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»Ein alter Tyrann liegt im Sterben. Inszenierung und Zeitpunkt seines Todes liegen jedoch in den Händen verschiedener Fraktionen: da sind die Alten, die ihn in den Jahren seiner Herrschaft umgeben haben; die revolutionäre, die religiöse, die monarchistische Fraktion; die bürokratische und technologische und schließlich die Medizin selbst. Jede Fraktion hat ihre eigenen machtpolitischen Gründe für eine Verkürzung oder Verlängerung der Sterbezeit des Tyrannen. Dürrenmatt stürzt sich in diesem Stück mehr auf die groteske Wirklichkeit als auf irgendwelche erfundenen Gräßlichkeiten. Immerhin, es gibt noch Platz für Phantastisches. Die unheimlichsten Momente sind jene, in denen die maskierten Matriarchinnen ihren Auftritt haben, gekleidet wie die spanische Königsfamilie auf den historischen Porträts von Goya. Seit einst die Hexen in ›Macbeth‹ über ihrem Kessel kauerten, sind keine solchen Ungeheuer über die Bühne gegangen.«
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Seitenzahl: 122
Veröffentlichungsjahr: 2020
Friedrich Dürrenmatt
Die Frist
Eine Komödie Neufassung 1980
Diogenes
Es ging mir, im Gegensatz zu den verschiedenen Fassungen, die vorher einzeln im Arche-Verlag erschienen sind, bei den Fassungen für die Werkausgabe nicht darum, die theatergerechten, das heißt die gestrichenen Fassungen herauszugeben, sondern die literarisch gültigen. Literatur und Theater sind zwei verschiedene Welten: Außer den Komödien, die ich nur für die Theater schrieb, Play Strindberg und Porträt eines Planeten, die Übungsstücke für Schauspieler darstellen und die ich als Regisseur schrieb, gebe ich im Folgenden – die ersten Stücke tastete ich nicht an – die dichterische Fassung wieder, eine Zusammenfassung verschiedener Versionen.
F.D.
Eine Komödie Neufassung 1980
Die Politiker
Exzellenz
Möller
Hoheit, Herzogin von Saltovenia
Herzog von Saltovenia, ihr Gatte
Silvia, Prinzessin von Saltovenia
Herzogin von Valdopolo
Herzog von Valdopolo
Kardinal
Erzbischof
Die Ärzte
Goldbaum
Arkanoff
Legrais
Goethel
Gnägelmann
Die Unsterblichen
Rosa
Rosarosa
Rosabella
Rosablanca
Rosanegra
Rosalaura
Rosaflora
Rosaberta
Rosagrande
Die Übrigen
Sebulon
Ein Student
Nostromanni
Bauer Toto
John
James
Gouvernante
Stumme Rollen
Diener
Strichjunge
Chorknabe
Gouvernanten
Soldaten
Fernsehleute
Ärzte
Krankenschwestern
Geschrieben 1975/76
Uraufführung im Kino Corso, der Ausweichbühne des Schauspielhauses Zürich, am 6. Oktober 1977
Da es nach der Meinung des Aristoteles nicht die Aufgabe des Dramatikers ist, zu erzählen, was sich wirklich zugetragen hat, wie es die Geschichtsschreiber tun, sondern was sich hätte zutragen können, gerate ich, was den Schauplatz und die Zeit der zwar möglichen, aber nicht wirklichen Handlung betrifft, die ich im Folgenden darzustellen versuche, in eine Verlegenheit: Läßt sich doch von diesem Schauplatz eigentlich nur sagen, er sei der mögliche ehemalige Thronsaal eines möglichen ehemaligen Königspalastes in der möglichen Hauptstadt eines möglichen Landes, und von dieser Zeit, sie sei die einer möglichen Gegenwart. Wenig genug, genug für die Bühne; denn diese rückt jede Möglichkeit in ihre Wirklichkeit, gleichgültig darüber, ob nun diese Möglichkeit je wirklich werden könnte oder nicht. Für die Bühne, nicht für die Wirklichkeit, ist alles wirklich. Wer für die Bühne und für die Wirklichkeit die gleiche Wirklichkeit verlangt, wie die heutigen Bühnenideologen etwa, begreift weder Bühne noch Wirklichkeit. Er verwechselt die Wirklichkeit mit der Dramaturgie, indem er diese der Wirklichkeit und der Bühne gleichermaßen unterschiebt. Was die Bühne und die Wirklichkeit wirklich gemeinsam haben, und weshalb jene diese immer wieder auf ihre Bretter zu bringen sucht, liegt in der Unwirklichkeit beider. Immer verzweifelter versucht die Bühne, mit der Unwirklichkeit der heutigen Wirklichkeit Schritt zu halten. Was die Bühne auch an Unwirklichkeiten erfindet, die Wirklichkeit überholt sie. Dieser Wettstreit brachte denn auch das folgende Stück hervor. Seine Motive entstammen der Unwirklichkeit, in der sich die Wirklichkeit verliert. Daß man dieser nur noch mit der Komödie beikomme, behauptete ich immer: mit etwas Synthetischem und nicht mit Analytischem, und allein die Komödie ist synthetisch. Im vorliegenden Falle aus Eindrücken zusammengeträumt, die mir die Gegenwart aufdrängte: das langsame Sterben eines Diktators, umgeben von dreißig Ärzten, der Versuch eines amerikanischen Außenministers, im Stile Metternichs Politik zu treiben, der einsame Kampf eines Wissenschaftlers, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, gegen ein intolerantes Machtimperium: eine Auseinandersetzung, die jeden angeht, der Macht kritisiert, nicht nur der Frage wegen, ob man in einer solchen Lage auch bestehen würde, mehr noch deswegen, weil sich das Machtproblem vor allem für den Ohnmächtigen so ganz anders stellt als für den Mächtigen. Aber noch andere Motive dienten der Synthese als Prämissen: die Assoziationen, die sich einem bei gewissen Methoden der Medizin einstellen; das – trotz oder wegen der heutigen Emanzipation der Frau – immer tiefere Auseinanderklaffen der Geschlechter, welches der Männerwelt eine dieser feindlich gesinnte Frauenwelt gegenüberstellt, usw. Aus solchen Bezügen und aus noch anderen baut sich meine Komödie und bauten sich meine Komödien auf, denn ich ging im Grunde nie anders vor, auch wo ich von Geschichten ausging. Auch sie waren synthetisch. Unabhängig von den Kompositionsarten, die ich anwende, stellte und stelle ich auf dem Theater immer wieder das gleiche dar: Bühnenwirklichkeiten, im Vertrauen darauf, daß es diesen – auch wenn sie möchten – nie gelingt, aus der Wirklichkeit ins Leere zu fallen. Daß eine gewisse Kritik dieses Vertrauen nicht mit mir teilt, mag mein Pech sein. Aber ihre Methode, ihre Analyse der Wirklichkeit, die nicht die meine ist, auch bei meiner Theaterwirklichkeit zu suchen und dann zu vermissen, was ich nicht hineingelegt habe, ist ihr Pech: daß sie dann behauptet, mein Theater sei irrelevant, macht sie irrelevant. Was ich hineinlege, ist insofern Nebensache, als zum Verständnis meiner Bühnenwelten keine Philosophie nötig ist, auch wenn sich eine solche in ihr versteckt; nötig ist freilich jene Einbildungskraft, die jedem Zuschauer – sei er nun ein nachdenklicher oder ein bloß genießender – immer noch zugetraut werden darf: die Phantasie, auf der Bühne die Wirklichkeit zu entdecken. Dieses ist freilich nur möglich, wenn man mich richtig spielt. Ich bringe den Stil, man braucht ihn nicht zu spielen. Man inszeniere mich auf die Natur hin. Von der Charge weg! Nichts schadet meinen Komödien, die als bewußte Bühnenwirklichkeiten an sich verfremdet sind, mehr, als sie durch die Inszenierung noch einmal zu verfremden. Meine Stücke brauchen nicht unterstrichen zu werden. Das Gerede über meine verknappten Dialoge oder darüber, daß ich keine Menschen auf die Bühne stelle, verrät bloß die Unfähigkeit, mich zu lesen und zu spielen: Man lese und spiele mich so, daß Menschen in der Einbildungskraft entstehen und Menschen auf der Bühne sind, und so, daß meine Dialoge, ohne daß ein Jota an ihnen geändert wird, nicht mehr verknappt wirken. Ein Theaterstück zu lesen ist ebenso eine Kunst wie die, es zu inszenieren. Daß freilich mein Theater wieder Regisseure und Schauspieler und nicht Stilisten voraussetzt, ist eine andere Sache. Leider haben gerade diese mir das Theater verleidet, so daß ich wohl immer mehr – und für immer – für eine imaginäre Bühne zu schreiben beginne: für das Theater meiner Einbildungskraft. Daß diese bisweilen jene auf eine harte Probe stellt, die es dennoch zu verwirklichen trachten, sei zugegeben, besonders in diesem Fall, der nun vorliegt: Denn was soll ein Bühnenbildner etwa mit der Vorstellung machen, die ich vom Thronsaal habe, in welchem sich die Handlung abspielt? Ist doch der düstere, verwinkelte Raum, den ich mir denke, das sinnlose Durcheinander von Riesengewölben, einem der unermeßlichen Verliese Piranesis nicht unähnlich, ein Thronsaal, den der Generalissimus, als er vor vierzig Jahren nach einem endlosen Bürgerkrieg die Monarchie auflöste, in sein Arbeitszimmer umwandelte, sei es aus purer Rücksichtslosigkeit, sei es aus bewußter Bosheit der Tradition gegenüber, sei es aus Gedankenlosigkeit. Ein Unternehmen jedenfalls, das den Raum noch bizarrer machte, als er es ohnehin war. Im Hintergrund noch Thronsaalüberreste. Stufen führen zu einem gotischen, halb zerfressenen, verwitterten Sandsteinthron. An den Wänden und an den Decken (insofern sie überhaupt sichtbar sind) gewaltige Fresken von einer finsteren Wildheit: Kronos Uranus entmannend, Kronos seine Kinder fressend, Kronos seine Kinder wieder herauswürgend, Sisyphos den ungeheuren Fels wälzend, Prometheus von den Adlern zerfleischt, Prokrustes einem Gast die Beine abhackend, Pityokamptes einen Reisenden durch niedergebogene und zurückschnellende Tannen zerreißend, Medea ihre Kinder schlachtend, Ödipus sich blendend usw., alles eingedunkelt, nur noch ahnbar. Dazwischen immer wieder Heilande, Heilige und Selige, auch diese gekreuzigt, gemartert, gerädert, aufgespießt, gevierteilt, beinahe ebenso unkenntlich wie die geplagten Götter, Halbgötter und Heiden. In diesem blutrünstigen Raum – stelle ich mir vor –, in welchem eine offenbar ebenso blutrünstige Dynastie jahrhundertelang regierte oder sich regieren ließ, wahrscheinlich unbeweglich, steril, verkrüppelt, debil und bigott, nehmen sich die Utensilien des Usurpators höchst seltsam aus. Die Möbel sind sicher äußerst kostbar, die er hineinstellen ließ, doch wirken sie wie zusammengestohlen, was sie wahrscheinlich auch sind. Der riesige Schreibtisch vorn rechts mit der Telefonanlage paßt ebensowenig zum Stuhl dahinter wie zum Kanapee in der Mitte mit dem zierlichen Tisch davor. Das gleiche gilt von den Sesseln usw. Die Couch im Hintergrund links ist von einem Paravent verdeckt. Ausgänge: an jeder Seitenwand zwei. Erleuchtet wird der Raum von einem gewaltigen Lüster, an welchem immer wieder Glühbirnen platzen, so daß sich das Ende des ersten Teils beim Licht nur noch zweier Glühbirnen in fast völliger Dunkelheit abspielt. Diesen Riesenraum, im Film möglich, kann ich mir auf der Bühne eigentlich nur fragmentarisch, andeutungsweise vorstellen: eine tiefe Bühne mit gespenstischen Hänge- und Setzstücken, sich in Dunkelheiten und Schlagschatten verlierend und doch als ein geschlossener Raum wirkend: Weil ich mir Theater so gar nicht im Freien vorstellen kann und weil sich doch das dramatisch Entscheidende im menschlichen Innenraum abspielt, neige ich zu abgeschlossenen Räumen; das Epische dagegen braucht Landschaft, Weite, Wüsten, Meere. So sollte sich denn endlich der Vorhang teilen. Ich zögere, so sehr sträubt sich in mir die Vorstellung, er könnte je real werden, er und die Bühne, die er noch verdeckt, die – im Gegensatz zum geschriebenen Text – keine Korrektur mehr möglich macht. Ist sie doch auf eine rätselhafte Weise abhängig von den regielichen Anmerkungen. Diese entstehen zwar nur aus der ungefähren Vorstellung heraus, die das Schreiben mit sich bringt, aber sie wirken fort, manchmal als Störfaktor, und sei es auch so, daß ich jedes meiner Stücke spiegelverkehrt sah; rechts oder links sind bei mir vom Zuschauer aus gedacht. Doch geht der Vorhang endlich auseinander (oder in die Höhe), kristallisiert sich die erste Szene nur allmählich heraus, stelle ich mir vor, weil es einige Zeit braucht, bis das Publikum das Bühnenbild realisieren wird. Zuvor wird es wohl Rosalaura bemerken, ururalt, die hinter dem Schreibtisch des Generalissimus sitzt und etwas auf ein Papier kritzelt; ferner Rosabella, uralt, die unbeweglich vorne links lauscht; beide gekleidet wie die Damen der Familie Karls iv. auf dem Bilde Goyas. Endlich entdeckt der Zuschauer, daß auf dem verwitterten Thronsessel ein urururaltes Weib sitzt, Rosagrande, gekleidet wie die Königin auf Goyas Bild, nur unsäglich zerschlissen, mit Stock. Rosabella gibt ein Zeichen, geht nach hinten links unwahrscheinlich flink, die beiden anderen unwirklichen Vetteln watscheln ihr fett und riesenhaft nach, alle durch die Tür links hinten ab. Einen Augenblick ist die Szene leer, dann erscheint langsam von links vorne Arkanoff im modernen Arztkittel, Stethoskop, Stirnspiegel usw., setzt sich, wischt sich den Schweiß ab. Aus dem Hintergrund rechts kommt Exzellenz, bleibt beim Thronsessel stehen, schnuppert, schaut vor sich hin. (Während immer wieder, irgendwo hinten, das ganze Stück hindurch, bald eine, bald mehrere der alten Vetteln hineingrinsen, vorüberhuschen, davongescheucht werden usw.)
ARKANOFF
Heiß.
Wischt sich immer noch den Schweiß ab. Exzellenz wirft ihm nicht einmal einen Blick zu.
EXZELLENZ
Erträglich.
ARKANOFF
Entsetzlich.
EXZELLENZ
Das finden Sie nur, weil Sie in Sibirien geboren sind. Wo denn?
ARKANOFF
Archangelsk, Exzellenz. Nach einem Kloster des Erzengels benannt.
EXZELLENZ
Paßt zu Ihnen. Setzt sich hinter den Schreibtisch. Zigarette, Arkanoff?
ARKANOFF
Nichtraucher.
EXZELLENZ
Müde?
ARKANOFF
Mehr als vierundzwanzig Stunden auf den Beinen, Exzellenz.
EXZELLENZ
Wer das Schicksal des Vaterlandes trägt, bekommt Riesenkräfte. Raucht. Warten Sie nur ab, Arkanoff.
ARKANOFF
Ich benötige sie bitter.
EXZELLENZ
Das Diner beim französischen Botschafter war immens. Es mußte durchgestanden werden. Meine Abwesenheit hätte wilde Gerüchte entfacht. Raucht. Sein Zustand?
ARKANOFF
Hoffnungslos.
EXZELLENZ
Hoffnungslos ist keine Vokabel. Raucht.
ARKANOFF
Exzellenz, ich glaube nicht mehr daran.
EXZELLENZ
Woran?
ARKANOFF
An die Intensivstation.
EXZELLENZ
Sie ist eingerichtet.
ARKANOFF
Der Generalissimus ist nicht zu retten.
EXZELLENZ
Sie wiederholen sich, Arkanoff, Sie langweilen mich, Arkanoff.
ARKANOFF
Die Wahrheit –
EXZELLENZ
Interessiert mich nicht. Nimmt das Blatt Papier vom Schreibtisch.
ARKANOFF
Die Unsterblichen?
EXZELLENZ
Hoffen auf Weltuntergänge. Beim Thron Lavendelgeruch. Rosagrande war hier. Und Rosalaura. Arkanoff, dieser Palast ist scheußlich. Jahrhunderte herrschten hier Majestäten, bösartig und vertrottelt, und vor vierzig Jahren zog die Sippe des Generalissimus ein, eine noch giftigere Brut. Klapperschlangen, Arkanoff, Klapperschlangen. Liest. Stirb und verwese. Stirb und verwese. Ein Blatt vollgekritzelt. Knüllt das Papier zusammen.
ARKANOFF
Sie hassen ihn.
EXZELLENZ
Sie hassen alle Männer. Wirft das Papier hinter sich.
Telefon.
EXZELLENZ
Nehmen Sie ab.
Arkanoff gehorcht.
ARKANOFF
Beim Generalissimus. Nein, Herr Graf. Gewiß, Herr Graf. Reicht den Hörer hinüber. Exzellenz, der Außenminister.
Exzellenz nimmt den Hörer.
EXZELLENZ
Mein guter Graf. Ganz recht, es ist drei Uhr nachts. Unsinn, das Urteil wird im Morgengrauen vollstreckt. Weiß, weiß, der Papst ist auch dagegen. Der Generalissimus? Wie immer ein Nachtmensch, nicht umzubringen. Eine Audienz? Jetzt? Fordern Sie? Ihr Recht? Als Graf? Na ja, wird den Generalissimus belustigen. Rufe zurück. Legt auf. Was machen wir?
ARKANOFF
Ich weiß nicht, Exzellenz.
EXZELLENZ
Hat Sie der Außenminister an der Stimme erkannt, Arkanoff?
ARKANOFF
Leider, Exzellenz. Der Zustand des Generalissimus wird sich nicht lange verheimlichen lassen.
EXZELLENZ
Arkanoff, in drei Tagen präsentieren Sie mir den Generalissimus einigermaßen lebendig.
Telefon. Arkanoff zögert. Ungeduldige Handbewegung Seiner Exzellenz.
ARKANOFF
Beim Generalissimus. Reicht den Hörer hinüber. Der Justizminister.
EXZELLENZ
Hat er Sie auch erkannt?
ARKANOFF
Auch.
Exzellenz nimmt den Hörer.
EXZELLENZ
Das Urteil wird vollstreckt. Legt auf. Vor zwei Tagen im Fernsehen, Arkanoff, lehnte der Justizminister die Begnadigung der sechs Terroristen ab, schnoddrig, eine Zigarette im Mundwinkel, und jetzt möchte er das Urteil aufheben. Wählt. Mein lieber Außenminister, ich sprach eben mit dem Generalissimus. Er ist bereit, Ihnen die Audienz in – na ja, Graf, fragen Sie noch einmal in drei Wochen an. Legt auf.Der Adel dieses Landes ist ein Pack. Wissen Sie, was mein Vater war, Arkanoff?
ARKANOFF
Nein.
EXZELLENZ
Mathematiker an der Hofschule. Daneben stellte er dem König und dem Adel die Horoskope. Das taten auch mein Großvater und Urgroßvater und so weiter. Sie sehen, Arkanoff, ich bin am Niedergang dieses Landes maßgeblich beteiligt. Raucht. Aber statt Mathematiker zu werden, studierte ich politische Wissenschaften. Wissen Sie, womit ich mein Studium verdient habe, Arkanoff? Drückt die Zigarette aus. Als Rechenkünstler im Kabarett.
Legrais kommt von vorne links.
In Panik.
LEGRAIS
Magenblutung.
ARKANOFF
Darauf war ich nicht gefaßt.
LEGRAIS
Er ist uns fast erstickt.
EXZELLENZ
Stellen Sie sich erst mal vor.
LEGRAIS
Professor Fernand Legrais, Exzellenz.
EXZELLENZ
Meine Herren, Ihre unappetitlichen Diskussionen setzen Sie wohl am besten in der Intensivstation fort.
LEGRAIS
Exzellenz. Verneigt sich. Vorne links ab.
Arkanoff zögert.
EXZELLENZ
Nun, Arkanoff? Knien Sie sich mal rein.
ARKANOFF
Der Generalissimus stirbt.
EXZELLENZ
Wieder einmal.
ARKANOFF
Wir sollten eine Magenresektion vornehmen.
EXZELLENZ
Nehmen Sie vor.
ARKANOFF
Sein Herz ist der Operation nicht gewachsen.
EXZELLENZ
Sie sind ihr nicht gewachsen, Arkanoff.
ARKANOFF
Eine Kapazität muß her.
EXZELLENZ
Schlagen Sie vor.
ARKANOFF
Ich denke an Gnägelmann aus Zürich oder an Goethel aus Berlin.
EXZELLENZ
Ich an Goldbaum.
Arkanoff schweigt.
EXZELLENZ
An den Nobelpreisträger.
ARKANOFF
Er würde die Intensivstation nicht billigen, Exzellenz.
EXZELLENZ
Sie billigen sie ja auch nicht.
ARKANOFF
Gnägelmann würde sie begrüßen, Goethel bejubeln.
EXZELLENZ
Überstürzen Sie nichts, Arkanoff. Stürzen Sie sich auf Ihren Patienten. Kommt Zeit, kommt Rat.
ARKANOFF
Exzellenz, ich operiere nicht.
EXZELLENZ
Abwarten, Arkanoff, abwarten.
Arkanoff vorne links ab.
Exzellenz telefoniert.
EXZELLENZ