Die Geheimnisse von Birdwood - Die Rettung - M. G. Leonard - E-Book

Die Geheimnisse von Birdwood - Die Rettung E-Book

M.G. Leonard

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Beschreibung

Bewährungsprobe für eine Freundschaft

Als Jack Cappleman entdeckt, dass in Briddvale jemand mit dem Luftgewehr herumballert und auf Haustiere schießt, wittert er für sich und seinen Freund Twitch einen neuen Fall. Doch Twitch ist mehr an dem seltenen Bartgeier interessiert, der in der Nähe des Naturschutzgebiets Birdwood gesichtet wurde. Ohne seinen Freund, aber wild entschlossen, sich als Detektiv und Vogelschützer zu beweisen, versucht Jack auf eigene Faust, ein schreckliches Verbrechen aufzudecken. Dabei gerät er selbst in große Gefahr ...

»Die Geheimnisse von Birdwood« ist eine spannende Krimi-Reihe, die Leser*innen in den Bann zieht – wunderschön erzählt von einer preisgekrönten Autorin.

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Seitenzahl: 292

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M. G. Leonard

Die Rettung

Aus dem Englischen von Tanja Ohlsen

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Text © 2022 M. G. Leonard Ltd.

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Spark«

bei Walker Books U. K.

© 2023 für die deutschsprachige Ausgabe

cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem Englischen von Tanja Ohlsen

Lektorat: Heike Brillmann-Ede, Berlin

Umschlag: Paddy Donnelly

Umschlaggestaltung: Maria Proctor

hf · Herstellung: bo

Satz: Uhl + Massopust GmbH, Aalen

ISBN 978-3-641-30358-7V001

www.cbj-verlag.de

Für Arthur

In Liebe

»Geier sind die rechtschaffensten aller Vögel: Sie greifen auch nicht das kleinste Lebewesen an.«

Plutarch

Zombie

Ein markerschütterndes Kreischen ließ Jack erstarren, als er Birdwood betrat. Durch die Bäume zog ein Schrei, bei dem sich ihm alle Haare aufstellten. Es war ein grauenvolles Geräusch, es klang nach Angst, Schmerz und Qual. Alle Vögel stoben in die Luft und suchten Zuflucht in den Wolken.

Vorsichtig sah der erschrockene Jack den Pfad entlang und suchte im braunen Farn am Osttor nach der Quelle des grausigen Geräusches. Ohne den Blick vom Pfad zu nehmen, bückte er sich und hob einen Stock auf.

Was hatte diesen gespenstischen Ton von sich gegeben?

Er hatte das Gefühl, sich in seiner eigenen Fantasie zu befinden. In einem seiner häufigsten Tagträume wurden seine Freunde von einer gefährlichen, zerlumpten Armee von Untoten durch eine apokalyptische Landschaft gejagt, um von ihnen gefressen zu werden. Twitch, Ozuru, Ava, Tippi, Terry und Tara wurden mit dem Rücken an die Wand gedrängt. Immer, wenn die Zombies ihnen die Gliedmaßen abreißen und verspeisen wollten, als wären sie Chickenwings, sprang Jack, der seine Freunde in Not erblickte, über die Mauer und landete in Superheldenpose vor ihnen. Nur mit einem Golfschläger bewaffnet, stellte er sich den fleischfressenden Zombies, besiegte sie in einer grausamen Schlacht und rettete seine Freunde in letzter Sekunde.

Wenigstens trage ich meine Stiefel, Combathose und die Tarnfarbenjacke, dachte er. Ich kann wenigstens weglaufen und mich verstecken. Er hob den Stock über den Kopf und wünschte sich, es wäre ein Golfschläger aus Metall.

»Huhu, Zombie, Zombie!«, lockte er leise und schlich vorwärts. »Komm und zeig dich!« Ihm fiel ein Farnbüschel unter einer alten Eiche auf. Ja, dort war etwas, das konnte er deutlich spüren. »Wir machen einen Deal: Ich schlage dir nicht den Kopf ab, und du beißt mich nicht, okay?«

Er bekam ein lautes Zischen zur Antwort, wie Fett, das in einer nassen Pfanne spritzt, und dann einen geisterhaften Schrei.

Vorsichtig schob Jack den Fächer aus welkem Farn mit dem Stock auseinander und fuhr zurück, als ihm erneut ein gellender Schrei entgegenschlug. Für eine Sekunde erhaschte er den verstörenden Anblick einer gelblich braunen Katze mit weit aufgerissenen Augen und angelegten Ohren, deren Flanken blutüberströmt waren.

»Also kein Zombie«, sagte sich Jack und versuchte, sich zu beruhigen. Er setzte sich vor dem Versteck der Katze auf den Boden. Aus dem Unterholz erklang ein warnendes Fauchen. Die Zombiekatze würde sich von niemandem anfassen lassen.

Was sollte er tun? Die Katze brauchte Hilfe, das war klar. Sollte er ins Versteck zurückkehren, wo seine Freunde Pläne für die Herbstferien schmiedeten? Dann würden sie frühestens in zwanzig Minuten wieder hier sein. In dieser Zeit könnte die Zombiekatze verschwunden sein, oder ihr Angreifer könnte zurückkommen und sein Werk vollenden.

Jack wünschte, Twitch wäre bei ihm. Er war Jacks bester Freund und der Anführer der Twitcher, ihrer Vogelbeobachtungsgruppe. Er konnte toll mit Tieren umgehen, sogar mit Katzen, die er eigentlich nicht mochte, weil sie Vögel töteten.

Was würde Twitch jetzt tun? Instinktiv wusste Jack die Antwort. Twitch würde die verletzte Katze so schnell wie möglich zu einem Tierarzt bringen, selbst wenn er dabei gebissen und gekratzt würde und das Treffen mit seinen Freunden verpasste.

»Okay, Zombie«, sagte Jack leise, »du musst mir jetzt vertrauen.« Er legte den Stock weg, als ein schwacher Windstoß die goldfarbenen Blätter über ihm rascheln ließ. Kniend zog er den Farn auseinander. Die Katze zeigte fauchend und knurrend die Zähne und tat, als ob sie ihn anspringen wollte.

Jack ignorierte ihren Protest und betrachtete ihre Verletzungen. Beim Anblick des verfilzten, blutverklebten Fells verzog er das Gesicht. Das linke Hinterbein hing in einem merkwürdigen Winkel. Selbst wenn sie gewollt hätte, hätte die Katze nicht vor ihm fliehen können. Er betrachtete sie eingehend. Es sah nicht so aus, als hätte sie sich geprügelt, denn er konnte weder Krallenspuren noch andere Verletzungen erkennen. Und ein Auto konnte sie auch nicht angefahren haben, dafür waren sie zu weit von der Straße weg. Eine Spur niedergedrückter Pflanzen zeigte ihm, aus welcher Richtung die Katze sich in dieses Versteck geschleppt hatte. Sie musste in Birdwood verletzt worden sein. Aber von was? Oder von wem?

Jack fürchtete, dass das Tier sterben würde, wenn er es dort ließ.

Etwa eine Meile entfernt, kurz bevor die Briddvale Road in die High Street überging, gab es eine Tierarztpraxis. Ob er die Katze dorthin bringen konnte? Er sah sich um, in der Hoffnung, etwas Nützliches zu entdecken. Von den moosüberwachsenen Zweigen hingen Hagedornbeeren herab, Schmetterlinge und anderes summendes Getier labten sich an den überreifen Holzäpfeln, aber etwas, womit er eine verängstigte, verletzte Katze transportieren konnte, sah er nicht.

Von Twitch hatte er gelernt, dass man im Umgang mit verängstigten Tieren ruhig, sicher, sanft und schnell sein musste. Jack zog seinen Camouflage-Anorak aus und dann das graue Hoodie, zog den Anorak wieder an und zog die Handschuhe aus den Taschen. Die Kapuze des Sweatshirts steckte er in den Halsausschnitt des Anoraks und breitete den Rest des Pullovers vor seiner Brust aus. Dann zog er die Handschuhe an. Sein Herz klopfte nervös.

Jack schloss die Augen und sog den beruhigenden, erdigen Duft des Herbstes ein. Er würde es schaffen.

»Okay, Zombie, ich nehme dich jetzt hoch.« Jack drückte den Farn nieder und Zombie ging fauchend in Verteidigungsposition. »Bitte tu mir nichts, ich will dir ja nur helfen.« Doch seine Worte zeigten keinerlei Wirkung. »Oh Mann«, murmelte er, »das wird schmerzhaft.«

Bevor er zu viel darüber nachdenken konnte, beugte Jack sich vor, legte die Hände um die Mitte der Katze, ohne die verletzten Hinterläufe zu berühren. Schnell hob er sie hoch und klemmte Kopf und Vorderteil unter seine rechte Achsel, das verletzte Ende des Tieres hochhaltend.

Die Katze schlug heftig nach ihm. Sein Anorak und der Hoodie schützten seine Rippen, aber er stöhnte schmerzlich auf, als ihn eine von Zombies messerscharfen Krallen am Arm erwischte und diesen aufkratzte.

Ein ekliger Geruch, von dem ihm fast übel wurde, deutete an, dass die Katze vor Angst gekackt hatte, doch darum konnte er sich nicht kümmern, weil Zombie sich wand und fauchte und weiter versuchte, sich zu befreien.

»Schon gut, Zombie«, beruhigte Jack das Tier und bemühte sich, es gut festzuhalten. Er hielt den rechten Arm so, dass er die Katze an sich drücken konnte, befreite mit den Zähnen die Kapuze des Hoodies aus dem Anorak und legte ihn der Katze über den Kopf, sodass sie nichts mehr sah. Das verletzte Hinterteil hielt er hoch, damit es mit nichts in Berührung kam.

Blut sickerte aus der Wunde. Er konnte ein Loch erkennen. War das von einer Kugel? Hatte jemand auf Zombie geschossen? Jack war entsetzt. Wer tat denn so was?

Vorsichtig stand er auf und bewegte sich halb rennend, halb laufend so schnell und gleichmäßig wie möglich über die vertrauten Wege von Birdwood. Dann lief er über die Crowtherbrücke am Kanal und erreichte die Briddvale Road.

Erschrocken stellte er fest, dass sich die Katze nicht mehr wehrte. Aus Angst, dass Zombie in seinen Armen starb, raste Jack die Straße entlang.

Wer schoss auf General Senf?

Jack platzte zur Praxistür herein. Eine Frau in einem blauen Overall sah sofort, dass er ein verletztes Tier trug, und sprang auf. Sie nahm ihm die Katze ab und verschwand durch eine Tür hinter dem Tresen.

Plötzlich fühlte sich Jack erschöpft von seinem wilden Lauf durch das Naturschutzgebiet und ließ sich auf einen der blauen Plastikstühle im Wartebereich fallen. Vorsichtig zog er den Anorak aus und rollte die Ärmel hoch. An beiden Armen hatte er heftige Kratzer. Er untersuchte die geschwollenen roten Striche und stellte sich vor, dass seine Haut bläulich anlief, mit einem Stich ins Grüne, wenn er sich in einen Zombie verwandelte.

»Das hast du gut gemacht.« Jack schrak zusammen, als er die Stimme hörte. »Ich meine, dass du die Katze zu mir gebracht hast.«

Die Tierärztin lächelte ihn an, als sie zum Telefon auf dem Tresen griff. Jack hörte, wie sie jemandem – wahrscheinlich dem Besitzer – erklärte, dass sein gelblich brauner Kater, dessen Name, wie sich herausstellte, General Senf war, zu ihr gebracht worden war. Sie versicherte dem Besitzer, dass der Kater nicht überfahren worden war. Jack fiel auf, dass sie auch nicht erzählte, dass er angeschossen worden war.

Als sie aufgelegt hatte, nahm die Tierärztin einen Erste-Hilfe-Kasten hinter dem Tresen hervor, setzte sich neben Jack und stellte sich ihm als Jess vor. Dann begann sie, die Kratzer an seinen Armen mit antiseptischen Tüchern zu reinigen. Das brannte, und Jack bemühte sich, nicht zusammenzuzucken.

»Wo hast du General Senf denn gefunden?«, wollte sie wissen.

»Im Birdwood«, antwortete Jack und erzählte, wie er den Kater entdeckt und gerettet hatte.

»Es war mutig, ihn hochzuheben.« Die Ärztin schraubte eine Tube mit Salbe auf. »Er hat deine Arme ja richtig übel zugerichtet.« Sie tupfte ihm Salbe auf die Kratzer.

»Kommt er wieder in Ordnung?«, erkundigte sich Jack, der daran denken musste, dass sich das Tier in seinen Armen nicht mehr bewegt hatte. »Er wird doch nicht sterben, oder?«

»Er schläft jetzt. Wenn wir ihn versorgt haben, wird er wieder gesund.« Sie lächelte ihn zuversichtlich an. »Er hat eine Menge Blut verloren und das Hinterbein sieht schlimm aus, aber er wird wohl noch ein paar Fischmahlzeiten mehr verputzen können, keine Angst.«

»Was ist denn passiert? Es sah aus, als hätte jemand auf ihn geschossen.«

»Ja, so sieht es aus«, meinte die Tierärztin ernst. »Allerdings ist in seinem Bein keine Kugel. Das ist seltsam.« Sie seufzte schwer. »Und General Senf ist nicht die erste Katze, die in letzter Zeit auf diese Art verletzt worden ist.«

»Es wurden noch mehr angeschossen?«, fragte Jack erstaunt.

»General Senf ist die dritte Katze, die auf diese Weise in Briddvale diese Woche angegriffen wurde. Leider hat die erste es nicht überlebt.«

»Weiß die Polizei davon?«

»Ja, und von General Senf werde ich ihnen auch erzählen.« Die Tierärztin schraubte die Tube mit der Wundsalbe zu. »So, damit sind deine Kratzer versorgt. Und jetzt sollte ich deine Eltern anrufen und sie wissen lassen, dass du hier bist. Kannst du mir ihre Nummer geben?«

Während Jack darauf wartete, dass seine Mutter ihn abholte, hielt ein Taxi vor der Tierarztpraxis. Der Fahrer sprang hinaus und half einem älteren Mann in einem blauen Hemd und einem Tweedanzug auszusteigen. Dann stellte er einen Rollator vor ihn.

»Mr Reginald Frisby?«, fragte die Tierärztin, als sie die Tür öffnete.

»Zu Ihren Diensten.« Reginald Frisby hielt eine runzlige, knochige Hand an die mit Altersflecken übersäte Stirn. »Aber bitte nennen Sie mich Reggie.« Er schob sich langsam mit seiner Gehhilfe vorwärts. »Wie geht es dem alten General? Ist er ein guter Patient?«

»Er schläft. Ein Kollege sieht sich gerade die Röntgenbilder an.« Die Tierärztin trat von der Tür zurück, um Reggie hereinzulassen. »Ich heiße Jess.« Sie begleitete ihn zu einem Stuhl. »Ich bin die Ärztin, die General Senf behandelt. Und das ist Jack. Er hat Ihren Kater gefunden und zu mir gebracht. Er hat dem General das Leben gerettet.«

»Vielen Dank, junger Mann.« Reggie nahm Jacks Hand in die seine. »Ich bin dir zu großem Dank verpflichtet.« Seine blauen Augen glänzten feucht. »Meine Tochter hat ihn mir geschenkt, als er noch ein kleines gelb-braunes Fellbündel war. Er ist bei mir, seit meine Frau gestorben ist.« Er lächelte Jack warm an. »Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn ich ihn verlieren sollte.« Dann wandte er sich an Jess. »In was ist er denn dieses Mal wieder hineingeraten?«

»Er hat eine schwere Verletzung am linken Hinterbein, aber die gute Nachricht ist, dass keine inneren Organe verletzt sind.«

»Wie hat er sich denn das Bein verletzt?«, wollte Reggie wissen. »Ist er in eine Falle geraten oder so etwas?«

»Nein. Es scheint fast so, als sei er … angeschossen worden.«

»Jemand hat auf den General geschossen?«, stieß Reggie entsetzt hervor. »Was für ein brutaler Rüpel macht denn so etwas mit einem alten Kater?«

»Ich habe keine Ahnung«, gab Jess kopfschüttelnd zurück. »Wir hoffen, dass wir das Bein retten können, aber wahrscheinlich wird er den Rest seines Lebens hinken.«

»Na, dann sind wir ja schon zu zweit«, meinte Reggie.

»Mr Frisby«, sagte Jack, »General Senf ist nicht das einzige Haustier, auf das geschossen wurde. Hier treibt sich anscheinend ein Schütze herum, der es auf Katzen abgesehen hat.«

»Das ist ja grauenvoll. Zu meiner Zeit hat man Tiere nur erschossen, wenn man Hunger hatte und sie essen wollte. Und die Haustiere anderer Leute hat niemand gegessen.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich jünger wäre, würde ich den Schützen zur Strecke bringen …«

»Wirklich?« Dieser Gedanke war Jack auch schon gekommen.

»Allerdings.« Reggie nickte. »Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich mit diesem Ding hier auch nur eine Schnecke erwischen würde.« Er tätschelte seinen Rollator.

»Ich könnte das für Sie tun«, schlug Jack vor. »Ich würde dafür sorgen, dass derjenige, der General Senf verletzt hat, geschnappt wird und ins Gefängnis geht.«

Jack dachte kurz an die Twitcher, die jetzt gerade in Birdwood zusammensaßen und überlegten, was sie in den Herbstferien anstellen sollten. Er wusste, dass Twitch ein Beobachtungsversteck am Passerine Pike bauen wollte, um die Vögel zu verzeichnen, die auf ihrem Flug in den Süden dort vorbeikamen. Gleichzeitig war Jack sich sicher, dass alle viel lieber das Geheimnis des fiesen Katzenkillers lösen würden, sobald er ihnen von Reggie und dem General erzählen würde …

»Das ist sehr nett von dir, Jack.« Reggie tätschelte ihm das Knie. »Aber du hast bereits genug für mich und den alten General getan.«

»Die Polizei stellt auch schon Nachforschungen an«, warf Jess ein.

»Ja, aber ich bin einer der Twitcher, wir sind die Vogeldetektive. Wir haben damals den Bankräuber gefasst und das vermisste Geld gefunden.«

»Davon habe ich im Briddvale-Anzeiger gelesen«, staunte Reggie beeindruckt.

»Das waren wir.« Jack wölbte stolz die Brust. »Wir waren in allen Zeitungen. Wir nutzen unsere Vogelbeobachtungsfähigkeiten, um Verbrechen aufzuklären.«

»Na, wenn das mal nicht toll ist.«

»Wir werden schneller herausfinden, wer für die Schießerei auf die Katzen verantwortlich ist, als die Polizei«, brüstete sich Jack. »Wenn ich Sie zu General Senfs Tagesablauf befrage, können wir herausfinden, wann und wo er verletzt worden ist.«

»Jetzt?« Reggie wirkte gespannt.

Vor der Tierarztpraxis fuhr ein vertrautes rotes Auto vor und parkte. Jack sah, wie seine Mutter ihre Handtasche vom Beifahrersitz auf ihren Schoß zog.

»Hm, es wäre besser, wenn die anderen mit dabei wären«, meinte er.

»Nun, ich gehe nicht viel aus. Ihr könnt also jederzeit bei mir vorbeikommen und mir Fragen stellen.« Reggie zögerte kurz, bevor er fragte: »Meinst du, ihr könntet vor dem großen Sturm kommen?«

»Was für ein Sturm?«

»Hast du noch nichts davon gehört? Für Montag wurde eine Sturmwarnung herausgegeben. Das war im Radio.«

»Aber das Wetter war doch die ganze Woche lang schön.«

»Zu dieser Jahreszeit kann sich das im Nu ändern. Und wenn es ein richtig schwerer Sturm ist, wird es Überflutungen geben, glaub mir.«

»Wir könnten morgen kommen«, schlug Jack vor. »Nachmittags vielleicht?«

»Hervorragend.« Reggie nickte und schrieb seine Adresse auf die Rückseite einer Broschüre über Hundepflege.

»Sie wohnen ja in derselben Straße wie ich!«, rief Jack aus. »Ich wohne in Nummer acht.«

»Jack!« Seine Mutter eilte durch die Tür. Ihr schulterlanges Haar wurde durch Kämme aus dem perfekt geschminkten Gesicht gehalten. Kritisch betrachtete sie ihn. »Geht es dir gut?«

»Alles in Ordnung, Mum. Du hättest nicht herkommen müssen.«

»Ihr Sohn ist ein Held«, erklärte Reggie. »Er hat General Senf das Leben gerettet.«

Jacks Mutter sah ihn verständnislos lächelnd an.

»General Senf ist ein Kater, Mum. Ich habe Mr Frisbys Kater gerettet.«

»Sieh dir deine Arme an, Jack! Du blutest ja!«, rief sie entsetzt. »War das etwa dieser grässliche Kater?«

»Das tut gar nicht weh«, log Jack und zog sich die Ärmel über die Kratzer.

Jess gab Jacks Mutter eine Plastiktüte. »Da ist sein Pullover drin. Ich fürchte, der muss gewaschen werden.«

Jacks Mutter beging den Fehler, die Tüte aufzumachen, und zuckte vor dem Gestank zusammen.

»Die Katze hat vor Angst gekackt«, erklärte Jack entschuldigend.

»Komm jetzt«, sagte Jacks Mutter, die Tüte so weit wie möglich von sich gestreckt. »Bringen wir dich nach Hause.«

»Aber ich muss nach Birdwood. Ich treffe mich mit den anderen im Versteck.«

Nach einem kurzen Abschiedsgruß folgte Jack seiner Mutter zum Auto. Sie öffnete den Kofferraum und ließ die Plastiktüte hineinfallen.

»Das ist wichtig!«, betonte Jack.

»Und ich sollte mir ein Kostüm für die Halloween-Party am nächsten Freitag kaufen.«

»Aber ich muss ins Versteck«, flehte Jack. »Die anderen werden sich fragen, wo ich bleibe.«

»Schick ihnen eine Nachricht. Sag ihnen, dass du von einem fiesen Kater zerfleischt worden bist.« Ihr Blick glitt zu seinen Armen. »Ich muss mich erst um diese Kratzer kümmern, sonst entzündet sich das noch.«

»Aber … Mum!«

»Rein da, ohne Wenn und Aber«, verlangte seine Mutter, marschierte an ihm vorbei, ließ sich auf den Fahrersitz fallen und drehte den Schlüssel im Zündschloss, um die Diskussion zu beenden.

Jack starrte aus dem Autofenster, als sie an Birdwood vorbeifuhren. Im Wald hatte man keinen Handyempfang, er konnte also keine Nachricht schicken. Und das wollte er auch gar nicht. Er wollte die Überraschung auf den Gesichtern seiner Freunde sehen, wenn er ihnen erzählte, dass er ein Verbrechen entdeckt hatte, dass sie aufklären konnten.

Lady Barbara Goremore

Jack stand früh auf und zog sich an. Twitch hatte ihm am Abend zuvor eine Nachricht geschickt und gefragt, warum er nicht zum Treffen gekommen war. Jack hatte eine kryptische Antwort geschickt und gesagt, dass er alles erklären würde, wenn sie sich träfen. An diesem Morgen würde ihn nichts daran hindern, zum Versteck zu gehen. Er hatte bereits alles für einen Tag Detektivarbeit zurechtgelegt. Auf seinem Schlagzeug lagen ein neues Notizbuch und ein Stift, ein Fernglas, sein vollgeladenes Handy und seine Tarnkleidung.

Jack schlich sich in die Küche und lächelte über Winnie, den Hund der Familie, der sich zuckend und schnüffelnd in seinem Körbchen wand und von der Kaninchenjagd träumte. Er machte sich eine Schüssel Müsli, schlang es herunter und hinterließ auf dem Küchentisch einen Zettel für seine Eltern, auf dem er verkündete, dass er heute in Birdwood Vögel beobachten wollte.

Nachdem er sich Stiefel und Jacke angezogen hatte, schlüpfte Jack zur Hintertür hinaus und lief durch das taufeuchte Gras zum hohen Tor hinten im Garten. Dahinter verlief ein überwachsener Fußweg an den Nachbarhäusern vorbei. Als er einen kleinen braunen Vogel mit blau-grauem Kopf, rostrotem Gesicht und weißen Federn an den Flügeln erblickte, hielt er inne. Der Vogel saß auf dem herabhängenden Stängel einer welken Distel.

Langsam und vorsichtig schob Jack die Hand in die Hosentasche und nahm sein Vogelbuch heraus. »Du bist ein Baumspatz«, flüsterte er, als der Vogel an dem verschrumpelten Distelkopf pickte und nach Samen suchte. Im Register suchte Jack nach dem Baumspatzen und stellte sogleich fest, dass er sich geirrt hatte. Er blätterte wild durch die Seiten, um den Vogel zu suchen, doch als er aufsah, war dieser schon weggeflogen.

Er steckte den Feldführer wieder ein und stapfte enttäuscht weiter. Seit zwei Monaten war er nun ein Vogelbeobachter und fürchtete, dass er darin nicht gut war. Jeder Vogel schien irgendwie braun zu sein, und alle waren furchtbar schreckhaft und so schnell, dass man nie wissen konnte, was man gerade sah. Twitch hatte ihm geraten, auf die Größe, die Form des Schnabels und die Umgebung zu achten, in der er den Vogel gesehen hatte. Jack bemühte sich wirklich, aber irgendwie bekam er den Bogen nicht raus.

Da er erst vor neun Monaten aus einer großen Stadt nach Briddvale gezogen war, hatte Jack das Gefühl, weit hinter den anderen herzuhängen. Twitch, Ozuru, Terry und Tara waren in dieser Kleinstadt aufgewachsen. Sie kannten die Namen von Pflanzen und Bäumen genau wie die der Straßen und Sehenswürdigkeiten. Sie brauchten kein Bestimmungsbuch, um Vögel zu identifizieren. Selbst Tippi und Ava, die beiden Mitglieder der Twitcher, die nicht aus Briddvale kamen, wussten viel über die Natur. Das hatten sie von ihrer Großmutter gelernt, die eine Künstlerin und Vogelliebhaberin war.

Bei dem Gedanken, dass er vielleicht kein guter Vogelbeobachter war, drehte sich Jack der Magen um. Denn das war der gemeinsame Nenner ihres Freundeskreises: Vögel zu beobachten und Verbrechen aufzudecken.

Am Ende des Fußweges bog er aus der Sackgasse mit den modernen Häusern ab und lief über das Feld, um den Weg zum Kanal und zum Osteingang des Naturreservats von Birdwood abzukürzen. Hinter ihm erklang das rhythmische Stampfen eines galoppierenden Pferdes. Er wirbelte herum und sah eine Frau in einer maßgeschneiderten roten Jacke über einer hochgeschlossenen weißen Bluse, schwarzen Reithose und Reitstiefeln, die auf dem Rücken eines weißen Hengstes über eine Hecke flog. Sie ritt direkt auf ihn zu. Ihr Mund war zu einer entschlossenen Linie zusammengepresst, die ihre Züge verzerrte.

»Hey!«, schrie Jack und wedelte mit den Armen, als sie auf ihn zuflog, ohne Anstalten zu machen, ihr Pferd zu zügeln. Jack warf sich zur Seite, stürzte und schrie vor Schmerz auf, als seine zerkratzten Arme über den Boden schrammten. Um nicht zertrampelt zu werden, rollte er sich beiseite.

Jack befand sich schon im Detektivmodus, daher riss er sein Handy aus der Tasche und machte eine Reihe von Fotos von der davongaloppierenden Frau in Rot. Anstatt sich umzudrehen, schrie sie nur: »Hüh! Hüah!«, und schlug dem verschwitzten Pferd mit ihrer Gerte auf die Flanken, um es weiter anzutreiben.

Als das Pferd zu einem neuen Sprung ansetzte, duckte sich die Reiterin. Die Hufe wirbelten Schlammbrocken auf, bevor es am Ende des Feldes über die nächste Hecke setzte.

Geschockt von dieser Begegnung, setzte Jack sich auf. Hatte die Reiterin ihn nicht gesehen? Sie hatte ja nicht einmal versucht, langsamer zu werden. Er sah sich die Fotos auf seinem Handy an. Wer war sie? Er zückte Stift und Notizbuch, schrieb das Datum auf eine leere Seite und fügte dann eine kurze Beschreibung der Reiterin und des Geschehens hinzu.

Hinter dem Osttor glitzerten Spinnweben im frühen Morgenlicht, die zwischen den roten Stängeln des Sauerampfers hingen. Alles war still. Das Naturreservat mit seinen gewundenen Pfaden und dem Meer aus glänzenden Blättern war ein wilder Ort, den Jack zu lieben gelernt hatte. Als er Twitch kennenlernte, hatte sein Freund verzweifelt versucht, Birdwood zu schützen, und wollte seine Geheimnisse mit niemandem teilen. Mittlerweile verstand Jack, warum. Man kam sich irgendwie bedeutsam vor, wenn man zur Tier- und Pflanzenwelt des Waldes dazugehörte.

Jack ging den Hauptweg bis zu einer vertrauten Biegung weiter, wo er aufsah und nach dem rostigen alten Einkaufswagen im Blätterdach suchte; der Baum mit dem Wagen markierte den Geheimpfad zum Versteck der Twitcher. Dieser Baum hatte den Wagen so lange festgehalten, bis sich seine Zweige hindurchgewunden und ihn höher und höher getragen hatten, als der Baum wuchs. Jetzt waren die beiden unzertrennbar.

Jack warf einen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, dass ihn niemand sah, und schlüpfte dann durch eine Wand aus gelblichem Farn, der hinter ihm zusammenschlug wie eine Tür. Dann führte ihn ein Kaninchenpfad durch ein Gewirr von dornigen Pflanzen, die sich in seiner Kleidung verfingen und Regentropfen versprühten, wenn er sich losriss. Er stellte fest, dass es in der Nacht geregnet haben musste, wenn auch nicht sehr stark. Den festen Waldboden, der im Laufe des Sommers steinhart getrocknet war, hatte der Regen nicht erreicht.

Das Versteck lag tief in einem Dickicht aus Pflanzen, die einen stachen, pikten oder kratzten, wenn man sich ihm von der falschen Seite aus näherte. Die Twitcher waren sehr stolz darauf, dass ihr Unterschlupf so gut getarnt war, dass ein ungeübtes Auge ihn nicht entdecken konnte. Er war um einen alten Eichenstamm herum angelegt, der einen Steinwurf entfernt von den sumpfigen Ufern des Birdwood-Teiches – der durchaus die Größe eines Sees hatte – in einem Kreis von Haselbüschen stand.

Hier gab es drei Räume. Der Eingang, der erste Raum, bestand aus einem Tipizelt aus großen Ästen. Der hintere Raum war dreieckig, etwa so groß wie ein Zweimannzelt, und der Hauptraum war eine quadratische Hütte mit einem Fenster zum Wasser hin. Über eine Leiter gelangte man durch ein Loch im Tipizelt zu einem Brettergang, der den dicken Stamm der Eiche umrundete. Darüber befand sich noch ein Taubenschlag – ein umgebauter Hundekäfig, der zwischen den oberen Ästen der Eiche steckte und durch strategisch angebrachte olivgrüne Persenningdreiecke vor dem Regen geschützt war.

Ozurus Vater hatte ihnen geholfen, vom Naturschutzrat von Birdwood die Erlaubnis zu erlangen, ihr Versteck an der Eiche zu erweitern – inklusive Hütte (ein alter Gartenschuppen) und Brettergang. Im Gegenzug hatten die Twitcher sich verpflichtet, Müll zu sammeln, sich als Parkwächter zu betätigen und sich um den Wald zu kümmern.

Jack ging zum Eingang, löste einen hölzernen Kleiderbügel von einem kurzen Ast an einem Baum in der Nähe und zog daran, woraufhin sich die Tür öffnete.

»Jack! Hier oben!« Twitch, ein Junge mit schulterlangem, straßenköterblondem Haar und schüchternem Lächeln, nicht ganz so groß wie Jack, begrüßte ihn von der Aussichtsplattform. Auch er trug eine Combathose und ein sandfarbenes Sweatshirt. »Ich füttere gerade die Tauben.«

Jack kletterte die Leiter hinauf und gesellte sich zu Twitch. An den Eichenstamm gelehnt, ließ er die Beine über den Rand des Brettergangs baumeln und sah aufs Wasser.

»Wo warst du denn gestern?«, wollte Twitch wissen, klaubte eine Handvoll Körner aus der Hosentasche und schüttete sie in ein Schälchen. »Und was soll die Geheimnistuerei?« Er stellte die Schale in den Taubenschlag, in der zwei Tauben – eine glupschäugige, strubbelige und eine etwas blassere, gepflegtere – sofort zu picken begannen.

Twitch hatte seine zwei Flugtauben Strubbel und Quieker darauf trainiert, Botschaften zwischen dem Versteck und seinem Zuhause zu transportieren. Jack beneidete ihn um seine Haustiere. Er hätte selbst gerne Tauben gehabt, doch seine Mutter war dagegen. Sie wechselte jedes Mal das Thema, wenn er darauf zu sprechen kam.

Jack wartete, bis Twitch die Tür zum Taubenschlag verschlossen hatte und ihm seine volle Aufmerksamkeit schenkte.

»Es gibt endlich ein Geheimnis. Und ein ziemlich gutes noch dazu«, sagte Jack.

»Was soll das heißen?«

»Gestern auf dem Weg hierher habe ich einen verletzten Kater gefunden.«

»Und wo?«

»In der Nähe des Osttors. Er hat einen Höllenlärm gemacht. Ich dachte schon, das wäre der Anfang der Zombie-Apokalypse.«

Twitch lachte.

»Er hat sich im Farn versteckt, und stell dir mal vor …« Jack machte eine Kunstpause. »… er wurde angeschossen!«

»Angeschossen?« Twitchs Überraschung war genauso, wie Jack es sich erhofft hatte.

»Ja. Das linke Hinterbein stand total schräg, und überall war Blut.«

Twitch wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab und setzte sich neben Jack. »Und was hast du getan?«

»Ich habe ihm das Leben gerettet«, erklärte Jack beiläufig. »Ich habe ihn hochgehoben und zur Tierärztin an der Briddvale Road gebracht.«

»War er bewusstlos?«

»Nein.«

»Verletzte Katzen sind aggressiv«, meinte Twitch skeptisch. »Ich würde so eine nicht hochheben.«

»Echt nicht?«, fragte Jack überrascht.

»Hat er dich denn nicht angegriffen?«

Jack schob die Ärmel seiner Jacke hoch und zeigte Twitch den Schorf auf seinen verkratzten Armen.

»Wow! Das ist ja heftig. Hat es wehgetan?«

»Hinterher schon. Als ich zum Arzt gelaufen bin, habe ich es gar nicht so gemerkt. Ich hatte Angst, dass der Kater stirbt.« Jack schüttelte den Kopf. »Ich wollte ja noch hierherkommen und es dir und den anderen erzählen, aber Mum hat mich nicht gelassen. Sie hatte Angst, dass ich eine Blutvergiftung kriege oder Wundstarrkrampf oder so.« Jack zog die Ärmel wieder zurecht. »Aber stell dir mal vor, General Senf ist nicht die erste Katze, die angeschossen wurde.«

»General Senf?«

»So heißt er. Und es ist schon die dritte Katze, die hier in der Gegend angeschossen wurde. Die erste ist sogar gestorben.«

»Das ist grausam«, fand Twitch und blickte über den Teich. »Ich meine, ich mag Katzen zwar nicht, aber ich würde auch nicht herumlaufen und sie umbringen.«

»Ich weiß. Das ist schlimm.«

»Du klingst so … aufgeregt?« Twitch runzelte die Stirn und betrachtete Jack aufmerksam.

»Der Besitzer von General Senf, Mr Frisby, möchte, dass die Twitcher herausfinden, wer auf seinen Kater geschossen hat. Er hat von uns in der Zeitung gelesen.«

»Und was ist mit der Polizei?«

»Die Tierärztin hat gesagt, dass sie ermitteln würden, aber ich schätze, dass sie viel zu sehr damit beschäftigt sind, Leute zu verhaften, die Verbrechen gegen Menschen begangen haben, als dass sie sich um verletzte Tiere kümmern können.«

»Wahrscheinlich.«

»Mr Frisby möchte, dass wir herausfinden, wer General Senf und die anderen Katzen angeschossen hat, und dass wir denjenigen schnappen, bevor er noch mehr Tiere verletzt.« Jack strahlte. »Das ist unser erster richtiger Fall als Detektive.« Vor Aufregung hüpfte er fast auf und ab.

»Der zweite, meinst du wohl.«

»Räuber Ryan – das war unsere Entstehungsgeschichte. Der Fall hat uns zusammengebracht, aber diesen hier können wir gemeinsam lösen.« Jack legte die Hände wie einen Megafontrichter vor den Mund und rief mit dramatischer Actionfilmtrailer-Stimme: »Werden die Twitcher den unmöglichen Fall des fiesen Katzenkillers lösen können?«

»Klar können wir.« Twitch grinste breit.

»Ich kann es gar nicht erwarten, den anderen davon zu erzählen. Das werden die besten Herbstferien aller Zeiten. Und nächsten Freitag ist Halloween, der beste Tag des Jahres. Und dein Geburtstag.«

»Mum ist so aufgeregt, für mich eine Geburtstagsparty zu organisieren, dass es mich nervös macht«, gab Twitch zu. »Ich habe noch nie eine Party gegeben.«

»Du hattest noch nie eine Geburtstagsparty?«

Twitch schüttelte den Kopf. »Ich habe immer schöne Sachen gemacht, bin mit Mum ins Kino gegangen oder zum Essen oder so.«

»Ja, aber das ist dein dreizehnter Geburtstag. Du bist dann ein Teenager, da musst du eine Party geben.«

Twitch zuckte mit den Achseln und wechselte das Thema. »Gestern sind wir zum Passerine Pike gegangen und haben mit dem Himmelbeobachtungsposten begonnen. Die Schwalben und Mauersegler sind zwar schon weg, aber wir haben Stare gesehen, die aus Osteuropa gekommen sind.«

Jack vermutete, dass er beim Kartieren von Zugvögeln genauso versagen würde wie bei der Identifizierung von Baumspatzen.

»Twitch, glaubst du vielleicht, dass manche Menschen einfach keine guten Vogelbeobachter sind?«

»Du bist einfach zu ungeduldig, Jack.« Twitch gab ihm einen freundschaftlichen Schubs und schaute ihn zuversichtlich an. »Du beobachtest Vögel doch erst seit ein paar Monaten. Es wird mit der Zeit leichter werden. Jede Jahreszeit bringt verschiedene Vögel mit sich. Warte nur, bis du deinen Spark-Vogel findest. Dann siehst du alles anders.«

»Was ist denn ein Spark-Vogel?«

»Das ist der Vogel, der dich zum Vogelbeobachter macht. Jeder Birder hat so einen.«

»Ich nicht«, gab Jack zu. »Auf dem Weg hierher habe ich versucht, einen Vogel zu bestimmen. Ich bin mir ganz sicher, dass er ganz gewöhnlich ist, aber ich habe es nicht geschafft.«

»Wie sah er denn aus?«

»Er hatte einen blau-grauen Kopf, ein rostrotes Gesicht und weiße Federn an den Flügeln.«

»War der Schnabel genauso blau-grau wie der Kopf?«

»Ja.«

»Dann war es ein Buchfink.«

Jack war jedes Mal von Twitchs Wissen beeindruckt, hatte aber auch das Gefühl, als seien sie zwei total verschiedene Menschen. Er war sich nicht sicher, ob er Vögel je mit der gleichen Sicherheit und Freude identifizieren könnte wie Twitch.

»Übrigens errätst du nie, was mir auf dem Weg hierher passiert ist«, erzählte Jack und holte sein Handy hervor. »Eine Frau auf einem großen weißen Pferd ist über das Feld galoppiert und hätte mich beinahe über den Haufen geritten. Ich musste aus dem Weg springen und mich zur Seite rollen.« Er zeigte Twitch ein Bild. »Sie hat das Pferd echt gepeitscht. Das war grässlich.«

»Das ist Lady Barbara Goremore von Goremore Hall«, erklärte Twitch mit einer Grabesstimme, die Jack sagte, dass er sie nicht mochte.

»Meinst du, ich sollte die Polizei benachrichtigen?«

Twitch schüttelte den Kopf. »Sie ist der Meinung, dass die Gesetze auf sie nicht zutreffen.«

»Vielleicht hat sie mich ja niederreiten wollen, weil sie gehört hat, dass ich den Katzenkillerfall übernommen habe und sie Angst hat, dass ich ihn löse. Findest du, dass sie wie eine Katzenkillerin aussieht?«

»Ha! Die würde eine Katze höchstens erschießen, wenn ihr Flügel wachsen würden und sie abhebt«, erwiderte Twitch böse. »Die Goremores jagen Moorhühner. Sie ist eine Vogelkillerin.«

»Aber Moorhühner kann man nicht ohne Gewehr jagen«, stellte Jack triumphierend klar, schlug seinen Notizblock auf und zückte den Stift. »Sie hat ein Gewehr, sieht fies aus und hat versucht, einen Detektiv zu töten, der an dem Fall arbeitet. Das macht Lady Goremore offiziell zu unserer Hauptverdächtigen.«

Eisvögel

»He, seht mal, da ist ja Jack!«, rief Terry.

Jack sah seinen mageren Freund mit dem schmalen Gesicht und den dunklen Locken gemeinsam mit Ozuru auf das Versteck zukommen. Terry trug wie üblich verschlissene Jeans und eine dunkelblaue Trainingsjacke über einem verblichenen T-Shirt, alles Kleidungsstücke, die er von seinen Brüdern geerbt hatte. Ozuru mit dem herzförmigen Gesicht und den glatten schwarzen Haaren war etwas kleiner als sein bester Kumpel und trug einen grünen Regenmantel und eine Regenhose, die bei jedem Schritt raschelten.

»Was hast du denn an, Ozuru?«, fragte Jack und lachte.

»Dad sagt, dass ein großer Sturm kommt.«

»Aber heute wird es nicht regnen«, erklärte Jack und zeigte zum blauen Himmel hinauf. »Wenn ein Sturm kommt, dann erst am Montag.«

»Lieber auf Nummer sicher gehen, als komplett nass zu werden«, meinte Ozuru achselzuckend.

»Wo ist denn Tara?«, wollte Twitch wissen.

Tara wohnte in der Nähe von Terry und Ozuru, und normalerweise kamen die drei gemeinsam nach Birdwood.

»Sie war ganz komisch drauf«, erklärte Terry. »Sie ist mit uns bis zur Crowtherbrücke gekommen, tat dann total geheimnisvoll und sagte, wir müssten allein vorausgehen.« Er zuckte mit den Schultern. »Sie kommt nach.«

Jack war ein wenig enttäuscht. Er brannte darauf, allen gemeinsam die Neuigkeiten von dem Katzenkiller zu erzählen. Jetzt musste er noch auf Tara warten. Er folgte Twitch die Leiter herunter, als Terry und Ozuru in der Hütte verschwanden.

Drinnen standen acht Baumstümpfe, immer zu zweit übereinandergestapelt, an der Rückwand. Terry und Ozuru stellten fünf davon im Kreis auf und setzten sich.

»Hallihallo!«, erklang Taras leise Stimme. »Tut mir leid, dass ihr warten musstet. Es ist nur …« Sie stand in der Tür und hielt sich kichernd die Hand vor den Mund.

Terry sah die anderen vielsagend an.

Tara warf das schwarze Haar zurück und steckte es hinter die Ohren, dann presste sie die Lippen zusammen und sah zu Boden, um sich zu fassen. »Es ist nur … ich habe gute Neuigkeiten.«

»Moment!« Ozuru zückte eifrig sein Notizbuch. »Soll ich eine offizielle Agenda für das Meeting machen, so wie gestern?«

»Wozu denn? Wir haben sie ja doch nicht benutzt«, spottete Terry.

»Ja, bitte, Ozuru«, meinte Tara und ließ sich auf dem Baumstumpf neben ihm nieder. »Ich möchte, dass meine Neuigkeiten ins Programm aufgenommen werden.«