Die Ferne der Nähe - Erik H.J. Heeren - E-Book

Die Ferne der Nähe E-Book

Erik H.J. Heeren

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Beschreibung

Was macht einen Menschen aus? Woran erinnert man sich, wenn dieser Mensch nicht mehr da ist? Diese Fragen hat sich die Menschheit von je her gestellt, immer denkend, dass ihr Ende doch noch sehr weit weg sei, noch nicht greifbar, eine weit entfernte Vision. Ist es womöglich die Liebe, dieses allumfassende, uns immer wieder vorantreibende Ereignis in unserem Leben? Nichts ist vergleichbar mit dem auf und ab, dem gefühlsmäßigen Chaos, dem nervösen Zucken oder dem wunderbaren Gefühl, wenn unsere Gefühle erwidert werden. Wenn wir lieben, sind wir uns dessen dann wirklich bewusst, dass wir jemanden lieben? Passiert es nebenbei oder mit einem riesigen Knall? Oder suchen wir immer wieder nach dem vollkommenen Partner, auch wenn wir die Liebe bereits gefunden haben? In dem Moment der Liebe können wir dies nicht beantworten, sehen wir doch nur unsere rosarote Welt. Was aber wenn etwas passiert, das uns hinterfragt, uns an unsere Grenzen bringt?

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Basierend auf der Kurgeschichte

„Der blinde Mann und der stumme Junge“

Von Erik H.J.Heeren

Aus 2012

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Prolog: Der schmerzvolle Weg

Kapitel 1: Sprachlose Gedanken

Kapitel 2: Ist das alles nur ein Traum?

Kapitel 3: Mein Ende ist mein Beginn!

Epilog: Hoffnungsvolles Licht

Brief an Sandra

Vorwort

Der weg ist das Ziel, wird oft gesagt. Bei meinem Erstling „Die Ferne der Nähe“ passt das ganz gut. Dachte ich am Anfang, es wäre kein Problem, meine Kurzgeschichte von 2012 zu einem gut gefüllten Roman auszuweiten, so erwies sich dies in der Zwischenzeit als deutliche Herausforderung.

2014 und 2015 verlief noch alles nach Plan und ich kam gut voran. Mit den fertigen 130 Seiten war ich durchaus zufrieden und schickte voller Stolz einigen Freunden das Manuskript. Die anschließende Kritik war nervtötend aber richtig: großartige Geschichte, aber den Charakteren fehlt der Tiefgang. Doch woher sollte dieser Tiefgang kommen, hatte ich meine Geschichte doch im Kopf schon erzählt. Und weitere Inhalte, die Entwicklung der beiden Hauptpersonen beschreiben. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich intensiv in die Thematik einzuarbeiten und mir Inspirationen zu holen.

Der Weg ist das Ziel wurde auch hier mein Credo. Eigene Erfahrungen verschmolzen mit Berichten von Paaren mit Altersunterschieden. Spontan gesehene Bericht im Fernsehen, die zum Thema passten, wurden angepasst oder eingebaut. Und langsam, Stück für Stück ergab sich ein neues Gesamtbild und meine beiden Charaktere Peter und Sandra wurden vor meinem Auge immer komplexer und fast schon real.

So lernte ich auf dem Weg, das der Weg sehr lehrreich sein kann und du dich mit deinem Buch weiter entwickeln musst. Techniken werden erprobt und eingeübt und schlussendlich hat man einen fertigen Roman. Vielleicht nicht Hochliteratur, vielleicht nicht preisverdächtig, aber für mich der Abschluss einer Reise und die Erfüllung eines Traums: mein eigenes Buch zu schreiben.

Noch ein Hinweis: ja, es steckt viel von meinem Leben in dem Buch, aber nein, nicht alles ist wahr. Fiktion und Realität geben sich die Hand und vermischen sich zu einem netten Geschichten Cocktail. Was aber Wirklichkeit und was rein erfunden ist, das bleibt jedem Leser selber überlassen.

Abschließend möchte ich mich bei meinen Eltern, meinen Brüdern und meiner Familie bedanken. Sie haben mich immer darin bestärkt, ein Buch zu schreiben und haben es nie als Blödsinn abgetan. Dafür danke ich euch!

Außerdem möchte ich noch zwei guten Freunden, Susanne und Jovin danken, da sie mir zwischen durch als Testleser und Berater zur Seite standen. Und zu guter Letzt der geheimnisvollen Frau, wer auch immer sie wohl ist, die mich zur Geschichte am Anfang inspiriert hat. Ich könnte jetzt sagen, ich bin da für dich, doch ob dem so ist, das bleibt mein Geheimnis.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen. Das nächste Projekt ist schon in Planung!

Euer Erik H.J. Heeren

Prolog:

Der schmerzvolle Weg

Was macht einen Menschen aus? Woran erinnern man sich, wenn dieser Mensch nicht mehr da ist? Diese Fragen hat sich die Menschheit von je her gestellt, immer denkend, dass ihr Ende doch noch sehr weit weg sei, noch nicht greifbar, eine weit entfernte Vision.

Ist es womöglich die Liebe, dieses allumfassende, uns immer wieder vorantreibende Ereignis in unserem Leben? Nichts ist vergleichbar mit dem auf und ab, dem gefühlsmäßigen Chaos, dem nervösen Zucken oder dem wunderbaren Gefühl, wenn unsere Gefühle erwidert werden.

Wenn wir lieben, sind wir uns dessen dann wirklich bewusst, dass wir jemanden lieben? Passiert es nebenbei oder mit einem riesigen Knall? Oder suchen wir immer wieder nach dem vollkommenen Partner, auch wenn wir die Liebe bereits gefunden haben?

In dem Moment der Liebe können wir dies nicht beantworten, sehen wir doch nur unsere rosarote Welt.

Was aber wenn etwas passiert, das uns hinterfragt, uns an unsere Grenzen bringt. Mit geöffneten Augen sehen wir unser Leben so wie es ist und nicht so wie andere es sehen. Denn die Liebe macht uns blind, lässt uns Dinge sehen, die nicht da sind. Sie lässt Verhalten, Fehler oder auch kritische Sichtweisen im Nebel der Verträumtheit verschwinden. Kein Problem ist zu groß, kein Hindernis zu schwierig, wenn man verliebt ist scheint alles möglich.

All diese im Nebel verschwundenen Realitäten verschwinden aber nicht. Irgendwann tauche sie aus dem Nebel auf, werden wieder sichtbar, egal wie verliebt wir auch sind. Dann kann es passieren, dass wir die Wahrheit erkennen und sie uns für immer verändert.

Ist unsere Liebe stark genug für das Leben im Tageslicht oder zieht es uns zurück in die Schatten? Lösen wir die Probleme auch in der Helligkeit des Alltags oder rennen wir vor ihnen davon? Stehen wir zu unseren Gefühlen oder belügen wir uns selbst?

Liebe ist das schönste was wir Menschen haben, auch wenn es nicht immer der absolute Sinn unseres Lebens geworden ist.

Wir leben, wir lieben doch nie ist es einfach! Zu oft gehen wir den Weg des kleinsten Widerstandes, obgleich wir dabei unser Herzen ignorieren. Doch egal wie glücklich wir anschließend auch sein mögen, es ist eben nie die wahre Liebe und unser Herz vergießt dies nie. Denn wie im Märchen erfüllt uns am Ende nur der Kuss der einzig wahren Liebe.

Haben wir sie, so sollten wir sie festhalten. Begehren wir sie, sollten wir alles dafür tun. Suchen wir sie, sollten wir nie aufgeben. Und wenn sie uns alles abverlangt, dann sollten wir alles dafür geben. Nur so erlangen wir, was das Herz so sehnlich begehrt!

Kapitel 1:

Sprachlose Gedanken

Das letzte Mal, das Michael hier gewesen war, lag schon Jahrzehnte zurück. Vieles hatte sich seitdem verändert, vieles noch so wie damals. Für ihn war es immer noch dieser Höllenpfull voller Sündern und scheinheiligen Möchtegernpropheten. Er verstand einfach nicht was Vater an ihnen fand. Immer und immer wieder verleugneten sie ihn und im nächsten Moment beriefen sie sich auf sein Werk. Nie, aber auch wirklich nie kamen sie auf den Gedanken, dass ihr eigener freier Wille sie lenke und nicht eine vorgegebene und vorbestimmte Geschichte.

An sich bemitleidete er ihr wirken. Man musste sich hier nur mal richtig umsehen. Überall lag Müll, Ratten rannten offen durch die Straßen. Michael musste grinsen, denn eigentlich war es fast schon menschlich so über die Ratten zu denken, waren sie doch nur ein Teil der Schöpfung und erst vom Menschen in diese dunkle Gasse der Missachtung verbannt worden. Irgendwie hatten sie es sogar geschafft die Schlange als das urböse Tier abzulösen.

Nicht weit von hier, das wusste Michael, sah das Leben schon ganz anders aus. Schneeweißer Sandstrand, gut gekleidete Menschen und vor allem keine Ratten. Naja, zumindest rannten sie dort nicht so offen rum, am Strand von Rio de Janeiro. Dort, nur wenige Kilometer entfernt hatten die Reichen und vor allem die größeren Sünder fast das Paradies auf Erden errichtet. Aber nur fast!

An einer belebten Straßenecke blieb Michael stehen. Hier wollten sie sich treffen, doch noch war niemand da. Also sah er sich in Ruhe die Menschen um ihn herum an. Er liebte es, sie zu beobachten, ihren regen Treiben nachzustellen.

Auf der gegenüberliegenden Seite stand eine alte Frau von ca. 70 Jahren. Ein genauerer Blick und Michael wusste, dass sie 70 Jahre, 3 Monate und 2 Tage alt war. Menschen waren so durchschaubar. Sie stand vor einem kleinen Verkaufstand aus alten Holzlatten, der aussah, als sei er mindestens genauso alt wie die Frau selber und verkaufte Kaffee und

selbstgemachtes Gebäck. Die Geschäfte liefen wohl nicht so gut, ging man von ihren traurigen Augen aus. Michael sah nochmal genauer hin. Kaum etwas von dem Gebäck schien verkauft zu sein und auch der Kaffeebehälter war noch bis oben hin gefüllt. Fast schon tat ihm die Frau leid. Aber auch nur fast, denn sowas wie Mitleid oder Mitgefühl kannte Michael nicht. Nicht dass er es verlernt hätte, nein, er hatte es einfach nicht gelernt, es existierten einfach keine derartigen Gefühle in ihm.

Während er im Gedanken versunken darüber sinnierte, wieso das wohl so sei und ob sich daran was ändern ließe, sprach ihn jemand von der Seite an.

„Denkst du schon wieder über Gefühle nach, alter Freund?“

Michael reagierte kaum, hatte er die Ankunft des Mannes neben ihm doch erwartet, ja sogar schon vor Minuten dessen Anwesenheit näherkommen spüren.

„Was sonst sollte ich an solch einen Ort tun, lieber Gabriel!“

Gabriel lächelte.

„Wie eh und je seit dem Anbeginn der Zeit ein Grübler und Denker vor dem Herrn.“

„Vorsicht, vergreif dich nicht im Ton gegenüber Vater!

Mit erhobenen Finger drehte sich Michael dem Mann, den er Gabriel nannte zu.

„Du weißt er mag es nicht gerne, wenn man ihn für belangloses Gequatsche nutzt.“

Gabriel hob die Hände verteidigend gen Himmel

„Schon gut, schon gut. Er wird mich schon nicht gleich wegen sowas mit einem flammenden Schwert niederstrecken.“

Wieder huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Michael schaute ihn skeptisch an.

„Egal, aber sag mir, wieso wolltest du mich treffen und wieso gerade hier in diesem Ort voller Schmerz und Trauer?“

Das Lächeln auf Gabriels Gesicht wurde breiter.

„Typisch Michael, immer sofort auf den Punkt, wie ein großer Heerführer vor der Schlacht“

Mit einer Geste winkte er Michael in einer der Seitenstraßen. Gemeinsam liefen sie diese entlang.

„Weißt du Michael, jedes Mal, wenn wir uns sehen, dann höre ich dich darum reden, wie unfair es ist, dass sie fühlen können und wir nicht. Wie unfair es ist und wie sinnlos sie dieses Geschenk als alltäglich hinnehmen.“

Michale nickte.

„Und?“

„Bei meinen Reisen um die Erde habe ich viel darüber nachgedacht und die Menschen viel beobachtet. Und irgendwann, so vor 2 Wochen, kam mir die Erleuchtung.“

„Aha?“

„Ja, es war nicht weit von hier, genauer gesagt, genau hier!“

Die beiden waren am Ende der Straße angelangt und stand nun auf einem kleinen Platz. Auch hie herrschte reges Treiben. Kleine Stände an den Obst, Nahrung und alles Mögliche verkauft wurde, Menschen, die sich unterhielten und auch dunklen Geschäften nachgingen. All das sahen Gabriel und Michael nicht nur, sie spüren die Dunkelheit in einigen Seelen auf diesem Platz.

„Hier?“

„Jap.“

Michael warf Gabriel einen mehr als skeptischen Blick zu.

„Hier willst du die Lösung dafür gefunden haben, wieso wir keine Gefühle haben und sie wohl?“

Gabriel grinste immer noch.

„Nicht so ganz aber irgendwie doch. Hast du mal darüber nachgedacht, dass ihre Gefühle zwar eine Stärke, ein Wunder Gottes sind, aber gleichzeitig auch ihr stärkster Feind?

Michael sah ihn verwundert an.

„Ich kann dir nicht folgen.“

„Es ist ganz einfach. Wir als die Erstgeborenen müssen den Jüngeren helfen, sie begleiten und tun was Vater uns sagt. So machen die größeren Geschwister das nun mal. Wir müssen immer vernünftig sein.

Sie aber, sie sind emotional, gefühlsbetont, man könnte sagen Sklaven ihre Gefühle.“

„So weit verstehe ich was du meinst.“

„Gut. Ist es daher nicht so, dass sie ihre volle Potential nicht ausnutzen, da sie durch ihre Gefühle und damit falsch verstandenen Regeln gehemmt werden?“

Michaels Miene entspannte sich. Langsam aber sicher kapierte er, wohin ihn Gabriel führen wollte.

„Du meinst also, wir, die keine Gefühle haben, haben sie deswegen nicht, damit wir uns nicht wie sie auf Irrwegen verlaufen.“

„Genau! Wir sind die großen Geschwister, die ihnen aus diesem Labyrinth helfen müssen. Hätten wir die selben Gefühle wie sie, wo wären sie anders, wie sollten wir ihnen helfen. Vater hat das so gewusst und uns deswegen entsprechend gelehrt.“

„Okay, das leuchtet ein, auch wenn mir diese Antwort nicht ganz so fremd ist. Ich frage mich nur, wieso du mich deswegen hier hergerufen hast?“

„Wie ich dir schon sagte, kam mir die Antwort selber vor 2 Wochen genau hier auf diesem dunklen Platz. Sieh dich um und sag mir, was du außer den Ständen noch siehst?“

Michael drehte sich von Gabriel ab und überblickte den Markt. Er sah Männer und Frauen, Kinder und Alte, Sünder und Opfer, eben alles was dieser Ort zu bieten hatte. Aber er sah nichts Besonderes.

„Für mich sieht es aus wie viele der Plätze in dieser seelenlosen Stadt.“

Gabriel legte seine Hand auf Michael Schuler und flüsterte ihm ins Ohr.

„Sieh genauer hin, mein alter Freund. Sieh mit deinem Herzen, suche nach dem Schein.“

Mit rollenden Augen blickte Michael wieder auf den Platz. Gabriel hatte schon immer einen Hang zum dramatischen gehabt. Aber bei allem was ihm heilig war, hier war….

…halt, was war das? Ca. 20 Meter von ihnen entfernt spielten ein paar Kinder Fußball mit etwas, was irgendwann wohl mal ein richtiger Fußball gewesen war. Jetzt war nicht mehr viel davon übrig. Aber was Michael bei seinen vorherigen Beobachtungen nicht aufgefallen war, in dieser Gruppe von Kindern bewegte sich ein Leuchten, etwas Reines, etwas Trauriges, etwas, was den Menschen verborgen bliebt und ihm selbst fast auch. Hätte Gabriel ihn nicht mit der Nase drauf gestoßen, es wäre ihm entgangen. Vorsichtig fokussierte sich Michael auf diesen inneren Schein eines der Spieler und erwartete schon beiläufig eines der Kindern zu sehen. Doch die Quelle des Scheins war nicht etwas ein unschuldiges Kind, keine heilige Frau, nein es war ein ca. 40-jähriger Mann. Im ersten Hinsehen hätte man ihn auch für Ende 20 oder Anfang 30 halten können, aber Michael erkannt das Alter eines Menschen immer genau.

Verwundert blicke er Gabriel an, dessen Lächeln einem ernsten Ausdruck gewichen war. Bevor Michael was sagen konnte, ergriff er das Wort.

„Genauso habe ich geschaut vor zwei Wochen, als ich ihn das erste Mal gesehen habe. Du weißt, dass ich en Menschen beim Abschied helfe, ihnen die Klarheit ihres Lebens offenbare. Erst dann fangen sie an zu scheinen, einen letzten Atemzug lang. Außer diesem Moment, diesen Augenblick in der Zeit findest du das innere Leuchten nur bei Kindern. Und auch nur so lange, wie sie noch frei von der Last der Welt sind.“

Michael musste wieder zu dem Mann rüber sehen, der da mit den Kindern Fußball spielte. Er passte so gar nicht hier her, war er doch von großer, ca. 190cm, großer Statue und blonden Haar und blauen Augen. Ein typischer Nordeuropäer, der mit einer Horde südamerikanischer Kinder in einem brasilianischen Ghetto Fußball spielte, so als sein es das natürlichste von der Welt. Und drumherum schien es auch sonst niemanden zu stören, geschweige denn schien es irgendjemand überhaupt zu registrieren.

„Dieser Mann da ist die Antwort auf deine Fragen, lieber Bruder.“

Michael drehte sich wieder Gabriel zu.

„Wie das?“

„Es ist ganz einfach. Sein Scheinen kommt von einer inneren Ruhe, einem Erkenntnis, die nur ganz selten so rein ist, dass ein Mensch sie findet. Bei ihm hier scheint noch eine andere Klarheit dazu zu kommen, von der er selber nichts weiß“

Gabriels Blick wurde traurig.

„Wie ich schon sagte, ich begleite die Menschen am Ende zur Klarheit, deswegen bin ich hier!“

„Ohh, das meinst du damit.“

„Ja, der Unterschied ist aber bei diesem da, dass er mich nicht mehr dafür braucht. Was er braucht, kann ich ihm nicht geben.“

„Aber ich! Zumindest glaubst du das?“

„, Genau das ist mein Glaube. Du musst sehen, was es bedeutet sich seinen Gefühlen hinzugeben, was für Qualen und was für Wunder du dabei erleben kannst. Und dieser Mensch braucht dich, um seinen Weg zu vollenden, dessen er sich schon vor mir klar war.“

Michael schaute nochmals rüber zu dem Mann, wobei er die auf seiner Schulter ruhende Hand von Gabriel ergriff. Er hatte begriffen, was Gabriel von ihm wollte.

„Meine Aufgabe ist es seiner Seele ein Gewicht auf Erden zu geben, bis die Klarheit vollendet ist!“

In Gabriels Augen kehrte das Leuchten zurück und still nickte er. Er wusste, dass Michael dem Mann vor ihnen helfen würde.

Peter stand auf der Straße am Rande der Favela am Stadtrand von Rio de Janeiro, dort wo das Meer aus grellbunten Wellblech Dächern endete und das tiefe Blau des herrlich blau schimmernden Atlantik begann. In den engen Gassen drängelten sich die Bewohner dieser aus Wellblech und Lehm bestehenden Hütten. Trotz der Armut tobte das Leben in den künstlichen Schluchten. Kinder spielten mit alten, zerfetzten Bällen Fußball. Auf den zerschließenen Trikot die Namen von weltbekannten und vor allem unsagbar reichen Starspielern. Im Gegensatz zu den spielenden Kindern lebten sie nicht in armseligen Hütten. Der Spielfreude der Kinder tat das keinen Abbruch. Lautstark feuerten sie sich an. Peter musste bei diesem Anblick schmunzeln. Trotz der Armut, trotz dem Leben in diesem Labyrinth aus Dreck und Kriminalität, hatten die Kinder ihren Spaß. Kinder finden eben einen Weg. Das Lächeln wich schnell der Ernüchterung der Realität. Zu bewusst war ihm, dass die Kindheit in diesem Moloch der Menschheit zu schnell vorbeiging. Der Rest der Welt ließ ihnen keine Wahl, drängte sie mit aller Gewalt des zu schnellen Erwachsenen werden in einen Kreislauf aus dauerhafter Armut. Gedankenversunken stand er nun am Rand dieser Favela und sinnierte über das Leben derer Bewohner. So sehr aber die Traurigkeit dieser vorgeprägten Zukunft auch bewegte, in ihm selber tobte ein eigener Konflikt. Ein Konflikt, der ihn nicht losließ, sein Leben prägte wie die Armut die Kinder in der Favela vor ihm.

Als er vor knapp 2 Wochen hier angekommen war, lag seine Welt in Trümmern, schien seine Welt in eine innere Dunkelheit verloren. Nichts konnte ihn für sich gewinnen, zu sehr war er in seinem tiefen Schmerz gefangen. Nun, über 3000km von Deutschland entfernt in einer wunderschönen wie auch äußerst gefährlichen Stadt, in der Tag und Nacht das Leben nur so tobt, war er wieder mit sich ins Reine gekommen.

Die Zeit hier am Rande von Rio de Janeiro, in Verbindung mit dem Forschungsprojekt der hiesigen Universität an dem er arbeitete, hatten ihn in die Realität zurückgeholt, seinen Blick von der Vergangenheit wieder in die Zukunft gerichtet, fokussiert auf das, was für ihn und sein Leben wirklich wichtig war.

Nicht mehr auf das was gewesen ist, nein auf das was er noch vor sich hatte, blickte er nun. So schnell es geht wollte er wieder rennen, nicht mehr wie im Schneckentempo das Leben verschlafen.

In seiner Hand hielt er eine Postkarte, adressiert an sie. Lange, sehr lange hatte er mit sich gehadert, ob er ihr schreiben sollte. Was sollte er ihr auch schreiben, was sollte er ihr mitteilen wollen, war doch scheinbar alles entschieden, das Urteil bereits gefällt. Was noch vor so kurzer Zeit so sicher, so scheinbar beidseitig gefühlsmäßig perfekt wirkte, hatte sich schnell den Vorurteilen der Anderen ergeben und alles war zerstört, was für die beiden so schön hätte sein können. Peter hatte das so geglaubt, so verstanden. Zu klar war ihre Antwort gewesen, zu klar sichtbar das Ende. Ob dem wirklich so war, war ihm damals egal gewesen. Nur das eisige Gefühl eines unwiderruflichen Endes hatte ihn erfüllt. Diese Kälte, die sich im Kopf ausbreitet, wenn man weiß, dass es keinen Ausweg mehr gibt, die Endgültigkeit einen erfasst.

Es musste einen Grund geben, wieso, weshalb warum? Einen Grund gab es immer, musste es geben, dem war immer so. Naja, bis auf den einen, den sie ihm genannt hatte. Doch denn wollte er nicht akzeptieren, nicht wahrhaben. Er hätte das hinbekommen, hätte es ihr und allen anderen gezeigt. Liebe trotz Altersunterschied ist möglich. Auf das Herz kommt es an, auf das Herz und nichts anderes.

Damals hatte er diese Kraft nicht gehabt, die Kälte hatte ihn gelähmt, das Leben aus ihm gesogen.

Es sein besser so, der Unterschied wäre doch zu groß, sie seien nur gute Freunde. Diese so flachen und allgemein bekannten Phrasen hatte sie ihm entgegnet. Peter konnte das nicht nachvollziehen. Was sollte besser daran sein, wenn man seinen Gefühlen nicht vertraut? Wieso sei der Unterschied plötzlich so wichtig, war er ihr doch vorher völlig egal? Nur Freunde! War das nicht das Beste an einer Beziehung, wirklich befreundet zu sein?

Nein!

Für Peter war da mehr dahinter und er war fast daran verzweifelt. Er konnte einfach nicht kapieren, dass er nichts, wirklich nichts an ihrer Haltung ändern konnte. Als Wissenschaftler war er es gewöhnt für alles eine Lösung zu finden. Im wahren Leben, vor allem bei Gefühlen schien dies nicht zu funktionieren. Der Forschungsauftrag in Brasilien kam da wie gerufen. So konnte Peter Abstand zwischen sich und Ihr bringen, und das nicht nur durch die reine Entfernung.

Nachdem Peter die ersten Tage damit beschäftigt war, sich einzuleben und dem Auftrag der Universität nachzukommen, war schon am ersten Wochenende die Gedankenwelt aus Deutschland zurückgekehrt. Zu seinem eigenen Glück hatten der emotionale Abstand und Brasilien die nötige Klarheit gebracht. Das Ergebnis dieser jetzt wieder fast wissenschaftlichen Gedenkweise war die Postkarte in seiner Hand. Wollte er noch am Beginn seiner Reise die Welt verfluchen und sich schon der Wut über ihr Handeln hingeben, so war er sich nun einer Klarheit bewusst, die zu einem Lächeln in seiner Seele führte. Und mit diesem Lächeln blickte Peter auf das schier endlose Meer und die untergehende Sonne. Der Anblick war so wunderschön und Peter schloss seine Augen. Die letzten Strahlen der rotglühenden, im Meer verschwindende Sonne streichelten sanft über sein Gesicht. Fast kam es ihm vor, als würde sie über seine Wangen streicheln.

Das Lächeln wurde breiter. Er würde sein Versprechen einhalten. Ein Versprechen, das er ihr gegeben hatte.

Mit sich selbst zufrieden genoss Peter den Moment.

“Senior?”

Ein paar Meter hinter Peter stand Jose, sein Assistent während des Forschungsauftrages in Rio den Janeiro. Jose war noch Student an der Uni und war neben seinem doch guten Studium vor allem wegen seiner Deutschkenntnisse als Assistent ausgesucht worden.

Peter drehte sich leicht in seine Richtung, genoss aber weiterhin die wärmenden Strahlen der untergehenden Sonne. Jose erkannte wohl, dass er von Peter wahrgenommen worden war.

“Wir müssen wieder los. Es ist nicht wirklich sicher für sie hier sobald die Sonne untergegangen ist.”

Tagsüber waren die beiden Männer stundenlang in der Favela, bezog sich ihr Forschungsauftrag doch auf einen Teilaspekt des Lebens hier. Während sie ihrer Arbeit nachgingen hatten die Bewohner immer freundlich auf sie reagiert. Peter wusste aber auch, dass dies in der Dunkelheit schnell vorbei sein konnte. Nachts regierten Gangs die Favela und denen war es nicht so recht, wenn ein Wissenschaftler aus Deutschland vielleicht etwas von ihren Geschäften mitbekam. Und da die Polizei sich hier nicht her traute, wollte Peter das Risiko auch nicht herausfordern. Er mochte das Kitzeln, das Adrenalin, aber er war nicht lebensmüde. Vor allem nicht jetzt, wo er ein Versprechen einlösen musste.

- Erst musst du ihr helfen...

... und dir selber dabei auch! -

Das Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen, denn vor seinem geistigen Auge konnte er sich vorstellen, wie Jose nervös umherblickte, immer auf dem Sprung.

“Senior Peter!”

Jose Tonfall war jetzt schon wesentlich betonter und war deutlich von Nervosität geprägt.

“ Ich komme ja schon, nicht so ängstlich Jose”

Mit diesen Worten drehte er sich um und blickte Jose nun direkt an. Dieser stand nicht weit entfernt an einem alten rostbraunen Toyota, der seine besten Jahre schon hinter sich hatte. Peter hatte sich bereits am zweiten Tag in den Favelas ein Loch in die Hose gebrannt, als die defekte Sitzheizung, welche nachträglich eingebaut worden war, zu heiß geworden war. Er hatte sich sowieso gefragt, wieso man in Brasilien eine Sitzheizung brauchte, aber Jose war wahnsinnig stolz auf seinen eigenen Toyota gewesen, dass er es nicht gewagt hatte nachzufragen.

Mit dem breiten Grinsen ging Peter zur Beifahrerseite und er bemerkte wie Jose erleichtert ausatmete. Innerlich machte er sich eine Notiz den jungen Studenten nachher noch ein Bier zur Beruhigung auszugeben.