Die Glücksbäckerei – Das magische Rezeptbuch - Kathryn Littlewood - E-Book

Die Glücksbäckerei – Das magische Rezeptbuch E-Book

Kathryn Littlewood

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Beschreibung

Wenn man Glück backen könnte ... Ein gutes Pfund Phantasie, eine ordentliche Portion Magie, je eine Prise Witz und Spannung und reichlich Warmherzigkeit – das ist das Rezept für diesen köstlichen Kinderroman, der alle Mädchen ab 10 Jahren verzaubern wird. Rose und ihre Familie haben ein Geheimnis. Es ist das alte Familienbackbuch mit so zauberhaften Rezepten wie Liebesmuffins und Wahrheitsplätzchen – oder auch Törtchen, um verlorene Dinge wiederzufinden. Roses Eltern hüten das Buch wie ihren Augapfel, keines der Kinder darf auch nur einen Blick hineinwerfen. Doch dann müssen die beiden Zauberbäcker verreisen. Rose und ihre Geschwister versprechen, sich von dem verbotenen Buch fernzuhalten. Doch dieses Versprechen ist gar nicht so einfach einzuhalten, und bald geht es in dem kleinen Dorf drunter und drüber … Der 1. Band der erfolgreichen »Glücksbäckerei«-Reihe – mit liebevoll verzierenden Vignetten (denn das Auge nascht mit!) Alle Bände über Die Glücksbäckerei: Band 1: Das magische Rezeptbuch Band 2: Die magische Prüfung Band 3: Die magische Verschwörung Band 4: Die magische Verwandlung Band 5: Die magische Rettung Band 6: Die magische Zeit Band 7: Das magische Fest Band 8: Die magische Schule Band 9: Die magischen Zwillinge Serie bei Antolin gelistet

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Seitenzahl: 320

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Kathryn Littlewood

Die Glücksbäckerei

Das magische Rezeptbuch

 

Aus dem Amerikanischen von Eva Riekert

 

Mit Vignetten von Eva Schöffmann-Davidov

Über dieses Buch

 

 

Wenn man Glück backen könnte …

 

Rose und ihre Familie haben ein Geheimnis. Es ist das alte Familienbackbuch mit so zauberhaften Rezepten wie Liebesmuffins und Wahrheitsplätzchen – oder auch Törtchen, um verlorene Dinge wiederzufinden. Roses Eltern hüten das Buch wie ihren Augapfel, keines der Kinder darf auch nur einen Blick hineinwerfen. Doch dann müssen die beiden  Zauberbäcker verreisen. Rose und ihre Geschwister versprechen, sich von dem verbotenen Buch fernzuhalten. Doch dieses Versprechen ist gar nicht so einfach einzuhalten – und bald geht es in dem kleinen Dorf drunter und drüber …

 

Der 1. Band der erfolgreichen »Glücksbäckerei«-Reihe – mit liebevoll verzierenden Vignetten (denn das Auge nascht mit!)

 

»Ein köstlich verrückter Lesegenuss!«

Eltern family

 

Alle Bände über Die Glücksbäckerei:

Band 1: Das magische Rezeptbuch

Band 2: Die magische Prüfung

Band 3: Die magische Verschwörung

Band 4: Die magische Verwandlung

Band 5: Die magische Rettung

Band 6: Die magische Zeit

Band 7: Das magische Fest

Band 8: Die magische Schule

Band 9: Die magischen Zwillinge

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch

Biografie

 

 

Kathryn Littlewood ist Schriftstellerin, Schauspielerin und Comedian, lebt in New York, USA, arbeitet oft in Los Angeles – und hat eine ebenso große Schwäche für Pain au chocolat wie für Kinderbücher. Sie ist eine leidenschaftliche Köchin, aber eine fürchterliche Bäckerin, und gibt zu, dass ihr noch nie ein Kuchen geglückt ist. Essen tut sie ihn dennoch für ihr Leben gern!

 

Eva Schöffmann-Davidov ist eine der renommiertesten Kinder- und Jugendbuchillustratorinnen Deutschlands. Nach ihrem Studium an der Fachhochschule für Gestaltung in Augsburg machte sie sich schnell einen Namen und gewann zahlreiche Preise. Als Dozentin gab sie ihr Wissen auch an junge Künstler*innen weiter. Heute illustriert sie Kinderbuchserien und Jugendbücher unter anderem von Bestsellerautor*innen wie Kerstin Gier oder Tanya Stewner. Sie lebt mit ihrer Familie in Augsburg.

Inhalt

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Danksagung

Dein magisches Rezeptbuch

Liebe Zauberbäckerfreundin,

Bevor du loslegst:

Alles-wird-gut-Torte

Freundschaftsmuffins

Heimwehkekse

Herzschmerz-Crumble

Komm-aus-dem-Quark-Kuchen

Lern-leicht-Bällchen

Liebeslollies

Magische Mondscheintorte

Saftige Sonnenscheintorte

Trau-dich-Törtchen

Weihnachtswunderplätzchen

Wunsch-wahr-Kekse

Zauberhafte Zitronenschnitten

Für Ted

 

 

Prolog

Eine Prise Zauberei

Rosmarin Glyck wurde zehn in dem Sommer, in dem sie zum ersten Mal beobachtete, wie ihre Mutter einen Blitz in einen Teig rührte. Erst jetzt dämmerte ihr, dass ihre Eltern in ihrer Bäckerei nach Zauberrezepten backten. Plötzlich lag das klar auf der Hand.

Es war der Monat, in dem der Jüngste der Calhouns, der sechsjährige Kenny, am Bahnhof in einen unverschlossenen Schaltraum geraten war, den falschen Knopf berührt hatte und fast an einem elektrischen Schlag gestorben wäre. Doch der Stromstoß hatte ihn nicht mausetot gemacht, sondern nur bewirkt, dass Kennys Haare zu Berge standen und er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.

Als Rosmarins Mutter Polly hörte, dass der Nachbarsjunge Kenny im Koma lag, schloss sie die Bäckerei und sagte: »Es gibt Wichtigeres als Kekse«, und dann machte sie sich in der Küche an die Arbeit. Nicht einmal essen oder schlafen wollte sie. Nächte vergingen, und sie arbeitete durch. Roses Vater Albert passte auf Roses Geschwister auf, während Rose bettelte, ihrer Mutter in der Küche helfen zu dürfen. Doch stattdessen wurde Rose einkaufen geschickt – in die Stadt, um mehr Mehl oder dunkle Schokolade oder Vanilleschoten zu holen.

Endlich, ganz spät am Sonntagabend, während das schlimmste Gewitter des Sommers auf Calamity Falls einpeitschte – mit Donnerschlägen, Blitzen und Regengüssen, deren Prasseln sich anhörte, als würden Hände voll Kiesel aufs Dach geworfen –, verkündete Polly: »Es ist an der Zeit.«

»Wir können die Kinder nicht allein lassen«, sagte Albert. »Nicht bei so einem Gewitter.«

Polly nickte knapp. »Dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als sie alle mitzunehmen.« Sie drehte sich um und rief nach oben: »Ausflug für alle!«

Rose bekam vor Aufregung einen Schluckauf, als ihr Vater sie und ihre Brüder und die kleine Schwester in den Familienvan packte, zusammen mit einem großen Einmachglas aus trübem, bläulichem Glas.

Der Van schaukelte und kam fast von der Straße ab, so stürmte und regnete es, doch Albert biss die Zähne zusammen und steuerte unverdrossen auf die kahle Anhöhe des Bald Man’s Peak zu.

Er parkte. »Willst du es wirklich tun?«, fragte er seine Frau.

Sie löste die Klammer am Deckel des Einmachglases. »Kenny ist zu jung. Ich muss es zumindest versuchen.« Und damit stieß sie die Tür auf und stürzte in den Regen hinaus.

Rose sah zu, wie ihre Mutter durch den brüllenden Sturm den Hang hinaufstolperte, bis nach ganz oben auf die kahle Bergspitze. Dann nahm sie den Deckel ab und hielt das Glas über ihren Kopf.

In dem Moment passierte es.

Rose blieb fast das Herz stehen, als der Blitz den Himmel in zwei Hälften teilte und direkt in das Glas fuhr. Die gesamte Anhöhe wurde erleuchtet, und Roses Mutter loderte hell auf, als sei sie aus gleißendem Licht.

»Mama!«, schrie Rose und riss am Türgriff, doch Albert hielt sie zurück.

»Das reicht noch nicht«, sagte er. Es folgte noch ein Blitzschlag und noch einer …

Hinterher wusste Rose nicht, ob sie von dem Licht geblendet oder von ihren Tränen blind geworden war.

»Mama!«, wimmerte sie.

Und dann öffnete sich die Wagentür wieder, und ihre Mutter glitt ins Auto. Sie war völlig durchnässt und roch wie ein verkohlter Toaster, doch ansonsten sah sie unverletzt aus. Rose starrte in das Glas und sah darin Hunderte von knisternden, bläulichen Lichtadern zucken.

»Nichts wie nach Hause, und zwar dalli«, sagte Polly. »Das ist die Zutat, die noch gefehlt hat.«

 

Daheim wurden die Kinder zu Bett geschickt, doch Rose blieb heimlich auf und sah zu, wie ihre Mutter zur Tat schritt.

Polly stand über eine metallene Rührschüssel gebeugt, die mit einem glatten weißen Teig gefüllt war. Vorsichtig hielt sie das Einmachglas über die Schüssel und nahm den Deckel ab. Kleine Blitze aus blauem Licht fielen zuckend wie Schlangen in den Teig und ließen die Masse grün aufleuchten.

Polly rührte den Teig mit einem Löffel um und flüsterte: »Electro Correcto.« Dann goss sie ihn in eine Kastenform und schob diese in den Ofen. Sie schloss die Tür. Ohne sich umzusehen, sagte sie: »Du solltest längst im Bett sein, Rosmarin Glyck.«

 

In dieser Nacht schlief Rose nicht gut. In ihren Träumen blitzte es, und ihre Mutter glühte grell und ermahnte sie mit erhobenem Zeigefinger, ins Bett zu gehen.

Am Morgen stürzte ihre Mutter den Kuchen auf einen Teller, träufelte mit einem Spritzbeutel etwas weißen Zuckerguss darüber und rief Albert zu: »Gehen wir!« Sie spießte Rose fast mit ihrem Finger auf: »Du auch.«

Dann fuhren Rose, Polly und Albert in das Krankenhaus, in dem Kenny lag.

Rose fand, dass er rein äußerlich gar nicht so krank aussah – ein bisschen stiller als gewöhnlich, etwas zu bläulich, um richtig gesund zu wirken. Aber er war an einschüchternd aussehende Maschinen angeschlossen, und sein Puls war nur ein schwaches Piepsen in dem kleinen Krankenzimmer.

Kennys Mutter blickte auf, sah Mrs Glyck und brach in Tränen aus. »Für Kuchen ist es zu spät, Polly!«, sagte sie, doch Roses Mutter steckte dem Jungen behutsam ein paar Krümel zwischen die Lippen.

Eine Weile passierte gar nichts.

Und dann ein ganz schwaches Schlucken.

Polly steckte ihm ein größeres Stück in den Mund. Diesmal bewegte sich seine Zunge, und er schluckte schon deutlicher. Dann schob sie einen ganzen Bissen in seinen Mund, und er bewegte ganz natürlich die Kiefer. Er kaute und schluckte und sagte, ehe er überhaupt die Augen aufschlug: »Gibt’s auch ein bisschen Milch?«

 

Nach diesem Ereignis wusste Rose, dass die Gerüchte stimmten. Die Backwaren aus ihrer Glücksbäckerei waren tatsächlich verzaubert. Und obwohl ihre Mutter und ihr Vater in einer gewöhnlichen Kleinstadt lebten, einen langweiligen Familienvan besaßen und manchmal mit peinlichen Gürteltaschen gesehen wurden, waren sie in ihrer Küche Zauberer.

Und natürlich formte sich in Roses Kopf sofort die große Frage: Werde ich auch einmal eine Glücksbäckerin?

Kapitel 1

Calamity Falls

Zwei Jahre vergingen, in denen Rose ganz schön viele größere und kleinere Katastrophen in Calamity Falls miterlebte – und beobachten konnte, wie ihre Eltern sie alle stillschweigend behoben.

Als Mr Rook anfing, in den Gärten von Nachbarn zu schlafwandeln, machte ihm Polly einen Schwung Tiefschlaf-Snickerdoodles. Dazu hatte sie eine ihrer riesigen Rührschüsseln mit Mehl, braunem Zucker, Eiern, Zimt und dem Gähnen eines Wiesels gefüllt, das Albert mühevoll eingefangen hatte. Mr Rook aß die Plätzchen und schlafwandelte nie wieder.

Als der dicke Mr Wadsworth in einem Brunnenschacht stecken blieb und die Feuerwehr ihn nicht herausziehen konnte, fing Albert den Schweif einer Wolke in einem der bläulichen Einmachgläser ein, und Polly backte daraus Weiße Wolkenmakronen.

»Ich glaube zwar kaum, dass in dieser Situation süßes Gebäck angebracht ist, Mrs Glyck!«, rief Mr Wadsworth, als sie eine Schachtel der Plätzchen hinunterließen, »aber die Dinger sind ja so lecker!« Er verschlang zwei Dutzend davon. Danach war es für ihn kein Problem mehr, aus dem Brunnen zu klettern – er schwebte praktisch empor.

Und als Mrs Rizzle, die ältliche Opernsängerin, plötzlich zu heiser war, um die Generalprobe zu dem Musical Oklahoma! im Theater von Calamity Falls durchzustehen, machte Polly Singsang-Ingwer-Cookies. Dazu musste Rose auf dem Markt Ingwerknollen holen, und Albert musste das Lied einer Nachtigall einfangen – natürlich nachts.

In Deutschland.

Albert hatte gewöhnlich nichts gegen solche gewagten Abenteuer einzuwenden – abgesehen von dem einen Mal, als ein Bienenstich benötigt wurde … Gewöhnlich brachte er jedes Mal noch zusätzliche Dinge mit, und diese Zutaten wurden sorgfältig etikettiert, in den bläulichen Einmachgläsern verstaut und in einer geheimen Kammer in der Glücksbäckerei versteckt. Hier würde sie niemals jemand finden – es sei denn, derjenige wusste genau, wonach er suchen musste.

Rose hatte die Aufgabe, die weniger gefährlichen Zutaten zu holen – Eier, Mehl, Milch, Nüsse. Die einzigen Notfälle, für die Rose zuständig war, wurden von ihrer kleinen dreijährigen Schwester verursacht.

 

Am Morgen des dreizehnten Juli erwachte Rose von dem Scheppern der Metallschüsseln, die auf dem gefliesten Küchenboden landeten. Das Getöse hallte so heftig durchs Haus, dass sich einem normalen Menschen die Nackenhaare gesträubt hätten. Rose verdrehte nur die Augen.

»Rose!«, rief ihre Mutter. »Kannst du nach unten in die Küche kommen?«

Rose schleppte sich aus dem Bett und stolperte noch im Nachthemd die Holztreppe hinunter.

Die Küche der Familie Glyck war zufällig gleichzeitig auch die Backstube der Glücksbäckerei, die Roses Eltern in dem sonnigen Vorderzimmer betrieben, das auf eine belebte Straße von Calamity Falls hinausging. Wo bei anderen Familien ein Sofa und der Fernseher standen, hatte Familie Glyck eine Ladentheke für all die Backwaren mit einer Kasse darauf – sowie einige Bistrotische und -stühle für die Kundschaft.

Polly Glyck stand in der Küche mitten in einem Chaos aus umgekippten Rührschüsseln, kleinen Mehlhügeln, einem umgefallenen Sack Zucker und den leuchtend gelben Dottern von zwölf aufgeschlagenen Eiern. Weißes Kuchenmehl wirbelte durch die Luft wie ein Schneegestöber.

Roses kleine Schwester Nella Glyck saß mitten auf dem Fußboden, ihre Polaroidkamera um den Hals, die Wangen mit rohem Ei beschmiert. Sie grinste vergnügt und machte ein Foto von dem Durcheinander.

»Pimpinella Glyck«, sagte Polly zu der Kleinen. »Du kommst durch die Küche gerannt und schmeißt einfach alle Zutaten für die Mohnmuffins um, die ich backen wollte. Du weißt doch, dass die Leute auf unsere Mohnmuffins warten. Und jetzt bekommen sie keine.«

Nella verzog kurz verlegen das Gesicht, dann grinste sie breit und rannte aus der Küche. Sie war noch zu klein, um sich länger als eine Minute wegen irgendetwas zu schämen.

Polly rang die Hände und lachte. »Sie hat Glück, dass sie so niedlich ist.«

Rose blickte sich bestürzt in dem Durcheinander um. »Soll ich beim Aufwischen helfen?«

»Nein, dabei soll mir dein Vater helfen. Aber«, sagte sie vorsichtig und reichte Rose eine Liste, die sie auf die Rückseite eines Umschlags gekritzelt hatte, »du könntest in die Stadt fahren und diese Zutaten besorgen.« Sie warf noch mal einen Blick auf die Schweinerei auf dem Boden. »Es ist ziemlich dringend.«

»Klar, Mom«, sagte Rose und fügte sich seufzend in ihr Schicksal, mal wieder den Laufburschen für die Familie spielen zu müssen.

»Ach!«, rief Polly. »Das hätte ich fast vergessen.« Sie nestelte die Silberkette von ihrem Hals und reichte sie Rose. An der Kette baumelte etwas, das Rose immer für einen gewöhnlichen Anhänger gehalten hatte. Bei genauerem Hinsehen war es jedoch ein silberner Schlüssel in Form eines winzigen Schneebesens oder Quirls.

»Geh zum Schlüsseldienst und lass einen Nachschlüssel davon machen. Wir werden ihn brauchen. Das ist sehr, sehr wichtig, Rosmarin.«

Rose untersuchte den Schlüssel. Er war wunderschön und feingliedrig – wie eine Spinne, die die Beine aneinandergelegt hatte. Rose wusste, dass ihre Mutter den Schlüssel ständig trug wie einen Talisman, hatte jedoch immer angenommen, dass dieser Anhänger einfach nur eines der außergewöhnlichen Schmuckstücke war, die ihre Mutter liebte, wie zum Beispiel die Schmetterlingsbrosche mit einer Flügelspanne von fünfzehn Zentimetern oder die Anstecknadel, die wie ein Hut aussah.

»Und wenn du fertig bist, kannst du dir bei Stetson einen Donut holen. Wenn ich auch nicht verstehe, was du an den Dingern findest. Sie taugen nichts.«

Im Grunde verabscheute Rose Stetsons Donuts. Sie waren zu trocken und zu krümelig und schmeckten ein bisschen nach Hustensaft – aber was konnte man schon erwarten von Donuts, die es in einem Laden mit dem Namen Stetsons Donuts und Automobilwerkstatt gab? Und dennoch – ein Besuch dort bedeutete, fünfundsiebzig Cent in die ausgestreckte Hand von Devin Stetson drücken zu dürfen.

Devin Stetson, der wie sie zwölf Jahre alt war, wenn er auch viel älter wirkte, der bei den Tenören des Gemeindechores in Calamity Falls sang, der sandfarbene Haare hatte, die ihm in die Augen fielen, und der einen gerissenen Keilriemen reparieren konnte.

Jedes Mal, wenn er auf dem Schulkorridor an ihr vorbeikam, suchte sie einen Grund, um auf ihre Schuhe zu starren. Um die Wahrheit zu sagen, das Einzige, das sie im richtigen Leben jemals zu ihm gesagt hatte, war: Danke für den Donut. Aber in ihrer Phantasie waren sie schon auf seinem Moped am Fluss entlanggebraust, hatten mitten auf einer Wiese gepicknickt, sich gegenseitig Gedichte vorgelesen, sich vom langen Gras die Gesichter kitzeln lassen, und sie hatten sich im Herbst unter einer Straßenlaterne geküsst. Vielleicht konnte sie ja heute eines der Dinge, die sie im richtigen Leben mit Devin Stetson unbedingt machen wollte, auf ihrer Liste abhaken. Oder auch nicht. Was sollte er schließlich mit einer Bäckerin?

Rose machte kehrt, um zum Anziehen hinaufzugehen.

»Ach, und noch was!«, rief Polly schon wieder hinter ihr her. »Nimm deinen kleinen Bruder mit.«

Rose blickte an dem Chaos auf dem Küchenboden vorbei durch die Hintertür in den Garten, wo ihr jüngerer Bruder, Basil Glyck, wie wild auf dem riesigen Trampolin herumhüpfte und dabei vor Begeisterung laute Schreie ausstieß. Er war noch im Schlafanzug.

Rose stöhnte. Die Einkäufe vorne im Korb ihres Fahrrads zu befördern war schwer genug, aber Basil von Laden zu Laden zu schleppen machte die ganze Unternehmung noch zehnmal schwieriger.

1. Borzinis Nussladen: 1 Pfund Mohnsamen

Rose und Basil lehnten ihre Fahrräder an die Stuckfassade von Borzinis Nussladen und traten ein. Borzinis Nussladen war nicht zu übersehen. Es war der einzige Laden in Calamity Falls, der wie eine Erdnuss aussah.

Basil marschierte schnurstracks zu einer Tonne mit Mr Borzinis feinsten importierten äthiopischen Macadamianüssen, schob die Arme hinein und warf Dutzende von Nüssen in die Luft. Rose starrte ihren Bruder böse an, der wie ein aufgeregter Jongleur umhersprang und versuchte, die Nüsse mit dem Mund aufzufangen, ehe sie dann doch auf den Boden fielen.

Mit seinen neun Jahren sah Basil bereits aus, als würde er auf die Bühne eines Comedyclubs gehören. Ein lockiger Wust rotblonder Haare stand wild um seinen Kopf, und seine rundlichen, sommersprossigen Wangen nahmen fast das ganze Gesicht ein. Seine rötlichen Brauen über den Augen gaben ihm den Anschein, als sei er ständig in Aufregung.

»Basil, warum machst du das?«, fragte Rose.

»Ich hab gesehen, wie Tymo das mal mit Popcorn gemacht hat. Er hat fast alle Pops mit dem Mund aufgefangen.«

Tymo war ihr großer Bruder, der Älteste der Glyck-Kinder, und er hatte ein Gesicht, bei dessen Anblick alle dahinschmolzen. Sein welliges Haar war rot und seine durchdringenden Augen grau wie die eines sibirischen Huskys. Er war fünfzehn und betrieb jede nur mögliche Sportart, und wenn er auch nicht überall der Größte war, so war er doch immer der Bestaussehende. Er war ganz genau der Junge, der eine Handvoll Popcorn in die Luft warf und mit dem Mund auffing, ohne dass auch nur ein Krümel danebenging. Das Einzige, was er nicht konnte, war, sich dazu aufzuraffen, in der Bäckerei zu helfen. Aber das machte seinen Eltern nicht viel aus. Tymos Gesicht war wie eine Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte, die Jahr für Jahr besser funktionierte.

Mr Borzini, der ebenfalls wie eine Erdnuss aussah, kam aus dem Hinterzimmer geschlurft. »Hallöchen, Rosie!«, sagte er grinsend. Dann sah er die Macadamianüsse auf dem Boden, und sein Grinsen erstarb. »Hallo, Basil.«

»Wir brauchen ein Pfund Mohnsamen«, sagte Rose mit einem Lächeln.

»Prrrronto!« Basil rollte das R wie ein Italiener und küsste seine Fingerspitzen. Mr Borzinis unwilliger Ausdruck schmolz dahin, und er lachte.

Prustend reichte er Rose den Mohn. »Du hast vielleicht einen ulkigen Bruder, Rosie!«

Rose grinste gezwungen und wünschte sich insgeheim, dass jemand sie auch einmal für so ulkig halten würde wie Basil. Sie war zurückhaltend sarkastisch, aber das war ja nicht das Gleiche. Sie war auch nicht so umwerfend gutaussehend wie Tymo. Und sie war zu alt, um so niedlich zu sein wie Nella. Sie konnte gut backen, was vor allem bedeutete, dass sie sorgfältig war und gut rechnen konnte. Aber niemand sah sie jemals mit einem Lächeln an und sagte: Wow! Du bist ja so sorgfältig und kannst so gut rechnen, Rose!

Daher hielt sich Rose allenfalls für gewöhnlich, sie war eben wie jemand, der stumm durch den Hintergrund eines Filmsets lief. Na ja.

Rose dankte Mr Borzini und legte das Jutesäckchen mit Mohn in den Metallkorb vorne an ihrem Fahrrad. Dann zerrte sie ihren Bruder nach draußen, und die beiden fuhren los.

»Ich versteh gar nicht, warum ausgerechnet wir das ganze Zeug holen müssen«, grummelte Basil, während sie bergauf radelten. »Wenn Nella die Sachen umgeschmissen hat, dann sollte sie doch einkaufen gehen.«

»Basil. Sie ist drei.«

»Ich verstehe nicht, warum wir überhaupt in der blöden Bäckerei arbeiten müssen. Wenn unsere Eltern das nicht alleine schaffen, hätten sie gar nicht erst damit anfangen sollen.«

»Du weißt, dass sie nicht anders können. Backen liegt ihnen im Blut«, erwiderte Rose unter Keuchen. »Außerdem würde diese Stadt ohne sie vor die Hunde gehen. Alle brauchen unsere Kuchen und Törtchen und Muffins, zum Überleben sozusagen. Wir betreiben einen Dienst an der Öffentlichkeit.«

Wenn sie auch oft die Augen verdrehte, liebte Rose es insgeheim, zu helfen. Sie liebte es, ihre Mutter vor Erleichterung aufatmen zu hören, wenn sie mit den ganzen Zutaten zurückkam. Sie liebte es, wie ihr Vater sie drückte, wenn sie einen schön sandigen Mürbeteig hinbekommen hatte. Sie liebte es, die Kunden vor Zufriedenheit seufzen zu hören, nachdem sie den ersten Bissen eines blätterigen Schokoladencroissants genommen hatten. Und sie liebte es, dass die Zutaten – einige davon ganz normal, andere nicht so normal – die Leute nicht nur glücklich machten, sondern manchmal noch viel mehr für sie taten.

»Also, ich will den Gesetzestext über die Bestimmungen zur Kinderarbeit in Calamity Falls haben. Ich bin nämlich ziemlich sicher, dass es gegen das Gesetz ist, was sie mit uns machen.«

Rose wurde langsamer und hielt sich die Nase zu, als Basil an ihr vorbeiradelte. »Wie du zu müffeln ist auch gegen das Gesetz.«

Basil schnaubte empört. »Ich müffel doch nicht!«, sagte er, aber dann hob er einen Arm hoch und überprüfte mit der Nase seine Achselhöhle. »Na gut, vielleicht ein bisschen.«

2. Florence, die Floristin: 1 Dutzend Mohnblumen

Rose und Basil fanden Florence, die Floristin, schlafend in einem Sessel in der Zimmerecke. Jeder in Calamity Falls stellte Mutmaßungen über ihr wahres Alter an, aber die übereinstimmende Meinung war, dass sie unmöglich jünger als neunzig sein konnte.

Ihr Laden sah eher wie ein Wohnzimmer als wie ein Blumenladen aus – gelbes Sonnenlicht strömte durch die Fensterläden auf ein kleines Sofa, eine dicke getigerte Katze lag ausgestreckt neben dem staubigen Kamin. Eine Reihe von Vasen in der Nähe des Fensters war mit allen nur vorstellbaren Blumen gefüllt, und von der Decke hing ein Dutzend Körbe, aus denen alle möglichen grünen Kletterpflanzen quollen.

Rose strich sich einige Ranken Efeu aus dem Gesicht und räusperte sich.

Florence schlug die Augen auf. »Wer ist da?«

»Rosmarin Glyck«, sagte Rose.

»Aha«, brummte Florence, als sei sie verärgert über die Kundschaft. »Was … kann … ich … für dich tun?«, fragte sie. Sie erhob sich schnaufend und schlurfte zu den Vasen unter dem Fenster.

»Ein Dutzend Mohnblumen, bitte«, sagte Rose.

Mit einem Stöhnen bückte sich Florence, um die seidenpapierartigen roten Blumen herauszuziehen. Als ihr Blick jedoch Basil streifte, wurde sie munterer. »Bist du das, Tymo? Du siehst irgendwie … kleiner aus.«

Basil lachte, es schmeichelte ihm, dass man ihn für seinen älteren Bruder gehalten hatte. »Nein, nein«, sagte er. »Ich bin Basil. Jeder sagt, dass Tymo und ich uns ähnlich sehen.«

Florence verfiel wieder in ihren brummigen Ton. »Den Mädchenschwarm werde ich sehr vermissen, wenn er aufs College kommt.«

Ständig machten sich alle Gedanken darüber, was Roses ach-so-gut-aussehender Bruder machen würde, wenn er mal alt genug war, um Calamity Falls zu verlassen. So, wie es ihm vorbestimmt schien, den Ort zu verlassen, so schien es Roses Schicksal zu sein, dazubleiben. Wenn sie in Calamity Falls blieb, würde sie dann wohl so enden wie Florence, die Floristin? Mit nichts Besserem zu tun, als tagsüber in einem Sessel zu dösen und darauf zu warten, dass etwas Außergewöhnliches und Aufregendes passierte – und doch gleichzeitig zu wissen, dass so etwas nie eintreten würde?

Aber fortzugehen würde bedeuten, die Bäckerei zu verlassen. Und dann würde sie niemals herausfinden, wo ihre Mutter all die blauen Zaubergläser versteckte. Nie würde sie lernen, wie man etwas Nordwind in einen Zuckerguss mischte, der das steinerne Herz einer lieblosen Person schmelzen ließ. Sie würde nie wissen, wie sie Froschaugen, flüssiges Magma und Backpulver dosieren musste – um Knochenbrüche auf der Stelle zu heilen, wovon ihre Mutter ihr erzählt hatte.

»Und was ist mit dir, Rosmarin?«, fragte Florence, während sie die Mohnblumen in Packpapier wickelte. »Läuft was Interessantes? Was mit Jungs?«

»Ich bin zu beschäftigt damit, auf Basil aufzupassen«, sagte Rose ein wenig zu betont.

Es stimmte, sie hatte keine Zeit, um sich mit Jungen zu verabreden, aber selbst wenn ihre Zeit nicht so knapp gewesen wäre, dann hätte sie es wahrscheinlich auch nicht gemacht. Ein Date kam ihr so abartig und ein bisschen unappetitlich vor wie Sushi. Was sie sich vorstellen konnte, war, mit Devin Stetson oben auf dem Sparrow Hill zu stehen und auf die Stadt hinunterzublicken, während ihnen der Herbstwind durch die Haare fuhr und die Blätter rascheln ließ. Aber das war ja kein richtiges Date.

Immerhin war er der Grund, warum sie heute Morgen geduscht, sich die Kletten aus den schulterlangen schwarzen Haaren gekämmt und ihre Lieblingsjeans angezogen hatte, dazu eine blaue Bluse mit der richtigen Menge Rüschen (sehr wenig!). Sie wusste, dass sie nicht hässlich war, aber umwerfend war sie auch nicht. Rose war sich sicher: Wenn sie überhaupt etwas Besonderes besaß, dann versteckte es sich irgendwo in ihrem Inneren und war ihr nicht anzusehen.

In der Angelegenheit schien ihr ihre Mutter zuzustimmen. Du bist nicht wie andere Mädchen, hatte sie einmal gesagt. Du kannst so gut rechnen!

Während sie mit Basil den Laden verließ, den Mohnstrauß in der Hand, überlegte Rose, warum sie nicht beides sein konnte – ein Mädchen, das gut rechnen konnte, und eines, das hübsch war.

3. Pappelmarkt: 2 Pfund saure Äpfel

Sie traten wild in die Pedale und waren im Nu über die Gleise und auf dem Pappelmarkt, der am frühen Vormittag so gut besucht war, dass die Gassen zwischen den Obst- und Gemüseständen verstopft schienen wie der Highway bei Ferienbeginn.

»Ich brauche Äpfel!«, rief Rose und wedelte mit einer Hand in der Luft herum.

»Gasse drei!«, schrie ein Mann hinter einem Tisch, auf dem sich so hoch Pfirsiche stapelten, dass man ihn kaum sah.

Basil hielt den Verkehrsstrom auf, indem er zwei birnenförmige Kürbisse griff und sie wie Hanteln hochhielt.

»Warum machst du das?«, fragte Rose, während sie die Äpfel einkaufte.

»Damit ich Muckis krieg – wie Tymo«, keuchte er und lief rot an wie eine Tomate. »Tymo und ich werden Profisportler. Auf keinen Fall bleib ich hier und backe für den Rest meines Lebens Kuchen.«

Rose riss die Kürbisse aus Basils ausgestreckten Armen und legte sie zurück. »Aber wir helfen doch anderen Menschen«, flüsterte sie ihm zu. »Wir sind Zauberer, gute Zauberbäcker.«

»Wenn wir Zauberer sind, wo sind dann unsere Zauberstäbe und Eulen und Zauberhüte? Und wo ist unser Erzfeind?«, fragte Basil. »Sieh’s ein, Schwesterherz – wir sind stinknormale Bäcker. Während du hier feststeckst und Kuchen bäckst, werden wir in Frankreich oder sonst irgendwo ein Paar Sportschuhe nach dem anderen durchlaufen.«

Basil radelte weiter und ließ Rose mit den Äpfeln allein. Ihre Arme zitterten unter dem Gewicht.

4. Mr Klines Schlüsseldienst: Du weißt schon, was

In einem rostigen Wellblechschuppen am Rand der Stadt reichte Rose Mr Kline den zarten quirlartigen Schlüssel. Mr Kline betrachtete ihn durch eine Brille mit Gläsern so dick wie Flaschenböden.

Der Schlüsselladen war fensterlos, und alles darin war mit einer feinen grauen Staubschicht überzogen, als sei Mr Kline gerade von einem langen Urlaub zurückgekommen. Rose atmete durch den Mund ein. Die Luft schmeckte nach Metall.

»Dafür brauche ich eine halbe Stunde«, sagte Mr Kline. »Vielleicht möchtest du später noch mal wiederkommen?«

Basil stieß ein übertrieben lautes Stöhnen aus, aber Rose war glücklich. Zufällig lag Klines Laden am Fuß von Sparrow Hill, und Stetsons Geschäft lag oben auf dem Hügel.

»Komm, Brüderchen«, sagte sie. »Wir machen einen Spaziergang den Hang hinauf.«

»Auf keinen Fall!«, sagte Basil. »Das ist viel zu steil, und es ist viel zu heiß. Ich geh mal zum Süßigkeitenladen und schau, ob sie Jellybeans in einer neuen Geschmacksrichtung haben.«

»Ach, komm schon«, sagte Rose und packte ihn an der Schulter. »Das macht doch Spaß. Wir gehen zum Aussichtspunkt und gucken, ob wir unser Haus finden. Und ich kauf dir einen Donut.«

»Na gut. Aber«, sagte er und hob einen Finger hoch über den Kopf, »nur wenn ich den Donut selbst aussuchen darf!«

5. Stetsons Donuts und Automobilwerkstatt

Rose war ganz außer Atem, als sie oben auf dem Berg angekommen waren. Stetsons war eine langweilige Betonbaracke, vor der lauter alte Autoteile herumlagen. In alte am Boden liegende Reifen waren Stiefmütterchen gepflanzt, und ein Donut-Schild hing an einem alten Kotflügel über der Tür.

Rose zitterte und strich sich das schwarze Haar, das jetzt vor Schweiß klebte, aus der Stirn. Sie gehörte zu den Mädchen, die keine Angst vor Spinnen, Mountainbikes oder davor haben, sich die Finger am heißen Backofen zu verbrennen – mit allen drei Sachen hatte sie schon reichlich Erfahrung gemacht. Aber in den Raum zu treten, in dem ein Junge war, den sie mochte? Das machte ihr richtig Angst.

Gerade, als sie so viel Mut zusammengekratzt hatte, um die Einfahrt entlangzugehen und den Laden zu betreten, sauste Devin Stetson auf seinem Moped vorbei. Seine blonden Fransen flatterten im Wind, und er fuhr zügig bergab. Anscheinend hatte ihm sein Vater den Vormittag freigegeben.

Roses Magen revoltierte. Das war so ein Gefühl, als ob man auf einer Schaukel höher schaukelt, als man sollte, und der Magen hinterherflattert und einem im Bauch herumflippt wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Sie sah ihm nach und hätte schwören können, dass er sich kurz nach ihr umgesehen hatte.

Basil war schon beim Aussichtspunkt und kletterte aufs Geländer. »Wow. Rose, schau mal!«

Rose löste sich aus ihrer Erstarrung und lief zu ihm, um zu sehen, was er meinte: Eine Karawane von Polizeiautos schlängelte sich durch die Hauptstraße der Stadt. Von hier oben sah Calamity Falls wie ein gemaltes Bild aus und die Autos wie eine blaue Giftschlange, die sich mitten hindurchringelte.

»Wo fahren die hin?«, fragte Basil. Er war auf einmal ganz untypisch still.

»Mannomann«, sagte Rose und spähte nach unten. »Ich glaube, sie fahren zur Bäckerei.«

Kapitel 2

Ein echter Hammer

»Vielleicht ist Tymo festgenommen worden«, sagte Rose. Sie und Basil warfen ihre Räder in den Hof der Bäckerei und rannten zur Hintertür. Drei Streifenwagen bildeten ein Bollwerk vor dem Haus, und ein weißer Geländewagen mit getönten Scheiben – Basil erkannte sofort, dass es ein Hummer war – kauerte wie ein dicker Pitbull-Terrier in der Einfahrt.

Durch das heruntergelassene Fahrerfenster des Hummer konnten Rose und Basil einen Mann in einer adretten Polizeiuniform und mit einer Sonnenbrille sehen. Er sprach in ein Walkie-Talkie. »Sie sind noch drin«, sagte er. »Ich kenne sie – mit leeren Händen kommen sie nicht raus.«

Rose stieg auf ein Mäuerchen und spähte durch die geöffneten Fensterläden in eines der Küchenfenster. Ihre Eltern standen auf einer Seite des großen hölzernen Hackblocks, den Polly wie einen Einkaufswagen hin und her schob. Eine Frau in einem strengen dunkelblauen Hosenanzug stand auf der anderen Seite des Blocks. Polly und Albert sahen sich nervös an, und Polly hatte die Hand auf das alte Backbuch der Familie Glyck gelegt, das zugeklappt auf dem Hackblock lag. Wenn der Wälzer aufgeschlagen war, sah das Buch wie ein großer weißer Vogel mit ausgebreiteten Flügeln aus; geschlossen wirkte es unscheinbar wie ein kleiner brauner Brotlaib.

Jetzt ist es so weit, dachte Rose. Jemand will das Buch entwenden.

Jeden Dienstagabend gingen Albert und Polly in die Doppelvorstellung ins Kino von Calamity Falls und engagierten die Nachbarin Mrs Carlson, damit sie auf die Kinder aufpasste. Im Gehen sagte Albert jedes Mal: Lassen Sie keinen herein! Es ist womöglich jemand von der Regierung, der unsere Rezepte stehlen will!

Die Kinder lachten immer, aber Rose wusste, dass ihr Vater nicht wirklich einen Scherz machte. Sie hatte schon mal in das Buch gespäht und Seiten entdeckt, auf denen mittelalterliche Zeichnungen von Gewitterstürmen, Feuersbrünsten, Dornenhecken und blutenden Menschen waren – Rezepte, die man nicht gerne in die Hände von jemandem geraten lassen wollte, der sie womöglich ausprobierte.

Basil kletterte neben sie auf die kleine Mauer, konnte aber nichts sehen. »Was ist da drin los?«, fragte er. 

»Sie holen das Backbuch«, sagte Rose. Nur mit Mühe brachte sie die Worte an dem Klumpen vorbei, der ihr im Hals steckte. Sie sah den seltsamen gusseisernen Backofen, der wie ein Bienenkorb an der einen Küchenwand stand, sie sah die Reihe schimmernder Kirschholzschränke an der anderen Wand, sie sah das Gewirr von Gestellen und Metallhaken, die mitten in der Küche wie ein Wust von der Decke hingen und an denen Spachtel und Rührlöffel jeglicher Größe baumelten. Sie sah die riesige silberne Küchenmaschine in der hinteren Ecke, deren Rührschüssel so groß war, dass Nella hineinklettern konnte (was sie manchmal auch tat), und deren Teigquirl die Größe eines Ruderbootpaddels hatte. Sie blickte auf alles, was ihre Eltern sich aufgebaut hatten, und unterdrückte ein Schluchzen.

Rose stellte sich vor, wie ihre Eltern eingesperrt in einer schmutzigen Zelle saßen, ihre Brüder auf der Straße betteln gingen und wie das Land von einer Meute herrschsüchtiger Bäcker regiert wurde, die Muffins und Törtchen als Massenvernichtungswaffen benutzten.

»Ich lege ihnen das Handwerk«, brummte Basil und rannte zur Hintertür. Er stieß sie auf und rief: »Meine Eltern haben nichts getan!«

Albert und Polly fuhren herum und versuchten, ihn zum Schweigen zu bringen, aber es war zu spät. Die Frau in dem dunkelblauen Hosenanzug blickte zur Hintertür und winkte Basil und Rose herein.

»Mein Name ist Janice Hammer, genannt Der Hammer«, sagte sie. »Ich bin Bürgermeisterin von Humbleton.« Sie lächelte bemüht. Rose dämmerte es, dass Janice Hammer, auch wenn sie sich nicht gerade an Freundlichkeit übertraf, wohl kaum gekommen war, um das Buch zu stehlen.

»Warum ist die Polizei draußen?«, fragte Rose.

»Das sind Autos, die ich nur wie Streifenwagen habe anmalen lassen, damit sie einschüchternd wirken, wenn ich mit ihnen unterwegs bin. Die Männer darin sind meine Kollegen aus dem Stadtrat von Humbleton. Einer ist Florist, einer Rechtsanwalt und der dritte ist Klempner, der immer dann einspringt, wenn er ausnahmsweise mal nicht verstopfte Klos reparieren muss.« 

»Ist es nicht gegen das Gesetz, sich als Polizist zu verkleiden?«, fragte Basil frech.

Bürgermeisterin Hammer durchbohrte ihn mit ihrem Blick. »Ich bin gekommen, um eure Eltern um Hilfe gegen die Sommergrippe zu bitten, die in Humbleton grassiert. Eine so schlimme Grippewelle habe ich noch nie erlebt – die reinste Epidemie. Mülltonnen quellen über vor Taschentüchern. Ärzte haben keinen Hustensaft mehr. Der Hals-Nasen-Ohrenarzt ist in Panik nach Florida in sein Ferienhaus abgehauen. Feigling.«

Albert und Polly lachten unsicher.

»Kurz und gut, ich wusste mir nicht zu helfen. Doch dann sind uns die Mandelcroissants von euren Eltern eingefallen – die Leute schwören, dass davon Fieberattacken und Laufnasen einfach verschwinden. Daher bin ich gekommen, um vierzig Dutzend zu bestellen.«

Bürgermeisterin Hammer wandte sich wieder an Albert und Polly. »Ich weiß, das kommt sehr kurzfristig, aber mir bleibt keine andere Wahl.«

Polly rang verzweifelt die Hände. »Wir – wir würden sehr gerne helfen«, stammelte sie, »aber diese Backstube ist nicht darauf ausgerichtet, vierzig Dutzend Croissants zu machen. Wir sind doch nur eine Familienbäckerei.«

»Dann kommen Sie nach Humbleton!«, rief Bürgermeisterin Hammer schnell. »In der Rathausküche kann man für eine ganze Armee kochen und backen. Machen Sie ihre Mandelcroissants dort. Und dann backen Sie noch Kürbis-Käsekuchen.«

»Kürbis-Käsekuchen?« Albert runzelte fragend die Stirn.

Bürgermeisterin Hammer griff in ihre schwarze Ledermappe und zog einen vergilbten Zeitungsausschnitt aus dem Calamity-Falls-Anzeiger hervor. Die Schlagzeile lautete: Zehnjähriger an Schweinegrippe erkrankter Junge isst Kürbis-Käsekuchen aus der Glücksbäckerei in Calamity Falls. Wundersame Heilung.

Albert wischte sich die Hand an der Schürze ab. »Ha! Schön wär’s! Aber die Geschichte war von vorne bis hinten erfunden. Der Junge hatte sich krank gestellt, damit er die Schule schwänzen konnte.«

Roses Eltern gaben – außer gegenüber ihren Kindern – niemals zu, dass bei den Backwaren von den Glycks Magie im Spiel war. Wenn sich das mit der Zauberei herumspricht, sagte Polly immer, dann will jeder etwas haben, und unsere kleine Bäckerei ist nicht mehr unsere kleine Bäckerei. Sie wird zu einer Riesenfabrik. Alles wäre dahin.

Wenn jemand die bisweilen wundersame Wirkung von Plätzchen, Kuchen und Törtchen bemerkte, dann taten Albert und Polly das damit ab, dass es sich eben um die ganz normalen guten Ergebnisse eines sorgfältig ausgeführten perfekten Rezepts handelte.

Rose konnte sich allerdings noch daran erinnern, wie damals jener Käsekuchen gebacken worden war. Sie hatte von der Treppe aus zugesehen und beobachtet, wie ihre Eltern eines Abends nach Ladenschluss die Zutaten aus einigen Einmachgläsern zusammengerührt hatten, wie ein lila Dunst aus der Schüssel aufgestiegen und ihrer Mutter um den Kopf gewallt war, wie der Teig gezischt und geknallt hatte und pinkfarbene und grüne und quietschgelbe Funken hatte stieben lassen.

Was hätte sie nicht alles gegeben, um so backen zu können! Es war eine Arbeit, die einen zu etwas Besonderem machte, auch wenn alles heimlich bleiben musste.

Bürgermeisterin Hammer klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. »Es ist mir einerlei, ob der Käsekuchen wirklich gesund macht oder nicht – die Leute lieben ihn, sie fühlen sich besser, wenn sie ihn gegessen haben, und das ist es, was zählt.«

Polly legte den Schmelz eines Schokoladenküchleins in ihre Stimme. »Tja … wie lange brauchen Sie uns denn wohl?«

»Nicht länger als eine Woche«, sagte die Bürgermeisterin.

Albert schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Bürgermeisterin Hammer. Unsere Bäckerei gibt es seit fünfundzwanzig Jahren, und wir haben nie länger als einen Tag geschlossen gehabt. Eine ganze Woche können wir auf keinen Fall weg.«

Bürgermeisterin Hammer nickte einem ihrer Bodyguards zu, der ein ledergebundenes Scheckheft hervorzog. Sie kritzelte ein paar Zahlen hinein und zeigte Albert und Polly den Scheck. Die beiden sahen sich geschockt an, als habe gerade jemand ein Kaninchen aus dem Hut gezogen – und zwar ein sehr kostbares, diamantenbesetztes Kaninchen.

»So viele Nullen!«, stieß Albert atemlos hervor.

Polly sah die Bürgermeisterin Hammer mit Unbehagen an. »Wir machen es …«

»Wie wunderbar!«, sagte Bürgermeisterin Hammer und reichte Polly den Scheck.

Polly zeriss ihn in Fetzen. »Sie haben mich nicht ausreden lassen. Wir machen es – umsonst.«

Rose lächelte. Ihre Eltern hätten die reichsten Leute der Welt werden können – Unternehmertypen in Designeranzügen, die Champagner tranken und in teuren Autos saßen, so wie die Bürgermeisterin Hammer, doch sie wollten lieber in ihrer einfachen Wohnung über der engen Küche ihrer kleinen Bäckerei bleiben.

Bürgermeisterin Hammer lehnte sich über den Hackblock und zog Albert und Polly an ihre Brust. »Wir nehmen Sie mit, sobald Sie fertig sind«, sagte sie. »Ich warte draußen im Hammer-Hummer.«

 

Rose klopfte an die Tür von Tymos und Basils Zimmer. Auf einem handgeschriebenen Schild stand: Besuchszeiten 15 bis 16 Uhr

»Tymo!«, rief Rose. »Mom und Dad verreisen! Bitte kommt nach unten.«

Es war erst elf Uhr am Vormittag, und Tymo kam selten vor dem Nachmittag aus seiner Höhle. Rose öffnete die Tür einen Spalt. Tymo hatte ein Laken aufgehängt, um seine von Basils Zimmerecke abzuteilen – Tymos Teil war natürlich hinter dem Laken –, aber am Rand des Lakens vorbei konnte Rose eine weiße Socke sehen, die vom Fuß ihres Bruders hing.

Sie zog das Laken zur Seite und stieß seinen breiten nackten Rücken an. »Tymo.«

Tymo stöhnte. »Hoffentlich hast du einen guten Grund dafür, dass du hier hereinplatzt«, sagte er, »du hast mich nämlich mitten aus einem Basketball-Traum aufgeweckt.«

»Mom und Dad verreisen für eine Woche. Und wir sollen uns so lange um die Bäckerei kümmern!«

Während sie diese Worte laut aussprach, sah sich Rose schon in der blau-weiß karierten Schürze ihrer Mutter durch die Küche tanzen, in dem alten Backbuch der Familie Glyck blättern, Mehl sieben, Schokolade schmelzen und die Tränen von jungen Mädchen mit gebrochenem Herzen daruntermischen oder den letzten Atemzug eines wackeren Mannes oder eine Portion des kalkigen, bitteren Pulvers, das aus den Ascheresten der Lagerfeuer vom letzten Sommer stammte oder – wer weiß schon, was sonst noch? Dann würde sie die Kurbel drehen, um den geheimen Blitzableiter zu aktivieren, der den großen Backofen bisweilen mit Strom versorgte, und SCHWUPP!, schon würde sie zaubern. Rose murrte zwar manchmal, wenn ihre Eltern sie dazu verdonnerten, in der Bäckerei zu helfen, aber nur, weil während Roses Anwesenheit nicht richtig gezaubert wurde.

Wenn sie erst richtig zaubern würde, Zauberei mit den blauen Einmachgläsern, wäre die Arbeit ein Kinderspiel, glaubte sie.

»Im Ernst?« Tymo schoss blitzartig hoch. »Ist ja super!«

»Finde ich auch«, sagte Rose. »Wir dürfen richtig backen!«

Tymo lachte abfällig. »Falsch, mi hermana.« Tymo