Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Rudolf Steiner ist der Begründer der Anthroposophie und Vordenker der Waldorfpädagogik. Die Anthroposophie hat in den letzten Jahren immer mehr Einfluss gewonnen. Rudolf Steiner findet Anhänger in der bildenden Kunst, der Literatur, der Ernährungswissenschaft und vor allem in der Reformpädagogik. Die Pädagogik der Waldorfschulen basiert auf den Gedanken Rudolf Steiners. Rudolf Steiner strebt eine ganzheitliche Menschenbildung an, bei der Leib und Seele durch eine entwicklungspsychologisch fundierte »Erziehungskunst« harmonisch ausgebildet werden. »Die Geheimwissenschaft im Umriss« veröffentlichte Rudolf Steiner erstmals 1910.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 486
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Jetzt, nachdem fünfzehn Jahre seit dem ersten Erscheinen dieses Buches verflossen sind, darf ich wohl vor der Öffentlichkeit einiges sagen über die Seelenverfassung, aus der heraus es entstanden ist.
Ursprünglich war mein Plan, seinen wesentlichen Inhalt als letzte Kapitel meinem lange vorher erschienenen Buche „Theosophie“ anzufügen. Das ging nicht. Dieser Inhalt rundete sich damals, als die „Theosophie“ ausgeführt wurde, nicht in der Art in mir ab wie derjenige der „Theosophie“. Ich hatte in meinen Imaginationen das geistige Wesen des Einzelmenschen vor meiner Seele stehen und konnte es darstellen, nicht aber standen damals schon die kosmischen Zusammenhänge, die in der „Geheimwissenschaft“ darzulegen waren, ebenso vor mir. Sie waren im einzelnen da; nicht aber im Gesamtbild.
Deshalb entschloss ich mich, die „Theosophie“ mit dem Inhalte erscheinen zu lassen, den ich als das Wesen des Lebens eines einzelnen Menschen erschaut hatte, und die „Geheimwissenschaft“ in der nächsten Zeit in aller Ruhe durchzuführen.
Der Inhalt dieses Buches musste nach meiner damaligen Seelenstimmung in Gedanken gegeben werden, die für die Darstellung des Geistigen geeignete weitere Fortbildungen der in der Naturwissenschaft angewendeten Gedanken sind. Man wird es den hier wieder abgedruckten „Vorbemerkungen zur ersten Auflage“ anmerken, wie stark ich mich mit allem, was ich damals über Geisteserkenntnis schrieb, vor der Naturwissenschaft verantwortlich fühlte.
Aber man kann nicht in solchen Gedanken allein das zur Darstellung bringen, was sich dem geistigen Schauen als Geist-Welt offenbart. Denn diese Offenbarung geht in einen bloßen Gedankeninhalt nicht ein. Wer das Wesen solcher Offenbarung erlebend kennengelernt hat, der weiß, dass die Gedanken des gewöhnlichen Bewusstseins nur geeignet sind, das sinnlich Wahrgenommene, nicht aber das geistig Geschaute, auszudrücken.
Der Inhalt des geistig Geschauten lässt sich nur in Bildern (Imaginationen) wiedergeben, durch die Inspirationen sprechen, die von intuitiv erlebter geistiger Wesenheit herrühren. (Über das Wesen von Imagination, Inspiration und Intuition findet man das Notwendige in dieser „Geheimwissenschaft“ selbst und in meinem Buche „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“.)
Aber der Darsteller der Imaginationen aus der Geist-Welt kann gegenwärtig nicht bloß diese Imaginationen hinstellen. Er stellte damit etwas dar, das als ein ganz anderer Bewusstseinsinhalt neben dem Erkenntnisinhalt unseres Zeitalters, ohne allen Zusammenhang mit diesem, stünde. Er muss das gegenwärtige Bewusstsein mit dem erfüllen, was ein anderes Bewusstsein, das in die Geist-Welt schaut, erkennen kann. Dann wird seine Darstellung diese Geist-Welt zum Inhalte haben; aber dieser Inhalt tritt in der Form von Gedanken auf, in die er hineinfließt. Dadurch wird er dem gewöhnlichen Bewusstsein, das im Sinne der Gegenwart denkt, aber noch nicht in die Geist-Welt hineinschaut, voll verständlich.
Diese Verständlichkeit bleibt nur dann aus, wenn man sich selbst Hindernisse vor sie legt. Wenn man die Vorurteile, die die Zeit aus einer falsch aufgefassten Naturanschauung von „Grenzen des Erkennens“ sich gebildet hat, zu den eigenen macht.
Im Geist-Erkennen ist alles in intimes Seelen-Erleben getaucht. Nicht nur das geistige Anschauen selbst, sondern auch das Verstehen, das das nicht-schauende gewöhnliche Bewusstsein den Ergebnissen des Schauenden entgegenbringt.
Von dieser Intimität hat keine Ahnung, wer in dilettantischer Art davon spricht, dass der, der zu verstehen glaubt, sich das Verständnis selbst suggeriert.
Aber es ist so, dass, was innerhalb des Begreifens der physischen Welt bloß in Begriffen als Wahrheit oder Irrtum sich auslebt, der geistigen Welt gegenüber Erlebnis wird.
Wer in sein Urteil nur leise empfindend die Behauptung einfließen lässt, das geistig Geschaute sei von dem gewöhnlichen, noch nicht schauenden Bewusstsein - wegen dessen Grenzen - nicht erfassbar, dem legt sich dieses empfindende Urteil wie eine verfinsternde Wolke vor das Erfassen; und er kann wirklich nicht verstehen.
Aber dem unbefangenen nicht-schauenden Bewusstsein ist das Geschaute voll verständlich, wenn es der Schauende bis in die Gedankenform hineinbringt. Es ist verständlich, wie dem NichtMaler das fertige Bild des Malers verständlich ist. Und zwar ist das Verständnis der Geist-Welt nicht das künstlerisch-gefühlsmäßige wie bei einem Kunstwerk, sondern ein durchaus gedankenmäßiges wie der Naturerkenntnis gegenüber.
Um aber ein solches Verständnis wirklich möglich zu machen, muss der Darsteller des geistig Geschauten seine Schauungen bis zu einem richtigen Hineingießen in Gedankenform bringen, ohne dass sie innerhalb dieser Form ihren imaginativen Charakter verlieren. Das stand alles vor meiner Seele, als ich meine „Geheimwissenschaft“ ausarbeitete.
1909 fühlte ich dann, dass ich mit diesen Voraussetzungen ein Buch zustande bringen könne, das: erstens den Inhalt meiner Geistesschau bis zu einem gewissen, aber zunächst genügenden Grade, in die Gedankenform gegossen, brachte; und das zweitens von jedem denkenden Menschen, der sich keine Hindernisse vor das Verständnis legt, verstanden werden kann.
Ich sage das heute, indem ich zugleich ausspreche, dass damals - 1909 - mir die Veröffentlichung des Buches als ein Wagnis erschien. Denn ich wusste ja, dass die geforderte Unbefangenheit gerade diejenigen nicht aufbringen können, die Naturwissenschaft beruflich treiben, und ebensowenig alle die zahlreichen Persönlichkeiten, die in ihrem Urteile von diesen abhängig sind.
Aber es stand gerade die Tatsache vor meiner Seele, dass in der Zeit, in der sich das Bewusstsein der Menschheit von der Geist-Welt am weitesten entfernt hatte, die Mitteilungen aus dieser Geist-Welt einer allerdringendsten Notwendigkeit entsprechen.
Ich zählte darauf, dass es auch Menschen gibt, die mehr oder weniger die Entfernung von aller Geistigkeit so schwer als Lebenshindernis empfinden, dass sie zu Mitteilungen aus der Geist-Welt mit innerer Sehnsucht greifen.
Und die folgenden Jahre haben das ja voll bestätigt. Die „Theosophie“ und „Geheimwissenschaft“ haben als Bücher, die im Leser guten Willen voraussetzen, auf eine schwierige Stilisierung einzugehen, weite Verbreitung gefunden.
Ich habe ganz bewusst angestrebt, nicht eine „populäre“ Darstellung zu geben, sondern eine solche, die notwendig macht, mit rechter Gedankenanstrengung in den Inhalt hineinzukommen. Ich habe damit meinen Büchern einen solchen Charakter aufgeprägt, dass deren Lesen selbst schon der Anfang der Geistesschulung ist. Denn die ruhige, besonnene Gedankenanstrengung, die dieses Lesen notwendig macht, verstärkt die Seelenkräfte und macht sie dadurch fähig, der geistigen Welt nahe zu kommen.
Dass ich dem Buche den Titel Geheimwissenschaft“ gegeben habe, hat sogleich Missverständnisse hervorgerufen. Von mancher Seite wurde gesagt, was „Wissenschaft“ sein will, darf nicht „geheim“ sein. Wie wenig bedacht war ein solcher Einwand. Als ob jemand, der einen Inhalt veröffentlicht , mit diesem „geheim“ tun wolle. Das ganze Buch zeigt, dass nichts als „geheim“ bezeichnet, sondern eben in eine solche Form gebracht werden sollte, dass es verständlich sei wie nur irgendeine „Wissenschaft“. Oder will man, wenn man das Wort „Naturwissenschaft“ gebraucht, nicht andeuten, dass es sich um Wissen von der „Natur“ handelt? Geheimwissenschaft ist Wissenschaft von dem, was sich insofern im „Geheimen“ abspielt, als es nicht draußen in der Natur wahrgenommen wird, sondern da, wohin die Seele sich orientiert, wenn sie ihr Inneres nach dem Geiste richtet.
„Geheimwissenschaft“ ist Gegensatz von „Naturwissenschaft“.
Meinen Schauungen in der geistigen Welt hat man immer wieder entgegengehalten, sie seien veränderte Wiedergaben dessen, was im Laufe älterer Zeit an Vorstellungen der Menschen über die Geist-Welt hervorgetreten ist. Man sagte, ich hätte mancherlei gelesen, es ins Unterbewusste aufgenommen und dann in dem Glauben, es entspringe aus dem eigenen Schauen, zur Darstellung gebracht. Aus gnostischen Lehren, aus orientalischen Weisheitsdichtungen und so weiter soll ich meine Darstellungen gewonnen haben.
Man ist, indem man dieses behauptet hat, mit den Gedanken ganz an der Oberfläche geblieben.
Meine Erkenntnisse des Geistigen, dessen bin ich mir voll bewusst, sind Ergebnisse eigenen Schauens. Ich hatte jederzeit bei allen Einzelheiten und bei den großen Übersichten mich streng geprüft, ob ich jeden Schritt im schauenden Weiterschreiten so mache, dass vollbesonnenes Bewusstsein diese Schritte begleite. Wie der Mathematiker von Gedanke zu Gedanke schreitet, ohne dass Unbewusstes, Autosuggestion und so weiter eine Rolle spielen, so - sagte ich mir - muss geistiges Schauen von objektiver Imagination zu objektiver Imagination schreiten, ohne dass etwas anderes in der Seele lebt als der geistige Inhalt klar besonnenen Bewusstseins.
Dass man von einer Imagination weiß, sie ist nicht bloß subjektives Bild, sondern Bild-Wiedergabe objektiven Geist-Inhaltes, dazu bringt man es durch gesundes inneres Erleben. Man gelangt dazu auf geistig-seelische Art, wie man im Bereich der Sinnesanschauung bei gesunder Organisation Einbildungen von objektiven Wahrnehmungen richtig unterscheidet.
So hatte ich die Ergebnisse meines Schauens vor mir. Sie waren zunächst „Anschauungen“, die ohne Namen lebten.
Sollte ich sie mitteilen, so bedurfte es der Wortbezeichnungen. Ich suchte dann später nach solchen in älteren Darstellungen des Geistigen, um das noch Wortlose in Worten ausdrucken zu können. Ich gebrauchte diese Wortbezeichnungen frei, so dass wohl kaum eine derselben in meinem Gebrauche zusammenfällt mit dem, was sie dort war, wo ich sie fand. Ich suchte aber nach solcher Möglichkeit, mich auszudrücken , s t e t s e r s t , nachdem mir der Inhalt im eigenen Schauen aufgegangen war.
Vorher Gelesenes wusste ich beim eigenen forschenden Schauen durch die Bewusstseinsverfassung, die ich eben geschildert habe, auszuschalten.
Nun fand man in meinen
Ausdrücken Anklänge an ältere Vorstellungen. Ohne auf den Inhalt einzugehen, hielt man sich an solche Ausdrücke. Sprach ich von „Lotosblumen“ in dem Astralleib des Menschen, so war das ein Beweis, dass ich indische Lehren, in denen man den Ausdruck findet, wiedergäbe. ja, sprach ich von „Astralleib“ selbst, so war dies das Ergebnis des Lesens mittelalterlicher Schriften. Gebrauchte ich die Ausdrücke: Angeloi, Archangeloi und so weiter, so erneuerte ich einfach die Vorstellungen christlicher Gnosis.
Solches ganz an der Oberfläche sich bewegende Denken fand ich immer wieder mir entgegengehalten.
Auch auf diese Tatsache wollte ich gegenwärtig beim Wiedererscheinen der „Geheimwissenschaft“ in neuer Auflage hinweisen. Das Buch enthält ja die Umrisse der Anthroposophie als eines Ganzen. Es wird daher vorzüglich betroffen von den Missverständnissen, denen diese ausgesetzt ist.
Ich habe seit der Zeit, in der in meiner Seele die Imaginationen, die das Buch wiedergibt, in ein Gesamtbild zusammengeflossen sind, unausgesetzt das forschende Schauen in den Menschen, in das geschichtliche Werden der Menschheit, in den Kosmos und so weiter fortgebildet; ich bin im einzelnen zu immer neuen Ergebnissen gekommen. Aber, was ich in der „Geheimwissenschaft“ vor fünfzehn Jahren als Umriss gegeben habe, ist für mich in nichts erschüttert worden. Alles, was ich seither sagen konnte, erscheint, wenn es an der rechten Stelle diesem Buche eingefügt wird, als eine weitere Ausführung der damaligen Skizze.
Goetheanum, 10. Januar 1925
Rudolf Steiner
Wer es unternimmt, geisteswissenschaftliche Ergebnisse solcher Art darzustellen, wie sie in diesem Buche aufgezeichnet sind, der muss vor allen Dingen damit rechnen, dass diese Art gegenwärtig in weitesten Kreisen als eine unmögliche angesehen wird. Werden doch in den folgenden Ausführungen Dinge gesagt, von welchen ein in unserer Zeit als streng geltendes Denken behauptet, dass sie „für menschliche Intelligenz vermutlich überhaupt unentscheidbar bleiben“. Wer die Gründe kennt und zu würdigen weiß, welche manche ernste Persönlichkeit dazu führen, solche Unmöglichkeit zu behaupten, der möchte immer wieder von neuem den Versuch machen, zu zeigen, auf welchen Missverständnissen der Glaube beruht, dass dem menschlichen Erkennen ein Eindringen in die übersinnlichen Welten versagt sei.
Denn zweierlei liegt vor. Erstens wird sich auf die Dauer keine menschliche Seele bei tieferem Nachdenken vor der Tatsache verschließen können, dass ihre wichtigsten Fragen nach Sinn und Bedeutung des Lebens unbeantwortet bleiben müssten, wenn es einen Zugang zu übersinnlichen Welten nicht gäbe. Man kann sich theoretisch über diese Tatsache hinwegtäuschen; die Tiefen des Seelenlebens gehen aber mit dieser Selbsttäuschung nicht mit. - Wer auf diese Seelentiefen nicht hinhören will, der wird Ausführungen über die übersinnlichen Welten naturgemäß ablehnen. Doch gibt es eben Menschen, deren Zahl wahrhaft nicht gering ist, welche unmöglich sich taub gegen die Forderungen dieser Tiefen verhalten können. Sie müssen stets an die Pforten klopfen, welche nach der Meinung der anderen das „Unfassbare“ verschließen.
Zweitens, es sind die Darlegungen des „strengen Denkens“ keineswegs gering zu achten. Wer sich mit ihnen beschäftigt, der wird da, wo sie ernst zu nehmen sind, diesen Ernst durchaus mitfühlen. Der Schreiber dieses Buches möchte nicht als ein solcher angesehen werden, der leichten Herzens sich hinwegsetzt über die gewaltige Gedankenarbeit, die aufgewendet worden ist, um die Grenzen des menschlichen Intellektes zu bestimmen. Diese Gedankenarbeit lässt sich nicht abtun mit einigen Redensarten über „Schulweisheit“ und dergleichen. So wie sie in vielen Fällen auftritt, hat sie ihren Quell in wahrem Ringen der Erkenntnis und in echtem Scharfsinn. - Ja, es soll noch vielmehr zugegeben werden: es sind Gründe dafür vorgebracht worden, dass diejenige Erkenntnis, welche gegenwärtig als wissenschaftlich gilt, nicht in die übersinnlichen Welten vordringen kann, und diese Gründe sind in gewissem Sinne unwiderleglich.
Weil dies von dem Schreiber dieses Buches ohne weiteres selbst zugegeben wird, deshalb kann es manchem ganz sonderbar erscheinen, dass er es nun doch unternimmt, Ausführungen zu machen, die sich auf übersinnliche Welten beziehen. Es scheint ja fast ausgeschlossen zu sein, dass jemand die Gründe für die Unerkennbarkeit der übersinnlichen Welten in gewissem Sinn e gelten lässt und dennoch von diesen übersinnlichen Welten spricht.
Und doch kann man sich so verhalten. Und man kann zugleich begreifen, dass dieses Verhalten als widerspruchsvoll empfunden wird. Es lässt sich eben nicht jedermann auf die Erfahrungen ein, welche man macht, wenn man mit dem menschlichen Verstande an das übersinnliche Gebiet heranrückt. Da stellt sich heraus, dass die Beweise dieses Verstandes wohl unwiderleglich sein können; und dass sie trotz ihrer
Unwiderleglichkeit für die Wirklichkeit nicht entscheidend zu sein brauchen. Statt aller theoretischen Auseinandersetzungen sei hier versucht, durch einen Vergleich eine Verständigung herbeizuführen. Dass Vergleiche selbst nicht beweisend sind, wird dabei ohne weiteres zugegeben; doch hindert dies nicht, dass sie oft verständlich machen, was ausgedrückt werden soll.
Das menschliche Erkennen, so wie es im alltäglichen Leben und in der gewöhnlichen Wissenschaft arbeitet, ist wirklich so beschaffen, dass es in die übersinnlichen Welten nicht eindringen kann. Dies ist unwiderleglich zu beweisen; allein dieser Beweis kann für eine gewisse Art des Seelenlebens keinen anderen Wert haben als derjenige, welchen jemand unternehmen wollte, um zu zeigen, dass das natürliche Auge des Menschen mit seinem Sehvermögen nicht bis zu den kleinen Zellen eines Lebewesens oder bis zur Beschaffenheit ferner Himmelskörper vordringen kann. So richtig und beweisbar die Behauptung ist: das gewöhnliche Sehvermögen dringt nicht bis zu den Zellen, so richtig und beweisbar ist die andere, dass das gewöhnliche Erkennen nicht in die übersinnlichen Welten eindringen könne. Und doch entscheidet der Beweis, dass das gewöhnliche Sehvermögen vor den Zellen haltmachen muss, nichts gegen die Erforschung der Zellen. Warum sollte der Beweis, dass das gewöhnliche Erkenntnisvermögen vor den übersinnlichen Welten haltmachen muss, etwas gegen die Erforschung dieser Welten entscheiden?
Man kann die Empfindung fühlen, welche mancher bei diesem Vergleiche haben muss. Man kann selbst mitempfinden, wenn gezweifelt wird, dass jemand den ganzen Ernst der erwähnten Gedankenarbeit auch nur ahnt, der dieser Arbeit mit einem solchen Vergleich entgegentritt. Und doch ist derjenige, welcher dieses schreibt, von diesem Ernste nicht nur durchdrungen, sondern er ist der Ansicht, dass diese Gedankenarbeit zu den edelsten Leistungen der Menschheit zählt. Zu beweisen, dass das menschliche Sehvermögen nicht ohne Bewaffnung zu den Zellen gelangen könne, wäre allerdings ein unnötiges Beginnen; in strengem Denken sich der Natur dieses Denkens bewusst werden, ist notwendige Geistesarbeit. Dass derjenige, welcher sich solcher Arbeit hingibt, nicht bemerkt, dass die Wirklichkeit ihn widerlegen kann, ist nur allzu verständlich. So wenig in den Vorbemerkungen zu diesem Buche der Platz sein kann, auf manche „Widerlegungen“ der ersten Auflagen von seiten solcher Persönlichkeiten einzugehen, denen alles Verständnis für das Erstrebte abgeht oder welche ihre unwahren Angriffe auf die Person des Verfassers richten, so sehr muss betont werden, dass in dem Buche eine Unterschätzung ernster wissenschaftlicher Denkerarbeit nur der vermuten kann, der sich vor der Gesinnung der Ausführungen verschließen will.
Das Erkennen des Menschen kann verstärkt, erkraftet werden, wie das Sehvermögen des Auges verstärkt werden kann. Nur sind die Mittel zur Erkraftung des Erkennens durchaus von geistiger Art; sie sind innere, rein seelische Verrichtungen. Sie bestehen in dem, was in diesem Buche als Meditation, Konzentration (Kontemplation) beschrieben wird. Das gewöhnliche Seelenleben ist an die Werkzeuge des Leibes gebunden; das erkraftete Seelenleben macht sich davon frei. Es gibt Gedankenrichtungen der Gegenwart, für welche eine solche Behauptung ganz unsinnig erscheinen muss, für welche sie nur auf Selbsttäuschung beruhen muss. Solche Gedankenrichtungen werden es von ihrem Gesichtspunkte aus leicht finden, nachzuweisen, wie „alles Seelenleben“ an das Nervensystem gebunden sei. Wer auf dem Standpunkte steht, von dem aus dieses Buch geschrieben ist, der versteht durchaus solche Beweise. Er versteht die Menschen, welche sagen, es könne nur Oberflächlichkeit behaupten, dass man irgendein vom Leibe unabhängiges Seelenleben haben könne. Welche ganz davon überzeugt sind, dass für solche Seelenerlebnisse ein Zusammenhang mit dem Nervenleben vorliegt, den „geisteswissenschaftlicher Dilettantismus“ nur nicht durchschaut.
Hier stehen demjenigen, was in diesem Buche geschildert wird, gewisse - durchaus begreifliche - Denkgewohnheiten so schroff gegenüber, dass mit vielen eine Verständigung gegenwärtig noch ganz aussichtslos ist. Man steht hier eben vor dem Punkte, an welchem sich der Wunsch geltend machen muss, dass es in der Gegenwart dem Geistesleben nicht mehr entsprechen sollte, eine Forschungsrichtung sogleich als Phantasterei, Träumerei usw. zu verketzern, die schroff von der eigenen abweicht. - Auf der anderen Seite steht aber doch schon gegenwärtig die Tatsache, dass für die übersinnliche Forschungsart, wie sie auch in diesem Buche dargestellt wird, eine Anzahl von Menschen Verständnis haben. Menschen, welche einsehen, dass der Sinn des Lebens sich nicht in allgemeinen Redensarten über Seele, Selbst usw. enthüllt, sondern nur durch das wirkliche Eingehen auf die Ergebnisse der übersinnlichen Forschung sich ergeben kann. Nicht aus Unbescheidenheit, sondern in freudiger Befriedigung wird von dem Verfasser dieses Buches tief empfunden die Notwendigkeit dieser vierten Auflage nach verhältnismäßig kurzer Zeit.
Um in Unbescheidenheit dies zu betonen, dazu fühlt der Verfasser nur allzu deutlich, wie wenig auch die neue Auflage dem entspricht, was sie als „Umriss einer übersinnlichen Weltanschauung“ eigentlich sein sollte. Noch einmal wurde zur Neuauflage das Ganze durchgearbeitet, viele Ergänzungen wurden an wichtigen Stellen eingefügt, Verdeutlichungen wurden angestrebt. Doch fühlbar wurde dem Verfasser an zahlreichen Stellen, wie spröde sich die Mittel der ihm zugänglichen Darstellung erweisen gegenüber dein, was die übersinnliche Forschung zeigt. So konnte kaum mehr als ein Weg gezeigt werden, um zu Vorstellungen zu gelangen, welche in dem Buche für Saturn-, Sonnen-, Mondenentwicklung gegeben werden. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist in dieser Auflage auch auf diesem Gebiete in Kürze neu behandelt worden. Doch weichen die Erlebnisse in Bezug auf solche Dinge so sehr von allen Erlebnissen auf dem Sinnesgebiete ab, dass die Darstellung ein fortwährendes Ringen nach einem nur einigermaßen genügend scheinenden Ausdruck notwendig macht. Wer auf den hier gemachten Versuch der Darstellung einzugehen willens ist, wird vielleicht bemerken, dass manches, was dem trockenen Worte zu sagen unmöglich ist, durch die Art der Schilderung erstrebt wird. Diese ist anders zum Beispiel bei der Saturn-, anders bei der Sonnen- usw. Entwicklung.
Viele dem Verfasser des Buches wichtig erscheinende Ergänzungen und Erweiterungen erfuhr in der neuen Auflage der zweite Teil des Buches, welcher von der „Erkenntnis der höheren Welten“ handelt. Es lag das Bestreben vor, die Art der inneren Seelenvorgänge anschaulich darzustellen, durch welche die Erkenntnis von ihren in der Sinnenwelt vorhandenen Grenzen sich befreit und sich für das Erleben der übersinnlichen Welt geeignet macht. Versucht wurde zu zeigen, dass dieses Erleben, obwohl es durch ganz innerliche Mittel und Wege erworben wird, doch nicht eine bloß subjektive Bedeutung für den einzelnen Menschen hat, der es erwirbt. Es sollte aus der Darstellung hervorgehen, dass innerhalb der Seele deren Einzelheit und persönliche Besonderheit abgestreift und ein Erleben erreicht wird, das jed er Mensch in der gleichen Art hat, der eben in rechter Art die Entwicklung aus seinen subjektiven Erlebnissen heraus bewirkt. Erst wenn die „Erkenntnis der übersinnlichen Welten“ mit diesem Charakter gedacht wird, vermag man sie zu unterscheiden von allen Erlebnissen bloß subjektiver Mystik usw. Von solcher Mystik kann man wohl sagen, dass sie mehr oder weniger doch eine subjektive Angelegenheit des Mystikers ist. Die geisteswissenschaftliche Seelenschulung, wie sie hier gemeint ist, strebt aber nach solchen objektiven Erlebnissen, deren Wahrheit zwar ganz innerlich erkannt wird, die aber doch gerade deshalb in ihrer Allgemeingültigkeit durchschaut werden. - Auch hier ist ja wieder ein Punkt, an dem eine Verständigung mit manchen Denkgewohnheiten unserer Zeit recht schwierig ist.
Zum Schlusse möchte der Verfasser des Buches die Bemerkung machen, dass auch von Wohlmeinenden diese Ausführungen als das hingenommen werden mögen, als was sie sich durch ihren eigenen Inhalt geben. Es herrscht heute vielfach das Bestreben, dieser oder jener Geistesrichtung diesen oder
jenen alten Namen zu geben. Dadurch scheint sie manchem erst wertvoll. Es darf aber gefragt werden: was sollen die Ausführungen dieses Buches dadurch gewinnen, dass man sie als „rosenkreuzerisch“ oder dergleichen bezeichnet? Worauf
es ankommt, ist, dass hier mit den Mitteln, welche in der gegenwärtigen Entwicklungsperiode der Seele möglich und dieser angemessen sind, ein Einblick in die übersinnlichen Welten versucht wird, und dass von diesem Gesichtspunkte aus die Rätsel des menschlichen Schicksals und des menschlichen Daseins über die Grenzen von Geburt und Tod hinaus betrachtet werden. Es soll sich nicht handeln um ein Streben, welches diesen oder jenen alten Namen trägt, sondern um ein Streben nach Wahrheit.
Auf der anderen Seite sind auch in gegnerischer Absicht Bezeichnungen für die in dem Buche dargestellte Weltanschauung gebraucht worden. Abgesehen davon, dass diejenigen, mit welchen man den Verfasser hat am schwersten treffen und diskreditieren wollen, absurd und objektiv unwahr sind, charakterisieren sich solche Bezeichnungen in ihrer Unwürdigkeit dadurch, dass sie ein völlig unabhängiges Wahrheitsstreben herabsetzen, indem sie es nicht aus sich selbst beurteilen, sondern die von ihnen erfundene oder grundlos übernommene und weiter getragene Abhängigkeit von dieser oder jener Richtung anderen als Urteil beibringen wollen. So notwendig diese Worte angesichts mancher Angriffe gegen den Verfasser sind, so widerstrebt es diesem doch, an diesem Orte auf die Sache weiter einzugehen.
Geschrieben im Juni 1913
Rudolf Steiner
Wer ein Buch wie das vorliegende der Öffentlichkeit übergibt, der soll mit Gelassenheit jede Art von Beurteilung seiner Ausführungen sich vorstellen können, welche in der Gegenwart möglich ist. Da könnte zum Beispiel jemand die hier gegebene Darstellung dieses oder jenes Dinges zu lesen beginnen, welcher sich Gedanken über diese Dinge gemäß den Forschungsergebnissen der Wissenschaft gemacht hat. Und er könnte zu dem folgenden Urteil kommen: „Man ist erstaunt, wie dergleichen Behauptungen in unserer Zeit nur überhaupt möglich sind. Mit den einfachsten naturwissenschaftlichen Begriffen wird in einer Weise umgesprungen, die auf eine geradezu unbegreifliche Unbekanntschaft mit selbst elementaren Erkenntnissen schließen lässt. Der Verfasser gebraucht Begriffe, wie zum Beispiel ‹Wärme›, in einer Art, wie es nur jemand vermag, an dem die ganze moderne Denkweise der Physik spurlos vorübergegangen ist. Jeder, der auch nur die Anfangsgründe dieser Wissenschaft kennt, könnte ihm zeigen, dass, was er da redet, nicht einmal die Bezeichnung Dilettantismus verdient, sondern nur mit dem Ausdruck: absolute Ignoranz belegt werden kann...“ Es könnten nun noch viele solche Sätze einer derartigen, durchaus möglichen Beurteilung hingeschrieben werden. Man könnte sich aber nach den obigen Aussprüchen auch etwa folgenden Schluss denken: „Wer ein paar Seiten dieses Buches gelesen hat, wird es, je nach seinem Temperament, lächelnd oder entrüstet weglegen und sich sagen: ‹Es ist doch sonderbar, was für Auswüchse eine verkehrte Gedankenrichtung in gegenwärtiger Zeit treiben kann. Man legt diese Ausführungen am besten zu mancherlei anderem Kuriosen, was einem jetzt begegnet›.“ - Was sagt aber nun der Verfasser dieses Buches, wenn er etwa wirklich eine solche Beurteilung erfahren würde? Muss er nicht einfach, von seinem Standpunkte aus, den Beurteiler für einen urteilsunfähigen Leser halten oder für einen solchen, der nicht den guten Willen hat, um zu einem verständnisvollen Urteile zu kommen? - Darauf soll geantwortet werden: Nein, dieser Verfasser tut das durchaus nicht immer. Er vermag sich vorzustellen, dass sein Beurteiler eine sehr kluge Persönlichkeit, auch ein tüchtiger Wissenschafter und jemand sein kann, der sich ein Urteil auf ganz gewissenhafte Art bildet. Denn dieser Verfasser ist in der Lage, sich hineinzudenken in die Seele einer solchen Persönlichkeit und in die Gründe, welche diese zu einem solchen Urteil führen können. Um nun kenntlich zu machen, was der Verfasser wirklich sagt, ist etwas notwendig, was ihm selbst im allgemeinen oft unpassend scheint, wozu aber gerade bei diesem Buche eine dringende Veranlassung ist: nämlich über einiges Persönliche zu reden. Allerdings soll in dieser Richtung nichts vorgebracht werden, was nicht mit dem Entschlusse zusammenhängt, dieses Buch zu schreiben. Was in einem solchen Buche gesagt wird, hätte gewiss kein Daseinsrecht, wenn es nur einen persönlichen Charakter trüge. Es muss Darstellungen enthalten, zu denen jeder Mensch kommen kann, und es muss so gesagt werden, dass keinerlei persönliche Färbung zu bemerken ist, soweit dies überhaupt möglich ist. In dieser Beziehung soll also das Persönliche nicht gemeint sein. Es soll sich nur darauf beziehen, verständlich zu machen, wie der Verfasser die oben gekennzeichnete Beurteilung seiner Ausführungen begreiflich finden kann und dennoch dieses Buch schreiben konnte. Es gäbe ja allerdings etwas, was die Vorbringung eines solchen Persönlichen überflüssig machen könnte: wenn man, in ausführlicher Art, alle Einzelheiten geltend machte, welche zeigen, wie die Darstellung dieses Buches in Wirklichkeit doch mit allen Fortschritten gegenwärtiger Wissenschaft übereinstimmt. Dazu wären nun aber allerdings viele Bände als Einleitung zu dem Buche notwendig. Da diese augenblicklich nicht geliefert werden können, so scheint es dem Verfasser notwendig, zu sagen, durch welche persönlichen Verhältnisse er sich berechtigt glaubt, eine solche Übereinstimmung in befriedigender Art für möglich zu halten. - Er hätte ganz gewiss alles dasjenige niemals zu veröffentlichen unternommen, was in diesem Buche zum Beispiel mit Bezug auf Wärmevorgänge gesagt wird, wenn er sich nicht das Folgende gestehen dürfte: Er war vor nunmehr dreißig Jahren in der Lage, ein Studium der Physik durchzumachen, welches sich in die verschiedenen Gebiete dieser Wissenschaft verzweigte. Auf dem Felde der Wärmeerscheinungen standen damals die Erklärungen im Mittelpunkte des Studiums, welche der sogenannten „mechanischen Wärmetheorie“ angehören. Und diese „mechanische Wärmetheorie“ interessierte ihn sogar ganz besonders. Die geschichtliche Entwicklung der entsprechenden Erklärungen, die sich an Namen wie Jul. Robert Mayer, Helmholtz, Joule, Clausius und so weiter damals knüpfte, gehörte zu seinen fortwährenden Studien. Dadurch hat er sich in der Zeit seiner Studien die hinreichende Grundlage und Möglichkeit geschaffen, bis heute alle die tatsächlichen Fortschritte auf dem Gebiete der physikalischen Wärmelehre verfolgen zu können und keine Hindernisse zu finden, wenn er versucht, einzudringen in alles das, was die Wissenschaft auf diesem Felde leistet. Müsste sich der Verfasser sagen: er kann das nicht, so wäre dies für ihn ein Grund, die in dem Buche vorgebrachten Dinge ungesagt und ungeschrieben zu lassen. Er hat es sich wirklich zum Grundsatz gemacht, nur über solches auf dem Gebiete der Geisteswissenschaft zu reden oder zu schreiben, bei dem er in einer ihm genügend erscheinenden Art auch zu sagen wüsste, was die gegenwärtige Wissenschaft darüber weiß. Damit will er durchaus nicht etwas aussprechen, was eine allgemeine Anforderung an alle Menschen sein soll. Es kann jedermann sich mit Recht gedrängt fühlen, dasjenige mitzuteilen und zu veröffentlichen, wozu ihn seine Urteilskraft, sein gesunder Wahrheitssinn und sein Gefühl treiben, auch wenn er nicht weiß, was über die betreffenden Dinge vom Gesichtspunkt zeitgenössischer Wissenschaft aus zu sagen ist. Nur der Verfasser dieses Buches möchte sich für sich an das oben Ausgesprochene halten. Er möchte zum Beispiel nicht die paar Sätze über das menschliche Drüsensystem oder das menschliche Nervensystem machen, welche in diesem Buche sich finden, wenn er nicht in der Lage wäre, über diese Dinge auch den Versuch zu machen, in den Formen zu sprechen, in denen ein gegenwärtiger Naturgelehrter vom Standpunkte der Wissenschaft aus über das Drüsen- oder Nervensystem spricht. - Trotzdem also das Urteil möglich ist, derjenige, welcher so, wie es hier geschieht, über „Wärme“ spricht, wisse nichts von den Anfangsgründen der gegenwärtigen Physik, ist doch richtig, dass sich der Verfasser dieses Buches vollberechtigt glaubt zu dem, was er getan hat, weil er die gegenwärtige Forschung wirklich zu kennen bestrebt ist, und dass er es unterlassen würde, so zu sprechen, wenn sie ihm fremd wäre. Er weiß, wie das Motiv, aus dem heraus ein solcher Grundsatz ausgesprochen wird, recht leicht mit Unbescheidenheit verwechselt werden kann. Es ist aber doch nötig, gegenüber diesem Buche solches auszusprechen, damit des Verfassers wahre Motive nicht mit noch ganz anderen verwechselt werden. Und diese Verwechslung könnte eben noch weit schlimmer sein als diejenige mit der Unbescheidenheit.
Nun wäre aber auch eine Beurteilung von einem philosophischen Standpunkte aus möglich. Sie könnte sich folgendermaßen gestalten. Wer als Philosoph dieses Buch liest, der frägt sich: „Hat der Verfasser die ganze erkenntnistheoretische Arbeit der Gegenwart verschlafen? Hat er nie etwas davon erfahren, dass ein Kant gelebt hat und dass, nach diesem, es einfach philosophisch unstatthaft ist, derlei Dinge vorzubringen?“ - Wieder könnte in dieser Richtung fortgeschritten werden. Aber auch so könnte die Beurteilung schließen: „Für den Philosophen ist derlei unkritisches, naives, laienhaftes Zeug unerträglich, und ein weiteres Eingehen darauf wäre Zeitverlust.“ - Aus demselben Motiv, das oben gekennzeichnet worden ist, möchte trotz aller Missverständnisse, die sich daran schließen können, der Verfasser auch hier wieder Persönliches vorbringen. Sein Kantstudium begann in seinem sechzehnten Lebensjahre; und heute glaubt er wahrhaftig, ganz objektiv alles das, was in dem vorliegenden Buch vorgebracht wird, vom Kantschen Standpunkte aus beurteilen zu dürfen. Er würde auch von dieser Seite her einen Grund gehabt haben, das Buch ungeschrieben zu lassen, wüsste er nicht, was einen Philosophen dazu bewegen kann, es naiv zu finden, wenn der kritische Maßstab der Gegenwart angelegt wird. Man kann aber wirklich wissen, wie im Sinne Kants hier die Grenzen einer möglichen Erkenntnis überschritten werden; man kann wissen, wie Herbart „naiven Realismus“ finden würde, der es nicht zur „Bearbeitung der Begriffe“ gebracht hat usw. usw.; man kann sogar wissen, wie der moderne Pragmatismus James, Schillers und so weiter das Maß dessen überschritten finden würde, was „wahre Vorstellungen“ sind, welche „wir uns aneignen, die wir geltend machen, in Kraft setzen und verifizieren können“. Man kann dies alles wissen und trotzdem, ja eben des halb sich berechtigt finden, diese hier vorliegenden Ausführungen zu schreiben. Der Verfasser dieses Buches hat sich mit philosophischen Gedankenrichtungen auseinandergesetzt in seinen Schriften „Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung“, „Wahrheit und Wissenschaft“, „Philosophie der Freiheit“, „Goethes Weltanschauung“, „Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert“, „Die Rätsel der Philosophie.“
Viele Arten von möglichen Beurteilungen könnten noch angeführt werden. Es könnte auch jemanden geben, welcher eine der früheren Schriften des Verfassers gelesen hat, zum Beispiel „Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert“ oder etwa dessen kleines Schriftchen: „Haeckel und seine Gegner“. Ein solcher konnte sagen: „Es ist geradezu unerfindlich, wie ein und derselbe Mensch diese Schriften und auch, neben der bereits von ihm erschienenen ‹Theosophie›, dieses hier vorliegende Buch schreiben kann. Wie kann man einmal so für Haeckel eintreten und dann wieder allem ins Gesicht schlagen, was als gesunder ‹Monismus› aus Haeckels Forschungen folgt? Man könnte begreifen, dass der Verfasser dieser ‹Geheimwissenschaft› mit ‹Feuer und Schwert› gegen Haeckel zu Felde ziehe; dass er ihn verteidigt hat, ja dass er ihm sogar ‹Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert› gewidmet hat, das ist wohl das Ungeheuerlichste, was sich denken lässt. Haeckel hätte sich für diese Widmung wohl ‹mit nicht mit zu verstehender Ablehnung› bedankt, wenn er gewusst hätte, dass der Widmer einmal solches Zeug schreiben werde, wie es diese ‹Geheimwissenschaft› mit ihrem mehr als plumpen Dualismus enthält.“ - Der Verfasser dieses Buches ist nun der Ansicht, dass man ganz gut Haeckel verstehen kann, und doch nicht zu glauben braucht, man verstünde ihn nur dann, wenn man alles für Unsinn hält, was nicht aus Haeckel eigenen Vorstellungen und Voraussetzungen fließt. Er ist aber ferner der Ansicht, dass man zum Verständnis Haeckel nicht kommt, wenn man ihn mit „Feuer und Schwert“ bekämpft, sondern wenn man auf dasjenige eingeht, was er der Wissenschaft geleistet hat. Und am allerwenigsten glaubt der Verfasser, dass die Gegner Haeckels im Rechte sind, gegen welche er zum Beispiel in seiner Schrift „Haeckel und seine Gegner“ den großen Naturdenker verteidigt hat. Wahrhaftig, wenn der Verfasser dieser Schrift weit über Haeckels Voraussetzungen hinausgeht und die geistige Ansicht über die Welt neben die bloß natürliche Haeckels setzt, so braucht er deshalb mit des letzteren Gegnern nicht einer Meinung zu sein. Wer sich bemüht, die Sache richtig anzusehen, wird den Einklang von des Verfassers gegenwärtigen Schriften mit seinen früheren schon bemerken können.
Auch ein solcher Beurteiler ist dem Verfasser völlig verständlich, der ganz im allgemeinen ohne weiteres die Ausführungen dieses Buches als Ergüsse einer wild gewordenen Phantastik oder eines träumerischen Gedankenspiels ansieht.
Doch ist alles, was in dieser Beziehung zu sagen ist, in dem Buche selbst enthalten. Es ist da gezeigt, wie in vollem Maße das vernunftgemäße Denken zum Probierstein des Dargestellten werden kann und soll. Wer auf dieses Dargestellte die vernunftgemäße Prüfung ebenso anwendet, wie sie sachgemäß zum Beispiel auf die Tatsachen der Naturwissenschaft angewendet wird, der erst wird entscheiden können, was die Vernunft bei solcher Prüfung sagt.
Nachdem so viel über solche Persönlichkeiten gesagt ist, welche dieses Buch zunächst ablehnen können, darf auch ein Wort an diejenigen fallen, welche sich zu demselben zustimmend zu verhalten Anlass haben. Für sie ist jedoch das Wesentlichste in dem ersten Kapitel „Charakter der Geheimwissenschaft“ enthalten. Ein weniges aber soll noch hier gesagt werden. Obwohl das Buch sich mit Forschungen befasst, welche dem an die Sinnenwelt gebundenen Verstand nicht erforschbar sind, so ist doch nichts vorgebracht, was nicht verständlich sein kann unbefangener Vernunft und gesundem Wahrheitssinn einer jeden Persönlichkeit, welche diese Gaben des Menschen anwenden will. Der Verfasser sagt es unumwunden: er möchte vor allem Leser, welche nicht gewillt sind, auf blinden Glauben hin die vorgebrachten Dinge anzunehmen, sondern welche sich bemühen, das Mitgeteilte an den Erkenntnissen der eigenen Seele und an den Erfahrungen des eigenen Lebens zu prüfen. Er möchte vor allem vorsichtige Leser, welche nur das logisch zu Rechtfertigende gelten lassen. Der Verfasser weiß, sein Buch wäre nichts wert, wenn es nur auf blinden Glauben angewiesen wäre; es ist nur in dem Maße tauglich, als es sich vor der unbefangenen Vernunft rechtfertigen kann. Der blinde Glaube kann so leicht das Törichte und Abergläubische mit dem Wahren verwechseln. Mancher, der sich mit dem bloßen Glauben an „Übersinnliches“ gerne begnügt, wird finden, dass in diesem Buche dem Denken zu viel zugemutet wird. Doch es handelt sich wahrlich bei den hier gegebenen Mitteilungen nicht bloß darum, dass etwas mitgeteilt werde, sondern darum, dass die Darstellung so ist, wie es einer gewissenhaften Anschauung auf dem entsprechenden Gebiete des Lebens angemessen ist. Es ist ja das Gebiet, wo sich diebhöchsten Dinge mit gewissenloser Charlatanerie, wo sich auch Erkenntnis und Aberglaube im wirklichen Leben so leicht berühren und wo sie, vor allem, auch so leicht verwechselt werden können.
Wer mit übersinnlicher Forschung bekannt ist, wird beim Lesen des Buches wohl merken, dass versucht worden ist, die Grenzen scharf einzuhalten zwischen dem, was aus dem Gebiete der übersinnlichen Erkenntnisse gegenwärtig mitgeteilt werden kann und soll, und dem, was zu einer späteren Zeit oder wenigstens in anderer Form dargestellt werden soll.
Geschrieben im Dezember 1909
Rudolf Steiner
Ein altes Wort: „Geheimwissenschaft“ wird für den Inhalt dieses Buches angewendet. Das Wort kann Veranlassung werden, dass sogleich bei den verschiedenen Menschen der Gegenwart die entgegengesetztesten Empfindungen wachgerufen werden. Für viele hat es etwas Abstoßendes; es ruft Spott, mitleidiges Lächeln, vielleicht Verachtung hervor. Sie stellen sich vor, dass eine Vorstellungsart, die sich so bezeichnet, nur auf einer müßigen Träumerei, auf Phantasterei beruhen könne, dass sich hinter solcher „vermeintlichen“ Wissenschaft nur der Drang verbergen könne, allerlei Aberglauben zu erneuern, den mit Recht meidet, wer „wahre Wissenschaftlichkeit“ und „echtes Erkenntnisstreben“ kennengelernt hat. Auf andere wirkt das Wort so, als ob ihnen das damit Gemeinte etwas bringen müsse, was auf keinem anderen Wege zu erlangen ist und zu dem sie, je nach ihrer Veranlagung, tief innerliche Erkenntnissehnsucht oder seelisch verfeinerte Neugierde hinzieht. Zwischen diesen schroff einander gegenüberstehenden Meinungen gibt es alle möglichen Zwischenstufen der bedingten Ablehnung oder Annahme dessen, was sich der eine oder der andere vorstellt, wenn er das Wort „Geheimwissenschaft“ vernimmt. - Es ist nicht in Abrede zu stellen, dass für manchen das Wort „Geheimwissenschaft“ deshalb einen zauberhaften Klang hat, weil es seine verhängnisvolle Sucht zu befriedigen scheint nach einem auf naturgemäßem Wege nicht zu erlangenden Wissen von einem „Unbekannten“, Geheimnisvollen, ja Unklaren. Denn viele Menschen wollen die tiefsten Sehnsuchten ihrer Seele nicht durch das befriedigen, was klar erkannt werden kann. Ihre Überzeugung geht dahin, dass es außer demjenigen, was man in der Welt erkennen könne, noch etwas geben müsse, das sich der Erkenntnis entzieht. Mit einem sonderbaren Widersinn, den sie nicht bemerken, lehnen sie für die tiefsten Erkenntnissehnsüchten alles ab, was „bekannt ist“, und wollen dafür nur etwas gelten lassen, wovon man nicht sagen könne, dass es durch naturgemäßes Forschen bekannt werde. Wer von „Geheimwissenschaft“ redet, wird gut daran tun, sich vor Augen zu halten, dass ihm Missverständnisse entgegenstehen, die von solchen Verteidigern einer derartigen Wissenschaft verursacht werden; von Verteidigern, die eigentlich nicht ein Wissen, sondern das Gegenteil davon anstreben.
Diese Ausführungen richten sich an Leser, welche sich ihre Unbefangenheit nicht dadurch nehmen lassen, dass ein Wort durch verschiedene Umstände Vorurteile hervorruft. Von einem Wissen, das in irgendeiner Beziehung als ein „geheimes“, nur durch besondere Schicksalsgunst für manchen zugängliches, gelten soll, wird hier nicht die Rede sein. Man wird dem hier gemeinten Wortgebrauche gerecht werden, wenn man an dasjenige denkt, was Goethe im Sinne hat, wenn er von den „offenbaren Geheimnissen“ in den Welterscheinungen spricht. Was in diesen Erscheinungen „geheim“, unoffenbar bleibt, wenn man sie nur durch die Sinne und den an die Sinne sich bindenden Verstand erfasst, das wird als der Inhalt einer übersinnlichen Erkenntnisart angesehen. Wer als „Wissenschaft“ nur gelten lässt, was durch die Sinne und den ihnen dienenden Verstand offenbar wird, für den kann selbstverständlich das hier als „Geheimwissenschaft“ Gemeinte keine Wissenschaft sein. Ein solcher müsste aber, wenn er sich selbst verstehen wollte, zugeben, dass er nicht aus einer begründeten Einsicht heraus, sondern durch einen seinem rein persönlichen Empfinden entstammenden Machtspruch eine „Geheimwissenschaft“ ablehnt. Um das zu sehen, hat man nur nötig, Überlegungen darüber anzustellen, wie Wissenschaft entsteht und welche Bedeutung sie im menschlichen Leben hat. Das Entstehen der Wissenschaft dem Wesen nach erkennt man nicht an dem Gegenstande, den die Wissenschaft ergreift. Man erkennt es an der im wissenschaftlichen Streben auftretenden Betätigungsart der menschlichen Seele. Wie sich die Seele verhält, indem sie Wissenschaft sich erarbeitet, darauf hat man zu sehen. Eignet man sich die Gewohnheit an, diese Betätigungsart nur dann ins Werk zu setzen, wenn die Offenbarungen der Sinne in Betracht kommen, dann gerät man leicht auf die Meinung, diese Sinnesoffenbarung sei das Wesentliche. Und man lenkt dann den Blick nicht darauf, dass ein gewisses Verhalten der menschlichen Seele eben nur auf die Sinnesoffenbarung angewendet worden ist. Aber man kann über diese willkürliche Selbstbeschränkung hinauskommen und, abgesehen von dem besonderen Falle der Anwendung, den Charakter der wissenschaftlichen Betätigung ins Auge fassen. Dies liegt zugrunde, wenn hier für die Erkenntnis nichtsinnlicher Weltinhalte als von einer „wissenschaftlichen“ gesprochen wird. An diesen Weltinhalten will sich die menschliche Vorstellungsart so betätigen, wie sie sich im anderen Falle an den naturwissenschaftlichen Weltinhalten betätigt. Geheimwissenschaft will die naturwissenschaftliche Forschungsart und Forschungsgesinnung, die auf ihrem Gebiete sich an den Zusammenhang und Verlauf der sinnlichen Tatsachen hält, von dieser besonderen Anwendung loslösen, aber sie in ihrer denkerischen und sonstigen Eigenart festhalten. Sie will über Nichtsinnliches in derselben Art sprechen, wie die Naturwissenschaft über Sinnliches spricht. Während die Naturwissenschaft im Sinnlichen mit dieser Forschungsart und Denkweise stehenbleibt, will Geheimwissenschaft die seelische Arbeit an der Natur als eine Art Selbsterziehung der Seele betrachten und das Anerzogene auf das nichtsinnliche Gebiet anwenden. Sie will so verfahren, dass sie zwar nicht über die sinnlichen Erscheinungen als solche spricht, aber über die nichtsinnlichen Weltinhalte so, wie der Naturforscher über die sinnenfälligen. Sie hält von dem naturwissenschaftlichen Verfahren die seelische Verfassung innerhalb dieses Verfahrens fest, also gerade das, durch welches Naturerkenntnis Wissenschaft erst wird. Sie darf sich deshalb als Wissenschaft bezeichnen.
Wer über die Bedeutung der Naturwissenschaft im menschlichen Leben Überlegungen anstellt, der wird finden, dass diese Bedeutung nicht erschöpft sein kann mit der Aneignung von Naturerkenntnissen. Denn diese Erkenntnisse können nie und nimmer zu etwas anderem führen als zu einem Erleben desjenigen, was die Menschenseele selbst nicht ist. Nicht in dem lebt das Seelische, was der Mensch an der Natur erkennt, sondern in dem Vorgang des Erkennens. In ihrer Betätigung an der Natur erlebt sich die Seele. Was sie in dieser Betätigung lebensvoll sich erarbeitet, das ist noch etwas anderes als das Wissen über die Natur selbst. Das ist an der Naturerkenntnis erfahrene Selbstentwicklung. Den Gewinn dieser Selbstentwicklung will die Geheimwissenschaft bestätigen auf Gebieten, die über die bloße Natur hinausliegen. Der Geheimwissenschafter will den Wert der Naturwissenschaft nicht verkennen, sondern ihn noch besser anerkennen als der Naturwissenschafter selbst. Er weiß dass er ohne die Strenge der Vorstellungsart, die in der Naturwissenschaft waltet, keine Wissenschaft begründen kann. Er weiß aber auch, dass, wenn diese Strenge durch ein echtes Eindringen in den Geist des naturwissenschaftlichen Denkens erworben ist, sie festgehalten werden kann durch die Kraft der Seele für andere Gebiete.
Etwas, was bedenklich machen kann, tritt dabei allerdings auf. In der Betrachtung der Natur wird die Seele durch den betrachteten Gegenstand in einem viel stärkeren Maße geleitet als in derjenigen nichtsinnlicher Weltinhalte. In dieser muss sie in einem höheren Maße aus rein inneren Impulsen heraus die Fähigkeit haben, das Wesen der wissenschaftlichen Vorstellungsart festzuhalten. Weil sehr viele Menschen - unbewusst - glauben, dass nur an dem Leitfaden der Naturerscheinungen dieses Wesen festgehalten werden kann, sind sie geneigt, durch einen Machtspruch sich dahin zu entscheiden; sobald dieser Leitfaden verlassen wird, tappt die Seele mit ihrem wissenschaftlichen Verfahren im Leeren. Solche Menschen haben sich die Eigenart dieses Verfahrens nicht zum Bewusstsein gebracht; sie bilden sich ihr Urteil zumeist aus den Verirrungen, die entstehen müssen, wenn die wissenschaftliche Gesinnung an den Naturerscheinungen nicht gefestigt genug ist und trotzdem die Seele sich an die Betrachtung des nichtsinnlichen Weltgebietes begeben will. Da entsteht selbstverständlich viel unwissenschaftliches Reden über nichtsinnliche Weltinhalte. Aber nicht deswegen, weil solches Reden seinem Wesen nach nicht wissenschaftlich sein kann, sondern weil es, im besonderen Falle, an der wissenschaftlichen Selbsterziehung durch die Naturbeobachtung hat fehlen lassen.
Wer von Geheimwissenschaft reden will, muss allerdings mit Rücksicht auf das eben Gesagte einen wachsamen Sinn haben für alles Irrlichtelierende, das entsteht, wenn über die offenbaren Geheimnisse der Welt etwas ausgemacht wird ohne wissenschaftliche Gesinnung. Dennoch führte es zu etwas Ersprießlichem nicht, wenn hier, gleich im Anfange geheimwissenschaftlicher Ausführungen, über alle möglichen Verirrungen gesprochen würde, die in der Seele vorurteilsvoller Personen jedes Forschen in dieser Richtung in Missachtung bringen, weil solche Personen aus dem Vorhandensein wahrlich recht zahlreicher Verirrungen auf das Unberechtigte des ganzen Strebens schließen. Da aber zumeist bei Wissenschaftern oder wissenschaftlich gesinnten Beurteilern die Ablehnung der Geheimwissenschaft doch nur auf dem oben gekennzeichneten Machtspruch beruht und die Berufung auf die Verirrungen nur - oft unbewusster - Vorwand ist, so wird eine Auseinandersetzung mit solchen Gegnern zunächst wenig fruchtbar sein. Nichts hindert sie ja, den gewiss durchaus berechtigten Einwand zu machen, dass von vornherein durch nichts festgestellt werden kann, ob denn bei demjenigen, der andere in Verirrung befangen glaubt, der oben gekennzeichnete feste Grund wirklich vorhanden ist. Daher kann der nach einer Geheimwissenschaft Strebende nur einfach vorführen, was er glaubt sagen zu dürfen. Das Urteil über seine Berechtigung können nur andere, aber auch nur solche Personen sich bilden, welche unter Vermeidung aller Machtsprüche sich einzulassen vermögen auf die Art seiner Mitteilungen über die offenbaren Geheimnisse des Weltgeschehens. Obliegen wird ihm allerdings, zu zeigen, wie sich das von ihm Vorgebrachte zu anderen Errungenschaften des Wissens und des Lebens verhält, welche Gegnerschaften möglich sind und inwieferne die unmittelbare äußere sinnenfällige Lebenswirklichkeit Bestätigungen bringt für seine Beobachtungen. Aber er sollte niemals darnach streben, seine Darstellung so zu halten, dass diese statt durch ihren Inhalt durch seine Überredungskunst wirke.
Man kann gegenüber geheimwissenschaftlichen Ausführungen oftmals den Einwand hören: diese beweisen nicht, was sie vorbringen; sie stellen nur das eine oder das andere hin und sagen: die Geheimwissenschaft stelle dieses fest. Die folgenden Ausführungen verkennt man, wenn man glaubt, irgend etwas in ihnen sei in diesem Sinne vorgebracht. Was hier angestrebt wird, ist, das in der Seele am Naturwissen Entfaltete sich so weiter entwickeln zu lassen, wie es sich seiner eigenen Wesenheit nach entwickeln kann, und dann darauf aufmerksam zu machen, dass bei solcher Entwicklung die Seele auf übersinnliche Tatsachen stößt. Es wird dabei vorausgesetzt, dass jeder Leser, der auf das Ausgeführte einzugehen vermag, ganz notwendig auf diese Tatsachen stößt. Ein Unterschied gegenüber der rein naturwissenschaftlichen Betrachtung liegt allerdings in dem Augenblicke vor, in dem man das geisteswissenschaftliche Gebiet betritt. In der Naturwissenschaft liegen die Tatsachen im Felde der Sinneswelt vor; der wissenschaftliche Darsteller betrachtet die Seelenbetätigung als etwas, das gegenüber dem Zusammenhang und Verlauf der Sinnes-Tatsachen zurücktritt. Der geisteswissenschaftliche Darsteller muss diese Seelenbetätigung in den Vordergrund stellen; denn der Leser gelangt nur zu den Tatsachen, wenn er diese Seelenbetätigung in rechtmäßiger Weise zu seiner eigenen macht. Diese Tatsachen sind nicht wie in der Naturwissenschaft - allerdings unbegriffen - auch ohne die Seelenbetätigung vor der menschlichen Wahrnehmung; sie treten vielmehr in diese nur durch die Seelenbetätigung. Der geisteswissenschaftliche Darsteller setzt also voraus, dass der Leser mit ihm gemeinsam die Tatsachen sucht. Seine Darstellung wird in der Art gehalten sein, dass er von dem Auffinden dieser Tatsachen erzählt und dass in der Art, wie er erzählt, nicht persönliche Willkür, sondern der an der Naturwissenschaft heranerzogene wissenschaftliche Sinn herrscht. Er wird daher auch genötigt sein, von den Mitteln zu sprechen, durch die man zu einer Betrachtung des Nichtsinnlichen - des Übersinnlichen - gelangt. - Wer sich in eine geheimwissenschaftliche Darstellung einlässt, der wird bald einsehen, dass durch sie Vorstellungen und Ideen erworben werden, die man vorher nicht gehabt hat. So kommt man zu neuen Gedanken auch über das, was man vorher über das Wesen des „Beweisens“ gemeint hat. Man lernt erkennen, dass für die naturwissenschaftliche Darstellung das „Beweisen“ etwas ist, was an diese gewissermaßen von außen herangebracht wird. Im geisteswissenschaftlichen Denken liegt aber die Betätigung, welche die Seele beim naturwissenschaftlichen Denken auf den Beweis wendet, schon in dem Suchen nach den Tatsachen. Man kann diese nicht finden, wenn nicht der Weg zu ihnen schon ein beweisender ist. Wer diesen Weg wirklich durchschreitet, hat auch schon das Beweisende erlebt; es kann nichts durch einen von außen hinzugefügten Beweis geleistet werden. Dass man dieses im Charakter der Geheimwissenschaft verkennt, ruft viele Missverständnisse hervor.
Alle Geheimwissenschaft muss aus zwei Gedanken hervorkeimen, die in jedem Menschen Wurzel fassen können. Für den Geheimwissenschafter, wie er hier gemeint ist, drücken diese beiden Gedanken Tatsachen aus, die man erleben kann, wenn man sich der rechten Mittel dazu bedient. Für viele Menschen bedeuten schon diese Gedanken höchst anfechtbare Behauptungen, über die sich viel streiten lässt, wenn nicht gar etwas, dessen Unmöglichkeit man „beweisen“ kann.
Diese beiden Gedanken sind, dass es hinter der sichtbaren Welt eine unsichtbare, eine zunächst für die Sinne und das an diese Sinne gefesselte Denken verborgene Welt gibt, und dass es dem Menschen durch Entwicklung von Fähigkeiten, die in ihm schlummern, möglich ist, in diese verborgene Welt einzudringen.
Solch eine verborgene Welt gibt es nicht, sagt der eine. Die Welt, welche der Mensch durch seine Sinne wahrnimmt, sei die einzige. Man könne ihre Rätsel aus ihr selbst lösen. Wenn auch der Mensch gegenwärtig noch weit davon entfernt sei, alle Fragen des Daseins beantworten zu können, es werde schon die Zeit kommen, wo die Sinneserfahrung und die auf sie gestützte Wissenschaft die Antworten werden geben können.
Man könne nicht behaupten, dass es nicht eine verborgene Welt hinter der sichtbaren gebe, sagen andere; aber die menschlichen Erkenntniskräfte können nicht in diese Welt eindringen. Sie haben Grenzen, die sie nicht überschreiten können. Mag das Bedürfnis des „Glaubens“ zu einer solchen Welt seine Zuflucht nehmen: eine wahre Wissenschaft, die sich auf gesicherte Tatsachen stützt, könne sich mit einer solchen Welt nicht beschäftigen.
Eine dritte Partei ist die, welche es für eine Art Vermessenheit ansieht, wenn der Mensch durch seine Erkenntnisarbeit in ein Gebiet eindringen will, in Bezug auf welches man auf „Wissen“ verzichten und sich mit dem „Glauben“ bescheiden soll. Wie ein Unrecht empfinden es die Bekenner dieser Meinung, wenn der schwache Mensch vordringen will in eine Welt, die einzig dem religiösen Leben angehören könne.
Auch das wird vorgebracht, dass allen Menschen eine gemeinsame Erkenntnis der Tatsachen der Sinneswelt möglich sei, dass aber in Bezug auf die übersinnlichen Dinge einzig die persönliche Meinung des einzelnen in Frage kommen könne und dass von einer allgemein geltenden Gewissheit in diesen Dingen nicht gesprochen werden sollte.
Andere behaupten vieles andere.
Man kann sich klar darüber werden, dass die Betrachtung der sichtbaren Welt dem Menschen Rätsel vorlegt, die niemals aus den Tatsachen dieser Welt selbst gelöst werden können. Sie werden auch dann auf diese Art nicht gelöst werden, wenn die Wissenschaft dieser Tatsachen so weit wie nur irgend möglich fortgeschritten sein wird. Denn die sichtbaren Tatsachen weisen deutlich durch ihre eigene innere Wesenheit auf eine verborgene Welt hin. Wer solches nicht einsieht, der verschließt sich den Rätseln, die überall deutlich aus den Tatsachen der Sinneswelt hervorspringen. Er will gewisse Fragen und Rätsel gar nicht sehen; deshalb glaubt er, dass alle Fragen durch die sinnenfälligen Tatsachen beantwortet werden können. Diejenigen Fragen, welche er stellen will, sind wirklich auch alle durch die Tatsachen zu beantworten, von denen er sich verspricht, dass man sie im Laufe der Zukunft entdecken werde. Das kann man ohne weiteres zugeben. Aber warum sollte der auch auf Antworten in gewissen Dingen warten, der gar keine Fragen stellt? Wer nach Geheimwissenschaft strebt, sagt nichts anderes, als dass für ihn solche Fragen selbstverständlich seien und dass man sie als einen vollberechtigten Ausdruck der menschlichen Seele anerkennen müsse. Die Wissenschaft kann doch nicht dadurch in Grenzen eingezwängt werden, dass man dem Menschen das unbefangene Fragen verbietet.
Zu der Meinung, der Mensch habe Grenzen seiner Erkenntnis, die er nicht überschreiten könne und die ihn zwingen, vor einer unsichtbaren Welt haltzumachen, muss doch gesagt werden: es kann gar kein Zweifel obwalten, dass man durch diejenige Erkenntnisart, welche da gemeint ist, nicht in eine unsichtbare Welt eindringen könne. Wer diese Erkenntnisart für die einzig mögliche hält, der kann gar nicht zu einer anderen Ansicht als zu der kommen, dass es dem Menschen versagt sei, in eine etwa vorhandene höhere Welt einzudringen. Aber man kann doch auch das Folgende sagen: wenn es möglich ist, eine andere Erkenntnisart zu entwickeln, so kann doch diese in die übersinnliche Welt führen. Hält man eine solche Erkenntnisart für unmöglich, dann kommt man zu einem Gesichtspunkte, von dem aus gesehen alles Reden über eine übersinnliche Welt als der reine Unsinn erscheint. Gegenüber einem unbefangenen Urteil kann es aber für eine solche Meinung keinen anderen Grund geben als den, dass dem Bekenner derselben jene andere Erkenntnisart unbekannt ist. Wie kann man aber über dasjenige überhaupt urteilen, von dem man behauptet, dass man es nicht kenne? Unbefangenes Denken muss sich zu dem Satze bekennen, dass man nur von demjenigen spreche, was man kennt, und dass man über dasjenige nichts feststelle, was man nicht kennt. Solches Denken kann nur von dem Rechte sprechen, dass jemand eine Sache mitteile, die er erfahren hat, nicht aber von einem Rechte, dass jemand für unmöglich erkläre, was er nicht weiß oder nicht wissen will. Man kann niemand das Recht bestreiten, sich um das Übersinnliche nicht zu kümmern; aber niemals kann sich ein echter Grund dafür ergeben, dass jemand nicht nur für das sich maßgebend erklärte, was er wissen kann, sondern auch für alles das, was „ein Mensch“ nicht wissen kann.
Denen gegenüber, welche es als Vermessenheit erklären, in das übersinnliche Gebiet einzudringen, muss eine geheimwissenschaftliche Betrachtung zu bedenken geben, dass man dies könne und dass es eine Versündigung sei gegen die dem Menschen gegebenen Fähigkeiten, wenn er sie veröden lässt, statt sie zu entwickeln und sich ihrer zu bedienen.
Wer aber glaubt, die Ansichten über die übersinnliche Welt müssen ganz dem persönlichen Meinen und Empfinden angehören, der verleugnet das Gemeinsame in allen menschlichen Wesen. Es ist gewiss richtig, dass die Einsicht in diese Dinge ein jeder durch sich selbst finden müsse, es ist auch eine Tatsache, dass alle diejenigen Menschen, welche nur weit genug gehen, über diese Dinge nicht zu verschiedenen, sondern zu der gleichen Einsicht kommen. Die Verschiedenheit ist nur solange vorhanden, als sich die Menschen nicht auf einem wissenschaftlich gesicherten Wege, sondern auf dem der persönlichen Willkür den höchsten Wahrheiten nähern wollen. Das allerdings muss ohne weiteres wieder zugestanden werden, dass nur derjenige die Richtigkeit des geheimwissenschaftlichen Weges anerkennen könne, der sich in dessen Eigenart einleben will.
Den Weg zur Geheimwissenschaft kann jeder Mensch in dem für ihn geeigneten Zeitpunkte finden, der das Vorhandensein eines Verborgenen aus dem Offenbaren heraus erkennt oder auch nur vermutet oder ahnt, und welcher aus dem Bewusstsein heraus, dass die Erkenntniskräfte entwicklungsfähig seien, zu dem Gefühl getrieben wird, dass das Verborgene sich ihm enthüllen könne. Einem Menschen, der durch diese Seelenerlebnisse zur Geheimwissenschaft geführt wird, dem eröffnet sich durch diese nicht nur die Aussicht, dass er für gewisse Fragen seines Erkenntnisdranges die Antwort finden werde, sondern auch noch die ganz andere, dass er zum Überwinder alles dessen wird, was das Leben hemmt und schwach macht. Und es bedeutet in einem gewissen höheren Sinne eine Schwächung des Lebens, ja einen seelischen Tod, wenn der Mensch sich gezwungen sieht, sich von dem Übersinnlichen abzuwenden oder es zu leugnen. Ja, es führt unter gewissen Voraussetzungen zur Verzweiflung, wenn ein Mensch die Hoffnung verliert, dass ihm das Verborgene offenbar werde. Dieser Tod und diese Verzweiflung in ihren mannigfaltigen Formen sind zugleich innere, seelische Gegner geheimwissenschaftlicher Bestrebung. Sie treten ein, wenn des Menschen innere Kraft dahinschwindet. Dann muss ihm alle Kraft des Lebens von außen zugeführt werden, wenn überhaupt eine solche in seinen Besitz kommen soll. Er nimmt dann die Dinge, die Wesenheiten und Vorgänge wahr, welche an seine Sinne herantreten; er zergliedert diese mit seinem Verstande. Sie bereiten ihm Freude und Schmerz; sie treiben ihn zu den Handlungen, deren er fähig ist. Er mag es eine Weile so weiter treiben: er muss aber doch einmal an einen Punkt gelangen, an dem er innerlich abstirbt. Denn was so aus der Welt für den Menschen herausgezogen werden kann, erschöpft sich. Dies ist nicht eine Behauptung, welche aus der persönlichen Erfahrung eines einzelnen stammt, sondern etwas, was sich aus einer unbefangenen Betrachtung alles Menschenlebens ergibt. Was vor dieser Erschöpfung bewahrt, ist das Verborgene, das in der Tiefe der Dinge ruht. Erstirbt in dem Menschen die Kraft, in diese Tiefen hinunterzusteigen, um immer neue Lebenskraft heraufzuholen, so erweist sich zuletzt auch das Äußere der Dinge nicht mehr lebenfördernd.
Die Sache verhält sich keineswegs so, dass sie nur den einzelnen Menschen, nur dessen persönliches Wohl und Wehe anginge. Gerade durch wahre geheimwissenschaftliche Betrachtungen wird es dem Menschen zur Gewissheit, dass von einem höheren Gesichtspunkte aus das Wohl und Wehe des einzelnen innig zusammenhängt mit dem Heile oder Unheile der ganzen Welt. Es gibt da einen Weg, auf dem der Mensch zu der Einsicht gelangt, dass er der ganzen Welt und allen Wesen in ihr einen Schaden zufügt, wenn er seine Kräfte nicht in der rechten Art zur Entfaltung bringt. Verödet der Mensch sein Leben dadurch, dass er den Zusammenhang mit dem Übersinnlichen verliert, so zerstört er nicht nur in seinem Innern etwas, dessen Absterben ihn zur Verzweiflung zuletzt führen kann, sondern er bildet durch seine Schwäche ein Hemmnis für die Entwicklung der ganzen Welt, in der er lebt.
Nun kann sich der Mensch täuschen. Er kann sich dem Glauben hingeben, dass es ein Verborgenes nicht gäbe, dass in demjenigen, was an seine Sinne und an seinen Verstand herantritt, schon alles enthalten sei, was überhaupt vorhanden sein kann. Aber diese Täuschung ist nur für die Oberfläche des Bewusstseins möglich, nicht für dessen Tiefe. Das Gefühl und der Wunsch fügen sich diesem täuschenden Glauben nicht. Sie werden immer wieder in irgendeiner Art nach einem Verborgenen verlangen. Und wenn ihnen dieses entzogen ist, drängen sie den Menschen in Zweifel, in Lebensunsicherheit, ja eben in die Verzweiflung hinein. Ein Erkennen, welches das Verborgene offenbar macht, ist geeignet, alle Hoffnungslosigkeit, alle Lebensunsicherheit, alle Verzweiflung, kurz alles dasjenige zu überwinden, was das Leben schwächt und es unfähig zu dem ihm notwendigen Dienste im Weltganzen macht.
Das ist die schöne Frucht geisteswissenschaftlicher Erkenntnisse, dass sie dem Leben Stärke und Festigkeit und nicht allein der Wissbegierde Befriedigung geben. Der Quell, aus dem solche Erkenntnisse Kraft zur Arbeit, Zuversicht für das Leben schöpfen, ist ein unversieglicher. Keiner, der einmal an diesen Quell wahrhaft herangekommen ist, wird bei wiederholter Zuflucht, die er zu demselben nimmt, ungestärkt hinweggehen.
Es gibt Menschen, die aus dem Grunde von solchen Erkenntnissen nichts wissen wollen, weil sie in dem eben Gesagten schon etwas Ungesundes sehen. Für die Oberfläche und das Äußere des Lebens haben solche Menschen durchaus recht. Sie wollen das nicht verkümmert wissen, was das Leben in der sogenannten Wirklichkeit darbietet. Sie sehen eine Schwäche darin, wenn sich der Mensch von der Wirklichkeit abwendet und sein Heil in einer verborgenen Welt sucht, die für sie ja einer phantastischen, erträumten gleichkommt. Will man bei solchem geisteswissenschaftlichen Suchen nicht in krankhafte Träumerei und Schwäche verfallen, so muss man das teilweise Berechtigte solcher Einwände anerkennen. Denn sie beruhen auf einem gesunden Urteile, welches nur dadurch nicht zu einer ganzen, sondern zu einer halben Wahrheit führt, dass es nicht in die Tiefen der Dinge dringt, sondern an deren Oberfläche stehenbleibt. - Wäre ein übersinnliches Erkenntnisstreben dazu angetan, das Leben zu schwächen und den Menschen zur Abkehr zu bringen von der wahren Wirklichkeit, dann wären sicher solche Einwände stark genug, dieser Geistesrichtung den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
Aber auch diesen Meinungen gegenüber würden geheimwissenschaftliche Bestrebungen nicht den rechten Weg gehen, wenn sie sich im gewöhnlichen Sinne des Wortes „verteidigen“ wollten. Auch da können sie nur durch ihren für jeden Unbefangenen erkennbaren Wert sprechen, wenn sie fühlbar machen, wie sie Lebenskraft und Lebensstärke dem erhöhen, der sich im rechten Sinne in sie einlebt. Diese Bestrebungen können nicht zum weltfremden Menschen, nicht zum Träumer machen; sie erkraften den Menschen aus denjenigen Lebensquellen, aus denen er, seinem geistig-seelischen Teil nach, stammt.
Andere Hindernisse des Verständnisses noch legen sich manchem Menschen in den Weg, wenn er an geheimwissenschaftliche Bestrebungen herantritt. Es ist nämlich grundsätzlich zwar richtig, dass der Leser in der geheimwissenschaftlichen Darstellung eine Schilderung findet von Seelenerlebnissen, durch deren Verfolgung er sich zu den übersinnlichen Weltinhalten hinbewegen kann. Allein in der Praxis muss sich dieses doch als eine Art Ideal ausleben. Der Leser muss zunächst eine größere Summe von übersinnlichen Erfahrungen, die er noch nicht selbst erlebt, mitteilungsgemäß aufnehmen. Das kann nicht anders sein und wird auch mit diesem Buche so sein. Es wird geschildert werden, was der Verfasser zu wissen vermeint über das Wesen des Menschen, über dessen Verhalten in Geburt und Tod und im leibfreien Zustande in der geistigen Welt; es wird ferner dargestellt werden die Entwicklung der Erde und der Menschheit. So könnte es scheinen, als ob doch die Voraussetzung gemacht würde, dass eine Anzahl vermeintlicher Erkenntnisse wie Dogmen vorgetragen würden, für die Glauben auf Autorität hin verlangt würde. Es ist dies aber doch nicht der Fall. Was nämlich von übersinnlichen Weltinhalten gewusst werden kann, das lebt in dem Darsteller als lebendiger Seeleninhalt; und lebt man sich in diesen Seeleninhalt ein, so entzündet dieses Einleben in der eigenen Seele die Impulse, welche nach den entsprechenden übersinnlichen Tatsachen hinführen. Man lebt im Lesen von geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen auf andere Art, als in demjenigen der Mitteilungen sinnenfälliger Tatsachen. Liest man Mitteilungen aus der sinnenfälligen Welt, so liest man eben über sie. Liest man aber Mitteilungen über übersinnliche Tatsachen im rechten Sinne, so lebt man sich ein in den Strom geistigen Daseins. Im Aufnehmen der Ergebnisse nimmt man zugleich den eigenen Innenweg dazu auf. Es ist richtig, dass dies hier Gemeinte von dem Leser zunächst oft gar nicht bemerkt wird. Man stellt sich den Eintritt in die geistige Welt viel zu ähnlich einem sinnenfälligen Erlebnis vor, und so findet man, dass, was man beim Lesen von dieser Welt erlebt, viel zu gedankenmäßig ist. Aber in dem wahren gedankenmäßigen Aufnehmen steht man in dieser Welt schon drinnen und hat sich nur noch klar darüber zu werden, dass man schon unvermerkt erlebt hat, was man vermeinte, bloß als Gedankenmitteilung erhalten zu haben. - Man wird über die echte Natur dieses Erlebten dann volle Klarheit erhalten, wenn man praktisch durchführt, was im zweiten (letzten) Teile dieses Buches als „Weg“ zu den übersinnlichen Erkenntnissen geschildert wird. Man könnte leicht glauben, das Umgekehrte sei richtig: dieser Weg müsse zuerst geschildert werden. Das ist aber nicht der Fall. Wer, ohne auf bestimmte Tatsachen der übersinnlichen Welt den Seelenblick zu richten, nur „Übungen“ macht, um in die übersinnliche Welt einzutreten, für den bleibt diese Weit ein unbestimmtes, sich verwirrendes Chaos. Man lernt sich einleben in diese Welt gewissermaßen naiv, indem man sich über bestimmte Tatsachen derselben unterrichtet, und dann gibt man sich Rechenschaft, wie man - die Naivität verlassend - vollbewusst selbst zu den Erlebnissen gelangt, von denen man Mitteilung erlangt hat. Man wird sich, wenn man in geheimwissenschaftliche Darstellungen eindringt, überzeugen, dass ein sicherer Weg zu übersinnlicher Erkenntnis doch nur dieser sein kann. Man wird auch erkennen, dass alle Meinung, es könnten die übersinnlichen Erkenntnisse zuerst als Dogmen gewissermaßen durch suggestive Macht wirken, unbegründet ist. Denn der Inhalt dieser Erkenntnisse wird in einem solchen Seelenleben erworben, das ihm jede bloß suggestive Gewalt benimmt und ihm nur die Möglichkeit gibt, auf demselben Wege zum anderen zu sprechen, auf dem alle Wahrheiten zu ihm sprechen, die sich an sein besonnenes Urteil richten. Dass der andere zunächst nicht bemerkt, wie er in der geistigen Welt lebt, dazu liegt nicht der Grund in einem unbesonnenen suggestiven Aufnehmen, sondern in der Feinheit und dem Ungewohnten des im Lesen Erlebten. - So wird man durch das erste Aufnehmen der Mitteilungen, wie sie im ersten Teile dieses Buches gegeben sind, zunächst Mit - Erkenner der übersinnlichen Welt; durch die praktische Ausführung der im zweiten Teile angegebenen Seelenverrichtungen wird man selbständiger Erkenner in dieser Welt.
Dem Geiste und dem wahren Sinne nach wird auch kein echter Wissenschafter einen Widerspruch finden können zwischen seiner auf den Tatsachen der Sinnenwelt erbauten Wissenschaft und der Art, wie die übersinnliche Welt erforscht wird. Jener Wissenschafter bedient sich gewisser Werkzeuge und Methoden. Die Werkzeuge stellt er sich durch Verarbeitung dessen her, was ihm die „Natur“ gibt. Die übersinnliche Erkenntnisart bedient sich auch eines Werkzeugs. Nur ist dieses Werkzeug der Mensch selbst. Und auch dieses Werkzeug muss für die höhere Forschung erst zugerichtet werden. Es müssen in ihm die zunächst ohne des Menschen Zutun ihm von der „Natur“ gegebenen Fähigkeiten und Kräfte in höhere umgewandelt werden. Dadurch kann sich der Mensch selbst zum Instrument machen für die Erforschung der übersinnlichen Welt.
Bei der Betrachtung des Menschen vom Gesichtspunkte einer übersinnlichen Erkenntnisart tritt sogleich in Kraft, was von dieser Erkenntnisart im allgemeinen gilt. Diese Betrachtung beruht auf der Anerkennung des „offenbaren Geheimnisses“ in der eigenen menschlichen Wesenheit. Den Sinnen und dem auf sie gestützten Verstande ist nur ein Teil von dem zugänglich, was in übersinnlicher Erkenntnis als menschliche Wesenheit erfasst wird, nämlich der physische Leib. Um den Begriff von diesem physischen Leib zu beleuchten, muss zunächst die Aufmerksamkeit auf die Erscheinung gelenkt werden, die wie das große Rätsel über alle Beobachtung des Lebens ausgebreitet liegt: auf den Tod und, im Zusammenhang damit, auf die sogenannte leblose Natur, auf das Reich des Mineralischen, das stets den Tod in sich trägt. Es ist damit auf Tatsachen hingewiesen, deren volle Aufklärung nur durch übersinnliche Erkenntnis möglich ist und denen ein wichtiger Teil dieser Schrift gewidmet werden muss. Hier aber sollen vorerst nur einige Vorstellungen zur Orientierung angeregt werden.
Innerhalb der offenbaren Welt ist der physische Menschenleib dasjenige, worinnen der Mensch der mineralischen Welt gleich ist. Dagegen kann nicht als physischer Leib das gelten, was den Menschen vom Mineral unterscheidet. Für eine unbefangene Betrachtung ist vor allem die Tatsache wichtig, dass der Tod dasjenige von der menschlichen Wesenheit bloßlegt, was, wenn der Tod eingetreten ist, mit der mineralischen Welt gleicher Art ist. Man kann auf den Leichnam als auf das vom Menschen hinweisen, was nach dem Tode Vorgängen unterworfen ist, die sich im Reiche der mineralischen Welt finden. Man kann die Tatsache betonen, dass in diesem Gliede der Menschenwesenheit, dem Leichnam, dieselben Stoffe und Kräfte wirksam sind wie im mineralischen Gebiet; aber nötig ist, nicht minder stark zu betonen, dass mit dem Tode für diesen physischen Leib der Zerfall eintritt. Berechtigt ist aber auch, zu sagen: gewiss, es sind im physischen Menschenleibe dieselben Stoffe und Kräfte wirksam wie im Mineral; aber ihre Wirksamkeit ist während des Lebens in einen höheren Dienst gestellt. Sie wirken erst der mineralischen Welt gleich, wenn der Tod eingetreten ist. Da treten sie auf, wie sie ihrer eigenen Wesenheit gemäß auftreten müssen, nämlich als Auflöser der physischen Leibesgestaltung.