Die Geistermühle - Diverse - - E-Book

Die Geistermühle E-Book

Diverse

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Beschreibung

In diesem spannenden Doppelband "Gaslicht & Irrlicht" werden die Leser in eine Welt voller Geheimnisse und unheimlicher Legenden entführt. Gaslicht: Die Protagonistin wird in einen mysteriösen Fall verwickelt, der sie in die dunklen Schatten der Vergangenheit einer Stadt führt. Intrigen und unerwartete Wendungen zeichnen diese packende Erzählung aus, in der das Gaslicht mehr ist als nur eine Beleuchtung – es birgt auch gefährliche Geheimnisse. Irrlicht: Parallel dazu folgt die Geschichte von unheimlichen Lichtern, die Wanderer in die Irre führen. Ein unerklärliches Licht zieht die Protagonisten in ein Abenteuer, das sie an die Grenzen ihrer Vorstellungskraft bringt. Der Roman verwebt Mythos und Realität und hält die Leser bis zur letzten Seite in Atem. Gemeinsam bieten diese Erzählungen ein fesselndes Leseerlebnis, das die Themen von Schatten, Geheimnissen und übernatürlichen Phänomenen meisterhaft miteinander verknüpft. E-Book 1: Die Geistermühle E-Book 2: Das Cottagedes Verderbens

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Seitenzahl: 224

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Inhalt

Die Geistermühle

Das Cottagedes Verderbens

Gaslicht und Irrlicht – 2 –

Die Geistermühle

Das Cottagedes Verderbens

Diverse -

Die Geistermühle

Roman von Danielle Baton

Jill wollte wissen, wer die Frau, die immer noch bei der Anrichte stand, war und was sie hier suchte. Entschlossen trat sie nach vorn und streckte ihre Hand aus. »Darf ich fragen, wer Sie sind? Diese Mühle gehört …« Die Worte erstarben auf ihren Lippen, denn im selben Augenblick, als sie die Frau berührte, geschah etwas Unheimliches! Es war, als greife sie in einen Nebel. Ihre Hand fuhr durch die Gestalt hindurch, die jetzt in einem geisterhaften Licht glühte, und dann löste sich die Frau vor ihren Augen in Nichts auf. Jill spürte, wie sich ihr die Haare sträubten, ihr Herz raste und sie merkte, wie sie kaum noch Luft bekam. Endlich entrang sich ihrer Kehle ein entsetzter, aber erlösender Schrei, der durch die ganze Mühle gellte. Dann sank Jill ohnmächtig zu Boden …

Der Himmel war wolkenverhangen, als die kleine Gestalt den Weg zur alten Mühle hinaufhuschte. Aus dem Fenster leuchtete ein warmes Licht in das Dunkel hinaus, gerade so, wie ein Leuchtturm dem Seemann den Weg in den sicheren Hafen zeigt. Dabei war es erst Mittag.

Die Frau öffnete die Tür und trat ein. Sie durchschritt den kleinen Flur und ging in das angrenzende Wohnzimmer.

»Guten Tag«, sagte die Frau in dem Sessel, der neben einer Anrichte stand.

Darauf hatte sie ein Tablett mit Teekanne und Tasse abgestellt.

»Scheußliches Wetter«, murmelte die Angekommene. »Es wird immer schlimmer. Und das in dieser Jahreszeit.«

Ihr Blick fiel auf die Teekanne.

»Der ist doch bestimmt schon kalt. Ich werde Neuen kochen.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie in die Küche und setzte Wasser auf. Dann nahm sie zwei Tassen aus dem Geschirrschrank und spülte sie mit heißem Wasser aus.

»Ich habe jetzt den Namen«, hörte sie die Stimme aus dem Wohnzimmer.

»Welchen Namen?«, rief sie zurück.

»Den von meiner Großnichte«, lautete die Antwort. »Ich habe dir doch davon erzählt. Von dem Testament. Weißt du es wirklich nicht mehr?«

Die Frau in der Küche zuckte zusammen. Sie lächelte böse, als sie ein Fläschchen aus ihrer Tasche zog und von dem Inhalt etwas in eine der Tassen tröpfelte. Sie goss den Tee auf und wartete, bis er gezogen hatte. Dann füllte sie die Tassen, gab einen Schuss Rum hinein und fügte etwas Zucker hinzu.

»Sie heißt Jill Roberts und wohnt irgendwo in London«, sagte die Frau im Wohnzimmer. »Wo, weiß ich nicht, aber das werden die Anwälte herausfinden, wenn ich gestorben bin.«

»Was redest du für Unsinn?«, sagte die andere. »Trink deinen Tee. Du wirst mich und alle anderen noch überleben.«

Sie beobachtete die Frau im Sessel, die die Tasse an die Lippen führte und trank.

Plötzlich weiteten sich die Augen der Trinkenden, die Tasse fiel aus ihren Händen und zerschellte am Boden. Die Frau griff sich an den Leib und stöhnte unter den Krämpfen, die ihren Körper peinigten.

Die andere beobachtete reglos, was sich da vor ihren Augen abspielte. Dann ging sie zum Sessel hinüber und stieß die Tote an.

»Du bist selbst schuld!«, zischte sie.

Es herrschte einen Moment Totenstille, dann machte sich die Frau daran, die Mühle zu durchsuchen.

Dabei konzentrierte sie sich auf die Anrichte, von der sie wusste, dass dort bestimmte Dinge aufbewahrt wurden. Aber ihre Suche sollte nicht von Erfolg gekrönt sein. Schließlich gab sie auf und griff zum Telefon.

»Dr. Fowley«, sagte sie in den Hörer. »Kommen Sie bitte zur Mühle. Mrs. Webster geht es nicht gut.«

*

»Puh, tun mir die Füße weh!«

Louisa Brown ließ sich auf einen der Stühle nieder, die im Frühstücksraum standen, und streckte die Beine aus.

»Hoffentlich finde ich bald einen reichen Mann, der mich heiratet«, plapperte die hübsche Dunkelhaarige weiter. »Dann muss ich nicht mehr stundenlang den feinen Ladys irgendwelche Parfüms und Cremes verkaufen.«

Jill Roberts sah die Kollegin belustigt an. Sie saßen zusammen im Frühstücksraum der Angestellten des berühmten Londoner Kaufhauses Harrods und genossen ihre kurze Pause.

Davon, dass ein reicher Traumprinz käme und sie vom Fleck wegheiratete, schwärmte Louisa, seit sie gemeinsam mit Jill vor drei Jahren dort angefangen hatte. Zwar gab es genügend reiche Leute, die hier einkauften, aber der ersehnte Mann war bisher nicht darunter gewesen.

»Karen und ich wollen nachher noch einen kleinen Einkaufsbummel machen«, wechselte Louisa nun das Thema. »Kommst du mit?«

Jill schüttelte den Kopf.

»Ich kann nicht«, antwortete sie. »Ich habe heute Morgen einen Brief von einem Rechtsanwalt bekommen, der mich auffordert, in seine Kanzlei zu kommen.«

Sie schauderte, als sie daran dachte, dass das Schreiben so offiziell klang. Den ganzen Weg zur Arbeit hatte sie darüber nachgedacht und gegrübelt, was der Anwalt wohl von ihr wollte.

»Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum ich dort hinbestellt bin«, sagte sie.

Louisa hob scherzhaft drohend den Zeigefinger.

»Na, wer weiß, was du verbrochen hast!«

Jill war nicht zum Spaßen zumute. Sie schaute sogar ein wenig ängstlich drein.

»Oder – du hast einen reichen Erbonkel, von dem du noch nichts weißt«, munterte Louisa sie auf.

Jill erhob sich und stellte die benutzte Teetasse in den Abwasch, dann warf sie einen Blick in den Spiegel und versuchte, tapfer zu lächeln. Aber es half alles nichts. Immer wenn sie an den Brief in ihrer Handtasche dachte, klopfte unwillkürlich ihr Herz schneller. Sie hatte gleich am Morgen Mr. Bannister, ihren Abteilungsleiter, darum gebeten, eine Stunde früher Feierabend machen zu dürfen, und war froh, als die Uhr über ihrem Verkaufstresen endlich vier anzeigte.

Louisa nickte ihr aufmunternd zu, und Jill winkte zurück.

»Ich drücke dir die Daumen«, flüsterte die Kollegin und gab ihr einen Klaps. »Ich rufe dich heute Abend noch an, dann kannst du mir alles erzählen.«

Zum Büro des Anwalts hatte Jill drei Stationen mit der U-Bahn zu fahren. Es war beinahe fünf, als sie die Treppe hinaufstieg, die zur Kanzlei führte. Sie klopfte an, und die Tür wurde von einer netten, älteren Frau geöffnet. Offenbar war das die Sekretärin.

»Sie sind bestimmt Miss Roberts, nicht wahr?«, fragte sie.

»Ja. Ich habe einen Brief von Ihnen erhalten …«

Die Frau nickte.

»Ich weiß, Mr. Barrows wird Sie gleich begrüßen.«

Sie führte, Jill in ein altmodisch eingerichtetes Büro und bat sie, vor einem großen Schreibtisch Platz zu nehmen.

Die Tür klappte hinter ihr zu, und Jill war allein. Es wurden für sie lange Minuten bangen Wartens.

*

Malcom Barrows war ein stattlicher, älterer Mann, der Jill mit einem fröhlichen Lächeln begrüßte.

»Bleiben Sie sitzen, Miss Roberts«, sagte er und nahm selber Platz.

Er hantierte eine Weile mit auf seinem Schreibtisch liegenden Akten, und Jills Nervosität wuchs. Endlich räusperte der Anwalt sich und sah sie über den Rand seiner Brille an.

»Also, Miss Roberts, warum ich Sie hergebeten habe, hat folgenden Grund«, begann er. »Sagt Ihnen der Name Sophie Webster etwas?«

Jill schüttelte den Kopf.

»Nein«, erwiderte sie. »Den habe ich noch nie gehört.«

Malcom Barrows nickte.

»Das habe ich mir schon gedacht«, sprach er weiter. »Nun, ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen. Mrs. Webster ist eine Tante ihrer Mutter gewesen, also Ihre Großtante. Die alte Dame ist vor vier Monaten gestorben, und Sie sind in ihrem Testament als Alleinerbin genannt.«

Jill musste unwillkürlich schlucken. Diese Nachricht traf sie wie ein Schock.

»Sie meinen … ich habe geerbt?«, fragte sie, ungläubig im Gesicht des Anwalts forschend, ob es sich nicht vielleicht um einen Scherz handele.

»Ja«, antwortete Mr. Barrows todernst. »Ich muss dazu erklären, dass es natürlich eine Zeit lang gedauert hat, bis wir Sie gefunden hatten. Der Kollege in Stratton, der uns mit der Abwicklung beauftragte, konnte nämlich keine weiteren Angaben zu Ihrer Person machen. Außer Ihrem Namen war uns nichts weiter bekannt.«

Er räusperte sich noch einmal und strich sich über das Haar. Offenbar war das eine Angewohnheit von ihm. Jill hatte diese Geste schon bei seinem Eintreten bemerkt.

»Aber nun haben wir Sie ja, Gott sei Dank, gefunden. Wie gesagt, wir wussten nur Ihren Namen, und dass Sie hier in London leben. Was die Sache nicht einfacher für uns gemacht hat. Wussten Sie, dass es hundertfünfzig Frauen in London gibt, die alle Jill Roberts heißen?«

»Nein, das wusste ich nicht.«

Jill schüttelte den Kopf. Darüber hatte sie sich bisher auch noch keine Gedanken gemacht, schließlich war London eine Millionenstadt, und bestimmt gab es mehr als tausend Leute, die auf den Namen Smith oder Miller hörten. Aber wieso sollte sie das auch interessieren!

»Was ist es denn, was ich geerbt habe?«, fragte sie.

Der Anwalt zog ein Blatt Papier aus einer Akte und rückte seine Brille zurecht.

Erneutes Räuspern.

»Ihre Erbschaft besteht …«

Er machte eine bedeutsame Pause, und Jill dachte, lieber Gott, lass es bloß keine Perserkatze sein, oder so etwas Ähnliches. Sie hatte auch gar nicht gewusst, was sie mit einem Tier anfangen sollte. Tierhaltung war in dem Haus, in dem sie wohnte, verboten, außerdem hatte sie auch gar keine Zeit, sich um eine Katze oder einen Hund zu kümmern.

»Ihre Erbschaft besteht aus einer alten Mühle«, sagte Mr. Barrows endlich und sah sie so strahlend an, als hätte er ihr eben mitgeteilt, dass sie ein Schloss geerbt habe.

»Eine Mühle …?«

Es klang enttäuscht.

»Ja, aber das ist längst noch nicht alles«, fuhr der Anwalt begeistert fort. »Die Mühle ist zu einem Wohnhaus umgebaut worden, Ihre Großtante hat darin bis zu ihrem Tod gelebt. Dann gehören natürlich dazu das Grundstück und die gesamte Einrichtung. Ich habe ein paar Bilder hier, die Sie sich gleich ansehen können.«

»Sie sprachen von einem Kollegen in Stratton«, warf Jill ein. »Heißt das, dass die Mühle nicht hier in der Nähe ist? Ich muss zugeben, ich habe keine Ahnung, wo sich dieses Stratton überhaupt befindet.«

»Sie vermuten ganz richtig«, erklärte Mr. Barrows. »Sie liegt in der Nähe von Stratton, und das ist im Südwesten, in der Grafschaft Devon. Eine wunderschöne Gegend. Cornwall und Devon – der Paradiesgarten des ganzen Königreichs.«

Jill war ganz sprachlos. Das hatte sie nicht erwartet. In ihrem Kopf drehte sich alles. Sie hatte geerbt. Sie, die kleine Verkäuferin, die mit ein paar Pfund in der Woche nach Hause ging, hatte eine Mühle samt Grundstück geerbt!

Plötzlich wurde ihr bange. Was sollte sie eigentlich mit dem Erbe anfangen? Schließlich lebte und arbeitete sie hier in London, und Devon war weit.

Als habe er ihre Gedanken gelesen, sprach der Anwalt weiter.

»Tja, Miss Roberts, Sie werden sich allmählich mit dem Gedanken vertraut machen müssen, unser schönes London zu verlassen.«

»Aber warum …?«, fragte sie bestürzt.

»Nun, eine Klausel im Testament sieht vor, dass Sie das Erbe nur antreten können, wenn Sie bereit sind, in der Mühle zu wohnen. Also London good bye, willkommen in Stratton.«

Dabei lachte er und rieb sich vergnügt die Hände.

Etwas in ihrem Blick schien ihn zu irritieren.

»Sie sind doch bereit, diese Klausel zu erfüllen und dorthin zu ziehen?«, fragte er.

»Ich … ich weiß nicht«, antwortete Jill etwas hilflos. »Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht.«

»Das sollten Sie aber, Miss Roberts. Sie müssen sich jetzt und hier entscheiden.«

Jill hob verzweifelt die Arme. Konnte man das wirklich von ihr verlangen, hier alles aufzugeben, die Arbeit, die Freunde und überhaupt alles?

Mr. Barrows konnte offenbar den Zwiespalt nachempfinden, in dem die junge Frau sich befand.

»Es ist natürlich nicht einfach«, sagte er verständnisvoll. »Aber vielleicht fällt Ihnen der Abschied von London etwas leichter, wenn ich Ihnen mitteile, dass zu der Erbschaft ein nicht unbeträchtlicher Geldbetrag gehört.«

Er schaute wieder auf seine Liste und sah dann zu Jill.

»Alles in allem beläuft sich die Summe auf fünfzigtausend Pfund Sterling.«

Jill riss erschrocken den Mund auf. Fünfzigtausend Pfund! So viel Geld hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht besessen.

»Ich will Sie nicht drängen«, sagte der Anwalt nach einer Weile. »Aber ich denke, diese Summe ermöglicht Ihnen ein sorgenfreies Leben. Wollen Sie das Geld wirklich dem Fiskus überlassen? Der würde es unweigerlich bekommen, wenn Sie die Erbschaft ausschlagen.«

Jill schaute den Anwalt an und atmete tief durch.

»Ich nehme das Erbe an«, sagte sie dann mit fester Stimme.

*

Den Weg nach Hause ging sie wie im Traum. Sie wusste später nicht mehr zu sagen, wie sie es geschafft hatte, die U-Bahnstationen nicht zu verwechseln, den Einkauf für das Abendessen zu erledigen, und auch noch die Sachen aus der Reinigung zu holen, die sie morgen zur Arbeit anziehen wollte.

Als sie den Rock und die Jacke an die Garderobe hängte, musste sie unwillkürlich lachen.

Zur Arbeit gehen!, dachte sie. Ich brauche gar nicht mehr zu arbeiten, ich bin doch jetzt reich. Was würde Mr. Bannister wohl für ein Gesicht machen, wenn ich morgen früh in sein Büro gehe und ihm sage, was für ein scheußlicher Vorgesetzter er ist, der seine Untergebenen nur herumkommandiert, aber kaum ein gutes Wort für sie übrig hat?

Und anschließend marschiere ich durch jede Abteilung des Kaufhauses und kaufe mir die schönsten Dinge, die ich mir bislang nicht leisten konnte.

Und dann schaute sie in den Spiegel neben der Garderobe und wusste, dass das, was sie sich eben noch in den schönsten Farben ausgemalt hatte, doch niemals geschehen würde. Jill war keine verantwortungslose Person. Sie würde fristgemäß kündigen und bis dahin ihren Job weiter so gewissenhaft erledigen wie bisher, und in der Zwischenzeit würde sie ihre Wohnung aufgeben und für all ihre Freunde die größte Abschiedsparty veranstalten, die es jemals gegeben hatte.

Schlaflos wälzte sie sich später in ihrem Bett und dachte noch einmal über diesen Tag nach, der ihr ganzes Leben verändert hatte.

Hatte er sie auch verändert?

Nein! Jill schüttelte den Kopf. Nachdem alle Formalitäten erledigt gewesen waren, hatte sie schon einmal diesen Gedanken gehabt und ihn sogleich wieder verworfen. Nein, sie war und blieb dieselbe, die sie vorher gewesen war, daran würden auch einige tausend Pfund nichts ändern.

Mit diesem Gedanken schlief sie dann irgendwann doch noch ein.

*

Vier Wochen später war es so weit! Mit einem lachenden und einem weinenden Auge hatte Jill Abschied genommen. Jetzt verließ sie erschöpft, aber glücklich, den Zug, der sie nach Stratton gebracht hatte, einem kleinen Ort im Westen der Grafschaft Devon gelegen.

Jill war froh, gleich am Bahnhof eine Hinweistafel zu finden, auf der mehrere Hotels und Pensionen aufgeführt waren. Bis zur Mühle waren es noch ein paar Meilen zu fahren, und die wollte sie heute nicht mehr hinter sich bringen. Am besten würde es sein, wenn sie sich morgen einen Wagen mietete und damit zur Mühle fuhr. Später konnte sie sich dann ein Auto kaufen. Aber für heute hatte sie erst mal genug. Sie sehnte sich nach einer Dusche und einem Bett, selbst Hunger verspürte sie wenig. Sie wollte nur noch schlafen.

Sie nahm den erstbesten Namen auf der Tafel und fragte einen Passanten nach dem Weg. Glücklicherweise lag die Pension nur ein paar Straßen weiter. Sie trug sinnigerweise den Namen ›Good Night‹, und Jill nahm ihn schmunzelnd als gutes Omen.

Mrs. Harrington freute sich über den späten Pensionsgast und versicherte Jill, ihr das beste Zimmer zu geben.

Sie war eine ältere weißhaarige Dame, und sie und ihr Mann, der Vernon hieß, wie Jill später erfuhr, führten die Pension seit mehr als dreißig Jahren.

»Wenn Sie noch etwas essen möchten, bereite ich Ihnen schnell ein paar Sandwiches«, sagte die Zimmerwirtin.

Jill nahm das Angebot an. Zunächst ging sie aber auf ihr Zimmer, das gleich unten auf dem Gang lag und sehr hübsch eingerichtet war. Nachdem sie ihre Sachen ausgepackt hatte, kam sie zurück in das Esszimmer. Tee und Brote standen schon auf dem Tisch, und Mr. Harrington kam hinzu und begrüßte Jill. Er war groß und schlank, und sein dichtes Haar war schon stark ergraut. Er lachte freundlich, als er der jungen Frau die Hand gab.

»Da haben Sie sich aber keinen schönen Tag ausgesucht, um hier Urlaub zu machen«, meinte er und spielte damit auf das Wetter an. »Scheußlich, dieser Regen, und eigentlich auch ungewöhnlich für die Jahreszeit.«

Jill trank einen Schluck Tee.

»Ich mache keinen Urlaub«, antwortete sie dann.

Mr. Harrington nickte.

»Aha, Sie sind also geschäftlich hier?«

»Nein«, schüttelte Jill lachend den Kopf. »Ich kann es selber noch gar nicht glauben, aber ich bin hier, weil ich eine Erbschaft gemacht habe. Ich werde ab jetzt hier wohnen und leben.«

Die Wirtsleute waren neugierig geworden.

»Na, da kann man ja nur gratulieren«, meinte Vernon Harrington. »Darf man denn fragen, was Sie geerbt haben?«

»Aber natürlich. Es ist ja kein Geheimnis, und vielleicht kennen Sie es sogar. Es ist die alte Webstermühle. Sophie Webster war meine Großtante. Sie hat mir die Mühle vermacht, und jetzt bin ich von London hierhergekommen, um die Erbschaft anzutreten.«

Die Worte waren förmlich aus ihr herausgesprudelt, und Jill hatte so begeistert erzählt, dass sie gar nicht auf die Reaktion der Harringtons geachtet hatte. Erst als sie bemerkte, wie Mrs. Harrington erschrocken die Hand vor den Mund hielt, wurde sie aufmerksam.

Die Frau machte einen ängstlichen Eindruck, und ihr Mann war kreidebleich geworden.

»Das … das dürfen Sie nicht tun«, ächzte er. »Sie dürfen unter keinen Umständen in die alte Mühle ziehen!«

»Aber warum nicht?«, fragte Jill verwundert. »Was ist denn damit?«

Die Eheleute sahen sich an. Schließlich nickte Mrs. Harrington ihrem Mann zu.

»Sag es ihr«, forderte sie ihn auf. »Sie muss es unbedingt wissen!«

Jill blickte beide verständnislos an.

»Was muss ich wissen?«, fragte sie. »Ist etwas mit der Mühle?«

Vernon Harrington räusperte sich und nickte.

»Miss Roberts, vielleicht werden Sie mich gleich auslachen, aber glauben Sie mir, was ich Ihnen erzähle, ist die reine Wahrheit. Sie dürfen die Webstermühle nicht betreten, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist. Sie schweben dort in Todesgefahr!«

Jill rang hilflos die Hände.

»Aber warum?«

Vernon sah sie eindringlich an.

»Weil es dort spukt!«, sagte er düster.

Jill war völlig konsterniert.

»Sie … Sie meinen, es sei dort nicht ganz geheuer? Es gebe Geister in der Mühle?«

»Ja, genau«, stieß Mrs. Harrington aus. »Die Mühle ist ein verrufener Ort, dort haust der Teufel!«

Jill musste an sich halten, um nicht laut loszulachen.

»Aber so etwas gibt es doch gar nicht«, meinte sie nach längerem bedrückendem Schweigen. »Hören Sie, ich glaube nicht an böse Geister und an den Teufel schon gar nicht!«

*

Später lag sie noch lange wach und dachte über die Worte der Wirtsleute nach. Jill hatte es mühsam fertiggebracht, bei dem Gespräch ernst zu bleiben. Geduldig hatte sie zugehört, was die beiden alten Leute über Geister und Hexenwesen sagten, und schließlich hatte sie ihnen mit behutsamen Worten klargemacht, dass sie auf gar keinen Fall auf die Erbschaft verzichten würde. Was sowieso völlig unmöglich war. Sie hatte in London alles aufgegeben, schon sehr bald würden die restlichen Sachen mit der Spedition kommen, und schließlich bot sich ihr hier die Chance, ein sorgenfreies Leben zu führen, dazu noch in einer Umgebung, in der zu wohnen ihre Freunde sie glühend beneideten.

Hoffentlich habe ich keine Albträume, dachte Jill, bevor sie die Augen schloss. Etwas mulmig war es ihr schon geworden bei dem ganzen Gerede über Geisterspuk, aber sie war eine moderne junge Frau, und wenn sie auch nicht übermäßig religiös war, so besuchte sie doch regelmäßig an Feiertagen die Kirche, und ihr Glaube an Übersinnliches und Teufel und Höllenfeuer hielt sich in Grenzen.

Albträume bekam sie keine, aber als Mrs. Harrington an die Zimmertür klopfte und rief, dass es schon acht Uhr sei, kam es Jill vor, als sei sie eben erst eingeschlafen.

Gleich nach dem Frühstück machte sie sich auf den Weg zu einem Autoverleih, den Mr. Harrington ihr genannt hatte. Die Wirtsleute unternahmen noch einen zaghaften Versuch, Jill von ihrem Vorhaben abzubringen, aber als sie merkten, dass dieser Versuch nichts fruchtete, wünschten sie ihr alles Gute.

Es regnete mal wieder fürchterlich, und alles schien grau in grau, als Jill das Büro des Autoverleihs betrat. Hinter dem Tresen saß ein Mann mittleren Alters, der neugierig aufschaute, als sie eintrat. Er war ziemlich beleibt und sprang aber trotzdem behände auf.

»Guten Morgen, Miss«, begrüßte er sie. »Womit kann ich Ihnen dienen?«

Er hob eine Hand, noch bevor Jill sprechen konnte.

»Nein, sagen Sie nichts, lassen Sie mich raten. Sie wollen ein Auto mieten, habe ich recht?«

Er lachte und schlug die Hände zusammen.

»Ein kleiner Scherz«, meinte er. »Peter Smith, das bin ich, steht Ihnen jederzeit zur Verfügung.«

Jill schmunzelte.

»Sie haben ganz richtig geraten. Ich möchte ein Auto mieten«, bestätigte sie seine Vermutung.

»Führerschein, Kreditkarte oder Scheck, und schon ist Ihr kleines Problem gelöst«, fuhr er fort und lehnte sich über den Tresen. »Und ich wette, ich weiß ganz genau, was für einen Wagen Sie nicht wollen. Sie wollen auf gar keinen Fall ein Cabriolet. Stimmt’s?«

Jill lachte. »Nein, bei dem Wetter bestimmt nicht.«

»Habe ich es doch gewusst«, lachte Peter Smith.

Er zählte ein paar Wagen auf, die zur Verfügung standen, und Jill entschied sich für einen Mini, der ihr für ihre Zwecke geradezu ideal erschien. Sie erledigten die Formalitäten, und Jill konnte zum ersten Mal mit gutem Gewissen ihre Kreditkarte präsentieren. Es war schon ein gutes Gefühl zu wissen, dass das Konto ausreichend gedeckt war!

Äußerlich schien der Wagen in Ordnung zu sein. Es war zwar ein älteres Modell, aber der Lack zeigte keinerlei Rostspuren. Wie es unter der Haube aussah, wusste sie natürlich nicht, aber Mr. Smith versicherte ihr, dass der Wagen in einwandfreiem Zustand sei. Und schließlich waren es ja nur knapp dreißig Meilen bis zur Mühle, die wiederum nur wenige Meilen vom Meer entfernt war.

Trotz des Wetters froh gelaunt, machte Jill sich auf den Weg. Schnell war sie aus Stratton herausgefahren und kam bald auf eine lang gezogene Landstraße, die an weiten Wiesen, Äckern und einzelnen Gehöften vorbeiführte. Ab und zu säumten Steinmauern die Straße, hinter denen malerische Cottages standen, kleine schmucke Häuschen, die so typisch für diesen Landstrich waren. Es musste einfach herrlich sein, hier zu leben – wenn das Wetter nur mitspielte.

Es war grau in grau. Der Sturm hatte in den letzten Minuten zugenommen und peitschte den Regen über die Küste. Die Scheibenwischer kamen der Wasserflut kaum nach. Jill hielt am Straßenrand und schaute auf die Karte, die sie noch schnell gekauft hatte, bevor sie abgefahren war. Darauf hatte sie das Anwesen, auf dem die Mühle stand, angekreuzt. Eigentlich müsste sie es schon bald erreicht haben. Es kamen noch ein paar Kurven, und dann musste ein kleiner Weg abzweigen, der zur Mühle führte.

Seufzend drehte sie den Zündschlüssel herum und wollte weiterfahren, doch der Motor gab keinen Mucks von sich. Sie probierte es noch mal. Wieder nichts. Irritiert sah sie auf die Tankanzeige. Voll bis zum Anschlag. Mr. Smith hatte ihr ja auch versichert, dass die Wagen stets vollgetankt waren.

Bitte nicht, flehte sie, als sie den Schlüssel wieder drehte. Es gab ein kurzes, blubberndes Geräusch, doch der Motor sprang nicht an. Mit einer wütenden Bewegung entriegelte sie die Motorhaube und stieg aus. Jill schlug den Kragen ihrer Jacke hoch, aber das half auch nicht viel. In Sekunden war sie bis auf die Haut durchnässt. Hilflos beugte sie sich in den Motorraum und hob ratlos die Hände. Das Gewirr der Kabel und Leitungen war ihr ein Buch mit sieben Siegeln, und sie hoffte, dass sie nicht noch mehr kaputt machte, als sie zaghaft an einem der Kabel zog. Es saß fest. Daran schien es also nicht zu liegen, dass der Wagen nicht mehr ansprang. Immer noch erbost, teils auf das Auto, teils auf Mr. Smith, knallte sie die Haube wieder runter und sprang zurück in das Innere des Minis, in dem es zumindest trocken war. Sie kannte sich mit Autos nicht aus, und wahrscheinlich würde es nur ein Mechaniker schaffen, den Wagen wieder zum Laufen zu bringen.

Aber leider war hier weit und breit keiner, und Jill konnte nur abwarten, ob vielleicht jemand vorbeikäme, der sich ihrer erbarmen würde.

Aber bei dem Wetter?

Das konnte Stunden dauern. Jill kam sich plötzlich so hilflos und verlassen vor, und wenn sie ehrlich war, dann wünschte sie sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als in der schön warmen Parfümerieabteilung von Harrods zu stehen. Da war es wenigstens trocken!

Die feuchten Sachen auf ihrer Haut ließen sie frösteln. Sie konnte froh sein, wenn dieses Abenteuer nicht seine Spuren in Form einer kräftigen Erkältung hinterließ. Verzweifelt schaute sie durch die Heckscheibe, ob nicht doch ein Wagen kam, aber der strömende Regen versperrte jede Sicht.

Plötzlich horchte sie auf. War da nicht eben ein Geräusch gewesen? Etwas, das wie das Brummen eines Motors klang?

Jill riss die Tür auf und sprang heraus. Sie hatte den Wagen an einer dieser Steinmauern geparkt, dahinter lagen Felder, von denen einige bereits abgeerntet waren. Und auf einem dieser Felder fuhr ein Traktor!

*

Jill blickte erwartungsvoll auf den Traktor, der langsam näher am. Offenbar wollte der Fahrer auf die Straße. Sie lief ihm entgegen und winkte. Hinter der Glasscheibe konnte sie eine Gestalt erkennen. Jetzt winkte sie zurück. Atemlos kam Jill bei dem Fahrzeug an. Der Fahrer bremste und stellte den Motor ab, dann öffnete er die Klappe und schaute heraus.

»Hallo, was machen Sie denn bei diesem Wetter auf der Straße?«, fragte er freundlich.

Jill deutete hinter sich.

»Mein Wagen – der Motor springt nicht mehr an.«

»Na, das werden wir gleich haben«, meinte der Mann und sprang herunter.

Er mochte vielleicht ein paar Jahre älter sein als Jill und trug Arbeitskleidung. Derbe Hosen, Tweedjacke, mit einem karierten Hemd darunter, und Stiefel. Er hatte ein markantes Gesicht und seine Figur machte jedem Sportler Konkurrenz. Jill stellte fest, dass er sehr gut aussah.

»Ich bin Mitchell Thorpe«, sagte er und reichte ihr die Hand.

Sie gingen zu Jills Auto hinüber, und Mitchell setzte sich hinein und drehte den Zündschlüssel.

Nichts.

Er schaute unter die Haube, wie Jill es zuvorgetan hatte, zog an einigen Kabeln und drehte an irgendwelchen Schrauben, dann kam sein Kopf wieder zum Vorschein.

»Tja«, sagte er, »wenn Sie mich fragen, kann da nur eine Werkstatt helfen. Soweit ich es beurteilen kann, dürfte die Lichtmaschine hinüber sein.«

»Auch das noch!«, entfuhr es Jill.

Sie machte ein verzweifeltes Gesicht.

»Wo wollen Sie denn hin?«, erkundigte sich Mitchell Thorpe. »Haben Sie es noch sehr weit?«

»Ich glaube nicht«, antwortete sie. »Ich suche die alte Mühle der Familie Webster.«

»Na, das ist wirklich nicht mehr weit von hier. Am besten bringe ich Sie mit dem Traktor eben rüber. Das geht schneller, als wenn ich erst den Wagen hole. Haben Sie denn viel Gepäck dabei?«

»Nur eine Reisetasche.«

»Okay, die wird auch noch Platz haben.«

Wenig später saß Jill neben Mitchell Thorpe auf dessen Traktor, heilfroh, Schutz vor dem Regen gefunden zu haben und jemanden, der ihr weiterhalf.

»Darf ich fragen, was Sie dort wollen?«, erkundigte der Farmer sich. »Soviel ich weiß, ist die alte Mrs. Webster vor ein paar Monaten verstorben, und in der Mühle wohnt sonst keiner.«

»Sie werden es nicht glauben, aber ich habe die Mühle geerbt. Sophie Webster war meine Großtante, von der ich bis vor ein paar Wochen allerdings gar nichts wusste.«

Mitchell Thorpe sah sie erstaunt an.

»Hey, da kann man ja nur gratulieren«, sagte er. »Und Sie haben Ihre Großtante überhaupt nicht gekannt? Haben Ihre Eltern nie über sie gesprochen?«