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Eine Sammlung illustrierter Weihnachtsabenteuer! In der Hauptrolle: Zwölf Inkarnationen des Doktors sowie viele seiner Freunde und Feinde! In dieser festlichen Doctor Who-Anthologie finden sich zahlreiche Reisen in der Tardis, spannende Monsterjagden und jede Menge Weihnachtszauber – all das, was Fans an einem Doctor Who-Weihnachtsspecial lieben! Geschichten beigetragen haben Jacqueline Rayner, Colin Brake, Richard Dungworth, Mike Tucker, Gary Russell und Scott Handcock. Außerdem enthält das Buch zwölf Illustrationen des preisgekrönten Künstlers Rob Biddulph!
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Seitenzahl: 281
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1.DER WEIHNACHTSWUNSCH
Geschrieben von Jacqueline RaynerIllustriert von Nick Harris
2.EIN WINTERNACHTSALBTRAUM
Geschrieben von Colin BrakeIllustriert von Melissa Castrillón
3.DIE WEIHNACHTSINVERSION
Geschrieben von Jacqueline RaynerIllustriert von Sara Gianassi
4.DREI WEISE AUS DEM ABENDLAND
Geschrieben von Richard DungworthIllustriert von Rob Biddulph
5.SONTARS HELFERLEIN
Geschrieben von Mike TuckerIllustriert von Staffan Gnosspelius
6.EIN MÄRCHEN VON NEW NEW YORK
Geschrieben von Gary RusselIllustriert von Steward Easton
7.DIE WEIHNACHTSWERKSTATT
Geschrieben von Mike TuckerIllustriert von Charlie Sutcliffe
8.GEIST DER VERGANGENEN WEIHNACHT
Geschrieben von Scott HandcockIllustriert von Jennifer Skemp
9.DAS ROTE FAHRRAD
Geschrieben von Gary RussellIllustriert von Rohan Eason
10.FLÜCHTIGER ÄTHER
Geschrieben von Richard DungworthIllustriert von Captain Kris
11.DAS GESCHENK
Geschrieben von Scott HandcockIllustriert von Ashling Lindsay
12.DIE BESTÄNDIGKEIT DER ERINNERUNG
Geschrieben von Colin BrakeIllustriert von Tom Duxbury
Sie folgten ihren Fußstapfen zurück zur TARDIS. Hin und wieder kreuzten kleine Pfotenspuren von irgendeinem unbekannten Tier ihren Weg, sonst war der Schnee völlig unberührt. In diesem Land lebten weder Menschen noch menschenähnliche Wesen. Sie waren selbst nur für einen kurzen Besuch hier, um nach ein paar Mineralien zu suchen, die der Doktor für eine Maschine brauchte, an der er gerade arbeitete – was ihnen zur Abwechslung einmal gelungen war, ohne irgendwelchen Gefahren zu begegnen, die die Angelegenheit verkomplizierten.
»Kiefernnadeln und kühle, klare Luft. Es riecht nach Weihnachten!«, sagte Ian sehnsüchtig.
Barbara sah Ian nicht an, während er sprach. Ihr Blick war auf etwas gerichtet, das nicht da war, eine ferne Erinnerung. »Weißt du noch, in der Adventszeit, wie es da immer nach Christmas Pudding gerochen hat? Nach warmen Gewürzen und Brandy.«
»Erwache, o Herr, wir bitten dich«, sagte Ian, und die zwei Lehrkräfte lächelten, doch hinter ihrem Lächeln verbarg sich auch eine Traurigkeit.
Das junge Mädchen, das neben ihnen herlief, blickte zwischen den beiden hin und her, die Stirn in Falten gelegt. »Das versteh ich nicht«, sagte sie.
Natürlich war es Barbara, die ihr antwortete. Sie konnte der Gelegenheit, jemandem etwas beizubringen, nie widerstehen. »Ein Brauch unserer Zeit, Vicki«, erklärte sie. »Immer, wenn wir in der Kirche diese Worte gehört haben, die Teil eines Gebets waren, wussten wir, dass es Zeit war, Christmas Pudding zu machen.«
»Ah«, sagte Vicki. »Verstehe.« Dann hielt sie einen Moment inne und fügte beinahe beiläufig hinzu: »Was ist ein Christmas Pudding?«
»Vicki!«, riefen Barbara und Ian völlig entgeistert.
»Na ja, ich habe von Weihnachten gehört«, sagte das Mädchen, das gar nicht zu bemerken schien, wie entsetzt die beiden waren. »Aber ich bin mir nicht ganz sicher, was ein Christmas Pudding ist.«
Also erklärte Barbara es ihr, und Ian stimmte mit ein. Der Christmas Pudding wurde zubereitet, indem man Muskat, Zimt und Zucker, geriebene Orangenschale und Orangeat, Mandeln, Rindernierenfett und Semmelbrösel alle miteinander vermengt und einen großzügigen Schuss Brandy hinzufügt.
»Ein Sixpencestück kommt auch noch rein«, sagte Ian. »Dann rühren alle den Teig einmal um und wünschen sich etwas.«
Barbara lächelte. »Meine Mum hatte ein Sixpencestück, ein echtes silbernes, mit Queen Victorias Kopf drauf. Das haben wir jedes Jahr in den Pudding getan, nur durfte derjenige, der es gefunden hat, es nicht behalten. Mein Dad hat dem Finder stattdessen ein neues gegeben, eines von denen, die nur ein bisschen Silber enthielten.«
»Seit dem Krieg haben die Sixpencestücke natürlich gar keinen Silberanteil mehr«, sagte Ian. »Heutzutage bestehen sie nur noch aus Kupfernickel.« Und weil auch er der Gelegenheit nie widerstehen konnte, sein Wissen weiterzugeben, sei es in der Schule oder sonst wo, fügte er hinzu: »Das ist eine Kupfer-Nickel-Gusslegierung.« Ihm schien nicht aufzufallen, dass er immer noch von »heutzutage« sprach und damit die frühen 1960er-Jahre meinte, während sie sich gerade auf einem Planeten befanden, der Millionen Jahre von dieser Zeit hätte entfernt sein können, sei es in der Zukunft oder auch der Vergangenheit.
Erinnerungen durchfluteten sie, und weder Ian noch Barbara konnten sie abstellen. Bilder längst vergangener Weihnachtsfeste tanzten durch ihre Gedanken.
»Mum und Dad haben den Baum immer über Nacht dekoriert, mit Papiergirlanden und Kerzen.« Ian hatte wieder das Wort ergriffen. »Man konnte nur hoffen, dass die Kerzen die Papiergirlanden nicht in Brand steckten.«
»Erinnerst du dich noch an Feuerdrachen?«, warf Barbara ein. »Wir haben es immer geliebt, Mandeln und Rosinen aus den Flammen herauszuschnappen. Dabei haben wir uns natürlich die Finger verbrannt, aber das war es wert!«
Sie seufzte. »Einmal, als noch Krieg war, da habe ich nicht gedacht, dass ich überhaupt irgendetwas in meinem Weihnachtsstrumpf finden würde. Mum hatte mir gesagt, selbst Santa hätte nicht genug Lebensmittelmarken, um allen, die auf seiner Liste standen, Süßigkeiten zu bringen. Und dann, am Weihnachtsmorgen, war mein Strumpf gefüllt! Mit einem Apfel, Nüssen, einer aus einer Wäscheklammer gebastelten Puppe und einer riesigen Tüte Gerstenzucker. Ach, ich hatte schon seit Jahren gewusst, dass es Santa nicht gab, dass Mum und Dad nur so taten, dafür glaubte ich danach eine Zeit lang an Magie.«
»Wir haben immer die Rede der Königin angeschaut«, ergänzte Ian, »oder, noch davor, dem König im Radio zugehört – und anschließend Spiele gespielt. Scharade, Erzählspiele oder Blindekuh!«
Vicki hörte den beiden begeistert zu. »Das klingt alles wundervoll!«, sagte sie.
»Ja, das war es«, sagte Barbara wehmütig. »Ich frage mich, ob wir jemals wieder ein Weihnachten erleben werden. Wenn ich mir eines wünschen könnte …«
»Sag’s nicht!«, rief Ian. »Weißt du nicht mehr, beim Rühren des Puddings ist es auch so! Wenn du deinen Wunsch verrätst, geht er nicht in Erfüllung!« Und obwohl er lachte und obwohl er als Mann der Wissenschaft wohl kaum an Wünsche glaubte, klang es einen Moment lang so, als meinte er es wirklich ernst.
Der Doktor war bereits an der Kontrollkonsole, als sie die TARDIS betraten.
Barbara schüttelte den Schnee von ihren Stiefeln und hängte ihren Wollmantel auf. »Zeit, schlafen zu gehen, Vicki«, sagte sie.
»Oh, aber ich möchte noch mehr über Weihnachten erfahren!«, flehte Vicki.
»Was höre ich da, Weihnachten?«, fragte der Doktor.
»Wir haben nur ein wenig in Erinnerungen geschwelgt«, antwortete Ian. »Uns nach längst vergangenen Zeiten gesehnt.«
»Die Vergangenheit ist nie längst vergangen, wenn man eine Zeitmaschine hat!«, sagte der Doktor.
Niemand antwortete. Doch sowohl Barbara als auch Ian dachten dasselbe: Die Weihnachten ihrer Kindheit waren weiter entfernt als das antike Rom, wenn man diese Zeitmaschine nicht kontrollieren konnte …
In dieser Nacht träumte Barbara von ihrer Mutter, die sie hoffte eines Tages wiederzusehen, und von ihrem Vater, den sie niemals wiedersehen würde. Wie sollte sie es ertragen, selbst wenn der Doktor sie in eine Zeit bringen könnte, in der er noch lebte? Sie hatte stets ein Foto von ihm bei sich, ein Studioporträt auf einer Postkarte, das inzwischen verblichen und zerknittert war. Eine Weile, nachdem sie ihrem Leben entrissen worden war, hatte sie es sich noch jeden Tag angesehen. Es war die einzige Verbindung zu ihrer Familie gewesen – eine, die selbst die Sterne überbrückte. In letzter Zeit hatte sie es jedoch immer seltener hervorgeholt, und jetzt fühlte sie sich irgendwie schuldig, als ob ihr nur deswegen, weil sie sich mit ihren seltsamen Reisen mit dem Doktor abgefunden hatte, die Menschen, die sie zurückgelassen hatte, nichts mehr bedeuteten.
Als sie erwachte, fiel ihr auf, dass sie im Schlaf geweint hatte. Vicki lag nicht in ihrem Bett neben Barbaras, was auch gut so war. Das Mädchen hatte bereits so viel verloren: ihre Mutter, ihren Vater, ihr Zuhause, alles, was sie je gekannt hatte … Zu weinen, weil ihr Dad nie wieder eine Schaumzuckermaus in der Spitze ihres Weihnachtsstrumpfes verstecken würde, kam Barbara verglichen mit Vickis weitaus größerem Verlust vor wie ein Luxusproblem.
Barbara ging in den Kontrollraum, in der Erwartung, Vicki dort zu finden oder zumindest den Doktor, doch er war leer. Sie bemerkte, dass sie sich nicht länger im Flug befanden, und blickte hinauf zum Scanner, um zu sehen, wie es draußen aussah. Alles, was sie erkennen konnte, war weißer Schnee, der in der Dunkelheit glänzte. Nein … bei näherem Hinsehen fielen ihr Fußstapfen auf. Spuren im Schnee! Sie waren noch immer am selben Ort.
Vicki kam in den Kontrollraum gerannt. »Du bist wach! Endlich! Komm schon!« Sie packte Barbara am Arm und zog sie mit sich zur Tür der TARDIS.
»Warum so aufgeregt?«, fragte Barbara. »Da draußen gibt es nichts weiter, das haben wir doch gestern schon gesehen.«
Vicki ließ ihren Arm los und sah Barbara enttäuscht an, ganz so, als wäre sie die Lehrerin und Barbara die Schülerin. »Da sind wir doch gar nicht mehr. Komm und sieh’s dir selbst an. Jetzt gleich!«
Ian und der Doktor stießen zu den beiden dazu – Ian aus seinen eigenen Schlafräumen, die tiefer im Inneren der TARDIS lagen, und der Doktor von draußen, durch die Tür der TARDIS, die er sofort wieder hinter sich schloss. »Nichts zu sehen, da draußen«, sagte er. »Dann können wir auch gleich weiter.«
»Nein!«, schrie Vicki und stellte sich zwischen den Doktor und die Steuerung. »Wir müssen rausgehen! Wir müssen!«
»Aber dort gibt es nur Schnee und Bäume«, protestierte Ian. »Ich bin ganz beim Doktor. Es hat keinen Sinn, noch länger hierzubleiben.«
»Wir sind nicht an demselben Ort!«, beharrte Vicki. »Wir sind woanders.«
»Nein, nein, mein Kind«, sagte der Doktor. »Es ist genau derselbe Schnee. Genau dieselben Bäume.«
Doch Barbara hatte weiterhin den Scanner beobachtet. »Ich sehe etwas! Ich sehe Lichter!« Sie wandte sich misstrauisch dem Doktor zu. »Warum willst du nicht, dass wir sehen, was wirklich dort draußen ist?«
»Weil wir uns nicht bewegt haben«, wiederholte der Doktor gereizt. »Es gibt nichts zu sehen.«
Doch sein aufbrausendes Verhalten war wenig überzeugend. Unvermittelt stürzte Barbara sich auf die Türsteuerung. »Das will ich selbst sehen!«, sagte sie.
Die Türen schwangen auf. Ein kalter Windstoß peitschte durch den Kontrollraum und trug noch andere Dinge mit sich herein.
Den Geruch von Gewürzen und Kerzenwachs.
Das Klimpern von Glocken.
Sanfte Stimmen in der Ferne, die von einem Baby in der Krippe sangen.
Barbara rannte durch die Tür hinaus, ohne sich um ihren Mantel oder Schal zu kümmern. Sie rannte einfach immer weiter, den Geräuschen entgegen. Lichter waren nun zu erkennen, das farbenfrohe Flackern von Kerzenschein durch gemusterte Buntglasfenster. Und auf einmal stand sie vor einer Kirche: die Quelle der Lichter, Geräusche und Gerüche. Durch die Fenster drang ausreichend Licht, dass sie das Anschlagbrett an der Kirchentür lesen konnte:
MITTERNACHTSMESSE IN DER ST.-SWITHUN-KIRCHE.23:30 UHR, DIENSTAG, DEN 24. DEZEMBER 1963.
1963.
Das Datum traf Barbara wie ein Schlag.
Das war ihr Jahr – ihres und Ians!
Sie waren zu Hause!
Ian holte sie ein. Er hatte ihren Mantel mitgebracht und schlang ihn ihr nun um die Schultern, doch es machte für sie keinen Unterschied. Barbara hatte die Kälte nicht einmal gespürt. Sie deutete nur mit dem Finger auf die Tafel, unfähig, etwas zu sagen.
»Zu Hause …«, flüsterte Ian fassungslos. Dann stieß er einen Freudenschrei aus und fing an, im Kreis zu tanzen. »Zu Hause! Wir sind zurück!«
»Und nur einen Monat nachdem wir fortgegangen sind.« Barbara musste ihren Mund regelrecht zwingen, die Worte zu formen. Tränen stachen ihr in den Augen, doch sie war niemand, der weinte. Und ganz sicherlich nicht zweimal an einem Tag.
Auch der Doktor und Vicki kamen jetzt zu ihnen hinzu. Vicki hüpfte vor Aufregung beinahe auf und ab. Der Doktor hingegen schien nicht gerade glücklich. Barbara wandte sich ihm wütend zu. »Wir sind zu Hause«, sagte sie. »Ian und ich, wir sind zu Hause. Wolltest du deshalb nicht, dass wir rausgehen? Du wolltest nicht, dass wir das sehen? Du wolltest nicht, dass wir dich verlassen?«
Der Doktor blickte zornig, was bedeutete, dass er sich in die Defensive gedrängt fühlte. »Ganz im Gegenteil«, schnappte er. »Ich wollte lediglich vermeiden, dass ihr euch Hoffnungen macht.«
»Was willst du damit sagen?«, verlangte Ian.
»Na ja, das alles hier! Weihnachten! Weihnachten, im Jahr 1963! Und noch dazu in England. Ihr glaubt, das ist ein Zufall, dass wir, nur wenige Stunden nachdem ihr über all diese Dinge geredet habt, genau hier gelandet sind?«
»Vielleicht hat uns die TARDIS irgendwie gehört?«, sagte Ian.
»Oder aber irgendjemand«, fügte Barbara leise hinzu. Sie wusste, dass ihr Wunsch von letzter Nacht – Oh, bitte, lass mich noch ein Weihnachten erleben, ein Weihnachten zu Hause – auf halbem Wege zu einem Gebet geworden war.
»Ah, nun gut«, sagte der Doktor mit einem kurzen Schnaufen. »Dann schaut euch um, wenn es sein muss. Aber vergesst dabei nicht, dass es eine Falle sein könnte!«
»Ich bin mir sicher, das ist es nicht«, sagte Vicki.
Barbara schob die Kirchentür auf, und sie gingen hinein. Wärme umhüllte sie. Ein paar Gesichter wandten sich ihnen zu, um die Nachzügler in Augenschein zu nehmen, doch niemand schien empört oder überrascht. Barbara nahm vier Gesangbücher von einem Stapel neben der Tür und verteilte sie an die anderen, doch Ian war längst dabei, in »O Bethlehem, du kleine Stadt« einzustimmen.
Für alle, die da traurig sind und die zuvor geweint. Barbara musste nun nicht mehr traurig sein; und es gab keinen Grund mehr zu weinen. Sie war zu Hause.
Am Ende des Gottesdienstes verweilten die vier Reisenden noch ein wenig in den hinteren Reihen der Kirche. Als der Vikar auf die Tür zuging, fing Barbara ihn ab.
»Ich glaube, wir hatten noch nicht das Vergnügen«, sagte der alte Mann. »Besuchen Sie hier jemanden zu Weihachten?«
Barbara schüttelte den Kopf. »Nein, wir haben versucht, bis Weihnachten zu Hause zu sein, aber …«
Sie wusste nicht, wie sie den Satz beenden sollte, doch der Vikar kam ihr zuvor. »Eingeschneit, nehme ich an? Ja, überaus bedauerlich, dass die Straßen blockiert sind und auch noch alle Leitungen tot.«
Einmal tief einatmen. Sie waren ihrem Zuhause so nah und doch so fern. Aber was machte das schon? Weihnachten war nur ein Datum. Eine weitere Verzögerung würde ihre letztendliche Heimkehr nur umso schöner machen.
»Gibt es hier ein Hotel?«, fragte Barbara. »Oder eine Pension? Irgendwas in der Nähe, wo wir unterkommen können?«
Der Vikar schüttelte gerade traurig den Kopf, da gesellten sich ein Mann und eine Frau zu ihnen. »Verzeihen Sie, wenn ich Sie unterbreche«, sagte die Frau. Sie war älter als Barbara, wahrscheinlich sogar älter als Barbaras Mutter. »Habe ich richtig gehört, dass Sie hier feststecken und nicht nach Hause können?«
»Ja, das haben Sie«, sagte Ian.
»Dürfte ich Ihnen einen Vorschlag machen? Unsere Kinder wollten uns eigentlich mit den Enkelkindern besuchen, können wegen des Schnees aber nicht kommen. Würden Sie und Ihre Freunde eventuell in Betracht ziehen, mit uns Weihnachten zu feiern?«
Barbara wandte sich Ian zu. Sollten sie? Doch der Doktor sprach zuerst. »Also, ihr zwei könnt machen, was ihr wollt. Aber Vicki und ich werden zur TAR…«
Vicki ließ ihn nicht ausreden. »Nein! Ich möchte ein richtiges Weihnachten mit Ian und Barbara feiern.«
»Bitte, Doktor«, sagte Barbara. »Weihnachten ist die Zeit der Familie. Und, ob du es nun willst oder nicht, wir sind inzwischen so etwas wie eine Familie geworden.«
»Okay, okay, schon gut.« Der Doktor klang mürrisch, doch in seiner Stimme schien sich auch irgendwo ein Lächeln zu verbergen.
»Ich danke Ihnen«, sagte Barbara zu der älteren Dame. »Wenn Sie sich sicher sind, dass wir Sie nicht stören …«
»Wir würden uns über Ihre Gesellschaft sehr freuen«, kam die herzliche Antwort.
Also machten sie sich auf den Weg durch den Schnee. Das ältere Paar, Mr und Mrs Robinson, lief vor, und die vier Reisenden folgten ihren Fußstapfen. Ihr Ziel war ein Cottage, das so gemütlich und einladend aussah wie kein anderes, das Barbara je gekannt hatte. Drinnen brannte ein Feuer im Kamin, und in dessen Nähe stand ein kleiner Tannenbaum, der nur darauf wartete, verwandelt zu werden. Einen Augenblick lang kam Barbara etwas an dem Wohnzimmer seltsam vor, doch sie schob den Gedanken schnell beiseite, als Mrs Robinson ihr ein Glas Glühwein reichte. Vicki und Ian halfen derweil Mr Robinson, den Baum zu schmücken. »Wir waren uns nicht sicher, ob wir uns noch die Mühe machen sollten«, erzählte er ihnen. »Na ja, man schmückt schließlich hauptsächlich für die Kinder, nicht wahr?«
Vicki fing an, die Papiergirlande zu basteln, die immer länger und länger wurde. »Bitte, können wir nachher Strümpfe aufhängen?«, fragte sie.
Barbara wollte gerade den Mund öffnen, um Nein zu sagen, da zwinkerte Mr Robinson ihr zu und nickte kaum merklich mit dem Kopf. »Hm, ich denke, das lässt sich einrichten, junge Dame«, sagte er, und Barbara lächelte ihm dankbar zu.
Während Barbara und Mrs Robinson eine Partie Schach spielten, zog Vicki einen ihrer kniehohen Strümpfe aus und hängte ihn mit einer Reißzwecke am Kaminsims auf. Sie brachte Barbara und Ian dazu, es ihr gleichzutun, was die beiden auch herzhaft lachend und scherzend taten. Der Doktor weigerte sich mitzumachen, also zog Vicki noch ihren zweiten Strumpf aus und hängte diesen ebenfalls auf. »Das ist dann deiner«, sagte sie zu dem Doktor, der zwar ein Pfft von sich gab, aber nicht weiter protestierte.
Einige Zeit später ging Barbara zu Mrs Robinson, die inzwischen in der Küche stand. »Kann ich irgendwie helfen?«
»Nein, danke, meine Liebe«, sagte die ältere Frau. »Ich glaube, es wird Zeit für uns alle, ins Bett zu gehen.«
»Nur noch eine Sache«, sagte Barbara. »Dürfte ich mir vielleicht Nadel und Faden leihen?«
»Natürlich, meine Liebe«, antwortete Mrs Robinson mit einem Lächeln und zeigte ihr, wo das Nähkästchen war.
Das Cottage war geräumiger, als es zuerst den Anschein gemacht hatte; jeder der Zeitreisenden bekam sein eigenes Schlafzimmer. Barbara ging nicht sofort ins Bett. Vorher hatte sie noch etwas zu erledigen.
Sie war gerade fertig geworden, da hörte sie ein Geräusch. Sie hielt einen Moment lang die Luft an und wartete ab, ob es erneut zu hören war. Und das war es. Jemand lief unten umher. Aber wer? Die Stufen hatten laut geknarzt, als sie alle hinauf in ihre Zimmer gegangen waren, und sie war die ganze Zeit über wach gewesen; sie hätte es gehört, wenn irgendjemand der anderen fünf im Haus sein Zimmer verlassen hätte.
Sie schlüpfte in ihre Schuhe und öffnete langsam und leise ihre Tür. Und obwohl sie versuchte, so behutsam wie möglich aufzutreten, knarzten die Treppenstufen unter ihren Füßen.
Vorsichtig, mehr als vorsichtig, schob sie die Tür zum Wohnzimmer auf. Das Feuer war zu einer schwachen Glut heruntergebrannt, dennoch war es hell genug, dass sie die Gestalt sehen konnte, die neben dem Kaminsims stand. Eine Gestalt in roter Robe, mit weißem Saum.
Barbara lachte erleichtert auf. Es war nur Mr Robinson – oder vielleicht sogar der Doktor –, der sich als Santa Claus ausgab und dies zu einem richtigen Weihnachten für Vicki machte: mit Süßigkeiten, die in ihren Strümpfen auf sie warteten.
Auf das Geräusch hin drehte sich der Mann zu ihr um.
Barbara hätte beinahe aufgeschrien, doch der Schrei blieb ihr in der Kehle stecken. Sie gab kaum ein Geräusch von sich, als sie ohnmächtig zu Boden sank.
»Barbara! Barbara! Wach auf!«
Barbara hörte die Stimme und gehorchte, zwang sich, aus der Bewusstlosigkeit zurückzukehren. Sie lag im Bett, eine hässliche altmodische Tagesdecke auf ihr. Sie hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Lag es daran, dass sie es inzwischen so gewohnt war, in der TARDIS aufzuwachen? Nein, das war es nicht. Es war etwas anderes. Nur konnte sie nicht genau sagen, was. Und sie hatte auch keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn Vicki rief noch immer ganz aufgeregt: »Wach auf! Wach auf!«
»Komm schon, du Schlafmütze! Es ist Weihnachten! Ein richtiger erster Weihnachtstag auf der Erde! Und Ian sagt, ich darf nicht in meinen Strumpf schauen, bis du auch runterkommst!«
Barbara folgte Vicki nach unten. Alle anderen waren schon da. Nicht länger leer, hingen die Strümpfe nun unförmig und ausgebeult am Kaminsims. Vicki stürzte sich auf ihren und zog jede Kleinigkeit daraus hervor, als wäre sie der wertvollste Schatz. »Eine Orange! Und schaut doch, was soll das sein? Sind das Walnüsse? Und ein Apfel! Und ein klitzekleiner Teddybär. Was hast du bekommen, Barbara?«
Lächelnd löste Barbara ihren eigenen Strumpf. Sie griff hinein und zog eine kleine weiße Papiertüte hervor. Sie öffnete sie. »Oh!«, sagte Barbara. »Gerstenzucker!« Dann erinnerte sie sich mit einem Mal wieder. »Es war mein Vater.« Sie wandte sich dem einzigen Mann zu, den sie je getroffen hatte, der genauso mutig und stark war, wie ihr Vater es gewesen war. »Oh, Ian, ich habe letzte Nacht meinen Vater gesehen! Er war hier!«
Ian legte ihr einen Arm um die Schultern und führte sie zu dem unbequemen, mit Rosshaar gefüllten Sofa hinüber. Vicki blickte verwirrt drein. »Aber du hast doch gesagt, es waren immer deine Mum oder dein Dad, die Santa gespielt haben«, sagte sie, nachdem Barbara es ihr erklärt hatte.
»Ja, Vicki, ich weiß. Aber mein Vater ist im Krieg gestorben. Er hätte nicht hier sein können, im Jahr 1963.« Sie drehte sich zu Mrs Robinson um. »Das hier ist doch das Jahr 1963, nicht?«
Die alte Dame nickte. »Natürlich ist es das, Liebes. Ich glaube, Sie müssen wohl schlecht geträumt haben.«
»Hier, nehmen Sie.« Mr Robinson war in die Küche verschwunden und nun mit einem Glas Brandy in der Hand wieder erschienen. »Trinken Sie ruhig aus. Keine Sorge, es ist noch mehr als genug für den Christmas Pudding da.«
»Und für den Feuerdrachen?«, fragte Vicki.
»Ja, dafür auch.«
Barbara trank den Brandy und versuchte, sich einzureden, dass sie sich dadurch besser fühlte. Natürlich war es nur ein Traum gewesen. Natürlich hatte sie ihren längst verstorbenen, innig geliebten Vater nicht wirklich gesehen.
Doch im Hinterkopf konnte sie noch die Worte des Doktors vom Vorabend hören: Vergesst nicht, dass es eine Falle sein könnte!
Als Vicki außer Hörweite war, nahm Barbara sich den Doktor beiseite. »Ich habe über das, was du gesagt hast, nachgedacht«, erklärte sie ihm leise. »Darüber, dass es solch ein Zufall war, dass wir genau zu diesem Zeitpunkt auf diesem Planeten gelandet sind. Und dass es eine Falle sein könnte.«
»Ach, i wo, nein.« Der Doktor schob ihre Bedenken mit einer Handbewegung beiseite. »Ich war da wohl etwas voreilig. Vergiss, was ich gesagt habe, und verbringe einfach ein fröhliches Weihnachtsfest.«
Wenn selbst der Doktor – so argwöhnisch und skeptisch, wie er war – dachte, dass es keinen Grund zur Sorge gab, nun, dann gab es wahrscheinlich auch keinen. Barbara versuchte, seinen Rat zu befolgen und diesen Weihnachtstag zu genießen.
Sie bot Mrs Robinson erneut an, ihr in der Küche zu helfen, und wurde erneut abgewiesen. »Es gibt wirklich kaum etwas zu tun«, sagte Mrs Robinson, was das genaue Gegenteil von dem war, was ihre Mutter jedes Jahr zu dieser Zeit zu sagen pflegte, während sie versuchte, den Truthahn, sämtliche Beilagen, den Nachtisch, die Brandy-Butter und all die anderen Dinge, die ein traditionelles Weihnachtsessen ausmachten, rechtzeitig fertig zu bekommen.
Der Grund für ihre Gelassenheit wurde deutlich, als sie sich alle an den Tisch setzten und Mrs Robinson den Christmas Pudding servierte. Und zwar nur diesen. Nicht mehr. Keinen Truthahn, keine Bratenfüllung, keinen Yorkshire-Pudding und auch keinen Rosenkohl. Ein einzelner Christmas Pudding, auf dem sanfte, blaue Flammen flackerten.
Ian und Barbara sahen einander an. »Nicht einmal Vanillesoße!«, formte Ian lautlos mit den Lippen, und Barbara zuckte mitfühlend mit den Schultern. Niemand sonst schien zu bemerken, wie ungewöhnlich das war.
Mr Robinson schnitt den Pudding in sechs gleich große Teile, und Schälchen wurden herumgereicht.
»Ha!«, rief Ian, nachdem er einen Bissen genommen hatte. »Ich glaube, ich habe das Sixpencestück!« Er nahm die Münze aus seinem Mund und polierte sie mit einer Serviette.
Barbara beugte sich zu ihm hinüber, um sie sich anzusehen. »Da ist Queen Victorias Kopf drauf! Es ist ein richtiges altes Silberstück, genau wie das, das wir immer hatten!«
Ian wendete die Münze in seiner Hand. »Nicht ganz so, wie das, das ihr hattet, nehme ich an.«
Barbara begutachtete sie erneut. »Ich finde, es sieht genau gleich aus.«
»Schau näher hin.« Er drehte die Münze ein weiteres Mal um, und nun wurde deutlich, was er meinte.
»Oh! Auf beiden Seiten ist dasselbe drauf! Wie seltsam.«
»Können wir jetzt an den Knallbonbons ziehen?«, fragte Vicki. Ian legte die Münze beiseite, als die farbenfrohen, rotgrünen Knallbonbons verteilt wurden. Barbara nahm einen entgegen und hielt dem Doktor das andere Ende hin. Er zog daran.
Die Kraft der Explosion haute sie beide um. Als der Doktor sich mit angesengten Augenbrauen und rußgeschwärztem Gesicht wieder hochrappelte, musste Barbara sich ein hysterisches Lachen verkneifen.
»Ich fürchte«, sagte der Doktor, so würdevoll er nur konnte, »die Macher dieser Bonbons haben es ein wenig mit dem Schießpulver übertrieben. Ich würde vorschlagen, dass wir die anderen lieber auslassen.«
»Es wird ohnehin Zeit für die Rede der Queen«, sagte Mr Robinson. »Kommt, meine Lieben!«
Sie drängten sich alle gemeinsam aufs Sofa und warteten ab, dass sich der kleine Fernseher warm lief. Endlich begann sich ein Gesicht abzuzeichnen. Barbara starrte die unscharfe Silhouette an. Schon wieder hatte sie das eindeutige Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Je schärfer das Bild wurde, desto klarer wurden auch ihre Gedanken. »Aber … das ist nicht die Queen!«, rief sie.
Die Robinsons sahen verwirrt aus. »Natürlich ist das die Queen«, sagte Mr Robinson. »Sie sieht genauso aus wie auf dem Sixpencestück.«
»Genau das meine ich!«, sagte Barbara. »Das ist Queen Victoria! Dabei sollte es Queen Elisabeth sein!«
»Nur eine kleine … Zeitverschiebung«, sagte der Doktor. »Kein Grund zur Sorge. Alles ist bestens.«
Vicki sprang auf. »Machen wir weiter mit den Geschenken. Die machen alles besser.« Sie rannte zur Wohnzimmertür hinüber und öffnete sie weit. »Komm rein!«, rief sie.
Schwere Schritte näherten sich. Barbara sah entsetzt zu, wie ein riesiges Monster durch den Türrahmen gekracht kam. Ein Wesen wie aus einem schrecklichen Albtraum – nein, keinem Albtraum, wie aus einem Horrorfilm …
»Nein! Seht ihr denn alle nicht, dass hier irgendwas falsch läuft?«, schrie sie. »Der Doktor hatte recht. Es ist eine Falle! Wir müssen hier weg!«
»Nein, noch nicht!«, flehte Vicki. »Der Feuerdrache fehlt doch noch!«
Es überraschte Barbara beinahe nicht einmal mehr, daraufhin einen Drachen durch das Fenster fliegen zu sehen, einen in blaue Flammen gehüllten Drachen, der unterwegs Mandeln und Rosinen fallen ließ. Sie schnappte sich Vicki mit der einen und Ian mit der anderen Hand und versuchte, die beiden aus dem Weg zu ziehen.
Der Drache spie Feuer, und das Cottage fing an zu brennen. Doch die Flammen strahlten keinerlei Wärme aus. Mr und Mrs Robinson brannten ebenfalls, lächelten aber weiterhin, völlig unbesorgt.
»Gut, dann … lasst uns was spielen!«, sagte Vicki unruhig. »Blindekuh! Komm schon, Barbara, du fängst an!«
Plötzlich wurde die Welt um sie herum dunkel.
»Ich kann nichts mehr sehen!«, rief Barbara erschrocken. »Gar nichts mehr! Bitte, Ian! Vicki! Doktor! Wir müssen hier weg!« Doch die Hände der anderen entglitten ihr, als sie losrannte, verzweifelt, verängstigt, entschlossen …
… und dann konnte sie plötzlich wieder sehen.
Sie war in der TARDIS, auf ihrem Bett. Hatte es in Wahrheit nie verlassen.
»Das war kein Traum«, sagte sie laut. »Es war zu realistisch, um nur ein Traum gewesen zu sein.«
Ein ersticktes Schluchzen ertönte vom anderen Bett. »Es tut mir so unglaublich leid!«, sagte Vicki weinend.
Es klopfte an der Tür. »Alle angezogen?«, rief Ian, dann kamen er und der Doktor herein.
Der Doktor legte einen Arm um Vickis Schultern. »Hör auf zu weinen, mein Kind. Du hast es nur gut gemeint.«
»Du wusstest es?«, fragte Vicki mit trauriger, gesenkter Stimme.
»Nicht sofort, aber irgendwann habe ich es gemerkt. Ach, du törichtes Ding!«
»Erklärt mir …«, verlangte Barbara. »Erklärt mir mal jemand, wovon ihr redet!«
»Es sollte mein Weihnachtsgeschenk an dich sein«, sagte Vicki. »Nachdem wir die Mineralien gefunden hatten, die wir für die Maschine des Doktors brauchten, wollte ich sie ausprobieren. Ich wollte dir das Weihnachten geben, das du dir gewünscht hast. Aber ich fürchte, ich habe ein paar Dinge missverstanden.«
»Wie dass die Knallbonbons explodieren und es einen echten Feuer speienden Drachen gibt statt eines viktorianischen Gesellschaftsspiels?«, entgegnete Ian. »Ja, ganz so wie in England, 1963, war das nicht. Und was hatte es mit diesem Monster auf sich, das durch die Tür gekracht ist?«
»Oh, war das etwa auch falsch? Ich dachte, das wäre eines der Geschenke, die man normalerweise zu Weihnachten überreicht: Gold, Weihrauch und eine Mumie.«
Ian rollte die Augen nach oben. »Myrrhe – nicht Mumie! Was bringen sie euch bloß in der Schule bei?«
»Was ist das für eine Maschine, Doktor?«, fragte Barbara. »Was bewirkt sie?«
»Sie erschafft einen gemeinsamen Traum«, antwortete der Doktor, »der von der Person, die die Maschine anwendet, beeinflusst werden kann, um traumatisierten Menschen zu helfen, ihre seelischen Wunden zu heilen.«
»Ich glaube, es hat mehr Trauma verursacht als alles andere«, fing Barbara an, doch als sie Vickis bestürzten Gesichtsausdruck sah, überlegte sie es sich noch einmal anders. »Aber es war auch sehr lieb von dir, Vicki, und wie wir in unserer Zeit gerne sagen: Der Gedanke zählt. Ich danke dir.«
»Gut, dann lasst uns doch mal schauen, wo wir gelandet sind«, sagte der Doktor. »Komm, mein Kind.« Er ging, und Vicki folgte ihm. Ian und Barbara blieben allein zurück.
»Sie hat es nur gut gemeint«, sagte Ian nach einem kurzen Moment der Stille.
»Das weiß ich. Ich bin nicht sauer. Es war nur … ich habe meinen Vater wiedergesehen«, sagte Barbara, und eine Träne rann ihr die Wange hinab. Sie griff in ihre Tasche, um ein Taschentuch herauszuholen. »Oh!«
Barbara zeigte ihm, was sie gefunden hatte. Ein großes weißes Stofftaschentuch mit einem Monogramm in einer Ecke: die Initialen I. C. »Das sollte mein Weihnachtsgeschenk für dich sein«, sagte sie. »Ich hatte mir Nadel und Faden von Mrs Robinson geliehen und es bestickt. Aber wie um alles in der Welt ist es in meine Tasche gekommen? Es war doch nur ein Traum.«
»Ich weiß es nicht, aber ich bin froh darüber. Danke.« Ian nahm es ihr ab, lächelte und steckte es sich in die Tasche. Dann machte auch er ein überraschtes Gesicht, öffnete seine Handfläche und zeigte ihr, was er wiederum in seiner gefunden hatte.
»Das silberne Sixpencestück! Das aus dem Christmas Pudding!«, rief Barbara.
Ian nickte. »Das Sixpencestück, das dem, der er es findet, Glück bringt. Vielleicht ist es ein Zeichen, dass wir doch endlich bald nach Hause zurückkehren werden.«
Barbara lächelte. »Ja, vielleicht werden wir das. So oder so kann ich mich allerdings bereits glücklich schätzen. Glücklich, solche guten Freunde zu haben.« Sie lehnte sich vor und küsste Ian auf die Wange. »Fröhliche Weihnachten, Ian – egal, was heute für ein Tag ist.«
»Doktor, hättest du die TARDIS nicht ausnahmsweise mal an einem freundlicheren Ort landen können?«, sagte der gut aussehende junge Schotte in dem grauen Rollkragenpullover und tartangemusterten Kilt. Neben ihm stand ein Mädchen, das weitaus kleiner war als er, mit zartem Gesicht und dunklem Haar, das zu einem akkuraten Bob geschnitten war. Beide hatten die Hände erhoben, um zu zeigen, dass sie sich ergaben. Eine dritte Gestalt stolperte hinter ihnen aus der Tür der TARDIS und schloss sich ihnen in dem hell erleuchteten Korridor des Raumschiffs an: ein Mann unbestimmbaren Alters, der einen ramponierten Gehrock über einer formlosen karierten Hose trug.
»Ach herrje«, murmelte der Doktor, sobald er sah, was sich vor ihnen abspielte. Ein uniformierter Mann in Begleitung zweier Wachen, deren Waffen direkt auf sie gerichtet waren, versperrte ihnen den Weg. Der Doktor tat es seinen Freunden gleich und hob ebenfalls die Hände, die Handflächen nach vorn gerichtet.
»Dies ist ein gesicherter Bereich«, verkündete der Mann in Uniform. »Wer sind Sie, und wie sind Sie hier reingekommen?«
Eine Metallplakette an seiner Brust wies ihn als Sicherheitschef Commander Barwell aus.
»Nun, ähm, Commander Barwell«, setzte der Doktor an, während er, so schnell er nur konnte, nachdachte. »Tatsächlich ist es so, dass wir …«
»Sie gehören selbstverständlich zu mir«, sagte eine neue Stimme weiter hinten im Korridor.
Die Wachen traten beiseite, als sich die Sprecherin näherte. Sie war groß und humanoid, hatte ein breites Gesicht und einen ebenso breiten Körper. Sie trug eine leuchtend rote Jacke, dazu eine gelbe Hose und ein weiß-blau gestreiftes Hemd. Zoe dachte, sie sah aus wie jemand, der sich im Dunkeln angezogen hatte.
»Mrs Butlins?«, fragte Commander Barwell.
»Das sind offensichtlich die Schauspieler, die ich von der Agentur habe schicken lassen«, erklärte die Frau strahlend.
»Verstehe, Madam. Dann verabschieden wir uns, wir haben noch Pflichten zu erfüllen. Guten Tag«, antwortete der Commander und ging mit den Wachen davon.
»Billie Butlins«, stellte sich die Frau vor und schüttelte kräftig die Hand des Doktors, dann Zoes und Jamies. »Sicherlich wurde Ihnen gesagt, dass Sie sich bei mir melden sollen, nicht? Sie sind doch die Schauspieler der Agentur, nehme ich an? Ich hatte noch nicht so zeitig mit Ihnen gerechnet, aber eigentlich passt es ganz gut, dass sie schon hier sind. So bleibt Ihnen mehr Zeit, das Skript durchzugehen.«
»Schauspieler? Skript?«, sagte Jamie, offensichtlich verwirrt.
»Wir bevorzugen die Bezeichnung ›Darsteller‹«, sagte der Doktor schnell über ihn hinweg.
»Ausgezeichnet!« Das Lächeln der Frau wurde noch breiter. »Wir sind eine kleine Truppe, und wenn bei der Vorstellung alles glattlaufen soll, muss jeder von uns vielseitig begabt sein.«
»Vorstellung?« Zoe schien genauso wenig zu verstehen.
»Hat Ihnen die Agentur das nicht gesagt?«, fuhr Mrs Butlins fort. »Anlässlich der Feiertage und zu Ehren Prinzessin Trianas Besuch auf dem Planeten Luxona führen wir Mr William Shakespeares klassische englische Farce Viel Lärm um eine Bohnenstange auf!« Als wolle sie ihre große Ankündigung noch unterstreichen, ließ sie anschließend laut einen fahren.
Ein schrecklicher Gestank füllte die Luft, worauf Jamie eine Hand vor der Nase hin und her wedelte.
»Wir können es kaum erwarten«, hüstelte der Doktor.
»Hier ist das Skript.« Mrs Butlins griff in ihre Handtasche und holte für jeden von ihnen eines hervor. Während sie ihnen die Skripte überreichte, ließ sie einen weiteren übel riechenden Furz entfleuchen.
»Hat sie was Schlechtes gegessen?«, murmelte Jamie.
»Was war das?«, fragte Mrs Butlins scharf.
»Vergessen, Mrs Butlins, haben Sie nicht was vergessen?«, schaltete sich der Doktor ein. »Sie haben uns noch nicht gesagt, wer welche Rolle spielen wird.«