinn bezeichnen.
Der harmlose Fall von Wahnsinn dauert an. Die sexuelle Macht dieses Stadiums fegt all unsere Grenzen hinweg. Über Nacht verwandeln uns Ekstase, Angst und Begehren in Abenteuerinnen, in Entdeckerinnen unbekannter Kontinente von Leib und Seele. Wir lieben einander. Wir überwinden unsere üblichen Hemmungen. Plötzlich mögen wir den Anblick unseres Körpers im Spiegel und trauen uns, nackt zu tanzen. Plötzlich haben wir keine Bedenken, von allem, wonach uns verlangt, so viel zu essen, wie wir wollen. Wir entdecken unsere Lust auf oralen Sex. Mit erstaunlicher Risikofreude lassen wir uns auf sexuelle Spiele ein, die wir uns bis dahin allein in unserer Phantasie gestattet haben. Wir schweben im siebten Himmel. Wir sind wieder jung. Wir tanzen die ganze Nacht hindurch, kaufen uns ein Zelt, lassen uns ein Tattoo machen, tauschen unseren alten VW gegen einen Funcruiser ein. Wir erfassen die Bedeutung des Lebens: endlich leben wir, voll und ganz, und wir werden nie wieder aufhören, auf diese Weise zu leben und zu lieben – voller Leidenschaft.
Wir wollen uns nicht trennen. Wir haben einander mit dem Eifer von Forschungsreisenden und Anthropologinnen erkundet. Wir finden, wir passen gut genug zusammen, um ein Paar zu bilden. Doch noch kennen wir uns nicht wirklich. Wir machen weiterhin Entdeckungen, die das Gefühl von sexuellem Abenteuer und emotionaler Bereicherung lebendig halten. Wir schmieden Zukunftspläne. Wir überqueren Meere und Kontinente, um miteinander zu leben. Wir entwickeln gemeinsame Gewohnheiten, Muster, Routinen. Wir stolpern über unsere Unterschiede, sind jedoch geneigt, über sie hinwegzusehen, und sonnen uns in unserer Fähigkeit, großzügig zu sein. Wir sind verliebt ineinander und bauen eifrig an unserem Nest.
In diesem geschäftigen Post-Flitterwochen-Stadium der Intimität waren Kim und ich uns nicht bewusst, dass wir weit mehr taten als »Haus zu spielen« – dass wir das Fundament für das Haus mit den vielen Räumen legten, das unsere Beziehung sein würde. Viele Paare nehmen es, glaube ich, für selbstverständlich, was sie hinsichtlich Team-Bildung, Partnerschaft und Fürsorglichkeit in diesem frühen Stadium erreichen. Sie sind sich nicht bewusst, dass sie Ressourcen anlegen, die für ein ganzes Leben reichen können, wenn sie weiterentwickelt werden. Es erfolgt eine Menge Beziehungsarbeit, bewusst wie unbewusst, während die beiden Liebenden versuchen, ihre sexuellen Entdeckungen und die Risiken, die sie eingegangen sind, zu integrieren. Für Kim und mich hat dieses Gefühl der Nähe zu einem gewissen Grad dazu geführt, uns von der Welt abzuschotten – ein Phänomen, das viele Paare erleben. Es gibt das Bedürfnis, sich schützend abzukapseln oder zu verschmelzen, wenn wir unseren individuellen Spielraum und Tatendrang zugunsten unseres Zusammenseins als Paar einschränken. Das Abenteuer zunehmender Intimität kann die Schwierigkeiten verschleiern, die jedes neue Paar zu bewältigen hat: den radikalen Wandel im Leben beider Partnerinnen, Verunsicherung erzeugende Kompromisse, eine gehörige Portion Ungewissheit und eine Menge unbeantworteter Fragen über die Geliebte.
Wenn ich heute zurückblicke, weiß ich, dass mir in jenem Stadium nicht klar war, dass Kim und ich uns gegen große Ungewissheiten mit einer hochfliegenden, entschlossenen Vision unserer gemeinsamen Zukunft wappneten.
Die Flitterwochen sind endgültig vorüber. Wir sind stolz darauf, als Paar erfolgreich zusammengefunden zu haben. Doch es gibt Augenblicke, da sind wir schockiert, wenn wir feststellen, dass wir beispielsweise im Beisein anderer unterschiedliche Ansichten vertreten. Das Bild, das wir der Welt – und uns selbst – präsentiert haben, weist Risse auf. Plötzlich wird offenkundig, dass wir nicht aus demselben Holz geschnitzt sind. Und ebenso dämmert uns, dass wir anders sind als damals, als wir frisch ineinander verliebt waren. Wir sind nicht mehr so großzügig und kämpfen stattdessen mit Gefühlen von Konkurrenz, Neid, Eifersucht und ziehen penibel Grenzen um unseren Eigenraum, unsere individuellen Bedürfnisse. Kim und ich zettelten beispielsweise heftige Auseinandersetzungen über feministische Ideale an, über die wir uns einig gewähnt hatten. Und unter diesen ideologischen Klippen entdeckten wir vollkommen gegensätzliche Ansichten über die Einbeziehung von Ex-Geliebten in unser Leben. Das ist nur ein typisches Beispiel für das, womit Paare sich in diesem Stadium gewöhnlich auseinandersetzen müssen. Das Idealbild, das wir voneinander haben, löst sich auf, und wir erinnern uns an die alte Weisheit: Vertrautheit erzeugt Geringschätzung. Einander nah gekommen zu sein hat die Büchse der Pandora geöffnet. Plötzlich stehen wir da – nackt, schockiert über das, was wir sehen. Wir bekämpfen diese Einsicht, und wir bekämpfen einander. Wir kämpfen um die Kluft zwischen den Verheißungen unserer Flitterwochen und unserer Entzauberung, die Kluft zwischen unseren Erwartungen und unserer gegenwärtigen Realität. Es gibt Augenblicke, da scheinen wir uns vollkommen entliebt zu haben, und unsere Chancen, zusammenzubleiben, scheinen mehr als dürftig. Wir stellen unsere Beziehung in Zweifel und fragen uns verwundert, warum wir uns je mit dieser Frau eingelassen haben, die doch so gar keine Ähnlichkeit mehr mit derjenigen aufweist, in die wir uns verliebt hatten, der Frau, die unsere ideale Geliebte zu sein schien, die »einzig Richtige«. Eine große und manchmal hoffnungslose Nostalgie setzt ein, die um das kreist, was einmal war.
Manche Paare trennen sich wegen der fortwährenden Mißstimmung und Entzauberung in dieser Phase. Sie wissen nicht, wie ihnen geschieht, und sie erkennen das Potential nicht, das dieser Phase innewohnt. Andere Paare überdauern diese Turbulenzen, weil ihr Sexleben durch die heißkalten Wechselströme des Streitens und Versöhnens magisch angefacht wird. Die Distanz, die ein ernsthafter Streit normalerweise bei einem Paar bewirkt, schafft wieder Raum für Begehren. Ich erinnere mich, wie in diesen turbulenten Zeiten Momente sexuellen Glücks die Erinnerung an unsere Anfangszeit wachriefen und uns unsere ursprüngliche Beziehungsvision wieder vor Augen führten. Doch die Momente leidenschaftlichen Zorns schienen mir anfangs überwältigend. Da ich aus einer Familie stamme, in der Gefühle kaum jemals laut geäußert wurden, hielt ich Zorn für unerträglich und beziehungsgefährdend – bis mich meine Therapeutin eines Tages mit ernsthafter Neugier fragte: »Warum darf man nicht mal herumschreien?«
Bei vielen Paaren macht sich nach Stadium 4 das schleichende Gefühl breit, sich der »Realität« zu beugen und sich mit weniger begnügen zu müssen, als sie sich erhofft hatten. Das ist gewöhnlich die Zeit, in der wir feststellen, dass unser Sexleben abgeflaut ist. Wir sind der Konflikte müde, haben Angst, einander noch weiter herauszufordern, und fürchten, die Beziehung aufs Spiel zu setzen, wenn wir »zu viel« fordern. »Zu viel« heißt gewöhnlich »zu viel Sex«, und Sex ist natürlich der tiefste, intimste, riskanteste Bestandteil unserer Liebe füreinander. Um auf mein Beispiel zurückzukommen: Ich hätte mich sang- und klanglos von den Erdbeeren verabschieden können … und fortan einen heimlichen Groll gehegt. Sex ist außerdem oft der konfliktreichste Bestandteil unserer Beziehungen, da Mädchen und Frauen in unserer Kultur auf vielfältige Weise ein ambivalentes Verhältnis zu Sex vermittelt wird. Wir werden in dem Glauben erzogen, dass wir ganz gut auf das leidige Thema Sex verzichten können, wenn wir nur genügend Schmuse- und Streicheleinheiten bekommen.
Ich bin Paaren begegnet, die mit diesem Arrangement zufrieden waren. Ihre Beziehung wies genügend solide Aspekte auf, um ohne Sex fortzubestehen, insbesondere um die Zeit der Menopause. Doch in der Regel führt der Kompromiss, den Sex zu opfern, um den Frieden zu erhalten, zu größerem Zoff.
In diesem Stadium beginnt mindestens eine der Partnerinnen am Fundament des hart errungenen Friedens zu rütteln. Gewöhnlich spricht eine Partnerin die sexuelle Frustration des Paares an und drängt auf Veränderung. In meinen vergangenen Beziehungen war das unweigerlich meine Rolle. Wenn sich keine Veränderung – mehr Sex, besserer Sex, romantischerer Sex usw. – abzeichnet oder sie zu langsam vor sich geht, dann erzwingt gewöhnlich eine der beiden eine Entscheidung und drückt auf den großen Beziehungsknopf. In meinem Fall hieß das, ich gab meiner Partnerin einige ernsthafte Warnzeichen und stürzte mich anschließend in eine Affäre. Wir alle wissen, wie sich die Atmosphäre bei Spannungen dieser Art aufheizt. Nörgelei, Anzetteln von heftigen Auseinandersetzungen, offene oder verstreckte Provokation, Flirts mit Fremden, Versuche, die Partnerin eifersüchtig zu machen, heimliche oder offene Rebellion mittels einer Affäre – das sind die klassischen Wege, um aus dem Käfig einer an Sexmangel leidenden Beziehung auszubrechen. Wenn sich das Paar in diesem Stadium des Konflikts keine Unterstützung holt, läuft die Lösung gewöhnlich auf Trennung hinaus.
Eine Partnerin hat sich neu verliebt, oder beide Partnerinnen fühlen sich völlig verausgabt und leiden an gebrochenem Herzen. Sie trennen sich voneinander – und mit einer neuen Partnerin beginnt der Kreislauf von vorn.
Als ich mir meine früheren unbefriedigenden Beziehungen ansah, fiel mir auf, dass jedes Mal einige entscheidende Wahrheiten nicht ausgesprochen oder nicht gehört worden waren. Diese Wahrheiten hatten immer mit Scham zu tun – Scham angesichts eines Gefühls, eines Bedürfnisses, eines unausgesprochenen Geheimnisses. Selbst wenn wir uns immer noch zugetan waren wie allerbeste Freundinnen, blieb in Abwesenheit der Wahrheit ein heimlicher Groll, der sich unter der Bettdecke ausbreitete. Das Gefühl von Distanz, vager Einsamkeit und Langeweile zehrte mein Begehren auf … bis kein sexueller Appetit mehr übrig war. Meine Beziehung glitt vom Stadium 4 unweigerlich ins Stadium 7, in dem es hieß »Good bye, Baby!«.
Inzwischen kam ich mir vor wie der Sherlock Holmes des lesbischen Bettentodes. Wenn die Wahrheit an allem schuld war, wenn sie der Dreh- und Angelpunkt des Ganzen war, würden wir dann nicht das entgegengesetzte Resultat erzielen, wenn wir sie ans Licht brächten?
Und genau das fand ich bestätigt. Einer Geliebten die Wahrheit zu gestehen, die weiß, was wir riskieren, und die das gleiche Risiko eingeht, kann den Lauf der Dinge tatsächlich ins Gegenteil verkehren. Die Wahrheit zu sagen ist ein Abenteuer, ein Aufgeben von Kontrolle, um etwas Wagemutiges zu tun. Das ist eine Eigenschaft, die Wahrheit und guter Sex gemein haben. Aber es ist bei weitem nicht das einzige. Mit jeder gut vorgebrachten und gut entgegengenommenen Wahrheit können wir Stadium 4 in eine neue Version von Stadium 1 verwandeln: uns neu verlieben oder, anders gesagt, uns reifer verlieben. Die Wahrheit hält ein Versprechen für uns bereit: die immerwährende Erneuerung von Liebe und Begehren … vielleicht gar, bis dass der Tod uns scheidet.
Tief in unserem Inneren wissen wir letztlich, dass die Kehrseite jedweder Angst Freiheit ist.
Marilyn Ferguson
Die Verwirrspiele um Liebe und Sex, Sex und Wahrheit haben mich immer schon fasziniert. Das erste Buch, das ich gemeinsam mit meiner Partnerin Kim Chernin in Berkeley veröffentlicht habe, war Sex and Other Sacred Games – die Geschichte zweier völlig unterschiedlicher Frauen, einer lesbischen Feministin und einer femme fatale, die sich über eine zentrale Frage streiten: Was wird in einer langjährigen Beziehung aus Begehren und sexueller Anziehung? Ist monogamer Sex zum Tod durch Langeweile verurteilt? Ist Nähe ein Hemmschuh für Begehren? Sind heißer Sex und Intimität je vereinbar? Das sind Fragen, die sich meines Erachtens viele von uns stellen.
In Sex and Other Sacred Games behauptet die eine der beiden Frauen, dass zwei einander verbundene Partnerinnen das sexuelle Feuer am Leben erhalten können, wenn sie die Wahrheit am Leben erhalten. Sie sagt: »Die Wahrheit ist, glaube ich, das stärkste Aphrodisiakum von allen.« Was genau meint sie damit? Dass es eine besondere Verbindung zwischen Liebe, Sex und Wahrheit gibt? Dass Wahrheit Lust weckt? Besser als Alkohol, Drogen, Schmerz oder Getrenntsein?
Bevor wir Sex and Other Sacred Games schrieben, habe ich in Paris an Selbsterfahrungsgruppen teilgenommen, quer durch Europa feministische Projekte verfolgt, Diskussionen und Workshops geleitet sowie über das Thema weibliche Erotik und Sexualität gesprochen und geschrieben. Nach meiner Übersiedlung nach Kalifornien habe ich Psychologie studiert und angefangen, als Therapeutin zu arbeiten. Seitdem habe ich mit vielen Frauen in meiner Praxis und im privaten Kreis über Sex gesprochen. Sex war für mich seit der Zeit meiner Jungmädchen-Tagebücher ein Rätsel, eine Qual und eine leidenschaftliche Herausforderung. Ich habe über mein vorhandenes oder nicht vorhandenes Sexleben gebrütet, über den Unterschied zwischen Männern und Frauen und über das Handicap, dem »anderen Geschlecht« anzugehören. Auf dem berühmten dunklen Kontinent der weiblichen Sexualität habe ich versucht, meine eigenen Antworten auf Freuds Frage zu finden: »Was will das Weib?«
In Die Farben der Lust sind dementsprechend verschiedene Dinge eingegangen: eine feministische Perspektive, meine persönlichen Erfahrungen mit Frauen wie auch mit Männern sowie Auskünfte von den Paaren und den Einzelpersonen, mit denen ich gesprochen und gearbeitet habe.
Die erotischen Heldinnen dieses Buches sind Annie und Lou, Sybil und Mariushka, Petra und Selena – drei Paare, die zu mir kamen, um über Sex zu sprechen. Über zu viel Sex im ersten Fall, nicht genügend Sex im zweiten und gar keinen Sex im dritten Fall. Wir werden die drei Paare in ihrem Bemühen begleiten, sich mit ihren Enttäuschungen auseinanderzusetzen und ihre Beziehung zu retten, und wir werden sehen, welche Rolle die Wahrheit in allen drei Fällen spielt. Die Wahrheit zu sagen ist eine Fähigkeit, die es wert ist, erworben und verfeinert zu werden. Die Geschichten dieser drei Paare werden zeigen, dass diese Fähigkeit in der Tat erworben werden kann und dass wir sie keineswegs vollkommen meistern müssen, bevor wir ihre erotischen Früchte ernten.
Wenn ich mich als Autorin einem intimen und herausfordernden Thema wie Sex widme, ist es nur fair, der Leserin eine Vorstellung von meinem Hintergrund zu vermitteln.
D’où tu parles? So lautete das ethische Motto, an dem sich die französische Frauenbewegung von Anfang an bei jedweder Kommunikation in Gruppen und Versammlungen orientierte. D’où tu parles? – »Von wo aus sprichst du?« hieß, Sag uns, wo du herkommst, erkläre uns deinen Hintergrund, gib uns eine Perspektive, ein Werkzeug, das uns erlaubt zu verstehen, was du sagst. Wir wollen nicht vergessen, dass alles, was wir wissen, und somit alles, was wir sagen können, persönlich ist. Dass es ein bestimmter Standpunkt ist, der auf den Erfahrungen einer bestimmten Frau basiert, auf ihrer Klassenzugehörigkeit, ihrer ethnisch-kulturellen Herkunft, dem Bewusstsein ihres sozialen Geschlechts, ihrer wirtschaftlichen Situation, ihrer sexuellen Orientierung, ihren Gedanken, ihrer politischen Überzeugung, ihrer Philosophie. Wir wollen nicht für jemand anderen sprechen; wir wollen nicht verallgemeinern und damit zwangsläufig eine Vielzahl anderer Lebenswelten ausschließen, die den Erfahrungshintergrund unserer Schwestern bilden.
Das Persönliche war in der Tat politisch. Die radikale Forderung, bei der persönlichen Erfahrung zu bleiben und die Unterschiede zwischen Frauen nicht in Verallgemeinerungen zu verwischen, lief unserem neugeborenen Enthusiasmus und dem radikalen Bedürfnis, »wir« zu sagen, zuwider: Wir sind Schwestern, wir sind Frauen, wir sind eine atemberaubende Macht …