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»Dies ist ein Ruf durch die Schatten und das Licht. Mein Name ist Lillianna Callahan Vale, und wenn ihr meine Stimme hört, dann kommt und helft uns.« Verbündete werden geprüft. Opfer werden gefordert. Geheimnisse werden gelüftet. Wenn die letzte Schlacht beginnt, steht mehr auf dem Spiel als Leben und Tod – es geht um Hoffnung, Freiheit und den ewigen Kampf zwischen Licht und Schatten. Inmitten von Feuer und Sturm muss Lilly nicht nur für das Überleben ihrer Welt kämpfen, sondern auch um ihre eigene Seele. Band 6 der Geschichte der Anderswelt / Finale
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Seitenzahl: 725
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
TEIL I – DIE ERÖFFNUNG
PROLOG
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
TEIL II – SCHACHMATT
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
KAPITEL 32
KAPITEL 33
KAPITEL 34
KAPITEL 35
KAPITEL 36
KAPITEL 37
KAPITEL 38
KAPITEL 39
KAPITEL 40
KAPITEL 41
KAPITEL 42
KAPITEL 43
KAPITEL 44
KAPITEL 45
KAPITEL 46
KAPITEL 47
KAPITEL 48
KAPITEL 49
KAPITEL 50
KAPITEL 51
KAPITEL 52
KAPITEL 53
KAPITEL 54
KAPITEL 55
KAPITEL 56
KAPITEL 57
KAPITEL 58
KAPITEL 59
KAPITEL 60
KAPITEL 61
KAPITEL 62
KAPITEL 63
KAPITEL 64
KAPITEL 65
KAPITEL 66
KAPITEL 67
KAPITEL 68
KAPITEL 69
KAPITEL 70
KAPITEL 71
KAPITEL 72
KAPITEL 73
KAPITEL 74
KAPITEL 75
KAPITEL 76
KAPITEL 77
KAPITEL 78
EPILOG
BONUSKAPITEL
DANKSAGUNG
Vollständige e-Book Ausgabe 2025
© 2025 ISEGRIM VERLAG
ein Imprint der Spielberg Verlagsgruppe, Neumarkt
Spielberg Verlag GmbH, Am Schlosserhügel 4a1
92318 Neumarkt, [email protected]
Coverdesign: schockverliebt Design Studio
Coverillustrationen: © freepik.com & iStock.com
Reinzeichnung und Litho: Alexander Masuch - Print & Digital Media
Illustrationen: ›Lilly u. Lucan‹ von Ekaterina Kurochkina
Illustrationen: ›Alina, Nick, Ducan, Malik, Cora u. King‹
Midas / Drake+Noain von @maria_lahaine
Illustration: ›Lillith & Luzifer‹ von Lena Faust
Kartenillustration: Melanie Lane
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.
ISBN: 978-3-95452-849-3
www.isegrim-buecher.de
Melanie Lane (Ps.) stammt aus der schönen Stadt Hamburg, wo sie lebt und in ihrem eigenen Design Studio schockverliebt arbeitet. Sie ist begeisterungsfähig, laut, trinkt gerne Vino und verabscheut Schubladendenken. Als bekennende Feministin lebt sie Themen wie Gleichberechtigung und Diversität, was sich auch stets in ihren Büchern wiederfindet. Sie liebt Sarkasmus, das Meer und ist eine absolute Tierliebhaberin.
Für die Fans und die Lesenden, die diese Reise für mich so fantastisch gemacht haben. Diese Achterbahnfahrt der Gefühle ist für euch.
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser, liebe VBuM-Fans,
ich schreibe das Vorwort mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Unendlich traurig, dass die Reise zu Ende geht und gleichzeitig total hyped auf die kommenden Seiten und Entwicklungen. Ich möchte euch von Herzen dafür danken, dass ihr Lillys Reise so viel Liebe schenkt und noch immer so voller Begeisterung verfolgt.
Dies wird der finale Band. Das Ende. Und doch auch ein Anfang.
Bevor ihr nun in die Geschichte abtaucht, gibt es eine kleine Zusammenfassung von mir.
Band 5 endete mit einem Knall – wortwörtlich. Die magische Bombe, um die besetzten Dämonen zu enttarnen, wird gezündet. Lilly und ihre Verbündeten haben keine Ahnung, was nun geschieht, sie wissen nur, dass sie sich Bael stellen und ihn besiegen müssen. Baby Jonah geht es zum Glück wieder ganz hervorragend, dafür haben wir mit Olli ein geliebtes Familienmitglied verloren. Ein Verlust, der Lilly noch immer hart trifft.
Die Fehde zwischen Lillith und Luzifer scheint für den Moment geschlichtet und Luzifer hat Lilly angeboten, sie zu trainieren und zu unterrichten, damit sie ihre Flügel im Kampf gegen seinen Sohn richtig einsetzen und ihr volles Potential ausschöpfen kann.
Die Welten arbeiten Hand in Hand, vereint unter Lillys Banner. Selbst Alita, die ebenfalls einen großen Verlust erlitten hat, brennt darauf, Rache zu nehmen.
Alinas Schwangerschaft schreitet voran und nicht nur in Lillys Reihen bahnt sich Veränderung an. King und Duncan hadern mit ihrer Rolle innerhalb der Sieben. Beide sind hin und her gerissen zwischen Pflichtgefühl und Liebe.
Zudem steht eine weitere sehr tragische Liebesgeschichte im Raum. Drake und Noain. Der Prinz der Formwandler und der gebrochene Vampyr. Ein Überlebender des Clash´ mit Schmerz und Hass im Herzen. Doch Noain und Rhonan sowie die Fae aus Ilya, der Welt der Überlebenden, kämpfen an Lillys Seite und auch an der von Drake. Können die beiden Männer nach so vielen Jahrhunderten wieder zueinander finden?
Wie geht es mit Permata weiter, jetzt da eine der Silbersynchronen als Verbündete von Bael enttarnt wurde?
Welche Rolle können die Gelehrten und Magister Scio spielen? Welche dürfen sie spielen?
Kann Ilya wieder Teil der Anderswelt werden? Können die Fae es? Welche Abenteuer und Herausforderungen erwarten Lilly und die anderen? Und was geschah eigentlich nach dem Zünden der Bombe?
Content Note:
Wie auch die Teile zuvor, beinhaltet dieses Buch potentiell triggernde Inhalte. Explizite Gewalt und sexuelle Szenen (im Konsens) sowie manipulative und psychisch herausfordernde Szenen.
Bitte beachtet die Hinweise, denn mir liegt es am Herzen, dass es euch beim Lesen gut geht. Eure (mentale) Gesundheit steht immer an erster Stelle!
Viel Spaß beim Lesen! <3
TEIL I DIE ERÖFFNUNG
PROLOG
Duncan
Ich träumte. Ich war mir sicher, dass ich träumte. Vom Krieg. Vom Tod. Von Feuer und Schatten und den Schreien jener, die Baels Invasion zum Opfer gefallen waren. In den Tiefen meines Traumes fand ich mich in einer gewaltigen Schlacht wieder. Engel. Harpyien. Formwandler. Zauberer und Ghoule. Sie alle waren gekommen, um unseren Feind zu bekämpfen. Bael und seine Dämonen. Die Besetzten. Einst Freunde, Familienmitglieder, Teil unserer Gesellschaft, des Adels, der königlichen Garde … doch schon bevor wir sie vernichteten, waren sie nicht mehr als eine leere Hülle. Der Dämon in ihnen hatte alles verschlungen. Er war der tödliche Parasit, geschaffen von Bael selbst und perfektioniert über mehrere Jahrhunderte. Ich hörte den metallischen Klang von Klingen, die aufeinanderprallten. Die Luft war dick von Rauch und Magie, die über das Schlachtfeld flirrte. Rote Augen glühten. Zivilisten schrien. Kameraden fielen.
Ich spürte die Spannung in meinen Muskeln, als ich von gleich drei Kontrahenten angegriffen wurde. Sie versuchten mich zurückzudrängen. Nein, sie versuchten sich an mir vorbeizudrängeln, aber wo wollten sie hin? Ich riss den Kopf herum, blickte hektisch nach links und rechts, dann geradeaus. Aber alles, was ich erkennen konnte, waren Rauch und Schatten und Feuer. Mein Hals kratzte, meine Lungenflügel brannten. Das Feuer wurde stärker und da verstand ich es. Sie wollten zu ihr. Immer nur zu ihr, denn sie war es, was er wollte.
Inmitten all des Wahnsinns erlebte ich einen Moment völliger Klarheit.
Lilly. Bael wollte Lilly und es war ihm egal, ob er dafür die ganze Anderswelt zerstören musste. Er würde alles und jeden töten, bis er sie hatte und mit ihr eine neue Generation an Super-Dämonen erschaffen konnte. Er wollte regieren. Abbadon. Alliandoan. Alle Welten. Doch er allein besaß keinen Anspruch auf den Thron von Abbadon – oder den der Anderswelt. Durch seine Adern floss Luzifers Blut, nicht das von Lillith. Lilly aber war nicht nur stark, sie war eine Callahan, geboren mit dem Mal der Engel, und die Tochter Lilliths, Mutter aller Dämonen.
Niemand stellte ihren Anspruch auf den Thron in Frage. Jetzt nicht mehr. Als wir sie gefunden hatten? Da war das anders gewesen, aber nun … nun war sie unser Leuchtfeuer in der Dunkelheit. Sie war der unsichtbare Faden, der unsere Welten zusammenhielt. Wenn Spannungen aufkamen und die Bande zwischen den Welten und den Herrschenden zu reißen drohten, waren es ihre Stimme und ihr Handeln, die uns wieder zusammenführten, … okay, nun war ich mehr als sicher, dass ich träumte. Was in Abbadons Namen dachte ich denn da? Oder besser gesagt: Mit was für einem Scheiß beschäftigte sich mein Unterbewusstsein?
Ich wusste, dass ich einen Knacks abbekommen hatte, das hatten wir alle. Vor vier Wochen, als alle Welten gemeinsam die magische Bombe zum Enttarnen der Schläferdämonen gezündet hatten. Wie einen Sturmwind, der in Vollspeed auf eine Gebirgskette zuraste, hatten wir Lilliths und Midas‘ Zauber auf die Anderswelt losgelassen, in dem Wissen, dass wir den Krieg nicht verhindern, sondern ihn endgültig beginnen würden. Doch die Auswirkungen waren erschreckender als damals angenommen und sie warfen noch immer ihre Schatten auf Alliandoan und die anderen Welten.
Jemand trat nach mir. Ich spürte einen Fuß an meiner Hüfte. Einen Arm auf meinem Brustkorb. Schwer und unruhig. Auch ich schlief seit Wochen nicht richtig, gepeinigt von dem, was wir erlebt hatten.
Ein erneuter Tritt.
»Aua! Verdammt!«
Es war an der Zeit aufzuwachen. Gleichzeitig eine Erleichterung und auch irgendwie so, als würde man von einem Albtraum in den nächsten stolpern.
Ich blinzelte. Unser Zimmer war noch dunkel. Ein einzelner Streifen Mondlicht hatte seinen Weg durch die schweren Samtvorhänge gefunden. Maliks Hand auf meiner Brust zuckte. Der ganze Mann zuckte. Als träume er ebenfalls schlecht. Ich legte meine Hand auf seine und da spürte ich es. Ein Zittern, das durch seinen Körper lief. Nicht, als wäre ihm kalt, sondern als stünde er unter Strom.
»Malik?«
Ein beinahe qualvolles Stöhnen war die einzige Antwort.
Gerade, als ich mich zu ihm herumdrehen wollte, packten seine Finger zu. Da ich kein Shirt trug, gruben sie sich in mein Fleisch. Kräftig. Ein stechender Schmerz durchzog meinen Brustkorb.
»Malik, was in–« Noch bevor ich den Satz beenden konnte, ertönte ein lautes, zischendes Geräusch. Es war fremd und doch vertraut. Im nächsten Moment traf mich etwas hart an der Schulter und ich flog in hohem Bogen aus dem Bett. Zu überrascht, um den Sturz abzufedern, knallte ich gegen den Schrank und schlug auf dem Boden auf.
»Uff.« Die Luft entwich mir und für einen kurzen Augenblick sah ich Sterne. Was auch immer mich da gerade getroffen hatte, verfügte über eine enorme Kraft.
»Du-uncan?«
Grunzend kam ich auf die Beine. Ich schüttelte den Kopf, um klar zu sehen, und erstarrte. Mein Gefährte saß kerzengerade da. Die Augen weit aufgerissen. Die dunklen Haare zerzaust. Die Decke war ihm bis zur Hüfte hinabgerutscht.
»Äh …«
Malik nickte. Wieder und wieder, als könne er nicht aufhören.
»Sind das … Flügel?«
Eine dumme Frage. Ich sah sie. Strahlend weiß und prachtvoll. Ähnlich wie Lillys und doch anders. Weicher und irgendwie majestätischer. Vermutlich lag es an der Farbe. Das Weiß war so rein, wie Alliandoan gern vorgab zu sein. Malik sagte kein Wort. Er stand sichtlich unter Schock.
»Du hast Flügel.«
Er nickte. Tja. Verdammt.
Rasch bückte ich mich nach einer der Hosen auf dem Boden. Seine, meine – völlig egal.
»Ich hole Lilly. Bleib … bleib einfach da.«
Mit diesen Worten schlüpfte ich in die Hose und riss unsere Tür auf. Auf dem dunklen und leeren Palastkorridor hielt ich inne. Ich hatte keine Ahnung, ob Lilly hier oder in Abbadon bei Luzifer war. So oder so würde sie jedoch so schnell wie möglich hiervon erfahren wollen.
Lucan?
Ein verschlafenes Was? war die Antwort.
Wir brauchen Lilly.
Wieso?
Malik hat Flügel.
Es folgte eine kurze Stille, dann hörte ich meinen Ziehvater und den König der Anderswelt und der Assassinen fluchen. Gib mir fünf Minuten, Kleiner.
KAPITEL 1
Vier Wochen zuvor
Lilly
Nun lag es an mir. Auf mein Kommando würden sie alle den Zauber zünden. Ich tauschte einen letzten Blick mit Lucan. Wir würden das hier überstehen. Gemeinsam.
Eins, flüsterte ich und warf die Flasche auf den Boden.
Mein Herzschlag setzte aus, mein Körper so angespannt wie vor dem Sprung. Oder vor jenem Moment vor ein paar Wochen, als ich Bael das erste Mal gegenübergetreten war. Jener schicksalhafte Tag, an dem Jonah überlebte und Olli von uns ging. Jener Tag, an dem Arcadia in Flammen stand. In meinen Flammen. Ich hatte hunderte meiner eigenen Leute getötet und heute würde ich es erneut tun müssen. Aber nicht nur Engel würden fallen. Jede der Welten erwartete enorme Verluste, daran führte kein Weg vorbei. Gäbe es einen, würde ich ihn gehen, um jeden Preis. Leider war mein Stiefbruder ein mordender Psychopath mit einer ungesunden Obsession. Und das Objekt seiner kranken Begierde? Ich.
Oder eher mein Uterus und das, was wir gemeinsam erschaffen würden. Einen legitimen Erben für Abbadon und die gesamte Anderswelt. Ein Baby. Unschuldig und rein, geboren, um verdorben zu werden. Eine Waffe, nicht mehr und nicht weniger. Der Gedanke verursachte auch nach Wochen und Monaten Übelkeit in meinem Magen. Diese Übelkeit mischte sich mit der ständigen Angst, noch mehr geliebte Unsterbliche zu verlieren. Eine trockene Kehle. Ein stechendes Bohren hinter der rechten Schläfe. Ein brennender Magen. All das war seit heute Morgen mein ständiger Begleiter. Seit Kiara und Olli gestorben waren, wenn ich ehrlich war.
Seit über einer Woche hatte ich diesen Moment herbeigesehnt und ihn zugleich gefürchtet. Wir mussten handeln und doch sträubte sich alles in mir, es zu tun. Lucan und Nyx waren hier bei mir, Vaya wartete in Abbadon, falls wir sie brauchten. Duncan und Malik hielten in Arcadia am See der Balance die Stellung. Gemeinsam mit einer kleinen Heerschar aus Andersweltlern. Aus allen Welten waren sie gekommen. Zauberer, Formwandler, Najaden, Nymphen, Engel und Zwerge. Sturmwinde kreisten am Himmel, sie und ihre Harpyien kampfbereit. Wir hatten uns bunt durchgemischt, um unsere Fähigkeiten gegen den gemeinsamen Feind zu bündeln und optimal einsetzen zu können. Auf Permata und Anak hatten wir besonderes Augenmerk gelegt, denn sie waren unsere Schwachstellen. Ihre Regierungen waren neu, eine Garde noch nicht vorhanden oder in der Findungsphase. Jace und Flynn würden es schaffen, sagte ich mir. Sie hatten ausreichend Unterstützung, wie wir alle. Außerdem hatte Cassiopeia ihren Bruder nach Anak geschickt, um Flynn zu helfen. Dieser hatte Lavender direkt weiter nach Permata geschickt, weil er Minaqktar und Jace beschützt wissen wollte. Streng genommen wollte jeder jedem helfen, da das aber schlichtweg unmöglich war, hatten wir versucht, uns so sinnvoll wie möglich aufzuteilen.
Die Sieben – minus Duncan und King – hatten sich ebenfalls in den Welten verteilt und so viele Schattenkrieger mitgenommen, wie möglich. Der größte Durchbruch, wenn man es denn so nennen wollte, waren die knapp fünfzig Elementarfae, die sich bereit erklärt hatten, uns zu helfen. Viel mehr als anfangs angenommen. Ayla – und Noain, womöglich sogar Drakes Widergutmachung in Ilya – hatten es möglich gemacht. Das waren fünf beziehungsweise sechs Fae pro Welt. Auch sie hatten wir versucht an möglichst strategischen Punkten einzusetzen. Mein Magen verknotete sich weiter, als ich an all die Unsterblichen dachte, die jetzt in diesem Moment bereit waren, in den Kampf zu ziehen. Für uns alle und eine gerechte und friedvolle Anderswelt. Ich wollte keinen von ihnen verlieren und würde es doch nicht verhindern können.
Es passiert nichts. Wieso passiert nichts?, hörte ich Duncans aufgeregte Stimme in meinem Kopf. Mit einem lauten Echo, was bedeutete, dass er in der offenen Leitung über Nyx und damit zu allen sprach.Weil wir eine Bombe gezündet haben, die lautlos ist. Midas‘ Stimme hallte durch die Verbindung.
Hat noch wer ein gewaltiges BÄM oder sowas erwartet?
Du wirst dir noch wünschen, das BÄM wäre nicht eingetreten. Noains Tonfall war nüchtern, doch ich kannte ihn mittlerweile gut genug, um zu erkennen, wie angespannt er war. Und Duncan? Er kompensierte den Druck mit seiner großen Klappe, so war er einfach. Je emotionaler, desto größer die Klappe.
Der Zauber hat definitiv funktioniert, sagte Midas klar und deutlich, und wenn mich nicht alles täuschte, mit einem Hauch von Gereiztheit in der Stimme. Er und meine Mom hatten alles gegeben und wenn sie sagten, es funktionierte, dann funktionierte es auch.
Wir sollten dem Zauber einen Moment geben, um seine Wirkung zu entfalten. Das war Jace, ruhig und besonnen.
Und wie lange, verdammt nochmal? Odile, weniger besonnen und alles andere als ruhig. Die Aggression in ihrer Stimme verstärkte die Gänsehaut auf meinen Armen.
Alle einmal tief durchatmen, wies Drake die Gruppe an und wieder einmal überraschte er mich damit, wie sehr er sich in der Zeit, seit Noain wieder aufgetaucht war, verändert hatte.
Wir sollten–
Die Verbindung brach ab. Es gab kein Knacken oder Knistern. Nur Stille und das Wehen des Windes. Ein stetes, leises Rauschen in meinen Ohren.
Lucans und mein Blick kollidierten miteinander. Seine Augenfarbe wechselte von Mitternacht zu komplett schwarz. Der Assassine in ihm brach an die Oberfläche. Während seine Gesichtszüge sich transformierten, härter, kantiger und tödlicher wurden, sah ich aus dem Augenwinkel, wie Nyx nach ihren Waffen griff.
»Nyx?«, fragte er. Nur ein Wort, nur ihr Name. Die Furie schüttelte den Kopf und ich richtete meine Aufmerksamkeit auf sie.
»Sie sind weg. Ich kann keinen von ihnen erreichen.«
Duncan?, rief ich in Gedanken und klammerte mich an Nyx‘ offene Verbindung, die ich noch immer als leichten Widerhall in meinen Knochen spürte. Die Magie funktionierte noch. Zumindest auf unserer Seite der Leitung, hier oben auf diesem Berg, abgeschnitten von allen anderen. Malik?
Verfluchte Scheiße. Ich erwiderte den grimmigen Blick der Furie. Ihre Augen so schwarz wie Lucans. Die Familienähnlichkeit war in diesem Moment nicht zu bestreiten.
Odile? Jace? Cas?
Es blieb still.
»Die Verbindung ist tot, Lilly. Tut mir leid.«
»Wie in Abbadons Namen macht er das?« Und wie konnte er uns schon wieder einen Schritt voraus sein? Wie hatte er so etwas voraussehen und dagegen arbeiten können?
Nyx schüttelte erneut den Kopf. Die Ratlosigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Lucans Hand schnellte vor, er packte mich am Arm und ich zuckte zusammen.
»Es geht los, Liebes. Mach dich auf alles gefasst.« Sein Tonfall jagte mir eiskalte Schauer über den Rücken. Ernst, düster und irgendwie endgültig. »Was auch immer geschieht, wir stehen das hier gemeinsam durch.« Er drückte meinen Arm. »Du hast deine Magie, Lilly. Dein Feuer. Ich habe gesehen, wozu es fähig ist, wozu du fähig bist. Nutze alles, was die Balance dir gegeben hat. Zögere nie«, wiederholte er Worte, die er bereits so oft zu mir gesprochen hatte. Weil wir uns bereits mehr als einmal in einer Situation wie dieser befunden hatten und doch nie in einer so brenzligen. So finsteren.
»Wir retten, wen wir können, aber denke nicht einmal im Traum daran, dich in einem Akt von falschem Heroismus in Gefahr zu bringen.«
Nyx stieß ein ungläubiges Lachen aus. Keiner von uns beachtete die Furie, wir waren zu sehr ineinander versunken. Im Blick des anderen, seiner Präsenz und unseren Gefühlen.
Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, Lucan zu antworten. Wir beide wussten, dass ich es tun würde. So war ich einfach und genau das machte den Unterschied. Malik und die anderen, auch Lucan, wurden nicht müde, mich daran zu erinnern. Ich würde uns beide und unsere Liebe nicht beleidigen, in dem ich ihn anlog. Er wollte mich beschützen, das wusste ich zu schätzen. In Abbadon, kurz nachdem er in Baels Hinterhalt in Etanna die Kontrolle verloren hatte, hatte er gesagt: »Mein erster Impuls ist es, dich zu schützen, selbst wenn ich dich dafür anlügen muss. Immer. Daran kann ich nichts ändern. Es ist in meiner DNA. Aber dann wird mir klar, dass es eben nur ein Impuls ist. Nicht mehr. Nur ein Impuls, denn ich muss meine Wahrheit nicht vor dir verbergen. Ich kann und ich will es nicht.«
Hier und jetzt war es erneut ein Impuls und das war okay. Denn ich fühlte genau wie er. Er wollte mich durch ein Portal nach Zyntha zu King, Alina und den anderen schubsen und mich in Sicherheit wissen? Tja, ich wollte dasselbe. Hier ging es nicht um Mann oder Frau. Wir waren gleichberechtigte Partner. Es ging darum, dass wir eher selbst sterben würden, als den anderen leiden zu sehen. Also ja, ich verstand den Impuls, aber was hatte ich Lucan damals geantwortet?
Wenn jemand versteht, was es heißt, Dämonen zu haben, dann ich, Lucan. Nicht nur, dass ich selbst einer bin, ich habe ein paar davon in der Familie.
Hier und jetzt musste ich diese Tatsache mehr denn je akzeptieren. Wobei, akzeptiert hatte ich sie bereits. Jetzt musste ich sie umarmen, sie leben und sie dazu nutzen, einem der Dämonen aus meiner sogenannten Familie den Arsch aufzureißen.
Lucans dunkler Blick glitt über meine zusammengepressten Lippen. Die leicht zusammengekniffenen Augen und das Rot in ihnen, das sich weiter ausbreitete, bis sie so blutrot glühten, wie die von Lillith. Er erkannte den Gesichtsausdruck, als das, was es war: Entschlossenheit.
Lucan fluchte. »Fuck, Liebes.« Ich konnte nicht sagen, welches der beiden Wörter mehr Fluch war und welches Gebet. Ich zog schon lange keine Grenze mehr zwischen Schwarz und Weiß. Die Welt bestand aus Grautönen und diese waren wunderschön.
Ein erneuter, derber Fluch, dann sagte er. »Scheiße, Lilly. Genau dafür liebe ich dich.« Er zog mich an sich und presste seine Lippen auf meine. »Genau dafür«, raunte er an meinem Mund. »Aber ich bleibe dabei: Werde nicht zu leichtsinnig, sonst bekommst du es nach dem Kampf mit mir zu tun.«
»Ist das ein Versprechen?«, gab ich zurück und rang mir ein Lächeln ab. Für ihn. Für mich. Es war ein Versuch, Leichtigkeit in diese mehr als schwere Situation zu bringen.
»Es ist eine Drohung.«
»Die sind mir sogar noch lieber.«
Nyx räusperte sich. »So ekelerregend süß das hier auch ist, ihr seid nicht allein und langsam sollten wir uns einen Plan überlegen, jetzt wo wir alle auf uns allein gestellt sind.«
Lucan küsste mich ein weiteres Mal. Beinahe grob und verzweifelt. Ich klammerte mich an ihn, genoss seine vertraute Wärme, ehe ich ihn resolut von mir schob und Nyx‘ Blick suchte.
Ihre Miene strafte ihre Worte Lügen. Sie wollte das hier genauso wenig wie ich, aber wir wussten beide, dass es zu spät war, um irgendetwas an der Situation zu ändern. Alles, was wir jetzt tun konnten, war die Andersweltler, die Bael noch nicht zum Opfer gefallen waren, zu beschützen.
»Wo fangen wir an?«
»Wir müssen von diesem verfluchten Berg runter.«
Lucan stimmte ihr zu. »In einem hat Duncan Recht, ich habe auch etwas anderes erwartet.«
Ich nickte. Das hatte ich ebenso. Schreie, Explosionen, totales Chaos. Aktuell war das Gegenteil der Fall. Stille. Es herrschte totale Stille und das war auf eine verstörende Art und Weise viel unheimlicher. Das BÄM, wie Duncan es genannt hatte, würde kommen. Aber wo und wann und wie? Auf den Knall einer Bombe zu warten, nachdem man sie gezündet hatte, glich nervlicher Folter.
»Ich öffne ein Portal nach Arcadia, wir–«
»Ich fliege«, unterbrach ich ihn und handelte mir direkt einen bösen Blick ein.
»Wir trennen uns nicht.«
»Es ist wesentlich effektiver, wenn ich fliege. Von oben kann ich große Teile Alliandoans überblicken und euch Bescheid geben, wenn mir etwas auffällt.«
»Wir. Trennen. Uns. Nicht.«
»Neffe«, versuchte Nyx es nun. »Deine Frau ist clever, sie–«
»Wird nicht allein losziehen.« Lucans Blick glitt zwischen uns hin und her. »Denkt ihr wirklich, ich lasse dich für eine Sekunde aus den Augen?«, wandte er sich nun wieder an mich.
»Die Anderswelt ist kurz davor zu brennen, Lucan.«
Er öffnete den Mund, die schwarzen Augen blitzten, das Feuer in ihnen erinnerte mich an jenes, das durch meine Adern floss. Kurz dachte ich, er wollte so etwas sagen wie: Dann lass sie brennen! Aber das war nicht er. Das waren nicht wir.
Nyx wollte etwas erwidern und ich hob die Hand, um die Furie zum Schweigen zu bringen.
In Lucan tobte ein Sturm. Ich sah ihn und ich spürte ihn, aber er war Lucan Vale und ich wusste, dass er die richtige Entscheidung treffen würde.
Ein paar weitere Sekunden starrten wir uns an, dann schloss er die Augen. Als er sie wieder öffnete, nickte er brüsk.
Kannst du mich hören?
Laut und deutlich, erwiderte ich ruhig.
Dann blockiert der Bastard nur jene Leitungen, die nicht durch Gefährtenbänder entstanden sind. Nyx?
Ich höre dich, Neffe.
Familiäre Bande also auch nicht. Schatten züngelten um Lucans Handgelenke und seinen Oberkörper, als er Nyx eine Hand entgegenstreckte. Sie ergriff sie, ohne zu zögern, das Katana in der anderen Hand.
»Ich bringe uns nach Merkata. Du fliegst.«
Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich mit einem simplen Gedanken meine Flügel hervorschießen ließ. Mit einem stummen Gebet an die Balance breitete ich sie aus und spannte mich an, um nicht den Halt zu verlieren. Lucan hatte auf dem Weg hierher gewitzelt, dass es mich sonst vom Berg wehen würde, und ehrlich gesagt, bestand die Gefahr durchaus. Der Wind ließ die Federn meiner Flügel rascheln. Noch immer war ihr Anblick einfach … krass. Ungewohnt und vertraut zugleich. Anthrazit mit einem Hauch von Violett.
»Es ist wie Atmen …«, murmelte ich und hob langsam ab.
»Lilly…«
»Ich habe alles unter Kontrolle, Lucan. Ihr geht nach Arcadia, ich komme nach.«
»Sobald wir da sind, kontaktiere ich Vaya und schicke sie in die anderen Welten. Wir müssen wissen, was über unsere Grenzen hinaus passiert.«
Ich nickte zustimmend. Dann warf ich einen letzten Blick in die angespannten Gesichter von zwei der wichtigsten Unsterblichen in meinem Leben und schoss in den Himmel.
KAPITEL 2
Das Gefühl zu fliegen, war einmalig. Ein absolutes Hoch.
»Wenn all das hier vorbei ist, fliegen Odile, du und ich gemeinsam. Als Freunde.«
Diese Worte hatte Drake in Ilya zu mir gesprochen und ich konnte kaum erwarten, bis der Zeitpunkt kam.
Wir sind in Arcadia. Merkata ist wie ausgestorben.
Das allein wunderte mich nicht, wir hatten alle aufgefordert, einen sicheren Ort aufzusuchen. Aber wo waren die Besetzten? Die Schläferdämonen?
Irgendwo müssen sie sein. Vielleicht hat Bael Wind von unserem Plan bekommen und hat alle angewiesen, sich bedeckt zu halten?, erwiderte ich, während ich durch die Luft segelte, im Anflug auf Etanna.
Midas sagte, die Besetzten leuchten in Gelb. Wie ein Leuchtfeuer in der Nacht. Sie können sich nicht vor uns verstecken.
Was sollen wir tun?, fragte Lucan und allein das brachte mich kurz aus dem Konzept. Das, und die zwei Sturmwinde, die über der Stadt patrouillierten. Die Harpyien sahen mich kommen und ihre Biester stießen ein begrüßendes Brüllen aus. Ich nickte den Kriegerinnen zu. Sie erwiderten die Geste und zuckten mit den Schultern. Ein universelles ›Wir sind genauso ratlos‹.
Hast du Vaya schon gerufen?
Eben gerade, erwiderte mein Mann. Sie sollte jeden Moment hier–
Weiter kam er nicht. Ein Beben ging durch Alliandoan. Ein Beben, wie ich es noch nie erlebt hatte. Stärker als jeder Sprengzauber. Selbst hier oben in der Luft spürte ich die Vibration. Die Sturmwinde brüllten und die Harpyien schlossen zu mir auf.
»Was war das?«, rief eine von ihnen.
»Ich weiß es nicht.«
Lucan? Als trete ich auf eine Bremse, versteifte ich meine Flügel und stoppte. Mühelos verharrte ich in der Luft, als hielte eine unsichtbare Kraft mich dort fest. In perfekter Balance zwischen Stillstand und Bewegung. LUCAN? Die Erde bebte erneut und auf einmal waren die Leitungen wieder offen.
Was ist das?
Bei Abbadon, was in allen Welten?
Jace???
Verdammt, Lilly, hört ihr uns?
Liebes?
Xerxes hier, kann mich jemand hören?
Seht ihr das auch?
Die Stimmen in meinem Kopf überschlugen sich und ich widerstand dem Drang, mir die Ohren zuzuhalten.
Instinktiv schloss ich sie alle aus. Mein Geist griff nach Lucans.
Lucan! Was ist hier los?
Rauch, antwortete er schlicht.
Was?, fragte ich in dem Moment, in dem ich es ebenfalls sah.
»Majestät! Dort!«, rief eine der Harpyien und wies nach unten, auf die Stadt und die Felder drum herum. Dichter, roter Nebel breitete sich aus und waberte über den Boden. Über Häuser und Dächer, hinein in die Gassen. Langsam und lautlos, als würde er über den Boden kriechen wie eine riesige Schlange. Er schmiegte sich an Hauswände, Bäume und Hügel, als wolle er alles unter sich begraben. Als wolle er es verhüllen!
Er verschluckte die Landschaft, tauchte sie in einen fahlen, roten Schleier, der die Sicht trübte und eine unheimliche Ruhe mit sich brachte.
»Das ist Baels Werk«, sagte ich und wiederholte die Worte in Gedanken für Lucan und Nyx.
Ich stimme zu.
Ruhe!, donnerte Nyx auf einmal und ich zuckte zusammen. Nicht alle auf einmal! Wir sehen diesen verdammten Nebel ebenfalls!
Rauch, Nebel, Schatten. Egal wie man es betiteln wollte, es diente nur dem einen Zweck: Zu verbergen. Bael verbarg die besetzten Unsterblichen vor uns.
Vaya ist hier, hörte ich Lucan auf einmal. Sie glaubt, der Nebel wurde durch ihr Auftauchen ausgelöst. Sie musste eine Art Barriere durchbrechen, um nach Alliandoan zu kommen. Womöglich ein Zauber, den Bael gezündet oder versteckt hat und der durch Dämonenaktivität in Kraft gesetzt wurde. Ich spürte Lucans Unruhe, dann, auf einmal, hörte ich Vaya.
Es fühlt sich an, wie die Magie der dunklen Königin, aber dann auch wieder nicht.
Die Ritter, murmelte ich lautlos. Einst treue Gefolgsleute meiner Mutter, die gemeinsam mit ihr aus der alten Welt gekommen waren, waren sie nun Baels Lakaien.
So viel Magie Bael in den letzten Jahrhunderten auch gestohlen hat, dieses Magieecho ist einzigartig, stimmte Vaya zu. Es stammt aus keiner eurer Welten.
Also hatten die Ritter diesen Zauber zu verantworten. Nun wussten wir, woher er kam und was er vermutlich bezwecken sollte, doch wie hielten wir ihn auf?
Lilly?, Nyx‘ Stimme hallte durch meinen Kopf. Ich habe Midas auf einer Leitung für dich.
Beinahe hätte ich in dieser skurrilen Situation mit ›Stell ihn durch‹ geantwortet.
Midas?
Lilly! Der Balance sei Dank! Dhanikans sieht aus, als hätte man es in Blut getaucht.
Zum Glück war das noch nicht geschehen.
Hast du eine Idee, wie wir diesen Nebel wegbekommen?
Die habe ich, ja. Allerdings brauche ich dafür Rhonan.
Nyx?
Bin schon dabei, Drake und Noain zu kontaktieren.
Wie sieht dieser–
»Vorsicht!« Die Warnung der Harpyien erreichte mich zu spät. Abgelenkt durch die Kommunikation mit den anderen, sah ich den Pfeil nicht kommen. Er bohrte sich in meinen linken Flügel. Der Schmerz war neu und mit nichts vergleichbar, was ich bis dahin gefühlt hatte. Ich hatte mir den Arm gebrochen (mit Absicht!), die Schulter ausgekugelt, hatte diverse Schnittwunden gehabt und mir Prügel eingeheimst. Ich war gefoltert worden, über Wochen(!), aber das hier … so kräftig und tödlich meine Flügel auch waren, so zart und verletzlich schienen sie zu sein. Ein kleiner Schrei entfuhr mir und ich geriet ins Straucheln. Wären die Harpyien auf ihren Sturmwinden nicht gewesen, wäre ich womöglich abgestürzt. Sofort waren sie an meiner Seite. Krallen packten mich und hielten mich aufrecht.
Lilly! Lucans panische Stimme erfüllte mich.
Es … Ich atmete zitternd aus. Verdammt, das tat weh. Ich wurde getroffen. Ein Pfeil.
Wo?
Flügel, presste ich hervor, bemüht, mich zusammenzureißen.
Ich schicke Vaya zu dir.
Was? Nein! Ich schwebte mitten über Etanna in der Luft und wurde bloß durch zwei Sturmwinde aufrecht gehalten! Vaya würde abstürzen, sie–
Lucan …
Sie kommt.
Was? Auf einmal ploppte die Dämonin vor mir auf. Aus dem Nichts. Noch bevor sie fallen konnte, zwinkerte sie mir zu, packte mich am Handgelenk und wir verschwanden. Ich hörte noch das überraschte Brüllen der Sturmwinde, ehe ich erneut festen Boden unter den Füßen hatte.
Lucan riss mich sofort an sich.
»Super Plan«, murrte er, schon dabei, den Pfeil herauszuziehen. »Ganz großartige Idee.«
Ich ächzte und der Pfeil fiel zu Boden. Dann blinzelte ich irritiert. Der Szenenwechsel war kurz verwirrend. Überall um uns herum züngelte der rote Nebel in der Luft. Man konnte die Hand vor Augen kaum erkennen. Und es war still. So unheimlich still.
Fluchend kramte Lucan in seiner Tunika und schmierte wenige Sekunden später eine grüne, blumig riechende Paste auf meine Wunde. Nyx stand neben uns, die Waffen im Anschlag, die Miene grimmig. Vaya lächelte mich milde an.
»Pfeile«, sagte sie und zuckte mit den Schultern, als wäre sie nicht ganz richtig im Oberstübchen. Dabei hatte ich in der letzten Zeit das genaue Gegenteil gehofft. In Abbadon hatte sie klarer gewirkt als je zuvor. »Wer hat auf dich geschossen?«, fragte sie.
»Wenn ich das wüsste …«
»Dieser verfluchte Nebel verschluckt alles und jeden!« Nyx blickte sich suchend um. »Den anderen ergeht es ebenso. Sie warten auf Anweisungen. Und auf Midas.«
Midas!
»Welche Idee hat er?«
»Die Elementarfae«, antwortete Lucan. Was auch immer er auf meine Wunde geschmiert hatte, es betäubte den Schmerz Stück für Stück. »Normaler Wind kann einem magischen Nebel nichts anhaben. Aber Wind, der von Elementarfae produziert wird, ist ebenfalls magisch und hat somit vielleicht eine Chance. Die Fae sind mächtig und verfügen über Magie, die seit langer Zeit verloren geglaubt ist.«
Ein guter Gedanke. Insbesondere, da Bael selbst Fae in seinen Reihen hatte. Es wunderte mich nicht, wenn er auch ihnen ihre Magie abgezapft hatte. Ich schüttelte mich und schielte auf meinen linken Flügel, der leicht herabhing. Der Schmerz war fast weg, dennoch war die Erinnerung an den Pfeil präsent und machte mir bewusst, dass meine Flügel eventuell nicht so nützlich waren, wie ich gehofft hatte. Zumindest nicht, solange ich sie nicht richtig einsetzen konnte. Aktuell waren sie Waffe und Schwachstelle zugleich.
»Wieso ist es so still überall?«, fragte ich und ließ meine Flügel verschwinden. Der Rest des Schmerzes verflüchtigte sich. Instinktiv rollte ich die Schultern, aber alles fühlte sich gut an.
Lucan erwiderte meinen Blick finster. Sein Gesichtsausdruck gefiel mir gar nicht. Ich kannte das leichte Stirnrunzeln, die zusammengepressten Lippen. Das Mahlen seines Kiefers und die schwarzen Augen verrieten mir den Rest. Er hatte eine Theorie.
»Lucan?«
»Ich weiß es nicht.«
Aber du hast eine Ahnung.
In Gedanken hörte ich ihn leise seufzen. Womöglich.
Vaya wippte auf ihren Fußsohlen vor und zurück, dann meldete sie sich. Wortwörtlich.
»Dafür habe ich eine Idee.«
Alle Augen richteten sich auf die Dämonin.
»Es wird bereits gekämpft«, flötete sie, ein wenig zu fröhlich für die Situation.
»Was?«, riefen Nyx und ich gleichzeitig, Lucan blieb stumm. Und das ängstigte mich mehr als Vayas Worte. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. »Du glaubst das auch?«
Lucan legte den Kopf schräg, bewegte ihn hin und her, wie, um eine Verspannung zu lösen. Er wirkte wie eine bis zum Zerreißen gespannte Seite.
»Ich befürchte lediglich, dass es so sein könnte«, erwiderte er zähneknirschend. »Die Atmosphäre hat sich verändert. Ich kann es nicht genau greifen, aber dann der Pfeil …«
»Aber … würden wir es nicht mitbekommen?« Wir waren direkt im Herzen Arcadias!
»Nicht, wenn der Nebel uns alle abschottet. Ich weiß nicht genau, wie ich es erklären soll.« Er fuhr sich durch die dichten, dunklen Haare. Seine Katana lagen vor ihm auf dem Kopfsteinpflaster. Er musste sie bei meiner Ankunft fallengelassen haben. Lucan folgte meinem Blick und hob sie auf. In einer flüssigen Bewegung, die schlichtweg sinnlich war, ließ er beide Katana in die Scheiden auf seinem Rücken gleiten.
»Stell es dir vor wie die Schichten einer Zwiebel«, fuhr er fort. »Oder die Jahresringe eines Baumes, die sich um einen unsichtbaren Kreis winden. Sie schichten Räume, Orte und vielleicht sogar Zeiten übereinander. Jede Ebene ist einzigartig und dennoch mit der anderen verbunden. Jede von ihnen ist Teil des Ganzen.«
Nyx fluchte. »Dann wird um uns herum gekämpft, ohne, dass wir es mitbekommen? Weil wir im falschen Jahresring sind?«
Lucan ignorierte ihren ätzenden Ton. »Ich behaupte nicht, dass es viel Sinn ergibt, aber es ist das Einzige, was mir aktuell einfällt. Horch in dich hinein, Nyx. Fühle den Nebel. Schattenblut fließt durch unsere Adern und doch bin ich nicht in der Lage, diesen Nebel zu durchbrechen.«
»Angenommen du hast recht«, sagte ich, »wie kommen wir dann in eine andere Ebene?«
»Ich habe keine Ahnung.«
Tja. Scheiße.
Vayas Blick lag auf Lucan, aber Nyx … sie wandte sich ruckartig ab. Sie murmelte etwas Unverständliches, dann streckte sie die freie Hand in den Nebel, als würde sie ihn fühlen. Erkunden und verstehen. Als sie sich wieder zu uns umdrehte, bedachte sie Lucan mit einem Blick, der mir absolut nicht gefiel.
»Was?«, wollte ich wissen, während die beiden sich finster anstarrten. Ein stummer Austausch fand statt. Einer, aus dem sie mich ganz bewusst ausschlossen. »Was?«, fragte ich noch einmal, lauter diesmal.
Nyx‘ schwarze Augen glühten. So wie jetzt, hatte ich sie noch nie gesehen. Nicht einmal während all der letzten Kämpfe. Nicht, als sie uns half, Arcadia zu retten oder als ich sie losschickte, um Star zu suchen und schließlich zu töten. So wie sie jetzt vor uns stand, wurde mir wieder einmal bewusst, wie wenig ich über Furien wusste. Lucan und sie waren mächtig, sehr mächtig, aber was wusste ich wirklich und wahrhaftig darüber, welche Fähigkeiten Nyx besaß?
Lucan …
Er stieß geräuschvoll die Luft aus.
»Furien sind in der Lage–«
»Wir«, unterbrach Nyx ihn energisch. »Du bist ebenfalls halb Furie.«
»Ich habe diese Praktik noch nie angewandt. Du weißt nicht, ob ich es überhaupt könnte.«
»Du kannst es«, erwiderte sie schlicht. »Jede Furie kann es. Es spielt keine Rolle, wie viel Furien- oder Schattenblut durch deine Adern fließ, die Magie erkennt dich.«
»Könnt ihr bitte etwas konkreter werden?«
Sie machten mich nervös. Und es gefiel mir nicht, dass ich ein weiteres Geheimnis um meinen Mann lüften musste. Würden sie denn niemals aufhören?
Das ist nichts, was ich vor dir verborgen habe, hörte ich Lucans brüske Worte in meinem Kopf. Nyx und ich streiten seit einer Ewigkeit über dieses Thema und sind unterschiedlicher Meinung.
Welches Thema?
Lucan fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. Schatten folgten der Bewegung und inmitten des roten Nebels wirkte er noch düsterer. Noch mysteriöser und auch wenn es mich fuchsig machte, dass ich noch immer nicht alles über ihn wusste, musste ich zugeben, dass es mich auch begeisterte.
»Furien haben eine besondere Gabe, die sie selten einsetzen. Im Notfall, um genau zu sein. Soweit wir wissen, wurde diese Gabe seit Jahrhunderten nicht genutzt. Womöglich nicht mehr seit den Tagen des Clash.«
»Könnt ihr bitte aufhören so kryptisch zu sein«, stieß ich hervor, »und einfach–«
»Zornklage«, unterbrach Nyx mich. »Der Schrei einer Furie.«
»Der Schrei … was?«
»Der Schrei einer Furie heißt Zornklage. So bezeichnet man es, wenn Furien ihre unbändige Wut oder ihren Schmerz durch einen Schrei zum Ausdruck bringen. Der Ton ist so ohrenbetäubend, dass er das Trommelfell durchdringt und eine lähmende Angst verbreitet. Trifft man die richtige Tonlage, kann er Gegner schwächen oder sie sogar in den Wahnsinn und damit in den Selbstmord treiben.«
Ach. Du. Scheiße. Ich blinzelte. Dann sah ich zu Lucan auf.
»Ich selbst habe es noch nie erlebt. Es ist ein Mythos.«
»Ein Mythos«, murmelte ich. »Dir ist bewusst, wie oft wir diese Worte in der letzten Zeit gesprochen haben? Es war nie nur ein Mythos, Lucan! Weder du noch ich, Zyntha, die Zwillinge oder die Sirenen in Crinaee. Luzifer oder die Überlebenden. Ilya!«, rief ich leidenschaftlich. »Noain. Die Fae. Die Ti’Malek und die Phönixe. Nichts davon ist ein Mythos, es ist unser Leben.« Ich wandte mich ab und richtete meine Aufmerksamkeit auf Nyx. »Was glaubst du, mit dem Schrei erreichen zu können?«
»Wenn Midas und die Elementarfae es schaffen, den Nebel zu bändigen, und diese Jahresringe oder was auch immer sie sind, sich auflösen und wir uns erneut in einer … Ebene befinden, könnte ich den Schrei nutzen, um unsere Gegner zu lähmen.«
»Würdest du nicht alle treffen? Alle Bewohner Arcadias? Alliandoans?«
Falls ihr Schrei so weitreichend war.
Ist er. Wenn er richtig ausgeführt wird.
Verdammt.
Nyx musterte mich von Kopf bis Fuß und schaute dann zu Lucan.
»Midas und Lillith haben die Besetzten gekennzeichnet. Seht ihr eine Möglichkeit, die Zivilisten und unsere Verbündeten durch Schatten und Feuer zu schützen?«
»Wäre es nicht einfacher, den Schrei auf alles Dämonische zu richten?«
Alle schauten zu Vaya. Die Hände in den Hosentaschen stand sie da und beobachtete uns, als wäre dies ein Kaffeekränzchen und keine Kriegssituation. Aber die Idee war gut. Nur wie konnten wir das umsetzen? Wie konnten wir sicher sein, dass wir auch wirklich Baels Leute erwischten? Immerhin konnten wir nicht in ihre Köpfe gucken.
In ihre Köpfe gucken …
So schnell, dass mir leicht schwindelig wurde, drehte ich den Kopf. Mein Blick kollidierte erneut mit Lucans und er dachte genau dasselbe. Himmel, dafür liebte ich ihn noch mehr. Wir waren wie ein verdammtes Uhrwerk, perfekt aufeinander eingestellt.
»Die Gelehrten«, sagten wir gleichzeitig.
»Natürlich! Die Ghoule.« Nyx trat dichter an unsere Gruppe.
»Haben wir nicht in allen Welten Ghoule verteilt?«
»Haben wir«, erwiderte ich, ohne den Blickkontakt mit Lucan zu brechen. Ich sah seine Gedanken arbeiten und das half mir, mich selbst zu sortieren. Anstatt mich in den schwarzen Tiefen seiner Augen zu verlieren, waren sie mein Anker, um in all dem Wahnsinn nicht unterzugehen.
»Jaces Leute sind untrainiert. Zwar haben wir jene ausgewählt, die etwas kampferprobt sind, dennoch sind die meisten von ihnen jung und die Aufgabe ist zu groß.«
»Die Silbersynchronen fallen raus«, ergänzte ich Lucans Worte.
»Solange wir nicht wissen, was wir mit Lua anstellen und wie sie zu Bael steht, gilt sie als Feind. Aber die Gelehrten. Scio und die anderen, sie wären mächtig genug, die Dämonen zu erkennen.«
Denn sie verfügten über die große Gabe, sich zu einem Kollektiv zusammenzutun. Sie konnten sich gedanklich verbinden und ihre Kräfte bündeln. Scio allein war mächtig, aber verbunden mit seinen Brüdern und Schwestern, war er womöglich in der Lage, Baels Lakaien zu erkennen und Nyx‘ Schrei somit eine Richtung zu geben.
»In all den Jahrhunderten und Jahrtausenden haben die Gelehrten noch nie ins Geschehen eingegriffen«, gab Lucan zu bedenken.
»Selbst als Volac dich hatte–«
»Das war eine andere Situation, Lucan. Volac musste mich haben«, unterbrach ich ihn, meine Stimme dabei fest, denn so schlimm diese Zeit auch gewesen war, sie hatte mich zu der Frau geformt, die ich heute war, und genau das hatte das Schicksal beabsichtigt. »Alles ist so gekommen, wie Scio es gesehen hat. Wir haben die Gelehrten noch nie um diese Art von Hilfe gebeten. Lediglich um Informationen. Aber noch nie um so etwas. Was, wenn es genau so kommen muss? Was, wenn Scio uns bereits erwartet?«
»Hätte er dann nicht selbst kommen können?« Die Frage kam von Nyx. »Wenn er weiß, dass wir ihn brauchen?«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Scio greift niemals ein. Nicht von allein. Wir mussten die Erkenntnis selbst erlangen.« So war es immer mit dem Magister. Er kannte die Vergangenheit, die Gegenwart und er sah die Zukunft. Viele, viele Versionen von ihr und alle waren wahr – und doch nicht. Er hatte mir einst erklärt, dass sie alle Möglichkeiten, Wege und Chancen waren. Jede Beeinflussung seinerseits konnte eine Katastrophe auslösen. Aber jetzt griff er nicht initiativ ein, ich würde ihn darum bitten. Das war etwas anderes, oder nicht?
»Nyx«, ich fasste die Furie am Arm. »Was brauchst du, um dich vorzubereiten?«
»Nichts. Aber Midas berät sich noch mit den Fae.«
»Sag ihm, er soll sich beeilen. Vaya.«
»Hier.« Die Dämonin trat dicht neben mich.
»Bring mich nach Anak. Zur Zitadelle.«
Ich sah auf, direkt in ein Paar pechschwarzer Augen. Lucan nickte. »Beeilt euch.«
KAPITEL 3
Anak versank ebenso in rotem Nebel wie Alliandoan. Der Gedanke, dass in allen Welten gekämpft wurde, dass Freunde, Verbündete und Zivilisten auf sich allein gestellt waren, dass sie verletzt oder bereits tot waren … er versetzte mich in einen Zustand völliger Panik. Ich drückte die Panik zurück, atmete, und ersetzte sie mit dem einzigen, was ich aktuell sonst aufbringen konnte: Wut. Beißende, glühende Wut. Das Dämonenfeuer wütete in mir, angestachelt von den blauen Flammen und Funken meiner Engelsmagie.
Vaya brachte uns direkt auf die Schwelle der Zitadelle. Ich war nicht überrascht, als die Tür sich öffnete, bevor ich klopfen oder das verdammte Ding eintreten konnte.
Scio stand vor uns. Die Kapuze im Nacken, die Augenhöhlen leer, die Stirn in Falten.
»Eure Majestät.«
»Du weißt, wieso ich hier bin.« Ich hatte keine Zeit für Floskeln. Nicht mehr. Nie wieder. Scio wusste das und er respektierte es. Immerhin war er beinahe von Tag eins an ein großer Teil meiner ganz persönlichen Reise und Entwicklung gewesen.
Er nickte. Ich blickte an ihm vorbei in die Zitadelle. Der mit Kerzen und Feuern beleuchtete Raum platzte aus allen Nähten. Jung und Alt. Mit und ohne Kapuze. Die meisten von ihnen hielten Bücher in den Händen, als würden sie zum Gebet aufbrechen wollen.
»Werdet ihr uns helfen?«
Damals, vor all der Zeit, hatte ich ihm versprochen, zu helfen. Bei unserer ersten Begegnung waren die Gelehrten geächtet gewesen. Man hatte sie verbannt, aus Angst vor ihrem Talent, Gedanken zu lesen. In letzter Zeit hatten sich immer mehr Welten den Gelehrten geöffnet und es war der Bau einer Zitadelle in Arcadia geplant. Ein Bau, den wir ständig verschieben mussten, weil es immer einen Mann gab, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, mich zu töten oder mich zu unterwerfen. Minister Laurenti, Narcos, Bael. Zwei davon hatte ich bereits getötet. Der letzte würde folgen.
›Werdet ihr uns helfen‹ … ich hatte diese Worte schon einmal gesprochen. Damals war es ein ›Wirst du mir helfen?‹ gewesen. Ich erinnerte mich glasklar an diesen Moment.
»Es ist dir ernst.« Scio hatte den Kopf schräg gelegt. »Das kann Jahre dauern. Jahrzehnte sogar.«
»Ich weiß«, hatte ich geantwortet, als wir uns in der schummerigen Zitadelle gegenübergestanden hatten. Lucan, Malik und Nick hinter mir. Die Gelehrten hinter ihm.
Nur hatte es keine Jahrzehnte gedauert und auch keine Jahrhunderte. Etwas über ein Jahr und so viel war passiert. So viel Böses, aber auch so viel Gutes. So viel Fortschritt und Hoffnung und Liebe. Einigkeit und Gleichberechtigung. Der Frieden war so greifbar nah.
Scio lächelte und legte eine Hand an meine Wange. »Es wäre mir eine Ehre, meine Königin.« Dieselben Worte, mit denen er vor all der Zeit unsere Schicksale miteinander verwoben hatte.
»Sie waren es schon immer, Lilly. Dein Schicksal ist mit jedem einzelnen Unsterblichen der Anderswelt verbunden. Du ahnst nicht, wie sehr.«
Meine Augenbrauen wanderten in die Höhe. »Noch mehr kryptische Prophezeiungen?«
»Nicht kryptisch, lediglich wahr. Die Zukunft ist immer–«
»In Bewegung«, beendete ich seinen Satz, wie bereits etliche Male zuvor.
Die Zukunft glich einem mächtigen Fluss, dessen Strömungen unberechenbar und ständig in Bewegung waren. Mal ruhig und sanft, dann wieder wild und ungestüm. Mit jedem neuen Tag formte sie ihre Ufer neu, änderte ihren Lauf, bahnte sich neue Wege und riss alte Pfade fort. Wie das Wasser, das stetig floss, und doch nie dasselbe war, blieb auch die Zukunft wandelbar. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie eintrat. Bis die Zukunft zur Gegenwart und irgendwann zur Vergangenheit wurde.
»Du hast viel gelernt, meine junge Königin.«
»Ich versuche es.« Jeden einzelnen Tag. Und vermutlich würde ich nie auslernen, aber das war das Leben, oder nicht?
»Wenn jemand das Steuer herumreißen kann, dann bist du es.«
»Wie meint er das?«, flüsterte Vaya hinter mir. Ich hatte die Dämonin für einen Moment vergessen. Begegnungen mit Scio lösten stets die gemischtesten Gefühle in mir aus. Der Magister lächelte noch immer. So warm und herzlich wie immer.
Für den Moment würde ich seine Worte und die Andeutungen ignorieren. Er nahm die Hand von meiner Wange und trat zurück.
»Wir alle sind bereit, euch zu helfen.« Scio wies hinter sich in den Raum. »Für das, was du vorhast, wirst du nicht nur mich brauchen.«
Aufregung durchfuhr mich. Er hatte es also gesehen. »Kann es funktionieren?«
»Das hängt von verschiedenen Faktoren ab.«
Argh! Wieso versuchte ich es überhaupt? Selbst während meiner Gefangenschaft hatte Scio geschwiegen. Weder Lucan hatte er etwas verraten noch Midas oder Olli –
Bei dem Gedanken an ihn machte ich meine Schotten direkt dicht. Diesen Weg konnte ich jetzt nicht beschreiten. Der Verlust war noch immer zu frisch. Der Schmerz zu groß.
»Ihn habe ich nicht gesehen.«
»Ich weiß.« Und das hatte nicht nur uns in Panik versetzt. Scio hatte Olli nicht gesehen. Er hatte Kiara nicht gesehen. Auch Bael blieb für ihn verborgen und das war unheimlich. Ich trat einen Schritt zurück und machte den Rücken gerade. »Aber das hier siehst du. Du weißt, was wir vorhaben. Was Midas, die Fae und Nyx erreichen wollen und da du, da ihr«, verbesserte ich mich, »jetzt hier steht, um uns zu begleiten, glaube ich daran, dass es funktionieren wird.«
»Wie lautet der Plan?«
»Wir improvisieren«, antwortete ich Scio ehrlich. »Der Plan entsteht auf dem Weg. Bael hat erneut die Oberhand und zwingt uns zu reagieren.« Bei Abbadon, wie ich den Kerl hasste!
»Nyx?«, fragte ich laut und in Gedanken, damit Scio und die anderen es mitbekamen.
Ich höre dich.
Ist Midas so weit?
Er ist aktuell dabei, mit drei Elementarfae seinen Nome vom roten Nebel zu befreien. Er sagt, sobald der Turm wieder sein ist, kann er die Fae dort hinaufbringen und mit ihnen den Nebel über Dhanika lichten.
»Die Magister helfen uns. Vaya kann sie nach Arcadia und in die anderen Welten bringen, allerdings müssen wir dazu diesen Nebel und die verschiedenen Ebenen aufsprengen.« Nicht, dass sie mir verloren gingen.
Scio räusperte sich. »Vielleicht sagt ihr dem obersten Zauberer von Dhanikans, dass sein Vorhaben schneller glückt, wenn er die Kraftlinien seiner Welt für die Fae öffnet.«
Nyx?
Hab‘s gehört und gebe es gerade weiter.
Eine Idee kam mir. »Hat jede Welt Kraftlinien?«
Scio legte den Kopf schräg. »Kraftlinien«, raunte er. »Das ist womöglich nicht der richtige Begriff. Midas benutzt ihn, für die Magie, die durch seine Welt fließt. Sie nutzen sie klug.« Die Augenbrauen über den leeren Höhlen wanderten nach oben. »Jene Magie, die durch alle Welten fließt. Jede Welt ist verbunden durch die Ursprungsmagie. Durch die Balance«, fügte er hinzu. »Die Unsterblichen in Dhanikans sind lediglich im Vorteil aufgrund ihrer angeborenen Fähigkeiten.«
Dann war das, was Midas als Kraftlinie bezeichnete, sowas wie die Lebensader der Anderswelt? Die Balance, die uns alle verband?
Obwohl ihm seine Augen genommen worden waren, erwiderte Scio meinen Blick und ich spürte ihn bis in die Knochen. »Korrekt.«
Das hieß wiederum, dass Midas und die Fae die Lebensader jeder Welt dazu nutzen konnten, den Nebel und seinen Zauber zu pulverisieren.
Ich fluchte und gab meine Erkenntnis an Lucan und Nyx weiter. Sofort fühlte ich, wie die Furie die Leitungen öffnete, nein, aufriss. Ich sagte den anderen, wo ich war, wieso ich dort war, und was ich – vermutlich – soeben herausgefunden hatte.
Lilly! hallte Midas‘ Stimme durch die Verbindung. Du verrücktes Genie!
Verrückt? Vielleicht. Dabei war alles, was wir taten, irgendwie verrückt, und wenn ich eines gelernt hatte, dann, dass in der Anderswelt alles möglich war.
Verrückt, ja, hörte ich Alitas Stimme. Die Bergkönigin klang wenig begeistert. Genie weniger. Glaubt ihr ernsthaft, ich öffne meine Welt für fremde Andersweltler.
Ich bin kein Fremder.
Alita lachte humorlos. Wie oft habe ich dich in den letzten Jahrhunderten gesehen, Zauberer? Du warst genauso still und regungslos, wie wir alle, warf sie Midas vor. Erst jetzt, da sie auf der Bildfläche erscheint, versuchst du, dich als großen Retter zu geben, und Lillith–
Hat nichts hiermit zu tun, unterbrach Lucan Alita harsch. Und wenn du über meine Frau und deine Königin sprichst, verwendest du gefälligst ihren Namen.
Autsch. Ich hätte es etwas diplomatischer ausgedrückt, aber ständig als sie bezeichnet zu werden, empfand ich ebenfalls als unhöflich.
Persönliche Streitigkeiten haben hier nichts zu suchen. Mein Tonfall war endgültig. Ich hatte es so satt, ständig zu diskutieren. Während du zeterst, sterben deine Leute, Alita. Euer aller Leute. Sobald der Nebel fällt, solltet ihr euch auf Grausames gefasst machen. Du magst mich nicht? Fein. Das haben wir mittlerweile alle mitbekommen. Ich bin auch kein Fan von dir. Aber reiß dich verdammt nochmal zusammen, oder du stapelst deine Leichen am Ende am höchsten.
Betretenes Schweigen schwang durch die offene Leitung.
Verflucht, Lilly … Duncan räusperte sich. Okay, wie lautet unser Befehl?
Abwarten und euch zum Kampf bereit machen. Ich habe mir schon einen Pfeil eingefangen. Ihr solltet davon ausgehen, dass ihr inmitten eines Schlachtfeldes steht, sobald der Nebel fort ist.«
Wieso in allen Welten kann Bael so etwas?
Diese Frage beantworten wir später, überging ich Lavenders Worte. Jetzt brauche ich euch konzentriert, bewaffnet und vereint. Der letzte Punkt war entscheidend. Vereint. Bei jeder Herausforderung, die sich uns bisher in den Weg gestellt hatte, war es entscheidend gewesen, dass wir zusammengearbeitet hatten. Die Veränderungen in der Anderswelt waren in der Tat früher gekommen, als Scio oder ich für möglich und machbar gehalten hatten, und jetzt galt es, sie zu beschützen. Ich würde nicht zulassen, dass mein irrer Stiefbruder alles zerstörte, was wir aufgebaut hatten. Alles, wofür Olli und ich gearbeitet hatten. Ein schmerzhafter Stich ging durch meinen Brustkorb. Normalerweise unterdrückte ich diese Art von Gedanken, aber hier und jetzt zogen sie mich nicht runter, sie beflügelten mich. Schürten das Feuer in mir weiter.
Midas?
Er ist gleich so weit, hörte ich eine mir bekannte, grimmige Stimme. Tristan. Wenn es jemanden gab, der Alita im Anti-Lilly-Club Gesellschaft leistete, war er es. Tristan hatte sich noch immer nicht davon erholt, dass Midas in Abbadon mit meiner Mutter zusammengearbeitet hatte, und nun musste er mit ansehen, wie Fae, ausgerechnet Fae, Zugang zu allem bekamen, was ihm heilig war. Midas. Dem Nome. Den Kraftlinien. Ich konnte ihn verstehen. Veränderung brauchte Zeit, doch seine manchmal recht singuläre Denkweise war Teil des Problems. Er dachte an Dhanikans und nur daran.
Tristan.
Lilly.
Ach, es geht doch nichts, über einen schönen, eisigen Kälteschauer, der durch unsere Verbindung zieht.
Duncan …, warnte ich.
Er hat nicht unrecht, unterbrach Noain. Eure sogenannten Streitigkeiten sind lächerlich. Habt ihr in all den Jahrhunderten nicht gelernt, euch zu fokussieren?
Sagst du, mit all deiner Kampferfahrung?, warf Odile ein und es war genau das Falsche.
Noain ging an die Decke, Drake versuchte zu schlichten. Ich hörte Jace und Flynn und Cas, die mit zaghafter Stimme fragte, wann denn nun etwas passieren würde.
Himmel.
Bin … fast … so weit, keuchte Midas und sofort herrschte Stille. Zu gern hätte ich gesehen, was er tat, ich … ich stockte und riss den Kopf hoch zu Scio. Der Magister und die Gelehrten warteten noch immer geduldig auf Anweisungen, Vaya hinter mir ebenso.
»Es sind Ghoule in Dhanika.«
Scio nickte. Wortlos streckte er mir seine Hand entgegen. Ich ergriff sie und wurde augenblicklich von einer Art Sog erfasst. Scio drängte gegen meinen Geist und ich gewährte ihm Einlass. Es dauerte nicht lang, bis sich die ersten Bilder in meinem Kopf formten.
»Ich bat den Ghoul um Erlaubnis.«
»Nichts anderes habe ich erwartet«, erwiderte ich aufrichtig und ein wenig abgelenkt, denn die Bilder … hätte ich nicht gewusst, dass in dem Nebel gekämpft wurde, ich hätte den Anblick als prachtvoll bezeichnet.
Ich sah Dhanika aus etwa dem gleichen Winkel, aus dem Lucan mir die Stadt damals zum ersten Mal präsentiert hatte. In einem Tal gelegen, umgeben von Wald. Mangrovenähnlich mit roten Baumkronen und tränenförmigen Blättern hatte mich dieser bei meinem ersten Besuch begeistert, aber jetzt … ummantelt von rotem Nebel … es war düster und prachtvoll und bedrohlich. Aus all dem Rot, das sich über Wald und Stadt legte, ragten die weißen Nome hervor. Die Türme der Zauberer, verbunden durch schmale Steinbrücken. Einer stach mir besonders ins Auge. Der höchste Turm von allen, Midas‘ Nome. Hier hatte ich Lucan damals konfrontiert und er und Midas hatten mir offenbart, dass es schlechter um die Anderswelt stand, als ich vermutet hatte. Ab diesem Zeitpunkt waren wir endgültig zu einem Team geworden. Midas und ich. Aber auch Lucan und ich, mehr denn je. Ich erinnerte mich glasklar an seine Worte, als ich ihm angedroht hatte, ihn von der Brücke zu schubsen.
»Wenn wir fallen, dann fallen wir zusammen.«
Ein warmes Gefühl durchfuhr mich.
Die Worte galten damals wie heute, Liebes.
Ich weiß.
Mein Blick wanderte höher, doch die Sicht war eingeschränkt, bis Scio jemand Neues fand, durch dessen Augen er sehen konnte. Und dieser jemand musste auf einer der Brücken gegenüber von Midas‘ Nome stehen, denn auf einmal sah ich ihn klar und deutlich. Den obersten Zauberer Dhanikans‘. So voller Leben und Magie, wie ich, oder womöglich niemand sonst, ihn seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten gesehen hatte. Midas stand auf der Plattform seines Nome, die Arme weit ausgebreitet, den Kopf in den Nacken gelegt. Ich konnte nur vermuten, dass seine Augen wild die Farbe wechselten, während ihm die bunten Haare ins Gesicht wehten. Er war barfuß und trug lediglich eine blaue Hose und ein offenes, azurblaues Hemd. Keinen Umhang. Keinen Stock. Schweiß glänzte auf seiner Haut, während er vor Magie vibrierte. Ich sah sie, spürte sie und schmeckte sie. Die Fae, die bei ihm waren, sahen nicht besser aus. Verschwitzt standen sie da, hochkonzentriert. Ihre Lippen bewegten sich. Ich konnte nicht hören, was sie sagten, aber ich hatte diese Art Singsang schon einmal gehört. In Ilya.
Tristan stand hinter Midas, am Eingang der Plattform. Sein Fels in der Brandung. Sein Beschützer. Ein Ruck ging durch Midas‘ Körper und auf einmal rissen er und die Fae die Arme in die Luft. Was danach geschah, war kaum zu beschreiben. Es war wie ein … Tornado. Eine mächtige, magische Luftsäule, die sich über der Stadt erhob, direkt vor Midas‘ Nome. Sie drehte sich mit einer beinah unheimlichen Anmut, als sie begann, den dichten, roten Nebel aus der Luft zu saugen. Der Nebel, blutrot und schwer, schien zu zögern, doch der Sog des Tornados war stärker. Die Stadt darunter, ebenso der Wald, atmeten auf, als die drückende Präsenz des Nebels verschwand. Doch was darunter zum Vorschein kam, war noch schlimmer, als befürchtet.
Während ich noch starrte, völlig gefangen in dem Anblick, der sich mir bot, schrie Midas in meinem Kopf: Jetzt! Lilly! Jetzt!
KAPITEL 4
Scio packte meine Hand fester. Ich öffnete die Augen und sah mich zu Vaya um.
»Erst Dhanika«, wies ich sie an. »Wie viele von ihnen kannst du transportieren?«
»Alle«, gab sie grimmig zurück. »Jedoch nicht durch sieben Welten.«
Rhonan?, wandte ich mich durch Nyx‘ offene Leitung an den Neith. Wir brauchen dich. Sofort.
Wo soll ich hinkommen?
Dhanika. Direkt auf die Plattform von Midas‘ Nome.
Bin sofort da.
Hören mich alle? Ich wartete ihre Erwiderungen nicht ab und sprach rasch weiter. Ich weiß, ihr steht unter großer Anspannung und ich muss euch darauf vorbereiten, dass es schlimm wird. Dhanika ist … Ich schluckte schwer. Es ist ein Massaker. Aber Bael hat bereits genug Schaden angerichtet. Sorgen wir dafür, dass es nicht noch mehr wird. Vaya bringt die Gelehrten nach Dhanika. Rhonan übernimmt, wenn ihre Kräfte schwinden.
Nyx?
Bin schon vor Ort.
Nyx wird sich mit den Gelehrten verbinden, sprach ich weiter, und mit ihrer Hilfe alles Dämonische offenbaren, ehe sie die Zornklage auf sie loslässt.
Der Schrei einer Furie, hauchte Cas voller Ehrfurcht.
Jemand – ich glaube, es war Odile – fluchte. Das ist nur ein Mythos.
Gleich nicht mehr, erwiderte Nyx lässig. Sobald wir die Bastarde in Dhanika ausgelöscht haben, reisen die Gelehrten und ich durch die restlichen Welten. Midas und die Fae springen voraus und pulverisieren euren Nebel.
Midas?, fragte ich.
Lass mich kurz zu Atem kommen, Lilly, dann ist Alliandoan dran.
Verdammt, ich wollte gar nicht wissen, wie schlimm es bei uns war. Die Bilder dessen, was ich soeben gesehen hatte, zuckten durch mein Bewusstsein. Blut in den Straßen. Leichen, die sich stapelten. Schreiende und weinende Zivilisten. Wild gewordene Dämonen.
Wartet. Wartet mal eine Sekunde! Ich sah regelrecht vor mir, wie Flynn sich in die Nasenwurzel kniff. Die Zornklage einer Furie kann uns alle erwischen. Wie willst du unterscheiden, Nyx?
Durch die Gelehrten, gab sie zurück und erläuterte den anderen den vollen Plan. Was ich, jetzt da Flynn seine Bedenken aussprach, irgendwie vergessen hatte. Aber wer konnte es mir verdenken, mit über einem Dutzend Stimmen in meinem Kopf!
Alita schnaubte abfällig. Das ist Irrsinn.
Hast du eine bessere Idee?, konterte ich.
Nein. Aber wenn es schief geht, reiße ich dir den Arsch auf, Majestät.
Das kannst du gern versuchen, Bergkönigin.
»Vaya«, blind griff ich hinter mich und zog die Dämonin dicht an mich. Dann legte ich ihre Hand in Scios. Keiner der beiden zuckte zusammen. Eine Dämonin und ein Gelehrter – hatte es diese Art von Kontakt schon einmal gegeben?
Scio schüttelte den Kopf. »Nein. Aber es ist nicht unerwünscht.«
»Vaya«, sagte ich noch einmal und begegnete dem rotglühenden Blick meiner Freundin. »Ich vertraue dir und ich glaube an dich. Du kannst das schaffen.« Bitte konzentriere dich. Ich wollte es hinzufügen, ließ es jedoch bleiben. Sie würde es schaffen.
Vaya nickte feierlich. »Du kannst dich auf mich verlassen.« Sie drehte den Kopf und winkte die Gelehrten zu sich heran. »Ihr müsst eine Kette bilden und euch an den Händen fassen. Haltet euch aneinander und an Scio fest. Ich bringe uns zu Midas.«
Auf einmal sah sie auf. »Lilly–«
»Ich habe einen Runenstein. Geh.«
Sie nickte und ehe ich blinzeln konnte, waren sie alle fort. Rasch holte ich einen der kleinen Runensteine hervor und aktivierte ihn. Wie immer, wenn ich ein Portal öffnete, ging ich nicht durch ein silbrig schimmerndes Fenster oder ein schwarzes Loch, wie bei Lucan, nein, ich trat durch eine Tür. Was Runenzauber anging, hatte meine Magie noch nie versagt. Ich öffnete die Tür, trat hindurch. Statt in Merkata fand ich mich am See der Balance wieder.
Ich spüre dich, Liebes. Wo bist du?