Running Wild - Liebe, Chaos und Alpaka - Melanie Lane - E-Book

Running Wild - Liebe, Chaos und Alpaka E-Book

Melanie Lane

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Beschreibung

Alles, was die chaotische, tätowierte Chess vom Leben möchte, ist Tiere retten und ihnen in einer eigenen Tierpension ein neues Zuhause zu geben. Als sich ihr Traum gerade erfüllt, verschwindet ihr Bruder Peter. Das passt so gar nicht zu ihm, denn Peter ist - im Gegensatz zu Chess - der Goldjunge der Familie, der auch noch in vier Wochen heiratet. Chess zögert nicht lange und macht sich in ihrem alten VW Bus kurzerhand auf die Suche nach ihrem Bruder. Mit dabei sind ihr Hund Mango und das verhaltensauffällige Alpaka Ross, das an Verlustängsten leidet und gerne mal schrille Schreie ausstößt.

Als wäre das Auto nicht schon voll genug, schließt sich dann auch noch Matthew Brady, Peters bester Freund, der Suchtruppe an. Ausgerechnet der aalglatte, karriereorientierte Anwalt, der den ganzen Tag Anzug trägt und alles besser weiß! Auf ihn hätte Chess nur zu gerne verzichtet, denn er ist nicht nur ein ätzender Spießer und Sprücheklopfer, sondern auch ein ungeliebter Teil ihrer Vergangenheit. Auf der Suche nach Peter fliegen zwischen den beiden schon bereits nach kurzer Zeit die Fetzen – aber auch die Funken.

Bald ist sich Chess nicht mehr sicher: will sie Matt erwürgen oder nicht doch lieber küssen? Und was ist eigentlich Matts Motiv für die Reise? Ist es die Sorge um Peter oder versucht er Chess auf eine falsche Fährte zu locken?

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Alles, was die chaotische, tätowierte Chess vom Leben möchte, ist Tiere retten und ihnen in einer eigenen Tierpension ein neues Zuhause zu geben. Als sich ihr Traum gerade erfüllt, verschwindet ihr Bruder Peter. Das passt so gar nicht zu ihm, denn Peter ist - im Gegensatz zu Chess - der Goldjunge der Familie, der auch noch in vier Wochen heiratet. Chess zögert nicht lange und macht sich in ihrem alten VW Bus kurzerhand auf die Suche nach ihrem Bruder. Mit dabei sind ihr Hund Mango und das verhaltensauffällige Alpaka Ross, das an Verlustängsten leidet und gerne mal schrille Schreie ausstößt.

Als wäre das Auto nicht schon voll genug, schließt sich dann auch noch Matthew Brady, Peters bester Freund, der Suchtruppe an. Ausgerechnet der aalglatte, karriereorientierte Anwalt, der den ganzen Tag Anzug trägt und alles besser weiß! Auf ihn hätte Chess nur zu gerne verzichtet, denn er ist nicht nur ein ätzender Spießer und Sprücheklopfer, sondern auch ein ungeliebter Teil ihrer Vergangenheit. Auf der Suche nach Peter fliegen zwischen den beiden schon bereits nach kurzer Zeit die Fetzen – aber auch die Funken.

Bald ist sich Chess nicht mehr sicher: will sie Matt erwürgen oder nicht doch lieber küssen? Und was ist eigentlich Matts Motiv für die Reise? Ist es die Sorge um Peter oder versucht er Chess auf eine falsche Fährte zu locken?

Über Melanie Lane

Melanie Lane stammt aus der schönen Stadt Hamburg, in der sie lebt und in ihrem eigenen Design Studio "schockverliebt" arbeitet.  Sie ist begeisterungsfähig, laut, trinkt gerne Vino und verabscheut Schubladendenken. Als bekennende Feministin lebt sie Themen wie Gleichberechtigung und Diversität, was sich auch stets in ihren Titel wiederfindet. Sie liebt Sarkasmus, ist eine große Tierliebhaberin und Schreiben ist ihre absolute Leidenschaft. Neben ihren Romance Titeln, die im Aufbau Verlag erscheinen, veröffentlicht sie 2020 auch ihr Fantasy Debüt „Von Blut und Magie“ im Isegrim Verlag.   

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Melanie Lane

Running Wild - Liebe, Chaos und Alpaka

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Grußwort

Informationen zum Buch

Newsletter

Widmung

Zitat

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Danksagung

Impressum

Für Mom.

Nicht nur meine Liebe zu Tattoos habe ich von dir. Du bist die stärkste Frau, die ich kenne. Ich danke dir für alles. Von Herzen.

In Liebe. Mel

»If you can love the hurricane in my eyes then you deserve the universe in my heart.«

Gemma Troy

Kapitel 1

Chess

Mango! Nicht!«, schrie ich, aber es war zu spät. Sobald Mango Wasser roch oder sah, waren seine Erziehung und ein halbes Jahr Hundeschule vergessen. Er lief einfach so schnell und so lang weiter, bis er sich mit einem lauten Bauchklatscher ins Wasser stürzen konnte.

Dass besagtes Wasser in diesem Fall eher eine Art stinkender, schleimiger Tümpel war, schien ihn dabei nicht im Geringsten zu stören. Mich hingegen störte es sehr, denn immerhin war ich diejenige, die ihn unter großem Tamtam und anhaltendem Gejaule heute Abend in die Badewanne hieven musste. Den Tümpel liebte er, die Badewanne nicht wirklich.

»Du bist derjenige, der Baden hasst!«, rief ich ihm hinterher, während ich nach meinem klingelnden Handy griff.

Mango weiterhin im Blick, entsperrte ich das verfluchte Ding und ging ran.

»Yeah?«

»Francesca?«

Mist. Innerlich seufzend zählte ich bis drei. »Jetzt ist gerade kein guter Zeitpunkt, Mom.«

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Mango das Handy an meinem Ohr musterte, und erinnerte mich an Ninas Worte, nachdem meine Freundin Mango zum ersten Mal gesehen hatte: »Ich schwöre dir, Chess, dieser Hund ist eigentlich ein Mensch, gefangen im Körper eines Hundes.«

Sobald er wusste, dass ich ihn nicht mehr beobachtete, würde Mango mit Sicherheit etwas anstellen, was ich danach ausbaden musste. Also schlich ich dichter an den kleinen Tümpel heran und drohte ihm mit dem erhobenen Zeigefinger.

Die Ohren aufgestellt, erwiderte er meinen strengen Blick unbeeindruckt.

»Dann mach es zu einem guten Zeitpunkt, Francesca.«

»Mom, bitte hör auf, mich so zu nennen, ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass …«

»Dein Bruder wird vermisst.«

»Warte. Was?«

»Dein Bruder wird vermisst«, wiederholte sie, und diesmal hörte ich das leichte Zittern in ihrer Stimme, »seit fünf Tagen.«

»Was meinst du damit, vermisst?« Ich musste mich verhört haben.

»Was ich meine, Francesca, ist, dass niemand etwas von Peter gehört hat. Seit nunmehr fünf Tagen.« Sie atmete schwer aus. »Er wird vermisst.«

»Aber …«

»Fiona weint in unserem Wohnzimmer, dein Vater hat nichts von Peter gehört und Matthew auch nicht.«

War Peter nicht vor zwei Tagen zum Anzugkauf mit Matt verabredet gewesen? Ich erinnerte mich vage an eine WhatsApp-Nachricht vor ein paar Wochen. Immerhin war seine Hochzeit mit der bösen Hexe des Westens in vier Wochen.

»Er ist nicht in der Kanzlei?«

»Er war seit fünf Tagen nicht mehr in der Kanzlei!« Ihre Stimme wurde schriller.

Das ließ mich innehalten, und für einen Moment vergaß ich Mango, der sich prompt genüsslich in dem schlammigen Wasser des flachen Tümpels suhlte.

»Und Matt hielt es nicht für notwendig, uns das zu sagen?«

Mom schnalzte mit der Zunge. Wie sehr ich es hasste, wenn sie das tat. »Du weißt doch, wie beschäftigt die beiden sind, Francesca.«

Weil sie einen normalen Job haben. Sie hatte sich die Worte noch verkniffen, aber ich wusste ganz genau, dass sie ihr auf der Zunge gelegen hatten.

»Ich bringe Mango nach Hause und schau dann in der Kanzlei vorbei.«

Sie schnaubte leise, als sie den Namen meines Hundes hörte. Meine Mutter verabscheute Mango, und allein dafür liebte ich den chaotischen Vierbeiner noch inniger.

»Findest du nicht, dass dein Bruder wichtiger ist als ein dahergelaufener …«

»Bye, Mom.« Ohne Rücksicht auf ihre letzten Worte beendete ich das Gespräch. Was auch immer sie hatte sagen wollen, es hätte sowieso nur im Streit geendet. Und offensichtlich hatte ich aktuell wichtigere Probleme als die gestörte Beziehung zu meiner Mutter.

Ich sah kurz nach Mango – immer noch im Tümpel – und wählte Matts Nummer. Matthew Brady, der beste Freund und Geschäftspartner meines Bruders.

Es klingelte, und dann hörte ich die tiefe, vertraute Stimme mit dem leichten Südstaatenakzent, den Matt seit je zu unterdrücken versuchte.

»Chess.«

»Matt.«

»Es ist schön, deine Stimme zu hören. Warum rufst du an?«

So wollte er das Ganze also handhaben? Okay.

»Möchtest du mir erklären, warum meine Mutter mich soeben hysterisch angerufen hat, um mir mitzuteilen, dass mein Bruder seit fast einer Woche vermisst wird?«

Matt seufzte am anderen Ende der Leitung. »Weil es so ist?«

»Was?«

»Ich habe seit Tagen nichts mehr von ihm gehört. Mindestens fünf«, fügte er hinzu, »vielleicht auch sieben. An sein Handy geht er auch nicht.«

»Du verarschst mich!«

»Nein.«

»Warst du schon in seinem Apartment?«

Mango wählte genau diesen Moment, um auf mich zuzutraben und sich neben mir zu schütteln.

»Mango!« Verzweifelt versuchte ich, aus dem Weg zu springen. »Du undankbares Tier!«

Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille.

»Matt?«

Ich bildete mir ein, ihn leise lachen zu hören.

»Ja, Chess?«

»Würdest du deine letzten Worte bitte noch einmal wiederholen?«

»Wer ist Mango?«, fragte er und klang dabei aufrichtig interessiert.

»Mein Hund.« Ich sah hinab auf den kleinen Vierbeiner mit den großen, blauen Augen und den viel zu großen, abstehenden Ohren. Mango warf mir einen entschuldigenden Blick zu. Einen Blick, den ich ihm nicht abkaufte. Netter Versuch, Kumpel.

Dennoch konnte ich ihm nicht lang böse sein.

»Mommy liebt dich«, flüsterte ich und beugte mich hinab, um ihm über den schlammigen Kopf zu streicheln. »Trotzdem wirst du heute Abend baden.«

Ich richtete mich wieder auf.

»Also – Peter?«

Matt seufzte, und vor meinem inneren Auge sah ich, wie er sich mit der Hand durch die stets zerzausten sandblonden Haare fuhr.

»Ich war in seinem Apartment. Es sieht aus wie verlassen, Chess.«

»Wie meinst du das?«

»Wo auch immer er hin ist, er hatte es eilig. Überall liegen Klamotten, dreckiges Geschirr steht herum … es ist ein einziges Chaos. Sieht aus, als sei er auf der Flucht gewesen.« Es war ein Scherz gewesen – auf der Flucht. Dennoch verspürte ich eine gewisse Unruhe bei Matts Worten. Peter war niemand, der einfach so verschwand. Das sah meinem immer perfekten, adretten Bruder gar nicht ähnlich. Mittlerweile tatsächlich etwas besorgt, signalisierte ich Mango, in Richtung Auto zu laufen.

»Ich komme vorbei.«

»Chess, nein …«

»Bis gleich, Matt.«

Damit war Matt nun offiziell die zweite Person, die ich heute mitten im Gespräch abgewürgt hatte. Aber sei’s drum. Mit Matthew Brady würde ich klarkommen. Er war das kleinere Übel. Meine Mutter hingegen …

Ich öffnete die Heckklappe meines alten VW-Bullis und kramte nach einem Handtuch, um Mango wenigstens etwas sauber zu machen, bevor er den Matsch im kompletten Innenraum des Bullis und womöglich noch seine Spuren auf den beiden alten Ledersitzen des Busses verteilte. Sherman, so hatte ich den Bus getauft, war ein absoluter Glücksgriff gewesen. Einer von Ninas Freunden hatte ihn auf einem Schrottplatz gefunden. Meine beste Freundin hatte mich sofort benachrichtigt, und nur wenige Stunden später war ich stolze Besitzerin eines auf den ersten Blick völlig schrottreifen Bullis gewesen.

»Mommy liebt dich«, wiederholte ich leise und rubbelte ihm den Bauch trocken. Und wie ich ihn liebte! Seitdem ich Mango vor drei Jahren gerettet hatte, waren er und ich unzertrennlich. Sehr zum Leidwesen meiner Eltern. Aber vieles in meinem Leben war sehr zum Leidwesen meiner Eltern. Ich inklusive.

Unsere Vorstellung davon, wie ich mein Leben zu leben hatte, driftete bereits seit langer Zeit weit auseinander.

An meinem sechzehnten Geburtstag hatten sie mir ein Gesetzbuch geschenkt. An meinem achtzehnten Geburtstag einen Harvard-Pulli, und mit Anfang zwanzig, als ich bereits alle ihre Träume zerstört hatte, eröffnete meine Mutter mir, dass »sie sich wünsche, dass ich endlich aufhörte, mit Hunden zu spielen, damit ich etwas Sinnvolles mit meinem Leben anfangen könne«.

So viel also zum Thema Unterstützung im Hause Archer-Bishop.

Meine Eltern hatten eine Anwältin aus mir machen wollen. Ebenso wie Dad und Peter es waren. Als daraus nichts geworden war und ich mich für Psychologie entschieden hatte, hatte meine Mutter ihren zweiten Frühling erlebt. Selbst Psychologin – Eheberaterin, um genau zu sein –, hatte sie sich gewünscht, dass ich in ihre Praxis einsteigen würde. Während meines Studiums hatte ich jedoch schnell gemerkt, dass ich Tiere den Menschen vorzog. Also hatte ich im zweiten Semester meinen Fachbereich gewechselt und auf Tierpsychologie umgesattelt. Tierverhalten und Tierhaltung, um genau zu sein. Die Brown University bot einen Haufen cooler Onlinekurse an. Psychologie war noch immer Bestandteil meines Studiums, mit Kursen wie: Einführung in die Psychologie des Menschen, Prinzipien der Psychologie oder die Anormale Psychologie. Dennoch lagen mein eigener Schwerpunkt und meine Leidenschaft definitiv bei der Tierpsychologie. Seitdem war ich die größte Enttäuschung, die der Familie je widerfahren war. Nahm man noch meine zahlreichen Tattoos, meinen – glaubte man meiner Mutter – zu freizügigen Kleidungsstil und die Tatsache, dass ich meinen Treuhandfonds nicht anrührte, hinzu, war hier und da bestimmt schon einmal das Wort Schande gefallen. Es war eine Schande, dass ich mein Studium so verschwendete. Es war eine Schande, dass ich nicht doch Anwältin geworden war. Es war eine Schande, dass ich nicht mehr wie Peter war.

Die Zeit, in der mich Aussagen wie diese gekränkt hatten, war längst vorbei.

Mit zwanzig war ich ausgezogen und hatte mir einen Nebenjob gesucht. So hatte ich mich selbst versorgen können und war nicht auf das Geld meiner Eltern angewiesen. Geld, das mir sowieso noch nie etwas bedeutet hatte. Von meiner Großmutter Marianne hatte ich zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag eine kleine Erbschaft erhalten. Um mich über Wasser zu halten, hatte im Testament gestanden. Während meine Eltern, deren Beziehung zu Grandma Mari unterkühlt gewesen war, leer ausgegangen waren, hatten Peter und ich jeder einen weiteren Trustfonds geerbt. Zunächst war mir nicht wohl dabei gewesen, zu wissen, dass irgendwo auf der Bank ein kleines Vermögen lag, über das ich mit dreißig, wenn ich »aus dem Gröbsten raus war und wusste, was ich vom Leben wollte«, verfügen konnte. Aber Grandma Mari hatte mich und meinen Traum gekannt, und ich war ihr dankbar für die mentale und nun auch finanzielle Unterstützung, die sie mir über ihren Tod hinaus gewährte. Himmel, ich vermisste sie! Sie war die Einzige gewesen, die mich verstanden hatte. Sie und Peter. Aber Peter und ich … unsere Beziehung war in den letzten Jahren schwierig geworden. Er war der Staranwalt aus Boston, immer auf der Überholspur. Und ich? Ich brauchte keine Designertaschen oder teuren Autos. Das Einzige, wofür ich das Geld unserer Eltern genommen hätte, wäre gewesen, um mir meinen Traum zu erfüllen – den Traum von einer eigenen Tierpension. Zahlende Gäste würden die Pension am Laufen halten und mir somit ermöglichen, mich um die wirklich harten Fälle zu kümmern: die Tiere, die niemand mehr haben wollte, oder jene, die von einem Trauma gezeichnet und schwer vermittelbar waren. Ich würde sie wieder aufpäppeln und sie dann in ein schönes Zuhause vermitteln. Aber meine Eltern hatten mir das Geld verweigert.

Wenn du diese aberwitzige Idee mit fünfundzwanzig immer noch hast, dann gehört das Geld dir.

An diesem Punkt der Unterhaltung hatte ich meiner Mutter ins Gesicht gelacht und war gegangen. Ihr Geld brauchte ich nicht. Ich würde es mir und ihnen beweisen und Grandma Mari stolz machen, indem ich es ohne ihre Hilfe schaffte, mir meinen Traum zu erfüllen. Ich scheute mich nicht vor harter Arbeit und war gut in dem, was ich tat. Wirklich gut. Mit Hundesitting hatte alles angefangen, und durch Zufall war ich in Dr. Chens Tierpraxis gestolpert. Der alte Mann mit dem rundlichen, netten Gesicht hatte sofort bemerkt, dass ich eine besondere Verbindung zu Tieren habe. Er hatte mein Talent erkannt, als Nina und ich einen ängstlichen Streuner in üblem Zustand zu ihm brachten. Drei Arzthelferinnen inklusive Dr. Chen hatten versucht, den Hund zu beruhigen, aber nur mir war es gelungen. Ich hatte auf ihn eingeredet, ihm von mir und meinem Studium erzählt und war langsam näher an ihn herangerobbt, bis er mir erlaubt hatte, ihn zu berühren und zu streicheln. Daraufhin hatte der Hund die Untersuchung erlaubt. Sogar eine Spritze hatte er über sich ergehen lassen, die großen, braunen Augen dabei starr auf mich gerichtet. Von da an war ich zu Dr. Chens Geheimwaffe geworden. Wann immer er einen schwierigen Fall hatte, bei dem er nicht weiterkam, rief er mich an. Und er empfahl mich weiter. Die Arbeit in den Praxen machte mir Spaß und war lukrativ. Ein paarmal hatte ich Mango bereits in die Praxen mitgenommen, und mein quirliger Vierbeiner hatte sein Training als Therapiehund in Ausbildung unter Beweis stellen können. Den meisten Tieren half es, wenn sich ein anderes, völlig entspanntes Tier im Raum befand, von dem keinerlei Stress ausging. Es entspannte sie und erleichterte mir meinem Job. Die Mischung aus Hundesitting und Praxisarbeit hatte dafür gesorgt, dass ich Geld verdiente – und das ganz vernünftig – und gleichzeitig wertvolle Erfahrungen für meine eigenen Pläne sammelte. Außerdem war ich den ganzen Tag mit Tieren zusammen, von Tieren umgeben … was konnte man mehr wollen? Ich jedenfalls konnte mir nichts Schöneres vorstellen. Tiere liebten mich und ich sie.

Genau diese Liebe war es, die auch Mango und mich zusammengebracht hatte. Grausame Menschen hatten den Welpen an einer Raststätte an einen Baum gekettet und ihn alleingelassen. Winselnd und verdreckt hatte ich ihn dann im strömenden Regen gefunden und das kleine, zitternde Bündel an mich genommen. Eigentlich hätte ich ihn ins Tierheim bringen müssen, aber Mangos große, ungewöhnlich blaue Augen hatten mich davon abgehalten. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Natürlich hatten Mango und ich uns erst an die neue Situation gewöhnen müssen, immerhin war ich Studentin gewesen und hatte zwei Nebenjobs gehabt, aber Mango war einfach großartig. Er hatte sich umstandslos an meinen Rhythmus angepasst und mich zu einem meiner zwei Jobs begleiten dürfen. Sogar in die Vorlesung hatte er zweimal die Woche mitkommen dürfen, da meine Dozentin ein absoluter Schatz gewesen war. Nina und ich hatten unsere Studenten-Lehrer-Beziehung nach meinem Studium in eine echte Freundschaft verwandelt. Nur knapp elf Jahre älter als ich, war sie in den letzten Jahren zu einer meiner engsten Freudinnen geworden.

Jetzt stand ich kurz vor meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag – und wollte das Geld meiner Eltern immer noch nicht haben. Vor ein paar Monaten hatte ich mein Studium beendet und war aus dem Studentenwohnheim ausgezogen. Dank Grandma Maris Obolus und meines Ersparten hatte ich mir nicht nur das Studium und Sherman, sondern auch ein altes, renovierungsbedürftiges Haus in einem der ruhigeren Stadtteile von Providence leisten können. Mittlerweile war das Geld so gut wie aufgebraucht, und ich hatte einiges an Überstunden machen müssen, aber wie immer, wenn ich an den Moment der Schlüsselübergabe dachte, empfand ich Stolz. Und pures Glück. Das Haus mochte von außen nicht viel hermachen, aber es war perfekt. Nina und ein paar meiner Exkommilitonen hatten mir in den ersten Wochen sehr geholfen. Sie hatten geschleppt, repariert und geschrubbt. Das Haus hatte insgesamt sechs Zimmer und wurde von einem riesigen Wohnzimmer mit Kamin dominiert. Die Küche war klein, aber das störte mich nicht. Der eigentliche Grund für meinen Spontankauf war nämlich der ans Haus angrenzende Garten gewesen.

Genug Platz für einen Haufen Tiere.

So hatte ich nicht nur zwei der Zimmer im Erdgeschoss in eine improvisierte Praxis verwandeln können, sondern den Garten auch noch in eine Art riesengroßen Luxuszwinger mit Auslauf umgebaut. Peter, der mich zwar nicht verstand, aber immer unterstützt hatte, hatte mir fünf nagelneue Holzhundehütten spendiert, welche brav aufgereiht an der linken Seite des hohen Zauns standen.

Das Haus sah von außen noch immer schmucklos und etwas heruntergekommen aus, aber mit ein wenig Zeit und Liebe würde ich es in eine wunderschöne Oase für alle Arten von Tieren verwandeln. Pension und Praxis in einem. Das war mein Traum. Und solange ich mir diesen Traum nicht in Vollzeit erfüllen konnte, jobbte ich weiterhin als Hundesitterin und half den hiesigen Tierärzten mit ihren schwierigeren Fällen.

Die Fahrt vom Hundepark nach Hause dauerte nur wenige Minuten. Ich ließ Mango in den Garten und schloss das Gitter hinter ihm ab.

»Mommy fährt kurz zu Onkel Peters Kanzlei, Baby. Ich bin gleich wieder da!«

Bellend wandte er sich ab, um sich auf dem noch feuchten grünen Rasen zu wälzen. Ich war entlassen.

Kopfschüttelnd ließ ich mich wieder hinter das Steuer meines Bullis fallen und griff nach meinem Handy. Peters letzte Nachricht an mich war über eine Woche alt.

Eine tolle Schwester bist du.

Ich hatte ihm darauf nicht einmal geantwortet. Aber bei mir war so viel los gewesen, mit dem Haus, den Tieren und meinen Jobs, die letzte Woche war wie ein Güterzug an mir vorbeigerauscht. Außerdem rückte Peters Hochzeit immer näher, und das war etwas, womit ich definitiv nichts zu tun haben wollte.

Seit dieses verfluchte Hochzeitsdatum feststand, hatten Peter und ich uns immer mehr voneinander entfernt. Durch sein Studium und seinen Job in Boston hatte es seit je Phasen gegeben, in denen wir uns weniger geschrieben oder miteinander telefoniert hatten. Seit Fiona jedoch … diese Frau stand wie eine unüberwindbare Mauer zwischen uns. Aber hatte ich mir auch nur einmal darüber Gedanken gemacht, ob Peter sie wirklich liebte? Ob er glücklich war? Nicht wirklich. Ich war zu sehr damit beschäftigt gewesen, Fiona zu hassen und mir fiese Namen für sie auszudenken. Wenn mein Bruder abgehauen war, um dieser Hochzeit und seiner Verantwortung zu entfliehen, dann wollte ich das unbedingt wissen. Ich musste es wissen! Und ich wollte für ihn da sein und ihm helfen. So wie er stets für mich da gewesen war. Denn eines stand fest: Wenn er zurückkehrte, würde ein Donnerwetter losbrechen, unsere Eltern und Fiona würden ihm die Hölle auf Erden bereiten. Fiona war ja schon ausgerastet, als Peter meinetwegen eines ihrer superwichtigen, superelitären Country Club Dinner letztes Jahr verpasst hatte, weil er mir bei der Hausrenovierung geholfen und die Zeit vergessen hatte. Wobei Peters Hilfe darin bestanden hatte, Bier zu trinken und die Handwerker zu bezahlen. Es war einer der seltenen Abende gewesen, an dem wir wie früher zusammengesessen und geredet hatten. Ich wollte lieber gar nicht erst darüber nachdenken, was los wäre, wenn Peter diese Hochzeit in irgendeiner Art und Weise gefährdete. Fiona würde vor nichts zurückschrecken, da war ich mir sicher. Ich versuchte ihn anzurufen, wurde jedoch direkt zur Mailbox weitergeleitet. Also warf ich das Handy auf den Beifahrersitz und startete den Motor.

Peters Kanzlei lag am obersten Ende der berühmten Benefizstraße von Providence, etwa dreißig Minuten von mir entfernt. Die zurückhaltenden und eleganten Häuser aus der Bundeszeit, die wunderschön restauriert worden waren, passten perfekt zu meinem Bruder. Und offensichtlich auch zu Matt. Ich konnte mir schon denken, warum Matt mich nicht dahaben wollte. Das letzte Mal, als ich in die Kanzlei gekommen war, kurz nachdem die beiden eröffnet hatten, war ich mit einer von Matts Klientinnen aneinandergeraten, weil sie mich für ein leichtes Mädchen gehalten hatte.

Verdammte Snobs. Ein paar Tattoos, roter Lippenstift und ein Minirock – und schon wurde man direkt als Bordsteinschwalbe deklariert. Peters Klienten waren offensichtlich genauso schlimm wie unsere eigenen Eltern. Die Beleidigung an sich hatte mir nichts ausgemacht. Es kümmerte mich nicht, was andere Menschen von mir dachten, wenn ich es jedoch mitbekam, dass sie über mich sprachen, tja … dann konnte ich auch meinen Senf dazugeben.

Mit einem schnellen Blick in den Rückspiegel checkte ich mein Make-up. Mein Lippenstift und der Lidstrich von heute Morgen waren noch immer vorhanden, und meine dunklen, gewellten Haare sahen nicht allzu zerzaust aus. Ironischerweise trug ich genau jenen Jeansminirock, der mich vor knapp einem Jahr überhaupt erst in Schwierigkeiten gebracht hatte. Dann war er halt kurz, na und? Wer sich durch meine Erscheinung gestört fühlte, konnte gern wegschauen. Zusammen mit dem schwarz-weiß gestreiften Shirt, das mit seinen Dreiviertelärmeln die meisten meiner Tattoos verdeckte, sah ich für meine Verhältnisse beinahe brav aus. Meine Leidenschaft für diese Art Körperkunst hatte vor mehr als acht Jahren begonnen. Mein damaliger Freund hatte sich ein Tattoo stechen lassen, und ich hatte ihn, cool, wie ich damals war, begleitet. Der Tätowierer hatte einen Blick auf mich geworfen, mich herausfordernd gemustert und mich gefragt, ob ich nur zuschauen wolle. An diesem Abend war ich mit einem kleinen Herzen an meinem linken Handgelenk nach Hause gekommen. Meine Eltern waren ausgerastet, ich hingegen hatte es geliebt. Das Herz an sich, auch wenn Donny und ich uns wenig später getrennt hatten, aber auch den Akt des Tätowierens. Die Nadeln, das Geräusch und den Schmerz. Es mochte verrückt klingen – für jeden ohne Tattoo tat es das mit Sicherheit –, aber die Tatsache, dass diese Art Körperkunst und diese Ausdrucksweise etwas waren, was ich mir selbst aussuchte, bedeutete mir viel. Jedes einzelne meiner Tattoos würde ich für den Rest meines Lebens unter der Haut tragen. Ich hatte diese Entscheidung getroffen. Ich und niemand sonst.

Ich stellte meinen Bulli in der Einfahrt der hübschen Stadtvilla ab und stieg aus dem Auto.

Archer-Bishop & Brady – Rechtsberatung stand in Goldschrift auf dem schlichten, weißen Schild. Natürlich passte das Schild perfekt in diese renommierte Gegend von Providence. Die Stadt steckte voller Geschichte und Sehenswürdigkeiten, aber sie war auch exzentrisch, lebendig und voller Charakter. So fühlten sich nicht nur Anwälte wie Peter oder Matt hier wohl, sondern auch ein wenig exotischere Individuen wie ich. Und genau dafür liebte ich Providence. So historisch und snobistisch die Stadt manchmal wirken mochte, sie war einzigartig. Die Gastroszene war beachtlich, es gab unendlich viele Antiquitätenläden, phantastische Museen, und man konnte sogar mit einer venezianischen Gondel fahren, wenn man wollte.

Ohne anzuklopfen, öffnete ich die Tür und betrat die Kanzlei meines Bruders. Sandra, Peters und Matts Sekretärin, saß an einem massiven Holzschreibtisch im Kolonialstil und sah verwundert zu mir auf.

»Chessie?«

Mit ihren Mitte fünfzig war auch Sandra mir gegenüber zunächst skeptisch gewesen. Im Lauf der Zeit hatte ich es aber geschafft, sie auf meine Seite zu ziehen. Es hatte nicht lang gedauert, und Sandra hatte Peters Spitznamen für mich übernommen.

»Hey, Sandra«, begrüßte ich sie. »Ich wollte zu Matt.«

Sie musterte mein heutiges Outfit prüfend, ehe sie ihre schmale Brille abnahm. Eine Brille, die mich stets an Rita Kimmkorn aus Harry Potter erinnerte. Leider hatte Peter den Vergleich damals nicht so witzig gefunden wie ich.

»Er ist nicht da«, versuchte sie mich wenig erfolgreich zu überzeugen.

»Ich weiß, dass er da ist.« Kurzerhand schob ich mich an ihr vorbei. »Ich lasse mich selbst rein, danke!«

»Aber …«

Bevor sie weiter protestieren konnte, griff ich nach der Türklinke und öffnete die moderne Milchglastür zu Matts Büro.

Schwungvoll schloss ich die Tür hinter mir und drehte mich um. Und da saß er. Matthew Brady, Jahrgangsbester in Harvard, Staranwalt und der beste Freund meines neuerdings verschollenen Bruders.

»Chess«, begrüßte er mich und erhob sich aus seinem schweren Lederstuhl.

Er sieht noch genauso aus wie vor einem Jahr.

Natürlich sah er noch so aus wie vor einem Jahr. Was hatte ich erwartet? Ganze zwölf Monate war es her, dass ich Matt zuletzt gesehen hatte. Obwohl wir in derselben Stadt wohnten und er mit Peter zusammenarbeitete, hatte ich es geschafft, ihn zu meiden. Nicht dass er Anstalten gemacht hätte, mich zu sehen, mir zu schreiben oder mich anzurufen.

»Hallo, Matt.«

»Was willst du hier?«

Ich musterte den Mann vor mir und trat näher. Matthew Brady gehörte zu der Sorte Mann, die man hasste, weil man sie liebte. Also, nicht liebte-liebte natürlich, sondern weil er zu jenen Männern gehörte, die lächerlich attraktiv waren. Mit seinen sandblonden Haaren, den grünen Augen und dem Grübchen, das sich in seiner Wange bildete, wenn er lächelte, zog Matt so manche Blicke auf sich. Addierte man eine große, athletische Statur und einen Designeranzug dazu, war das Chaos vorprogrammiert. Als Teenager war ich hoffnungslos in Matt verknallt gewesen und war ihm und Peter ständig auf die Nerven gegangen. Matt hatte meinen Bruder ein Jahr vor ihrem gemeinsamen Harvard-Studium kennengelernt. Mit meinen süßen vierzehn war ich völlig hin und weg von dem fünf Jahre älteren Matt gewesen. Ihren kleinen Schatten hatten die beiden mich damals immer genannt. Zum Glück hatte ich dieses Verhalten schnell abgelegt. Jetzt war ich jedoch kein Teenager mehr, und ganz bestimmt schwärmte ich auch nicht mehr für Matthew Brady. Hier ging es um Peter und sonst nichts. Matt beobachtete mich noch immer.

Ich kam direkt zur Sache. »Du weißt, wo er ist, oder?«

»Es ist auch schön, dich zu sehen.«

Das hatte sich am Telefon anders angehört.

»Du weißt es, oder?«

Matt runzelte die Stirn. »Ich schwöre dir, ich weiß es nicht.«

»Du bist Anwalt«, gab ich unbeeindruckt zurück. »Jedes zweite Wort aus deinem Mund ist Bullshit.«

»Warum so verbittert, Francesca?«

»Warum so arrogant, Matthew?«

Und genau das war einer der Gründe, warum ich so selten in die Kanzlei kam. Die Chemie zwischen Matt und mir war einfach … falsch. Explosiv. Früher waren wir Freunde gewesen, aber das war viele Jahre her. Er atmete angestrengt aus und ließ sich zurück in den Stuhl fallen.

»Ich weiß wirklich nicht, wo er ist.«

»Du willst mir also weismachen, dass er einfach so verschwunden ist?«

Matt zuckte mit den breiten, in italienische Baumwolle gekleideten Schultern.

»Ich habe genauso wenig von ihm gehört wie du.«

Die Zahnräder in meinem Kopf begannen zu rattern. »An was für Fällen arbeitet ihr gerade? Ist es möglich, dass jemand ihn entführt hat?«

»Entführt?« Matt lachte auf. »Himmel, Chess, entgegen dem, was du offensichtlich von uns denkst, arbeiten wir nicht für die Mafia.«

»Aber für Großkonzerne.« Und das war für mich so ziemlich das Gleiche.

»Geht das jetzt schon wieder los?«, fragte er und verschränkte die Arme vor der Brust.

Oh, und ob das schon wieder losgehen könnte, aber ich hatte Wichtigeres zu tun, als Matt erneut die Hölle heißzumachen. Dennoch nahm ich es ihm und Peter noch immer übel, dass sie eine Firma vertreten hatten, die in aller Öffentlichkeit zu Tierversuchen stand.

»Ich bin hier, weil ich Peter finden will, nicht, um mich mit dir zu streiten!«

»Und wie funktioniert das so für dich?«

Tief durchatmen, Chess. Ein und aus.

»Du sagtest, sein Apartment sehe zerstört aus.«

»Nein.« Er runzelte die Stirn. »Ich sagte, es sieht aus, als ob er es schnell verlassen hätte. Das ist ein gravierender Unterschied.«

»Du schwörst, dass du nicht weißt, wo mein Bruder ist?«

Matts Stirnrunzeln löste sich in Luft auf, und er erwiderte ernst meinen Blick. »Ich habe keine Ahnung.«

»Ich werde Peter finden«, verkündete ich entschlossen.

»Lass es gut sein, Chess. Er wird schon wieder auftauchen. Und er wurde auch ganz sicher nicht von der Mafia oder einem unserer Klienten entführt.«

Das glaubte er.

»Es sieht ihm aber nicht ähnlich, zu verschwinden, Matt. Er hätte doch dir oder wenigstens seiner Verlobten Bescheid geben müssen. Und dann sein Apartment … findest du das Ganze nicht auch merkwürdig?«

»Nein.«

»Vielleicht versucht er, vor Fiona und dieser abstrusen Hochzeit zu fliehen?«, spekulierte ich.

Es war kein Geheimnis, dass Fiona und ich uns nicht sonderlich grün waren.

Ich ließ mich auf der Schreibtischkante nieder. Dabei rutschte mein ohnehin schon kurzer Rock ein Stück nach oben.

Matts Blick wanderte kurz zu meinen entblößten Beinen, und seine Mundwinkel zuckten.

»Abstrus?«

»Oh, entschuldige! Soll ich einfachere Wörter benutzen?«

Er erhob sich erneut und funkelte mich wütend an. Offenbar hatte ich seine Geduld jetzt ausgereizt. Beinahe zehn Minuten hatte es gedauert.

»Ich habe auch ein Wort für dich, Chess.« Er wies in Richtung Tür. »Raus.«

»Komm schon, Matt. Sag mir, was du weißt.«

Matt seufzte.

Ich atmete tief durch.

»Ich habe keine Ahnung, wo dein Bruder ist.«

Meinen ersten Impuls unterdrückend, schluckte ich die Beleidigung, die mir auf der Zunge lag, hinunter.

»Ich finde Peter auch ohne dich.« Möglichst elegant hüpfte ich von Matts Schreibtisch und wandte mich ab. »Du wirst schon sehen …«

»Chess«, erwiderte Matt und griff nach meinem Handgelenk. Ein Prickeln ging durch meinen ganzen Arm, und instinktiv spannte ich mich an. »Peter steckt mit Sicherheit nicht in Schwierigkeiten. Alles, was dein Bruder in den letzten Monaten getan hat, ist arbeiten. Vielleicht braucht er einfach mal eine Pause.« Ich sah hinab auf Matts Hand, und sofort ließ er mich los. »Chess, du kennst Peter. Gib ihm ein wenig Zeit, und er wird schon wieder auftauchen. Ich meine es ernst.«

Das war kaum zu überhören und ließ mich aufhorchen. Wollte Matt etwa nicht, dass ich mich auf die Suche nach Peter machte? Und wieso zum Teufel war er tiefenentspannt, wenn sogar meine Mutter mit den Hufen scharrte?

Aber du weißt nicht, wo er ist, hm, Kumpel?

Er meinte es ernst? »Ich meine es auch ernst«, murmelte ich und verließ, ohne mich noch einmal umzusehen, Matts Büro. Sandra warf mir einen neugierigen Blick zu. Anscheinend hatte sie mir verziehen, dass ich sie zuvor übergangen hatte.

»Bye, Sandra.«

»Gehst du schon, Liebes?«

Ihre Stirn legte sich in Falten. Sie nahm die rot umrandete Brille von der Nase und faltete die Hände vor sich auf dem Schreibtisch.

»Weiß er wirklich nicht, wo Peter ist?«

Sie schüttelte den Kopf. »Wir haben seit über einer Woche nichts von ihm gehört.«

Und wieder fragte ich mich: Wieso zur Hölle hatte ich das vorher nicht mitbekommen?

»Okay.« Ich nickte ihr zu. »Danke, Sandra. Ich muss jetzt los.«

»Ein Patient?«

»Kann man so sagen.« Ich grinste die Sekretärin meines Bruders fröhlich an.

»Ich hole heute ein Alpaka ab.« Na ja, eigentlich waren es zwei Alpakas, aber mein Alpakamädchen hatte einen Infekt am linken Fuß und war bereits seit drei Tagen in Behandlung bei Dr. Chen. Es würde noch gut zwei Wochen dauern, bis ich es holen konnte. So lang blieb es im Garten von Dr. Chens Kollegen, der sich auf Farmtiere spezialisiert hatte, und wurde beobachtet. Sobald es ihm besser ging, würde ich mir Sherman schnappen und es abholen.

»Ein Alpaka?«

Sandras Augen weiteten sich überrascht. »Sind das diese großen, zotteligen Tiere aus Peru?«

»Nein. Das sind Lamas. Alpakas sind wesentlich kleiner und zierlicher.« Ich zwinkerte ihr zu. »Aber das mit Peru stimmt.« Beide Rassen hatten ihren Ursprung in den südamerikanischen Anden.

»Das ist, äh, schön, Liebes.«

Mein Grinsen wurde breiter. Ich hatte es aufgegeben zu erwarten, dass die Leute mich verstanden, aber im Gegensatz zu meiner Mutter versuchte Sandra wenigstens, ein paar nette Worte zu finden. Ich verabschiedete mich von ihr und stieg in meinen Bulli. Sherman hatte definitiv schon bessere Tage gesehen, aber er gehörte mir. Und er bot mir genug Platz für einen halben Zoo. Kurz nachdem wir ihn vor dem sicheren Verschrotten gerettet hatten, hatten Nina und ein paar ihrer Freunde mir geholfen, den Bulli wieder auf Vordermann zu bringen. Zwei der AT – der Anonymen Tierretter, wie ich sie immer nannte – hatten die Rückbänke entfernt, mir neue Bremsen spendiert und so lang an Sherman herumgeschraubt, bis dieser wieder fahrtüchtig war. Seitdem war ich nicht nur mobil, mein Bulli bot auch eine Menge Platz für Tiere. Der alte VW war ein Typ-20-Modell. Zunächst hatte mich die schiere Größe des Buses eingeschüchtert, aber mittlerweile hatten wir uns aneinander gewöhnt, und ich fuhr Sherman wie ein Profi. Die Tatsache, dass ich mit meinen eins siebzig im Innenraum beinahe aufrecht stehen konnte, sah ich derweil als praktisch an. Dort hätte ein ganzer Zoo Platz gefunden. Ich startete den Motor. Erst würde ich mein Alpaka abholen, und dann würde ich mich auf die Suche nach meinem Bruder machen. Alles, was ich brauchte, war ein Plan.

Kapitel 2

Chess

Die nächste halbe Stunde fuhr ich planlos durch die Nachbarschaft der Kanzlei, bis ich es aufgab und rechts heranfuhr. Auch wenn ich es niemals laut aussprechen würde, Matthew Brady wiederzusehen, hatte mich nervös gemacht. Der ganze Mann machte mich nervös, aber ich würde mich eher zu Mango in einen stinkenden Tümpel legen, als das jemals zuzugeben. Matts Ego war bereits groß genug. Da musste ich nicht noch Öl ins Feuer gießen. Soweit ich mitbekommen hatte, waren weder mein Bruder noch Matt in den letzten Jahren Kinder von Traurigkeit gewesen. Bis Peter die Eiskönigin kennengelernt hatte.

Während ich eine Joggerin beobachtete, die die Straße vor mir überquerte, begann mein Handy, im Stakkato zu vibrieren.

Nina

Holst du ihn jetzt?

Ich bin so aufgeregt!

Ich

Ich rufe dich an, sobald wir zu Hause sind.

Wenn es jemanden auf der Welt gab, der noch verrückter nach Tieren war als ich, dann war es Nina Miller. Meine Exdozentin und Freundin hatte selbst zwei Hunde. Odin und Baxter waren richtige Teufelsbraten. Jedes Mal, wenn sie und Mango aufeinandertrafen, herrschte absolutes Chaos. Und ich liebte es!

Im Gegensatz zu mir wohnte Nina jedoch in einer Dreizimmerwohnung und war daher etwas eingeschränkter, was die Aufnahme von Tieren anging. Sie hatte es einmal mit zwei Katzenbabys versucht, aber sowohl Odin als auch Baxter hatten sich damit schwergetan, den Neuzugang zu akzeptieren.

Jetzt wohnten die beiden Miezen bei mir. So wild Mango auch manchmal sein konnte, er war ein guter Hund. Unkompliziert. Er hatte sich an meinen doch etwas unorthodoxen Lebensstil komplett angepasst. Ich zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass er die beiden Alpakas ebenso herzlich in unsere tierische Familie aufnehmen würde. Insbesondere meinen Alpakajungen, der noch nie in seinem bisher eher bedauernswerten Leben von seinem Alpakamädchen getrennt gewesen war. Leider konnte Dr. Chen nicht ausschließen, dass der Infekt ansteckend war, daher hielt er es für das Beste, die beiden Alpakas für eine Weile voneinander fernzuhalten.

Ich sah auf die schmale goldene Uhr an meinem Handgelenk. Das edle Stück bildete einen starken Kontrast zu meinem komplett tätowierten Unterarm, aber sie hatte Grandma Mari gehört. Marianne Archer war eine bemerkenswert starke Frau gewesen, und ich hatte sie vergöttert. Die schmalen, mit Diamanten besetzten Zeiger verrieten mir, dass es kurz vor eins war. Eine Stunde noch. Genug Zeit, um noch etwas Heu und Gemüse einzukaufen.

Nina und die ATs hatten mich vorab instruiert, worauf ich alles achten musste. Alpakas waren Vegetarier, Veganer sogar, und aßen lediglich Heu, Gras und einige wenige Gemüsesorten. Obst war strengstens verboten, und die Tiere brauchten viel Auslauf und frische Luft. Außerdem waren sie Herdentiere und gingen in Isolation qualvoll zugrunde. Gut, dass sie bei uns zu Hause alles wären, bloß nicht allein. Dafür würden Mango, die Katzen und die vier Hühner – ich hatte sie nach einer nächtlichen Rettungsaktion einfach bei mir behalten – in meinem Garten schon sorgen. Rasenmähen konnte ich mir ab jetzt wahrscheinlich sparen. Außerdem hatte ich gelesen, dass die kleinen Schwielensohler, die vom Kamel abstammten, sanftmütige und empathische Tiere waren. Somit passten sie perfekt in meinen Plan, andere Tiere richtig therapieren zu können.

Was sollte mit zwei Alpakas im Garten schon schiefgehen?

Zwei Stunden später hatte ich meine Antwort: Einiges. Alles.

Seitdem ich meinen Alpakajungen unter größter Anstrengung erst in den Bulli (der sogenannte Zirkusbesitzer hatte mich mit den Worten »Der ist jetzt ihr Problem« lediglich abfällig gemustert, sich umgedreht und war gegangen) und dann in den Garten verfrachtet hatte, lagen meine Nerven blank. Eine winzige Kleinigkeit hatten Nina und ihre Freunde nämlich vergessen, mir zu sagen … Alpakas stießen ohrenbetäubende, schrille Schreie aus, wenn sie Angst hatten oder unter Stress standen. Das Tier in meinem Garten stand definitiv unter Stress. Mango, die Katzen und die Hühner hatten sich bereits in Sicherheit gebracht, während ich seit über einer Stunde versuchte, Ross zu beruhigen. Ross und Rachel. So hatte ich die beiden getauft. Nach meiner Lieblingssitcom. Allerdings hatte meine Freude über die originelle Namensfindung nicht lange angehalten. Stocksteif stand mein Alpakajunge etwas verloren in meinem Garten und stieß einen schrillen Schrei nach dem anderen aus. Wenn er so weitermachte, dann würde es nicht lang dauern, bis die Nachbarn sich beschwerten.

»Schhh«, versuchte ich es erneut. »Du bist jetzt in Sicherheit. Und Teil einer Familie.« Langsam trat ich näher, und die Augen des Alpakas weiteten sich ängstlich.

»Ich tue dir nichts. Niemals.«

Das Alpaka öffnete den Mund für seinen nächsten Schrei, und ich nutzte den Moment aus und preschte vor. Blitzschnell, aber sanft legte ich ihm beide Hände auf den flauschigen Hals und drückte einen gut versteckten Akkupressurpunkt unter seinem Ohr.

»Schhhh, Ross«, flüsterte ich ihm beruhigend zu. »Du bist jetzt in Sicherheit.«

Ganz langsam drehte das Tier seinen Kopf und starrte mich aus großen, braunen Augen an.

»Ich kann dich auf keinen Fall allein lassen«, murmelte ich und strich Ross immer und immer wieder über das weiche, weiße Fell. Das Tier wimmerte leise. Himmel, was für ein erbärmliches Leben die beiden Alpakas bis jetzt gehabt hatten! Eingepfercht in einen winzigen Zwinger, jeden Tag waren Dutzende von Kindern auf ihnen geritten, und unterernährt waren sie auch noch. »Ich lasse dich nicht allein«, wiederholte ich leise. Allerdings wollte ich so schnell wie möglich zu meinen Eltern, um mehr über die Peter-Situation zu erfahren. Mein Handy, welches an einer neonfarbenen Kordel in einer Hülle um meinen Hals hing, klingelte. Ross’ Augen weiteten sich vor Schreck, und schreiend zuckte er zurück. Wunderbar. Jeglicher Fortschritt war dahin. In Sekundenschnelle zerstört durch das Klingeln meines Handys. Seufzend nahm ich das Gespräch an.

»Hi, Nina.«

»Und, wie läuft es?«, fragte sie mich aufgeregt.

»Furchtbar.«

»Wieso das denn?« Sie klang ehrlich überrascht.

»Na ja, also das Alpaka, es ist … Der Arme ist fix und fertig.«

Genauso wie ich.

»Rachel geht es bei Dr. Chen wunderbar«, sagte ich, »aber Ross …« Ich zuckte mit den Schultern. Auch wenn Nina mich nicht sehen konnte.

»Du hast die beiden Ross und Rachel genannt?« Nina gluckste leise. »Ganz großes Kino, Chess.«

»Ich weiß.« Ein schwaches Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Dann aber erinnerte ich mich an meine aktuelle Situation. »Nina, Peter wird vermisst.« Ich gab kurz den Stand der Dinge wieder, und meine Freundin war ebenso fassungslos wie ich.

»Und was willst du jetzt tun?«

»Keine Ahnung«, gestand ich. »Ich brauche mehr Informationen, aber dafür muss ich zu meinen Eltern, und das wiederum heißt, dass ich jemanden brauche, der die Tiere versorgt.«

Sie zögerte keine Sekunde, und genau dafür liebte ich sie. »Du kannst dich auf mich verlassen.«

»Danke, Nina.«

»Aber was ist mit Ross?«, fragte sie. »Ich gebe heute noch zwei Kurse, Chess, außerdem muss ich noch einen riesigen Stapel Arbeiten über Das Lehren und Lernen in soziotechnischen Systemen korrigieren.« Sie seufzte leise. »So gern ich mich um ihn kümmern würde, ich kann nicht.«

Als hätte es meine Freundin gehört, hob das Alpaka den Kopf und starrte mich an. Innerlich fluchend, schloss ich für einen kurzen Moment die Augen.

»Ich nehme ihn und Mango mit.«

»Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist, Chess?«

»Nein. Aber ich habe keine andere Wahl. Wenn ich nicht will, das Mrs. Gansky ihre Schrotflinte rausholt, dann muss ich ihn mitnehmen.« Meine Nachbarin, uralt und garstig, aber nicht auf den Kopf gefallen, hatte bereits des Öfteren damit gedroht, die Schrotflinte ihres verstorbenen Mannes aus dem Keller zu holen. Ich ahnte, dass sie lediglich bluffte, und wahrscheinlich genoss sie unsere kleinen Auseinandersetzungen sogar, immerhin war sie den ganzen Tag allein in ihrem großen Haus, allerdings konnte ich mit Ross kein Risiko eingehen. Selbst wenn Mrs. Ganskys Schrotflinte im Keller blieb, würde ein schreiendes Alpaka im Garten Aufmerksamkeit erregen. Oder womöglich sogar zu einem Polizeieinsatz führen.

»Dann nimmst du ihn wirklich mit?«, fragte Nina. »Ich meine, der Bulli ist groß genug, aber deine Eltern …«

»Die werden damit leben müssen. Ich habe ihn gerade eben erst abgeholt, Nina, ich kann ihn nicht hierlassen.« Allein. Als wüsste es genau, dass wir über es redeten, legte das Alpaka den Kopf schräg und stieß einen weiteren ohrenbetäubenden Schrei aus.

Ich liebe Tiere. Ich liebe Tiere. Ich liebe Tiere.

Dieses Mantra wiederholte ich seit geschlagenen vierzig Minuten, in denen ich versucht hatte, Ross zurück in meinen Bulli zu locken. Er hatte geschrien, ich hatte geschrien, und gemeinsam hatten wir so manch einen verwirrten Blick auf uns gezogen, aber jetzt, endlich, hatte ich es geschafft. Endlich war es mir gelungen, Hund und Alpaka zu verladen, und schweißgebadet ließ ich mich auf den Fahrersitz fallen. Ich steckte den Schlüssel ins Zündschloss und drehte mich noch einmal nach hinten um.

»Seid ihr bereit, Jungs?«

Mango stieß ein aufgeregtes Bellen aus. Und Ross? Er hatte vor Kurzem angefangen, vor sich hinzusummen und leicht mit dem Kopf zu wackeln. Kurz hatte ich mir Sorgen gemacht, aber dann hatte ich seine Symptome gegoogelt und herausgefunden, dass Humming, das sogenannte Summen, jenes Geräusch war, welches Alpakas am häufigsten erzeugten.

Alpakas summten, wenn sie neugierig, zufrieden, besorgt, gelangweilt, ängstlich, verzweifelt oder vorsichtig waren. So stand es zumindest im Online-Alpaka-Forum.

Also ignorierte ich das Gesumme und freute mich einfach darüber, dass das Geschrei endlich ein Ende gefunden hatte.

Ich sah in den Rückspiegel und legte den Rückwärtsgang ein. Es hatte keinen Sinn, mich weiter davor zu drücken. Bevor ich mich auf die Suche nach Peter begab, musste ich mit meinen Eltern und Cruella de Vil aka Fiona sprechen. Und das wiederum hieß, dass ich nach Archerville musste. So hatten Peter und ich das Anwesen unserer Familie getauft, als wir noch klein gewesen waren. Archerville. Irgendwie war es im Laufe der Jahre dabei geblieben.

Der Motor heulte auf, und ich nahm den Fuß von der Bremse, als … jemand lautstark gegen meine Heckscheibe klopfte.

»Anhalten!«

Erschrocken blickte ich in den Rückspiegel.

Matt?

Ich drehte mich um. Es war tatsächlich Matthew Brady, der hinter meinem Bulli in der Einfahrt stand.

»Matt?«

»Verdammt, Chess, mach dieses Ungetüm aus!«

Mango begann lautstark zu bellen, und Ross drückte sich aus lauter Angst dichter und dichter an die Fensterscheibe. Ich hatte es gerade erst geschafft, die beiden zu beruhigen. Was wollte Matt hier?

Seufzend stellte ich den Motor ab und stieg aus.

»Was zum Teufel willst du, Matthew?«

Mit wild blitzenden Augen und zerknittertem Designeranzug stand er in meiner Auffahrt und funkelte mich an.

»Ich komme mit.«

»Du hast doch gar keine Ahnung, wohin ich will!«

»Archerville«, antwortete er. Unter seinem wissenden Blick zuckte ich leicht zusammen.

Er wusste ganz genau, wie angestrengt das Verhältnis zwischen meinen Eltern und mir war. Immerhin war ich nicht Peter. Niemand war wie Peter.

»Woher der Sinneswandel?«

»Ich habe über deine Worte nachgedacht. Ich hatte eine harte Woche und bin kaum zum Nachdenken gekommen, Chess, aber ja, ich finde es auch merkwürdig, dass er einfach so verschwunden ist.«

Er nickte in Richtung des Bullis. »Jetzt habe ich nachgedacht, und ich will Peter ebenso sehr finden wie du. Immerhin bin ich sein Trauzeuge, also komme ich mit.«

Wenig beeindruckt wandte ich mich ab. »Einen Scheiß wirst du.«

Ich wollte einsteigen, aber dann überraschte er mich, indem er sagte: »Ich weiß eventuell, wo er hinwollte.«

Ich knallte die gerade erst geöffnete Fahrertür wieder zu. »Willst du mich eigentlich verarschen, Brady? Du hast gesagt, dass du nicht weißt, wo er ist!«

»Weiß ich auch nicht. Ich sagte eventuell, aber«, beeilte er sich zu sagen, als ich drohend einen Schritt auf ihn zu trat, »ich habe ein Telefonat mitbekommen, vor einigen Tagen. Ich weiß nicht, mit wem er telefoniert hat, aber er hat immer wieder etwas von Maine erzählt und von irgendeiner Kleinstadt weit oben an der Grenze zu Kanada. Ich dachte, es gehe um einen Fall, und habe mir nichts weiter dabei gedacht.«

»Und das soll ich dir jetzt einfach so glauben?« Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Warum sollte ich?«

»Ich hätte es dir vorhin schon sagen sollen …«

»Hättest du.«

Matt ignorierte meinen bissigen Kommentar wie der Profi, der er war, und sprach unbeirrt weiter.

»Es hat mich überrascht, dich zu sehen, Chess. Wir haben uns fast ein Jahr lang nicht gesehen, und plötzlich rufst du an und tauchst in der Kanzlei auf … Ich habe Peters Abwesenheit bis jetzt nicht wirklich ernst genommen. Das Telefonat ist mir erst danach eingefallen.«

Er bekreuzigte sich direkt über seinem Herzen. »Pfadfinderehrenwort.«

»Du warst nicht bei den Pfadfindern, Matt.«

»Aber ich habe ihr Motto sehr tief verinnerlicht.«

Ich sollte nicht fragen. Nein, ich wusste sogar, dass ich nicht fragen sollte. Dennoch tat ich es.

»Und das wäre?«

Matts grüne Augen blitzten amüsiert. »Allzeit bereit.«

Verdammt! Lachend wandte ich mich ab und ließ die Arme sinken. Ich hatte ihn vermisst. Auch wenn wir uns ständig stritten und er mir gehörig auf die Nerven ging, konnte ich mir mit niemandem solche Wortgefechte liefern wie mit Matthew Brady. Der Mann hatte einfach immer einen Spruch auf Lager und gab mir Kontra. Etwas, was die meisten Leute in meinem Umfeld sich nicht trauten. Auf neunzig Prozent der Weltbevölkerung wirkte mein Äußeres einschüchternd, nicht so für Matt.

»Ich bin nicht allein.«

Matts neugieriger Blick ging in Richtung Sherman. Fragend musterte er meinen Bulli und zog eine Augenbraue in die Höhe.

»Ich höre deinen Hund.«

»Den meine ich nicht.«

»Wen dann?«

»Ich meine Ross«, erklärte ich.

Matts Augen verengten sich zu Schlitzen. »Wer ist Ross?«

»Ein Alpaka.«

Matt blinzelte. Für einen Moment herrschte Stille. Ich wartete, und er blinzelte erneut.

»Ein Alpaka?«

Ich nickte.

»Diese großen, spuckenden Dinger aus Südamerika?«

»Das sind Lamas«, korrigierte ich ihn trocken. »Alpakas sind wesentlich kleiner.«

Ich war mir nicht sicher, was das Spucken anging. Aktuell würde ich Ross alles zutrauen.

»Was zur Hölle macht ein Alpaka in deinem Bulli?«

Er klang ehrlich schockiert.

»Ich habe ihn heute erst abgeholt. Er war ein Zirkustier. Von einem kleinen Wanderzirkus. Eine anonyme Quelle hat mich über die … Missstände vor Ort informiert.«

Matt musterte mich. »Nina hat dich angerufen, oder?«

Mist. Er kannte mich einfach zu gut. Auch wenn wir uns länger nicht gesehen hatten.

»Na schön, ja, Nina hat mir davon erzählt.«

»Also hast du ihn gekauft und gerettet?«

»Ja.« Mein Magen verknotete sich erneut, wenn ich daran dachte, was für ein erbärmliches und trauriges Leben die beiden Alpakas bis jetzt geführt hatten.

»Du hättest die Tiere vor Ort sehen sollen, Matt. Es war furchtbar. Keiner hat sich um sie gekümmert, und den ganzen Tag sind Kinder auf ihnen geritten! Dabei sind sie viel zu klein dafür und wiegen noch nicht mal sechzig Kilo!«

»Du hattest schon immer ein riesengroßes Herz, Chess.«

Das hatte ich, ja. Für Tiere. Nicht aber für viel zu attraktive Anwälte, die zufällig auch noch der beste Freund meines Bruders waren.

Gegen meinen Willen fasziniert, sah ich dabei zu, wie Matt nach seiner Krawatte griff, sie lockerte und sich vom Hals zog. Dann öffnete er die obersten Knöpfe seines weißen Hemds und sah mich an.

»Also, nimmst du mich nun mit?«

»Habe ich eine Wahl?«

»Man hat immer eine Wahl …«

»Verschon mich damit, Herr Anwalt.« Ich nickte in Richtung Beifahrertür. »Steig ein.«

Die Krawatte fest in der Hand, umrundete Matt meinen Bulli. Kaum hatte er die Tür geöffnet, wurde er von lautem Bellen und einem schrillen Alpakaschrei begrüßt.

»Was zum Teufel …?«

»Mango, Ross, lernt Matt kennen.« Ich ließ mich hinter dem Steuer nieder. »Matt, das sind Mango und Ross.«

Ich startete den Motor, und unter lautstarkem Röhren lenkte ich Sherman aus der Einfahrt.

Matt, der sich erst entspannte, nachdem die Tiere etwas zur Ruhe gekommen waren, drehte sich auf seinem Sitz zu mir um.

»Wie geht es mit dem Haus voran?«

»Langsam«, antwortete ich aufrichtig, »aber gut. Das Haus ist riesig, und es gibt viele Baustellen, aber ich beiße mich durch.«

»Das hast du immer schon.«

»Nina und die ATs helfen mir sehr.«

»Die ATs?«

»Die Anonymen Tierretter«, erklärte ich ihm. »Nina und ihre Truppe an Gutmenschen, die durch das ganze Land ziehen und Tiere retten. Ich schwöre dir, Matt, sie wittern es, wenn ein Tier irgendwo in Gefahr ist oder Hilfe braucht.«

»Und wieso gehörst du dann nicht zu ihnen?« Er schnaubte. »Solange ich mich erinnern kann, wolltest du die Welt zu einem besseren Ort für Tiere machen.«

»Das tue ich auch.« Ich zögerte kurz. »Auf meine Weise.« Und etwas langsamer, da mir die nötige Kohle fehlte. Insbesondere jetzt, da ich den Rest meiner Ersparnisse für zwei Alpakas ausgegeben hatte.

»Ich gebe ihnen ein schönes und sicheres Zuhause.«

Matt stieß ein ungläubiges Seufzen aus. »Gestern saß ich noch an meinem Schreibtisch und habe einen Betrugsfall bearbeitet und jetzt?«

»Jetzt was?«, forderte ich ihn heraus.

»Jetzt sitze ich in einem Hippiebus mit einer Irren, einem aufgedrehten Hund und einem verhaltensgestörten Alpaka.«

»Ross ist nicht verhaltensgestört.« Den Kommentar mit der Irren ließ ich ihm für den Moment durchgehen. Immerhin war unsere aktuelle Situation eigenartig.

Matt hob eine Augenbraue. »Vielleicht vermisst er ja Rachel?«

Meine Augen wurden groß, und triumphierend schlug ich mit der flachen Hand auf das Lenkrad. »Ich wusste es! Du bist ein Friends-Fan!«

Er rollte mit den Augen. »Wer nicht?«

»Rachel muss noch aufgepäppelt werden, dann kann ich sie holen, und wir feiern Wiedervereinigung.«

»Moment.« Er hob eine Hand. »Es gibt tatsächlich eine Rachel zu Ross?«

Ich nickte. »Alpakas sind Herdentiere. Außerdem sagte ich doch vorhin die Tiere. Plural.«

»Du hast zwei Alpakas gekauft?«

Wieso irritierte ihn das plötzlich so sehr? »Ja. Und die beiden waren bisher noch nie getrennt, also sei gefälligst etwas netter zu Ross. Er hatte einen harten Tag.«

»Er ist ein Alpaka, Francesca.«

»Das ist mir bewusst, Matthew.«

Hinter uns ertönte ein leises Schnauben, und mit einer Hand griff ich nach dem Rückspiegel, um Ross besser sehen zu können. Mein Alpakajunge hatte den Kopf gedreht und klebte nun mit der Zunge an der Scheibe meines alten Bullis. Sein warmer Atem ließ die Scheibe beschlagen, und ich wollte lieber nicht darüber nachdenken, wie das Ganze von draußen aussehen mochte.

»Er hatte es nicht leicht«, beeilte ich mich zu sagen, als Matt sich ebenfalls umdrehte.

Ein abfälliges Schnauben entfuhr ihm. »Nicht leicht, meine Güte.«

Mango wählte genau diesen Augenblick, um bellend Matts Kopfstütze zu attackieren.

»Was, zur Hölle …?« Matt lehnte sich vor und funkelte mich wütend an. »Was ist mit diesem Hund?«

»Er …«

»Lass mich raten«, unterbrach er mich. »Er hatte es auch nicht leicht?«

»Mach dich nur über diese armen Seelen lustig«, murrte ich und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie er versuchte, Mangos Liebesbekundungen aus dem Weg zu gehen.

»Er mag dich.«

»Er fletscht die Zähne, Chess.«

»Mango hat halt seine ganz eigene Art, Liebe zu zeigen.«

»Hmm.«

»Also«, begann ich, »kommen wir zum eigentlichen Thema zurück: Peter.«

»Dein dusseliger Bruder hat sich bestimmt nur eine Auszeit genommen.«

»Unangekündigt? Irgendwo in Neuengland und ohne jemandem Bescheid zu geben?«

Matt seufzte. »Keine Ahnung, warum ihr alle auf einmal so panisch reagiert.«

Ihr alle? Ich weigerte mich strikt, mich in einen Topf mit meiner tatsächlich verhaltensgestörten Mutter und meinem Schwägerinnenmonster in spe werfen zu lassen. Aber … hier ging es nicht um mein Ego, sondern um meinen großen Bruder. Einen Bruder, welcher seit nunmehr fünf Tagen vermisst wurde.

»Eine Auszeit? Peter? Ihr seid beste Freunde, Matt. Peter hat seit Beginn seines Jurastudiums keine Auszeit mehr genommen, und das ist weit über zehn Jahre her. Außerdem«, fügte ich hinzu und setzte den Blinker nach links, »heiratet er in vier Wochen.«

Meine Stimme war merklich kühler geworden.

»Du magst Fiona nicht, oder?«

Darüber musste ich nicht einmal nachdenken. Peters Verlobte war eine grauenvolle Person. Mit ihren wasserstoffblonden Haaren, den adretten Klamotten, der hellen, tattoofreien Haut und ihrer steifen Art war Fiona so ziemlich das genaue Gegenteil von mir. Und das Beste daran? Meine Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. In den letzten zwei Jahren hatten wir es nahezu meisterhaft geschafft, einander aus dem Weg zu gehen.

»Bellatrix Lestrange? Nein.«

Matt gluckste. Dann aber griff er panisch nach dem Armaturenbrett und fluchte.

»Himmel, Chess, pass doch auf!«

»Ich weiß, wie man diesen Bulli fährt.«

»Aber wissen die anderen Verkehrsteilnehmer auch, wie du fährst?«

Ross löste seine Zunge schmatzend von der Scheibe und stieß ein undefinierbares Geräusch aus.

Mango bellte und begann erneut damit, Matts Kopfstütze zu attackieren.

Kapitel 3

Matt

Ich versuchte, sie nicht anzustarren. Ich versuchte es wirklich, aber Himmel, so jemanden wie Chess sah man nicht alle Tage. Francesca Archer-Bishop war wunderschön. Es grenzte an Blasphemie, sie nicht anzustarren. Ich wusste, dass nicht jeder meine Meinung teilte und viele sich von ihrer äußeren Erscheinung und ihrem toughen Auftreten eingeschüchtert fühlten. Für mich hingegen waren all die Tattoos auf ihren Armen, dem Brustkorb und den nackten Beinen kunstvoll, einzigartig und aufregend.

Peters kleine Schwester war schon immer ein Hingucker gewesen, aber jetzt, mit fast fünfundzwanzig, war sie schlichtweg heiß.

Allein ihre Stimme zu hören, war wie ein Spaziergang durch die Vergangenheit gewesen. Als sie dann auch noch in diesem lächerlich kurzen Jeansrock in mein Büro stolziert war, waren die Vergangenheit und alles, was ich in den letzten Jahren zu unterdrücken versucht hatte, mit voller Wucht auf mich eingestürmt. Ich hatte nicht gelogen: Sie zu sehen, hatte mich für einen Moment aus der Bahn geworfen.

Und ich hatte mich selbst dazu verdonnert, mit ihr, einem irren Hund und einem leidenden Alpaka in diesem alten, klapprigen Bulli nach Archerville zu fahren.

Danke dafür, Peter.

Elizabeth und Chester Archer-Bishop waren das genaue Gegenteil meiner Eltern. Sie waren reich, privilegiert und eiskalt. Ich hatte dieses Mausoleum, welches sie ein Zuhause nannten, schon immer gehasst. Genau wie Chess. Ich wusste um das schwierige Verhältnis zwischen ihr und ihren Eltern, insbesondere ihrer Mutter. Das erste Mal, als ich die Archer-Bishops kennengelernt hatte, hatte ich mir vor Angst fast in die Hose gemacht. Unbegründet, denn Elizabeth und Chester hatten einen Blick auf mich geworfen und beschlossen, dass ich es nicht wert war, sich weiter mit mir zu beschäftigen, geschweige denn, sich über mich aufzuregen. Das änderte sich in dem Moment, als Peter ihnen mitteilte, dass ich ebenfalls in Harvard studieren würde. Von da an war ich willkommen im Hause Archer-Bishop. In diesem einen Sommer vor unserem Studium hingen wir ständig zusammen ab. Peter und ich, aber auch Chess. Schon als Teenager war Chess ein absoluter Wirbelwind gewesen, laut, frech und so anders als der Rest ihrer Familie, mit ihren langen, stets zerzausten Haaren und den bunten Klamotten. Peter passte da schon besser ins Bild. Als wir uns in dem Sommer vor Harvard kennengelernt hatten (er war Stammgast im Biscuit Café gewesen, ich hatte dort gejobbt – einer meiner drei Nebenjobs zu dieser Zeit), hatten wir auf den ersten Blick nicht viel gemein gehabt. Dennoch waren wir ins Gespräch gekommen und ein Thema hatte uns zunächst verbunden: Harvard. Harvard war der Grund, warum es nicht bei einem Gespräch und einem Treffen geblieben war, und eine echte Freundschaft hatte sich entwickelt. Als der Vorzeigesohn einer der respektabelsten Familien in Rhode Island hatte Peter dafür gesorgt, dass wir in die gleiche Studentenverbindung kamen, und der Rest war, wie man so schön sagte, Geschichte. Mittlerweile waren über zehn Jahre vergangen, und ich fühlte mich im Hause Archer-Bishop noch immer unwohl. Das war jedoch nichts im Vergleich zu dem, wie Chess sich aktuell fühlen musste. Auch wenn sie es niemals zugeben würde, wahrscheinlich war sie dankbar, dass ich sie begleitete.

Mango und Ross wären ihr im Hause Archer-Bishop jedenfalls keine Hilfe.

»Pass auf!«, rief ich und griff erneut nach dem Armaturenbrett vor mir.

Chess warf mir einen genervten Blick zu. »Entspann dich, Matt.«

Himmel, diese Frau fuhr, als wäre die Mafia tatsächlich hinter uns her.

Hinter mir hörte ich den Hund mit den großen, drolligen Ohren leise knurren. Mango. Was war das für ein Name? Wer außer Chess nannte einen Hund schon nach seinem Lieblingsobst?

»Mango! Aus!«, versuchte ich es mit strenger Stimme, und neben mir begann Chess leise zu lachen.

»Das nennst du autoritär? Himmel, Matthew, wie konntest du einen einzigen deiner Fälle gewinnen?«

Indem ich immer in allem der Beste gewesen war, und das ohne Ausnahme seit der ersten Klasse. Nur so hatte ich mir mein Stipendium für Harvard verdient und mir meinen heutigen Lebensstandard erarbeitet.

»Sehr witzig.«

Mango bellte erneut.

»Mango! Es reicht«, wies Chess ihren Hund zurecht, und das Bellen stoppte augenblicklich. Dafür begann Ross, leise zu summen.

»Wieso summt das Alpaka?«

»Alpakas summen, wenn sie nervös oder ängstlich sind«, erklärte sie mir und setzte den Blinker.

»Wieso hast du ihn dann mitgenommen?«

»Weil er meine ganze Nachbarschaft zusammengeschrien hat und ich nicht riskieren wollte, dass einer von denen die Schrotflinte rausholt. Nach dem, was der arme Kerl durchgemacht hat, ist er bei mir besser aufgehoben als bei seinen letzten Besitzern. Außerdem hat Nina keine Zeit.«

Ich hielt den Atem an, während sie sich zwischen zwei Autos einfädelte, um die nächste Ausfahrt zu nehmen.

»Nina ist so lieb und füttert die anderen.«

»Die anderen?«

»Meine Katzen und Hühner.«

Sie hatte Hühner? Wieso wusste ich das nicht?

Weil du sie, seitdem du zurück bist, gemieden hast, als hätte sie die Pest.

Insbesondere seit dem kleinen Zwischenfall in der Kanzlei.

»Wie viele Katzen und Hühner hast du?«

»Zwei Katzen und vier Hühner.«

Für die meisten wäre es wahrscheinlich eine große Sache gewesen … Hühner, Katzen, ein Hund und zwei Alpakas, nicht so für Chess.

»Also Maine, hm?« Chess warf mir einen schnellen Blick zu, als sie auf die Landstraße einbog. Wir waren nur noch wenige Minuten von ihrem Elternhaus entfernt, und sie fasste das Lenkrad bereits etwas fester. Ihre Haltung war angespannt, und das leichte Lächeln, welches stets auf ihren vollen, rot geschminkten Lippen lag, war verschwunden.

»Ich lasse Sandra just in diesem Moment alle Verbindungen von Peters Festnetz und Handy checken. In ein paar Stunden sollten wir mehr wissen.«

»Guter Gedanke«, lobte sie mich.