4,99 €
»Und?«, raunte Dante leise, den Blick auf meine Lippen gerichtet. »Spielen wir?«
Sieben Jahre ist es her, dass Everly dem Daimon Dante für sein Schweigen einen Gefallen versprach. Als Winterhexe ist ihre Magie an die Jahreszeit ihres Zirkels gebunden. Oder sollte es sein. Denn Everlys Magie ist frei und ungezähmt. Nun ist Dante zurück und verlangt, dass Everly ihn nach Infernas begleitet, eine Dimension aus Feuer und Asche – der Tod für jede Hexe. Everly hat keine Wahl. Ihr Wort bindet sie. Was der attraktive Herrscher von ihr will, weiß sie nicht. Doch jemand scheint Everlys Geheimnis zu kennen und hat sie in der Hand. Als Spionin soll sie Dante in sein Reich folgen. Die Leidenschaft, die zwischen ihnen brennt, macht ihre Aufgabe allerdings unmöglich …
Urban Fantasy über einen verhängnisvollen Pakt zwischen einer Winterhexe und Dante, dem Herrscher der Hölle.
»Romantasy, wie man sie sich nur wünschen kann. Melanie Lane entführt uns in eine atemberaubende Welt, die einen nicht mehr loslässt. Ein absoluter Pageturner.« anna_intergalaktisch
//Dies ist der erste Band der »Infernas«-Dilogie. Alle Romane der spicy New Adult Fantasy-Serie im Loomlight-Verlag:
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
»Du kannst nicht mehr wegrennen, du gehörst mir.«
Sieben Jahre ist es her, dass Everly dem Daimon Dante für sein Schweigen einen Gefallen versprach. Als Winterhexe ist ihre Magie an die Jahreszeit ihres Zirkels gebunden. Oder sollte es sein. Denn Everlys Magie ist frei und ungezähmt. Nun ist Dante zurück und verlangt, dass Everly ihn nach Infernas begleitet, eine Dimension aus Feuer und Asche – der Tod für jede Hexe. Everly hat keine Wahl. Ihr Wort bindet sie. Was der attraktive Herrscher von ihr will, weiß sie nicht. Doch jemand scheint Everlys Geheimnis zu kennen und hat sie in der Hand. Als Spionin soll sie Dante in sein Reich folgen. Die Leidenschaft, die zwischen ihnen brennt, macht ihre Aufgabe allerdings unmöglich …
Band 1 der »Infernas«-Dilogie
© Caroline Pitzke
Melanie Lane ist das Pseudonym einer 33 Jahre jungen Autorin, die in der schönen Stadt Hamburg lebt. Von Beruf Grafikdesignerin hat sie 2019 das Design Studio schockverliebt gegründet. Durch ihre Leseliebe zu Fantasy und Romance ist das Schreiben ihre absolute Leidenschaft geworden. Sie ist – laut eigenen Angaben – begeisterungsfähig, laut, trinkt gerne Vino und verabscheut Schubladendenken. Als bekennende Feministin lebt sie Themen wie Gleichberechtigung und Diversität, was sich auch stets in ihren Büchern wiederfindet. Sie liebt Sarkasmus, das Meer und ist eine absolute Tierliebhaberin.
Für mehr Informationen über Melanie Lane und ihre Bücher folgt der Autorin auf Instagram: @melanielane_autorin
Du liebst Geschichten? Wir bei Loomlight auch!
Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autor:innen und Übersetzer:innen, gestalten sie gemeinsam mit Illustrator:innen und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.
Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.
Mehr über unsere Bücher und Autoren auf: www.thienemann-esslinger.de
Planet! auf Instagram: https://www.instagram.com/thienemannesslinger_booklove
Viel Spaß beim Lesen!
Infernas – King of Ash
dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte.
Auf der letzten Seite findest du eine Themenübersicht, die Spoiler für die Geschichte enthält.
Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest.
Wir wünschen dir das bestmögliche Leseerlebnis!
Melanie Lane und das Loomlight-Team
Dieses Buch ist für euch. Es ist für uns.
Einst war Tenebris nicht mehr als ein Riss zwischen unseren Welten. Eine Anomalie. Eine Pforte. Nicht mehr und nicht weniger. Als der erste Daimon durch diese Pforte in unsere Welt gelangte, kam er in Frieden. Sie brachten Geschenke, lernten unsere Sprache und es dauerte nicht lang, da wurden Freundschaften geschlossen. Vertrauen und Liebe erblühte. Das erste Kind, das das Licht der Welt erblickte, war halb Hexe, halb Daimon. Eine neue Art, nie da gewesen und sehr mächtig.
Zu mächtig.
Mit der fremden Magie dieser neuen Generation wuchsen Neid, Missgunst und Misstrauen. Anfeindungen und Kämpfe waren die Folge.
Hexen und Daimonen wurden zu Feinden. Als die Kämpfe überhandnahmen, war es meine Vorfahrin Edda Vargas, die sich mit Dante Infernas zusammentat und beschloss, die Pforte zwischen unseren Welten zu schließen. Als Sicherheitsmaßnahme für uns, aber auch für sie. Daimonen wurden von der Erde verbannt, so wie auch Dante alle Hexen aus Infernas entfernen ließ. Ein Pakt wurde geschlossen, unzerstörbar und besiegelt mit Blut.
Nichts und niemand sollte die Pforte jemals wieder öffnen. Um guten Willen zu zeigen, ließen sich Edda und ihre Zirkel auf ein Opfer ein. Ein großes Opfer. Jeder Hexe, egal ob sie als Hexe geboren oder das Kind eines Daimons war, wurden ihre Kräfte für neun Monate im Jahr genommen. So formte sich das, was wir heute als Jahreszeitenzirkel kennen. Damit wurde das empfindliche Gleichgewicht zwischen den Welten wiederhergestellt und dafür gesorgt, dass keine Hexe zu mächtig werden würde.
Die Daimonen bauten das Tor, das sich nicht weit entfernt von unserem Dorf auf einer Lichtung im Wald befindet um den Riss herum, um seine Magie einzufangen und zu bannen. Sie nannten es Tenebris. Es gab viele Spekulationen darüber, was genau das Wort bedeuten sollte.
Todestor.
Höllenschlund.
Himmelspforte.
Doch da nur wenige Hexen zu jener Zeit Infernisch beherrschten, ist seine wahre Bedeutung über die Jahrhunderte verloren gegangen. Oder aber man hatte die Aufzeichnungen zerstört. Eins war jedoch sicher: Tenebris war ein Mahnmal für die Toten und eine Warnung für die Lebenden.
Es heißt, Dante habe das Tor auf seiner Seite versiegelt. Die Hexen taten es ihm gleich. Mehrere Schutzzauber lagen seit Jahrhunderten über dem Tor sowie dem gesamten Wald, in dem alle vier Jahreszeitenzirkel sich mit der Zeit angesiedelt hatten. Früher war die Erde übersät mit Hexen, aber mit den Jahren, den Jahrzehnten und schlussendlich den Jahrhunderten, hatten die Menschen die Magie verlernt. Die Welt war im Umbruch, die Technik auf dem Vormarsch. Heute existieren nur noch wenige Hexen, deren Magie durch Blut weitervererbt wurde. Die meisten von ihnen wissen nicht einmal, welche Macht – für drei Monate im Jahr – in ihnen schlummert. Sie halten es für eine Art sechsten Sinn, üben sich in alternativer Medizin oder suchen Antworten in den Sternen. Ihre Unwissenheit ist Segen und Fluch zugleich, denn sie ermöglicht ihnen ein normales Leben. Doch gleichzeitig beraubt diese Unwissenheit sie auch einer einzigartigen Macht und der Möglichkeit auf ein außergewöhnliches Leben. Geborene Hexen waren sehr, sehr selten geworden. Sie beschützen Tenebris noch heute und sorgen dafür, dass der Rest der Menschheit in Ruhe und Frieden leben kann.
Ich bin eine von ihnen.
Mein Name ist Everly Edda Vargas und ich bin eine Winterhexe.
Geboren im Licht, gesegnet mit Dunkelheit.
Für immer die Freiheit der Gottheit in Klarheit.
Die eine gebunden an Rot und an Gold.
Bringt Freude, bringt Liebe, vor allem den Tod.
Finde die Wahrheit, dann siehst du klar.
Von Wolken und Vögeln, dem Ziel so nah.
Prophezeiung der Seherin Nevine
Irland, Oktober
Es gab so Tage, von denen wusste man bereits beim Aufstehen, dass sie beschissen werden würden. Heute war so ein Tag. Ich konnte es nicht in Worte fassen – es war ein Gefühl. Mehr nicht. Aber wenn ich eins gelernt hatte in den letzten Jahren, dann war es, meinem Gefühl zu vertrauen. Bisher äußerte sich meine Vorahnung in einem angestoßenen Zeh und einem Kaffeefleck auf meinem weißen Lieblingswollpulli.
»Hast du es schon gehört, Eve?«
Ich blickte meine kleine Schwester an. Melodie grinste und biss herzhaft in ihr Marmeladenbrot.
»Craig hat Jeremy erzählt, sie hätten einen Daimon im Wald verfolgt«, nuschelte Melodie mit vollem Mund. »Geschtern Nacht!«
Die Aufregung in ihrer Stimme war unverkennbar. Brotkrümel fielen ihr aus dem Mund und sie wischte sie achtlos beiseite.
Mom runzelte die Stirn. »Das kannst du später selbst sauber machen, junge Dame.«
»Aber Craig –«
Craig. Nicht der schon wieder …
»Melodie.« Dad seufzte und tauschte einen vielsagenden Blick mit Mom. »Seit fast fünfzehn Jahren ist kein Daimon mehr gesichtet worden. Das Tor ist verschlossen.«
Das war es, ja, dennoch kam ab und an etwas hindurch. Daher gab es die Jäger. Die Eilte aller Hexenzirkel. Flink, clever und mächtig – versierte Kämpfer. Es war erst zwei Jahre her, dass Dad die Jäger verlassen und sich zur Ruhe gesetzt hatte. Mitchel Vargas war eine Institution in unserem Zirkel. In allen Zirkeln, um genau zu sein. Er und Mom. Der legendäre Jäger und eine Vargas-Nachfahrin.
»Jeremy hat gesagt –«
»Das Tor ist verschlossen!«
Dad wurde lauter und holte mich damit in die Wirklichkeit zurück.
»Wieso kommt dann trotzdem was hindurch?«, konterte Melodie.
»Weil jede Tür, egal wie gut sie verschlossen ist, über ein Schlupfloch verfügt.«
»Tenebris ist magischen Ursprungs«, fügte Mom hinzu. »Für jeden Zauber gibt es einen Gegenzauber.«
»Dann könnten wir das Tor öffnen?«
Innerlich seufzend lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück und trank von meinem Kaffee.
Ich konnte gar nicht mehr zählen, wie oft wir diese Diskussion bereits geführt hatten. Melodies Wissensdurst und ihre Neugier waren fast genauso groß wie meine. Aus Erfahrung wusste ich jedoch, wie sehr man dadurch in Schwierigkeiten geriet. Und wie schnell.
Als Dad und Mel ernsthaft zu diskutieren begannen, stand ich auf und winkte Mom zum Abschied.
»Die Bibliothek?«, fragte sie und ich hörte ihn ganz genau, diesen vertrauten Unterton.
Wieso machst du nicht mehr aus deinem Leben, Everly?
Wieso hast du die Ausbildung hingeschmissen?
Was stimmt nicht mit dir?
»Jap«, antwortete ich vage, die Hand bereits am Türgriff der Hintertür in der Küche.
»Und dann gehe ich etwas spazieren. Zum Abendessen bin ich zurück.«
Um weiteren fragend-enttäuschten Blicken zu entgehen, verließ ich das Haus. Draußen angekommen, atmete ich tief durch.
Unser Haus lag am Rande des Dorfes, nahe dem dichten Wald. Schloss ich die Augen, konnte ich sie spüren, die Schutz- und Anonymitätszauber, die über allen Dörfern der Jahreszeitenzirkel lagen. Und über Tenebris. Verirrten sich Menschen in diesen abgelegenen Teil Irlands, überkam sie das dringende Bedürfnis, umzudrehen und so viel Abstand zwischen sich und diesen Ort zu bringen wie irgend möglich. Gelegentlich kam es vor, dass ein Mensch, eine Hexe, unsere Zauber durchbrach. Angezogen von unserer Magie und der des Tors stellten wir die Frauen und Männer stets vor die Wahl. Entweder, sie unterzogen sich einem Magietest und wir ordneten sie einem Zirkel zu, den sie fortan unterstützen würden, oder aber, wir nahmen ihnen die Erinnerung und entließen sie ihres Weges. Zurück in ein normales Leben.
Die Entscheidungen fielen unterschiedlich aus.
Auf diese Weise waren die Zirkel über Jahre stetig gewachsen. Es gab sozusagen regelmäßig Frischfleisch. Mittlerweile bestand jeder Jahreszeitenzirkel aus ein paar Tausend Mitgliedern. Die Zirkel blieben unter sich. Eine Winterhexe hatte eine Winterhexe zu heiraten und Erben zu produzieren, denn nur innerhalb des Zirkels verstand man, was es hieß, nur in den Wintermonaten – oder den Frühlings-, Sommer- oder Herbstmonaten – Magie zu haben. Nur ein paar Mal waren Mitglieder aus der Reihe getanzt und hatten sich über die Grenzen ihres Zirkels vereint. Die Folgen waren stets verheerend gewesen.
Wessen Magie erbte das Kind?
Zu welchem Zirkel gehört es nach seiner Geburt?
Wer sollte es unterrichten?
Für mich war das absoluter Schwachsinn! Dieses Denken machte mich stets wütend. Was sagte die Jahreszeit schon über uns aus? Wir waren alle Hexen. Wir teilten denselben Fluch, nur zu unterschiedlichen Zeiten. Warum sollte eine Hexe aus dem Sommerzirkel mich nicht verstehen und vice versa?
Einmal hatte ich genau das laut ausgesprochen – und mich damit in Teufels Küche gebracht. Beziehungsweise mir eine Endlosteestunde mit Meridia, einer unserer Hexenmeisterinnen, eingebrockt, was so ziemlich dasselbe war. Sie erinnerte mich an die Werte des Winterzirkels und die Verantwortung, die Edda Vargas uns, und ganz besonders mir als ihre direkte Nachfahrin, hinterlassen hatte.
Unser System funktionierte, daher mochte niemand, wenn man es infrage stellte. Da ich sowieso schon als sonderbar angesehen wurde und meine große Klappe es nicht besser machte, hatte ich gelernt, meine Meinung für mich zu behalten und mein eigenes Ding zu machen.
Mehr oder minder erfolgreich …
Ich erreichte die Bibliothek, ein zweistöckiges Gebäude aus hellem Klinkerstein mit roten Dachziegeln. Die Fensterläden waren erst vor Kurzem dunkelrot gestrichen worden und eine ganze Reihe halb verblühter Astern schmückte den Weg zur Eingangstür. Was man von draußen nicht sah, und was der, auf den ersten Blick schmucklosen, Bibliothek den Wow-Faktor verlieh, war das Oberlicht. Die in die Dachschrägen eingearbeiteten Lichtöffnungen waren spektakulär und erhellten den Innenraum mit Tageslicht. Und bei Nacht warf der Mond sein sanftes Licht hinein. Ja, ich war bereits des Öfteren bei Nacht hier gewesen.
»Archivarin Mossby?«, rief ich, während ich aus meiner Lederjacke schlüpfte und sie an die Garderobe neben der Tür hängte. Ein einfaches Holzbrett, verziert mit bunten Keramikknöpfen.
»Everly? Bist du das?«
Leise schnaubend durchquerte ich den offenen Raum voller unterschiedlich hoher Bücherregale und Bücherstapel und steuerte in Richtung Küche. Auf den ersten Blick herrschte Chaos. Ich arbeitete nun jedoch schon lange genug für die Archivarin, um zu wissen, dass alles hier System hatte. Man musste nur lernen, es zu verstehen.
»Wer sollte es sonst sein?«, erwiderte ich laut. Obwohl sie die Schätze unseres Zirkels verwahrte, die Legenden, Mythen und Überlieferungen in Form von Schriftrollen, Pergamenten und Büchern, stand die Archivarin in der Zirkel-Hackordnung nicht sonderlich weit oben. Die allgemeine Meinung war, dass jeder Bücher lesen und auswendig lernen konnte, aber nicht jeder in der Lage war, komplexe Magie zu weben oder einen Daimon im Kampf zu besiegen. Ab und an verirrte sich eine verlorene Seele in die Bibliothek, meist waren es jedoch die Hexenmeisterinnen, die herkamen, um zu studieren. Sie waren womöglich die Einzigen, die verstanden, das Wissen Macht bedeutete.
Tassen klirrten und Schranktüren klapperten, als ich mir die Utensilien für die French Press zusammensuchte, um Kaffee zu kochen. Ich füllte das Pulver in die Kanne und setzte Wasser auf. Archivarin Mossby streckte den Kopf zur Tür herein. Die große orangefarbene Hornbrille war ihr schon wieder fast von der Nase gerutscht und enthüllte somit einen leichten Silberblick. Trotz der frühen Stunde waren ihre blondgrauen Haare bereits zerzaust. Einen Stapel Bücher im Arm, winkte sie mir zu.
»Du bist früh.«
Ich zuckte mit den Schultern. Der Wasserkocher piepte und ich füllte das Wasser in die Kanne.
»Hab’ nicht viel geschlafen und brauchte einen Tapetenwechsel.«
»Everly.« Die Archivarin musterte mich aufmerksam.
»Gloria«, ahmte ich ihren Tonfall nach.
Sie seufzte.
»Schön. Wenn du schon hier bist«, die Bücher landeten mit einem dumpfen Plumpsgeräusch auf dem Küchentresen neben mir, »kannst du die hier auch einsortieren.«
Neugierig schielte ich auf das oberste Cover.
»Die Feuerlande?«
»Der Archivar des Frühlingszirkels hat ein paar Zettel mit Anmerkungen hineingelegt. Übertrage diese bitte auf eine Karteikarte und danach in das System, ja?«
Ich nickte eifrig. Das Beste an diesem Job – wenn man ihn denn so nennen mochte – war, dass ich Zugriff auf das gesamte Wissen unseres Zirkels hatte. Unsere Geschichte. Die Geschichte von Infernas. Die Daimonen … ich versuchte so viel Informationen wie möglich aufzusaugen, immerhin wusste ich nicht, ob es mir nicht einmal von Nutzen sein konnte. Besonders interessant wurde es in Momenten wie diesem, wenn einer der anderen Zirkel etwas fand und uns daran teilhaben ließ. Wir mochten uns zwar nicht ganz grün sein, dennoch erfüllten wir alle dieselbe Aufgabe: Die Menschheit vor den Daimonen hinter dem Tor zu beschützen.
»Mit Vergnügen.«
Die Archivarin nickte.
»Und Everly?«
»Ja?«
»Du bist hier immer willkommen, egal um welche Tages- oder Nachtzeit, das weißt du, oder?«
Ich nickte, während sich ein Kloß in meinem Hals formte.
»Wenn es etwas gibt, worüber du reden willst, ich bin immer für dich da.«
»Danke, Archivarin Mossby. Ich weiß das sehr zu schätzen.«
»Gut.«
Sie schob sich die Brille zurück auf die Nase und krempelte die Ärmel ihres himmelblauen Pullis hoch.
»Schwarz, zwei Stück Zucker, wie –«
»Immer«, unterbrach ich sie sanft. »Ich weiß.«
Die nächsten Stunden versank ich in meiner Recherche über die Feuerlande. Laut dem Text eines der gefährlichsten Gebiete von Infernas. Wie ein Schwamm saugte ich jede noch so kleine Information in mich auf. Wir wussten nicht viel über Infernas, daher war jedes noch so kleine Detail wertvoll. Für den Fall der Fälle, wie die Hexenmeisterinnen zu sagen pflegten. Aktuell drohte uns keine akute Gefahr von den Daimonen, aber so etwas konnte sich schnell ändern.
»Es ist sechs Uhr, Everly!«
Ich musste zugeben, Infernas hatte mich schon immer fasziniert. Die Welt hinter dem Tor. Eine Welt voller Flammen und ewigen Qualen, wenn man meinen Eltern glaubt. Und den restlichen Zirkelmitgliedern …
»Everly!«
Ruckartig klappte ich das Buch zu und sah auf. Archivarin Mossby stand vor mir. In einer Hand ihre Tasche, in der anderen die Schlüssel.
Für einen Moment irritiert blickte ich mich um. Es war bereits dunkel. Ich hatte den ganzen Tag hier verbracht und seit dem Frühstück lediglich Kaffee (zu viel) und einen Müsliriegel (zu wenig) zu mir genommen. Wie auf Kommando knurrte mein Magen.
Archivarin Mossby lachte leise.
»Geh nach Hause, Everly. Wenn dein Wissendurst später noch immer nicht gestillt ist, benutzt du einfach den Zweitschlüssel.«
Sobald ich die Bibliothek verließ und mich auf den Weg nach Hause machte, kehrte das ungute Gefühl, das seit dem Aufstehen in mir rumorte, mit Wucht zurück. Die letzten Stunden hatte ich erfolgreich geschafft, es auszublenden. Nun aber ließ es sich nicht länger ignorieren.
Ich überquerte den Dorfplatz, nickte ein paar Ladenbesitzern zu und wählte erneut den längeren Weg nach Hause. Der kürzere hätte mich direkt am Wohnhaus der Jäger vorbeigeführt und das war das Letzte, was ich wollte. Seitdem ich die Ausbildung geschmissen hatte, waren die Jäger mir nicht mehr sonderlich … wohlgesonnen.
Wieder daheim verbrachte ich ein gewöhnliches Abendessen mit meiner Familie. Mom und Melodie unterhielten sich über eine Kräutertinktur, die Kopf- und Gliederschmerzen linderte. Dad und ich schwiegen. Wie so oft. Dabei hatten wir früher die Unterhaltungen dominiert. Dad liebte mich, ohne Frage, jedoch wuchs von Tag zu Tag das Gefühl, dass er nichts mit mir anzufangen wusste. Nicht mehr. Melodie würde in Moms Fußstapfen treten – daran zweifelte niemand –, um den Jüngsten unter uns den Umgang mit Magie beizubringen. Außerdem würde sie ihnen zeigen, wie sie sich in den anderen neun Monaten des Jahres ohne nennenswerte Magie mit dem Hexen-Einmaleins durchschlugen. Amulette und Tränke herstellen und Zaubersprüche üben – das war ihre Berufung.
Ich hatte einst in Dads Fußstapfen treten wollen. Schließlich war ich die Beste meines Jahrgangs. Jägerin in Ausbildung. Dann war ich achtzehn geworden und mein Leben war den Bach runtergegangen. Ich war aus dem Wohnheim für Anwärter ausgezogen und nach Hause zurückgekehrt. Niemand hatte verstanden, dass ich meinen Traum einfach weggeworfen hatte. Ganz besonders Dad nicht. Das war sieben Jahre her. Seitdem wohnte ich abwechselnd zu Hause und in Dublin. Als Dad in den Ruhestand gegangen war, hatte er plötzlich mehr Zeit gehabt, sich über mich, mein Leben und meine Zukunft Gedanken zu machen. Als ich mich jeder Arbeit in unserem Zirkel verweigert hatte (abgesehen von der freiwilligen Unterstützung in unseren Archiven in der Bibliothek), hatten sie mich auf das Trinity College nach Dublin geschickt. Irgendetwas musste ich schließlich tun – so ihre Worte. Eine Vargas ohne richtige Aufgabe hatte es noch nie gegeben. Für den Rest unserer Zirkelmitglieder war ich schlichtweg sonderbar. Sie respektierten mich aufgrund meines Namens und meiner Fähigkeiten, aber sie wurden nicht schlau aus mir und das allein reichte für den Stempel »Sonderling«.
Nach dem Abendessen verabschiedete ich mich und ging auf mein Zimmer. Dort las ich, während ich den üblichen Geräuschen lauschte. Mom ging duschen, während Dad den Fernseher im Schlafzimmer anmachte, um sich noch einen Krimi anzuschauen. Melodie hörte ich in ihrem Zimmer leise brabbeln. Wahrscheinlich telefonierte sie oder schickte Endlossprachnachrichten an ihre beste Freundin Heather.
Eine Stunde später war es im Haus still geworden. Mein Zeichen. Seit meinem achtzehnten Lebensjahr war ich Expertin darin geworden, mich aus dem Haus zu schleichen. Lautlos huschte ich die Treppe hinunter, durchquerte die Küche und schlüpfte in Leggins, Sneaker und Wollpulli aus der Hintertür. Als Winterhexe machten mir extreme Temperaturen nicht viel aus. So schnell bekam ich keine kalten Füße.
Während ich durch den dunklen, dichten Wald schlenderte, spürte ich, wie die Anspannung aus meinen Gliedern wich. Gierig sog ich den vertrauten und tröstenden Geruch nach Waldboden, Pinie und Freiheit in meine Lungen. Natürlich hatte Freiheit keinen Geruch. Es war lediglich ein Begriff, der erst Bedeutung erlangte, wenn man sie ihm aktiv gab. Und das tat ich. Ich schenkte mir selbst die Freiheit tief durchzuatmen, für mich zu sein und für einen Moment jegliche Schuldgefühle und Zukunftsängste abzulegen. Und nicht nur die Ängste, auch die Wut und Trauer, die ich verspürte, seitdem mein Leben vor sieben Jahren aus der Bahn geraten war. Hier im Wald konnte ich sein, wer ich wirklich war, ohne mich oder meine Familie in Gefahr zu bringen. Unbewusst strichen meine Finger über ein paar der letzten Blätter, die an einem stacheligen Busch überlebt hatten. Bald wären auch sie vergangen, der Herbst vorüber und der Winter würde in unser Dorf einziehen. Und in unsere Herzen. Ich konnte es kaum erwarten, denn es bedeutete, dass ich –
Zischschsch … Ein Luftzug erfasste mich und sorgte für eine kurze Gänsehaut auf meinen Armen.
Ich stockte. Blickte nach links und rechts und hinter mich. War das gerade Magie gewesen? Die Augen zusammengekniffen hielt ich den Blick geradeaus gerichtet. Dank des Mondlichts konnte ich den Pfad vor mir erkennen, der Wald um mich herum war jedoch tiefschwarz. Da! Da war es schon wieder gewesen … ein Hauch von … Magie. Was auch immer mich heute Morgen in Alarmbereitschaft versetzt hatte, das Gefühl war den Tag über verebbt. Nun kehrte es mit einem Paukenschlag zurück.
Oh ja, das war definitiv Magie. Wieso gingen unsere Alarmglocken nicht los? Die Schutzzauber? Bei fremder Magie, die nicht von einem von uns ausgeführt wurde, sollten hier eigentlich sämtliche Sirenen heulen!
Melodies Worte von heute Morgen geisterten mir mit einmal im Kopf herum.
»Craig hat Jeremy erzählt, sie hätten einen Daimon im Wald verfolgt.«
Das konnte nicht sein, oder doch? In Anbetracht meiner Vergangenheit sollte ich der Spur wahrscheinlich lieber nicht folgen, dennoch war ich neugierig. Vielleicht bildete ich mir das Ganze auch nur ein und –
»Everly Vargas.«
Ich machte einen Satz nach vorne und stieß einen schrillen Schrei aus. Beinahe hätte ich das Gleichgewicht verloren und wäre auf meinem Hintern gelandet. Oder – schlimmer noch – auf der Nase.
Ungelenk wirbelte ich herum und erstarrte. Ein Mann war hinter mir aufgetaucht. Sein Gesicht lag größtenteils im Schatten der Nacht, dennoch spürte ich, dass er die Augen fest auf mich gerichtet hatte. Mit zu Fäusten geballten Händen stand er da. Eine Hexe, die sich in unseren Wald verirrt hatte? Aber woher kannte der Mann dann meinen Namen?
Sei nicht albern, Everly, schalt ich mich selbst. Ich wusste ganz genau, dass dies kein gewöhnlicher Mann war. Auch keine Hexe.
Bei allen Hexengöttern …
»Circo«, murmelte ich und hüllte mich in einen Schutzkreis, mein Herz raste. Ein Daimon!
»Du bist Everly Vargas.«
Es war keine Frage. Seine Stimme ließ keinen Raum für eine Frage. Ich hatte diesen Tonfall schon einmal gehört. Die Blätter über uns raschelten leise und ließen für einen Augenblick ein wenig mehr Mondlicht durch ihr Kleid. Meine Finger zuckten und mir wurde abwechselnd heiß und kalt, als ich den Daimon in seiner ganzen Pracht betrachten konnte. Er hatte eine eher kleine und robuste Statur mit muskelbepackten Armen. Seine Haut war rot und er trug schlichte Kleidung aus schwarzem Leder. Am auffälligsten war der Nasenring, der zwischen seinen Nasenflügeln baumelte. Ein Septum. Ich hatte diese Art Schmuck schon oft gesehen, allerdings noch nie so groß.
»Hier.«
Er hielt mir ein Pergament entgegen. Im Mondschein leuchtete es hell und beinahe unnatürlich. Ich entdeckte das Siegel und schluckte. Bitte nicht, flehte ich lautlos. Bitte nicht!
»Mein Herr fordert deine Schuld ein.«
Die Haare des Daimons waren raspelkurz geschoren und die Augen dunkel wie der Nachthimmel über uns. Und seine Stimme … rau und kratzig, als würde er den ganzen Tag auf Nägeln kauen. Oder Knochen mit seinem Gebiss zerschmettern.
»Hier, äh, liegt ein Irrtum vor, ich –«
»Mein Herr fordert deine Schuld ein«, wiederholte er und warf einen bedeutungsschweren Blick auf das Pergament zwischen uns. Erwartete er jetzt, dass ich vortrat und es ihm abnahm? Garantiert nicht!
Meine Miene schien mich verraten zu haben, denn im nächsten Moment schwebte das Pergament vor mir in der Luft.
»Wann?« Ich war stolz darauf, dass meine Stimme kaum zitterte.
»In zwei Monden, wenn die Sonne den Horizont berührt.«
In zwei Tagen also. Warum konnte er es nicht einfach so sagen?
Mit spitzen Fingern griff ich nach dem Pergament und zog es in meinen Schutzkreis.
»Er wird am Tor auf dich warten.«
Das war’s auch schon mit den Informationen. Mehr bekam ich nicht. Kommentarlos drehte der Daimon sich um und verschwand. Puff und weg … Nur der dezente Geruch nach Kaminfeuer bewies, dass dies eben wirklich passiert war. Und wieder waren unsere Alarmglocken nicht losgegangen. Schon. Wieder.
Mit geschlossenen Augen spürte ich den Wald um mich herum. Der Daimon war fort. Ich ließ den Schutzkreis fallen und starrte auf das schwarze Wachs, das das Pergament verschloss. Das Siegel zierte eine Flamme in Form einer Träne. Über ihr ein Sichelmond, unter ihr zwei gekreuzte Streitäxte. Infernas. Meine Kehle fühlte sich auf einmal staubtrocken an und ich atmete viel zu flach. Wenn ich mich nicht beruhigte, würde ich demnächst hyperventilieren.
Öffne das Scheißding einfach, Everly …
Mit gleich mehreren Knoten im Magen brach ich das Siegel und las. Dann las ich erneut und erneut. Und noch einmal. Ein humorloses Lachen entfuhr mir. Das konnte nicht sein Ernst sein!
Everly Vargas, ich fordere deine Schuld ein.Du wirst mich nach Infernas begleiten.
Mit zittrigen Fingern überflog ich das Pergament erneut. In schnörkelloser Handschrift sprangen mir zwei Sätze entgegen. Nur zwei, mehr nicht. Keine Unterschrift – oh nein, das hatte er nicht nötig.
Jeder wusste, wer er war. Zumindest jeder in den Zirkeln der Jahreszeitenhexen.
Dante Infernas.
Ein Rauschen erhob sich in meinen Ohren und steigerte sich zu einem Klingeln.
Kraftlos plumpste ich auf den kühlen Waldboden, kam auf alle viere und versuchte meine Emotionen und die in mir aufsteigende Panik unter Kontrolle zu bekommen.
Du hast gewusst, dass so was eines Tages passieren könnte. Du hast es gewusst … Sieben Jahre. Sieben verfluchte Jahre – so lange war es her, dass ich im Wald über keinen Geringeren als Dante Infernas gestolpert war.
Bei der Erinnerung an unser Treffen erbebte ich. Alles daran, alles an ihm, hatte sich eingebrannt. Aber dann waren die Jahre ins Land gezogen und ich hatte naiverweise angenommen, dass er meine Schuld vergessen hatte. Dass er mich vergessen hatte.
Ich stieß mich mit den Händen vom Boden ab und setzte mich auf die Fersen. Mit tiefen, gleichmäßigen Atemzügen sah ich hinauf zu den Sternen, die hier und da durch die Baumkronen blitzten. Auf meiner Lichtung würde man sie in ihrer ganzen Pracht sehen können. Ein Meer aus Sternen. Ab und an war mir sogar der Anblick einer Sternschnuppe vergönnt. Schon oft hatte ich mir etwas gewünscht, doch es war nie in Erfüllung gegangen. So auch vor sieben Jahren.
Dafür war ich über den König der Daimonen gestolpert und hatte ihm unbeabsichtigt mein größtes Geheimnis verraten.
Ein Gefallen für sein Schweigen – das war unser Deal. Ein Handel mit dem Teufel, wenn man so wollte. Damals erschien es mir als der einzig mögliche Ausweg. Ich wollte meine Familie schützen, ebenso mich selbst. Wenn mein Zirkel von meinem Geheimnis erfuhr, dann wäre die Hölle los. Den Kopf in den Nacken gelegt öffnete ich den Mund zu einem stummen Schrei und tat genau das, weswegen ich eigentlich in den Wald gekommen war: Ich ließ all die angestaute Magie aus mir heraus. Welle um Welle brach sie empor und verschwand im Waldboden, den Bäumen und allen Himmelsrichtungen.
Mein wohlgehütetes Geheimnis war gleichzeitig simpel und unglaublich komplex: ich besaß meine Magie das ganze Jahr über. Als Winterhexe dürfte ich lediglich von Dezember bis Februar über sie verfügen. Aber hier war sie – stark und ungebrochen seit meinem achtzehnten Geburtstag.
Ein lautes Knacken ließ mich zusammenzucken. Es kam aus dem Gebüsch neben mir. Ein Eichhörnchen huschte über den Boden. Für einen Augenblick starrten das Kleintier und ich uns an, dann verschwand es wieder. Nicht aber ohne mir einen letzten Blick zuzuwerfen. In diesem Moment hätte ich schwören können, dass das Eichhörnchen dachte: Was zur Hölle machst du hier? Und das war eine gute, eine sehr berechtigte Frage.
Den Weg nach Hause legte ich auf wackligen Beinen zurück. Einmal stolperte ich sogar über eine Baumwurzel und das, obwohl ich im Dunkeln sehr gut sehen konnte. Die Nachricht des Daimons hatte ich gefaltet und zur Sicherheit in meinem BH verstaut. Seitdem brannte sich das Pergament in meine Haut.
Dante Infernas.
Obwohl die Menschen nicht wussten, wer oder was Dante Infernas war, oder dass er überhaupt existierte, besaß er viele Namen. Geschichten und Legenden rankten sich um seine Gestalt und er wurde in diversen Kulturen, Religionen und Sprachen verflucht und gefürchtet – so auch in meiner. Das hatte mich jedoch nicht davon abgehalten, eine Dummheit zu begehen. Mein achtzehnjähriges Ich war einen Handel eingegangen, in dem Wissen, dass sie, dass ich, es bereuen würde.
Als Winterhexe und Daimon waren Dante und ich natürliche Feinde. Mein Zirkel würde durchdrehen, wenn sie erfuhren, dass Dante Infernas auf unserer Seite des Tores gewesen war. Dass er durch unsere Wälder geschlichen war, als wäre es ein Leichtes. Nicht der Rede wert. Etwas, was er ständig tat. Und wenn sie dann noch herausfanden, dass ich ihm gegenübergestanden und überlebt hatte, spätestens dann würden unsere Hexenmeisterinnen im Dreieck springen.
Aber Dante hatte mir ein Angebot gemacht, dem ich nicht hatte widerstehen können. Wobei die Betonung auf dem kleinen, fiesen Wörtchen können lag. In Wahrheit hatte ich keine Wahl gehabt. Denn an jenem Abend vor sieben Jahren hatte er meine Magie gesehen. In ihrer vollen Pracht, im Oktober. Von da an hatte er mich in der Hand. Mein Leben lag in den Händen meines größten Feindes.
Ein Gefallen für sein Schweigen, das war der Deal. Selbst in meinen wildesten Träumen hätte ich nie vermutet, dass Dante verlangen würde, dass ich durch das Tor trat, um ihm nach Infernas zu folgen.
Aber nun forderte er seine Schuld und ich musste gehen, oder nicht?
Sieben Jahre … Mein Handel, meine Dummheit, meine Leichtsinnigkeit – man konnte es nennen, wie man wollte – war stets präsent gewesen. Wie eine Krankheit hatte er in mir gegärt, immer kurz vor dem Ausbruch. Das erste Jahr nach unserer Begegnung war ich ein nervöses Wrack gewesen. Im zweiten und dritten hatte ich mich etwas beruhigt. Und dann, ab dem vierten Jahr, hatte ich mich fast selbst davon überzeugt, dass diese Begegnung vielleicht ein Trugbild gewesen war. Die Erinnerung hatte sich angefühlt wie ein Traum. Nichts weiter. Harmlos. Es war jedoch kein verdammter Traum, sondern meine Realität. Sieben Jahre … sogar die Uhrzeit schien zu stimmen. Kurz vor Mitternacht.
Dabei hatte der ach so große Dante Infernas es nicht einmal für notwendig erachtet, seine Schulden persönlich einzutreiben. Stattdessen hatte er einen seiner Lakaien geschickt. Und wie Dante damals war auch dieser Daimon ungehindert in unsere Welt gekommen.
Die Alarmglocken schwiegen. Und das schon für eine Weile. Egal, was Craig oder wer auch immer behauptete. Die Zirkel feierten unsere Stärke. Sie feierten die Jäger und unsere Schutzzauber und nannten uns überlegen. Ich aber wusste es besser. Ich wusste, dass das alles eine Lüge war, denn ich kannte die Wahrheit. Dennoch ließ ich meinen und die anderen Zirkel in dem Glauben, dass sie alles unter Kontrolle hatten. Mein Verhalten war scheiße, das wusste ich, aber was sollte ich tun? Jahr für Jahr entglitt mir die Kontrolle über meine Magie und damit über mein Leben immer weiter.
Sollte es das jetzt sein? Die Spitze des Eisberges? Die Kirsche auf der Torte?
Eine Winterhexe in Infernas.
In meinem Zimmer angekommen, überflog ich die Zeilen ein letztes Mal, dann ließ ich einen winzigen Hauch meiner Magie aufflammen und verwandelte das Schriftstück zu Asche. Das Risiko war zu groß, dass Melodie oder meine Mom es fanden.
Du wirst mich nach Infernas begleiten.
Das konnte nur ein schlechter Scherz sein. Das Herz schlug mir noch immer bis zum Hals und meine Hände waren klamm. Natürlich war mir bewusst, dass es ein Fehler gewesen war, Dante Infernas einen Blankoscheck zu geben, aber verflucht, damit hatte selbst ich nicht gerechnet. Ich war stets davon ausgegangen, dass er etwas Unmoralisches von mir verlangen würde. Wie etwa meinen Zirkel zu verraten oder ihm Informationen zu liefern. Eine kleine Gefälligkeit, die mir zwar ein schlechtes Gewissen machte, im Großen und Ganzen jedoch nicht weiter auffiel. Hiermit aber hatte ich nicht gerechnet. Was, wenn ich einfach nicht auftauchen würde?
Und jemanden wie Dante gegen dich und deinen Zirkel aufbringen? Nein, danke.
Verweigerte ich mich, zog Dante seine Vorleistung mit Sicherheit zurück und das würde mir ein ganz anderes Problem bescheren. Ein Großes. Mein Zirkel würde mich verstoßen, wenn sie von meinem Geheimnis erfuhren. Oder Schlimmeres.
Egal von welcher Seite ich meine aktuelle Lage betrachtete, es gab nur zwei Wege für mich. Entweder ich ging mit Dante und improvisierte, oder aber ich riskierte alles, weihte meinen Zirkel ein, und stellte mich ihrer Bestrafung. Option eins bot mir zumindest die Möglichkeit, selbst einzugreifen. Entschied ich mich für Option zwei, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich alles verlor, was mir etwas bedeutete. Vielleicht sogar mein Leben. Unsere Zirkel hatten strenge Regeln, was die Magie anging. Meine reine Existenz brach den Pakt, den wir mit den Daimonen geschlossen hatten. Ich war eine Anomalie, ein Fehler im System. Wahrscheinlich konnte ich mich glücklich schätzen, wenn sie mich nicht auf einen Seziertisch schnallten, um herauszufinden, wieso ausgerechnet ich das ganze Jahr über meine Magie ausüben konnte. Außerdem musste ich meine Familie schützen, um jeden Preis. So irre es auch war, erschien mir Option eins als die aktuell klügere Entscheidung. Hätte Dante mich tot sehen wollen, wäre es ein Leichtes für ihn, mich umzubringen. Vor sieben Jahren wie auch jetzt. Aber er wollte mich in Infernas und ich würde lügen, würde ich behaupten, dass mich diese Tatsache nicht ein klitzekleines bisschen neugierig machte.
In dieser Nacht bekam ich nur wenig Schlaf. Sobald mir die Augen zufielen, war ich wieder im Wald und dann sah ich ihn – Dante. Unruhig wühlte ich mich durch das Bett, ehe ich vor Erschöpfung wegdämmerte.
Am nächsten Morgen schnappte ich mir eine Banane vom Frühstückstisch und entschuldigte mich bei meiner Familie mit der kleinen Lüge, dass die Archivarin mich brauchte. Seitdem saß ich wie ein Zombie in einer Ecke der Bibliothek und suchte alles zusammen, was wir über Dante hatten. Dabei war es unnütz, denn ich kannte die Schriftstücke und Bücher in- und auswendig. Schon oft hatte ich über ihn recherchiert und dennoch blieben die Informationen, über die wir hier verfügten, vage. War es wirklich Dante gewesen, der den Pakt mit Edda geschlossen hatte, oder ein Vorfahr? War Infernas, einst als idyllische Welt mit Affinität zu Feuer beschrieben, tatsächlich die brennende Welt voller Qualen, zu der wir sie machten?
Meine Recherche resultierte in nur noch mehr Fragezeichen.
Um drei jagte Archivarin Mossby mich mit den Worten »Geh nach Hause und schlaf etwas« aus der Bibliothek. Zu kaputt für die lange Route, passierte ich das Wohnheim der Jäger genau in dem Moment, in dem Craig, Jeremy und die anderen eine ihrer Trainingseinheiten beendeten.
»Hey, Vargas!«, rief Craig mit einem Lachen in der Stimme. »Lust, mitzumachen?«
Ich ignorierte ihn und brachte mehr Abstand zwischen mich und das Wohnheim.
»Everly! Sehe ich dich heut Abend?«
Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Das Klingeln in meinen Ohren wurde erneut lauter und ich ging schneller.
»Everly!«
Das Letzte, das ich hörte, war Jeremy.
»Lass gut sein, Alter. Die ist doch–«
Das Ende des Satzes bekam ich – zum Glück – nicht mehr mit. Jeremy war einer von vielen Anwärtern, die mir meinen Austritt aus dem Trainingsprogramm übel nahmen. Seine Zurückweisung – auch die der anderen – war schmerzhaft für mich. Ich hatte immer dazugehört, war beliebt gewesen, und dann, auf einmal, hatten sie mich fallen gelassen.
Weil du ihnen den Rücken zugekehrt hast.
Aber nur, weil ich keine andere Wahl gehabt hatte!
Sie dachten, ich hielt mich für etwas Besseres. Dabei hätte ich viel, sehr viel dafür gegeben, so normal wie sie zu sein. Aber das konnte keiner von ihnen wissen, denn niemand, absolut niemand kannte mein Geheimnis.
Nur Dante Infernas.
Und das war so verkorkst … so absolut … irre.
Zu Hause angekommen nahm ich zwei Stufen auf einmal und verbarrikadierte mich in meinem Zimmer.
Erst als es Zeit fürs Abendessen wurde, kam ich wieder raus.
»Essen in fünf!«, drang Moms Stimme in den ersten Stock herauf. Ich sprang auf und schwankte. Rasch suchte ich Halt am Bettpfosten. Mir war schwindelig und schlecht. Ein wenig zu heiß und mein Kopf rauchte. Statt zu schlafen, hatte ich gegrübelt und vor lauter Selbstmitleid sogar das Essen und Trinken vergessen. Sosehr ich mir auch einredete, dass mich die Kommentare und Blicke von Jeremy und den anderen nicht störten, nicht mehr – es schmerzte dennoch. Das Wohnheim verlassen zu haben und damit meinen Traum auf Eis zu legen, tat noch immer weh. Auch nach all den Jahren.
Damit konnte ich mich jetzt allerdings nicht beschäftigen, denn ich hatte viel dringendere Probleme, für die ich eine Lösung finden musste.
Was konnte Dante von mir wollen? Warum sollte ich ihn nach Infernas begleiten?
Was auch immer es war, sobald er mich in seiner natürlichen Umgebung sah, würde ihm schnell klar werden, was für einen gigantischen Fehler er begangen hatte. Trotz des Hexenblutes in meinen Adern war ich sterblich. Zerbrechlich sogar – für jemanden wie ihn. Ich wäre eine Last vor Ort und – zumindest ging ich davon aus – auf Schutz angewiesen.
»Everly! Melodie! Zwingt mich nicht, euch zu holen!«
Tief in Gedanken öffnete ich meine Zimmertür. Den Weg den Flur entlang, die Treppe hinab, durch die kleine Eingangshalle und hinein in die Küche, registrierte ich kaum. Wie in Trance setzte ich mich auf meinen üblichen Platz. Ein dampfender Teller wartete bereits auf mich. Hunger hatte ich jedoch keinen. Ich griff nach meiner Gabel und schob ein paar der knackig aussehenden Brokkoliröschen von links nach rechts.
Du hast noch einen Tag.
»Everly?«
Kein Grund auszuflippen, Everly, es gibt immer einen Ausweg.
»Eve!« Genervt wedelte meine kleine Schwester mit ihrer freien Hand vor meinem Gesicht herum. »Erde an Everly!«
»Melodie, lass deine Schwester in Ruhe essen.«
Mom schielte bedeutungsschwer auf meinen vollen Teller. Bisher hatte ich Melodie erfolgreich ausgeblendet. Sie und Mom. Dad fehlte.
»Ich will ja nur wissen, ob du heute Abend mitkommst.«
»Wohin?«
Sie rollte mit den Augen und blies sich die goldblonden Haare aus der Stirn. Sieben Jahre jünger als ich, war sie mit ihren knapp achtzehn Jahren leider noch in der Phase, in der sie vieles, manchmal auch alles und jeden, uncool fand. Inklusive mir. Zumindest im Moment. In der Tiefe ihres Teenager-Herzens aber liebte sie mich.
»Heute ist Geisternacht«, flüsterte sie aufgeregt.
Ah, das hatte Craig gemeint. Ich sah zu Mom. »Ist schon wieder Donnerstag?«
Sie nickte. »Dein Vater ist bereits dort.« Ein Stirnrunzeln. »Falls ihr Mädchen überhaupt mitbekommen habt, dass er nicht da ist.«
Die Geisternacht erklärte seine Abwesenheit. Mit Sicherheit wuselte er bereits im Tempel herum, gab Anweisungen und fachsimpelte mit den Jägern.
»Tut mir leid, Mom«, antwortete ich leise seufzend. »Ich habe zurzeit viel im Kopf.«
Und ich musste mich verdammt nochmal zusammenreißen, sonst flog ich auf. So oder so.
»Das College?«
Melodie verschluckte sich an ihrer nächsten Gabel Kartoffelpüree und ich klopfte ihr mit schwesterlicher Gewissenhaftigkeit auf den Rücken. Fest. Denn sie war die Einzige in dieser Familie, die wusste, dass ich das College vor ein paar Monaten hingeschmissen hatte. Ich wollte es meinen Eltern sagen, wirklich, aber ich war fünfundzwanzig Jahre alt und ich konnte meine eigenen Entscheidungen treffen. Außerdem hatte ich keine Lust auf eine Standpauke. Ich würde es ihnen sagen, sobald ich wusste, was ich mit meinem Leben anfangen wollte.
Sehr erwachsen, Everly …
Aber vielleicht hatte sich das Ganze morgen eh erledigt.
Nicht dran denken, nicht dran denken …
Ich wiederholte das Mantra noch ein paar Mal, aber es war in etwa so, als bitte man jemanden, den rosa Elefanten im Raum zu ignorieren. Dante war mein rosa Elefant und es war schlichtweg unmöglich, ihn zu ignorieren.
»Also, heute ist Geisternacht …«, griff ich das Thema wieder auf. Mir war jedes Thema recht, solange es nicht mit meiner Zukunft zu tun hatte. Dafür würde ich sogar mit Melodie zum wöchentlichen Treffen unseres Zirkels gehen. In der Geisternacht trafen sich alle Winterhexen. Jeder Zirkel hatte solch einen Tag. Die Sommerhexen nannten es Abendhauch. Die Frühlingshexen trafen sich nicht abends, sondern morgens und nannten ihr Zusammentreffen Glockenklang und die Herbsthexen, die aktuell im Besitz ihrer vollen Magie waren, bezeichneten diesen Tag als Blätterregen. Die Geisternacht war das soziale Event unseres Zirkels. Es gab Kakao für die Kinder und Punsch für die Erwachsenen. Man tauschte sich aus, frohlockte darüber, dass das Tor nach Infernas stabil war, und das schon seit Ewigkeiten kein Daimon mehr auf unserer Seite gesichtet worden war. Craig mochte herumerzählen, dass sie einen Daimon verfolgt hatten, ich glaubte jedoch kaum, dass Dantes Lakai so unvorsichtig geworden war. Oder, dass er zwei Tage im Wald herumgeirrt war, ehe er mich gefunden hatte. Dante wusste genau, wo ich lebte, also wussten es seine Untertanen auch. Wahrscheinlich hatten Craig und die anderen ein Wildschwein verfolgt. Oder einen Hirsch.
Jede Geisternacht begann und endete gleich. Die Hexenmeisterinnen erinnerten uns an den Pakt, unseren Fluch und unsere Bestimmung. Für die Wintermonate im Jahr waren wir es, die dafür verantwortlich waren, dass niemand durch das Tor nach Infernas gelangte, noch dass etwas herauskam. Der letzte Punkt war dabei der entscheidendste. Denn wer wollte schon freiwillig nach Infernas?
Die Antwort war einfach: Niemand. Ich auch nicht. Wie also sollte ich aus diesem Schlamassel, in den ich mich selbst hineinmanövriert hatte, wieder herauskommen?
Während Mom den Tisch abräumte und Melodie mir erklärte, dass Sarah Jean ihr erzählt hatte, dass Thomas, der älteste Sohn des Hexenmeisters der Sommerhexen, mit Joanna, einer Frühlingshexe, rumgeknutscht hatte, steckte ich in meinem eigenen Drama fest. Wer mit wem knutschte, war mir herzlich egal. Sollten sie doch alle ihren Spaß haben. Am Ende des Tages würden sie sowieso wieder in ihrem eigenen Zirkel landen. So waren die Regeln. Brach man sie, bezahlte man das mit seinen Kräften. Sie wurden einem genommen und mit ihnen verlor man auch das Recht, in einem der Dörfer rund um das Tor zu leben. Man wurde verbannt. Und das war etwas, wovor jede Hexe sich fürchtete, egal welchem Zirkel sie angehörte.
»Du solltest mitgehen«, unterbrach Mom Melodies Redeschwall. »Craig wird auch da sein.«
Ich unterdrückte das Verlangen, meinen Kopf auf den Tisch zu knallen. Craig? Ernsthaft, Mom? Es war nicht ungewöhnlich, dass Zirkelmitglieder versuchten, ihre Kinder zusammenzubringen. Ich würde es nicht direkt arrangierte Ehe nennen, es lief jedoch im Grunde darauf hinaus. Wir besaßen Mitspracherecht, waren uns jedoch der Verantwortung unseres Zirkels gegenüber der Menschheit bewusst. Unsere Blutlinien mussten erhalten werden, damit das Hexenblut in unseren Adern weitergegeben wurde. Ebenso das Wissen über unsere Kräfte. Starben die Jahreszeitenzirkel aus, gab es niemanden mehr, der zwischen den Daimonen und dieser Welt stand.
Auch meine Eltern hatten mir in den letzten Jahren zahlreiche potenzielle Hexen vorgestellt. Die meisten von ihnen kannte ich, immerhin war ich mit ihnen zur Schule gegangen und hatte an ihrer Seite trainiert. Aber ausgerechnet an Craig Mount schienen sie beide einen Narren gefressen zu haben. Dass Craig nur allzu willig war, mich besser kennenzulernen, machte das Ganze nicht besser. Und dass ich vor einem Jahr – aus Versehen – mit ihm im Bett gelandet war, auch nicht.
Wenigstens hatte ich auf dem College Ruhe vor der zirkelinternen Politik.
Ein College, auf das du nicht mehr gehst …
»Komm, Eve! Das wird lustig.«
Melodies Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Innerlich seufzend stopfte ich mir ein Stück Brokkoli und zwei Gabeln Kartoffelpüree in den Mund, bevor Mom mich mit ihren Blicken noch erdolchte.
»Du willst doch nur deine Freundinnen sehen und Punsch trinken.«
Melodie strahlte mich an und hinter ihr sah ich, wie Mom den Tee aufgoss, und ihr eigenes Grinsen unterdrückte. Meine Schwester war erst seit wenigen Wochen achtzehn. Seitdem versuchte sie jedes soziale Event unseres Zirkels mitzunehmen. Geburtstage, Hochzeiten, Geburten, Jägerpartys … Wenn es dabei Punsch gab, umso besser.
»Was ist nun, Eve? Kommst du?«
»Fein, ich komme mit.«
Vielleicht würde es mich auf andere Gedanken bringen. Oder es half mir, meine Gedanken zu sortieren.
Melodie stieß einen kleinen Jubelschrei aus. »Ich gehe mich umziehen.«
»Es werden Kinder anwesend sein«, rief ich ihr hinterher. Stirnrunzelnd sah ich zu Mom. »Sag mir, dass ich nicht so war.«
»Warst du nicht«, bestätigte sie lachend. »Du warst schlimmer.«
»Hey!«
»Ein richtiger Teufelsbraten.«
Autsch. Keine gute Wortwahl in meiner aktuellen Lage.
Moms Miene wurde schlagartig ernst. »Bis zu deinem achtzehnten Geburtstag.«
Nicht das schon wieder. Dafür hatte ich gerade keine Nerven. Rasch erhob ich mich. »Ich gehe mich auch umziehen.«
»Everly?«
Bereits an der Treppe angekommen, drehte ich mich zu Mom um. Ihr Gesichtsausdruck war unergründlich. »Versprich mir, dass du ein Auge auf deine Schwester hast, ja?«
Ich versprach es. Allerdings hatte ich das drückende Gefühl, dass das nicht das war, was sie mir hatte sagen wollen.
Mein Versprechen zu halten, stellte sich als nicht so einfach heraus, denn kaum hatten wir die große Halle unseres Tempels erreicht, war Melodie auch schon in der Menge verschwunden.
»Na super.« Leise fluchend verschaffte ich mir einen Überblick. Der Tempel platzte aus allen Nähten. Zahlreiche Generationen der Winterhexen waren gekommen. Sie standen in kleinen Grüppchen zusammen und redeten und lachten, während die Kinder sich laut kreischend durch die Halle jagten. Fast rechnete ich damit, dass ihnen jemand »Im Tempel wird nicht gerannt!« hinterherrief, so wie ich es aus meiner Kindheit kannte, aber die Kleinen hatten Glück. Offensichtlich waren die Hexenmeisterinnen noch nicht anwesend und man hatte Nachsehen mit ihnen.
Obwohl ich Events wie diese nicht mochte, war es ein unleugbar gutes Gefühl, den Tempel zu betreten. Die alte Magie in diesen gigantischen vier Wänden war mit Händen greifbar. Ein Grund, warum der Tempel als Ort der Zusammenkunft so beliebt war. Nicht nur war der Tempel ein beeindruckendes Bauwerk, er bedeutete uns Hexen sehr viel. In den Monaten, in denen die Winterhexen über keine eigene nennenswerte Magie verfügten, fühlten sie sich von diesem Ort angezogen. Er schenkte ihnen Kraft und tröstete. Mich hingegen machten die weißen, hohen Sandsteinwände, verziert mit diversen Bildern, und die große hölzerne Kuppel kribbelig. Hier spürte ich die Magie in meinen Adern mehr als deutlich und ich musste all meine Konzentration aufbringen, das Echo meiner Macht verborgen zu halten.
Ich schälte mich aus meiner Lederjacke und ließ den Blick suchend durch die Menge schweifen.
»Everly!«, hörte ich es links von mir. Mit langen Schritten eilte Dad auf mich zu. Die Menge teilte sich vor ihm, als würde er auf Wasser laufen.
»Hi, Dad.«
»Hi, meine Süße«, begrüßte er mich, legte einen Arm um meine Schultern und gab mir einen Kuss auf die Stirn. »Wo ist deine Schwester?«
»Wo ist der Punsch?«, konterte ich.
Dad lachte leise. »Sie ist gerade achtzehn geworden. Lass sie sich amüsieren. Und solange sie im Kreis des Zirkels bleibt …«
»… ist alles gut. Ich weiß. Wir passen auf die unseren auf.« Ich konnte nicht mehr zählen, wie oft ich diese Worte gehört hatte. »Ich bringe sie vor Mitternacht nach Hause«, versprach ich.
»Versuch, dich auch ein wenig zu amüsieren.«
»Mhm«, machte ich und rang mir ein Lächeln ab.
Dad musterte mich. Das Lächeln verschwand und er blickte ernst drein. »Du bist ein gutes Mädchen, Everly.«
Nicht so gut, wie er dachte. Ich war kein Mädchen mehr, sondern eine Frau … dennoch lächelte ich artig. Seine Worte klangen ohnehin viel mehr, als versuche er sich und nicht mich zu überzeugen. Ich nickte in Richtung der vollen Halle.
»Geh ruhig wieder zu den anderen, Dad. Ich komme klar.«
»Craig ist hier, weißt du –«
»Nicht du auch noch!« Ich löste mich aus seinen Armen und schob ihn von mir. »Geh jetzt, ich komme klar.«
Wir verabschiedeten uns voneinander und ich setzte meine Suche nach Melodie fort. Meine Schwester liebte solche Events, sie lebte dafür. Ich hingegen konnte mir Besseres vorstellen, als jeden Donnerstagabend im Tempel zu hocken und mir dieselbe Geschichte immer und immer wieder anzuhören. Ja, die Magie unserer Vorfahren, die diesen Tempel mit Macht erfüllten, war angenehm und legte sich wie eine wärmende Decke über meine Schultern. Dennoch … mit den Jahren wurde es eintönig.
Einige Zirkelmitglieder erkannten mich und nickten mir respektvoll zu. Andere ignorierten mich und wieder andere tuschelten leise miteinander. Die Halle des Tempels musste beinahe so groß wie ein Fußballfeld sein. Oder eine Arena. Hier drinnen könnte man Konzerte veranstalten. Große Tafeln und Bänke füllten den Raum und am Ende der Halle befand sich eine Bühne. Fackeln erleuchteten die Wände, während magische Feuer in imposanten Feuerschalen auf dem Podest der Bühne in einem eisigen Blau brannten und knisterten. Was das anging, waren wir etwas altmodisch. Obwohl unsere Häuser mit allen modernen Annehmlichkeiten ausgestattet waren, bevorzugten wir hier drinnen Stein, Holz und Feuer. Und unsere Magie – ab Dezember.
Ich hatte die Halle zur Hälfte durchquert, da sah ich sie. Craig und seine Freunde. Sie standen etwas abseits der anderen Gruppen und ließen sich bewundern. Viele der jungen Hexen warfen Craig und den anderen schwärmende Blicke zu. Immerhin waren sie Jäger. Ein Titel, der in keinem der Hexenzirkel leichtfertig vergeben wurde. Obwohl ich selbst den Wunsch verspürt hatte, Jägerin zu werden, musste ich zugeben, dass sie recht wenig zu tun hatten. In den letzten Jahrzehnten waren nur eine Handvoll Daimonen durch das Tor gelangt. Aber sie alle endeten mit durchgeschnittener Kehle auf dem Scheiterhaufen in der Mitte unseres Dorfes. Oder wurden geköpft.
Nur ein toter Daimon war ein guter Daimon. Das hatte man uns von klein auf beigebracht. Der Hass auf die Daimonen war wie ein Waldbrand. Alles verzehrend und verheißungsvoll. Dabei war es so absurd. Wir teilten dasselbe Blut. Es war ihr Erbgut, das unsere eigene Magie um ein Vielfaches verstärkt hatte. Dennoch machten wir Jagd auf sie.
Doch glaubte man den Überlieferungen, dann waren sie es, die damals mit dem Jagen angefangen hatten. Sie kämpften aus Mordlust. Wir, um zu überleben.
Für jeden der vier Zirkel war alles, was durch Tenebris in unsere Welt kam, böse. Was das anging, unterschieden wir nicht in Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Wenn es um unseren Feind ging, waren wir ein Zirkel.
Obwohl ich mir die größte Mühe gab, Craig auszuweichen, erspähte er mich in der Menge. Ein unmissverständliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Craig Mount war groß, breit gebaut und besaß den typisch rauen Charme der Winterhexen. Seine schwarze Kleidung wies ihn als Jäger aus und das rotblonde Haar hing ihm etwas zu lang ins Gesicht. Er war ein gut aussehender Mann, wirklich, aber trotz unseres kleinen Abenteuers vor einem Jahr, ließ er mich völlig kalt. Was zum Teil wohl auch daran lag, dass er mich vor sieben Jahren ebenfalls hatte fallen lassen. Auch wenn er seit einiger Zeit versuchte, diesen Fehler wiedergutzumachen. In Form von Avancen – leider.
»Everly«, rief er, wobei er sich entschlossen die letzten Meter durch die Menge schob. Bei mir angekommen, hielt er mir einen Becher Punsch entgegen. »Du bist hier.«
»Melodie zuliebe.« Ich nahm ihm den Becher ab. Dabei achtete ich penibel darauf, dass unsere Finger sich nicht berührten. Jegliche Form von Körperkontakt war gefährlich für mich. Das Risiko, dass Craig spürte, dass etwas mit mir nicht stimmte, war zu groß. Vor einem Jahr war ich fahrlässig und kopflos gewesen. Traurig und einsam. Noch einmal würde mir das nicht passieren.
Craig gluckste leise. »Und ich dachte für einen Moment, dass du dich uns doch anschließen willst.«
»Nicht heute«, erwiderte ich vage.
Craig runzelte die Stirn. »Wie läuft es auf dem College?«
Und genau deswegen hasste ich solche Veranstaltung. Man erwartete, dass ich mich am Small Talk beteiligte, und aktuell gab es zu viele Themen, über die ich nicht reden wollte.
Das College, die Jäger oder mein geheimer Pakt mit Dante Infernas standen dabei ganz oben auf der Liste.
»Gut.«
»Wortgewandt wie immer, was, Everly?«
Ich seufzte leise. »Geh zurück zu deinen Freunden, Craig.«
»Und wenn ich viel lieber bei dir bin? Wir sind doch auch Freunde, oder nicht?«
Das waren wir mal. Aber das lag lange zurück.
Blaugraue Augen musterten mich intensiv. Ein wenig zu intensiv. Es war eindeutig, was er wollte.
»Du solltest deine Zeit nicht mit mir verschwenden, Craig. Du wirst demnächst sechsundzwanzig«, sagte ich in dem Bemühen, ehrlich – und nett – zu sein. »Such dir eine Winterhexe, mit der du eine Zukunft hast, und bekomme viele süße Winterbabys.«
Sein Blick wurde stechender. »Vielleicht habe ich diese Hexe ja schon gefunden?«
»Was zwischen uns passiert ist, wird sich nicht wiederholen.«
Craig wackelte anzüglich mit den Augenbrauen und ich fragte mich, wie viel Punsch ich damals intus gehabt hatte, um dieses Verhalten auch nur im Ansatz sexy zu finden. Aber es war passiert und nun klebte er mir bei jedem dieser Events – wenn ich mich denn blicken ließ – am Arsch.
»Wir werden sehen, wie lange du mir widerstehen kannst, Vargas.«
Lange. Sehr lange. Aber sollte er ruhig warten, mir war es gleich.
»Wann fährst du zurück nach Dublin?«, wechselte er das Thema, während ich einen Schluck Punsch trank. Widerliches Zeug. Und viel zu süß. Kein Wunder, dass ich mit Craig im Bett gelandet war.
»Übermorgen.«
Bis jetzt hatte ich dem Dekan erfolgreich weisgemacht, dass ich gerade dabei war, mich umzuorientieren und nur noch nicht wusste, für welches Fach ich mich einschreiben sollte. Deswegen hatte ich im Wohnheim bleiben dürfen. Allerdings lief meine Schonfrist demnächst aus. Sollte ich Dante jedoch morgen Abend nach Infernas folgen, und aktuell sah es ganz danach aus, musste ich mir darüber wenigstens keine Gedanken mehr machen. Das College bot mir das nötige Alibi. Niemand würde mich vermissen und ich gewann Zeit, eine geeignete Lösung zu finden. Und daran ging kein Weg vorbei. Ich war eine Winterhexe, ich gehörte nicht nach Infernas, sondern hierher, zu meiner Familie und meinem Zirkel.
Tust du das wirklich?
Mit einem lautlosen Zischen brachte ich meine innere Stimme zum Schweigen.
»Wir sind das perfekte Paar, Everly, das wirst du noch einsehen.«
Das waren wir sicher nicht, aber Craig brachte mich mit seinen Worten auf einen Gedanken.
Das perfekte Paar.
War es das, was Dante von mir wollte? Eine Partnerschaft? War er auf Brautschau? Beinahe hätte ich laut aufgelacht. Nein, das war lächerlich. Wenn dem so wäre, dann würde er seine Braut mit Sicherheit nicht inmitten seiner Feinde suchen. Daimonen lebten sehr, sehr lange. Sie waren so gut wie unsterblich. Als Winterhexe mit Magie in den Adern, war meine Lebenserwartung höher als die von Normalsterblichen, dennoch wurden wir in der Regel nicht älter als hundertfünfzig, maximal zweihundert Jahre. Was also wollte er von mir?
Die ältesten Hexenmeisterinnen wählten genau diesen Moment, um auf der Bühne zu erscheinen. Mit einem lauten, effektvollen Knall traten sie aus einer mächtigen Rauchwolke hervor.
Applaus ertönte und auch Craig löste seinen Blick von mir und wandte sich der Bühne zu.
Meridia, Ayslin und Enya. Das waren die Namen der Hexenmeisterinnen unseres Zirkels.
Sie waren die mächtigsten, noch lebenden Winterhexen. Sie waren unsere Ratgeber. Unser Gesetz. Unsere Mütter. Im Gegensatz zu den anderen Zirkeln standen bei uns alle Zeichen auf Frauenpower. Immerhin war es Edda Vargas gewesen, die vor Jahrhunderten den Friedensvertrag mit Infernas herbeigeführt und unterschrieben hatte.
»Seid gegrüßt«, eröffnete Ayslin die Geisternacht. Ihre langen, weißen Haare wehten um ihr bereits runzeliges Gesicht. Alle drei Frauen trugen eisblaue Umhänge über ihrer normalen Alltagskleidung.
»Kommt näher«, flüsterte Enya beinahe verschwörerisch in die Runde. Mit ihren hundertzehn Jahren war sie die jüngste der drei Frauen. Sie hatte damals den Platz meiner Großmutter eingenommen, als diese mit knapp hundertsiebzig verstorben war.
»Hört die Geschichte unserer Ahnen.«
»Ein Fluch«, raunte Meridia.
»Und ein Segen«, fügte Ayslin hinzu. »Aus der Dunkelheit geboren stiegen wir empor und erhoben uns gegen das Böse.«
Ein Raunen ging durch den plötzlich stillen Saal und innerlich seufzend kippte ich den Rest meines Punsches in einem Zug herunter.
Craig grinste neben mir, als könne er es kaum erwarten, die Geschichte zu hören. Er kam näher und flüsterte: »Du siehst hübsch aus.«
»Das sagst du immer.«
»Weil es immer stimmt.«
Das Interesse in Craigs Blick war aufrichtig und für einen Moment plagte mich das schlechte Gewissen. Er war in der letzten Zeit gut zu mir gewesen, zwar etwas aufdringlich, aber er schien mich wirklich zu mögen und schließlich war ich mit ihm ins Bett gegangen. Soweit ich mich erinnerte, war unsere gemeinsame Nacht gar nicht so übel gewesen.
»Danke«, murmelte ich daher leise.
Meine helle Jeans und der moosgrüne Pullover waren nichts Besonderes. Während viele der Hexen sich zur Geisternacht fein machten und sich extra viel Mühe mit ihrem Äußeren gaben, hatte ich es gerade mal geschafft, meine Haare zu kämen und mir einen Pulli ohne Kaffeeflecken anzuziehen. Also nein, mein Outfit war alles andere als besonders. Zusammen mit meinen feuerroten Haaren, den vielen Sommersprossen und den steingrauen Augen, zog ich dennoch so manche Blicke auf mich. Allen voran, weil ich anders aussah als der Rest meiner Familie. Melodie und Mom hatten beide goldblondes Haar und Dad war brünett. Es war nicht ungewöhnlich, dass Kinder mit dieser Genmischung mit rotem Haar geboren wurden, ich aber hatte eine Extraportion abbekommen. Den Hexengöttern sei Dank, besaß ich Moms Größe, ihre Kurven und die gleichen grauen Augen. Wenigstens dahingehend passte ich optisch in die Familie Vargas.
»Seid ihr bereit für ein wenig Magie?«, fragte Enya und die Kinder in den ersten Reihen quietschten vor Vergnügen. Die drei Hexenmeisterinnen sammelten und bündelten die wenige Macht, die ihnen vor dem Winter zur Verfügung stand, und ein Bild aus Rauch und Magie formte sich vor unseren Augen. Glitzernd wie der Morgentau und leicht flackernd schwebte es über den Köpfen der drei Frauen. Es war unsere Welt, und gleichzeitig war sie es nicht. Nicht mehr.
»Vor langer, langer Zeit«, begann Enya, »als Magie die Erde regierte, lebten die Hexen und die Daimonen in Frieden. Das Tor zwischen unseren Welten stand weit offen und unsere Völker profitierten und lernten voneinander.«
Meridia trat vor. »Es dauerte nicht lange, und unsere Gene vermischten sich. Freundschaften wurden geschlossen und Liebesbeziehungen eingegangen. Die ersten Hexen einer neuen Generation wurden geboren. Halb Hexe, halb Daimon, entstand eine mächtige neue Art von Hexen.« Sie hielt kurz inne. »Die Gründerinnen und Gründer unseres Zirkels waren Teil dieser neuen Generation. Unsere Ahnen machten uns das Geschenk des Blutes. Dank ihnen vererben wir die Magie in unseren Adern mit jeder Generation weiter.«
»Das Geschenk des Blutes«, murmelten wir, so wie man es uns von klein auf beigebracht hatte.
»Alles war gut. Doch dann wurden die Daimonen übermütig und ihre wahre Natur brach hervor. Sie beneideten uns um unsere Magie und verstanden nicht, dass das Hexengen das dominante war, und sie unsere Magie verstärkten, wir jedoch keine äußerlichen Merkmale von ihnen annahmen. Misstrauen wurde zu Hass, Übergriffe und Kämpfe zwischen den Spezies waren die Folge.«
Das Bild veränderte sich und ein Mann erschien in den Rauchschwaden. Ein Daimon. Er war riesig, mit langen, schwarzen Haaren, einer goldfarbenen Rüstung und rot glühenden Augen. Große schwarze Hörner ragten aus seinen Schläfen.
Dante Infernas.
Zumindest sollte es Dante sein. Da jedoch keiner der hier Anwesenden den König von Infernas je persönlich zu Gesicht bekommen hatte, stammte dieses Bild aus Erzählungen, Legenden und Büchern. Ich aber hatte ihm gegenübergestanden und das hier wurde ihm in keinster Weise gerecht.
»Die Daimonen terrorisierten unsere Welt«, setzte Enya die Geschichte fort. »Sie jagten und töteten nicht nur Hexen, sondern auch Normalsterbliche. Unschuldige Seelen, die die Magie in ihren Adern vergessen hatten. Unsere Magie machte den Daimonen Angst. Mit jeder Generation wurden wir mächtiger. So verboten sie, dass ein Daimon eine Liebesbeziehung mit einer Hexe eingehen durfte. Wer nicht gehorchte, wurde mit dem Tode bestraft.«
Dieses Mal war das Bild akkurat bis ins kleinste Detail. Es war ein Abbild von Edda. Meiner Vorfahrin. Jenes Bild, das als Ölgemälde in unserem Hauseingang hing und mich stets daran erinnerte, welch großes Erbe auf meinen Schultern lastete.
»Unsere Schwester besaß den Mut und die Weitsicht, dem Morden ein Ende zu bereiten. Unter Einsatz ihres Lebens vereinte sie die Zirkel unter einem Banner und trat Dante Infernas mutig entgegen. Sie brachte uns den Frieden.«
Ab hier schaltete ich ab. Ich kannte jedes Wort auswendig, das aus Meridias, Ayslins oder Enyas Mund kam. Sie bauten das Tor, jada jada, wir leisteten den Schwur, jada jada, die Magie in unseren Adern entschied, zu welchem Zirkel wir fortan gehörten, jada jada, wir waren alles, was zwischen den Daimonen und der heutigen Menschheit stand, jada jada. Dafür brachten wir ein Opfer, nahmen in Kauf, dass unsere Magie in Ketten gelegt wurde, sodass wir nur drei Monate im Jahr über sie verfügten … JADA. JADA.
Augenrollend sah ich in meinen Punsch. Alle. Verdammt.