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mehrbuch-Weltliteratur! eBooks, die nie in Vergessenheit geraten sollten. Ein historischer Mantel-und-Degen-Roman, packend und voller Abenteuer, aus der Zeit Heinrichs III. Die Handlung dreht sich um die Rache der Diane de Méridor am Duc d'Anjou, der Bussy d'Amboise verraten hat, und spielt in den Jahren 1584 und 1585.
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Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas
Am 26. Oktober des Jahres 1585 war das Tor Saint-Antoine wider alle Gewohnheit noch um halb elf Uhr morgens geschlossen. Um drei Viertel auf elf Uhr kam eine Wache von zwanzig Schweizern aus der Rue de La Mortellerie hervor und marschierte auf das Tor zu, das sich vor ihnen öffnete und hinter ihnen schloß. Sobald sie vor dem Tore waren, stellten sie sich längs den Hecken davor auf, welche die umfriedeten Plätze einschlossen, und drängten schon durch ihre Erscheinung eine große Anzahl von Bauern und geringen Bürgersleuten zurück, die vergebens durch das Tor wollten. Jeden Augenblick erschienen Mönche aus den Klöstern des Stadtgebietes, Frauen, die seitlings auf dem Saumsattel ihrer Esel saßen, Bauern auf ihren Karren und ballten sich an die schon beträchtliche Masse an, und durch ihre mehr oder minder dringenden Fragen entstand ein Geräusch, das den Grundton bildete, während einzelne Stimmen aus diesem Baß hervortraten und bis zur Oktave der Drohung oder der Klage aufstiegen.
Außer dieser Masse von Zugewanderten, die in die Stadt hineinwollten, konnte man noch einige besondere Gruppen wahrnehmen, die herausgekommen zu sein schienen. Diese schauten gierig nach dem Horizont, der von dem Kloster der Jakobiner, der Priorei von Vincennes und dem Kreuz Faubin begrenzt war, als ob auf einer von diesen drei einen Fächer bildenden Straßen ein Helfer kommen müßte. Diese Gruppen, die unsere ganze Aufmerksamkeit verdienen, wurden meist von Pariser Bürgern gebildet, die sehr hermetisch von ihren Hosen und Wämsern umhüllt waren; denn das Wetter war kalt, der Nordostwind schneidend, und große Wolken, die sich nahe über der Erde fortwälzten, schienen den Bäumen die letzten gelben Blätter, die sich noch traurig darauf schaukelten, entreißen zu wollen.
Drei von diesen Bürgern standen beieinander, zwei unterhielten sich, während der dritte mit größter Aufmerksamkeit gegen Vincennes schaute. Der letztere war ein Mann, der von hoher Gestalt sein mußte, wenn er sich aufrechthielt; aber in diesem Augenblick waren seine Beine, mit denen er, schien es, im Zustand der Ruhe nichts anzufangen wußte, unter ihm gebogen, während seine nicht minder langen Arme sich über seinem Wams kreuzten. An die Hecke gelehnt, hielt er mit dem beharrlichen Streben eines Menschen, der nicht erkannt sein will, sein Gesicht hinter seiner breiten Hand verborgen und wagte nur ein Auge mit durchdringendem Blick zwischen dem Mittelfinger und dem Ringfinger durchschießen zu lassen. Neben ihm plauderte ein kleiner Mann, der auf einen Erdhaufen gestiegen war, mit einem dicken Mann, der am Abhang dieses Haufens schwankte und sich bei jedem Schwanken wieder an den Knöpfen des Wamses seines Gegenredners anhakte.
»Ja, Meister Miton,« sagte der Kleine zu dem Dicken, »ja, ich sage und wiederhole, es werden sich hunderttausend Personen um das Schafott von Salcède drängen, wenigstens hunderttausend Personen. Seht, ohne diejenigen, die sich schon auf der Grève versammelt haben, oder die sich aus den verschiedenen Stadtteilen dorthin begeben, – seht, wieviel Leute hier sind, und das ist nur ein Tor, und wir zählen doch sechzehn Tore.«
»Hunderttausend, das ist viel, Gevatter Friard, glaubt mir, viele werden meinem Beispiel folgen und den unglücklichen Salcède nicht vierteilen sehen, aus Furcht vor einem Tumult, und sie haben recht.« »Meister Miton, Meister Miton, nehmt Euch in acht, Ihr sprecht da wie ein Politiker. Es wird nichts vorfallen, durchaus nichts, ich stehe Euch dafür.«
»Nicht wahr, mein Herr?« fuhr er dann, als er sah, daß der andere den Kopf mit einer Miene des Zweifels schüttelte, fort, indem er sich an den Mann mit den langen Armen und den langen Beinen wandte, der inzwischen, ohne seine Hand von dem Gesichte zu nehmen, eine Viertelschwenkung gemacht hatte und nun das Tor zum Zielpunkte seiner Aufmerksamkeit wählte.
»Wie beliebt?« fragte dieser, als ob er ebensowenig den Anruf, der an ihn gerichtet war, wie die vorhergehenden, an den zweiten Bürger gerichteten Worte gehört hätte.
»Ich sage, es wird heute auf der Grève nichts vorfallen.«
»Ich glaube, daß Ihr Euch täuscht und daß die Vierteilung von Salcède vorfallen wird,« antwortete ruhig der Mann mit den langen Armen.
»Ja, allerdings, aber ich sage, es werde keinen Lärm dabei geben.«
»Es wird den Lärm der Peitschenhiebe geben, die man den Pferden verabreicht.«
»Ihr begreift mich nicht. Unter Lärm verstehe ich Aufruhr, und ich sage, es werde kein Aufruhr losbrechen. Wenn ein Aufruhr zu erwarten wäre, so würde der König nicht eine Loge im Stadthause haben schmücken lassen, um mit den beiden Königinnen und einem Teile des Hofes der Hinrichtung beizuwohnen.«
»Wissen die Könige je vorher, wann es zu Meutereien kommt?« sagte mit einer Miene erhabenen Mitleids der Mann mit den langen Armen und den langen Beinen.
»Oh! oh!« machte Meister Miton, sich an das Ohr des andern Bürgers neigend.» »Das ist ein Mensch, der in einem seltsamen Tone spricht. Kennt Ihr ihn, Gevatter?« – »Nein,« antwortete der Kleine. »Nun, warum redet Ihr dann mit ihm?« – »Ich rede mit ihm, um mit ihm zu reden.«
»Und Ihr habt unrecht; Ihr seht wohl, daß er nicht gesprächiger Natur ist.« – »Mir scheint jedoch,« versetzte der Gevatter Friard laut genug, um von dem Mann mit den langen Armen gehört zu werden, »daß es das größte Glück des Lebens ist, seine Gedanken auszutauschen.«
»Mit denen, die man sehr gut kennt, aber nicht mit denen, die man nicht kennt.« – »Sind nicht alle Menschen Brüder, wie der Pfarrer von Saint-Leu sagt?«
»Was heißt, sie waren es ursprünglich; doch in Zeiten wie die unsrigen hat sich die Verwandtschaft merkwürdig gelockert, Gevatter Friard. Schwatzt also mit mir, wenn Ihr durchaus schwatzen wollt, und überlaßt diesen Fremden seinen Gedanken.«– »Euch kenne ich seit langer Zeit, wie Ihr sagt, und weiß zum voraus, was Ihr mir antworten werdet, während mir dieser Unbekannte dagegen vielleicht etwas Neues zu sagen hätte.«
»St! er horcht auf Euch.« – »Desto besser; wenn er auf uns horcht, so wird er mir vielleicht antworten. Ihr denkt also, es werde auf der Grève Lärm geben?« fuhr er, sich an den Unbekannten wendend, fort. – »Ich habe kein Wort davon gesagt.«
»Ich behaupte nicht, daß Ihr es gesagt habt,« versetzte Friard mit einem Tone, den er fein zu machen suchte, »ich behaupte nur, daß Ihr das denkt.« – »Und worauf gründet Ihr diese Gewißheit? Solltet Ihr ein Zauberer sein, Herr Friard?«
»Halt! er kennt mich,« rief der Bürger, im höchsten Maße erstaunt, »und woher kennt er mich?« – »Habe ich Euch nicht zwei- oder dreimal genannt, Gevatter?« sagte Miton, die Achseln zuckend, wie ein Mensch, der sich vor einem Fremden des geringen Verstandes seines Gefährten schämt.
»Ah! es ist wahr,« sagte Friard, der sich anstrengte, um zu begreifen, und infolge dieser Anstrengung auch wirklich begriff; »bei meinem Wort, es ist wahr. Nun! da er mich kennt, wird er mir wohl antworten. Nun! mein Herr,« fuhr er fort, indem er sich wieder an den Unbekannten wandte, »ich denke, Ihr denkt, es werde auf der Grève Lärm geben, da Ihr, wenn Ihr es nicht dächtet, dort wäret, indes Ihr hier seid ... ha...«
Dieses »ha« bewies, daß der Gevatter Friard in seiner Folgerung die äußersten Grenzen seiner Logik und seines Geistes erreicht hatte.
»Aber Ihr, Herr Friard, der Ihr das Gegenteil von dem denkt, was Ihr denkt, daß ich denke,« erwiderte der Unbekannte, »warum seid Ihr nicht auf der Grève? Mir scheint doch, das Schauspiel ist ergötzlich genug, daß sich die Freunde des Königs dort drängen. Ihr werdet mir vielleicht antworten, Ihr gehörtet nicht zu den Freunden des Königs, sondern zu denen des Herrn von Guise, und Ihr erwartetet hier die Lothringer, die, wie man sagt, in Paris einfallen sollen, um Herrn von Salcède zu befreien.«
»Nein, mein Herr,« antwortete rasch der Dicke, sichtbar erschrocken über die Voraussetzung des Unbekannten; »nein, mein Herr, ich erwarte meine Frau, Nicole Friard, die vierundzwanzig Tischtücher in die Priorei der Jakobiner getragen hat, da sie sich der Ehre erfreut, die Privatwäscherin von Dom Modeste Gorenflot, dem Abte der genannten Priorei der Jakobiner, zu sein...«
»Gevatter, Gevatter,« rief Miton, »schaut doch, was vorgeht.«
Meister Friard folgte der durch den Finger seines Gefährten angegebenen Richtung und sah, daß man außer den Schlagbäumen auch noch das Tor schloß, worauf sich ein Teil der Schweizer vor dem Graben aufstellte.
Beim Anblick dieser neuen Maßregel erhob sich ein langes Gemurmel des Erstaunens und hin und wieder ein Schrei des Schreckens aus der sich drängenden Menge.
»Laßt den Kreis bilden!« rief die gebieterische Stimme eines Offiziers. Dies wurde auf der Stelle ausgeführt, doch nicht ohne Schwierigkeit; genötigt, zurückzuweichen, zerquetschten die Leute zu Pferde und die auf den Karren da und dort einigen die Füße, oder sie drückten rechts und links ein paar Rippen ein. Die Weiber schrien, die Männer fluchten, die fliehen konnten, flohen, einander über den Haufen werfend.
»Die Lothringer! die Lothringer!« rief eine Stimme mitten unter diesem Getümmel, und der furchtbarste Schrei, aus dem Wörterbuch der Angst entlehnt, hätte keine raschere und entschiedenere Wirkung hervorbringen können, als dieser Ruf.
»Nun! seht Ihr? seht Ihr?« rief Miton zitternd, »die Lothringer, die Lothringer, fliehen wir!« – »Fliehen, und wohin?«
»In dieses Gehege,« erwiderte Miton, der sich die Hände zerriß, indem er die Dornen der Hecke faßte, auf der der Unbekannte ganz bequem saß.
»In dieses Gehege,« rief Friard, »das ist leichter gesagt als getan. Ich sehe kein Loch, durch das man hinein gelangen könnte; und Ihr werdet doch wohl nicht über die Hecke setzen wollen, die höher ist, als ich.«
»Ich werde mich bemühen,« erwiderte Miton unter neuen Anstrengungen.
»Ah! nehmt Euch doch in acht, meine gute Frau,« rief Friard in dem schmerzlichen Tone eines Menschen, der den Kopf zu verlieren anfängt, »Euer Esel tritt mir auf die Fersen. Uff! Herr Reiter, paßt doch auf. Euer Pferd schlägt aus. Ho! ho! Kärrner, mein Freund, Ihr rennt mir die Gabel Eures Karrens in die Seite!«
Während sich Meister Miton an die Zweige des Hages anklammerte, um darüber zu kommen, und der Gevatter Friard vergebens ein Loch suchte, um durchzuschlüpfen, stand der Unbekannte auf, öffnete ganz einfach den Zirkel seiner langen Beine und stieg mit einer Bewegung, ähnlich der eines Reiters, der sich in den Sattel setzt, über die Hecke, ohne daß ein Zweig seine Hosen streifte.
Meister Miton ahmte ihm, die seinigen an drei Stellen zerreißend, nach, aber nicht so ging es beim Gevatter Friard, der weder darüber noch unten durchkommen konnte und, immer mehr bedroht, von der Menge erdrückt zu werden, ein herzzerreißendes Geschrei ausstieß. Da streckte der Unbekannte seinen langen Arm aus, packte ihn zugleich bei seiner Halskrause und beim Kragen seines Wamses, hob ihn auf und setzte ihn auf die andere Seite der Hecke mit einer Leichtigkeit, als ob er es mit einem Kinde zu tun gehabt hätte.
»Oh! oh! oh!« rief Meister Miton, ergötzt durch dieses Schauspiel und mit den Augen dem Aufsteigen und Sinken seines Freundes Friard folgend, »Ihr seht aus, wie das Wirtshausschild zum Großen Absalom.«
»Uff!« rief Friard, die Erde berührend, »mag ich aussehen, wie Ihr wollt, ich bin nun auf der andern Seite des Hages, und das habe ich dem Herrn zu verdanken. Ah! mein Herr,« fuhr er zu dem Unbekannten fort, dem er kaum an die Brust reichte, »wieviel Gnade, Ihr seid ein wahrer Herkules, bei meinem Ehrenwort, so wahr ich Jean Friard heiße; Euren Namen, mein Herr, den Namen meines Retters... meines Freundes?« – »Ich heiße Briquet, mein Herr, Robert Briquet, Euch zu dienen.«
»Ich erlaube mir, zu sagen, Ihr habt mir schon bedeutend gedient. Oh! meine Frau wird Euch segnen;... doch meine arme Frau, sie wird in diesem Gedränge erstickt werden. Ah! verfluchte Schweizer, die nur dazu taugen, die Leute zu erdrücken.«
Der Gevatter Friard hatte kaum diesen Ausruf beendigt, als er auf seine Schulter eine Hand so schwer wie die einer eisernen Bildsäule fallen fühlte, es war die eines Schweizers.
»Soll ich Euch niederschlagen, Freundchen?« sagte der kräftige Soldat. »Ah! wir sind eingeschlossen!« rief Friard.
»Rette sich, wer kann!« fügte Miton hinzu.
Und da sie die Hecke hinter sich und Raum vor sich hatten, so entflohen beide, verfolgt von dem stillen Gelächter und dem höhnischen Blicke des Mannes mit den langen Armen, der sich nun einer andern Gruppe näherte, die von einer beträchtlichen Anzahl außerhalb der Stadt durch dieses unerwartete Schließen der Tore überraschter Bürger gebildet wurde. Diese umgaben vier oder fünf Reiter von kriegerischer Haltung, denen das Schließen der Tore, wie es schien, sehr unbequem war, denn sie schrien mit voller Lunge: »Das Tor! das Tor!«
Robert Briquet schritt also auf diese Gruppe zu und rief noch lauter als einer von denen, die sie bildeten: »Das Tor! das Tor!«
Infolgedessen wandte sich einer von den Reitern, entzückt über diese Stimmgewalt, gegen ihn um, grüßte ihn und sagte: »Ist es nicht schändlich, daß man am hellen Tage ein Stadttor schließt, als ob die Engländer oder die Spanier Paris belagerten?«
Vor dem Tore Saint-Antoine.
Robert Briquet schaute den Redenden aufmerksam an. Es war ein Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, und er schien der Anführer der drei oder vier anderen Reiter zu sein, die ihn umgaben.
Da die Prüfung Robert Briquet Vertrauen einzuflößen schien, verbeugte er sich ebenfalls und erwiderte: »Oh! mein Herr, Ihr habt recht, zehnmal recht, zwanzigmal recht; aber dürfte ich Euch, ohne neugierig zu sein, fragen, welchem Beweggrunde Ihr diese Maßregel zuschreibt?«
»Bei Gott!« rief einer von den Umstehenden, »was für eine Furcht sie haben, man könnte ihnen ihren Salcède fressen.«
»Cap de Bious! ein trauriger Fraß!« sagte eine Stimme.
Robert Briquet wandte sich nach der Seite, von der diese Stimme kam, deren Akzent ihm einen Gaskogner andeutete, und er erblickte einen Mann von zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren; er war barhaupt; ohne Zweifel hatte er im Getümmel seinen Hut verloren.
Briquet schien ein Beobachter zu sein, doch in der Regel waren seine Beobachtungen kurz; er wandte auch sogleich seinen Blick wieder von dem Gaskogner zu dem Reiter zurück.
»Aber,« sagte er, »da man meldet, dieser Salcède gehöre Herrn von Guise, so ist es kein schlechtes Ragout.« »Bah!, man sagt das?« versetzte der neugierige Gaskogner, seine Ohren weit aufsperrend.
»Ja, allerdings, man sagt das,« antwortete der Reiter, die Achseln zuckend; »aber in unsern Zeitläuften sagt man viel Närrisches.«
»Ah!« bemerkte Briquet mit seinem forschenden Auge und seinem spöttischen Lächeln, »Ihr glaubt also, mein Herr, Salcède gehöre nicht Herrn von Guise?«
»Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin dessen sicher,« antwortete der Reiter und fügte, als Robert Briquet, sich ihm nähernd, mit einer Bewegung zu sagen schien: »Ah, bah! und worauf gründet Ihr diese Sicherheit?« hinzu: »Ganz gewiß, wenn Salcède dem Herzog gehört hätte, so würde ihn der Herzog nicht haben hängen oder wenigstens nicht, an Händen und Füßen gebunden, haben von Brüssel nach Paris führen lassen, ohne mindestens einen Entführungsversuch zu seinen Gunsten zu machen.«
»Einen Entführungsversuch!« versetzte Briquet, »das wäre sehr gewagt; denn er mag gelingen oder scheitern, sobald er von seiten des Herrn von Guise käme, würde dieser zugestehen, daß er gegen den Herzog von Anjou konspiriert habe.«
»Ich bin überzeugt, Herr von Guise wäre dadurch nicht zurückgehalten worden,« erwiderte trocken der Reiter; »und da er Salcède weder reklamiert noch verteidigt hat, so gehört ihm Salcède nicht an.«
»Entschuldigt meine Beharrlichkeit,« fuhr Briquet fort; »es scheint sicher, daß Salcède gesprochen hat.«
»Wo dies?« – »Vor den Richtern.«
»Nein, nicht vor den Richtern, mein Herr, auf der Folter.« – »Ist dies nicht dasselbe?« fragte Meister Robert Briquet mit einer möglichst naiven Miene.
»Nein, das ist entfernt nicht dasselbe; man behauptet, er habe gesprochen, das mag sein, aber man wiederholt nicht, was er gesagt hat.« – »Ihr werdet mich abermals entschuldigen,« entgegnete Robert Briquet; »man wiederholt es, und zwar sehr ausführlich.«
»Und was hat er gesagt? Laßt hören?« fragte ungeduldig der Reiter, »sprecht, da Ihr so gut unterrichtet seid. Wie lauten seine Worte?« – »Ich kann nicht dafür stehen, daß es seine eigenen Worte sind, man behauptet aber, er habe zugestanden, daß er für Herrn von Guise konspirierte.«
»Gegen den König von Frankreich, ohne Zweifel. Immer dasselbe Lied!« – »Nicht gegen Seine Majestät den König von Frankreich, sondern gegen Seine Hoheit Monseigneur den Herzog von Anjou.«
»Wenn er das zugestanden hat...« – »Nun!«
»Nun! so ist er ein Elender,« sagte der Reiter, die Stirne faltend. – »Ja,« sagte leise Robert Briquet; »doch hat er getan, was er zugestanden, so ist er ein braver Mann. Ah! mein Herr, der spanische Bock, die Daumenschraube und die Wippe haben ehrliche Leute viel sagen lassen.«
»Ach! Ihr sprecht da eine große Wahrheit aus,« versetzte der Reiter, einen Seufzer ausstoßend.
»Bah!« unterbrach ihn der Gaskogner, der beständig den Kopf in der Richtung jedes Redenden ausstreckte und alles gehört hatte, »bah! spanischer Bock, Daumenschraube und Wippe, schöne Erbärmlichkeiten das! Hat Salcède gesprochen, so ist er ein Schuft und sein Patron ebenfalls.«
»Oh! oh!« machte der Reiter, ungeduldig auffahrend, »Ihr singt sehr laut, Herr Gaskogner!«
»Cap de Bious, ich singe aus der Tonart, die mir beliebt; desto schlimmer für die, denen mein Gesang nicht gefällt.«
Der Reiter machte eine Bewegung des Zornes.
»Ruhe!« sagte eine zugleich sanfte und gebieterische Stimme, deren Eigentümer Robert Briquet vergebens zu erkennen suchte.
Der Reiter schien gegen sich selbst zu kämpfen; doch er besaß nicht die Kraft, ganz an sich zu halten.
»Kennt Ihr die, von denen Ihr sprecht?« fragte er den Gaskogner. – »Ob ich Salcède kenne?« – »Ja.« – »Nicht im geringsten.« – »Und den Herzog von Guise?« – »Ebensowenig.« – »Und den Herzog von Anjou?« – »Noch weniger.« – »Wißt Ihr, daß Herr von Salcède ein Tapferer ist?« – »Desto besser, dann wird er tapfer sterben.« – »Und daß Herr von Guise, wenn er konspirieren will, selbst konspiriert?« – »Cap de Bious, was geht das mich an?« – »Und daß der Herzog von Anjou, früher Herr von Alençon, jeden hat töten lassen, der sich für ihn interessierte, La Mole, Coconnas, Bussy und andere?«
»Ich kümmere mich den Teufel darum.« – »Wie, Ihr kümmert Euch den Teufel darum?« – »Mayneville! Mayneville!« murmelte dieselbe Stimme. – »Allerdings kümmere ich mich nicht darum. Gottes Blut! ich weiß nur eins; ich habe heute, noch diesen Morgen, in Paris zu tun, und wegen des wütenden Salcède schließt man mir die Tore vor der Nase zu. Cap de Bious! dieser Salcède ist ein Lumpenkerl, und ebenso alle, die daran schuld sind, daß ich die Tore geschlossen, statt geöffnet finde.« – »Oh! das ist ein rauhborstiger Gaskogner, und wir werden ohne Zweifel etwas Interessantes sehen,« murmelte Briquet.
Doch das Interessante, das der Bürger erwartete, kam nicht. Der Reiter, dem bei dieser letzten Rede das Blut ins Gesicht gestiegen war, senkte die Nase, schwieg und verschluckte seinen Zorn.
»Ihr habt im ganzen recht,« sagte er nach einer Pause, »ein Gewitter über alle, die uns verhindern, nach Paris hineinzukommen.«
»Oh! oh!« sagte Robert Briquet, »ah! ah! es scheint, ich werde etwas sehen, das noch interessanter sein dürfte, als was ich erwartet hatte.«
Eine Trompete erklang, und zugleich trennten die Schweizer die ganze Menge mit ihren Hellebarden, als ob sie eine Lerchenpastete durchschnitten, in zwei zusammenhängende Stücke, so daß die Mitte freiblieb.
In dieser Mitte ritt der Offizier, von dem wir gesprochen, und dessen Bewachung das Tor anvertraut zu sein schien, auf und ab; nach einem Augenblicke prüfender Umschau, die einer Ausforderung glich, befahl er seinen Trompetern zu blasen, worauf nach so viel Aufregung und Getöse ein unheimliches Schweigen eintrat.
Der Ausrufer mit seiner lilienbestickten Tunika, auf der Brust ein Schild mit dem Wappen von Paris, trat sodann, ein Papier in der Hand, vor und las mit näselnder Stimme: »Kund und zu wissen unserem guten Volke von Paris und Umgegend, daß die Tore von jetzt bis ein Uhr nachmittags geschlossen sind, und daß niemand vor dieser Stunde in die Stadt kommen wird, nach dem Willen des Königs und durch die Wachsamkeit des Herrn Stadtvogts von Paris.«
Der Ausrufer hielt inne, um wieder Atem zu schöpfen. Sogleich benutzten die Anwesenden die Pause, um ihr Erstaunen und ihre Unzufriedenheit durch lautes Zischen zu äußern.
Der Offizier machte ein gebieterisches Zeichen mit der Hand, und bald war die Stille wiederhergestellt, worauf der Ausrufer, den sein Gleichmut keinen Augenblick verlassen hatte, fortfuhr: »Von dieser Maßregel sollen ausgenommen sein diejenigen, so sich durch Erkennungszeichen ausweisen oder gehörig mit Mandaten versehen sind. Gegeben im Hotel der Stadtvogtei, Paris, auf ausdrücklichen Befehl Seiner Majestät, am 26. Oktober des Jahres der Gnade 1585. Trompeter, blaset.«
Sogleich ließen die Trompeter ihr heiseres Geschmetter vernehmen. – Dann aber fing die Menge hinter der Linie der Schweizer und der Soldaten an zu wogen wie eine Schlange, deren Ringe anschwellen und sich krümmen.
»Was bedeutet das?« fragten sich die Friedlichsten. »Ohne Zweifel abermals ein Komplott.«
»Oh! oh! ohne Zweifel, um es zu verhindern, daß wir in die Stadt hinein kommen, hat man die Sache so eingerichtet,« sagte leise zu seinen Gefährten der Reiter, der mit so seltener Geduld die Ungezogenheiten des Gaskogners ertragen hatte, »diese Schweizer, dieser Ausrufer, diese Riegel, diese Trompeten, das ist alles unsertwegen; bei meiner Seele, ich bin stolz darauf!«
»Platz! Platz! Ihr Leute,« rief der Offizier. »Tausend Teufel! Ihr seht wohl, daß ihr die, die das Recht haben, sich die Tore öffnen zu lassen, weiterzugehen verhindert.«
»Cap de Bious, ich bin einer, der durchkommen wird, wenn alle Bürger der Erde zwischen ihm und dem Schlagbaum wären,« sagte, mit den Ellenbogen spielend, der grobe Gaskogner. Und er war in der Tat in einem Augenblick in dem leeren Raum, der sich mit Hilfe der Schweizer zwischen den Reihen der Zuschauer gebildet hatte.
Man kann sich denken, wie sich die Augen voll Eifer und Neugierde auf einen Mann richteten, der so sehr begünstigt war, daß er eintreten durfte, während die anderen nach einem strengen Befehle außen bleiben mußten.
Doch der Gaskogner kümmerte sich wenig um die neidischen Blicke; er dehnte sich stolz aus und ließ durch sein dünnes grünes Wams alle Muskeln seines Körpers hervortreten, die ebensoviel durch eine innere Kurbel angespannte Stricke zu sein schienen. Dürr und knochig standen seine Faustgelenke um drei Zoll aus seinen abgeschabten Ärmeln hervor; er hatte einen klaren Blick und gelbe, krause Haare, zu deren Farbe übrigens auch der Staub sein Teil beigetragen haben mochte. Groß und geschmeidig schlossen sich seine Füße an Knöchel, so sehnig, wie die eines Hirsches. An einer Hand trug er einen Handschuh von gesticktem Leder, der ganz erstaunt schien, daß er ein Leder, das noch rauher war als das seinige, schützen sollte; mit der andern Hand schwang er ein Haselstöckchen.
Er sah einen Augenblick umher, dachte dann wohl, der Offizier, von dem wir gesprochen, sei die wichtigste Person dieser Truppe, und ging gerade auf ihn zu. Dieser schaute ihn eine Zeitlang an, ohne mit ihm zu sprechen. Ohne sich im geringsten aus der Fassung bringen zu lassen, tat der Gaskogner dasselbe.
»Ihr habt Euren Hut verloren, wie es scheint?« sagte der Offizier. – »Ja, mein Herr.«
»Geschah es im Gedränge?« – »Nein, ich hatte einen Brief von meiner Geliebten erhalten. Cap de Bious, ich las ihn am Flusse, eine Viertelmeile von hier, als mir plötzlich ein Windstoß den Brief und den Hut entriß. Ich lief dem Brief nach, obgleich der Knopf meines Hutes ein einziger Diamant war. Meinen Brief erwischte ich; als ich aber zum Hut zurückkehrte, hatte ihn der Wind in den Fluß gerissen. ... Er wird das Glück von irgendeinem armen Teufel machen. Desto besser!«
»Somit seid Ihr barhaupt?« – »Findet man keine Hüte in Paris, Cap de Bious! Ich werde einen herrlicheren kaufen und einen Diamanten, zweimal so groß, als der erste war, daran setzen.«
Der Offizier zuckte unmerklich die Achseln und fragte: »Ihr habt eine Karte?« – »Gewiß habe ich eine und eher zwei als eine.«
»Eine einzige wird genügen, wenn sie in Ordnung ist.«
– »Aber täusche ich mich nicht?« fuhr der Gaskogner, die Augen weit aufsperrend, fort; »nein, Cap de Bious, ich täusche mich nicht; ich habe das Vergnügen, mit Herrn von Loignac zu sprechen?«
»Es ist möglich, mein Herr,« antwortete trocken der Offizier, sichtbar wenig erfreut über diese Wiedererkennung.
– »Mit Herrn von Loignac, meinem Landsmann?«
»Ich sage nicht nein.« – »Meinem Vetter?«
»Es ist gut. Eure Karte?« – »Hier ist sie...«
Der Gaskogner zog aus seinem Handschuh eine kunstvoll abgeschnittene Karte.
»Folgt mir,« sagte Loignac, ohne die Karte anzuschauen, »Ihr und Eure Gefährten, wenn Ihr welche habt, wir wollen die Einlaßscheine untersuchen.«
Er nahm seinen Posten beim Tor ein, und der barhäuptige Gaskogner und fünf andere Männer folgten ihm.
Der erste war mit einem herrlichen Panzer von so wunderbarer Arbeit bedeckt, daß man hätte glauben sollen, er komme aus den Händen Benvenuto Cellinis. Da indessen das Muster etwas aus der Mode gekommen war, so erregte dieses Prachtstück eher Gelächter als Bewunderung. Allerdings entsprach auch kein anderer Teil des Mannes der beinahe königlichen Herrlichkeit des Prospekts.
Der zweite, dem ein dicker Lakai mit gräulichen Haaren folgte, schien, mager und gebräunt wie er war, der Vorläufer von Don Quixote zu sein, wie sein Diener für den Vorläufer von Sancho gelten konnte. Der dritte erschien mit einem Kinde auf seinen Armen; ihm folgte eine Frau, die sich an seinen ledernen Gürtel anklammerte, während zwei Kinder, das eine von vier, das andere von fünf Jahren, sich an dem Rock der Frau festhielten. Der vierte erschien hinkend, als wenn er an einem langen Degen befestigt wäre. Um den Zug zu beschließen, rückte ein junger Mann von schönem Aussehen auf einem Rappen heran, der zwar mit Staub bedeckt, aber von edler Rasse war.
Dieser letzte trug die Miene eines Königs. Genötigt, ziemlich sacht zu reiten, um nicht seinen Gefährten voranzukommen, blieb dieser junge Mann einen Augenblick an den Grenzen der vom Volke gebildeten Hecke.
In diesem Augenblicke fühlte er, daß man ihn an der Scheide seines Degens zog, und neigte sich rückwärts. Der ihn so berührte, war ein junger Mensch mit schwarzen Haaren, funkelndem Auge, klein, schmächtig, anmutig und sorgfältig behandschuht.
»Was steht zu Diensten, mein Herr?« fragte unser Reiter. – »Mein Herr, eine Bitte.«
»Sprecht, aber geschwind, ich bitte Euch, man wartet auf mich.« – »Ich muß notwendig in die Stadt hinein, mein Herr, es ist eine gebieterische Notwendigkeit für mich, versteht Ihr? Ihr seid allein und braucht einen Pagen, der Eurem guten Aussehen Ehre macht.«
»Nun?« – »Nun! gebt und es wird gegeben; nehmt mich mit hinein, und ich werde Euer Page sein.« –
»Ich danke, aber ich will von niemand bedient sein.«
– »Nicht einmal' von mir?« fragte der junge Mann mit einem so seltsamen Lächeln, daß der Reiter fühlte, wie die eisige Hülle schmolz, mit der er sein Herz zu umschließen versucht hatte.
»Ich wollte sagen, ich kann keinen Diener brauchen.«
– »Ja, ich weiß. Ihr seid nicht reich, Herr Ernauton von Carmainges.«
Der Reiter bebte, aber unbeirrt fuhr der Jüngling fort: »Auch ist keine Rede von Gehalt, Ihr sollt im Gegenteil hundertfach für die Dienste, die Ihr mir leistet, belohnt werden; ich bitte also, laßt mich Euch bedienen und bedenkt, daß der jetzt bittet, oft befohlen hat.« »Kommt,« sagte der Reiter, der dem Ton und der ihm eigenen Autorität nicht länger widerstehen konnte.
Der Jüngling reichte ihm die Hand, was sehr vertraulich für einen Pagen war; dann wandte er sich zu der uns schon bekannten Gruppe um und sagte:
»Ich komme hinein, das ist das Wichtigste; Ihr, Mayneville, sucht irgendwie dasselbe zu tun.«
»Damit ist noch nicht alles geschehen, daß Ihr hineinkommt,« erwiderte der Edelmann; »er muß Euch sehen.«
»Oh! seid unbesorgt, sobald ich dieses Tor im Rücken habe, wird er mich sehen.« – »Vergeßt nicht das verabredete Zeichen.«
»Zwei Finger auf den Mund, nicht wahr?« – »Ja; Gott helfe Euch!«
»Nun!« rief der Herr des Rappens, » Herr Page, entschließen wir uns?« – »Hier bin ich, Herr,« antwortete der junge Mann, und er sprang leicht auf das Kreuz hinter seinen Gefährten, der den fünf anderen Auserwählten nachfolgte, die eben damit beschäftigt waren, sich auszuweisen.
»Alle Wetter!« sagte Robert Briquet, der ihnen nachschaute, »das ist eine ganze Ladung von Gastognern, oder der Teufel soll mich holen!«
Die Kontrolle am Tore bestand darin, daß man die Hälfte einer Karte aus der Tasche ziehen und sie dem Offizier überreichen mußte, der sie mit einer andern Hälfte verglich, um zu sehen, ob die beiden Hälften ein Ganzes bildeten.
Der barhaupte Gaskogner näherte sich zuerst.
»Euer Name?« – »Mein Name?, Herr Offizier, er steht auf der Karte geschrieben, auf der Ihr noch etwas anderes sehen werdet.« »Gleichviel! Euer Name? Wißt Ihr Euren Namen nicht?« – »Doch wohl, ich weiß ihn, Cap de Bious! Und wenn ich ihn auch vergessen hätte, so könntet Ihr mir ihn sagen, da wir Landsleute und Vettern sind.«
»Euer Name? Tausend Teufel! Glaubt Ihr, ich habe hier Zeit mit Wiedererkennungen zu verlieren?« – »Schon gut. Ich heiße Perducas von Pincorney.«
»Perducas von Pincorney,« versetzte Herr von Loignac und las von der Karte ab: »Perducas von Pincorney, am 26. Oktober 1585, Schlag zwölf Uhr.«
»Porte Saint-Antoine,« fügte der Gaskogner bei, indem er seinen schwarzen, dürren Finger auf die Karte ausstreckte.
»Sehr gut! in Ordnung; tretet ein,« sagte Herr von Loignac, um jedes weitere Gespräch zwischen ihm und seinem Landsmanne kurz abzuschneiden. »Nun ist die Reihe an Euch!« sagte er zu dem Mann mit dem Panzer. »Eure Karte?«
»Wie, Herr von Loignac,« rief dieser, »erkennt Ihr nicht den Sohn Eures Jugendfreundes, den Ihr zwanzigmal auf Euren Knien geschaukelt habt?« – »Nein,«
»Pertinax von Montcrabeau, Ihr erkennt ihn nicht?« – »Wenn ich im Dienste bin, erkenne ich niemand, mein Herr. Eure Karte?«
Der junge Mann mit dem Panzer reichte seine Karte.
»Pertinax von Montcrabeau, am 26. Oktober, Schlag zwölf Uhr, Porte Saint-Antoine. Geht zu.«
Der dritte Gaskogner näherte sich; es war der mit der Frau und den Kindern.
»Eure Karte?«
Seine gehorsame Hand tauchte sogleich in eine kleine Weidtasche von Ziegenfell, die an seiner rechten Seite hing. Aber es war vergeblich. Belästigt durch das Kind, das er auf dem Arme trug, konnte er das Papier nicht finden.
»Was zum Teufel macht Ihr mit dem Kinde, Ihr seht wohl, daß es Euch hindert?« – »Es ist mein Sohn Scipio, Herr von Loignac.« »Nun! so setzt Euren Sohn auf die Erde.«
Der Gaskogner gehorchte, das Kind fing an zu heulen.
»Ah! Ihr seid also verheiratet?« – »Ja, Herr Offizier.«
»Mit zwanzig Jahren?« – »Man heiratet jung bei uns, Ihr wißt es wohl, Herr von Loignac, da Ihr mit achtzehn geheiratet habt.«
»Gut,« sagte Loignac, »das ist abermals einer, der mich kennt.«
Die Frau hatte sich mittlerweile genähert, und die an ihrem Rocke hängenden Kinder waren ihr gefolgt.
»Und warum sollte er nicht verheiratet sein?« fragte sie, indem sie sich aufrichtete und von ihrer sonngebräunten Stirn ihre schwarzen Haare strich, die der Staub des Weges wie einen Teig daran kleben ließ; »ist es in Paris aus der Mode gekommen zu heiraten? Ja, er ist verheiratet, und hier sind noch zwei Kinder, die ihn Vater nennen.«
»Ja, aber es sind nur die Söhne meiner Frau, Herr von Loignac, wie auch dieser große Junge, der hinten steht; tritt vor, Militor, und grüße Herrn von Loignac, unsern Landsmann.«
Ein junger Mensch von sechzehn bis siebzehn Jahren, kräftig, lebhaft und durch sein rundes Auge sowie durch seine Nase einem Falken ähnlich, näherte sich, die Hände in seinem Gürtel von Büffelleder; er war in eine gute Kasake von gestrickter Wolle gekleidet, trug auf seinen muskeligen Beinen eine Hose von Gemsleder, und ein sprossender Schnurrbart beschattete seine zugleich freche und sinnliche Lippe.
»Es ist Militor, mein Stiefsohn, Herr von Loignac, der älteste Sohn meiner Frau, die eine Chavantrade, eine Verwandte der Loignac Militor von Chavantrade, ist, Euch zu dienen. Verbeuge dich, Militor.«
Militor verbeugte sich leicht und ohne seine Hände aus dem Gürtel zu ziehen. »Um Gottes willen, mein Herr, Eure Karte,« rief Loignac ungeduldig.
»Kommt und helft mir, Lardille,« sagte der Gaskogner errötend zu seiner Frau.
Lardille machte nacheinander die an ihrem Rocke angeklammerten Hände los und suchte selbst in dem Weidsack und in den Taschen ihres Mannes.
»Wir müssen sie verloren haben,« sagte sie.
»Dann lasse ich Euch verhaften,« versetzte Loignac.
Der Gaskogner wurde bleich und erwiderte: »Ich heiße Eustache von Miradoux und werde mich durch Herrn von Sainte-Maline, meinen Vetter, empfehlen.«
»Ah! Ihr seid ein Verwandter von Sainte-Maline,« sagte Loignac, ein wenig besänftigt... »Freilich, wenn man sie hört, sind sie mit allen verwandt; so sucht noch einmal und sucht mit Erfolg!«
»Lardille, seht in den Kleidern Eurer Kinder nach,« sprach Eustache, zitternd vor Ärger und Unruhe.
Lardille kniete vor ein kleines Päckchen bescheidener Effekten nieder und drehte es murrend um.
Der junge Scipio fuhr fort, sich heiser zu schreien, zumal seine Stiefbrüder die gute Gelegenheit benutzten, ihm Sand in den Mund zu stopfen.
Militor regte sich nicht; es war, als gingen die Erbärmlichkeiten des Familienlebens unter oder über diesen großen Burschen hin, ohne ihn zu berühren.
»Ei!« rief plötzlich Herr von Loignac, »was sehe ich dort auf dem Ärmel dieses Schöpses?«
»Ja, ja, das ist es,« rief Eustache triumphierend; »das ist ein Gedanke von Lardille; sie hat die Karte Militor angenäht.«
»Damit er doch etwas trage,« sagte Loignac spöttisch. »Oh über das große Kalb, das nicht einmal mit den Armen schlenkert, aus Furcht, ihr Gewicht zu fühlen.«
Militors Lippen erbleichten vor Zorn, während sein Gesicht auf der Nase, auf dem Kinn und auf der Stirn marmorartig rot wurde.
»Ein Kalb hat keine Arme,« brummte er mit boshaften Augen, »es hat Klauen wie gewisse Leute von meiner Bekanntschaft.«
»Friede!« sagte Eustache, »du siehst wohl, Militor, daß Herr von Loignac uns die Ehre erweist, mit uns zu scherzen.«
»Nein, bei Gott! ich scherze nicht,« erwiderte Loignac, »dieser große Bursche soll im Gegenteil meine Worte so nehmen, wie ich sie sage. Wenn er mein Stiefsohn wäre, ließe ich ihn Mutter, Bruder, Gepäck tragen und würde selbst noch darauf steigen und ihm die Ohren verlängern, um ihm zu beweisen, daß er nur ein Esel ist.«
Der Spannung, die diesen Worten folgte, bereitete Lardille dadurch ein Ende, daß sie dem Offizier die Karte überreichte. Herr von Loignac nahm sie und las: »Eustache von Miradoux, am 26. Oktober, Schlag zwölf Uhr, Porte Saint-Antoine.«
»Geht,« sagte er, »und seht, daß Ihr keine von Euern Meerkatzen, schön oder häßlich, verliert.«
Eustache von Miradoux nahm den jungen Scipio wieder auf seine Arme; Lardille hing sich abermals an seinen Gürtel; die zwei Kinder klammerten sich wieder am Rock ihrer Mutter an; und diese Familientraube schloß sich, mit dem schweigsamen Militor, denen an, die nach überstandener Prüfung warteten.
»Die Pest!« murmelte Loignac zwischen den Zähnen, während er Eustache von Miradoux und den Seinigen mit den Augen folgte, »welchen Auswurf von Soldaten wird Herr von Epernon da haben.«
Dann wandte er sich um und rief dem vierten zu: »Nun kommt Ihr dran!«
Dieser und der fünfte, ebenfalls charakteristische Gaskognergestalten, nach ihren Ausweiskarten, die Herren Chalabre und Saint-Capautel, passierten, ohne Schwierigkeit. Es blieb noch der sechste, der zufolge der Aufforderung des improvisierten Pagen vom Pferde gestiegen war und Herrn von Loignac eine Karte überreichte, auf der Ernauton von Carmainges stand.
Während Herr von Loignac die Karte prüfte, war der Page, der ebenfalls abgestiegen, bemüht, seinen Kopf zu verbergen, indem er die Kinnkette am Pferde seines Herrn noch fester anzog.
»Der Page gehört Euch?« fragte Loignac, mit dem Finger auf den jungen Menschen deutend.
»Ihr seht, Herr Kapitän,« erwiderte Ernauton, der weder lügen noch verraten wollte, »daß er mein Pferd zäumt.«
»Geht zu,« sagte Herr von Loignac, der mit großer Aufmerksamkeit Herrn von Carmainges betrachtete, dessen Gesicht und Haltung ihm mehr zu gefallen schien, als die aller anderen.
»Das ist doch wenigstens ein Erträglicher,« murmelte er.
Ernauton stieg wieder zu Pferde, der Page war ihm, gleichsam absichtslos, aber nicht langsam, vorangegangen und hatte sich schon mit der Gruppe der übrigen vermischt.
»Öffnet das Tor,« rief Loignac, »und laßt diese sechs Personen und die Leute ihres Gefolges hinein.«
»Vorwärts, rasch,« sagte der Page, »in den Sattel und marsch!«
Ernauton wich abermals der Gewalt, die dieses seltsame Geschöpf über ihn ausübte, und da das Tor offen war, so gab er seinem Pferd den Sporn und drang, von dem Pagen geleitet, bis in das Herz des Faubourg Saint-Antoine.
Loignac ließ hinter den sechs Auserwählten das Tor wieder schließen zur großen Unzufriedenheit der Menge, die nach Erfüllung der Förmlichkeit ebenfalls passieren zu dürfen glaubte und nun geräuschvoll ihre Mißbilligung äußerte. Meister Miton, der nach einem atemlosen Laufe querfeldein allmählich wieder Mut gefaßt hatte und dann, vorsichtig, schrittweise zurücklaufend, am Ende wieder auf seinen Platz zurückgekommen war, wagte es, einige Klagen über die Willkür der Soldateska laut werden zu lassen.
Gevatter Friard, dem es gelungen war, seine Frau wiederzufinden, und der, von ihr beschützt, nichts mehr zu befürchten schien, erzählte seiner erhabenen Ehehälfte die Neuigkeiten des Tages, bereichert und geschmückt mit Kommentaren seiner Art.
Die Reiter endlich, von denen einer von dem kleinen Pagen Mayneville genannt worden war, beratschlagten, ob sie nicht die Ringmauer umgehen sollten in der Hoffnung, irgendeine Bresche zu finden und durch diese Bresche in die Stadt hineinzukommen, ohne daß sie nötig hätten, sich länger an diesem oder einem andern Tore zu zeigen.
Robert Briquet, der sah, daß er aus den Gesprächen der Reiter, der Bürger und der Bauern nichts mehr erfahren könnte, näherte sich immer mehr einer kleinen Baracke, die dem Torwart als Loge diente und durch zwei Fenster erhellt wurde, von denen eins gegen Paris, das andere gegen das Feld ging.
Kaum hatte er sich auf seinem neuen Posten festgestellt, als ein Mann, der im schnellsten Galopp herbeieilte, von seinem Pferde sprang, in die Loge trat und am Fenster erschien.
»Hier bin ich, Herr von Loignac,« sagte er.
»Gut, woher kommt Ihr?« – »Von der Porte Saint-Victor.«
»Euer Verzeichnis?« – »Fünf.«
»Die Karten?« – »Hier sind sie.«
Loignac nahm die Karten, untersuchte sie und schrieb auf eine Schiefertafel die Ziffer 5.
Ebenso erschienen in rascher Folge noch 7 weitere Boten, und am Ende sah Loignacs Tafel folgendermaßen aus:
Porte Saint-Victor
5
Porte Bourdelle
4
Porte du Temple
6
Porte Saint-Denis
5
Porte Saint-Jacques
3
Porte Saint-Honoré
8
Porte Montmartre
4
Porte Bussy
4
Porte Saint-Antoine
6
45
Gesamtsumme fünfundvierzig.
»Nun öffnet die Tore, und es trete ein, wer will,« rief Loignac mit starker Stimme.
Die Tore öffneten sich, und mit Getümmel und Lärm drängte alles vorwärts.
Robert Briquet ließ die Flut verrauschen, dann ging er phlegmatisch durch das Tor und sagte: »Alle diese Leute wollten etwas sehen und haben nichts gesehen, nicht einmal in ihren Angelegenheiten; ich wollte nichts sehen und bin der einzige, der etwas gesehen hat. Das ist aufmunternd; fahren wir fort; doch wozu fortfahren? Ich weiß bei Gott genug. Wird es für mich von Nutzen sein, Herrn von Salcède in vier Stücke zerreißen zu sehen? Wahrlich! nein. Überdies habe ich auf die Politik Verzicht geleistet. Gehen wir zum Mittagessen; die Sonne würde Mittag bezeichnen, wenn es eine Sonne gäbe; es ist Zeit.«
Er sprach es und kehrte nach Paris zurück mit seinem ruhigen, boshaften Lächeln.
Die Loge des Königs Heinrich III. auf der Grève.
Warf man einen Blick auf den Grèveplatz, so durfte man wohl sagen, daß Meister Friard rocht hatte, wenn er die Zahl der Zuschauer, die sich dort zu dem grausigen Schauspiel einfinden würden, auf hunderttausend berechnete. Ganz Paris hatte sich dort eingestellt. Paris versäumt kein Fest, und Salcèdes Tod war damals ein außerordentliches Fest.
Der Zuschauer, dem es gelang, auf den Platz zu kommen, erblickte zuerst die Bogenschützen des Leutnants vom Stadtgericht Tanchon, und eine große Anzahl von Schweizern und Chevaulegers. Sie umgaben ein kleines, ungefähr vier Fuß hohes Schafott und erwarteten den Missetäter, dessen sich die Mönche seit dem Morgen bemächtigt hatten, und dem nach den Straftaten die Pferde entgegenharrten, um ihn die große Reise machen zu lassen.
Unter dem Wetterdache eines nahen Hauses stampften wirklich vier kräftige Pferde mit prallen Kreuzen, weißen Mähnen, langhaarigen Füßen ungeduldig das Pflaster und bissen einander wiehernd zum großen Schrecken der Frauen, die diesen Platz freiwillig gewählt hatten oder gewaltsam dahin gedrängt wurden.
Nächst den wiehernden Pferden und dem leeren Schafott zog die Blicke der Menge am meisten das mit rotem Samt und Gold ausgeschlagene Hauptfenster des Stadthauses an, über dessen Balkon ein mit dem königlichen Wappenschild verzierter Teppich von Samt herabhing, es war die Loge des Königs.
Es schlug halb ein Uhr, als dieses Fenster, wie der Rahmen eines Gemäldes, sich mit Personen füllte. Zuerst kam Heinrich III., bleich, beinahe kahl, obgleich er zu dieser Zeit erst vierunddreißig Jahre alt war, während das Auge in seine schwarzblaue Höhle eingesunken war, und der Mund von Nervenzuckungen zitterte.
Er erschien düster, mit starrem Blick, zugleich majestätisch und wankend, seltsam in seiner Haltung, seltsam in seinem Gang, mehr ein Schatten als ein Lebender, mehr ein Gespenst als ein König, ein für seine Untertanen stets unbegreifliches und von ihnen nicht begriffenes Geheimnis, denn wenn sie ihn erscheinen sahen, wußten sie nicht, ob sie: »Es lebe der König!« rufen oder für seine Seele beten sollten. Heinrich war in ein schwarzes Wams mit schwarzen Borten gekleidet; er hatte weder Orden noch Edelsteine; ein einziger Diamant, der als Agraffe für drei kurze, krause Federn diente, glänzte an seinem Toquet. Er trug in seiner linken Hand ein schwarzes Hündchen, das ihm seine Schwägerin, Maria Stuart, aus ihrem Gefängnis geschickt hatte, und auf dessen seidenem Fell seine feinen, weißen Finger wie alabastern glänzten.
Hinter ihm kam Katharina von Medici, schon vom Alter gekrümmt, denn die Königinmutter war damals sechsundsechzig Jahre alt; doch den Kopf trug sie noch fest und gerade; unter ihrer gewohnheitsmäßig zusammengezogenen Stirn schleuderte sie einen scharfen Blick, aber trotz dieses Blickes war ihre Erscheinung unter ihren ewigen Trauerkleidern matt und kalt wie ein Wachsbild.
Zugleich zeigte sich das schwermütige und sanfte Antlitz der Königin Luise von Lothringen, der scheinbar bedeutungslosen, in Wirklichkeit aber getreuen Gefährtin seines geräuschvollen und unglücklichen Lebens.
Katharina von Medici ging einem Triumph entgegen, die Königin wohnte einer Hinrichtung bei, König Heinrich behandelte eine Angelegenheit, wie man dies auf der hochmütigen Stirn der ersten, der ergebenen der zweiten und auf der bewölkten und gelangweilten des dritten lesen konnte.
Dahinter kamen zwei hübsche junge Leute: der eine von kaum zwanzig, der andere von höchstens fünfundzwanzig Jahren.
Sie hielten sich am Arm, trotz der Etikette, die verbietet, daß die Menschen vor den Königen aneinander zu hängen scheinen.
Sie lächelten, der jüngere mit unaussprechlicher Traurigkeit, der ältere mit bezaubernder Anmut; sie waren schön und waren Brüder.
Der jüngere hieß Henri von Joyeuse, Graf du Bouchage, der andere Herzog Anne von Joyeuse. Noch vor kurzem war er bei Hofe nur unter dem Namen d'Arques bekannt; aber der König liebte ihn über alles und hatte ihn ein Jahr zuvor, die Vicomté Joyeuse zu einem Herzogtum und zur Pairie erhebend, zum Pair gemacht.
Das Volk hegte gegen diesen Günstling keinen Haß, wie einst gegen Maugiron, Quelus, Schomberg, einen Haß, den Epernon allein geerbt. Es empfing also den Fürsten und die beiden Brüder mit bescheidenem, aber schmeichelhaftem Zurufe.
Heinrich grüßte das Volk ernst und ohne zu lächeln, dann küßte er seinen Hund auf den Kopf, wandte sich gegen die jungen Leute um und sagte zu dem ältern: »Lehnt Euch an die Tapete an, Anne; ermüdet Euch nicht dadurch, daß Ihr stehenbleibt; es wird vielleicht lange dauern.«
»Ich hoffe es,« unterbrach ihn Katharina, »lange und gut, Sire.«
»Ihr glaubt also, Salcède werde sprechen, meine Mutter?«
»Gott wird hoffentlich unseren Feinden diese Verwirrung geben. Ich sage unseren Feinden, denn es sind auch Eure Feinde, meine Tochter,« fügte sie hinzu, indem sie sich an die Königin wandte, die erbleichte und ihr sanftes Auge senkte.
Der König schüttelte den Kopf mit einer Gebärde des Zweifels Dann wandte er sich wieder zu Joyeuse um und sagte, als er sah, daß dieser trotz seiner Aufforderung immer noch stand: »Nun, Anne, tut, was ich gesagt habe, lehnt Euch mit dem Rücken an die Wand oder stützt Euch mit den Ellenbogen auf meinen Stuhl.«
»Eure Majestät ist in der Tat zu gut, und ich werde nur von der Erlaubnis Gebrauch machen, wenn ich wirklich müde bin.«
»Mein Sohn, sehe ich nicht ein Getümmel dort an der Ecke des Kais?« fragte Katharina.
»Welch ein scharfes Gesicht, »meine Mutter! In der Tat, ich glaube, Ihr habt recht. Oh! wie schlimm sind meine Augen, und ich bin doch nicht alt.« »Sire,« sagte Joyeuse, »dieser Tumult rührt vom Zurückdrängen des Volkes durch die Kompagnie der Bogenschützen her. Sicherlich kommt der Verurteilte.«
»Wie schmeichelhaft ist es für Könige, einen Menschen vierteilen zu sehen, der in seinen Adern einen Tropfen königlichen Blutes hat,« sagte Catharina und ließ bei diesen Worten ihren Blick auf Luise ruhen.
»Oh! Madame, verzeiht, schont mich,« versetzte die junge Königin mit einer Verzweiflung, die sie vergebens zu verbergen suchte, »nein, dieses Ungeheuer gehört nicht zu meiner Familie, und Ihr wolltet dies nicht sagen.«
»Gewiß nicht,« sagte der König, »ich bin überzeugt, daß meine Mutter dies nicht sagen wollte.«
»Ei!« erwiderte Katharina mit Bitterkeit, »er hält zu den Lothringern, und die Lothringer sind die Eurigen, Madame; ich denke wenigstens. Dieser Salcède geht Euch also an und zwar ziemlich nahe.«
»Das heißt,« unterbrach sie Joyeuse mit einer ehrenhaften Entrüstung, die der hervorstechende Zug seines Charakters war, »er geht vielleicht Herrn von Guise an, aber keineswegs die Königin von Frankreich.«
»Ah! Ihr seid da, Herr von Joyeuse,« sagte Catharina mit unbeschreiblichem Hochmut. »Ah! Ich hatte Euch nicht gesehen.«
»Ich bin da, nicht nur mit Bewilligung, sondern auf Befehl des Königs, Madame,« antwortete Joyeuse, Heinrich mit dem Blick befragend. »Es ist nicht so ergötzlich, einen Menschen vierteilen zu sehen, daß ich zu einem solchen Schauspiel kommen sollte, wenn ich nicht dazu genötigt wäre.«
»Joyeuse hat recht, Madame,« sagte Heinrich; »es handelt sich hier nicht um Lothringer, nicht um Guise und besonders nicht um die Königin; es handelt sich darum, Herrn von Salcède, einen Mörder, der meinen Bruder töten wollte, in vier Stücke zerreißen zu sehen.«
»Ich habe heute wenig Glück,« sagte Katharina, plötzlich nachgebend, was ihre geschickteste Taktik war, »ich bewirke, daß meine Tochter weint, und Gott verzeihe mir, ich glaube, ich bewirke auch, daß Herr von Joyeuse lacht.«
»Ah! Madame,« rief Luise, Katharinas Hände ergreifend, »ist es möglich, daß sich Eure Majestät so in meinem Schmerze täuscht?«
»Und in meiner tiefen Ehrfurcht?« fügte Anne von Joyeuse bei und verbeugte sich auf den Arm des königlichen Lehnstuhles.
»Es ist wahr,« versetzte Katharina, einen letzten Pfeil in das Herz ihrer Schwiegertochter abdrückend. »Ich sollte wissen, wie peinlich es Euch ist, mein liebes Kind, die Komplotte Eurer Verwandten von Lothringen enthüllt zu sehen, und obgleich Ihr nichts dafür könnt, leidet Ihr doch durch diese Verwandtschaft.«
»Oh!« rief Anne von Joyeuse, »Ihr seht wohl, daß ich mich nicht täuschte, Sire, der Missetäter erscheint auf dem Platz. Teufel! welch ein gemeines Gesicht!«
»Er hat Angst,« sagte Katharina; »er wird sprechen.«
»Wenn er die Kraft dazu hat,« entgegnete der König.
»Seht doch, meine Mutter, sein Kopf wankt wie der eines Leichnams.«
»Ich wiederhole,« versetzte Joyeuse; »er ist abscheulich.«
»Wie soll ein Mensch schön sein, dessen Inneres so häßlich ist? Habe ich Euch nicht die geheimen gegenseitigen Beziehungen des Physischen und Moralischen erklärt, Anne?«
»Ich sage nicht nein, Sire, aber ich habe zuweilen gesehen, daß äußerst häßliche Menschen sehr tapfere Soldaten waren. Nicht wahr, Henri?«
Anne wandte sich nach seinem Bruder um, als wollte er dessen Beifall zu Hilfe rufen; doch Henri schaute ohne zu sehen, horchte, ohne zu hören; er war in tiefe Träumerei versunken, der König antwortete daher für ihn.
»Ei, mein Gott! mein lieber Anne,« rief er, »wer sagt, daß jener dort nicht tapfer sei? Er ist es wie ein Bär, wie ein Wolf, wie eine Schlange. Ihr wißt, er hat in seinem Hause einen normannischen Edelmann, seinen Feind, verbrannt. Er hat sich zehnmal geschlagen und drei von seinen Gegnern getötet; man hat ihn beim Falschmünzen ertappt und deshalb zum Tode verurteilt.«
»Das ist ein wohlerfülltes Dasein, das bald sein Ende erreichen wird,« sagte Joyeuse.
»Herr von Joyeuse, ich hoffe im Gegenteil, es wird so langsam wie möglich endigen,« sagte Katharina.
»Madame,« erwiderte Joyeuse, den Kopf schüttelnd, »die Pferde, die ich dort unter jenem Wetterdache sehe, kommen mir so kräftig und ungeduldig vor, daß ich nicht an einen sehr langen Widerstand der Muskeln, Nerven und Sehnen des Herrn von Salcède glaube.«
»Ja, wenn man nicht für den Fall vorhersehen würde,« versetzte Catharina mit jenem Lächeln, das nur ihr angehörte; »doch, mein Sohn ist barmherzig, er wird den Knechten Befehle geben, daß sie sacht anziehen lassen.«
»Aber, Madame,« warf die Königin schüchtern ein, »ich habe Euch diesen Morgen zu Frau von Mercoeur sagen hören, dieser Unglückliche würde nur zwei Züge auszuhalten haben.«
»Von Herzen gern, wenn er sich gut benimmt,« erwiderte Katharina; »dann wird er so rasch wie möglich abgefertigt werden; doch Ihr versteht, meine Tochter, und ich wollte, Ihr würdet es ihm sagen lassen, da Ihr Euch für ihn interessiert, er halte sich gut, das ist seine Sache.«
Während dieser Zeit hatten die Hellebardiere, die Bogenschützen und die Schweizer den Raum beträchtlich erweitert, und es herrschte nun rings um das Schafott eine Leere, die alle Blicke Salcèdes trotz der geringen Erhöhung des Blutgerüstes unterscheiden ließ.
Salcède mochte ungefähr vierunddreißig Jahre alt sein, er war stark und kräftig; seine bleichen Gesichtszüge, worauf einige Schweiß- und Blutstropfen perlten, belebten sich, wenn er umherschaute, durch einen unbeschreiblichen Ausdruck bald der Hoffnung, bald der Angst. Gleich anfangs warf er seine Blicke nach der königlichen. Loge; aber sein Auge verweilte nicht hier, als hätte er begriffen, daß ihm von dort statt der Rettung der Tod drohte.
Er wandte sich der Menge zu; im Schoße dieses stürmischen Meeres wühlte er mit seinen glühenden Augen und mit seiner am Rande seiner Lippen zitternden Seele.
Die Menge schwieg. Salcède war kein gemeiner Mörder, er war vor allem von guter Geburt; dabei war er ein Kapitän von einigem Rufe gewesen. Nun durch einen schmählichen Strick gebunden, hatte diese Hand einst mutig das Schwert geführt; dieser bleiche Kopf, auf dem sich die Schrecknisse des Todes abmalten, Schrecknisse, die der Missetäter ohne Zweifel in der tiefsten Tiefe seiner Seele verschlossen haben würde, wenn die Hoffnung nicht zuviel Platz eingenommen hätte, dieser bleiche Kopf hatte großartige Pläne beherbergt. So war Salcède für viele Zuschauer ein Held, für viele andere ein Opfer.
Man erzählte sich in der Menge, er sei aus einem Kriegergeschlechte geboren; sein Vater habe heftig den Kardinal von Lothringen bekämpft, was ihm in der Metzelei in der Bartholomäusnacht einen glorreichen Tod eingetragen, der Sohn aber habe, diesen Tod vergessend oder vielmehr seinen Haß einem Ehrgeize opfernd, für den der große Haufe immer eine gewisse Sympathie hegt, einen Vertrag mit Spanien und mit den Guisen eingegangen, um in Flandern die wachsende Souveränität des bei den Franzosen so sehr verhaßten Herzogs von Anjou zu vernichten. – Man sprach ferner von seiner Verbindung mit Baza und Balouin, den angeblichen Urhebern des Komplotts, das den Herzog Franz, den Bruder Heinrichs III., beinahe das Leben gekostet hätte.
Salcède seinerseits hatte beständig auf Befreiung gehofft. Er hatte klüglich halbe Geständnisse gemacht, welche seine Feinde auf mehr Enthüllungen hoffen ließen und sie bewogen, ihn nicht sofort zu töten, sondern nach Paris zu bringen. Salcède hoffte im Gefängnis, Salcède hoffte auf der Folter; er hoffte auf dem Karren; er hoffte noch auf dem Schafott.
Dem König entging so wenig wie dem Volk dieser beständige Gedanke Salcèdes. Catharina studierte ängstlich jede, auch die geringste Bewegung des unglücklichen jungen Mannes; aber sie war zu weit von ihm entfernt, um der Richtung seiner Blicke zu folgen und ihr fortwährendes Spiel zu bemerken.
Der Henker fing indessen an, sich des Opfers zu bemächtigen, und band ihn mitten um den Leib auf die Mitte des Schafotts. Auf ein Zeichen Tranchons waren schon zwei Bogenschützen durch die Menge gedrungen, um die Pferde zu holen, und willig wich die Menge vor ihnen zurück.
In diesem Augenblick entstand ein Geräusch an der Tür der königlichen Loge, und den Vorhang aufhebend, meldete der Huissier Ihren Majestäten, der Präsident Brisson und vier Räte wünschten die Ehre zu haben, mit dem König über den Gegenstand der Hinrichtung eine kurze Unterredung zu pflegen.
»Das ist wunderbar,« sagte der König und fuhr, zu Catharina gewendet, fort: »Meine Mutter, Ihr werdet befriedigt werden.«
Catharina machte ein zustimmendes Zeichen mit dem Kopfe.
»Laßt die Herren eintreten,« sagte der König.
Ehe aber die Gemeldeten erschienen, bat Joyeuse den König leise, sich entfernen zu dürfen. Nach mehreren vergeblichen Einwänden gewährte Heinrich die Bitte und sagte seufzend: »Gehe, halte es nach deiner Phantasie; es ist mein Los, allein zu leben.«
Und er wandte sich mit gefalteter Stirn zu seiner Mutter, denn er fürchtete, sie könnte das Gespräch gehört haben, das zwischen ihm und seinem Günstling stattgefunden.
Joyeuse aber neigte sich an das Ohr seines Bruders und sagte zu ihm: »Geschwind, geschwind, du Bouchage, während die Räte eintreten, schlüpfe hinter ihren großen Roben hinaus und laß uns wegschleichen; der König sagt jetzt ja, in fünf Minuten wird er nein sagen.«
»Ich danke, mein Bruder, ich war wie du, es drängte mich, wegzugehen.« – »Vorwärts, die Raben erscheinen, verschwinde, zarte Nachtigall.«
Man sah in der Tat hinter den Herren Räten wie zwei rasche Schatten die zwei jungen Leute entfliehen. Hinter ihnen fiel der Vorhang mit seinen schweren Flügeln herab. Als der König den Kopf umwandte, waren sie schon verschwunden. Heinrich stieß einen Seufzer aus und küßte einen kleinen Hund.
Die Räte blieben schweigsam im Hintergrunde der königlichen Loge stehen und warteten, bis der König das Wort an sie richtete. Dieser ließ einen Augenblick auf sich warten, wandte sich dann um und sagte: »Nun, meine Herren, was gibt es Neues? Guten Morgen, Herr Präsident Brisson.«
»Sire,« antwortete der Präsident mit seiner leichten Würde, die man bei Hofe seine Hugenotten-Höflichkeit nannte, – »wir kommen, um Eure Majestät, wie es Herr von Thou gewünscht hat, anzuflehen, das Leben des Schuldigen zu schonen. Ohne Zweifel hat er einiges zu enthüllen, und wenn man ihm das Leben verspräche, würde man es erfahren.«
»Aber man hat es nicht von ihm erfahren, Herr Präsident?« – »Ja, Sire, – teilweise, – genügt das Eurer Majestät?«
»Ich weiß, was ich weiß, Messire.« – »Eure Majestät weiß also, woran sie sich in Beziehung auf die Teilnahme Spaniens bei dieser Angelegenheit zu halten hat.«
»Spaniens, ja, Herr Präsident, und sogar mehrerer anderer Mächte.« – »Es wäre wichtig, diese Teilnahme festzustellen, Sire.«
»Der König hat auch die Absicht, die Hinrichtung zu verschieben,« sagte Katharina, »wenn der Schuldige ein mit seinen Angaben auf der Folter gleichlautendes Bekenntnis unterzeichnet.«
»Das ist meine Absicht,« bestätigte der König; »Ihr könnt Euch davon überzeugen, Herr Brisson, wenn Ihr Euren Leutnant mit dem Missetäter sprechen laßt.« – »Eure Majestät hat mir nichts mehr zu befehlen?«
»Nichts. Noch keine Veränderung in den Geständnissen, oder ich nehme mein Wort zurück! Sie sind öffentlich, sie müssen vollständig sein.« – »Ja, Sire. Mit dem Namen der beteiligten Personen?«
»Mit dem Namen, mit allen Namen.« – »Selbst wenn diese Personen durch das Geständnis des Verbrechers mit Hochverrat und Empörung gegen das Oberhaupt befleckt würden?«
»Selbst wenn diese Namen die meiner nächsten Verwandten wären.« – »Es soll geschehen, wie Eure Majestät befiehlt.«
»Geht, meine Herren,« sagte der Präsident, seine Räte verabschiedend. Und nachdem er sich ehrfurchtsvoll vor dem König verbeugt hatte, ging er hinter ihnen hinaus.
»Er wird sprechen,« sagte Luise von Lothringen, ganz zitternd, »und Eure Majestät wird ihn begnadigen. Seht wie der Schaum auf seine Lippen tritt.«
»Nein, nein, er sucht nur,« erwiderte Katharina. »Was sucht er denn?« – »Parbleu,« sagte Heinrich III., »das ist nicht schwer zu erraten: er sucht den Herzog von Parma, den Herzog von Guise; er sucht Monsieur meinen Bruder, den allerkatholischsten König. Ja, suche! suche! warte, glaubst du, die Grève sei ein so bequemer Ort für Hinterhalte, wie die Straße von Flandern? Glaubst du, ich hätte hier nicht hundert Bellièvre, um dich zu verhindern, vom Schafott herabzusteigen, wohin dich ein einziger geführt hat?« Salcede hatte die Bogenschützen abgehen sehen, um die Pferde zu holen. Er hatte den Präsidenten und die Räte in der Loge des Königs bemerkt, – dann hatte er sie wieder verschwinden sehen: er begriff, daß der König Befehl zur Hinrichtung gegeben hatte.
Da erschien auf seinem leichenbleichen Munde der blutige Schaum, den die junge Königin wahrgenommen; in der tödlichen Ungeduld, die ihn verzehrte, biß sich der Unglückliche bis auf das Blut in die Lippen.
»Niemand! niemand!« murmelte er. »Nicht einer von denen, die mir Hilfe versprochen hatten! Feige! Feige! Feige!«
Der Leutnant Tranchon näherte sich dem Schafott und sagte zu dem Henker: »Haltet Euch fertig.«
Der Nachrichter machte ein Zeichen gegen das andere Ende des Platzes, und man sah die Pferde, die Menge durchschneidend, eine stürmische Furche zurücklassen, die sich, der des Meeres ähnlich, wieder hinter ihnen schloß.
Jetzt konnte man an der Ecke der Rue de la Vannerie, als die Pferde hier vorüberkamen, einen uns bekannten hübschen, jungen Mann von dem Randsteine, auf dem er stand, herabspringen sehen, angetrieben von einem Jüngling von etwa sechszehn Jahren, der sehr gierig auf dieses furchtbare Schauspiel zu sein schien!
Das war der geheimnisvolle Page und der Vicomte Ernauton von Carmainges.
»Geschwind!« flüsterte der Page seinem Gefährten ins Ohr, »werft Euch in das Loch, es ist kein Augenblick zu verlieren.« – »Aber man wird uns erdrücken, Ihr seid ein Narr, mein kleiner Freund.«
»Ich will sehen, von nahem sehen,« sagte der Page mit so gebieterischem Tone, daß man leicht zu erkennen vermochte, dieser Befehl komme aus einem an Befehle gewöhnten Munde.
Ernauton gehorchte.
»Schließt Euch fest an die Pferde an,« sagte der Page; »verlaßt sie nicht um eine Sohle breit, oder wir kommen nicht an Ort und Stelle.« – »Aber ehe wir ankommen, werdet Ihr in Stücke zerschmettert sein.«
»Kümmert Euch nicht um mich. Vorwärts! vorwärts!« – »Die Pferde werden ausschlagen.«
»Packt das letzte am Schweif; nie schlägt ein Pferd, wenn man es so hält.«
Ernauton gehorchte unwillkürlich und hing sich an den Schweif des Pferdes an, während sich der Page an seinem Gürtel festhielt. Mitten durch diese wie ein Meer wogende Menge gelangten sie, hier einen Flügel ihres Mantels, dort ein Stück ihres Wamses oder ihre Hemdkrause zurücklassend, zugleich mit dem Gespann bis auf drei Schritte vom Schafott, auf dem sich Salcède in den Zuckungen der Verzweiflung krümmte.
»Sind wir an Ort und Stelle?« murmelte atemlos der junge Mann, als er Ernauton anhalten sah. – »Ja, zum Glück, denn meine Kräfte sind erschöpft,« antwortete der Vicomte.
»Ich sehe nicht.« – »Tretet vor mich.«
»Nein, nein, noch nicht ... Was macht man?« – »Schlingen an das Ende der Stricke.«
»Und was macht er?« – »Er verdreht die Augen wie ein Geier auf der Lauer.«
Wie Pferde waren nahe genug am Schafott, daß die Knechte des Henkers an Salcèdes Füße und Fäuste die an ihren Kummeten befestigten Zugriemen binden konnten.